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Die letzte große Parade vor dem Kaiser war beendet und die ganze vornehme Gesellschaft von Warschau vereinigte sich zu einem Abschiedsfest, das der Großfürst im Schlosse von Belvedere veranstaltet hatte.
Während die Equipagen durch die Straßen rollten, zogen die Truppen, welche in der Parade gestanden hatten, von dem großen Exerzierplatz nach ihren Kasernen zurück.
Der Kaiser war zufrieden gewesen, hatte Avancements und Ordensverleihungen proklamiert, auch den Mannschaften Geschenke zu einem vergnügten Abend überwiesen, und überall herrschte eine heitere und gehobene Stimmung.
Auch die Fähnriche waren nach der Kaserne, in welcher sich ihre Schule befand, zurückgekehrt, und auch unter diesen jungen Leuten herrschte große Zufriedenheit, eine Anzahl von ihnen war vor der Beendigung des Kursus zu Offizieren ernannt und hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich ihre neuen Uniformen zu verschaffen, um sich in denselben noch am Abend auf den zu Ehren des Kaisers illuminierten Straßen zu zeigen. Aber auch die anderen, welchen die Auszeichnung nicht geworden, teilten die Freude über dieselbe, denn durch den Abgang ihrer Vordermänner waren ja auch sie dem ersehnten Ziel um so viel näher gerückt. Ein Bankett war für den Abend schnell beschlossen, die Offiziere hatten ihre Teilnahme zugesagt und auch einige Generale hatten versprochen, noch nach dem Fest im Schloß Belvedere, das wegen der am nächsten Morgen bevorstehenden Abreise des Kaisers früh beendet werden sollte, unter den jungen Leuten, welche die Zukunft der polnischen Armee repräsentierten, zu erscheinen.
Ueberall in dem ganzen großen Gebäude herrschte rege Bewegung, in dem Speisesaal wurden die Tafeln gedeckt und die Büfette mit lockenden Flaschen aller Art besetzt, auch Blumen zur Dekoration herbeigeschafft, während in den Wohnzimmern der jungen Leute laute Gespräche geführt wurden über die verschiedenen Avancements und die Bedeutung derselben für die Hoffnungen der jüngeren Generation.
In einem dieser Wohnzimmer, das in vorschriftsmäßiger Weise mit zwei Betten, einem ledernen Kanapee, zwei Schränken, zwei Tischen und einigen Stühlen möbliert war, befanden sich die bisherigen Fähnriche Peter Wisocki und Xaver Zalewski, welche beide zu Offizieren ernannt waren, Wisocki bei der Artillerie und Zalewski bei den Ulanen.
Beide hatten den gemeinschaftlichen Diener ausgeschickt, um ihnen um jeden Preis passende Uniformstücke ihrer neuen Würde zu schaffen. Beide aber schienen das freudige Ereignis in sehr verschiedener Weise aufzufassen. Wisocki, ein außerordentlich kräftig gewachsener, junger Mensch von 21 Jahren, mit einem blühenden, jugendfrischen Gesicht, das mit seinen schwarzgelockten Haaren, seinen dunklen, in leidenschaftlich feuriger Glut funkelnden Augen, der kühn geschwungenen Nase und dem kleinen Bärtchen über der vollen Oberlippe an die alten Bilder aus der Zeit der Jagellonen erinnerte, war beschäftigt, sich durch eine sorgfältige Toilette von dem Staube des Exerzierplatzes zu befreien, während Zalewski, blond und blauäugig, schlank und hoch aufgewachsen, in einen weiten Schlafrock gehüllt, auf dem Kanapee lag und behaglich eine Zigarette rauchte, deren kräftiger Duft sich mit den Aromen der Parfüme und Pomaden vermischte, welche Wisocki zu seiner Toilette brauchte.
»Ich begreife Dich nicht, Xaver,« sagte dieser zu seinem Kameraden hinüberblickend; »wie kannst Du nur so ruhig und gleichgültig sein in dieser Stunde, die uns in das wirkliche, pulsierende Leben hinausführt aus dem Zwange der Schule! – Mir schwellt sich jede Ader bei dem Gedanken, nun erst wirklich Mensch geworden zu sein, den Offizieren bis zum General hinauf in der Gesellschaft gleich zu stehen und die Freiheit erlangt zu haben, die uns die Flügel gibt für den Aufschwung zu den höchsten Zielen.«
»Nun,« sagte Zalewski ruhig, »die Freiheit des Leutnants ist auch nicht weit her, dem Hauptmann und dem Major gegenüber haben wir auch nur den stummen Gehorsam.«
»Gehorsam muß überall sein in der Welt,« erwiderte Wisocki, mit weichem Wachs die Spitze seines kleinen Bärtchens hinaufdrehend, »und bei dem Soldaten vor allem, der im Gehorsam das Befehlen erlernen soll, aber mit den Epauletten haben wir die Freiheit gewonnen, unsere Ehre mit dem Degen in der Hand zu verteidigen gegen jedermann. Das ist die Hauptsache für den Mann; den Gehorsam schulden wir dem Vaterlande, für unsere Ehre, für unsere Stellung in der Gesellschaft aber haben wir die Freiheit gewonnen.«
»Nun,« sagte Zalewski, eine neue Zigarette anzündend, »ich freue mich auch darüber, aber auf meine Weise. – Mir tut es unendlich wohl, mich hier in meinem Schlafrock behaglich ausstrecken zu können, während ich sonst dieses für den Fähnrich verpönte Kleidungsstück entbehren mußte, bis der Offizier du jour seinen Rundgang gemacht hatte. Großes Vergnügen wird es mir auch machen, ausgehen zu können, wann ich will, und nach Hause zu kommen, wenn es mir gefällt, ohne erst Urlaub zu erbitten, der von der guten Laune des Vorgesetzten abhängt. – Vielleicht würde ich mich auch noch mehr freuen, wenn mir als Offizier eine große Aufgabe entgegenwinkte, wie sie den Soldaten begeistern kann, aber davon ist nicht die Rede, Gamaschendienst und immer wieder Gamaschendienst, das ist es, was uns bevorsteht, die Leute zu