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Die Festesstimmung, welche die Anwesenheit des Kaisers nach Warschau gebracht hatte, war nach der Abreise der Majestäten bald verflogen. Die erwarteten nationalen Institutionen, welche man erhofft hatte, kamen nicht, und der ungeduldig leidenschaftliche Charakter der Polen vermochte es nicht zu begreifen, daß tief einschneidende Maßregeln, wenn sie für die Zukunft dauern sollten, längere Vorbereitung und Ueberlegung bedurften, selbst wenn die Regierung den besten Willen dazu hatte. Das Mißtrauen verbreitete sich mehr und mehr, da der Großfürst Konstantin, seinem eigenartigen Charakter entsprechend, sein ziemlich tyrannisches und willkürliches Regiment fortsetzte, das zwar durch seine persönliche Gutmütigkeit gemildert wurde aber sich dennoch oft in roher Härte fühlbar machte. Unzufriedene Reden wurden laut, Demonstrationen fanden statt, welche an sich unbedeutend waren und sich auf das Absingen von polnischen Liedern und das Hervorkehren von polnischen Farben beschränkten, aber doch die Verstimmung der russischen Regierung erweckten; man stellte solche Dinge dem Großfürsten als staatsgefährliche Auflehnungen vor, es gingen Berichte nach Petersburg im gleichen Sinn, und so verzögerten sich denn die ersehnten Maßregeln zur Begründung einer nationalen Autonomie immer mehr, das Mißtrauen wuchs und es entwickelte sich durch den Eifer der Polizei ein in allen Teilen bitter empfundenes System der geheimen Spionage, deren Fäden in den Händen des Generals Rozniecki zusammenliefen, der ganz zu der russischen Partei übergegangen war, das höchste Vertrauen des Großfürsten erworben hatte und deshalb von den polnischen Patrioten als ein Abtrünniger und Verräter auf das tiefste verabscheut wurde. Der Druck aller dieser Verhältnisse machte sich auch im Hause des Grafen Jaczkonoski fühlbar. Der Graf bemerkte wohl, daß die russische Statthalterschaft der nationalen Freiheit und Selbständigkeit immer feindlicher wurde und die Zügel der Polizei und Militärmacht immer stärker anzog. Er beklagte dies um so tiefer, je hoffnungsvoller er in die Zukunft geblickt hatte, und tat alles mögliche, um den polnischen Patrioten immer wieder Vertrauen einzuflößen. Aber er fand bei diesen wenig Gehör und Glauben und so sehr er auch allezeit für die Rechte des Vaterlandes mit seiner Person eingetreten war, so unbefangen und frei er auch dastand und so viel Vertrauen man in die lautere Ehrenhaftigkeit seines Charakters setzte, so zogen sich doch feurigere und leidenschaftlichere Patrioten immer mehr von ihm zurück, weniger aus Mißtrauen, als weil sie seinen Optimismus nicht teilten und ihm doch nicht laut widersprechen mochten. Die russische Gesellschaft, dem Beispiel des Großfürsten folgend, bewies dem Grafen eine außerordentlich artige Aufmerksamkeit, und doch war auch diese nicht ganz von Mißtrauen frei, da er sich stets vollkommen unabhängig äußerte und, wo sich die Gelegenheit dazu darbot, auf die Notwendigkeit nationaler Institutionen hinwies. Die Gesellschaft beschränkte sich in seinem Hause, wenn er keine besonderen Einladungen ergehen ließ, auf einen kleinen Kreis näherer Bekannten, und es wurde dort fast ängstlich vermieden, das Gebiet der Politik zu berühren, der Graf hatte es mehrmals ausgesprochen, daß Diskussionen ernster Fragen, von denen die Zukunft des Landes abhänge, nicht in den Salon gehörten.
Die Gräfin war mit einer solchen Einschränkung des geselligen Verkehrs in ihrem Hause ganz zufrieden, obwohl sie an ein rauschendes, lebhaftes Treiben um sich her gewöhnt war, tat ihr die verhältnismäßige Ruhe bei ihrer etwas zarten Gesundheit wohl.
