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3. Der Schatz der Mixtekas

Der Freudentag verlief ungestört, zumal sich der Graf ganz und gar nicht sehn ließ.

Er wußte ja nun, was er hatte wissen wollen, und ließ durch seine beiden Diener seine Sachen packen. Nach dem Abendessen erklärte er Arbellez, daß er noch während der Nacht abreisen werde. So auffallend dies erscheinen mochte, der Haziendero fragte ihn nicht nach der Ursache und versuchte auch nicht, ihn zu halten. Als Alfonso später das Haus verließ, traf er Karja, die noch einige Zeit im Garten verweilt hatte. In der Überzeugung, nun am Ziel zu sein, beging er im Übermut die Unklugheit, zu ihr zu sagen:

»Soeben habe ich Arbellez gesagt, daß ich abreise.«

»Wohin?« fragte sie.

»Nach der Landeshauptstadt.«

»Und der Schatz?«

»Den hole ich mir natürlich vorher. Das heißt, wenigstens einen Teil. Meine Diener stehn mit einer Anzahl Maultieren bereit, und ich werde jetzt nach dem Berg El Reparo reiten, um die Schätze zu heben. Von dort aus gehts sofort nach Mexiko.«

»Wann kommst du wieder?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wirst du mich von hier abholen?«

»Ja, sobald die Pläne, von denen ich sprach, geglückt sind.«

Der spöttische Ton in seinen Worten blieb der Indianerin nicht verborgen. »Wenn du nicht zurückkehrst, werde ich dich in der Hauptstadt aufsuchen.«

»Das müßte ich mir sehr verbitten. Du hast meine Rückkehr hier abzuwarten!« Sein Ton wurde herrisch und hochmütig.

»Wie sprichst du zu mir?« fragte sie beklommen. »Ich hätte nicht geglaubt, daß ein Graf von Rodriganda seine künftige Gattin so behandeln könne!«

»Die Schuld liegt an dir. Wenn du so anmaßend bist, kann ich dich nicht in unsre Kreise einführen.«

Nun sah sie erschrocken auf und stammelte: »Ich fühle, du – – hast – – mich betrogen! Es war dir nur um die Kenntnis der Schatzkammer zu tun!«

»Ein Graf betrügt nie; ich habe dich nur ein wenig überlistet. Der Schatz ist mein, und wenn du dich meinen Wünschen nicht fügst, entbindest du mich von meinem Eheversprechen.«

Karja stieß einen gellenden Schrei aus.

»Lügner, Treuloser!« rief sie.

Der Graf erschrak über seine unbedachte Rede. Im Hausflur vernahm er nahende Schritte. Sein Übermut wich einer plötzlichen Angst, und so schnell ihn seine Füße trugen, eilte er nach der Stelle, wo seine Diener ihn erwarteten. Karja wankte, ihrer Sinne kaum mächtig, ins Haus und sank Arbellez förmlich in die Arme, der die Ohnmächtige in den Saal trug.

Nach kurzer Zeit waren sämtliche Bewohner des Hauses von ihm zusammengerufen. In der Aufregung fiel es zunächst niemand auf, daß Büffelstirn und der Deutsche fehlten. Emma kniete bei der Bewußtlosen nieder. Da schlug Karja die Augen auf, machte sich von den Armen der Freundin frei und erhob sich. Während eine fieberhafte Röte über ihr Antlitz flog, rief sie aus:

»Uff! Wer geht mit mir, um den Grafen, der ein Lügner und Verräter ist, zu fangen und zu töten? Er will den Schatz der Könige stehlen und ist mit zwei Dienern fort nach dem Berg Reparo.«

»Himmel!« fiel da Emma ein. »Auch Señor Unger ist mit Tecalto hin. Ich sollte es eigentlich nicht verraten, aber die Verhältnisse zwingen mich dazu ...«

»Oh, das ist Gefahr, das ist Gefahr!« rief die Indianerin. »Der Graf wird Señor Unger und meinen Bruder dort finden und sie töten. Señor Arbellez, blast in das Nothorn! Laßt Eure Vaqueros und Ciboleros kommen! Sie müssen nach der Höhle des Schatzes, um die zwei zu retten.«

Jetzt gab es einen Wirrwarr von Fragen und Antworten, bei dem nur der Apatsche seine Ruhe bewahrte. Sein Auge hing mit Wohlgefallen an Karja, die sich jetzt, in der Aufregung und im Zorn, ganz als Indianerin zeigte. Nun ergriff er das Wort:

»Wer weiß, wo die Höhle liegt?«

»Ich«, erwiderte Karja. »Ich werde euch führen.«

»Kann man reiten?«

»Ja.«

»So gebt mir dieses Mädchen und einen Vaquero mit! Mehr brauche ich nicht, denn wir haben es nur mit drei Gegnern zu tun.«

»Ich gehe auch mit!« rief Arbellez.

