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Siebentes Kapitel.

Konstantin befand sich am Tage, welcher der Landpartie nach Bielany folgte, noch ganz unter den mächtigen Eindrücken, die dort auf ihn eingestürmt waren, er hatte die Worte des Grafen, als dieser den Wunsch aussprach, ihn seinen Sohn nennen zu dürfen, wohl verstanden, und es war ihm, so frei er auch von aller Selbstüberschätzung sich fühlte, nicht zweifelhaft, daß der Graf ihn mit Freuden als seinen Schwiegersohn begrüßen würde. Der innige Gefühlsausbruch, in welchem Luitgarde ihre Teilnahme an dem Schicksal seines Freundes Kasimir gezeigt, die Tränen, welche sie um diesen und das Vaterland geweint, hatten ihm den Zweifel genommen, daß Luitgarde nur die reine Weltdame und keiner ernsten Gedanken und Empfindungen fähig sei.

Mit dem Schwinden dieses Zweifels erwachte die in der Tiefe seines Herzens verschlossene Liebe immer stärker und überwältigender, und sein Entschluß, dieser Liebe, deren er sie bis dahin nicht für wert gehalten, zu entsagen, um sich dem Dienst des Vaterlandes frei zu erhalten, wurde ihm schwerer und schwerer.

War es nicht ein Verbrechen gegen sich selbst, wenn er sich das höchste Glück des Lebens versagte, ohne den bisher für solche Entsagung in seiner Überzeugung vorhandenen Grund? Würde nicht Luitgarde in der Gesinnung, die sie gestern in plötzlichem Ausbruch gezeigt und die er weiter und weiter in ihr pflegen und kräftigen konnte, wenn einmal der Augenblick des Kampfes käme, ihn mit Freuden hinausziehen lassen, um sein Leben für die Freiheit einzusetzen? Und wenn dieser Augenblick nicht kam, warum sollte er einsam und verbittert durchs Leben gehen, ohne daß der Sache, für die sein Herz schlug, dadurch irgend genützt würde – ja, würde nicht Luitgarde selbst, wenn sie an seiner Seite sich immer mehr von der Oberflächlichkeit der Welt abwendete, in ihm das heilige Feuer der Begeisterung für das Vaterland und die Freiheit nähren und immer heller entflammen? Er sah ihre tränenden Augen, aus denen die Begeisterung für die Freiheit und das Vaterland hervorblitzte, vor sich, er fühlte den warmen Druck ihrer Hand, als er diese an seine Lippen preßte; voll heißer Sehnsucht schlug sein Herz diesem Erinnerungsbild entgegen, und wenn er an den Blick dachte, den sie zu ihm aufgeschlagen, so fühlte er auch die Hoffnung in seinem Herzen keimen, daß es ihm wohl gelingen könne, ihre Liebe zu erringen. Ihm war in jenem Augenblick zumut gewesen wie Pygmalion, als er die schöne Natur, die er bis dahin als kalten Marmor betrachtet und bewundert, sich plötzlich zum Leben erwärmen und aus ihren Augen den Strahl der heißen Empfindung und der Liebe hervorbrechen sah – warum sollte er nicht werben um das unsägliche Glück, das ihm winkte, da des Grafen väterliche Freundschaft ihm diese Werbung so leicht machte, und konnte er nicht auch seiner Sache mehr nützen durch den Einfluß, den ihn seine Stellung als Schwiegersohn des Grafen Jaczkonowski geben mußte? Freilich, der Graf dachte anders als er, er wollte den Weg der Versöhnung gehen, an die Konstantin selbst nicht glaubte, aber wenn die Unmöglichkeit solcher Versöhnung auch dem Grafen klar werden würde, dann konnte der alte Kämpfer Kosciuszkos ihn nicht zurückhalten von dem Ringen um die Freiheit des Vaterlandes. Alle diese wechselnden Gedanken und Zweifel wogten und stürmten in seiner Seele, der Augenblick im Walde von Bielany, als Luitgardens Hand in der seinen zitterte und ihr Blick in sein Herz hinein leuchtete, hatte sein ganzes Wesen verändert, immer mehr schwankte der Entschluß der Entsagung und Zurückhaltung, der ihm schon so viel schwere innere Kämpfe bereitet hatte. Er nahm das Bild Luitgardens, das er in stillen, träumenden Stunden entworfen, zur Hand und fügte der Zeichnung den Ausdruck des traurigen und doch schwärmerisch begeisterten Blicks hinzu, den er gestern in ihrem Auge gesehen. Es gelang ihm vollkommen, dem Bilde diesen Ausdruck, der so tief in seine Seele gedrungen war, in entsprechender Lebenswahrheit zu geben. Er faltete die Hände, sah das Bild lange an, das doch immer noch so weit hinter der Wirklichkeit zurückblieb, da ihm der warme Hauch des lebendigen Atems, der süße Reiz des in den Adern pulsierenden Blutes fehlte, und rief endlich, tief aufatmend:

