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Rozniezki, der Direktor der politischen Polizei, saß ziemlich früh am Morgen bereits in seinem Arbeitskabinett.
Rozniezki stand in der Mitte der vierziger Jahre; er war mit seiner hochgewachsenen und schlanken Gestalt und seinem männlich kräftigen Gesicht eine schöne militärische Erscheinung, nur die etwas unsteten Blicke seiner lebhaften Augen und das stereotype Lächeln, das um seine Lippen spielte, gaben ihm einen eigentümlichen Ausdruck, der wenig Vertrauen erweckte, und zuweilen, wenn seine Augen wie lauernd aufblitzten, war es schwer, sich eines unheimlichen Gefühls zu erwehren. Und für die Polen war er allerdings auch eine unheimliche, gefürchtete und gehaßte Persönlichkeit. Er hatte unter Napoleon gedient, war ein ausgezeichneter Offizier und hatte sich durch die Organisation der litauischen Kavallerie einen rühmlich bekannten Namen gemacht; dann aber war er ganz und gar zu den Russen übergegangen. Der Großfürst Konstantin hatte ihn zum Chef der Gendarmerie gemacht und die hohe politische Polizei in seine Hände gelegt. Man gab ihm die Schuld, daß er der Mittelpunkt des Systems der Angebereien und Denunziationen sei, welches immer wieder durch wahre und auch oft ganz falsche Angaben Mißtrauen säte und die russische Regierung zu strengen Maßregeln reizte. Die polnische Gesellschaft mied ihn und zeigte ihm mehr oder weniger deutlich ihre Verachtung, was er nicht zu bemerken sich den Anschein gab.
Er trug die Interimsuniform eines russischen Generals, in welcher er jünger erschien als seine Jahre, da sie seine schlanke und geschmeidige Gestalt vorteilhaft hervorhob, und war beschäftigt, die eingegangenen Berichte durchzulesen.
Sein Kabinett lag von den übrigen Räumen des Hauses getrennt, und man mußte durch mehrere Vorzimmer gehen, um zu ihm zu gelangen, so daß er vor jedem Lauscher vollkommen sicher war. Der Raum war auf der einen Seite durch einen großen grünen Vorhang, welcher nahe dem Schreibtisch des Generals von der Decke herabhing, vollständig geschlossen, so daß es unmöglich war, zu sehen, was sich hinter diesem Vorhang befand.
Der General warf gelegentlich wie zufällig zuweilen die Bemerkung hin, daß er dort ein Toilettenkabinett habe, um schnell die große Uniform anlegen zu können, wenn er besonders vornehme Besuche zu empfangen habe oder plötzlich zum Großfürsten Konstantin gerufen werde, dessen besonderes Vertrauen er sich zu erwerben gewußt hatte.
Während er so seine Korrespondenz erledigte, bald ein Schriftstück in den großen Papierkorb warf, bald ein anderes mit Randbemerkungen für seinen Sekretär versah, wurde ihm der Staatsrat von Malgienski gemeldet.
»Er soll kommen –« sagte der General, reichte dem Eintretenden die Hand und deutete auf einen Sessel neben seinem Schreibtisch.
»Was führt Sie so früh schon zu mir, mein lieber Malgienski, ohne Zweifel etwas Gutes und Wichtiges – Sie sind ja ein ebenso scharfblickender als eifriger Diener der Regierung.«
»In der Tat, Herr General,« erwiderte Malgienski, »es ist eine wichtige Sache, die mich herführt, wie alles, was die Ruhe und den Frieden, den unser erhabener Kaiser herstellen will, gefährdet, und zugleich bin ich peinlich dadurch berührt, weil es einen Verwandten von mir betrifft, dessen Verhalten vielleicht auf die Aufrichtigkeit meiner eigenen Gesinnung einen Verdacht werfen könnte. Es scheint da eine Verschwörung im Gange zu sein, der man nachforschen müßte, um den Kaiser zu unterstützen.«
Er reichte dem General den Bericht über das Bankett am Jahrestag der polnischen Verfassung.
