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Fünfzehntes Kapitel.

Ganz Warschau zog nach dem Plan vor der Stadt hinaus, auf welchem das dem Kaiser zu Ehren veranstaltete Volksfest stattfand. Der weite Platz war festlich hergerichtet. Den Rasen durchzogen Wege, mit feinem Kies bestreut; überall waren Zelte, Lauben und Sitzplätze eingerichtet, man sah Karusselle, Glücksbuden und Hallen, in denen Erfrischungen aller Art verabreicht wurden. In der Mitte befand sich das kaiserliche Zelt, dessen Dach, von starkem Segeltuch mit Purpurseide überkleidet, die große Königsstandarte mit der Krone und dem polnischen Wappen trug. Rings um den weiten Platz waren in kurzen Zwischenräumen hohe Masten mit Fähnchen in abwechselnd russischen und polnischen Farben ausgestellt und dazwischen standen Wachpikette von den Grenadieren der polnischen Garde, welche jedermann eintreten ließen, sofern er nur irgend so gekleidet war, um auf einem vom Kaiser selbst besuchten Fest geziemend erscheinen zu können.

Das alles machte im leuchtenden Sonnenschein des schönen Sommernachmittags einen überaus glänzenden und lustigen Eindruck, und auch die in immer dichteren Zügen heranströmende Menschenmenge zeigte fröhliche Gesichter, als ob für diesen Tag alle die dunklen Wolken verschwunden seien, welche die Verhandlungen im Reichstage heraufbeschworen hatten. Und der leichte zum Optimismus geneigte Sinn des polnischen Volkes hatte auch in der Tat für den Tag des Festes alle Streitfragen vergessen, welche bisher die Gemüter so lebhaft bewegten. Der Kaiser kam in die Mitte des Volkes, nur von polnischen Soldaten bewacht, es gab keinen abgesperrten Raum, jedermann konnte ihm nahen, das zeigte ein Vertrauen, welches einen vortrefflichen Eindruck machte und wieder Vertrauen erzeugte. Die Stimmung war also überall die beste und wirkliche Festesfreude erfüllte das zu dem geschmückten Platz hinausziehende Volk.

Während die ganze Bürgerschaft von Warschau hinaus wanderte und die dazwischen hinrollenden Equipagen der polnischen und russischen Würdenträger und des Adels mit den edlen Pferden und den schimmernden Livreen bewunderte, zeigte sich auch in den Kasernen und in der Fähnrichschule eine lebhafte Bewegung. Wer nicht für den unabweisbar notwendigen Dienst bestimmt war, hatte die Freiheit erhalten, das Fest zu besuchen, und von allen Seiten strömten die jungen Offiziere, Fähnriche und Kadetten vor die Stadt hinaus.

In der Artilleriekaserne war Wisocki mit den Vorbereitungen für seinen Ausgang beschäftigt. Er hatte alle seine Kameraden vorausgehen lassen, da er noch kommandiert gewesen war, den Mannschaften seiner Batterie die Parademonturstücke abzunehmen und auf die Kammer zurück zu liefern. Nachdem dies so schnell als möglich erledigt, verschloß er die Tür seines Zimmers und legte seine Galauniform an. Es war aber nicht die kokette Freude an seiner hübschen und eleganten Erscheinung, was aus seinen Augen hervorblitzte, eine mächtige innere Aufregung schien ihn zu bewegen, sein Herz schlug hörbar und seine Hände zitterten, als er den kleinen Schnurrbart nur gewohnheitsmäßig vor dem Spiegel empordrehte.

Er blickte noch einmal auf ein kleines Billett, das ihm soeben noch der Leutnant Zalewski durch seinen Diener gesendet hatte und das nur die Worte enthielt: »Alles nach Verabredung am Platz« – ganz harmlose Worte, welche jedermann hätte lesen können, welche aber Wisocki mit hell aufflammender Freude gelesen hatte.