drillen, daß sie auf dem Paradefeld in richtiger Linie vor Seiner kaiserlichen Hoheit vorbeikommen und wenn diese Linie sich verschiebt oder wenn ein Knopf nicht blank geputzt ist, eines Wutausbruches des Großfürsten gewärtig zu sein, das scheint mir auch keine besonders lockende Freiheit zu sein. – Ja, gälte es, im wilden Ritt gegen den Feind zu stürmen, um einer großen heiligen Sache den Sieg zu gewinnen, dann könnte mich wohl auch der Beruf des Soldaten begeistern, dann aber würde es wohl nicht auf den blanken Knopf und auf die nach der Schnur gezogene gerade Linie ankommen und dann würden wir auch wohl Seine kaiserliche Hoheit nicht an unserer Spitze sehen. Davon aber ist ja keine Rede, einen Krieg, einen frischen, fröhlichen Krieg gibt es nicht mehr und«, sagte er etwas leiser, »der Feind, gegen den ich mit begeistertem Herzen den Säbel schwingen möchte, der trägt uns jetzt die Fahne voran, und wenn er uns zum Kriege führen sollte, so würde es wohl gegen die Tscherkessen sein, die ein freies Volk sind, wie wir es einst waren, und ihre Freiheit verteidigen, wie wir es vergeblich versucht haben.«
»Das darf nicht sein,« rief Wisocki, »die Verfassung verbietet das – der König von Polen darf die polnische Armee nicht aus dem Königreich hinausführen, wenn es nicht die Ehre und Sicherheit Polens selbst verlangt.«
»Der König von Polen, mein lieber Freund,« sagte Zalewski, »ist zugleich Kaiser von Rußland und sein Stellvertreter ist ein russischer Großfürst, der sich, wie ich glauben möchte, recht herzlich wenig um die Verfassung kümmert, wenn es einmal darauf ankommt, sie als ein unbequemes Rokokomöbel verschwinden zu lassen. Eine allzu große Freude kann ich daher nicht über die Offizieruniform unserer Armee haben, welche mir kaum die Hoffnung gibt, einmal in meinem Leben für eine Sache den Degen zu ziehen, der mein Herz gehört. Vielleicht täte ich besser, auf meinem Gute meinen Kohl zu bauen, und das wird auch wohl noch das Ende sein, denn ein Kosciuszko dürfte kaum zum zweitenmal aufstehen, und auch ein Napoleon wird nicht wiederkommen, unter dem wir, wenn auch vergeblich, so doch wenigstens gegen den einzigen Feind kämpfen konnten, den wir haben.«
»Du siehst zu schwarz,« sagte Wisocki, sein Haar frisierend, »Du weißt, daß auch mein Herz für unser Vaterland schlägt, und daß ich bei Gott lieber unter einem Sobieski diente, als unter dem Enkel jener Katharina, die unsere Freiheit mordete; aber der Kaiser will ja König von Polen sein, er will uns nicht zu Sklaven Rußlands machen, und es sind wahrlich keine schlechten Patrioten, die dem Versöhnungswerke dienen.«
»Er will!« sagte Zalewski achselzuckend. »Wer kann wissen, was dieser Nikolaus, dessen Gesicht einer ehernen Maske gleicht, in seinem Herzen wollen mag. Nun, es ist ein sehr bequemer Patriotismus, der sich in das Unvermeidliche fügt und die vergoldeten Stäbe des Käfigs, in dem der weiße Adler gefangen sitzt, mit Friedenspalmen schmückt. Zum freien Himmel wird der königliche Vogel aus diesem Käfig nicht aufsteigen. Du freilich siehst alles rosig an, ich begreife das und will Dir Deine Freude nicht stören, denn Du bist verliebt, und die Verliebten sehen in der Welt immer den blauen Himmel und den goldenen Sonnenschein.«
»Verliebt,« sagte Wisocki, indem er sein gerötetes Gesicht abwendete, »wie kommst Du darauf?«
Zalewski lachte.
»Die Verliebten gleichen dem Vogel Strauß, wenn sie den Kopf in den Busch stecken, so glauben sie, daß man sie nicht sieht. – Meinst Du, ich hätte es nicht längst gemerkt, daß Du jeden freien Abend in dem Hause des Bankrats Hoffmann zubringst und jedesmal wie ein Träumer von dort zurückkommst? – Meinst Du, ich hätte es nicht bemerkt, daß Du so wenig von der schönen Gräfin Plater sprichst, die bei der Frau Hoffmann zum Besuch ist, während Du mir von allen anderen Personen erzählst, die Du dort gesehen? – Meinst Du, ich wüßte es nicht ganz genau, daß Du Dich so eifrig schön machst, um Dich der Dame Deines Herzens in den neuen Epauletten zu zeigen? – Ich bin nicht verliebt, darum bin ich auch nicht blind und sehe alles. Uebrigens hast Du einen guten Geschmack, schön ist sie, die echte Polin, wie wir sie auf den Bildern unserer Urgroßmütter sehen, und ich wünsche Dir von Herzen, daß Deine Liebe glücklich sein möchte, wenn ich auch ganz zufrieden damit bin, daß mir bis jetzt diese sinnbetörende Verirrung fern blieb.«
Wisocki saß einen Augenblick in schweigendem Nachdenken, dann sprang er auf, drückte seinem Kameraden die Hand und sagte:
»Ja, Xaver, Du hast recht, ich bin verliebt. Verliebt ist freilich das rechte Wort nicht – ich liebe von ganzer Seele; bei Gott, ich würde sterben, wenn diese Liebe aus meinem Herzen gerissen werden sollte, und tief gedemütigt hat es mich, wenn ich vor ihr immer als Fähnrich dastand, als ein unfertiger Mensch, dem die männliche Freiheit fehlte und der vor jedem Leutnant zurücktreten mußte. Nicht aus Eitelkeit freue ich mich darauf, mich in der Uniform zu zeigen, aber es ist doch ein ganz anderes Gefühl, wenn man derjenigen, die man liebt, als ein ganzer Mann entgegentreten kann.«
»Und sie,« fragte Zalewski, »bist Du ihrer Liebe gewiß oder ist es nur eine Schwärmerei, wie sie die Pagen und die Fähnriche empfinden, um dann schnell die Vergänglichkeit der sogenannten Liebesewigkeit kennen zu lernen?«
Wisockis Miene wurde ernst und traurig.