»Sie sehen,« sagte er, »daß man sich nicht gescheut hat, sogar unmittelbar vor dem Besuch des erhabenen Kaiserpaares in Warschau auf das Wohl Kosciuszkos und der französischen Freiheit zu trinken und aufrührerische Reden zu halten.«
»Und was denken Sie da zu tun?« fragte Rozniezki, nachdem er die Schrift flüchtig gelesen, ohne daß sich seine Miene veränderte.
»Es sind lauter junge Leute dagewesen,« sagte Malgienski, »welche für aufrührerische Ideen leicht empfänglich sind. Unter ihnen befand sich, wie Sie aus der Liste der Teilnehmer an dem Bankett ersehen, der junge Konstantin Backlowicz, der Sohn des bekannten Kämpfers unter Kosciuszko. Der junge Mensch ist lange auf Reisen gewesen. Er hat, nachdem er in Wilna mit Mickiewicz und anderen in naher Verbindung gestanden, bei seiner phantastischen Natur ohne Zweifel auch auf seinen Reisen, in Frankreich besonders, noch mehr revolutionäre Ideen eingesogen; er könnte den jungen Leuten hier gefährlich werden – ich halte es für nötig, ihn in Untersuchung zu nehmen und unschädlich zu machen, selbst wenn auch keine wirkliche Verschwörung besteht. Für ihn selbst würde das vielleicht eine Rettung von gefährlichen Wegen sein und ihn vor schwereren Verirrungen bewahren.«
Rozniezki durchflog den Bericht noch einmal und sagte achselzuckend:
»Ein Bankett von jungen Leuten, bei dem man auf das Wohl Kosciuszkos getrunken hat – das ist im ganzen sehr wenig; Kosciuszko ist ja durch den Kaiser Alexander selbst rehabilitiert und dann wünscht auch unser gegenwärtiger erhabener Herr, daß man möglichst solche kleinen, unschädlichen Ausbrüche eines irre geleiteten Patriotismus übersehen soll, wenn sie nicht zu wirklichen Widersetzlichkeiten oder Verschwörungen gegen die legitime Autorität führen. Es wird schwer sein, damit etwas zu machen, und fast möchte ich glauben, daß Ihr Eifer Sie zu weit führt.«
Malgienski biß sich auf die Lippen.
»Ich bin der Meinung,« sagte er, »daß kein Funke unwichtig ist, der bei dem vielen Zündstoff, der hier in Polen leider aufgehäuft liegt, leicht zu hellen Flammen aufschlagen kann; auch muß ich hinzufügen, daß mir besonders daran liegt, meinen Vetter Backlowicz, gegen den ich strenger zu sein die Pflicht habe, als gegen andere, von seinen bedenklichen Wegen zurück zu führen. Um ganz offen zu sein, General, glaube ich auch dadurch der guten Sache unter den besonderen hier vorliegenden Verhältnissen einen wesentlichen Dienst zu leisten.«
»Und welches sind diese Verhältnisse?« fragte Rozniezki.
»Ich darf es Ihnen wohl anvertrauen,« sagte der Staatsrat, »daß der Graf Jaczkonowski, der ja aufrichtig der Politik der Versöhnung sich zugewendet hat, den jungen Backlowicz, mit dessen Vater er befreundet war, in sein Haus aufgenommen hat, ja, er scheint daran zu denken, den jungen Menschen zu seinem Schwiegersohn zu machen, wenigstens würde er, wenn dieser eine Bewerbung um des Grafen einzige Tochter unternähme, ihm gewiß freundlich entgegenkommen. Eine solche Verbindung wäre nun aber nicht nur durchaus unpassend, was die Personen betrifft, sondern sie könnte auch sehr bedenkliche Folgen für die Familie Jaczkonowski und die öffentliche Ruhe haben, die wir herzustellen und zu erhalten bemüht sind. Als Schwiegersohn des Grafen würde der junge Backlowicz einen außerordentlich weiten Spielraum für seine gefährlichen Ideen haben – in dem Grafen selbst schlummern noch die alten Ideen der vergangenen Zeit; so sehr er auch jetzt die Notwendigkeit der Beruhigung und des Friedens erkennt, so könnte doch der Einfluß des jungen Backlowicz ihn irre werden lassen und der Regierung eine mächtige Stütze entziehen. Schon deshalb wäre es sehr wünschenswert, den jungen Menschen für eine Zeitlang unschädlich zu machen und den Grafen seine Pläne vergessen zu lassen.«
Der General schwieg einen Augenblick und sah den Staatsrat mit einem durchdringenden Blick an.
