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Zehntes Kapitel.

Über den Platz vor dem Karmeliterkloster, von dessen weit ausgedehntem Gebäude ein Teil abgetrennt worden war, um als Staatsgefängnis für die Regierung verwendet zu werden, schritten in der Dunkelheit des Abends, welche hier nur durch wenige Laternen erhellt wurde, mehrere in Mäntel und Überröcke gehüllte Gestalten, welche von verschiedenen Seiten kamen und sämtlich, nachdem sie die Pförtnerglocke gezogen hatten, in dem kleinen Eingänge neben dem Hauptportal verschwanden. Niemand hätte darin etwas Auffallendes oder Außergewöhnliches finden können. Das reiche Kloster hatte eine ausgedehnte Vermögensverwaltung, und der Prior und seine Beamten empfingen vielfach geschäftliche Besuche, außerdem kamen zahlreiche Personen, um geistlichen Rat und Zuspruch zu suchen, so daß der Aus- und Eingang bis zum späten Abend ein ziemlich bedeutender war.

Die meisten der an diesem Abend Eintretenden fragten den Pförtner nach dem Pater Ambrosius und gingen dann, ohne eine weitere Wegweisung zu erwarten, durch einen langen, matt erhellten Gang zu einem bureauartigen Raum, in welchem vor einem großen, mit Papieren bedeckten Tisch ein kräftig gebauter Mönch damit beschäftigt war, Briefschaften zu öffnen und zu ordnen.

Er mochte fünfzig bis fünfundfünfzig Jahre alt sein, sein glattes Gesicht mit kräftigen, ausdrucksvollen Zügen drückte energische Willenskraft und dabei freundliches Wohlwollen aus; das ergrauende, starke Haar, auf der Mitte des Kopfes ausrasiert, fiel lockig auf die breite, stark gewölbte Stirn, und in den Blicken der dunklen Augen lag eine scharfe, durchdringende Beobachtung, welcher nichts zu entgehen schien.

Der Pater Ambrosius war die rechte Hand des Priors, er trug demselben den Inhalt der eingegangenen Bittschriften vor, verhandelte mit den Verwaltern der Klostergüter und war eine Art von Kabinetschef von allmächtigem Einfluß, der aber von allen, die mit ihm in Berührung kamen, mehr verehrt als gefürchtet wurde, weil er stets gerecht und wohlwollend war und keine Selbstsucht kannte.

Die an diesem Abend nach einander zu ihm Eintretenden schienen nicht zu den gewöhnlichen Besuchern des Klosters zu gehören. Wenn sie ihre Mäntel abwarfen, so zeigten sich in dem Licht der über dem Schreibtisch herabhängenden Hängelampe elegante, jugendliche Gestalten mit kräftigen, vornehmen Gesichtern und von militärischer Haltung. Jeder grüßte den Pater ehrerbietig. Dieser erhob mit einem freundlich wohlwollenden Lächeln die Hand, machte das Segenszeichen des Kreuzes und deutete auf eine in der Rückwand des Zimmers befindliche kleine Tür, welche sich zwischen hohen Bücher- und Aktenschränken befand.

Die Eingetretenen schienen mit der Lokalität genau bekannt und verschwanden, ohne daß weiter ein Wort gesprochen wurde, durch die von dem Pater bezeichnete Tür. Hinter derselben befand sich ein von einer Ampel erleuchteter, gewölbter, nicht großer Raum. Um den runden Tisch in der Mitte desselben standen sieben Stühle, in der Ecke ein Betpult, über dem ein Kruzifix an der Wand hing. Der Raum machte den Eindruck, als wäre er für fromme Übungen oder vielleicht auch für geschäftliche Konferenzen bestimmt.

Die jungen Männer, welche schnell nach einander hier eingetreten waren, begrüßten sich mit kräftigem Händedruck und unterhielten sich im leichten Gesellschaftston über alle möglichen Tagesereignisse der vornehmen Welt von Warschau, so daß diese Unterhaltung mehr für einen eleganten Klub als für diesen ernsten Klosterraum zu passen schien.