»Ich weiß es nicht, Xaver,« sagte er, »sie will mir wohl, sie ist freundlich und herzlich zu mir, aber ob sie mich liebt oder lieben kann, das habe ich nicht aus ihren Blicken herauslesen können. – Zuweilen habe ich's geglaubt und dann wieder haben mich die Zweifel gequält.«
»Vielleicht, weil Du zu blöde und schüchtern bist – Du hast nicht gefragt?«
»Ich hatte kaum Gelegenheit dazu und wie hätte ich's wagen sollen? Ein Fähnrich, den die Welt nicht für voll ansieht – und sie, die vollendete Dame? Und dann auch schreckt mich die Kluft, die uns trennt; sie gehört einem der ersten Grafengeschlechter des Landes an und ich bin nur ein kleiner Edelmann und mein Vermögen reicht wohl für bescheidene Bedürfnisse aus, aber kaum für die Stellung, die sie beanspruchen kann.«
»Du bist von gutem Hause«, sagte Zalewski, »und ihr ebenbürtig, und wenn sie Dich liebt, wird ihr das gleichgültig sein; sie ist ja eine Freundin der Clementine Tanzka, die dem einfachen Schriftsteller Hoffmann ihre Hand gereicht hat, auch ehe er noch zum Rat bei der Bank erhoben wurde; aber ob sie Dich liebt, das ist die Hauptfrage, auf die Du eine Antwort erlangen mußt. – Wenn es mir einmal passierte, daß ich verliebt wäre – das lange Schmachten und Seufzen würde mein Fall nicht sein. Entweder oder – ich würde eine unglückliche Liebe nicht lange mit mir herumtragen.«
»Du hast recht,« sagte Wisocki, »aber schwerer wird's mir doch bei Gott werden, das Wort zu sprechen, und so leicht vergessen würde ich meine Liebe nicht – o, ich mag nicht daran denken, daß ich sie nicht mehr sehen sollte und daß gar ein anderer sie gewinnen könnte! Auch habe ich sie kaum jemals einen Augenblick allein sprechen können.«
»Nun, das ist Deine Sache, ich kann Dir keinen Rat geben, ich habe keine Erfahrung auf diesem Gebiet – doch da ist unser Woiczek – nun wie ist's, sind die Uniformen da?«
»Zu Befehl,« sagte der Diener, der eben mit einem großen Korbe in das Zimmer getreten war, »alles ist da, was die gnädigen Herren brauchen, der Schneider hat ja das Maß und hat gleich passende Sachen herausgefunden.«
Er öffnete den Deckel des Korbes und packte die Uniformen mit den glänzenden Epauletten aus.
Wisocki, der seine persönliche Toilette beendet hatte, zog schnell die Artillerieuniform an, schnallte den Säbel um und drückte den Tschako auf den Kopf, dann blickte er, während er die Handschuhe anzog, in den kleinen Spiegel, und sein Lächeln bewies, daß er mit dem Anblick seines Bildes zufrieden war.
»Lebe wohl,« sagte er, Zalewski die Hand reichend, »ich werde so zeitig zurückkommen, um noch an unserem Bankett teil zu nehmen – beim Beginn wird man mich wohl nicht vermissen.«
»Und ich«, sagte Zalewski, langsam aufstehend, »werde mir das Vergnügen machen, ein wenig durch die Straßen zu gehen, um mir von den Schildwachen die Honneurs machen zu lassen, und werde Dir dann einen Platz reservieren.«
Wisocki eilte davon.
Auf der Treppe begegnete er einigen Ordonnanzen, welche Blumenkörbe zur Ausschmückung des Saales trugen und ihre Last niedersetzten, um vor der Offizieruniform ihre Honneurs zu machen.
Dann bückte er sich zu einem der Körbe nieder, nahm einige besonders schöne Rosen und setzte schnell seinen Weg fort.
Er beachtete es kaum, daß die Schildwachen, an denen er vorüberschritt, die Gewehre anzogen. Immer schneller eilte er weiter bis zu einem Hause in der Nähe der Bank.
Er zog die Glocke und der Diener im einfachen grauen Anzug, der ihn als einen Freund des Hauses kannte, öffnete ihm sogleich die Tür des Empfangssalons, indem er sich vor der neuen Uniform, die er staunend betrachtete, tiefer als sonst verneigte.
Wisocki trat in den mit einfacher Behaglichkeit möblierten Raum, der bei der beginnenden Dunkelheit durch eine hohe Sineumbralampe und zwei an dem Klavier brennende Kerzen hell erleuchtet war.
Betroffen blieb er auf der Schwelle stehen.
Es war noch keine Gesellschaft da.
Am Klavier saß eine Dame allein und spielte bald mit leichtem, flüchtigem Anschlag, bald in volleren Tönen eine Phantasie, die der Ausdruck ihrer träumenden Gedanken sein mochte, zuweilen ohne Uebergang von einer Melodie zur andern überspringend.
Sie hatte das Geräusch der geöffneten Tür nicht gehört und spielte ruhig weiter. Obgleich sie von dem Eintretenden abgewendet war, so erkannte Wisocki doch sogleich an der schlanken, in schwarze Seide gekleideten Gestalt und den reichen Flechten des dunklen Haares die Gräfin Emilie Plater.
Zalewskis Worte fielen ihm ein. Die Gelegenheit war da und doch fühlte er sein Herz von einer Bangigkeit zusammengeschnürt, als ob ihm ein großes Unglück widerfahren sei.
Schon wollte er sich leise wieder zurückziehen.
Sein Säbel klirrte auf dem Boden.
Die Gräfin erhob sich und wendete ihm ihr feines, edel geschnittenes Gesicht mit den großen, dunklen Augen zu.