»So ist denn alles bis jetzt gelungen!« rief er, das Blatt in kleine Fetzen zerreißend – »und es wird, es muß auch bis zu Ende gelingen! Auf alle Verbündeten kann ich zählen, keiner wird abtrünnig werden, keiner wird zagen – und in wenigen Stunden wird der stolze Selbstherrscher in unserer Gewalt sein. O, wie herrlich ist es, zu denken, daß die Zukunft des Vaterlandes in diesem Augenblick in meinen Händen liegt! Bin ich nicht ein Feldherr, der das Losungswort rufen soll zur entscheidenden Schlacht, der seiner todesmutigen Schar die Fahne voranträgt zum Siege? Bin ich nicht ein Ritter, der das Höchste wagt, was kühner Mut nur tragen kann, bin ich nicht wert des herrlichsten Preises aus der Hand der Herrlichen, die nur das Vaterland im edelsten und lieblichsten Bilde verkörpert – wird sie nicht in mir auch das Vaterland lieben müssen, wenn ich siege – und wird sie nicht um mich weinen müssen, wenn ich falle? Gott mag es fügen nach seinem Willen, ich bin gefaßt und ergeben, zu siegen und zu sterben!«

Er ordnete sein Haar so sorgsam, als ob er zum Balle ginge – er wollte auch äußerlich schön sein vor den Augen der Geliebten, wie die Ritter sich zum Kampfe schmückten – dann prüfte er die Klinge seines Säbels, sie zerschnitt ein Haar, das er leicht nur mit dem funkelnden Stahl berührte. Hierauf steckte er zwei doppelläufige Terzerole in die Taschen seiner Uniform und barg in seiner Weste einen dreischneidigen italienischen Dolch. So ausgerüstet, blickte er noch einmal in den Spiegel und wendete sich zur Tür.

Da wurde gegen dieselbe von außen mit starken Schlägen geklopft.

»Mein Diener will mich mahnen, daß es Zeit sei, zum Fest zu gehen, das ein heiliges Opferfest werden soll für das Vaterland – ich bin bereit,« sagte er und zog den Riegel zurück.

Die Tür wurde geöffnet, aber nicht sein Diener erschien auf der Schwelle – der Hauptmann von Tanzki trat mit ernster strenger Miene in das Zimmer.

»Ich habe«, sagte er in dienstlichem Ton, »zu meinem Bedauern, bei der Revision, die ich soeben pflichtmäßig gehalten, bemerken müssen, daß die Parademonturstücke in großer Unordnung auf die Kammer geliefert und in ganz vorschriftswidriger Weise durcheinander geworfen sind.«

»Die Leute werden sich heute am Tage des großen Volksfestes ein wenig beeilt haben,« erwiderte Wisocki – »und ich selbst muß gestehen, daß ich weniger scharf als sonst die Aufsicht geführt habe – auch ich war eilig, um rechtzeitig auf den Festplatz zu kommen – das etwa Versäumte glaubte ich unter diesen außergewöhnlichen Umständen morgen nachholen zu können.«

»Es gibt keine Umstände, Herr Leutnant von Wisocki, welche die Vernachlässigung einer dienstlichen Pflicht entschuldigen könnten. Sie sehen, daß auch ich heute die Pflicht der Revision nicht aufgeschoben habe. Sie haben den Ihnen gegebenen Befehl nicht ausgeführt, und eine solche willkürliche Unordnung darf in meiner Kompagnie nicht vorkommen. Sie haben zwei Tage Zimmerarrest – ich bitte um Ihren Säbel.«

Wisocki starrte den Hauptmann wortlos an. Dieser Blitzschlag aus heiterem Himmel, der alle seine Pläne, alle seine hochfliegenden Träume zerschmetterte, betäubte ihn.

»Herr Hauptmann,« stammelte er, »ich bitte um Entschuldigung – ich glaubte an diesem Tage –«

»Für die Vernachlässigung eines dienstlichen Befehls habe ich keine Nachsicht,« unterbrach ihn der Hauptmann. »Menschlich will ich Sie gern entschuldigen, Herr Kamerad,« fügte er milder hinzu – »aber für den Dienst muß es bei der Strafe bleiben.«

Wisocki streckte auf des Hauptmanns wiederholte Aufforderung seine Hand nach dem Säbel aus, seine Augen blitzten drohend – schon hatte er den Griff erfaßt – aber Tanzki trat dicht zu ihm heran, und mit seinem kalten drohenden Blick ihn bannend, nahm er, als ob er dem jungen Offizier behilflich sein wolle, den Säbel an sich. Mit kurzem militärischen Gruß verließ er das Zimmer.

»Gefangen!« rief er – »heute gefangen, während sie draußen auf mich warten, um in kühner Tat des Vaterlandes Freiheit zu erringen! Einen Feldherrn träumte ich mich – einen siegesmutigen Ritter – und nun zwingt eine Unordnung in der Monturkammer den kleinen Leutnant, der sich vermaß, in die Weltgeschichte einzugreifen, in ein schülerhaftes Gefängnis!«

Er schlug ein lautes Hohnlachen auf.