Luitgarde, welche mit der vollen Frische der Jugend das glänzende Leben, das ihr mit dem Eintritt in die Welt entgegengeströmt war, erfaßt und in vollen Zügen genossen hatte, hätte vielleicht die rauschendere Geselligkeit vermißt, aber der Staatsrat Malgienski gehörte zu den regelmäßigen Gästen ihres väterlichen Hauses, und sie fand in der Unterhaltung des geistvollen und reichgebildeten Mannes einen vollen Ersatz für alle lockenden und glänzenden Zerstreuungen, welche sonst ihr Dasein ausgefüllt und sie von ernsterem Nachdenken über sich selbst und alle bewegenden Fragen des Menschenlebens zurückgehalten hatten.
Malgienski verstand es, sie fortwährend geistig anzuregen, den Kreis ihres Denkens und Wissens zu erweitern und in dem von der Natur reich veranlagten Mädchen den Wunsch nach immer weiterer Ergänzung und Entwicklung ihrer ziemlich oberflächlichen Erziehung, welche sich nur auf die äußere Repräsentation in der vornehmen Welt beschränkt hatte, zu erwecken. Er ließ keine Frage, die sie an ihn richtete, ohne eine eingehende Antwort und wußte jede Belehrung in eine leichte, reizvolle Form zu kleiden, zugleich auch so viel eigene Gedanken und so viel feine Empfindung dabei zum Ausdruck zu bringen, daß Luitgarde immer mehr Befriedigung an der eigenen aufsteigenden Entwicklung ihres Wesens und zugleich auch eine immer wachsende Bewunderung für den Mann empfand, der so viel tiefe Innerlichkeit mit der eleganten Form des vollendeten Kavaliers vereinigte, der ihr Lehrer war und ihr dabei doch den Reiz einer leichten und pikanten Unterhaltung gewährte, und der, so viel älter und reifer als sie, doch zu ihrer jugendlichen, fast kindlichen Lebensfrische herabzusteigen verstand. Sie stand vollständig unter dem Einfluß der so anregenden und dabei so ruhigen, in sich selbst sicheren Persönlichkeit des Staatsrats, der ihr nicht in der Weise wie die anderen Kavaliere den Hof machte, aber ihr doch ein so warmes Interesse zeigte, daß sie kaum an einem tieferen Gefühl für sie zweifeln konnte, welches zuweilen wie unwillkürlich aus seinen Blicken und dem Ton seiner Worte hervorbrach. Sie war still und schweigsam, wenn er nicht da war, und erwartete mit Ungeduld sein Erscheinen. Sie errötete und ein glückliches Lächeln verklärte ihr Gesicht, wenn er kam und sie mit einer Herzlichkeit begrüßte, die in der äußeren Form nicht über die einfache gesellschaftliche Artigkeit hinausging, aber aus seinen Blicken eine innige, von dem zurückgehaltenen Feuer der Leidenschaft erwärmte Zärtlichkeit aufblitzen ließ.
Immer mehr wurde der Staatsrat der Mittelpunkt des aus den Träumen der Kindheit erwachenden Mädchens. Wenn er da war, lauschte sie seinen Worten, in einsamen Stunden dachte sie darüber nach, was sie von ihm gehört, und immer fand sie in dieser Erinnerung die Anregung zu neuen Gedanken und Empfindungen, die ihr das Leben reicher und wertvoller erscheinen ließen.
Ihre Mutter sah diese Beziehungen ihrer Tochter zu dem Staatsrat, welche sie in Luitgardens Blicken und Mienen las, aber niemals in einer auffälligen Vertraulichkeit ausgedrückt fand, mit sichtbarem Wohlwollen; sie sprach mit warmer Anerkennung von den so hervorragenden geistigen Eigenschaften Malgienskis, sie rühmte seine Liebenswürdigkeit, seine tiefe Empfindung, seinen feinen Takt und wiederholte oft in Gegenwart der Tochter den Ausdruck ihrer Ueberzeugung, daß die Gemahlin, welche Malgienski einst wählen würde, glücklich zu preisen sei, da sie in ihm und an seiner Seite nicht nur eine immer glänzendere äußere Lebensstellung, sondern auch einen festen inneren Halt in allen Verhältnissen finden würde.