Trotz dieser leichten und geselligen Gespräche lag auf allen Gesichtern dennoch ein feierlicher Ernst, als ob sie nur die Zeit der Erwartung mit einer gewissen Ungeduld hinbringen wollten.

Fünf Personen waren eingetreten, und wer in diesen so sorgfältig von der Außenwelt verborgenen Raum einen Blick hätte hineinwerfen können, würde in den Anwesenden die glänzendsten Mitglieder der vornehmen Gesellschaft erkannt haben.

Da war der Graf Wladimir Potocki, mit seinem noch fast mädchenhaften Gesicht, über dessen Oberlippe sich ein kleiner zierlicher Schnurrbart kräuselte, einer der heitersten Lebemänner von Warschau; dann der Graf Stanislas Ostrowski, den man als glänzenden Ulanenoffizier auf den schönsten Pferden paradieren zu sehen gewohnt war; der Hauptmann von Tanzki; der Leutnant Xaver Tschempinski und der Graf Vincenz Tyskiewicz – alle, außer Potocki, die Zierden der polnischen Regimenter

Sie waren nicht lange beisammen, als die Tür sich abermals öffnete.

Der Pater Ambrosius trat ein und neben ihm Kasimir Normut in der Karmeliterkutte, aus deren zurückgeschlagener Kapuze sein ausdrucksvoller Kopf mit den strengen Zügen und den blitzenden Augen sich stolz erhob.

Die sämtlichen Herren schüttelten ihm die Hand.

Dann nahmen alle auf einen Wink des Paters Ambrosius auf den Stühlen Platz, und der Pater selbst sprach, den Blick auf das Kruzifix geheftet, ein Gebet für die Befreiung des Vaterlandes und für alle, welche an diesem heiligen Werke mitarbeiten.

Die übrigen hörten, die Häupter auf die gefalteten Hände geneigt, zu und sprachen am Schluß das Amen mit.

»Meine teuren Brüder,« begann der Pater, »ich habe Euch, die Ihr da von unserem Bunde in den hohen Rat von Warschau gewählt worden seid, zusammengerufen, um Euch verschiedene Mitteilungen zu machen und Eure Beschlüsse darüber einzuholen. Zunächst eine traurige Kunde. Ihr wißt, daß der Oberst Sczneider zu unserem Bunde gehört, wenn er demselben auch bis jetzt keine hervorragenden Dienste geleistet hat. Er hatte den Auftrag, eine Botschaft nach Kalisch zu bringen. Diese Reise muß irgendwie Verdacht erregt haben. Sczneider wurde verhaftet und mit scharfer Untersuchung bedroht. Er hat sich gerettet, indem er dem Großfürsten Mitteilungen über die Zusammensetzung und die geheimen Erkennungszeichen der Cosiniery machte.«

»Abscheulich!« rief der Hauptmann von Tanzki; »ein solcher Verrat verdient den Tod.«

»Warten wir ab, meine Brüder,« sagte der Pater Ambrosius, die Ausrufe der Entrüstung der übrigen durch einen Wink mit der Hand unterbrechend; »es wird gesagt und von glaubwürdigen Personen, daß der Oberst Sczneider nur halbe und zum Teil unrichtige Enthüllungen gemacht habe, um sich selbst zu retten, ohne der Sache viel zu schaden, wäre dies der Fall, so könnte man sein Verfahren entschuldbar finden.«

»Niemals!« rief Wladimir Potocki heftig; »für einen Verrat gibt es keine Entschuldigung, und er ist doppelt verdammenswert, wenn er nach beiden Seiten geübt wird. Ich hasse diese Deutschen, welche ihren Namen mit polnischen Buchstaben schreiben und doch dadurch keine Polen werden, sie können nicht empfinden wie wir und das Vaterland nicht lieben, mit dem sie nur ein verstümmelter Name verbindet.«

»Sei nicht hart, mein Bruder Wladimir –« fiel Kasimir ein, »spiele ich nicht auch ein doppeltes Spiel und habe ich dadurch nicht schon manche Dienste geleistet?«

»Das ist etwas anderes!« rief Potocki. »Du tust es mit unserem Wissen und verrätst kein Geheimnis.«