»Aber bin ich denn gefangen?« sagte er dann, sich plötzlich besinnend. »Es ist ja nur der dienstliche Befehl, der mich hier fesselt – und morgen spotte ich des Befehls – entweder bin ich tot – oder stehe über jeder Strafe. Dort habe ich noch meinen Fähnrichssäbel – der Unterschied wird kaum bemerkt werden. Vorwärts – wo alles auf dem Spiele steht, darf kein Bedenken mich aufhalten!« Er nahm den alten Säbel aus einem Schrank und öffnete dann vorsichtig die Tür. Auf dem langen Gange schritt ein Posten mit gefälltem Bajonett auf und nieder.

Wisocki zog sich zurück.

»Unmöglich,« sagte er, »der Posten ist hier aufgestellt, wo sonst niemals einer steht und wird seinen Befehl haben. Jedes Aufsehen, jede Erörterung nun kann alles gefährden.

Aber dort – nach dem Hofe hin ist ein Ausweg möglich, der Sprung ist nicht hoch, der Hof ist heute leer, es muß gewagt werden!«

Er öffnete das Fenster und blickte hinaus.

Auf dem Hofe, unmittelbar unter dem Fenster schritt ein zweiter Posten auf und nieder.

Wisocki wankte zurück.

»Entsetzlich,« rief er; »entsetzlich! Das ist Absicht! Wäre es möglich – sollte ein Verräter unter uns sein? Es kann nicht anders sein – und doch waren die Freunde so sorgsam ausgewählt. O, mein Gott, du hast Polen verlassen, alles ist verloren!«

Er Zog seinen Dolch hervor und zückte die Spitze gegen sein Herz.

»Nein,« sagte er, sich besinnend, »das wäre feig – mein Leben gehört nicht mir, ich habe es dem Vaterlande geweiht, und wenn der Himmel meine Rittertat nicht annehmen will, so bin ich ihm noch den einfachen Soldaten schuldig! So lange ich atme, will ich den höchsten Preis, mit den zu ringen mir heute versagt wird, nicht verloren geben.«

Er warf den Dolch von sich, zog die Terzerole aus seiner Tasche und sank dann erschöpft und gebrochen aus das Kanapee nieder, kaum eines klaren Gedankens mehr fähig.

Auf dem Festplatz war inzwischen das Gedränge immer größer geworden. Es war in der Tat ein wirkliches Volksfest, bei welchem die höchste Aristokratie sich mit den Bürgern aller Klassen zwanglos vermischte.

Malgienski war mit Luitgarde gekommen und hielt sich fast ausschließlich zu den russischen Generalen, welche den Großfürsten begleitet hatten. Der Großfürst selbst zeichnete den Staatsrat durch eine besonders gnädige Begrüßung aus und fragte nach dessen Frau, welche er, als sie nun herantreten mußte, mit Liebenswürdigkeiten überhäufte, was zu mancherlei neidischem und hämischem Flüstern ringsum Veranlassung gab.

Die Gräfin Plater war mit dem Bankrat Hoffmann und dessen Frau gekommen. Fräulein Marie Roszonowicz war wie immer mit ihr. Sie wurde viel bemerkt wegen der Schönheit und vornehmen Eleganz ihrer Erscheinung, und viele Vermutungen wurden über die Gründe ausgesprochen, die sie zu einer fast vollständigen Zurückhaltung von der Welt, zu der sie durch ihre Geburt gehörte, bestimmen möchten. Sie achtete nicht auf die Aufmerksamkeit, deren Gegenstand sie war, ungeduldig und zitternd vor innerer Erregung ging sie in den Promenadenwegen hin und her, immer in der Nähe des Eingangs zum Festplatze sich haltend und mit brennenden Blicken alle Ankommenden musternd. Zalewski kam, er begrüßte die beiden jungen Damen und flüsterte ihnen zu: »Alles ist sicher geordnet – unsere Freunde sind bereit – auf das Zeichen, das Wisocki gibt, wird der Kaiser in unseren Händen sein.«

»Und Wisocki?« fragte die Gräfin – »er ist noch nicht hier.«

»Er muß jeden Augenblick kommen – die meisten Offiziere seines Regiments sind schon da – ebenso die Fähnriche, die zu uns gehören.«

»Gott helfe Polen!« sagte die Gräfin mit bebenden Lippen, indem sie ihre großen Augen flehend zum Himmel aufschlug.