Mit einem anmutigen Lächeln, in welchem der Ausdruck einer sanften Melancholie lag, trat sie ihm entgegen und sagte, ihm die Hand reichend:
»Ah, Sie sind da, Herr von Wisocki? Meine Freunde sind ausgegangen und von unsrer Gesellschaft ist noch niemand hier – Sie müssen sich schon mit meiner Unterhaltung begnügen.«
»Ich bin glücklich, Gräfin,« sagte Wisocki mit unsicherer Stimme, indem er vor ihrem Blick die Augen niederschlug, »daß ich Sie hier finde, da kann ich Ihnen sogleich diese Blumen geben, die ich für Sie mitgebracht; ich weiß, daß Sie die Rosen besonders lieben, und fand diese hier so schön, daß ich hoffte, sie würden Ihnen Freude machen.«
Die Gräfin blickte mit einer gewissen wehmütigen Teilnahme in sein frisches Gesicht, nahm die Rosen aus seiner Hand und sagte:
»Wie schön! – Ich danke Ihnen – eine Rose aus Freundes Hand muß ja wohl Glück bringen! Doch,« fuhr sie fort, »Sie tragen die Uniform der Artillerie, haben Sie die Waffe gewechselt?«
»Die Waffe gewechselt?« fragte er mit freudig aufblitzenden Augen. »Ich hatte ja bis jetzt keine Waffe, ich war nur ein Schüler in der Führung derselben, jetzt bin ich Offizier und habe die freie Bahn vor mir, meiner Waffe Ehre zu machen.«
»Ei, ich gratuliere!« sagte die Gräfin. »Doch, wie ist das so schnell gekommen?«
»Der Kaiser«, erwiderte Wisocki, »hat in der Zufriedenheit mit unseren Uebungen eine Anzahl von uns vor der Zeit befördert.«
Die Gräfin sah ihn traurig an.
»Es mag wohl eine große Freude sein,« sagte sie seufzend, »zum ersten Male die Epauletten zu tragen, aber doch tut es mir weh, wenn ich einen Polen in der Uniform des Kaisers von Rußland sehe!«
»Des Kaisers von Rußland?« fragte Wisocki betroffen; »ich bin Offizier der polnischen Armee und mein Oberherr ist der König von Polen.«
»Der König von Polen!« sagte die Gräfin mit bitterem Lächeln. »Und dieser König von Polen heißt Nikolaus Paulowitsch und sein Machtwort zwingt die Völker von den Grenzen Asiens bis zur Weichsel zu stummem, willenlosen Gehorsam! Glauben Sie, daß der Wille des unumschränkten Selbstherrschers über eine halbe Welt vor den zerbröckelten Rechten des polnischen Volkes zurückweichen wird, die heute schon zur leeren Form geworden sind? Ich kann mich der polnischen Uniform nicht mehr freuen, an die sich so große Erinnerungen knüpfen und die bald wohl auch verschwinden wird, wie die Helden verschwunden sind, die sie einst trugen.«
»O, Gräfin,« rief Wisocki feurig, »jene Helden sind für alle Zeiten das Beispiel für uns alle, und wenn ihnen der Sieg versagt war, so leuchteten ihre Taten nicht minder der Nachwelt! Wir können ja nicht dafür, daß wir nicht für die Zeiten der Großtaten geboren sind. O,« fuhr er mit fast kindlicher Bitte fort, »nehmen Sie mir nicht meine Freude von der endlich errungenen männlichen Selbständigkeit, ich kam so glücklich hierher und Ihre Teilnahme an meinem Glück war meine schönste Hoffnung!«
Er hatte die letzten Worte zögernd, mit zitternder Stimme gesprochen.
Die Gräfin sah ihn fragend an.
»Meine Teilnahme,« fragte sie, »warum das? – Soweit es mir möglich ist, gehört sie Ihnen – ich wünsche Ihnen Glück, wenn ich auch nicht den Glauben habe, daß ein Pole das Glück finden kann in dem Dienst des russischen Kaisers.«
»Das mag traurig sein,« sagte Wisocki, »daß wir unsere Waffen nicht mehr für einen Sobieski führen können, und auch ich empfinde diese Traurigkeit, aber«, fuhr er zögernd und errötend fort, »das war es nicht, das nicht allein, was mich hierher zog. Ich suchte ein anderes Glück, das mir als das herrlichste Lebensziel entgegenstrahlte und zu dem die heute erlangte Befreiung aus der schülerhaften Dienstbarkeit mir den Weg öffnen sollte, ein Glück, Gräfin, das ich kaum zu hoffen wagte, aber für das ich dennoch jeden Tropfen meines Blutes einzusetzen bereit bin.«
»Ich verstehe Sie nicht« erwiderte die Gräfin kalt, indem es seltsam um ihre Lippen zuckte.
»Das ist traurig, sehr traurig,« sagte Wisocki erbleichend, »wenn Sie mich nicht verstehen, dann ist für mich kein Glück zu hoffen und doch kann ich es nicht aufgeben, ohne meinem Leben seinen höchsten Reiz und seinen edelsten Wert zu nehmen. O,« bat er, die Hände faltend, »es kommt vielleicht lange eine Stunde wie diese nicht wieder. Mein Herz ist voll zum Zerspringen, und Sie dürfen mir nicht zürnen, wenn ich ohnmächtig bin, mein flammendes Gefühl zu beherrschen, Sie müssen mir erlauben, Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebte vom ersten Augenblick, da ich sie sah – Sie liebte – das Wort klingt so kalt und leer und wird oft mißbraucht für jede laue und matte Empfindung – Ihnen zu sagen, daß Sie das höchste Heiligtum meiner Seele sind, zu dem ich anbetend aufblicke wie zu einem wundertätigen Altar alles Reinen, Schönen und Erhabenen, das vom Himmel auf die Erde herabsteigt und uns aus dem irdischen Staube wieder zum Himmel zurückführt. Ihnen gelobe ich mein Leben, Gräfin, o, nehmen Sie es an, ein treueres und wärmeres Herz können Sie nicht finden! – Heute bin ich zum Mann geworden – geben Sie mir an diesem Tage die Hoffnung, das Herrlichste erringen zu dürfen, das dem Mann die Weihe gibt, um den Helden der großen Vorzeit würdig nachzustreben.«
Er nahm die Hand der Gräfin und sah ihr mit einem bittenden Blick in die Augen, aus dem die Innigkeit und Wahrheit seines Gefühls hervorstrahlte.
Sie zog ihre Hand nicht zurück.
Eine warme, herzliche Teilnahme lag in ihrem Blick.
»Ich könnte Ihnen sagen, mein Freund,« erwiderte sie, »daß Sie ein törichtes Kind sind, ich bin älter als Sie, und man sagt vielleicht mit Recht, daß zehn Jahre erst das Alter einer Frau und eines Mannes ausgleichen.«
»O,« rief er, »ein junges Herz liebt wärmer und treuer, weil es noch nicht den Glauben an das Ideal verloren hat.«
»Ich könnte das sagen,« unterbrach ihn die Gräfin, »doch ich sage es nicht, denn auch ich glaube an das Ideal, ich glaube an die Unvergänglichkeit einer edlen und wahren Liebe, und ich will auch Ihnen glauben, daß solche Liebe zu mir in Ihrem Herzen lebt.«
»O, dann darf ich hoffen?« rief er, entzückt ihre Hand küssend.