»Gleichviel,« sagte Pater Ambrosius mit Nachdruck, »es ist nicht unsere Sache, zu urteilen, bevor wir nicht den klaren Beweis der Schuld erlangt haben, und wir bedürfen jetzt vor allem der unbedingten Ruhe, um kein Aufsehen zu erregen, aber wir werden den Oberst Sczneider scharf beobachten lassen, und sollte ihn ein anderer Grund bewogen haben, als sich für die Sache zu erhalten, so werde ich der erste sein, der den Stab über ihn bricht. Eins aber tut not, wir müssen die Erkennungszeichen ändern und ebenso unsere eigenen Namen, damit, wenn die Feinde wirklich ernste und wichtige Enthüllungen erlangt haben sollten, diese unwirksam bleiben. Ihr wißt ja, daß wir nichts schreiben, Ihr müßt also die neuen Zeichen, die ich aufgesetzt, in Eurem Gedächtnis behalten. Beim Händedruck wird nicht mehr wie bisher der dritte Finger gekrümmt, sondern zweimal mit dem Daumen auf die obere Handfläche gedrückt, und ebenso wird auf das Zeichen nicht mehr geantwortet.«

Er reichte seinen Nachbarn die Hand, um das neue Erkennungszeichen zu geben, und diese gaben es weiter an die übrigen.

»Was nun unsere Namen betrifft, unter denen Botschaften durch die Brüder an uns gelangen und von uns ausgesendet werden, so heiße ich von jetzt an Barba, was auf falsche Fährte führen muß, da ich keinen Bart trage. Der junge Bruder Wladimir heißt Senex; Graf Stanilas Ostrowski Solidus; der Bruder Tanzki Tremolus; der Bruder Tyskiewicz Duplex; der Bruder Xaver Tschempinski Sinister und unser Bruder Kasimir Hilarius.«

Alle wiederholten ihre Namen und erklärten sie fest im Gedächtnis zu behalten.

Dann gab Pater Ambrosius noch einem jeden der Anwesenden einen Buchstaben und eine Zahl und ermahnte sie, mit der äußersten Sorgfalt darauf zu achten, daß keine Verwechslung mit den früheren Erkennungszeichen stattfinde.

»Weiter habe ich Euch zu berichten,« fuhr Pater Ambrosius dann fort, »daß wir alle Kräfte aufbieten müssen, um unsern Bund immer noch mehr unter den Offizieren der Armee zu erweitern. Die Zeit des Handelns kommt heran und kann vielleicht schon nahe bevorstehen – in Paris ist alles bereit zu einem wohl vorbereiteten Schlag gegen die verhaßte Regierung des doppelzüngigen Orleans, der liberale Phrasen im Munde führt, aber keinen Sinn für Freiheit hat. Bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, kann dort die Republik proklamiert werden, das aber wird den Anstoß einer großen europäischen Bewegung geben, der Ruf nach Freiheit wird mächtig durch die Welt dringen, die Unterdrückten werden genug zu tun haben, ihre eigenen Tore zu verteidigen, und für uns wird endlich Tag des Kampfes anbrechen, unter der Teilnahme, vielleicht unter dem tätigen Beistand der sich der Unterdrückung entringenden Völker Europas. Dann müssen wir bereit sein, ganz bereit, und dann wird jeder neu gewonnene Kämpfer von unschätzbarem Wert sein, damit das Volk überall seine treuen und geschickten Führer findet.«

Die Berichte über die Werbungen, welche die einzelnen für den Bund gemacht, wurden erstattet und bewiesen, daß derselbe sowohl in Warschau selbst als in allen Provinzen an Ausdehnung gewonnen hatte.

»Auch ich«, sagte Kasimir, »habe eine Werbung gemacht, welche nach meiner Überzeugung von unschätzbarem Wert sein wird und auf welche ich lange bedacht war.«

»Wer ist es?« fragte Pater Ambrosius.

»Ein Freund,« erwiderte Kasimir, »den ich lange aus den Augen verloren hatte, der zwar einige Jahre auf Reisen abwesend war, aber doch die Liebe zum Vaterlande treu im Herzen trägt, und den ich durch Zufall wiederfand.«

»Und sein Name?« fragten die anderen gespannt; denn ein solches Urteil aus Kasimirs strengem Mund hatte ein schweres Gewicht.