»Ich erinnere mich, mein lieber Herr von Malgienski,« sagte er, »Ihren Namen mit dem der Tochter des Grafen Jaczkonowski nennen gehört zu haben, sogar der Großfürst hat neulich eine Bemerkung gemacht, welche mich schließen ließ, daß er eine Verbindung zwischen Ihnen und der jungen Dame gern sehen würde. Die Erbin des Hauses Jaczkonowski ist eine vortreffliche Partie, es wäre allerdings sehr unangenehm, wenn da in der Person eines jungen, romantischen und phantastischen Menschen, wie Sie Ihren Vetter schildern, ein Hindernis auftauchen sollte.«
Malgienski erbleichte und senkte die Augen vor dem durchdringendem Blick des Generals.
»Wenn ich«, sagte er, schnell sich fassend, »neben anderen Rücksichten noch den Wunsch hätte, eine junge Dame, die einem mir nahestehenden Hause angehört und alle Eigenschaften besitzt, welche ich bei meiner Gemahlin zu finden wünsche, vor einer törichten und verhängnisvollen Verirrung zu bewahren, hätte ich nicht das Recht, von der Regierung, der ich nach Kräften zu dienen bemüht bin, in diesem Wunsch unterstützt zu werden?«
»Gewiß, mein lieber Freund –« erwiderte der General, »Sie dürfen auf die Bereitwilligkeit der Regierung zählen, Ihnen, wo es angeht, gefällig zu sein. Hier ist es aber wirklich etwas schwer, einen Grund zu einer ernsten Untersuchung zu finden, und dazu kommt, daß eine Verhaftung Geld kostet, viel Geld – die Gefangenen müssen unterhalten werden, standesgemäß unterhalten, wenn kein gemeines Verbrechen erwiesen ist – wir haben deren schon genug und müssen sparsam sein.«
»Was das betrifft,« erwiderte Malgienski schnell, indem er nun seinerseits den General scharf fixierte, »so soll dies kein Hindernis sein, ich will der Regierung kein Opfer auferlegen und bin bereit, die entstehenden Kosten zu tragen. Ich werde heute noch eine Summe von dreißigtausend Rubel zu Ihrer Verfügung stellen.«
Das gleichmäßige Lächeln, welches stets auf den Lippen Rozniezkis lag, verschärfte sich. Mit dem Ausdruck zufriedener Genugtuung erwiderte er:
»Sie sind ein Mann von anerkennenswerter Loyalität, mein lieber Herr von Malgienski, und ich bin Ihnen in der Tat dankbar für die Unterstützung der Regierung durch Ihre Bemühungen für die gute Sache. Wenn der Staatskasse dadurch keine Opfer auferlegt werden, so kann ich es wohl verantworten, dem jungen Menschen eine Lektion zu geben, die ihm selbst eine nützliche Warnung sein wird, um so mehr, wenn ich dadurch auch Ihnen und dem Hause des Grafen Jaczkonowski einen Dienst leiste. Verlassen Sie sich also auf mich – Ihr Vetter soll von seinen revolutionären Anwandlungen geheilt werden und Sie sollen durch kein romantisches Zwischenspiel in Ihren Plänen beunruhigt werden.«
»Ich danke Ihnen, Herr General,« erwiderte der Staatsrat, sich erhebend, »und stehe Ihnen jederzeit zu allen Gegendiensten zur Verfügung. Die Summe zur Deckung der Kosten soll in zwei Stunden in Ihren Händen sein.«
Während der General ihm zum Abschied die Hand schüttelte, wurde hinter dem Vorhang ein Geräusch hörbar.
Malgienski zuckte erschrocken zusammen, faßte schnell die Falten des Vorhangs, die neben dem Schreibtisch über einander fielen, und zog dieselben zurück.
Er erblickte einen Raum mit einem Toilettentisch und einigen Sesseln.
Auf einem derselben saß eine elegant gekleidete Dame, welche schnell den Schleier ihres Hutes herabzog, so daß ihr Gesicht verdeckt wurde.
