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An Vittoria Colonna


172

Wird durch Bequemlichkeit und durch Gewohnheit
Das Auge abgestumpft,
Dann leidet die Vernunft,
Denn leichter täuscht sich, wer zu sehr sich glaubt,
Und malt im Herzen sich
Als schön, was selbst geringer Schönheit baar.
Glaubt, Herrin, mir auf Treu:
Bequemlichkeit, Gewohnheit kenn' ich nicht,
So selten sieht mein Auge Eure Augen,
Denn wo Ihr weilt, wagt kaum der Wunsch sich hin!
Ein Blick hat mich entflammt:
Ich sah nicht mehr Euch, als ein einz'ges Mal.

173

Wohl glaubt' am ersten Tag ich, da so vieles,
So einz'ges Schönes ich gewahren durfte,
Auf eines doch und sei es auch das kleinste
Den Blick zu richten wie der Aar zur Sonne!

Dann aber hab' den Wahn ich eingesehen,
Denn unbeflügelt folgen wollen einem Engel,
Heisst: reden in den Wind, auf Felsen säen
Und Gott mit dem Verstand erkennen wollen.

D'rum kann mein Herz solch' unbegränzte Schönheit
Geblendet in der Nähe nicht ertragen,
Und beut mir auch die Ferne nicht Verlass,

Was wird aus mir? Welch' Führer, welch' Geleit
Kann frommen mir zu dir, da in der Nähe
Du mich entflammst und mich beim Scheiden tödtest?

174

Glücksel'ger Geist, der du im Liebeseifer
Das Herz mir todtverfall'nem Greis erhältst,
Inmitten aller deiner Freudengüter
Von so viel Edleren nur mich begrüssest,

Du kommst, wie einst den Augen du erschienst,
Zum Troste jetzt dem Geist ein andres Mal:
Da scheint die Hoffnung mir das Leid zu zähmen,
Das meine Seele stark wie Sehnsucht fühlet.

Errath' ich, wer für mich in dir gesprochen:
Die Huld, die meiner denkt bei so viel Sorgen!
So dank' ich, durch dies Schreiben nur ihr huld'gend,

Denn grosser, unerlaubter Wucher wär's,
Wollt' ich für deine lebenden Gestalten
Als Gegengabe bringen garst'ge Bilder.

175

Fühlt Einer sich durch Freude schon verpflichtet,
Ruft man vom Tod in's Leben ihn zurück,
Was gäb' es als Entgelt für einen Dienst,
Der einen Schuldner ganz der Pflicht enthöbe?

Und wär' dem so, so wär' dem treuen Diener
Auch alle Hoffnung unbegrenzten Lohnes
Damit geraubt, denn dieser wär' unmöglich,
Wo nicht des Dienens Eifer ihn gewinnt.

Und d'rum, damit ich über mein Vermögen
Hoch Eure Gnade stelle, zieh' ich vor,
Undankbar zu erscheinen Euch, als höflich;

Denn, g'nügten wir einander nur als Gleiche,
So wär' die heiss Geliebte mir nicht Herrin,
Da Herrenthum sich nicht verträgt mit Gleichheit.

176

Was nicht von dir mir kommt, ist meinen Augen
Des Spiegels Bild nicht, das mein Herz besiegt,
Denn jede andre Schönheit,
Gleicht, Herrin, dir sie nicht, giebt ihm den Tod,
Dem Glase gleich, das trübe,
Ohn' Hintergrund, die Dinge wiedergiebt.
Ein Urbild wirst du mir,
Ein Wunder dem Unsel'gen,
Der ach! an deiner Gnade ganz verzweifelt,
Wenn du die schönen Augen
In Mitleid auf mich wendest,
Bedacht, so spät mich glücklich noch zu machen.
Bezwinget deine Gnade
Mein wildes Loos, das mich dem Elend weiht,
Dann siegst du selbst ob Himmel und Natur.

177

Nie kann es sein, dass Ihre heil'gen Augen
An meinen sich erfreu'n, wie ich an Ihren,
Erwidr' ich, statt mit süssem Lachen,
Mit bitt'ren Thränen ihren Götterblick.
O Hoffnung, trügerisch den Liebenden!
Wie könnte, da so ganz mein Wesen sich
Von Ihrem unterscheidet,
Ihr überglänzend Licht und höchste Schönheit
Für mich entbrennen, wie für Sie ich brenne?
Inmitten solcher Gegensätze wendet
Im Zorn sich Amor hinkend fort vom einen,
Und nichts bewegt zum Mitleid ihn für mich –
Dringt in ein edles Herz
Als Feuer er, verlässt er es als Wasser.