»Es ist Konstantin Backlowicz,« erwiderte Kasimir, »der Sohn des tapferen Kämpfers unter den Fahnen Kosciuszkos.«

»Konstantin Backlowicz?« rief Wladimir Potocki. »Er ist verschwunden, auf geheimnisvolle, unerklärliche Weise verschwunden – man sprach viel davon und flüsterte sich in der Welt zu, daß er um einer geheimen Liebesangelegenheit willen abgereist sei.«

»Er ist nicht abgereist,« erwiderte Kasimir, »er ist uns nahe, ganz nahe, dort drüben in den Mauern des Stadtgefängnisses.«

»Gefangen,« riefen alle, »und warum?«

»Weil er«, erwiderte Kasimir, bitter lachend, »auf das Wohl Kosciuszkos getrunken hat bei dem Bankett am Tage unserer Verfassung, die man stückweise wieder zerbricht.«

»Und das ist möglich?« rief der Hauptmann von Tanzki.

»Was ist denen nicht möglich,« fragte Kasimir, »welche die Macht haben, jedes Unrecht zu tun und ihre Taten zu verbergen? Genug, Konstantin Backlowicz ist im Gefängnis, niemand weiß davon als Rozniezki und sein Angeber, der Staatsrat von Malgienski.«

»Ein neues Verbrechen dieses schleichenden, tückischen Schurken!« rief Potocki; »wird es denn nicht endlich Zeit sein, über ihn Gericht zu halten?«

»Geduld,« sagte Pater Ambrosius, »Geduld, meine Brüder, auch sein Tag wird kommen, jetzt wäre es töricht, ihn zu vernichten, denn ihn kennen wir und würden nicht wissen, wer an seine Stelle tritt. – Geduld und Vorsicht sind die ersten Bedingungen des Gelingens für jedes große Werk.«

»Ich habe den Weg gebahnt,« fuhr Kasimir auf einen Wink des Paters fort, »um Konstantin Backlowicz aus dem Gefängnis zu führen – ich bedarf von Euch, meine Brüder, Geld und sichere Relais bis zur Grenze hin und einen zweifelfreien Paß, der ihm überall den Weg öffnet.«

»Bestimme, wie viel Du brauchst, es soll morgen bereit sein!« rief Wladimir Potocki; »auch für die Relais werde ich sorgen.«

»Und was den Paß betrifft,« rief der Pater Ambrosius, »so soll er in zwei Tagen bereit sein, ich werde ihn mit den geheimen Zeichen der Polizei versehen lassen, das den Reisenden als einen Beauftragten der Regierung bezeichnet und allen Behörden befiehlt, seine Reise in jeder Weise zu beschleunigen.«

»Ich habe also Eure Erlaubnis,« sagte Kasimir, »meinen Freund Konstantin in den Bund der Cosiniery aufzunehmen und in alle Geheimnisse, auch der höchsten Grade, einzuweihen; denn er ist ganz dazu geschaffen, um große und wichtige Dinge zu leisten und unsere Verbindung mit den Führern der Revolution in Paris zu unterhalten.«

»Und Du bist gewiß,« fragte Ambrosius, »daß er ein solches Vertrauen verdient?«

»Ich bürge für ihn mit meinem Leben, er glüht voll Begeisterung für das Vaterland – der Kummer über die Unterdrückung desselben war der Grund zu seiner düsteren Zurückhaltung von aller Welt – die Erbitterung über seine willkürliche Kerkerhaft wird seinen Eifer verdoppeln. Der rohe Gewaltstreich unserer Feinde hat uns Nutzen gebracht, denn ohne ihn hätte uns Konstantin Backlowicz vielleicht verloren gehen können.«

»Verloren gehen können – warum?« fragte Pater Ambrosius.