»Ja, ich will die Werbung um mein Glück wagen, ich habe nicht das Recht, es von mir zu weisen, das mir so lieblich entgegenlächelt, und mein Leben zu tatloser Trauer zu verurteilen, ich will mich nicht von ihr zurückhalten, zu der mein Herz mich mit übermächtiger Gewalt hinzieht! Wenn ich in ihr das finde, das gestern aus ihren Augen sprach, dann will ich alle Kraft ansetzen, um ihre Liebe zu gewinnen und ihrer Liebe würdig zu sein.«

Während er noch, in dem Anblick des Bildes versunken, dasaß, wurde an seine Tür geklopft, und ein Diener in grauer Livree, ohne Abzeichen, brachte die höfliche Einladung des Staatsrats Lubowitzki, des Vizepräsidenten der Warschauer Polizei, denselben auf seinem Bureau im Rathause zu besuchen.

»Was will der Herr Präsident von mir?« fragte Konstantin verwundert.

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Diener, »ich habe nur den Befehl erhalten, dem Herrn von Backlowicz die Einladung zu bestellen; es wird wohl irgendeine Auskunft betreffen, um die der Herr Präsident den gnädigen Herrn selbst ersuchen will.«

»Ich komme,« erwiderte Konstantin und der Diener zog sich, ehrerbietig grüßend, zurück. »Plackereien und Weitläufigkeiten ohne Ende,« murrte Konstantin, während er sich ankleidete; »doch ich will schnell hingehen, um die Sache zu erledigen, etwas Ernstes kann ja da nicht sein, eine Gefahr kann mir nicht drohen, ich habe ja bis jetzt nichts getan, als gute Wünsche für die Freiheit des Vaterlandes im Herzen zu tragen und mich bestrebt, überall für die Erhaltung und Stärkung der Liebe zum Vaterland zu wirken, was ja auch diejenigen tun, die für die Politik der Versöhnung eintreten, zu der die russische Regierung sich äußerlich bekennt.«

Er blickte noch einmal auf das Bild Luitgardens.

»Ja, ja,« sagte er, »diese Augen sollen mir nicht vergebens geleuchtet und mir des schönsten Glücks süße Hoffnung erweckt haben – ich will kämpfen um dies Glück, und wenn ich Luitgardens Liebe erringen kann, fürchte ich die ganze Welt nicht!«

Er schloß das Bild andächtig, als ob es ein Heiligtum sei, in seinen Schreibtisch und begab sich nach dem Rathaus.

Er nannte dem Türsteher seinen Namen.

Dieser sagte einem der zahlreich bereitstehenden Gendarmen einige Worte und Konstantin wurde durch verschiedene, langgestreckte Korridore in den hinteren Teil des Rathausgebäudes geführt, welcher dem Publikum verschlossen war.

Ein seltsames Gefühl der Bangigkeit überkam ihn, als er so an der Seite des Gendarmen durch die düsteren, menschenleeren, hallenden Gänge dahinschritt.

Er lächelte über seine eigene Bangigkeit und dachte darüber nach, wie leicht doch die menschliche Natur durch außerordentlichen Nervenreiz der Furcht zugänglich gemacht werden könne, während die meisten einer wirklich drohenden Gefahr mutiger entgegentreten.

Der Gendarm öffnete eine Tür am Ende des Korridors und Konstantin trat in ein düsteres Bureauzimmer, in welchem ein alter Mann mit einem faltigen, vergilbten Gesicht, dem man es ansah, daß er in der mechanischen Arbeit des täglichen Dienstes längst alles eigene menschliche Denken und Empfinden verloren habe, an einem mit Papieren bedeckten Schreibtisch saß.

Er steckte die Feder, mit welcher er geschrieben, hinter das Ohr, schob das kleine Käppchen, das sein dünnes graues Haar bedeckte, ein wenig hinter die Stirn zurück und sah durch seine große Stahlbrille den Eintretenden fragend an.

»Mein Name ist Backlowicz,« sagte Konstantin befremdet über diesen Empfang, »der Herr Präsident Lubowitzki hat mich um meinen Besuch bitten lassen.«

Der graue Mann schlug ein Aktenstück auf, blickte flüchtig in dasselbe und sagte mit einer heisern, wie aus einem Grabe hervortönenden Stimme:

»Der Herr Präsident haben mir seine Befehle gegeben. Sie befinden sich in Untersuchung, Herr von Backlowicz, und werden für die Dauer derselben vorläufig in Haft genommen.«

Konstantin war starr vor Entsetzen.