Hochrufe erklangen von der Stadt her. Alles drängte dem Eingang zu und unter den schmetternden Fanfaren der in den Ecken des Festplatzes aufgestellten Musikchöre fuhr der Kaiser in einfachem, offenem Wagen heran. Er hatte keine Eskorte – nur zwei Adjutanten folgten ihm in einem zweiten Wagen.

Der tiefe Ernst, der auf seinen ehernen Zügen lag, erhellte sich durch ein freundliches Lächeln bei den Rufen der Menge, durch die er im Schritt dahin fuhr, und er winkte grüßend mit der Hand nach allen Seiten.

»Er hat Vertrauen und Mut,« sagte die Gräfin Plater, als der kaiserliche Wagen an ihr vorüber fuhr – »o, er ist ein Mann – ein König – warum ist er nicht ein Pole! Unter ihm würden wir die ganze Welt nicht zu fürchten haben. Wehe, wenn ein Unglück geschähe!«

»Dafür ist gesorgt, Gräfin,« versicherte Zalewski, »sein Leben ist heilig – alle Verschworenen sind darauf durch ihr Wort verpflichtet.«

»Und Wisocki?« fragte die Gräfin unruhig.

»Vielleicht ist er von einer anderen Seite gekommen – die Grenadiere werden ihn passieren lassen – doch lassen Sie uns in der Nähe bleiben.«

Sie folgten dem kaiserlichen Wagen, der vor dem Zelt hielt. Der Großfürst und alle Würdenträger sowie die vornehmsten Vertreter des großen Adels empfingen ihn hier. Der Stadthauptmann von Warschau kredenzte ihm in einem goldenen Pokal den Willkommenstrunk und dann hielt der Kaiser einen Cercle mit der ganzen majestätischen Würde und der hinreißenden Liebenswürdigkeit, die ihm eigentümlich waren. Dem Grafen Jaczkonowski drückte er die Hand und sagte lächelnd, aber mit unverkennbarer Bitterkeit: »Es scheint, mein lieber Graf, daß das polnische Volk doch mehr Vertrauen zu seinem Könige hat als die Herren im Reichstage, die mich fast wie einen Feind behandeln.«

»Eure Majestät müssen gnädigst Geduld haben,« erwiderte der Graf – »das polnische Blut wallt leicht auf.«

»Damit rechne ich,« sagte Nikolaus, »aber die Geduld eines Monarchen, dem Gott seine Krone gab, hat eine Grenze, und diese Grenze hütet das Schwert, das Gott auch in meine Hand legte. Mögen das die Herren bedenken. Von Ihnen und Ihren Freunden weiß ich, daß sie immer zum Guten raten – ich danke Ihnen dafür und werde das niemals vergessen!«

Er schüttelte noch einmal kräftig die Hand des Grafen, der ernst und gedankenvoll stehen blieb und verließ dann das Zelt, um einen Rundgang über den Festplatz zu machen; nur ein Adjutant und der Stadthauptmann begleiteten ihn, jede andere Begleitung hatte er zurückgewiesen.

Eine neugierige Menge folgte dem Kaiser ziemlich nahe. Unter derselben befand sich eine starke Anzahl junger Offiziere und Fähnriche, welche sich fast näher herandrängten, als es geziemend scheinen mochte. Nikolaus bemerkte dies wohl – aber der Blick, mit dem er die jungen Leute musterte, war freundlich und wohlwollend; es schien, daß er den Eifer derselben, sich seiner Person zu nähern, als einen Beweis von Bewunderung und Ergebenheit ansah, und besonders gnädig erwiderte er deren militärischen Gruß, zu welchem sie sich unter seinem Blick aufstellten. Sie folgten denn auch weiter dem langsam fortschreitenden Kaiser, der alle sich kreuzenden Wege durchschritt, an allen Plätzen stehen blieb, um sich die dort bereiteten Vergnügungen von dem Stadthauptmann erklären zu lassen, und vielfach auf seinem Wege stehende Personen leutselig anredete.