178

Nicht kann, nicht will ich an mich halten, Amor,
Da deine Wuth stets wächst,
Vernimm, was ich betheure:
Je rauher du und härter, um so mehr
Spornst meine Seele du zur Tugend an.
Und gönnst bisweilen Ruhe
Von Todesqual und Schmerzensangst du mir,
Dann fühl' ich, wie das Herz
Ersterbend stockt im Busen,
Da alle ach! so grosse Marter stockt.
O heil'ge Strahlenaugen,
's ist süss und werth mir, spart ihr eure Huld,
Denn viel gewinnt man, macht Verlust uns weise.

179

Ist's wahr, dass ird'sche Schönheit
Von dieser Welt zu Gott
Das edle Sehnen trägt,
Dann thut dies meine Herrin
Für Jeden, der die Augen hat wie ich.
Vergessend andre Dinge,
Bin ich auf dies bedacht nur.
Doch ist's kein grosses Wunder,
Wenn ich Sie lieb', ersehn' und stündlich rufe:
Nicht dank' ich's eig'ner Kraft,
Wenn sich von selbst die Seele,
Die in die Augen tritt,
An Augen haftet, d'rin sie sich erkennt.
Strebt sie zur Ersten Liebe,
Als ihrem Ziel, so ehrt mit der sie Jene:
Es liebt den Diener, wer den Herrn verehrt.

180

Wohl sehen meine Augen nah und fern
Dein schönes Antlitz, wo es auch erscheint,
Den Füssen aber, Herrin, ist's benommen,
Zum gleichen Ziel zu tragen Arm' und Hände.

Es steigt durch's Aug' empor zur hohen Schönheit
Bei ungetrübtem heilen Geist die Seele
In voller Freiheit, doch zu grosse Gluth
Verweigert solches Recht dem ird'schen Leibe,

Dem schweren, sterblichen, der, unbeflügelt,
Selbst eines Engleins Flug nicht folgen kann
Und nur sich rühmen darf, es zu gewahren.

Vermagst im Himmel du so viel, wie hier,
Oh! mach' aus meinem Leib ein einz'ges Auge,
Dass nichts mir bleibe, was dich nicht geniesse!

181

Wohl wär' es jetzo Zeit,
Sich zu entzieh'n der Marter,
Denn schlecht vereint sich Alter und Begierde!
Doch ist, du weisst es, Amor,
Die Seele blind und taub
Für Zeitenlauf und Sterben:
Sie weckt Ihr Bild mir angesichts des Todes,
Und brächest du den Bogen
In tausend Stücke auch,
Zerrissest du die Sehne,
Sie fleht dich an, kein Weh ihr zu ersparen,
Denn nimmer kann, wer nie geneset, sterben.

182

Wie du ja anders sein nicht kannst als schön,
Kann's nimmer sein, dass du nicht Mitleid hast,
Und bist du ganz mein eigen,
Kannst du nicht anders als mich ganz zerstören.
Vergönnst du mir dein Mitleid,
So lange deine Schönheit währt auf Erden,
So giebt der Schönheit Tod,
Mit dem die Liebe endet,
Auch meinem heissen Herzen Tod.
Dann, wenn der Geist befreit
Zu seinem Sterne kehrt,
Des Herrn sich zu erfreuen,
Der jeden todten Leib
Zu ew'gem Frieden oder Qual erweckt,
Dann fleh' ich, dass er meinen, ob auch hässlich,
Im Himmel, wie auf Erden, bei dir lasse,
Gilt doch ein liebend Herz so viel wie Schönheit.

183

Verzehrt, das Allen schadet,
Nur mich das Feuer nicht,
Liegt's nicht an seiner Kraft noch seiner Schwäche,
Dass wie der Salamander heil ich bleibe,
Wo jeder And're stirbt –
Wer stürzt aus Frieden mich in solche Marter?
Nicht ward von dir dein Antlitz,
Nicht ward von mir mein Herz
Geschaffen, nie gelöset
Kann von uns Beiden meine Liebe werden.
Ein Höh'rer ist der Herr,
Der all mein Leben legt in deine Augen!
Wenn ich dich liebe und es dich nichts kostet,
Verzeih' du mir, wie ich der Qual verzeihe,
Die meinen Tod will, ohne mich zu tödten.