Sie schüttelte ernst den Kopf.
»Nein, mein Freund,« sagte sie, »nicht in dem Sinn, wie Sie es meinen, kann ich Ihnen Hoffnung geben, ich liebe Sie nicht und kann Ihnen keine Liebe versprechen, denn mein Herz ist nicht frei.«
»Nicht frei?« rief er entsetzt, mit totenbleichem Gesicht sie anstarrend. – »O Gräfin, das ist das Todesurteil meiner Jugend; es ist unmöglich, zu denken, daß ein anderer mir zuvorgekommen, ein anderer, den ich hassen möchte und doch nicht hassen kann und darf, denn jeder muß Sie ja lieben, und viele wohl mögen würdiger sein als ich. Dann leben Sie wohl auf ewig, vergessen kann ich Sie nie, aber ich vermag auch niemals Sie wiederzusehen.«
Er wendete sich gesenkten Hauptes ab.
Sie legte die Hand auf seinen Arm und sagte:
»Nicht so, mein Freund, ist es gemeint. Mein Herz ist nicht frei, weil es ganz erfüllt ist von einem einzigen Gefühl, dem alle seine Schläge gehören und neben dem kein anderes Platz finden kann. Dieses eine Gefühl ist die Liebe zum Vaterlande, zu unserem armen, gedemütigten und geknechteten Vaterlande, das in fremden Ketten schmachtet, trauernd über das ungesühnte Blut seiner Heldensöhne, die für seine Ehre und seine Freiheit gefallen sind. Keine Polin kann einem Mann ganz und voll ihre Liebe weihen, wie es sein müßte zu einem Bunde für das Leben, so lange jenes edle Blut um Rache schreit, so lange unsere heilige Erde entweiht wird durch den Fußtritt der russischen Barbaren, die nur Elend und Jammer, Schmach und Verderben über uns gebracht haben.«
Wisocki sah sie voll Bewunderung an, ein Hoffnungsschimmer leuchtete in seinem Blick auf, mit tiefer Bewegung sagte er:
»Ich schwöre Ihnen, Gräfin, daß ich das Vaterland liebe, wie Sie, daß ich den Schmerz über seinen Untergang mit Ihnen teile, und, bei Gott, hätte ich zu Kosciuszkos Zeit gelebt oder das Schwert führen können, als es galt, dem großen französischen Kaiser zu beweisen, daß Polen würdig sei, sich wieder zu erheben zu selbständigem Leben – der letzte Tropfen meines Blutes hätte dem Vaterland gehört!«
»Und gehört er ihm nicht heute noch?« fragte die Gräfin. »Hat das unglückliche Vaterland nicht heiligere Rechte an seine Söhne, als das glänzende und mächtige? Kann eine Frau an die Liebe eines Mannes glauben, dessen Herz keinen Schlag mehr übrig hat für die erste, die edelste Liebe, welche die Natur kennt?«
»Aber was kann man tun,« fragte Wisocki traurig, »um diese Liebe zur Tat werden zu lassen? Sind nicht die besten unserer Patrioten am Werk, die schmerzvolle Vergangenheit mit der Gegenwart zu versöhnen?«
»Gibt es eine Versöhnung zwischen der Ehre und der Schmach, zwischen der Knechtschaft und der Freiheit? Ebenso gut könnte man das Leben mit dem Tode, die Nacht mit dem Tage versöhnen! Trägheit ist es und Mutlosigkeit, Frieden machen zu wollen zwischen Polen und dem moskowitischen Zaren, und wenn die polnische Jugend von heute ihrer Vorfahren würdig wäre, sie würde dieses feige Friedenswerk zerstören durch die auflodernde Flamme ihrer Begeisterung. Was zu tun ist, fragen Sie? Die Ketten zu zerbrechen, die Fremden zu verjagen von dem heiligen Boden des Vaterlandes und vor ganz Europa den Beweis zu liefern, daß Polens Kraft nicht gebrochen ist, daß die fremde Tyrannei hier nur ihre Herrschaft behaupten kann, wenn des Vaterlandes letzter Sohn, mit dem Säbel in der Hand, gefallen sein wird! Der Geist der Freiheit beginnt durch die Welt zu wehen, Rußland selbst krankt an inneren Gebrechen, der gewaltige Selbstherrscher zittert vor dem Geist der Freiheit, und darum will er um so fester unsere Ketten schmieden, um so erbarmungsloser den Fuß auf unseren Nacken setzen. Es ist die Zeit zu mutiger Erhebung, der Sieg wird unser sein, wenn in allen Herzen die wahre Liebe zum Vaterlande erglüht, und diese Liebe wieder aufflammen zu lassen in den älteren und ermüdeten Kämpfern, die schmerzvolle Niederlage vergessen zu lassen durch neue Siege, das ist die Pflicht, die heilige Pflicht der Jugend! Vor allem die Jugend sollte nicht von der unerbittlichen Notwendigkeit des Schicksals sprechen, Sie sollten nicht davon sprechen, denn Sie gehören der Jugend an, die den Blick nicht rückwärts wenden darf, sondern vorwärts schauen soll in Hoffnung und Vertrauen.«
Wisocki faßte ihre Hände und rief:
»Sie haben recht, Gräfin, Sie haben tausendmal recht – wie klein stehe ich vor Ihnen da, zeigen Sie mir den Weg, der zu dem herrlichen Ziel führt, das in Ihrer Gestalt mir verkörpert entgegentritt, und Sie sollen sehen, daß ich nicht zurückweiche.«
»Mein Herz ist nicht frei,« sprach sie weiter, »aber es wird frei werden, es wird sich auch der Liebe öffnen dürfen an dem Tage, an welchem das Vaterland sich, von seinen Ketten befreit, aufrichten wird unter den Völkern Europas, und meine Liebe wird dem gehören, der den höchsten Mut und die festeste Treue bewiesen hat, der die herrlichste Tat getan hat im heiligen Kampf. Dann wird der Friede sich mit der Ehre vereinen, dann wird das Weib wieder Weib werden und dem Mann gehorchen dürfen, der, mit dem siegreichen Schwert in der Hand, vor ihr steht und Herr geworden ist über die Feinde, die uns heute unter ihr Joch beugen! Einem Mann, der dies Joch trägt, kann ich nicht gehören, ihm kann mein Herz nicht schlagen.«
»Aber wie, Gräfin,« rief er außer sich, »wie ist das möglich – wo ist die Gelegenheit, in solchem Kampf um Ihre Liebe zu werben?«
»Die Gelegenheit bietet sich dem, der sie sucht – sie wird kommen, sie wird bald kommen, und dann, mein Freund, dann ist es Zeit, um mich zu werben, wie die alten Ritter um ihre Damen warben – ich halte mich nicht schlechter als jene, und der Dank meiner Liebe wird dem besten Ritter gehören.«
»Ich werde es sein,« rief Wisocki, »so wahr Gott über mir ist, ich werde es sein oder ich werde es verdienen, daß Sie in mir den bis zum Tode treuen Ritter des Vaterlandes beweinen.«
Sie reichte ihm die Hand.