Unmittelbar vor der Oeffnung des Vorhangs stand ein Mönch in der Karthäuser Kutte, welcher sich, als die Falten auseinander gezogen wurden, sofort abwendete und der Tür zuschritt, so daß der Staatsrat nicht seine Züge in dem durch die herabgezogenen Fenstervorhänge gedämpften Licht zu erkennen vermochte.
»Wir sind belauscht, Herr General –« sagte er erschrocken und vorwurfsvoll.
Rozniezki lachte.
»Belauscht?« sagte er. »Hier bei mir, dem Chef der Gendarmerie und der Polizei? Nun das hat nichts zu sagen, darüber können Sie ruhig sein, es waren meine Freunde dort, die mich erwarten und mir Mitteilungen zu machen haben oder mir einen Wunsch aussprechen wollen. Dort hinein kommt niemand, der gefährlich oder neugierig wäre, Geheimnissen nachzuspähen.«
Er zog schnell den Vorhang wieder zu.
»Aber, Herr General,« sagte der Staatsrat unwillig und fast seine kalte Zurückhaltung vergessend, »Sie wissen, wir haben Dinge gesprochen, die für fremde Ohren nichts taugen.«
»Und die auch nicht an fremde Ohren gelangt sind,« fiel der General, ihn kurz und scharf unterbrechend, ein, »man hört nichts durch den Vorhang und hinter demselben befindet sich nur ein Eingang für diejenigen, welche mich freundschaftlich besuchen und nicht den langen Weg durch die Korridore machen wollen. Sie dürfen überzeugt sein,« fügte er mit hochmütiger Miene hinzu, »daß die Einrichtungen meines Hauses jede Gefährdung meiner Geheimnisse ausschließen.«
Malgienski begriff, daß er, wie die seltsame Entdeckung, die er gemacht, auch immer zusammenhängen möge, das Gespräch nicht fortsetzen dürfe, ohne den so hoch einflußreichen General, dessen er notwendig bedurfte, zu verletzen.
Lächelnd sagte er:
»Davon bin ich überzeugt, Herr General, und an mir ist, um Verzeihung zu bitten für die Indiskretion, die ich in der Ueberraschung begangen.«
»Keine Indiskretion, mein lieber Malgienski – dort bergen sich keine Staatsgeheimnisse, und was daher kommt, bringt mir höchstens eine freundliche Plauderstunde und einige Anekdoten aus der Gesellschaft, die mir allerdings zuweilen wertvoll sein können, um Beziehungen zu verfolgen, die mich interessieren.«
Er begleitete den Staatsrat einige Schritte bis zur Tür nach dem großen Korridor hin und dieser kehrte nachdenklich nach Hause zurück; er erinnerte sich, gehört zu haben, daß es des großen Polizeimeisters Fouchet Gewohnheit gewesen sein solle, bei allen Unterredungen immer versteckte Zuhörer zu haben, um Zeugen zu besitzen für das, was der eine oder der andere ihm gesagt, und jeden dann in seiner Hand zu haben.
Doch, was hatte er zu fürchten, er war ja Rozniezki niemals feindlich entgegen getreten, um etwa dessen Rache heraus zu fordern, und wenn er dazu jemals Veranlassung haben sollte, dann, so sagte er sich mit stiller Freude, würde er so fest stehen, um auch Rozniezkis Rache nicht zu fürchten.
Er fuhr, als die Besuchszeit herankam, nach dem Hause des Grafen Jaczkonowski.
Er fand die Damen im Salon und einige andere Besuche bei ihnen.
Luitgarde war bleich und angegriffen, sie gab nur zerstreute Antworten, und die Gräfin sagte ihm besorgt, daß ihre Tochter sich auf der Partie von gestern erkältet haben müsse und an heftigem Kopfschmerz leide.
»Ich begreife das,« sagte der Staatsrat ruhig, »auch ich liebe eigentlich solche Landpartien nicht, ich ziehe den Salon vor. Doch, das wird vorübergehen, ich hoffe, daß Fräulein Luitgarde darum keine unangenehme Erinnerung an den gestrigen Tag bewahren wird.«
»Gewiß nicht, Herr von Malgienski,« sagte Luitgarde, flüchtig errötend, indem sie ihn zum erstenmal mit einem verständnisvollen Blick ansah.