184

Seid, Augen, dess' gewiss:
Die Zeit vergeht, es naht die Stunde sich,
Die trüben Thränen einst den Weg versperrt!
Euch halte Mitleid offen,
So lang die Göttliche
Auf Erden hier zu wohnen noch geruht.
Erschliesset Gnade ihr den Himmel,
Wie Sel'gen es bestimmt,
Kehrt meine Lebenssonne,
Von uns sich trennend, wieder heim nach oben –
Was bleibt euch dann auf Erden noch zu schauen?

185

Vermöchten Todesfurcht
Wir allzeit zu vertreiben
Und sie dorthin, woher sie kommt, zu bannen,
So würde stark und grausam
Mit härt'rer Prüfung Amor
Ein edles Herz erbarmungslos verfolgen.
Doch da die Seele hofft
Dereinst auf Gnade nach dem Tod und Freude,
So hält, wer sterblich, werth das Todesbangen,
Die grösste aller Ängste;
Und wider hehre Schönheit
Der stolzgesinnten Frau
Giebt's keine andre Wehr,
An der ihr Zorn, wie ihre Huld, sich bräche.
Wer mir nicht glaubt, dem schwör' ich:
Vor Ihr, die über meine Thränen lacht,
Beschützt und rettet nur mich, wer mich tödtet.

186

Nicht thut es deiner hehren Schönheit Noth,
Mich, den Besiegten, auch zu fesseln noch:
Denn, mahnt's mich wohl, so ward ich
Von einem Blick gefangen ihr zur Beute.
Ohn' Widerstand erliegt
Ein schwaches Herz gewohnten schweren Leiden!
Wer aber würd' es glauben?
Bestrahlt von deinem Aug' nur kurze Tage,
Ergrünt ein trocknes, ja verkohltes Holz!

187

Es wirken deine Huld und mein Geschick,
O Herrin, so verschieden,
Damit ich, was der Zustand sei, erfahre,
Der zwischen Süssigkeit und Bitt'rem schwankt.

Zeigst du so hold im Innern
Und mitleidsvoll dich mir,
Wie du dem heissen Sehnen schön dich zeigst,
Dann stört ein tück'sches Schicksal,
Befeindend unsre Freuden,
Mit tausendfachem Schimpf mir mein Geniessen,
Und beugt, des Marterns müde,
Sich meinem Wunsch das Schicksal,
Nimmst du mir dein Erbarmen!
So zwischen Gegensätzen: Lachen, Weinen,
Giebt's keinen Weg, dem Leiden zu entflieh'n.

188

So hoch erhebst du, Herrin,
Mich über mich hinaus,
Dass ich's nicht sagen kann,
Nicht denken, denn ich bin nicht mehr ich selbst.
Doch da du deine Flügel
Mir leihst, warum nicht öfter
Flieg' ich empor zu deinem holden Antlitz,
Dass ich bei dir verweile –
Falls es vergönnt der Himmel,
Mit ird'schem Leib in's Paradies zu kommen?
Wenn nicht, dank dir, die Seele
Von meinem Leib sich trennt und von dir flieht,
Was Tod für sie bedeutet, Glück für mich.

189

Zu deinem hohen Strahlendiadem
Vermag auf langer Strasse
Niemand zu kommen, Herrin,
Wenn gütig du, dich neigend, nicht ihm hilfst:
Es wächst die Steile und die Kräfte schwinden,
Auf halbem Weg schon fehlet mir der Athem.
Und doch! dass deine Schönheit
So hoch entrückt, erfüllt das Herz mit Wonne,
Da es nach Hohem, Seltenem verlangt!
Dann wieder, deiner Anmuth mich zu freuen,
Ersehn' ich, dass herab
Zu mir du steigst, und Frieden giebt mir dies:
Erzürnt auch, musst du ahnen,
Warum die Tief ich lieb', die Höhe hasse,
Und wirst für mein Vergeh'n dir selbst verzeihen.

190

Zum Ziel, wo einzig Ruhe,
Wohin, wie das Gewicht
Zum Schwerpunkt, heim ich strebe
Zur Rast, reicht mir, dem altersschwachen Greise,
Der Himmel selbst den Schlüssel.
Den drehend, öffnet Amor
Der Herrin Brust den Guten und Gerechten:
Unbill'ge, niedre Wünsche
Verbietend, bringt er mich,
Den müden Bettler, dort zu Göttergleichen.
Gar selten süsse Gnaden
Von sich'rem Werthe gehen aus von Ihr:
Wer für Sie stirbt, gewinnt durch Sie das Leben!