»So geloben Sie mir, wachsam und bereit zu sein für die Stunde des Kampfes, die vielleicht schneller kommen wird, als die vorsichtigen Friedensstifter es meinen, schneller, als wir es hoffen. Geloben Sie mir, so weit Sie es vermögen, die Jugend zu begeistern und Kämpfer anzuwerben für die heilige Sache und vor keinem Wagnis zurückzuschrecken, das ich im Namen des Vaterlandes von Ihnen verlange. Vor allem gilt es, den guten Geist der Armee zu beleben und zu stärken, welche sie heute zu russischen Söldnern machen möchten, und die Hoffnung aufzurichten, damit, wenn das Losungswort erschallt, alles bereit ist und die Flammen überall auflodern zum Verderben der Feinde.«
»Ich gelobe es,« sagte er feierlich, »bei meiner Liebe für Sie, bei meiner Ehre und bei den Geistern der gefallenen Helden!«
Sie hielt einen Augenblick seine Hand in der ihren, dann sagte sie:
»Sie haben Hoffnung von mir verlangt, mein Freund, ich gebe sie Ihnen! Unsere Hoffnung ist nun dieselbe, die sich erfüllen kann zu den Füßen des befreiten Vaterlandes!«
»Und was gilt es zu tun?« fragte er. »O, daß ich von hier hinausstürmen könnte in die Schlacht!«
»Geduld, mein Freund,« sagte sie, »für jetzt sind Klugheit und Vorsicht unsere Waffen, ich werde wachsam sein und Sie rufen, wenn es Zeit ist. Auch der Tag der Schlacht wird kommen, aber zuerst wird es gelten, den Zwingherrn der russischen Macht, der in seinen wilden Launen uns niedertritt, unschädlich zu machen und die Verräter, die ihm dienten, zu strafen, dann wird das Volk schnell erwachen und seine Pflicht erkennen; der Sieg wird unser sein, ehe sie es glauben. Ich werde Wege finden, Sie zu sehen. Suchen Sie Freunde, einige werde ich Ihnen zuführen – die größten und entscheidenden Taten sind oft durch wenige mutige und treue Männer vollbracht.«
»Ich kam, Gräfin,« sagte Wisocki, »mein Glück zu suchen, ich habe mehr gefunden, als ich suchte, ein großes, herrliches Lebensziel und die Hoffnung, das edelste Herz für mich zu gewinnen.«
Die Tür wurde geöffnet.
Mit wunderbarer Selbstbeherrschung nahm die Gräfin eine vollkommen ruhige Miene und Haltung an und ging dem Bankrat Hoffmann, welcher mit seiner Gemahlin eintrat, entgegen.
Er war ein ernster Mann, dessen äußere Erscheinung ihm ein fast bureaukratisches Aussehen gab, nur an seinen klaren, geistig belebten Augen hätte man den vielseitig gebildeten, publizistischen Schriftsteller erkennen können, der auf allen Gebieten sich einen angesehenen Namen erworben hatte und auch bei den polnischen Patrioten hochgeachtet war, obgleich er sich von allen Parteiungen fern hielt.
Seine Gemahlin Clementine, aus der alten Familie der Tanzkis, war eine Enkelin des bei der Erstürmung von Praga durch Suworow im Jahre siebenzehnhundertundvierundneunzig gefallenen Freundes Kosciuszkos, eine außerordentlich zarte Erscheinung, weniger blendend schön als anmutig durch den Hauch edler Weiblichkeit, welcher sie umfloß. Sie war, der Tradition ihrer Familie gemäß, eine feurige Patriotin, hielt sich aber, ebenso wie ihr Mann, von jeder demonstrativen Aeußerung ihrer Gesinnungen fern und verwendete ihre vielseitige Bildung und poetische Begabung auf die Abfassung von vielgelesenen Familienbüchern, welche den Briefen der Frau von Sévigné nachgebildet waren und sogar in Rußland übersetzt wurden. Trotz ihrer diskreten Zurückhaltung von aller Politik war aber ihr Haus der Sammelpunkt aller Patrioten, welche immer noch darauf hofften, daß irgendein Ereignis dennoch die völlige Befreiung Polens von der russischen Herrschaft möglich machen würde.
»Sie sehen hier«, sagte die Gräfin Plater, auf Wisocki deutend, der sich noch nicht wieder nach der ihn so tief bewegenden Unterredung zu fassen vermochte, »unsern Freund in gewaltiger Aufregung – bemerken Sie nichts an ihm?«
»Eine neue Uniform –« erwiderte Clementine, Wisocki die Hand reichend.
»Und«, fiel die Gräfin Plater ein, »auf dieser Uniform die neuen Epauletten – der Fähnrich ist zum Leutnant geworden und von der Schulbank in die große Schule des Lebens versetzt, in der er viel zu lernen hat und wohl auch manches vergessen wird.«
»Vergessen werde ich nichts,« rief Wisocki feurig, »aber zu lernen wird sich hoffentlich viel bieten!«
Es kamen bald noch einige Freunde des Hauses, welche sich fast täglich um die Teestunde im kleinen Kreise zusammenfanden – das schöne Fräulein Marie Roszanowicz, die Jugendfreundin der Gräfin Plater, der Schriftsteller Ludwig Nabielak, der junge Dichter Severin Goszcynski und einige Offiziere, unter ihnen der Hauptmann von Tanzki mit seiner jungen, geistvollen Frau.