Auch die Gräfin Plater, von Zalewski geführt und von Fräulein Marie begleitet, folgte dem Rundgange des Kaisers und schloß sich den Offizieren und Fähnrichen, mit denen Zalewski Grüße und flüchtige Zeichen des Einverständnisses wechselte, unmittelbar an. »Ich will dabei sein,« sagte sie, »wenn die Entscheidung fällt, und die erste sein, die den jubelnden Siegesruf anstimmt. Aber wo ist Wisocki? Es ist unbegreiflich – er, so feurig und ungeduldig – läßt sich heute erwarten!«

»Er wird uns entgegenkommen,« erwiderte Zalewski – »und das ist vielleicht noch besser – das Losungswort wird noch deutlicher vernehmbar sein, und wir werden in einem Augenblick den Kaiser umringt haben.«

Nikolaus war zu einer Glücksbude herangetreten. Er befahl dem Adjutanten, alle vorhandenen Lose zu kaufen und sie unter die Nächststehenden zu verteilen. Auch die Offiziere erhielten mehrere der buntgedruckten Blättchen. Alles drängte an den Tisch mit dem Glücksrade heran. Der Kaiser stand seitwärts fast ganz allein.

»Jetzt,« flüsterte die Gräfin Plater Zalewski zu, »jetzt wäre der Augenblick – und Wisocki ist nicht da!« Sie trat heftig mit dem Fuß auf den Boden und preßte die Lippen aufeinander, während Tränen des Zorns ihre Augen füllten.

Nikolaus, dessen scharfer Blick überall umherschweifte, bemerkte dies und trat schnell heran.

»Ich bedaure,« sagte er zu Zalewski, der sich militärisch aufrichtete, »daß Ihre schöne Begleiterin kein Glückslos erhalten hat – aber sie soll mir nicht zürnen, ich werde dafür sorgen, daß sie nicht leer ausgeht.« Er winkte dem Adjutanten und befahl ihm, einen der verschiedenen Gegenstände herbei zu bringen, die in der Bude zum Verkauf standen.

»Ihr Name?« fragte der Kaiser, während der Adjutant den Befehl ausführte.

»Von Zalewski.«

»Und die Dame?«

Nach kurzem Zögern antwortete Zalewski:

»Gräfin Emilie Plater.«

Nikolaus stutzte. Ein scharfer, durchdringender Blick fiel auf das Gesicht der schönen jungen Dame, die errötend, mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stand. Einen Augenblick verdüsterten sich seine Züge, aber sogleich nahmen sie wieder ihren ruhig heiteren Ausdruck an und mit verbindlicher Artigkeit sagte er:

»Ein schöner und großer Name! Es freut mich, Gräfin, Sie kennen zu lernen und Sie hier auf diesem Fest zu sehen, durch welches das polnische Volk mir sein Vertrauen und seine Ergebenheit beweisen will.«

Der Adjutant brachte eine kleine Blumenvase von bemaltem Porzellan.

Nikolaus reichte dieselbe der Gräfin mit ritterlicher Galanterie.

»Möge Ihnen dies eine freundliche Erinnerung an diesen Tag sein,« sagte er; »die Blumen fehlen freilich, aber ich hoffe, der Leutnant von Zalewski wird sie hinzufügen.«

Er grüßte artig und setzte seinen Weg fort. Die Gewinner an der Glücksbude riefen ihm ein Hoch zu – die Fähnriche und Offiziere stimmten ein. Die Gräfin Plater stand wie betäubt; als der Hochruf erklang, fuhr sie wie aus einem Traum auf und rief: »Es lebe Polen!« Aber die innere Bewegung erstickte ihre Stimme und nur Zalewski, der unmittelbar neben ihr stand, konnte ihre Worte verstehen.

»Um Gottes willen, schweigen Sie!« flüsterte er ihr zu; »Sie verderben sich und erreichen nichts als eine große erfolglose Verwirrung – alle erwarten das Losungswort von Wisocki und die vielleicht auf Ihren Ruf zu handeln versuchen möchten, wären verloren.«

Sie waren fast allein stehen geblieben, da alles dem Kaiser folgte.

»Schändlich – schändlich!« sagte die Gräfin bitter; »hier war der Ort – eine solche Gelegenheit kommt nicht wieder – und wo ist Wisocki?«

»Es muß etwas Ungewöhnliches geschehen sein,« erwiderte Zalewski, »darum ist doppelte Vorsicht nötig.«

»Vorsicht und immer Vorsicht! Der Kaiser ist nicht vorsichtig, da er sich hier frei unter dem Volke bewegt – o Schmach, daß man wünschen muß, die Männer in Polen wären ihm gleich an Mut und Willen!« rief die Gräfin. »Lassen Sie uns umkehren – ich habe keine Lust, dem Triumphzug des stolzen Selbstherrschers zu folgen!«

Sie nahm den Arm ihrer Freundin Marie, welche während des ganzen Vorganges bescheiden seitwärts gestanden hatte, und ging schnell auf dem Wege, den sie gekommen waren, zurück. Zalewski folgte schweigend und nachdenklich.