Dann aber versank sie wieder in ein träumerisches Sinnen.
»Heute abend müssen Sie früher kommen als sonst,« sagte die Gräfin, als der Staatsrat sich empfahl, »ich habe die Uebersetzung des neuesten Romans von Walter Scott erhalten, und die liebe Gräfin Dornowska rühmt denselben als hochinteressant. Wir haben uns vorgenommen, denselben gemeinschaftlich zu lesen, und ich bin gewiß, daß auch Sie daran teilnehmen. Sie verstehen es ja so vortrefflich vorzulesen und werden uns die Schönheiten der Dichtung gewiß durch Ihren Vortrag noch besser zum Verständnis bringen.«
Der Graf versprach zu kommen und fuhr nach dem Bureau der Statthalterschaft, um seine Dienstgeschäfte zu erledigen.
Am Abend versammelte sich die gewohnte Gesellschaft früher als sonst in den Salons der Gräfin.
Man nahm den Tee und begann die Lektüre.
Malgienski las mit seiner wohlklingenden Stimme, welche eines jeden Ausdrucks fähig war und dabei niemals in ein geschmackloses Pathos verfiel, die ins Polnische übersetzte Dichtung des damals im Mittelpunkt des literarischen Interesses stehenden englischen Romantikers.
Die Gräfin Dornowska klatschte mehrmals laut Beifall.
Auch Luitgarde, welche noch immer etwas angegriffen aussah, folgte den Schilderungen der schottischen Hochlande, und zuweilen richteten sich ihre Blicke mit einem eigentümlichen, aus Bewunderung und Stolz gemischten Ausdruck auf den Staatsrat, der alle feinen Nuancen der Dichtung so leicht und sicher hervorzuheben wußte, aber dennoch schien sie zuweilen von einer gewissen Unruhe bewegt, als ob sie von irgendeinem plötzlich in ihr aufsteigenden Gedanken abgelenkt würde.
Der Graf stand häufig auf und ging, wie ungeduldig, leise auf dem weichen Teppich auftretend, auf und nieder.
Als eine kleine Pause eintrat, sagte er:
»Ich begreife nicht, wo Konstantin bleibt, ich habe ihn besonders bitten lassen, früh zu kommen, ich weiß, wie sehr er Walter Scott liebt und verehrt, er würde den Herrn von Malgienski haben ablösen können. Niemand würde besser als er das Werk des Dichters zum Ausdruck bringen können, dem er selbst in seinem Sinn so verwandt ist.«
»Um so schlimmer für ihn, daß er nicht da ist,« sagte die Gräfin Dornowska; »wir müssen es versuchen uns zu trösten,« fügte sie spöttisch hinzu, »wenn Herr von Backlowicz eine andere Gesellschaft der unserigen vorzieht und was seine innere Verwandtschaft mit dem großen Dichter betrifft, so kann sich dieselbe wohl nur auf die Schilderungen der finsteren Bergschluchten oder der schauerlichen Burgverliese beziehen, von dem schönen Sonnenschein des Lebens möchte dieser finster blickende Konstantin wohl niemals etwas verstehen.«
»Jedenfalls«, sagte die Gräfin Jaczkonowska, »ist es recht unartig, daß er unsere Einladung ohne jede Entschuldigung ignoriert.«
Luitgarde preßte die Lippen auf einander und neigte, wie ihrer Mutter beistimmend, den Kopf.
»Die Einladung wird ihm nicht richtig bestellt sein,« sagte der Graf; »ich werde sogleich noch einmal hinschicken.«
Er gab einem Diener seinen Befehl, und die Vorlesung wurde fortgesetzt, bis das Souper gemeldet wurde.
Als man sich zu Tisch begeben wollte, kam der von dem Grafen abgesendete Diener zurück und brachte die Nachricht, daß der Herr von Backlowicz noch nicht nach Hause gekommen sei. Die Wirte, bei denen er wohnte, hatten keine weitere Auskunft geben können.
Ueber das Gesicht des Staatsrats flog bei dieser Meldung ein flüchtiges Lächeln.