191

Um wen'ger unwerth, Herrin, mich zu zeigen
Der Gabe Eurer unermess'nen Güte,
Verlangt' es meinen schwachen Geist, mit Gleichem
Sie Euch aus vollem Herzen zu erwidern.

Doch bald ersah ich, dass der eignen Kraft
Kein Weg sich öffnet, solchem Ziel zu nahen,
Für frevle Kühnheit bitt' ich um Verzeihung,
Belehrt durch mein Vergehen werd' ich weiser.

Erkenn' ich doch, wie irrig es zu glauben,
Die Gnade, welche göttlich von Euch strömt,
Sei aufzuwiegen durch mein schwaches Werk.

Verstand, Gedächtniss, Kunst vermögen nichts:
Denn nimmer kann, wer sterblich, Himmelsgabe,
Wie sehr er strebt, aus Eigenem bezahlen.

192

Gewisser meines Heiles
Lebt', Herrin, ich, erwies't Ihr wen'ger Huld,
Und wen'ger würd' gebadet
Die Brust mir von der Augen Doppelstrom.
Zu grosse Gnade überragt mein Können
So weit, dass sie's verdunkelt, ja vernichtet.
Kein Weiser trachtet je,
Es sei denn Überhebung,
Das zu geniessen, dessen er nicht fähig.
Das Allzuviel ist eitel:
Mit niedrigem Geschicke
Bescheidend sich, gewinnt man Ruh' und Frieden.
Was Anderen erwünscht, missfällt mir, Herrin –
Wer mehr erhält, als er sich selbst verspricht,
Erwarte Tod aus übermäss'ger Freude!

193

An Geist und Kunst darf ich mich nicht vergleichen
Mit Ihr, die allzugnädig
Des Lebens mich beraubt:
Von gröss'rer Förd'rung wär' mir wen'ger Huld.
D'rum flüchtet meine Seele,
Dem Auge gleich, vom grossen Glanz geblendet,
Und schwingt sich über mich
Weit über meine Kraft, denn werth zu werden
Der kleinsten Gabe von so hehrer Herrin,
So hoch geht nicht mein Flug: erfahren muss ich,
Dass all mein Können werthlos vor Ihr bleibt.
Doch Sie, verschwenderisch
Mit Gnadengaben, setzt mein Herz in Feuer,
Oh! brännt' es wen'ger, würd' es mehr mir frommen.

194

Gleichwie der Schmied durch Feuer dehnt das Eisen,
Dem Plan des lieben schönen Werks gemäss,
Wie ohne Feuer auch kein Künstler weiss
Das Gold zu höchster Reinheit zu verfeinern,

Wie neu der selt'ne Phönix sich nicht bildet,
Verbrennt er nicht zuvor, so hoff' auch ich,
Sterb' ich in Gluthen, lichter zu erstehen
Bei Jenen, die im Sterben zeitlos wachsen.

Ein selt'nes Glück ward mir, dass solches Feuer,
Mich zu erneu'n, noch Raum in mir gefunden,
Da zu den Todten ich schon fast zu zählen.

Erstrebt sein Element, den Himmel, lodernd
Das Feuer von Natur, und werd' ich Feuer –
Wie könnt' es anders, als mich aufwärts tragen?

195

Wenn du die schönen Augen
Ganz nahe auf mich wendest,
Gewahre ich mich selbst
In ihnen, wie in meinen du dich, Herrin.
Von Jahren und von Leid
Entstellt, so zeigst du mich im Augenbilde,
Dich spiegl' ich wieder heller als ein Stern.
Erzürnt zeigt sich der Himmel,
Erschein' in deinem schönen Aug' ich hässlich,
Erscheinst in meinem hässlichen du schön.
Nicht minder grimm und grausam
Dein Inn'res ist, es dringet
Durch's Auge mir ins Herz
Und wehrt den Weg dem meinen.
Und deine Härte wächst
Je wen'ger Etwas deines Werthes würdig –
Die Lieb' will gleiche Art und gleiche Jugend.