In der Nähe des königlichen Zeltes begegneten sie dem Bankrat Hoffmann mit seiner Frau und dem Hauptmann von Tanzki.

»Ich begreife nicht,« sagte die Gräfin Plater heftig, »wo heute Herr von Wisocki bleibt – er wollte hier sein, und es ist nicht galant, uns vergeblich auf sich warten zu lassen.«

»Nun,« erwiderte Tanzki lächelnd, »ich muß wohl den armen Wisocki rechtfertigen, da ich seinen Mangel an Galanterie verschuldet habe, den er sonst sich nicht hätte vorwerfen lassen – am wenigsten gegen unsere schöne Freundin.«

»Sie sind schuld daran?« fragte die Gräfin erstaunt und vorwurfsvoll; »und wie das?«

»Ich habe ihm Arrest gegeben, Gräfin, weil er die Montierungskammer nicht in Ordnung gehalten.«

»Sie, Herr von Tanzki? Und aus solchem gleichgültigen Grunde – an dem heutigen Tage?«

»Kein Grund ist gleichgültig, Gräfin, wenn es die Erfüllung einer dienstlichen Pflicht gilt, und kein Tag kann die Vernachlässigung eines militärischen Befehls rechtfertigen.«

Die Gräfin wendete sich achselzuckend ab. »Sie sehen,« flüsterte sie Zalewski zu, »daß der Gamaschendienst zu etwas gut ist. Er hat heute dem stolzen Zaren die Freiheit gerettet! An wie lächerlich dünnen Fädchen hängt doch das Schicksal der Völker und wie töricht ist es, Pläne zu machen, deren Ausführung Männer verlangt, die es vermögen, solche Fäden zu zerreißen.«

Sie lachte höhnisch, nahm den Arm ihrer Freundin Marie und ging seitwärts von den übrigen auf und nieder.

»Es tut mir leid um Wisocki,« sagte Tanzki, »aber der Dienst darf keine Rücksicht kennen – könnte er es sehen, wie schmerzlich die Gräfin seine Abwesenheit empfindet, er würde vielleicht mit seinem Arrest ausgesöhnt werden.«

Der Kaiser hatte seinen Rundgang beendet und kam, immer in einiger Entfernung von den Fähnrichen und jungen Offizieren begleitet, zu dem Zelte zurück. Er nahm eine Schale Sorbet und sprach noch mit einigen der Anwesenden. »Das Volk würde mich verstehen und meiner väterlichen Sorge vertrauen,« sagte er mit einem freundlichen Lächeln, das wie ein warmer Sonnenstrahl sein marmorhartes Gesicht belebte, »aber leider gibt es noch immer Verblendete, welche Mißtrauen und Unfrieden säen, wie es früher schon so oft zum schweren Unglück des Volkes der Fall war. Ich will König von Polen sein – ich will dieses Volk, das für den Ehrgeiz und Unverstand seiner geborenen Führer so schwer hat büßen müssen und das nun die Vorsehung meiner Sorge anvertraut hat, zu Wohlstand und ruhigem Glück führen – und ich bin lange nachsichtig gewesen auch mit den Törichten und Verirrten, welche die Vergangenheit nicht vergessen wollen – aber, bei Gott, meine Geduld geht zu Ende, und ich werde die Verführer des Volkes in meiner Hand zerdrücken wie eine giftige Schlange.«

Sein Lächeln war verschwunden, seine Augen sprühten Blitze und er ballte die Faust um den Griff seines Säbels.

Die Umstehenden schlugen zitternd die Augen nieder vor diesem Zornesausbruch des gewaltigen Selbstherrschers, dessen Machtgebot vom starrenden Eis des Nordens bis zu den blühenden Küsten des schwarzen Meeres die Schicksale der Völker lenkte.