»Ich muß gestehen,« sagte er, »das ist doch etwas stark, und ich bedaure, daß mein Vetter so wenig weiß, was er einem Hause schuldig ist, in dem er mit so außerordentlicher Freundlichkeit aufgenommen wurde.«
»Nun,« sagte die Gräfin, »da unsere Gesellschaft ihm so wenig wert ist, so werden wir es ertragen müssen, die seinige zu entbehren.«
»Wir haben ihm doch wahrlich nichts getan«, rief Luitgarde heftig, »und seine so deutlich gezeigte Gleichgültigkeit mit einer Rücksicht ertragen, die er nach seinem Alter kaum beanspruchen dürfte!«
Auch er schien peinlich berührt. Doch aber suchte er eine Entschuldigung für Konstantin in irgend einer plötzlichen Verhinderung.
Die Gräfin aber sagte mit strengerem Ton, als er ihr sonst gewöhnlich war:
»Wäre er zu Hause gewesen, so hätte er wenigstens eine Unpäßlichkeit vorschützen können, da er aber ausgegangen ist, so muß er wohl in einer Gesellschaft sich befinden, die ihm besser gefällt als die unserige, und das ist seine Sache.«
Sie reichte dem Staatsrat den Arm und man begab sich in das Speisezimmer.
Der Staatsrat war von sprudelnder Laune, er beherrschte die Unterhaltung mit so viel Geist und Sicherheit, daß die ganze Gesellschaft sich bald in der angeregtesten Stimmung befand und den Zwischenfall mit Konstantin bald vergessen hatte.
Luitgarde schien von dem Zauber der Liebenswürdigkeit des Staatsrats wie gebannt, sie lauschte seinen Worten, sie lächelte errötend, wenn dieselben einen nur ihr verständlichen Sinn hatten, und blickte, wenn alle Welt Beifall rief, glücklich und stolz zu ihm hin.
Der Graf allein blieb nachdenklich und verstimmt, er wollte an eine einfache Unart seines jungen Freundes nicht glauben und hatte ein unbestimmtes Gefühl der Besorgnis, für das er keine Begründung finden, das er aber auch nicht vollständig unterdrücken konnte.
Beim Abschied fand Malgienski Gelegenheit, Luitgarde zuzuflüstern.
»Auf morgen, meine einzig Geliebte – fasse Mut und sprich mit Deinem Vater, damit wir unsere Liebe und unser Glück vor aller Welt zeigen können.«
Die Gräfin bat er, seinem Vetter Backlowicz zu verzeihen.
»So sehr ich seine Unart verurteile, so ist er doch mein Vetter,« sagte er, »vielleicht wird sich doch eine Entschuldigung für ihn finden, und ich werde mir Mühe geben, ihn immer mehr und mehr zu erziehen.«
»Das wird vielleicht schwer sein,« erwiderte die Gräfin kühl; »Ihr Vetter ist ein Freund meines Mannes und wird mir immer willkommen sein, aber als ein Freund meines Hauses werde ich ihn kaum betrachten können, wenn er es nicht einmal der Mühe für wert hält, die äußere Form zu beobachten.«
Der Graf konnte lange nicht die Ruhe finden und er beschloß, am nächsten Morgen selbst zu Konstantin zu gehen und über dessen seltsames Benehmen Aufklärung zu suchen.
Luitgarde versank bald in unruhige Träume; sie ging mit dem Staatsrat über Blumenbeete, lauschte seinen bestrickenden Worten und eine sonnige Ferne breitete sich vor ihr aus – dann aber tauchte Konstantin Backlowicz vor ihr auf, sah sie mit seinen großen Augen so wundersam an, wie sein Blick ihr im Walde von Bielany geleuchtet hatte; sie fühlte seinen Kuß auf ihrer Hand; eine seltsame Angst überfiel sie; alles wurde dunkel um sie her, und Malgienski, an dem sie sich ängstlich anschmiegte, versank von ihrer Seite in einen Abgrund, der sich vor seinen Füßen öffnete. Angstvoll fuhr sie dann auf, aber so oft sie auch wieder den Schlaf fand, wiederholten sich immer wieder in ihren Träumen ähnliche, unstete und schreckhafte Bilder.