Luitgarde errötete bei solchen Aeußerungen ihrer Mutter, sie trug ja dieselbe Ueberzeugung in sich und hatte zugleich die zweifellose Gewißheit, daß sie die Glückliche sein werde, der ein so beneidenswertes Los bevorstände. Malgienski hatte ihr zwar noch in keinem bestimmten Wort von seiner Liebe gesprochen, aber daß er sie liebe, das hatte ihr der feine weibliche Instinkt gesagt, der sich ja bei keiner Frau über die Gefühle täuscht, welche sie einem Mann eingeflößt, und wenn auch ihrer Bescheidenheit wieder Zweifel aufstiegen, so wurden dieselben doch von der Gräfin Dornowska wieder verscheucht, die ihr unausgesetzt von der Liebe Malgienskis sprach und versicherte, daß er nur an sie denke, daß seine Wahl niemals auf eine andere fallen werde, daß er sich nur zurückhalte, um ganz sicher die Ueberzeugung von Luitgardens Gegenliebe zu gewinnen, da sein Stolz eine Bewerbung ohne diese Gewißheit nicht zuließe und er um keinen Preis vor ihrem Vater in dem Lichte dastehen wollte, als sei ihr Vermögen für seine Wahl maßgebend. Luitgarde war glücklich, sie glaubte mit der ganzen Illusion der Jugend Malgienski zu lieben, der so glänzend in der Welt dastand, und der in seiner Persönlichkeit als das Ideal erschien, zu dem sie voll Bewunderung und mit Vertrauen aufblickte. Sie war stolz darüber, daß gerade sie, so jung und unerfahren, fast noch ein Kind, das Herz eines solchen Mannes habe gewinnen können, mit kindlicher naiver Eitelkeit dachte sie daran, an seiner Seite von vielen beneidet, in der Welt dazustehen, fast demütig aber blickte sie zu ihm selbst aus, der so hoch über ihr stand, und erklärte sich aus der Ueberlegenheit eine fast ängstliche Scheu, welche sie ihm gegenüber nicht überwinden konnte, während sie doch durch die feurigen Huldigungen, welche die jungen Kavaliere ihr darbrachten, zu neckischem Uebermut gereizt wurde. Ihr Vater schien die kaum verhüllten Wünsche ihrer Mutter nicht zu teilen. Wenn die Gräfin in seiner Gegenwart von dem Lobe des Staatsrats überfloß, so widersprach er nicht, fügte auch wohl einige Worte gleicher eigener Anerkennung hinzu, aber sein Ton war kalt, und er lenkte bald das Gespräch auf irgend einen anderen Gegenstand. Der Graf achtete die glänzenden Eigenschaften Malgienskis, er teilte ja auch mit ihm dieselbe politische Ueberzeugung, daß man die Vergangenheit vergessen und auf dem Boden einer aufrichtigen Versöhnung die Zukunft Polens so glücklich als möglich aufbauen müßte, aber ihm, dem alten Patrioten, der unter Kosciuszko gefochten hatte, war es, so sehr er auch dem als richtig erkannten Ziel seine Unterstützung entgegenbrachte, doch nicht nach dem Sinn, daß Malgienski im unmittelbaren Staatsdienst der russischen Regierung stand, welche noch immer zögerte, die gegebenen Versprechungen zu erfüllen, und daß er also gewissermaßen gezwungen war, bei Meinungsverschiedenheiten für die russische Regierung Partei zu nehmen. Er selbst hatte eine solche Stellung nicht angenommen, wenn er auch dieselbe einem so viel jüngeren und ehrgeizig strebsamen Mann nicht verdenken mochte. Auch das kalte, abgemessen ruhige Wesen des Staatsrats war dem Grafen, der das ganze leidenschaftliche Feuer des polnischen Blutes in sich trug und seine Gedanken niemals verhüllte, nicht sympathisch, und so kam es denn, daß zwischen ihm und Malgienski, obwohl dieser zu den intimen Freunden und regelmäßigen Gästen seines Hauses gehörte, eine gewisse innere Scheidewand bestand, welche ein herzliches näheres Entgegenkommen verhinderte. Diese kühle Zurückhaltung war noch sichtbarer hervorgetreten, seit der junge Konstantin Backlowicz von seinen Reisen zurückgekehrt war.
Der Graf kam dem jungen Manne mit einer Wärme und Herzlichkeit entgegen, welche er sonst keinem andern bewies, und zeigte demselben außer der Rücksicht für den Sohn seines alten Freundes und Waffengefährten eine so persönlich innig väterliche Zuneigung und Teilnahme, als ob er in ihm einen Ersatz suchen wolle für den eigenen Sohn, den der Himmel ihm versagt hatte.