»Auf dem Wege,« sagte Kasimir, »auf welchem das ganze Menschengeschlecht dem Unfrieden verfiel – er liebt ein Weib, und wer ein Weib liebt, ist von der Schlange umwunden.«

»Du bist ungerecht, Kasimir!« rief der Hauptmann von Tanzki; »ich bin vermählt und bin darum wohl noch mehr begeistert für unsere heilige Sache, als ich es vor dem war.«

»Ich wünsche Dir Glück,« erwiderte Kasimir, »aber eine Ausnahme, wenn sie besteht, befestigt die Regel. Ein Mann, der ein Weib liebt, ist nicht mehr frei – wohl Dir, wenn Deine Liebe Dich nicht abführt von dem Wege der Pflicht gegen das Vaterland – bei Konstantin wäre das vielleicht der Fall gewesen.«

»Warum?« fragte Pater Ambrosius. »War es möglich, daß er sein Herz einer Feindin unseres Volks hätte schenken können?«

»Das nicht,« erwiderte Kasimir, »aber es gibt Freunde, die ebenso gefährlich sind als die Feinde. Die er liebt, ist die einzige Tochter des Grafen Jaczkonowski. Der Graf ist ein Freund von Konstantins Vater und hätte ihn wohl gern zu seinem Schwiegersohn gewählt. Ihr wißt alle, daß Graf Jaczkonowski, wie ich gewiß glaube, in bester Absicht und in aufrichtiger Ueberzeugung eine Versöhnung mit unseren Feinden sucht, welche uns für immer den Weg zur Freiheit und Unabhängigkeit verschließen müßte. Seine Tochter muß denken wie der Vater, wenn sie überhaupt in ihrem Alter an etwas anderes denkt als an ihren Putz und die Vergnügungen der Welt. Die Liebe, der Glanz des Reichtums und der Einfluß eines Vaters, dessen edle Gesinnung sich unglückselig verirrt hat, wären wohl fähig gewesen, Konstantin einer gleichen Verirrung zuzuführen. Darum ist es ein Glück für ihn und für uns, daß er in den Kerker geworfen wurde – darum habe ich eine Befreiung für ihn gesucht, welche ihn zwingt, das Land zu verlassen und ihn von der Lockung fern hält, der er vielleicht nicht hätte widerstehen können. Nun wird er uns gehören mit der ganzen Kraft seines Geistes und Willens.«

»Aber, mein Gott,« rief Wladimir Potocki, »die Lockung, die Du fürchtest, besteht nicht mehr! Luitgarde Jaczkonowski ist vermählt, und wenn sie Backlowicz geliebt hat, so hat sie ihn wahrlich schnell vergessen.«

»Sie ist vermählt?« rief Kasimir. »Ich bin der Welt so fern, daß ich nicht weiß, was in der Gesellschaft vorgeht. – Vermählt – ist das gewiß, und mit wem?«

»Seit gestern«, erwiderte Potocki, »mit dem Verräter Malgienski – ich bin selbst auf der Hochzeit gewesen, ich habe mit lächelnden Lippen das junge Paar beglückwünscht, während sich mein Herz vor Grimm zusammenschnürte, daß eine Polin von edlem Blut, die reichste Erbin des Landes, ihre Hand diesem bösen Dämon des Vaterlandes reichen mochte. Der Graf selbst schien nicht gar sehr befriedigt von dieser Verbindung, aber, wie man sagt, ist ja Luitgarde vollständig verblendet und bezaubert von dem heuchlerischen Malgienski.«

Kasimirs Augen blitzten freudig aus.

»Ah,« rief er, »das habe ich nicht gewußt, dann ist meine Sorge mir abgenommen, dann gehört Konstantin uns, die Liebe, die ihn auf Abwege hätte führen können, ist für ihn verloren, ihm bleibt nur die Rache an dem, der ihm sein vermeintes Glück geraubt und der zugleich einer der schlimmsten Feinde des Vaterlandes ist. Mein Werk ist erleichtert, wir haben sicher einen treuen und unermüdlichen Kämpfer gewonnen. Ich bedarf Deiner Mühe nicht mehr,« sagte er zu Potocki, »für den Paß und die Relais.«

»Und was willst Du tun, Bruder Kasimir?« fragte Pater Ambrosius.