Nur Graf Jaczkonowski, der ganz in der Nähe des Kaisers stand, blickte frei auf und sagte mit dem warmen Ton inniger und fester Ueberzeugung:

»Wir alle wissen, daß Eure kaiserliche Majestät das polnische Volk mit aufrichtiger Liebe zu seinem Glück führen wollen und danken Ihnen dafür aus vollem Herzen. Verzeihen Eure Majestät daher, wenn die Wünsche des Volkes auch da laut werden, wo sie mit den Maßregeln Allerhöchstihrer Regierung nicht übereinstimmen, und wenn das Volk sich sehnt, seine litauischen Brüder nicht von dem gemeinsamen Vaterland losgelöst zu sehen.«

Die Augenbrauen des Kaisers zogen sich zusammen, seine Lippen preßten sich aufeinander, aber sogleich klärte sich seine Miene wieder auf, mit freundlichem Wohlwollen wendete er sich zum Grafen und erwiderte:

»Sie und Ihre Freunde, mein lieber Graf, das weiß ich wohl, wollen Frieden und Ordnung, Sie verstehen mich wohl und vertrauen mir – und Vertrauen findet immer wieder Vertrauen, bei mir vor allen, da ich den Herrscherberuf als die heiligste Pflicht eines Vaters gegen seine Kinder betrachte. Aber was ich hier in Ihrem Reichstag gehört, das ist nicht der Ausdruck des Vertrauens, das ist Trotz, der die Saat des Unfriedens ausstreut zwischen mir und meinem Volk – und den Trotz zu brechen, das ist meine Herrscherpflicht und dazu gab Gott das Schwert in meine Hand. Der trotzige Widerstand wird niemals bei mir etwas erreichen. Wenn alle mit mir sprächen wie Sie und alle dächten wie Sie, so würde mancher Wunsch auch bei mir leichter Verständnis und Erfüllung finden. Gott erhalte Sie lange Ihrem Vaterlande!«

Er drückte dem Grafen die Hand, sprach dann noch einige eilige Worte mit den nächststehenden Damen und stieg dann in seinen Wagen, um, begleitet von den brausenden Hochrufen der Menge, nach der Stadt zurückzukehren.

*

Wisocki harrte bald in dumpfem Brüten, bald in leidenschaftlich wieder aufloderndem Grimm auf irgendeine Kunde von dem Feste, dem er auf eine so fast lächerliche und jeder Vorherberechnung sich entziehende Weise ferngehalten wurde. Von Zeit zu Zeit öffnete er seine Tür oder blickte zum Fenster hinaus – immer aber stand der eine Posten auf dem Korridor, immer ging der andere im Hof auf und nieder. Er hoffte, daß seine Abwesenheit keinen Einfluß auf den Gang der Dinge geübt habe und daß die Losung von einem andern an seiner Stelle gegeben sein werde, aber vergebens horchte er nach irgendwelcher Bewegung auf den stillen Straßen – wie sie das Gelingen des Planes hätte hervorrufen müssen. Alles blieb still und nur weit vom Festplatze herüber schallten die Hochrufe, welche ihm bewiesen, daß dort nichts geschehen sei, was den Verlauf des Festes hätte stören können.

Endlich kam Zalewski. »Ich weiß alles,« sagte er ruhig, als Wisocki ihm sein Schicksal erzählen wollte; »der Hauptmann von Tanzki hat uns erzählt, daß eine Unordnung in der Montierungskammer den allmächtigen Zaren gerettet hat – er hätte den Andreasorden dafür verdient, wenn man wüßte, wie der einfache Arrest eines einfachen Leutnants hier in die Weltgeschichte eingegriffen hat.«

»Du spottest,« rief Wisocki, »und ich bin vergangen vor Wut und Verzweiflung! Hältst Du Tanzki für einen Verräter, hätte er gewußt, was im Werke war?«

»Er hat nichts gewußt! Unsere Leute sind alle verschwiegen, eines jeden Kopf hing ja von dem Geheimnis ab, und Tanzkis Patriotismus ist über jeden Zweifel erhaben. Es ist dies eben ein Spiel des Zufalls gewesen und vielleicht stand der Zufall hier im Dienst der Vorsehung. Es wäre ein großes Unglück gewesen, wenn der Versuch mißlang – und fast glaube ich, er wäre mißlungen. Das Volk war entzückt von des Kaisers Liebenswürdigkeit – es hätte sich wohl auf seine Seite gestellt, und ich bin zufrieden, daß uns die Verantwortung für eine Tat abgenommen ist, welche die Geschichte vielleicht schwer verurteilt haben würde?«

»Und sie?« fragte Wisocki düster; »sie zählte so fest auf das Gelingen – was hat sie gesagt?«

Zalewski zuckte die Achseln. »Sie muß begreifen,« sagte er ruhig, »daß es Notwendigkeiten gibt, denen kein menschlicher Wille widerstehen kann! Doch jetzt laß uns vergessen, was nicht hat sein sollen, mache einen Punsch, Du bist mir wohl eine gute Bewirtung schuldig dafür, daß ich Dir in Deinem Arrest Gesellschaft leiste.«

Der nächste Morgen brachte Wisocki die Aufhebung seines Arrests. Herr von Tanzki kam selbst, sagte ihm einige freundliche kameradschaftliche Worte und fügte lächelnd wie einen Trost die Versicherung hinzu, daß die Gräfin Plater sehr verstimmt über seine Abwesenheit gewesen sei. Wisocki war über dieses Trostwort mehr erschrocken als erfreut und eilte, als die gewohnte Abendstunde herankam, bangen Herzens nach dem Hause des Bankrats.