Er hatte Konstantin ein für allemal eingeladen, sein Haus als seine Heimat zu betrachten, und wenn dieser in bescheidener Zurückhaltung nicht erschien, so sendete der Graf jedesmal noch besonders zu ihm, um seine Einladung dringend zu wiederholen.
Konstantin paßte freilich in seinem ganzen Wesen nicht in die Gesellschaft, welche sich gewöhnlich in den Salons der Gräfin Jaczkonowska zu versammeln pflegte, da deren Mitglieder den leicht bewegten Kreisen der großen Welt angehörten, während er selbst ernst, zurückhaltend und Fremden gegenüber fast finster verschlossen war. Den Grafen aber zog dies gerade besonders an. Da er in den vornehmeren Gesellschaftskreisen selten nur jemand fand, dessen Unterhaltung ihn persönlich befriedigte, so kam es denn meist vor, daß er sich mit Konstantin in eine Ecke des Salons oder in ein trauliches Nebenkabinett setzte und mit dem jungen Mann ausschließlich plauderte. Seine Zuneigung zu dem Sohn seines Freundes wurde dabei immer wärmer und inniger, und er fand bei demselben eine überraschende Fülle von Kenntnissen auf allen Gebieten.
Konstantin hatte auf der Universität viel studiert und auf seinen Reisen mit scharfem Blick und eindringendem Verständnis die Welt in all ihren Kreisen beobachtet, er wußte interessant und anregend zu erzählen, und die Schärfe und Klarheit seines Urteils hatte den Grafen oft überrascht, auch verschwand bei dem regeren und intimeren Verkehr die düstere Zurückhaltung des jungen Mannes. Derselbe zeigte vielmehr eine feurige Empfindung und eine sprudelnde Geistesfrische, welche mit der Natur des Grafen harmonierte, auch war diesem Konstantins glühender, leidenschaftlicher Patriotismus sympathisch, und wenn er auch versuchte, das tiefe und feindliche Mißtrauen seines jungen Freundes in die russische Regierung und in die Hoffnungen, welche in Warschau auf den Kaiser Nikolaus gesetzt wurden, zu überwinden und ihn von der Notwendigkeit und Heilsamkeit des Versöhnungswerkes zu überzeugen, so freute er sich doch der festen patriotischen Gesinnung und der jugendlichen Begeisterung, welche die freie Unabhängigkeit des Vaterlandes ersehnte und mit der Fremdherrschaft sich nicht versöhnen wollte. Oft drückte er bei solchen Gesprächen Konstantin die Hand und sagte, mit inniger Teilnahme in dessen bewegtes Gesicht blickend:
»Sie sind ein echter und treuer Pole, mein lieber Konstantin, und das freut mich. Sie werden älter werden und lernen, mit den Notwendigkeiten zu rechnen – die Begeisterung aber sollen Sie sich erhalten, denn das irdische Schicksal gewährt uns immer weniger, als wir ersehnen, und nur, wenn man nach dem Höchsten ringt, kann man das Mögliche erreichen.«
Auch außer den Gesellschaftsabenden verkehrte der Graf viel mit Konstantin, er ritt mit ihm aus und machte mit seiner Gesellschaft weite Ausflüge an den Ufern der Weichsel hin, er schien von Tage zu Tage dessen Gesellschaft immer weniger entbehren zu können und immer mehr Ersatz für den eigenen Sohn in dem Sohn seines Freundes zu suchen, der ihm seinerseits eine innige Dankbarkeit entgegenbrachte, wenn er auch immer dem älteren und höherstehenden Manne gegenüber eine ehrerbietige Zurückhaltung bewahrte.
Die Gräfin behandelte Konstantin mit aller Liebenswürdigkeit, die sie dem Sohn eines Freundes ihres Gemahls schuldig war, aber es war eben die Liebenswürdigkeit der vornehmen Weltdame, in welcher nichts von der warmen Herzlichkeit des Grafen lag und welche ziemlich deutlich erkennen ließ, daß sie eben keine besondere Zuneigung für den düsteren und verschlossenen jungen Mann empfinde.