Es wurde kein Wort gesprochen, das die politischen Verhältnisse gestreift hätte – so wollte es der Bankrat Hoffmann – und in diesem behaglichen Salon hätte man sich weit entfernt glauben können von dem Mittelpunkt so tiefgreifender Aufregung, wie sie der Besuch des Kaisers hervorgerufen hatte.
Goszcynski las einige seiner neuesten Dichtungen vor, man unterhielt sich über englische und französische Literatur, über verschiedene allgemeine Fragen der Wissenschaft und Kunst, und die Zeit verstrich schnell in dem kleinen Kreise, für den die unruhige Bewegung, welche ganz Warschau durchflutete, gar nicht vorhanden zu sein schien.
Wisocki saß träumend da und nahm wenig teil an der allgemeinen Unterhaltung, seine Blicke waren auf die Gräfin Plater gerichtet, als ob er in ihrem Gesicht die Lösung all der Rätsel suchen wollte, welche das ihm neu aufgegangene Leben noch in sich barg, und nur, wenn sich auch ihr Auge ihm zuwendete, zuckte er wie erschrocken zusammen und wendete sich einen Augenblick wieder der allgemeinen Unterhaltung zu.
Die zehnte Abendstunde, zu welcher die Gesellschaft sich nach der strengen Ordnung des Hauses zu trennen pflegte, da Hoffmann sowohl als seine Frau früh am Morgen schon den Arbeitstag begannen, kam bald heran.
Man brach auf, und Wisocki entfernte sich schnell, nachdem er von der Gräfin Plater nur durch einen stummen Händedruck Abschied genommen, ohne sich einem der übrigen für den Heimweg anzuschließen.
Er ging langsam durch die Straßen, welche zum Teil noch durch die Illumination erhellt waren.
Eine zahlreiche Menge bewegte sich hin und her und erwartete die kaiserlichen Herrschaften, welche in kurzem von dem Belvedere nach dem Schlosse zurückfahren sollten.
Wisocki bog von dem Wege ab, auf dem er dem kaiserlichen Zuge hätte begegnen können. Vor wenigen Stunden noch war er dankbar gewesen für seine Ernennung zum Offizier und hatte voll freudigen Herzens in die Hochrufe der Menge mit eingestimmt, jetzt empörte sich sein patriotisches Gefühl gegen die Huldigung, welche die von Suworows Soldaten einst so grausam heimgesuchte Residenzstadt der alten Polenkönige dem Enkel und Nachfolger Katharinas darbrachte, und fast erschien es ihm als eine Schmach, die Uniform der unter dem Kommando des russischen Kaisers stehenden Armee zu tragen, auf welche er so stolz gewesen war.
Er erreichte das hell erleuchtete Gebäude der Fähnrichsschule und wollte sich still in sein Zimmer zurückziehen, aber die Tür des großen Speisesaales nach dem Korridor stand offen, er wurde von einigen seiner Bekannten bemerkt und in den festlich geschmückten Raum hineingezogen. Die zahlreich versammelte Gesellschaft, der sich verschiedene Generale angeschlossen hatten, stand unter der Herrschaft der Geister des alten Ungarweins und des schäumenden Champagners, und nach alter polnischer Sitte wurde mancher Freundschaftsbund mit einem Bruderkuß und einem kräftigen Trunk besiegelt.
Wisocki hatte gar vielen seiner bisherigen Kameraden Bescheid tun müssen, bis er zu dem Platz gelangte, den ihm Zalewski an seiner Seite frei gehalten hatte.
Dieser reichte ihm die Hand und sagte:
»Da bist Du ja früher, als ich gedacht. Du siehst ja ganz strahlend aus und dabei doch, als ob Du aus einem Traum herausblicktest – hat sich die Gelegenheit gefunden, die Du bis jetzt vergeblich ersehnt?«
»Spotte nicht, Xaver,« sagte Wisocki, indem er den Kelch, welchen sein Freund ihm bis zum Rande gefüllt hatte, in einem kräftigen Zug leerte – »mir ist es wahrlich sehr ernst zumut, ich bin glücklich und doch wieder traurig.«
»So geht's den Verliebten,« lachte Zalewski, »es scheint mir also, daß Du wirklich eingefangen bist wie ein Vogel, dem man die Flügel beschneidet, damit er zahm aus der Hand frißt.«
»O,« sagte Wisocki, sich zu ihm hinüber beugend, »Du kennst sie nicht, sonst würdest Du so nicht sprechen. O, welch ein Weib, welch eine Heldenseele! Sie wahrlich wird mir die Flügel nicht beschneiden, unter ihrem Blick würden einer Taube die Adlerkrallen wachsen. Heute erst fühle ich, daß ich ein Mann, daß ich ein Pole bin, und doch bin ich beschämt, daß ein Weib mich dazu machen mußte!«
Zalewski sah ihn groß an.
»Schweig,« flüsterte er ihm zu, »was Du da sprichst, gehört nicht hierher. Warte, bis wir allein sind, ich bin begierig, zu hören, was Dich so verändert hat.«
Er wendete sich zu den anderen, die in seiner Nähe saßen, und suchte Wisocki in die lustige Unterhaltung mit hineinzuziehen, damit dessen Aufregung nicht bemerkt würde.
Die Gesellschaft wurde immer lärmender.
Die älteren Herren zogen sich allmählich zurück. Man verließ die Plätze, und in der allgemeinen Verwirrung sagte Zalewski:
»Komm, Peter, wir haben für die Feier unserer neuen Uniform genug getan.«
Wisocki folgte ihm freudig.
Beide verschwanden durch eine Seitentür und gelangten bald in ihr Zimmer, das sie heute zum letztenmal bewohnten.
Hier warf Zalewski, nachdem er zwei Kerzen angezündet, seine Uniform ab, streckte sich auf dem Kanapee aus, auf das ihm sein unruhiger Stubenkamerad das ausschließliche Recht überlassen hatte und sagte:
»Nun, Peter, was ist geschehen, das Dich so bewegt, wenn es nicht ein Geheimnis ist?«
Wisocki trat zu ihm heran und streckte ihm die Hand entgegen.
»Gib mir dein Ehrenwort zu schweigen,« sagte er feierlich.