»In Untersuchung,« fragte er zitternd, »in Haft genommen – und warum? Wessen klagt man mich an?«

Der Beamte schien erstaunt über die Zumutung einer Auseinandersetzung.

»Es handelt sich noch nicht um eine Anklage,« sagte er in vorwurfsvollem Ton; »wie ich Ihnen gesagt, ist nur eine Untersuchung eingeleitet, und während der Dauer derselben sollen Sie in Haft gehalten werden, um eine Flucht zu verhüten. Es ist jedoch deshalb verfügt, daß Sie in Ihrer Haft alle Bequemlichkeiten genießen, welche den Untersuchungsgefangenen von Stande gewährt werden.«

»Das ist unerhört!« rief Konstantin. »Ohne Urteil und Recht soll ich in Gefangenschaft gehalten werden, deren Dauer also nur von der Willkür abhängt? Das ist gegen die Verfassung des Königsreichs!«

Der Beamte blickte ihn groß an, als ob er mit diesen Worten keinen Sinn zu verbinden vermochte.

Dann sah er auf eine neben ihm liegende Liste und sagte in ruhig gleichgültigem Tone zu dem Gendarmen:

»Das Zimmer Nummer acht ist frei – führen Sie den Arrestanten dorthin. Er wird nach der Regel für die erste Klasse beköstigt. Tinte und Feder darf ihm gegeben werden. Eine halbe Stunde täglich wird er in dem innern Hof spazieren geführt und darf ihn niemand dort sehen. Auch darf er keine Briefe erhalten, und niemand, der nach ihm fragt, darf Auskunft über ihn gegeben werden.«

Er nahm die Feder wieder zur Hand und setzte in das Aktenstück einen Vermerk mit einer Miene, als ob diese Sache nun völlig zur Zufriedenheit erledigt sei.

»Also lebendig begraben!« rief Konstantin. »Lieber tot als in den Kerkermauern einer Regierung, die das von ihr selbst gegebene Recht und Gesetz mit Füßen tritt.«

Der Beamte blickte auf, ohne daß sich irgend eine Bewegung auf seinem Gesicht zeigte.

Er streckte die Hand nach einem über seinem Schreibtisch herabhängenden Klingelzug aus und sagte zu dem Gendarmen:

»Sie wissen, was Sie zu tun haben. – Ihnen aber, mein Herr, rate ich, durch rebellischen Widerstand Ihre Lage nicht zu verschlimmern, die vielleicht gar nicht so schlimm ist – Sie haben ja gehört, daß es sich nur um eine Untersuchung handelt, und wenn Sie sich keiner Schuld bewußt sind und alle Fragen der Wahrheit gemäß beantworten und nichts verheimlichen, so werden Sie vielleicht bald wieder in Freiheit gesetzt.«

Konstantin überlegte trotz des in ihm lodernden Zornes, er begriff vollständig, daß hier jeder Widerstand erfolglos sein müsse, daß er in vergeblichem Kampf sein Leben ohne Zweck einsetzte. Es konnte ja nur ein Mißverständnis sein, der Graf Jaczkonowski und sein Vetter Malgienski mußten ja für ihn eintreten, wenn sie seine Verhaftung erfuhren, und so neigte er denn den Kopf und schickte sich an, dem Gendarmen zu folgen, der bereits die Hand an seinen Degen gelegt hatte.

Der Beamte ließ den Klingelzug los.

Der Gendarm ließ Konstantin voranschreiten und führte ihn so nach einem inneren Hof.

Hier stand ein geschlossener und innen vergitterter Wagen bereit.

Ein Polizeisergant, der bereits wartete, stieg auf den Bock, der Gendarm setzte sich mit schußfertigem Karabiner zu dem Gefangenen, und in scharfem Trabe fuhr der Wagen davon, ohne daß Konstantin durch die geschlossenen, die Gitter verdeckenden Fenstervorhänge den Weg erkennen konnte.

Er war wie betäubt von diesem unerwarteten Schlage. Zuweilen wohl kam ihm der Gedanke, eine gewaltsame Flucht zu versuchen, aber sie wäre der sichere Untergang gewesen, er hatte auch nicht die geringste Waffe bei sich und zweifelte nicht, daß der Gendarm von der seinigen den rücksichtslosesten Gebrauch machen würde. Er tröstete sich immer wieder mit dem Gedanken, daß dies alles nur ein Mißverständnis oder ein Übereifer der Polizeibehörde sei und bald Aufklärung finden müsse.