Seltsam und eigentümlich war das Verhältnis zwischen Konstantin und Luitgarde. Das lebensfrische junge Mädchen, dem die Welt bisher nur Freude und Fröhlichkeit gebracht hatte, fühlte fast eine bange Scheu vor dem finsteren jungen Mann, der so ganz anders war wie alle anderen Herren, die sie bisher umschwärmt hatten. Sie kam dem jungen Freunde ihres Vaters mit offener Herzlichkeit entgegen und begrüßte ihn jedesmal, wenn er kam, als ob er zur Familie gehörig sei. Konstantin aber erwiderte ihren Gruß nur mit einigen außerordentlich artigen, aber kühlen und zeremoniellen Worten, es war ihr unmöglich, eine eingehende Unterhaltung mit ihm zu führen, er beantwortete jede Bemerkung, die sie an ihn richtete, aber tat nichts, um das Gespräch weiter zu führen. Luitgarde war befremdet und verletzt über eine solche fast unartige Zurückhaltung von seiten eines jungen Menschen, der nur um wenige Jahre älter war als sie, den ihr Vater so außerordentlich auszeichnete und dem sie deshalb mehr als jedem andern Fremden entgegen kam. Auch die Eitelkeit des durch die Huldigungen aller Welt verwöhnten Mädchens fühlte sich dadurch verletzt, daß gerade dieser Konstantin, dem ihr Vater, der doch die Menschen kannte, einen so großen inneren Wert beilegte, ihr eine hochmütige, wie sie meinte, und darum kränkende Gleichgültigkeit zeigte, und dann vermochte sie auch sein Benehmen gegen sie nicht mit dem Eindruck zu vereinen, den sie von seiner ersten Bekanntschaft zurückbehalten hatte, als sie damals den Masurek mit ihm tanzte. Da hatte es in seinen Augen geflammt wie ein aus den Tiefen aufloderndes vulkanisches Feuer, sein ganzes Wesen war umflossen gewesen von einem Hauch glühender Leidenschaft, und als er sie in seinen Armen hielt, sie vor dem Fall zu bewahren, da war es ihr vorgekommen, als ob ein heißer Glutstrom von ihm aus zu ihr herüber flutete. Gesprochen hatte er auch damals nur Weniges und Gleichgültiges; aber jener Eindruck des Tanzes, der selbst dem Großfürsten Konstantin ein lautes Bravo entlockt hatte, war ihr unvergeßlich geblieben und um so mehr war sie begierig gewesen, in das innere Wesen Konstantins einen Einblick zu gewinnen, um so mehr kränkte sie seine eisige Kälte, die doch nicht in seiner inneren Natur liegen konnte, denn so kalt und stolz auch der Ausdruck seines jugendlich schönen Gesichts war, so konnte er doch den Widerschein des inneren Feuers nicht aus seinen großen, tiefdunklen Augen bannen. Häufig, wenn er in eifriger Unterhaltung mit ihrem Vater in einer Ecke des Salons saß, fühlte sie es, wenn seine Blicke sich ihr zuwendeten, wie einen magischen Strom, und wenn sie dann zu ihm hinübersah, flammten seine Augen so heiß glühend zu ihr hin, daß sie scheu und erschrocken zusammenzuckte und zuweilen den Platz wechselte, weil sie es nicht vermochte, sich von dem Bann dieser Blicke frei zu machen. Er war für sie ein Rätsel und gerade darum, weil sie die Lösung dieses Rätsels nicht finden konnte, beschäftigte sie sich mehr mit ihm, als sie es sonst getan haben würde. Sie fragte den Staatsrat Malgienski nach seinem Vetter und sie sprach die Vermutung aus, daß derselbe vielleicht irgend einen geheimen Kummer habe, der sein Leben verdüsterte.
Malgienski antwortete ihr mit seiner gewöhnlichen ruhigen Sicherheit, daß Konstantin ein Pedant sei, der sich in grübelnde Studien und Phantasien vertiefe und keinen Sinn habe für die Freuden und Genüsse, die das Leben einem jeden biete, und für die Pflichten, die ein jeder auf sich nehmen müsse. Einen besonderen Kummer, der seinen Vetter drücken könne, kenne er nicht, derselbe müßte denn in den zwei Jahren, während er die Welt durchstreift, irgendein tragisches Erlebnis gehabt haben, doch glaube er das nicht, da Konstantin sich während seiner Reisen ebenso wie früher auf der Universität und jetzt in Warschau von dem Verkehr mit der Welt ferngehalten habe. Er tadelte scharf dessen Unhöflichkeit gegen Luitgarde, bat sie jedoch, ihm dieselbe zu verzeihen, sein Vetter sei nun einmal ein seltsamer Mensch, der, wie er hoffe, durch das Leben selbst zu anderen Anschauungen werde erzogen werden, wenn er nicht, was bei seinen Fähigkeiten zu bedauern wäre, für die Welt verloren gehen solle.