»Bin ich ein Schwätzer, bin ich neugierig auf Liebesgeschichten? Hier hast Du mein Wort.«
Wisocki zog einen Stuhl heran und erzählte mit flammenden Blicken und glühenden Wangen, was ihm geschehen war, und als er geendet, rief er begeistert: »So habe ich in die Hand der einzigen, der mein Herz gehört, das Gelübde abgelegt, dem Vaterlande mein Leben zu weihen! Ich bin stolz, daß sie mich dessen würdig hielt, meine Liebe ist geweiht und verklärt zu heiliger Andacht, ich will um sie werben durch das Opfer meines Blutes und, bei Gott! Xaver, ich will so eins werden mit dem Vaterlande, daß sie mich lieben muß.«
Zalewski hatte aufmerksam zugehört, immer ernster war sein Blick geworden, immer mehr belebten sich seine sonst so kalten und fast gleichgültigen Züge.
»Wahrhaftig, Peter« sagte er, »ich bekomme Respekt vor der Dame Deines Herzens, denn sie hat Dich aus Deiner Gleichgültigkeit geweckt, die mir oft Kummer gemacht hat. Ich habe niemals wie Du die Zustände in Polen rosig und hoffnungsvoll ansehen können, ich bin immer der Ueberzeugung gewesen, daß von der Verfassung, die wir auf dem Papier haben, immer weniger übrig bleiben wird und daß das Volk aufstehen muß, um noch einmal auf blutigem Felde das Würfelspiel zu wagen um seine Ehre und Freiheit, und würde dies nicht geschehen, dann wäre Ehre und Freiheit für immer verloren. Was in Deinem Herzen schlummerte, das hat Deine Geliebte erweckt zu tatenreichem Leben, und dafür bin ich ihr dankbar. Bis jetzt hast Du geträumt, jetzt weiß ich, daß Du handeln wirst und jetzt erst bis Du in Wahrheit mein Freund.«
»Das war ich also bisher nicht?« fragte Wisocki mit vorwurfsvollem Ton.
»Es gibt Freunde,« sagte Zalewski, »mit denen man eine Flasche Wein trinkt und seine Börse teilt, wenn sie in Not sind, mit denen man in heiterer Stunde lacht und scherzt. Solch ein Freund warst Du mir und ich war Dir von Herzen gut. Dann aber«, fuhr er, von dem Kanapee sich erhebend, fort, »gibt es Freunde, an deren Seite man sein Blut vergießt für eine große und heilige Sache, und mit denen man in ernsten Stunden ernste Taten bespricht und vorbereitet, solch ein Freund, siehst Du wohl, bist Du mir jetzt geworden, und das danke ich Deiner Gräfin und darum freue ich mich Deiner Liebe und werde mich noch mehr freuen, wenn Du durch große Taten deren Preis erringst.«
»Kaum hätte ich solchen Sinn in Dir gesucht,« erwiderte Wisocki beschämt, »ich hielt Dich, ich darf es Dir wohl sagen, für träge und gleichgültig.«
Zalewski zuckte die Achseln.
»Weil ich nicht wie Du mein Gesicht zum Spiegel meiner Gedanken mache! Begreifst du denn nicht, daß, wer Großes erstrebt, eine Maske tragen muß und sein wahres Gesicht nur seinen Freunden zeigen darf?«
»Ich war klein,« sagte Wisocki, »wahrlich recht klein und es scheint mir jetzt als eine Verwegenheit, mich um die Liebe eines Weibes zu bewerben, wie es Emilie Plater ist. Nun aber soll es anders werden, sie soll mich ihrer Liebe würdig finden, wie Du mich Deiner Freundschaft würdig gehalten hast – doch wie, was ist zu tun, jeder Nerv spannt sich mir in Tatendurst – aber wo ist das Ziel?«
»Das Ziel«, sagte Zalewski, »ist die Befreiung des Vaterlandes vom fremden Joch und der Weg dahin, das ist die stille Vorbereitung und das undurchdringliche Geheimnis. Jetzt kann ich's, jetzt will ich's Dir sagen. Es besteht ein Bund, der durch die ganze Armee verbreitet ist und jeden verpflichtet, in der Stunde des Handelns sein Leben einzusetzen für das Vaterland.«
»Und diese Stunde, wann wird sie kommen?« rief Wisocki.
»Vielleicht früher, vielleicht später,« erwiderte Zalewski, »jedenfalls in einem Augenblick, in welchem die Feinde sie am wenigsten erwarten. Der Wille, welcher den Bund leitet, welcher das Losungswort geben, jedem einzelnen die Tat vorschreiben wird, muß verborgen bleiben. Nur an einer Stelle laufen die Fäden zusammen. Diese Stelle, ich gebe Dir mein Wort darauf, ist mir unbekannt, jeder in dem Bunde kennt nur den, der ihn angeworben und aufgenommen, und diejenigen, welche er wieder seinerseits als Mitglieder verpflichtet. Würde einer verraten oder gar abtrünnig werden, so würden immer nur wenige entdeckt und die Kette des Ganzen dennoch nicht unterbrochen, und ich glaube, daß alle älteren Offiziere der Armee dem Bunde angehören und auch die jüngeren wachsen ihm allmählich zu, sobald man sie für reif und würdig erkennt, wie es heute mit Dir der Fall ist. Wenn dann der Augenblick kommt, so wird das Vaterland eine Armee haben und hier wird nur der Großfürst seine russische Garde uns entgegenstellen, welche in der aufwallenden Brandung untergehen oder von ihr über die Grenze gespült werden wird. Ich nehme Dich heute auf in den Bund für die Kämpfer der Freiheit und verlange von Dir das Gelöbnis des Schweigens und des Gehorsams gegen jeden Befehl, der Dir durch mich zugehen wird.«
»Ich gelobe es,« sagte Wisocki feierlich, in die Hand seines Freundes einschlagend, »bei meiner Ehre und bei meiner Liebe!«
Einen Augenblick standen die beiden in feierlichem Schweigen, die Hände in einander gefügt, da. Dann setzten sie sich neben einander und in atemloser Spannung lauschte Wisocki den Plänen, welche Zalewski ihm entwickelte für die verschiedenen Möglichkeiten, unter denen der große Befreiungskampf aufgenommen werden könnte für welchen alle Mitglieder des Bundes der Kämpfer der Freiheit sich bereit halten sollten. Während sie so flüsternd mit einander sprachen, klangen aus dem Speisesaal die Melodien der von der Musik begleiteten Lieder herüber, welche die jubelnden Fähnriche sangen, und fern von der Straße her hörte man die Hochrufe, mit denen die Menge das vom Belvedere zurückkehrende Kaiserpaar begrüßte.