»Ueberlaß das mir,« erwiderte Kasimir, »ich bürge mehr als je für Konstantin, und Ihr wißt, daß ich nichts verspreche, was ich nicht halte.«

Der Pater Ambrosius neigte zustimmend den Kopf und fuhr dann fort:

»Noch eine Mitteilung habe ich Euch zu machen, meine Brüder – es bildet sich ein Bund, dem unseren ähnlich, unter den Frauen Polens, die sich vereinigt haben, um die Liebe zum Vaterlande in allen Herzen immer feuriger zu entzünden und die Opferbereitschaft zu erwecken für die Stunde der Tat. Die Gräfin Emilie Plater ist die Seele dieser Vereinigung, sie lebte in der Nähe von Dünaburg auf dem Gute ihrer Mutter, ein Offizier der dortigen Garnison liebte sie, sie nahm seine Bewerbung an, stellte ihm aber die Bedingung, ihr einen genauen Plan der Festung zu verschaffen, die ein wichtiger Platz ist im Falle der Erhebung. Der junge Mann wollte diese Bedingung erfüllen, es war ihm aber unmöglich, den Festungsplan, der sehr geheim gehalten wird, zu erlangen. Die Gräfin schlug seine Hand aus und ist nun nach Warschau gekommen, um hier den Mittelpunkt eines patriotischen Frauenbundes zu bilden. Du siehst, Bruder Kasimir, daß auch die Weiber fähig sind, das Vaterland zu lieben.«

Kasimir zuckte die Achseln.

»Ich gebe nichts auf solche phantastische Regungen, bei denen die Eitelkeit oft die mächtigste Triebfeder ist.«

»Das mag vorkommen,« sagte der Hauptmann von Tanzki, »aber es ist wahrlich nicht immer der Fall, ich kenne die Sache, von der der ehrwürdige Bruder Ambrosius Mitteilung macht, auch meine Frau gehört jenem Bunde an, und wahrlich, sie wird nicht zögern, mit der Tat ihre Liebe zum Vaterlande zu beweisen.«

»Wenn nicht bis dahin«, warf Kasimir spottend ein, »andere im Kreise der verbündeten Damen das Geheimnis ausplaudern, denn, wenn ich für einzelne eine Ausnahme gelten lassen mag, so werden die Weiber alles eher vermögen, als ein Geheimnis zu bewahren.«

»Immerhin«, sagte Pater Ambrosius, »ist eine solche Verbindung ein wirksames Werkzeug – und unsere Aufgabe ist es, dieselbe zu unterstützen und für unsere Ziele nutzbar zu machen. Ich teile bis zu einem gewissen Punkt das Mißtrauen des Bruders Kasimir und halte es deshalb für nötig, daß wir, daß jeder von Euch vor den Mitgliedern des Frauenbundes, mit denen er in Verbindung treten möchte oder in Verbindung steht, unser Geheimnis auch streng bewahrt, aber seinen ganzen Einfluß aufbietet, so daß sie unsere Tätigkeit ergänzen, ohne uns jemals in Gefahr setzen zu können.«

»Das ist richtig, vollkommen richtig!« rief Tanzki; »so habe ich es auch mit meiner Frau gehalten, von unserem Bunde weiß sie nichts, das ist das einzige Geheimnis, das ich vor ihr habe.«

»Und das Du vor ihr haben mußt,« sagte Kasimir, »denn der Eid des Schweigens, den wir geschworen, läßt keine Ausnahme zu.«

»Ihr seid also einig mit mir, meine Brüder,« fuhr Ambrosius fort, »in dem Grundsatz, daß wir den Frauenbund fördern und lenken müssen, ohne ihm irgendeinen Schlüssel zu unseren Geheimnissen zu geben, die ja am Tage der Entscheidung offen vor aller Welt vortreten werden.«

»Wir sind einig –« sagten alle.

Der Pater sprach abermals ein kurzes Gebet.

Die Verbündeten der Cosiniery drückten sich stumm die Hände und verließen einer nach dem andern das Kloster.