Diese Antwort, die er mit wohlwollender Teilnahme gab, befriedigte Luitgardens Neugier durchaus nicht. Der Gedanke einer Möglichkeit eines tragischen Erlebnisses erweckte ihre Teilnahme für Konstantin noch mehr, und vielleicht hätte diese Teilnahme Luitgarde noch mehr dazu gedrängt, trotz Konstantins Widerstreben, die Lösung des Rätsels, das er ihr war, noch eifriger zu verfolgen – vielleicht wäre aus der Neugier und dem Mitleid, wie es so oft der Fall ist, ein tieferes und wärmeres Gefühl in ihrem Herzen erwachsen, wenn nicht ihr ganzes Wesen durch den Einfluß Malgienskis beherrscht gewesen wäre, der in dem täglichen und zwanglosen Verkehr alles tat, um diese Herrschaft zu erhalten und zu befestigen und in immer mehr verständlichen Andeutungen seiner Liebe für Luitgarde einen ebenso zarten als warmen, fast leidenschaftlichen Ausdruck zu geben begann.
Luitgarde verstand solche Andeutungen um so mehr, als die Gräfin Dornowska nicht unterließ, ihr täglich von Malgienskis Liebe zu sprechen, sie selbst glaubte ja, den Mann, auf dessen Huldigung sie so stolz war, zu lieben. Sie war glücklich, ihr Erröten, ihr Lächeln zeigte deutlich, daß sie seine Andeutungen verstände, und oft lag in ihren Augen die Frage, warum er, dem ihr Herz entgegenschlug, nicht noch deutlicher seine Gefühle aussprechen könne. Der Reiz, das Geheimnis, welches Konstantin umgab, zu durchdringen, trat in ihr zurück vor den Gefühlen und Gedanken, die sie nach anderer Richtung hin so ganz in Anspruch nahmen, aber dennoch konnte sie sich nicht von dem Bann befreien, den Konstantins Augen auf sie ausübten, und sein Bild tauchte auch in den hoffnungsvollen, glücklichen Zukunftsträumen, die ihre Seele erfüllten, immer wieder vor ihr auf und erweckte in ihr ein Gefühl von Unwillen, der sich fast bis zum Haß steigerte über die hochmütige Gleichgültigkeit, die er ihr in so verletzender Weise zeigte, daneben aber regte sich dann wieder ein warmes Mitgefühl bei dem Gedanken, daß irgend ein düsteres Geheimnis ein so junges und hoffnungsvolles Leben in seiner erwachenden Blüte zerstört haben möchte.
So standen die Dinge im Hause des Grafen Jaczkonowski, als eines Abends die Gräfin Dornowska, während die Gäste sich verabschiedeten, dem Staatsrat leise zuflüsterte:
»Steigen Sie mit mir in den Wagen – ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
Der Staatsrat bot ihr den Arm, führte sie die Treppe hinab und setzte sich zu ihr, was um so weniger auffiel, da er bei dem schönen Wetter sich selbst keinen Wagen bestellt hatte und jedermann daran gewöhnt war, daß er der bedeutend älteren Dame, die durch ihre Beziehungen viel Einfluß in der Gesellschaft besaß, in galanter Weise seinen Hof machte, ohne daß es irgend jemand eingefallen wäre, daraus irgendwelche Konsequenzen zu ziehen.