196

Ein Wankender, bald rechts, bald links die Stütze
Des Fusses wechselnd, suche ich mein Heil:
Unschlüssig zwischen Laster
Und Tugend müht sich quälend ab mein Herz,
Gleich Einem, der den Himmel
Nicht sieht und Pfad und Ziel darob verfehlet.
D'rum nehmt das weisse Blatt,
Weiht es mit Eurer Feder,
Die Liebe spende Licht, das Mitleid Wahrheit,
Auf dass die Seele, ihrer selbst gewiss,
Dem ird'schen Wahne mich entreisse,
Und frei von Blindheit letzte Frist ich lebe –
Euch frag' ich, göttlich hehre Frau,
O kündet! gilt des Sünders Reue minder
Als übermässiges Verdienst im Himmel?

197

Zu dir, o Herrin, flucht' ich mich in Hoffnung,
Je mehr ich selbst mich fliehe und mich hasse;
Mir bangt die Seele wen'ger
Um mich, wenn ich in deiner Nähe bin.
Was mir versprach der Himmel,
In deinem Antlitz such' ich's,
In deinen schönen heilsgewissen Augen:
Und wohl gewahr' ich oft,
Betracht' ich all' das andre,
Dass ohne Herz die Augen nichts vermögen.
O Augen, nie genug
Gesehen! Ewig bleibt nach euch die Sehnsucht,
Denn selten euch zu sehen, heisst: vergessen!

198

Gleich grossen Leiden tödtet grosse Gnade
Wohl einen Dieb, den man zum Tode führt,
Wenn ihm, der Hoffnung baar, erstarrten Blutes,
Die Rettung plötzlich kommt, die ihn befreit.

In gleicher Weise raubet deine Huld
Viel mehr als bitt'res Weinen mir das Leben,
Wenn, ungewohnt, sie meiner sich erbarmend
Im Schmerzenselend mich zu sehr erheitert.

So wirkt die süsse Kunde, wie die bitt're:
Ihr Gegensatz bringt augenblicks den Tod,
Zu stark das Herz erweiternd oder engend.

D'rum, soll ich leben, mäss'ge deine Schönheit,
Die Lieb' und Himmel in sich schliesst, ihr Spenden!
Denn schwache Kraft erliegt zu grosser Gabe!

199

Wenn Sehnsucht höh'res Heil und Glück gewinnt
Durch langen Aufschub, als durch schnelles Mitleid,
So bringt nur Leid mir später Jahre Gunst:
Als Greis geniessen, währet kleine Zeit.

Dem Himmel, achtet er auf uns, missfällt es,
Wenn wir zur Zeit, die uns vereisen sollte,
Entbrennen so wie ich: einsame Thränen
Wäg' trauervoll ich ab mit meinem Alter.

Und doch vielleicht, wenn gleich der Tag zu Ende
Und hingeschwunden schon im West die Sonne
In dichte Finsterniss und kühle Schatten,

Machst, Herrin, du – entflammt die Liebe uns
Auf halbem Lebenswege nur – mir Altem,
Der ich erglüh', zur Lebensmitt' das Ende!

200

Getragen hab' ich, in mein Herz gepräget
Schon lange, Herrin, deiner Züge Bild:
Nun naht der Tod, da stemple
Es Amor rechtens meiner Seele ein,
Dass glücklich sie, befreiet
Vom ird'schen Kerker, ihrer Bürde ledig,
Wie durch das Kreuz gefeit,
Vor Feinden sicher sei
In wilden Stürmen, wie bei Meeresstille.
Zum Himmel, dem dich die Natur geraubt,
Kehr' heim, auf dass nach deinem Bild ein neues
Die hehren Engel formen,
Das, geistig, hier auf Erden Leib empfängt:
So blieb, nach dir, der Welt dein schönes Antlitz.

201

Ob es auch wahr, dass göttlich hohes Mitleid
Dein schönes Antlitz menschlich hier uns zeigt,
So bin ich doch so träg' für ferne Wonnen,
Dass, Herrin, ich an deiner Schönheit hafte.
Denn für die Pilg'rin Seele
Ist jeder andre Pfad zu schmal und steil.
D'rum theil' ich meine Zeit:
Dem Aug' geb' ich den Tag, die Nacht dem Herzen,
Der Thränen Nass dem einen, Gluth dem andren;
Nicht find' ich Zeit, zu trachten nach dem Himmel.
Bei der Geburt schon gab
So ganz mich Amor dir,
Dass aufwärts nicht sich wagt mein heisses Sehnen,
Wenn's wahr nicht, dass zum Himmel
Aus Huld und Gnade du den Geist emporziehst:
Spät lernt man lieben, was das Aug' nicht sieht.