Kasimir ging sogleich nach dem Palais, das der Chef der Gendarmerie bewohnte. Alle Beamten und Diener kannten ihn dort als den Freund des Generals Rozniezki, und er trat ohne besondere Meldung in das Kabinett des Generals durch den geheimen Eingang, welcher zu dem verborgenen Toilettenzimmer führte.

Er hob den Vorhang auf und fand den General, der bereits die große Uniform trug, um sich zum Souper bei dem Großfürsten zu begeben, an seinem Schreibtisch, mit der Erledigung einiger eiligen Dekrete beschäftigt.

»Ah, mein Freund Kasimir!« rief Rozniezki, ihm die Hand reichend; »was bringen Sie noch zu so später Stunde? Sprechen Sie schnell, meine Zeit ist gemessen, Seine kaiserliche Hoheit erwartet mich.«

»Ich komme mit einer Bitte, Herr General,« erwiderte Kasimir, »durch deren Erfüllung Sie mir eine Freude machen werden.«

»Wenn es möglich ist, wissen Sie, daß ich dazu stets bereits bin in der Erinnerung an Ihren Vater und an die Dienste, die Sie mir erwiesen.«

Es zuckte eigentümlich um Kasimirs Lippen.

Er schlug die Augen nieder und sagte:

»Rechnen Sie meine Dienste nicht zu hoch an – ich teile Ihnen mit, was ich glaube, Ihnen sagen zu sollen, aber ich bürge nie für die Wahrheit dessen, was ich gehört, und habe Sie stets gebeten, zu prüfen und sich selbst zu überzeugen. Sie haben«, fuhr er dann schnell fort, »den jungen Backlowicz einsperren lassen.«

»Ah, ich erinnere mich,« sagte der General lachend, »Sie waren damals hier und der Herr von Malgienski war ein wenig verstimmt, als er Sie hinter dem Vorhang entdeckte – nun, das ist mir ziemlich gleichgültig – Sie haben also gehört?«

»Ich habe gehört«, erwiderte Kasimir, »und muß Ihnen sagen, daß ich entrüstet war über diesen tückischen Malgienski, der eine bedeutungslose Denunziation für seine persönlichen Absichten mißbrauchte – Konstantin Backlowicz ist mein Freund.«

»Was wollen Sie,« sagte der General, »man ist sich gegenseitig gefällig, und ich versichere Ihnen, daß der junge Backlowicz sich nicht zu beklagen hat, er ist auf meine Anordnung mit aller Rücksicht behandelt.«

»Hätte ich mich beklagen wollen,« erwiderte Kasimir, »so hätte ich früher mit Ihnen darüber gesprochen. Ich glaube, daß meinem Freunde Konstantin die Haft ganz nützlich gewesen ist als eine Warnung.«

»Das war auch meine Meinung,« fiel Rozniezki lebhaft ein, »Sie dürfen überzeugt fein, daß ich nichts Böses mit ihm vorhabe!«

»Nun aber«, sagte Kasimir, »hat die Warnung ihre Wirkung getan, und die Gefälligkeit, die Sie Malgienski erwiesen, hat ja auch ihren Zweck erreicht; er ist der Schwiegersohn des Grafen Jaczkonowski geworden, Konstantin kann ihm nicht mehr in den Weg treten, und darum dürfte es wohl an der Zeit sein, den Aermsten, der übrigens nie daran gedacht hat, ein Nebenbuhler Malgienskis zu werden, wieder in Freiheit zu setzen, und darum komme ich, Sie zu bitten.«

»Mit Vergnügen, mein Freund, mit Vergnügen – ich habe selbst schon daran gedacht, der Arme ist lange genug in der Einsamkeit gewesen, und seine Verpflegung kostet in der Tat ein unnützes Geld, ich war nur noch nicht klar darüber, wie diese Sache zu beenden sei, ich möchte nicht, daß man darüber viel spricht und eine cause célèbre davon macht. Da Sie aber der Freund des jungen Backlowicz sind, so ist das ja leicht arrangiert – bringen Sie ihm selbst seine Freiheit, sagen Sie ihm, daß es ein Mißverständnis sei, das ich bedaure, und fordern Sie sein Ehrenwort, daß er über diese ganze Geschichte und seine Gefangenschaft unverbrüchliches Schweigen gegen jedermann beobachtet, er soll auf drei Monate verreisen und einen Grund dafür angeben, welchen er will. – Glauben Sie, daß er das Versprechen hält?«