»Mein lieber Freund,« sagte die Gräfin, sich ein wenig zu ihm hinüber neigend und die Stimme dämpfend, während der Wagen durch die Straßen dahinrollte, »es ist Zeit, daß Sie mit Luitgarde Ernst machen, wenn Sie wirklich die feste Absicht haben, sich diese Partie nicht entgehen zu lassen.«
»Sie wissen, Gräfin,« erwiderte Malgienski, »daß dies meine Absicht ist. Mache ich denn nicht Ernst? – Ich habe alles getan, um mir ihre Neigung zu erwerben, und es ist mir gelungen, ihr Herz gehört mir; ich bin kein junger Stutzer, deshalb darf ich das wohl sagen, ohne zu fürchten, daß Sie über meine Eitelkeit lachen. Dies ist der rechte Weg, erst wenn ich der Liebe Luitgardens völlig sicher bin, kann und will ich mich um sie bewerben – ich bin nicht geneigt, mich abweisen zu lassen. Luitgarde selbst also muß meine Verbündete sein, denn der Graf liebt mich nicht trotz seiner verbindlichen Artigkeit, die er stets für mich hat – ich täusche mich darüber nicht, denn ich bin gewöhnt, stets mit richtigen Zahlen zu rechnen und mir keine Illusionen zu machen.«
»Nun,« rief die Gräfin, »ich bewundere Ihren Scharfblick, Sie haben recht, Jaczkonowski hat keine Sympathie für Sie, wie es bei der Verschiedenheit der Naturen wohl sein muß; Sie sind der verständige Mann, der, unbekümmert um patriotische Phantasien, seinen Weg zu den Höhen des Lebens sucht und finden wird, in ihm spuken noch immer die alten Ideen aus Kosciuszkos Zeit, und wenn er jetzt eine Aussöhnung mit der Notwendigkeit sucht, so geschieht dies nur mit dem Bedauern, daß es eben nicht anders geht, er würde sehr zufrieden sein, wenn er in Luitgardens Abneigung oder auch in ihrer Gleichgültigkeit einen Grund fände, Ihre Bewerbung abzulehnen.«
»Ich weiß es wohl,« sagte Malgienski stolz und selbstgefällig, »doch ist dafür gesorgt. Luitgarde soll es sein, die durch das Geständnis ihrer Neigung zu mir die Ablehnung unmöglich macht, ihren Bitten wird er nicht widerstehen, sie werden ihm jeden Vorwand nehmen, da er an mir doch wohl nichts auszusetzen finden kann und auch der Großfürst mir zur Seite steht.«
»Ihre Rechnung ist gut, aber es könnte ein Strich durch dieselbe gemacht werden; der Graf hat andere Pläne mit Luitgarde.«
»Andere Pläne, und welche?« rief Malgienski hoch aufatmend.
»Sie haben wohl bemerkt, wie er Konstantin Backlowicz auszeichnet – nun neulich, er hat seiner Gemahlin erklärt, daß er diesen jungen Menschen, der mir langweilig und unausstehlich ist mit seinem gespreizten Wesen, dazu ausersehen habe, ihm den Sohn zu ersetzen, und daß es sein innigster Wunsch sei, ihn mit Luitgarden zu vermählen. Die Gräfin sprach mir ganz erschrocken davon. Sie wissen wohl, daß sie lebhaft wünscht, Sie als Schwiegersohn zu begrüßen.«
»Konstantin Backlowicz?« rief Malgienski mit gezwungenem Lachen; »ein junger Phantast ohne Stellung und ohne Aussicht, eine solche jemals zu erlangen –«
»Nun,« fiel die Gräfin ein, »dem Schwiegersohn und Erben des Grafen Jaczkonowski würde es an einer Stellung nicht fehlen.«
»Und wenn«, warf Malgienski ein, »wirklich ein so törichter Gedanke bei dem Grafen aufgetaucht sein sollte, so hat das nichts zu bedeuten. Luitgardens Herz gehört mir, darüber täusche ich mich nicht – Konstantin Backlowicz hat keinen Ehrgeiz und liebt auch Luitgarden nicht, er ist fast unartig kalt gegen sie, und der Plan des Grafen würde bei denen, die er betrifft, den meisten Widerstand finden. Nein – nein – Konstantin liebt Luitgarde nicht.«
»Meinen Sie?« fragte die Gräfin; »ich will es nicht behaupten – wohl ist er kalt und zurückhaltend gegen sie, aber stille Wasser sind tief, und zuweilen hat es mir vorkommen wollen, als ob seine Blicke wunderbar aufflammten, wenn er sie ansieht – ein Wort des Grafen könnte leicht die glimmenden Funken zu hellen Flammen anfachen, und die Flamme der Leidenschaft wirkt zündend, sie könnte hinüberschlagen zu Luitgardens Herzen. Das Mädchen ist ganz dazu geschaffen, auch in ihr fließt das heiße Blut ihres Vaters, und käme es je dazu, daß in ihrem Herzen eine Leidenschaft aufloderte, die häufig mit der Schnelligkeit des Blitzes sich entzündet, so könnte doch vielleicht der junge Phantast Ihnen gefährlich werden, und die glänzende Partie wäre für Sie verloren. Darum versäumen Sie keinen Augenblick – noch sind Sie Luitgardens sicher, noch wird sie dem Vater ihre Liebe bekennen und damit Ihnen den Sieg über alle Hindernisse bringen. Warten Sie nicht länger, die Herzen der Frauen und der jungen Mädchen besonders sind wandelbar; ich habe bemerkt, daß Luitgarde häufig von dem jungen Backlowicz spricht und über den Grund seiner finsteren Zurückhaltung nachdenkt.«
Malgienski schwieg einen Augenblick.