202

Ein Mann spricht aus dem Munde einer Frau,
Nein mehr, ein Gott! d'rum fühl' ich,
Wenn ihrem Wort ich lausche,
Geschieht es mir, dass ich nicht mehr mein eigen.
Da sie mich selbst mir nahm,
Muss, ausser mich versetzt,
Erbarmen, dünkt mich, mit mir selbst ich haben.
Ihr schönes Antlitz trägt mich
Hoch über eitles Sehnen,
Nur Tod seh' ich in jeder andren Schönheit.
Die Ihr durch Gluth und Wasser
Die Seele, Herrin, führt zu sel'gen Tagen,
O macht, dass zu mir selbst ich nimmer kehre!

203

Vertrocknet müssten durch mein heisses Seufzen
Schon längst die Quellen und die Flüsse sein,
Erfrischte ich sie nicht mit meinen Thränen.

Es wechseln mit einand' die ew'gen Lichter,
Die warme Sonne und der kalte Mond,
Damit die Welt vor Untergang gesichert.

So wird das Herz auch, wenn zu sehr die Liebe
Mit übermäss'gen Gluthen es entflammt,
Durch mildernd Augennass vom Tod errettet.

Das Leiden und der Tod, die ich ersehne,
Sind mir ein tröstend Zukunftsbild, das mich
Nicht sterben lässt, denn Freud'ges hält am Leben.

So kommt's, dass nicht mein Schifflein, wie ich wünschte,
Um dich zu sehn, zu jenem Strand gelangt,
Den nur erreicht, wer hier den Leib zurücklässt.

Vor allzugrossem Schmerze muss ich leben
Dem gleich, der, rascher als die Andern schreitend,
Des Tages Ende später doch erreicht.

Grausames Mitleid, mitleidlose Huld
Erhielt mich lebend, trennte mich von dir
Und brach den Bund, doch unsre Treue blieb.

— — — — —  — — — —

204

Was Wunder, dass, dem Feuer nah', ich einst
Mich ganz verbrannt, wenn es noch jetzt, erloschen
Von aussen, mich im Innern brennend aufzehrt
Und langsam so in Asche mich verkehret.

Entbrannt sah ich so leuchtend hell das Antlitz,
Von dem mir meine schweren Qualen kamen,
Dass schon sein blosser Anblick mich beglückte
Und Tod und Schmerzen Fest und Spiel mir wurden.

Nun aber, da der Himmel mir entführet
Des grossen Feuers Glanz, der mich ernährte,
Blieb glimmend, eine Kohle, ich zurück.

Und weckt mit andrem Holz mir Liebe nicht
Die Flamme, dann entsprüht auch nicht ein Funke
Mir mehr, so ganz verwandl' ich mich in Asche.

205

Um jene höchste, nie erschaute Schönheit
Aus Einzeldingen sammeln nicht zu müssen,
Ward sie als lichter Schleier
Verliehen einer Edlen,
Denn schwer erlangt der Himmel
Das Ausgelieh'ne, treibt er's einzeln ein.
So aber nahm mit einmal
In kurzem Athemzuge
Aus dieser blinden Welt
Sie Gott zu sich, entzog Sie unsern Blicken.
Doch starb Ihr Körper auch,
Nie schwindet das Gedenken
An Ihre süssen, holden, heil'gen Verse.
Hier zeigt sich Mitleid grausam,
Denn gab, wie Ihr, auch uns der Himmel Schönheit,
Die heim er fordert nun, war Tod uns sicher!

206

Als Sie, die Weck'rin aller meiner Seufzer,
Der Erde, meinem Blick, Sich selbst entrückte,
Verfiel Natur, die Ihrer uns gewürdigt,
In Scham und Jeder, der Sie sah, in Weinen.

Doch rühm' sich Tod nicht, dieser Sonnen Sonne
Wie andre uns geraubt, verlöscht zu haben,
Denn Liebe siegte, liess Sie weiter leben
Auf Erden und im Himmel bei den Heil'gen.

Wohl glaubte Tod, der ungerechte Frevler,
Zu end'gen Ihrer Tugend weiten Ruhm
Und Ihrer Seele Schönheit zu vernichten, –

Er schuf das Gegentheil, denn hell'res Leben,
Als Sie's gelebt, verleih'n Ihr Ihre Verse,
Und durch den Tod gewann Sie Theil am Himmel.


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