Die Freunde des Hauses waren versammelt, und obgleich die Politik hier verpönt war, sprach man doch lebhaft von dem Feste und dem Kaiser, dessen freies, vertrauensvolles Erscheinen unter dem Volk und dessen die Herzen gewinnende Leutseligkeit alle anerkannten, wenn sie auch nur berechnete Klugheit als Grund für sein Benehmen annehmen wollten.

Die Gräfin Plater hatte Wisockis Gruß mit eisiger Kälte erwidert und schien ihn wie einen ganz Fremden zu betrachten.

Endlich wurde ein Platz neben ihr frei und schnell setzte sich Wisocki an ihre Seite.

»Ich habe unendlich schmerzlich bedauert, Gräfin,« sagte er in tiefer Bewegung, »daß ich verhindert wurde, gestern, wie ich versprochen, auf dem Volksfest zu erscheinen.«

»Verhindert?« fragte die Gräfin, wie aus träumenden Gedanken bei seiner Anrede auffahrend; »doch ja – ich erinnere mich – ein Zimmerarrest hielt Sie zurück –« sagte sie dann höhnisch; »der Strohhalm, der den Weg zur Freiheit unüberwindlich verschließt.«

»Es war nicht allein der Strohhalm,« erwiderte Wisocki, »vor meiner Tür und meinem Fenster standen Posten – es war unmöglich, an ihnen vorbei zu kommen.«

Die Gräfin schlug jetzt erst die Augen zu ihm auf und sah ihn mit kaltem Blick an.

»Ich erinnere mich,« sagte sie, »von Männern gelesen zu haben, welche nicht an einzelnen Posten vorüber, sondern durch Scharen von Feinden sich den Weg zum Ruhme bahnten, ihre Namen nennt die Geschichte; diejenigen aber, welche vor den Hindernissen stehen bleiben, verfallen der Vergessenheit.«

»Gräfin!« rief Wisocki erbleichend.

Sie ließ ihn nicht ausreden, stand auf und nahm von einer Konsole die kleine Blumenvase, welche ihr der Kaiser gegeben. »Ich muß Ihnen doch zeigen,« sagte sie, »was mir der gestrige Tag gebracht, während Sie über die Reglements der Montierungskammern nachdachten.«

Wisocki blickte die kleine Vase verwundert an.

»Dies«, fuhr die Gräfin fort, »hat mir der Kaiser Nikolaus gegeben – und ich bewahre sein Geschenk«, sagte sie leiser, »zur Erinnerung daran, daß unser Feind ein Mann ist, der die Furcht nicht kennt.«

»Die Furcht, Gräfin?« rief Wisocki. »O, das ist zu viel! Doch ich will und kann darauf nicht antworten. Es gibt nur eine Antwort, das ist die Tat, wenn die Gelegenheit kommt – und kommt sie nicht – nun, so vergessen Sie den Feigling, der um Ihre Liebe warb und für sein Leben zitterte!«

Die Gräfin erschrak vor dem Ton seiner Stimme; einen Augenblick schien es, als ob ein sanftes versöhnendes Wort auf ihren Lippen schwebte – aber schon hatte er sich von ihr abgewendet und sie stellte ruhig und gleichgültig die kleine Vase wieder auf die Konsole.

»Nun, wie stehst Du mit der Gräfin?« fragte Zalewski, als er mit seinem Freunde das Haus des Bankrats verließ.

»Gut –« erwiderte Wisocki bitter, »so gut als zwei ganz gleichgültige Menschen mit einander stehen können.«

»Gleichgültig?« fragte Zalewski erstaunt – »ich begreife nicht –«

»Du wirst vielleicht künftig begreifen – doch jetzt bitte ich Dich, frage nicht, heute nicht und niemals, bis ich Dir selbst von dem spreche, was vielleicht für immer ein flüchtig verwehter Traum bleibt.«

Schnell wendete er sich ab und nahm mit kurzem Gruß den Weg zu seiner Kaserne.


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