»Ich glaube meiner Sache gewiß zu sein,« sagte er, »doch vielleicht haben Sie recht, wenn ich auch keine Veränderung voraussetze und einen Nebenbuhler wie Backlowicz nicht fürchte. Es wird immerhin gut sein, eine Sache zu Ende zu bringen, die ja vollständig vorbereitet ist. Der Großfürst machte neulich eine Bemerkung, und ich liebe es nicht, daß man von unfertigen Dingen spricht; vielleicht hätte ich schon die Sache zur Entscheidung gebracht, aber es ist schwer, im Salon unter so vielen Augen Luitgarde eine Erklärung zu machen.«
»Dafür will ich sorgen,« sagte die Gräfin. »Lassen Sie mich machen, ich werde in den nächsten Tagen eine Landpartie vorschlagen, dort werden Sie Gelegenheit finden, mit Luitgarde zu sprechen, und wenn es nötig ist, so werde ich für solche Gelegenheit sorgen. Dann aber zögern Sie nicht länger, ich bin ein wenig dabei interessiert – ganz abgesehen davon, daß ich Ihre Freundin bin, so möchte ich mir auch das Jaczkonowskische Haus erhalten, das für mich eine halbe Heimat geworden ist und mir unerträglich werden würde, wenn dort dieser finstere, pedantische Backlowicz seinen Einzug halten sollte. Die Gräfin ist auf Ihrer Seite, und wenn Luitgarde dem Grafen ihre Liebe bekennt, so ist alles in Ordnung, ob er es vielleicht auch innerlich anders wünschen möchte. Doch da sind wir vor meinem Hause. Es ist also alles abgemacht. Vergessen Sie in Ihren Berechnungen nicht, daß die Menschenherzen veränderlich sind, vor allen Dingen die Herzen junger Mädchen.«
»Das müssen Sie wissen –« sagte der Graf spöttelnd, während er aus dem Wagen sprang und der Gräfin die Hand bot, sie beim Aussteigen zu stützen.
»Im übrigen danke ich Ihnen für Ihre Freundschaft und werde Ihren Rat befolgen.«
Der Lakai hatte die Haustür geöffnet. Der Graf empfahl sich und ging gedankenvoll nach seiner Wohnung.
»Sie irrt sich,« sagte er vor sich hin, »Luitgarde gehört mir, doch – wenn es möglich wäre – dieser Konstantin ist anders wie die anderen. Ich will ein Ende machen, die Frucht ist reif, und wenn dieser düstere Träumer mir in den Weg treten sollte, so habe ich ja noch ein Mittel, ihn unschädlich zu machen.«
Als er über die Schwelle trat, kam ein Reiter die Straße heraufgesprengt und hielt vor dem Hause. Der Staatsrat erkannte einen der Ordonnanz-Unteroffiziere von der Garde, welche stets für den Dienst des Großfürsten bereit standen.
»Staatsrat von Malgienski!« rief der Unteroffizier, sein Pferd parierend.
»Hier,« sagte der Staatsrat herantretend – »was bringt Ihr mir?«
»Seine Kaiserliche Hoheit«, erwiderte der Unteroffizier salutierend, »wollen den Herrn Staatsrat sogleich sprechen.«
Malgienskis Herz schlug höher. Man bedurfte seiner – das war der Weg zu immer festerem Vorschreiten, dem Ziel seines Ehrgeizes entgegen. Sein Gesicht blieb unbeweglich.
»Ich werde sogleich zu Seiner Kaiserlichen Hoheit Befehl stehen,« sagte er ruhig, befahl dem Diener, der ihm die Tür geöffnet hatte, den Wagen nachzusenden, und folgte dann dem davonsprengenden Unteroffizier nach dem Palais Belvedere.