So fügte er sich denn in sein Schicksal.

Er hatte ja nicht das Recht, sein Leben, das dem Vaterlande gehörte, hoffnungslos einzusetzen, und nun hatte ja auch dies Leben einen ganz neuen Wert für ihn gewonnen, seit die Hoffnung eines so reichen und holden Glücks in ihm aufgelebt war, wie er es früher gar nicht geträumt hatte.

Der Wagen fuhr nach kurzer Zeit in ein hallendes Tor ein, und als Konstantin ausstieg, erkannte er an einer seitwärts aufragenden Kuppel, daß man ihn in das sogenannte Karmelitergefängnis gebracht habe.

Es war dies ein Teil des alten Karmeliterklosters, den die Regierung zu einem Gefängnis verwendet hatte und der mit dem noch von dem Orden benützten Gebäude keinen Zusammenhang hatte, da die Verbindungen vermauert worden waren.

Der Gendarm führte Konstantin durch ein gewölbtes Tor zu einem Gang, in welchem ein Schließer eine schwere, eisenbeschlagene Tür, welche mit einer großen römischen Acht bezeichnet war, öffnete.

Konstantin trat in ein weiß getünchtes Gemach mit gewölbter Decke und einem durch starke Eisenstäbe vergitterten Fenster, das nach dem Hof hinaus ging und auf der inneren Hälfte mit einer Blende bedeckt war.

Dieser Raum, der einst eine Mönchszelle gewesen sein mochte, enthielt ein Bett, einen Tisch, einige Stühle und ein mit Roßhaar überzogenes Kanapee und machte einen trüben Eindruck, obwohl er immer mehr Behaglichkeit zeigte als eine gewöhnliche Gefängniszelle.

Der Gendarm erteilte dem Wärter, einem alten Mann in der russischen Militäruniform, mit rotem Gesicht und starkem Schnurrbart, seine Instruktion und ging davon.

Auf Konstantins dringende Frage, wann er ein Verhör zu erwarten habe, antwortete ihm nur ein gleichgültiges Achselzucken.

»Sie sollen gut behandelt werden, Nummer acht,« sagte der alte Sergeant mit einer gewissen freundlichen Gönnermiene, »machen Sie sich also keinen Kummer, vielleicht wird es nicht lange dauern, es ist schon oft vorgekommen, daß meine Gäste hier bald wieder fortgegangen sind, wenn sie gute Freunde haben, die für sie sprechen, und ich werde alles tun, um Ihnen das Leben angenehm zu machen, denn der alte Wassili Gregorjewitsch ist ein guter Mann und hat ein gutes Herz, und die Gefahr des Entwischens, das sage ich Ihnen gleich, ist hier nicht vorhanden. Die Tür da und das Fenster stehen ihren Mann, und draußen aus den Hofmauern würde auch wohl niemand herauskommen, das haben schon die alten Mönche so eingerichtet. Ich werde Ihnen Papier und Schreibzeug bringen, das ist erlaubt, und bei der Beköstigung erster Klasse werden Sie sich auch ganz wohl befinden, und wenn Sie sonst einen Wunsch haben, so sagen Sie's nur, wenn es angeht, will ich ihn gern erfüllen.«

Konstantin dankte dem Alten für seine freundliche Anerbietung und versuchte auch, von ihm zu erfahren, ob er bald auf ein Verhör zu rechnen habe.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen,« erwiderte der alte Wassili, »oft hat's wohl lange gedauert, ehe die Gefangenen vorgeführt wurden, wie es auch bei Ihrem Vorgänger der Fall war.«

»So hat man ihn ohne weiteres wieder frei gegeben?« fragte Konstantin.

Der alte Wassili zuckte die Achseln.

»Frei gelassen wohl nicht – er ist mit einem Gendarmen da draußen in einen Wagen gestiegen und ist fortgemacht – wohin, das weiß ich nicht, es wird wohl nach Petersburg gewesen sein – und von dahin vielleicht weiter hinauf nach Sibirien.«

»Entsetzlich!« rief Konstantin. »Und wer war es, den ein so grausames Schicksal getroffen?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr, ich kenne die Namen meiner Gefangenen nicht und will sie auch nicht wissen. Was geht's mich an! Sie sind Nummer acht für mich, und ich glaube, wir werden gute Freunde werden, so lange Sie hier sind – Sie haben ein Gesicht, das mir gefällt, ich habe gern Gesellschaft, mit der ich einmal ein Wort plaudern kann. Der vorige, der Ihre Nummer führte, war finster und sprach kein Wort, das war nichts für mich, aber einer von den früheren, das war ein freundlicher, lieber Herr, und wenn ich ihm sein Essen brachte, dann teilte er seine Flasche Wein mit mir. Wir haben manche behagliche Stunde da zusammen gesessen, und so sehr ich's ihm gönnte, so tat es mir doch leid, als er freigelassen wurde. Nun aber will ich gehen und für Ihr Abendessen sorgen – richten Sie sich ganz nach Belieben hier ein.«

Er ging davon, und als der Schlüssel von außen im Schloß knirschte, warf sich Konstantin wie gebrochen auf das Kanapee nieder.