»Er wird es,« erwiderte Kasimir – »sein Wort hält Konstantin Backlowicz stets.«

»Gut denn, mein lieber Freund, ich freue mich, daß es mir so leicht wird, Ihre Bitte zu erfüllen, und bin sehr zufrieden, daß auch Sie ebenso wie ich in feiner leichten Gefangenschaft eine nützliche Mahnung zur Vorsicht erblicken.«

Er warf einige Zeilen auf ein Blatt Papier und reichte dasselbe Kasimir.

»Hier«, sagte er, »ist ein Befehl, den Gefangenen von Nummer acht, den außer meinem vertrauten Sekretär niemand kennt, in Freiheit zu setzen; ich verlasse mich auf ihn, daß er schweigen wird und keine Gelegenheit zu Gesprächen gibt, welche das Versöhnungswerk, das der Kaiser vollbringen will, gefährden würde.«

»Ich bürge dafür«, sagte Kasimir, »und bitte Sie nur noch um einen Paß, der Konstantins Reise ins Ausland ohne jedes Hindernis möglich macht.«

»Ganz richtig,« sagte der General, »das vergaß ich.«

Er zog aus seinem Schubfach ein Paßformular hervor, füllte dasselbe aus, unterzeichnete und machte unter seinen Namen einen besonders geschnörkelten Zug.

»Sehen Sie da,« sagte er, »die Grenzbehörden und unsere Gesandten im Auslande werden Ihrem Freund in jeder Weise entgegenkommen, ich habe das Zeichen hinzugefügt, daß er eine der Regierung angenehme Person sei.«

Kasimir nahm dankend den Paß, stand auf und sagte:

»Sie haben Malgienski einen Dienst geleistet, Herr General, hüten Sie sich, daß Ihnen nicht ein schlimmer Dank dafür zuteil wird.«

»Malgienski?« sagte der General aufhorchend; »Sie trauen ihm nicht?«

»Prüfen Sie selbst,« erwiderte Kasimir. »Wer gegen einen Verwandten eine falsche Denunziation anbringt, welche der Sache, der er mit Eifer zu dienen scheint, nichts nützt, der kann auch Dinge verschweigen, welche wichtig sind, wenn er einen persönlichen Vorteil dabei findet. Ich traue Malgienski nicht und werde nicht verwundert sein, wenn Sie schlechte Erfahrungen mit ihm machen.«

»Wissen Sie etwas?« fragte der General lebhaft; »so sprechen Sie.«

»Ich verlange nicht,« sagte Kasimir, »daß Sie mir glauben – wie immer, sage ich, prüfen Sie selbst.«

»Ich aber glaube Ihnen,« rief Rozniezki, »gerade weil Sie keinen Glauben fordern und weil Sie stets weniger sagen, als Sie wissen, und noch nie etwas für sich verlangt haben, wie es Malgienski tut; er ist ehrgeizig, er sucht immer mehr das Ohr des Großfürsten zu gewinnen. Sie haben recht, er kann gefährlich sein, wer bürgt wir dafür, daß er nicht über mich hinweg den Weg zu seinem Ziel sucht? Als Schwiegersohn Jaczkonowskis hat er einen großen Einfluß gewonnen, auch in Petersburg. Bei Gott! ich werde auf meiner Hut sein, vielleicht war es töricht von mir, ihm eine Stufe aus der Leiter seines Ehrgeizes zu bieten.«

»Ich glaube, daß es das war,« erwiderte Kasimir ruhig.

»Und ich danke Ihnen!« rief Rozniezki, ihm die Hand drückend. »Wenn Ihr Freund Backlowicz zurückkehrt, so verspreche ich Ihnen, alles zu tun um ihn für seine Haft zu entschädigen.«

»Ich hoffe,« sagte Kasimir, »daß er dieselbe nicht vergessen wird.«

Er verneigte sich, schlug die Kapuze über seinen Kopf und verließ auf demselben Wege, auf dem er gekommen war das Palais.


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