»Nummer acht!« rief er. »Namenlos geworden! Ausgeschlossen aus der menschlichen Gesellschaft und ein unbekanntes Nichts sogar für den Kerkermeister! Jetzt, wo das Leben in neuem Morgenglanz mir entgegenstrahlte. O, mein Gott, wie ist es möglich, daß mein unglückliches Vaterland so grausam geschlagen werden kann in denen, die es lieben, während die, die es verraten, sich in den Strahlen des Glückes sonnen!«

Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und lag einige Augenblicke in dumpfer Verzweiflung, keines Wortes mächtig, keines klaren Gedankens fähig, da. Aber seine Natur war nicht dazu geschaffen, unter der Last des Leidens zu ermatten, und der Jugend höchster Schatz, die Hoffnung, regte sich wieder in seinem Herzen. Dumpfes Brüten konnte zu nichts helfen, er mußte vor allem die Klarheit seiner Gedanken und die Kraft seines Willens erhalten, um die Möglichkeit der Rettung zu erspähen und dieselbe zu erfassen, wenn sie sich darbot. Die Hoffnung, daß hier ein Mißverständnis vorhanden sei, war freilich verschwunden; ebenso rechnete er nicht darauf, daß der Graf Jaczkonowski oder der Staatsrat Malgienski die Möglichkeit finden möchten, für ihn einzutreten. Was ihm der Schließer von seinem Vorgänger in der Zelle erzählt, daß dieser ohne Verhör fortgebracht sei, mußte ihn befürchten lassen, daß man auch ihn mit einem vollständigen Geheimnis umgeben und ohne Untersuchung und Verurteilung in die Verbannung senden möchte. Es kam also darauf an, entweder einen Weg zu finden, um seinen Freunden, Kasimir vor allem, Kunde von seinem Schicksal geben zu lassen oder aber Mittel und Wege zur Flucht vorzubereiten. Das schien zwar unmöglich, aber er erinnerte sich, von vielen gelungenen Fluchtversuchen aus ebenso sicheren Gefängnissen wie das seine gehört zu haben, und was anderen gelungen war, warum sollte er es nicht versuchen? Zu dem allem war aber nötig, daß er sich auf möglichst guten Fuß mit seinem Wächter stellte, um denselben entweder zu überlisten oder für sich zu gewinnen.

Blitzartig stiegen die verschiedensten Pläne in ihm auf, um freilich ebenso schnell wieder als unhaltbar zurück zu sinken. Aber diese geistige Arbeit gab ihm die Spannkraft wieder, so daß er mit ruhiger, fast heiterer Miene den alten Wassili empfing, als dieser die Türe aufschloß, um ihm sein Abendessen zu bringen.

Es war eine einfache, aber immerhin für einen Gefangenen noch ziemlich gute Kost, welche der Alte auf den Tisch stellte, dazu eine Flasche Rotwein von freilich nicht erster Qualität. Auch zündete Wassili zwei Kerzen an und hatte Papier und Schreibzeug in seinem Korbe mitgebracht.

Diese Rücksicht gab Konstantin einige Hoffnung wieder. Wenn er von vornherein verurteilt war, wozu sollte man ihn besser behandeln als andere Strafgefangene?

Er aß wenig, trank ein Glas Wein und bat Wassili, die Mahlzeit und den Trunk mit ihm zu teilen.

Der alte Sergeant nahm diese Einladung ohne weiteres an, verzehrte mit vortrefflichem Appetit die Speisen bis auf den letzten Rest, trank ebenso den Wein bis auf die Nagelprobe aus und schien sehr zufrieden damit, daß sein Gefangener ihm bei der Teilung einen so überwiegenden Anteil überließ.

Er blieb lange sitzen, erzählte von seinen Feldzügen im Kaukasus und wünschte endlich mit kräftigem Händedruck seinem Gefangenen eine gute Nacht, bevor er die Zelle verließ und von außen die Tür mit den schweren Schlüsseln und den starken Riegeln verschloß.


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