»Nein!« entschied der Apatsche. »Wer soll auf der Hazienda befehlen? Man gebe mir einen Mann mit; die andern beschützen die Hazienda!«

Dabei blieb es. Der Haziendero ging, und bald war der gewünschte Begleiter zur Stelle. Auch Karja stieg zu Pferd; dann ritten sie ab. Die Verwirrung war schuld, daß bis zum Aufbruch doch eine ziemliche Zeit vergangen war. – –

Einige Stunden vorher, kurz nachdem sich die festliche Versammlung getrennt hatte, um zur Ruhe zu gehn, war Büffelstirn ins Zimmer des Deutschen getreten.

»Bist du bereit?« fragte er,

»Ja.«

»So komm!«

Unger bewaffnete sich und folgte dem Indianer. Unten standen drei Pferde angekoppelt, zwei mit Reitsätteln und das dritte mit einem Packsattel.

»Was soll dieses hier?« wunderte sich der Deutsche, auf das letztere zeigend.

»Ich habe gesagt, daß du nicht arm bist. Du hast den Schatz der Könige nicht berauben wollen. Darum sollst du dir davon so viel nehmen dürfen, wie ein Pferd zu tragen vermag.«

»Wo denkst du hin!« rief Unger erstaunt.

»Widersprich nicht, sondern steig auf und folge mir!«

Der Indianer bestieg sein Pferd, nahm das Packtier beim Zügel und ritt fort. Der Trapper folgte ihm. Es war finstre Nacht, aber der Indianer kannte seinen Weg genau, und die halbwilden Pferde Mexikos sehn während der Nacht wie die Katzen. Der Deutsche konnte sich der Führung Büffelstirns getrost anvertrauen. Schnell freilich kamen sie nicht vorwärts, denn es ging tief zwischen unwegbare Berge hinein.

Büffelstirn sprach kein Wort. Man hörte in der schweigsamen Nacht nichts als den Schritt und das zeitweilige Schnauben der Pferde. So verging eine Stunde, noch eine und eine dritte. Da rauschte Wasser; man kam an den Lauf eines Baches, dem man folgte. Dann türmte sich ein wallartiger Berg vor ihnen auf, und als sie diesen beinah erreicht hatten, stieg der Indianer ab.

»Hier warten wir, bis der Tag kommt«, sagte er.

Unger folgte seinem Beispiel, ließ sein Pferd grasen und setzte sich neben Büffelstirn auf einem Felsblock nieder.

»Ist die Höhle hier in der Nähe?« fragte er.

»Ja, sie ist da, wo dieses Wasser aus dem Berg kommt. Man steigt in den Bach, bückt sich und kriecht in das Loch: dann befindet man sich in einer Höhle, deren Größe und Abteilungen niemand kennt als Büffelstirn und Karja.«

»Ist Karja schweigsam?«

»Sie schweigt!«

Unger dachte an das, was ihm Emma erzählt hatte, und sagte daher:

»Aber es gibt einen, der das Geheimnis des Schatzes von ihr erfahren will: Graf Alfonso.«

»Uff!«

»Du bist mein Freund, und darum darf ich dir sagen, daß sie ihn liebt.«

»Ich weiß es.«

»Und wenn sie ihm nun euer Geheimnis verrät?«

»So ist Büffelstirn da. Er wird nicht den kleinsten Teil des Schatzes erhalten.«

»Ist dieser Schatz groß?«

»Du wirst ihn sehn. Nimm alles Gold, das Mexiko heute besitzt, zusammen, so reicht es noch nicht an den zehnten Teil dieses Schatzes. Es hat einen einzigen Weißen gegeben, der ihn gesehn hat, und –«

»Ihr habt ihn getötet?«

»Nein. Er brauchte nicht getötet zu werden, denn er ist wahnsinnig geworden, wahnsinnig vor Freude und Entzücken. Der Weiße vermag den Anblick des Reichtums nicht zu ertragen, nur der Indianer ist stark genug dazu.«

»Und mir willst du den Schatz zeigen?«

»Nein. Du wirst nur einen Teil sehn. Ich habe dich lieb, und du sollst nicht auch wahnsinnig werden. Gib mir deine Hand, und zeige mir deinen Puls!«

Der Indianer faßte die Hand des Deutschen und prüfte dessen Puls, worauf er fortfuhr:

»Ja, du bist stark. Der Geist des Goldes hat dich noch nicht ergriffen, aber wenn du in die Höhle trittst, wird dein Blut gehn wie der Fall des Wassers vom Felsen.«

Das Gespräch verstummte nun. Es war dem Deutschen so eigentümlich wie noch nie zumut. Da begann sich der Himmel zu färben. Der blasse Schimmer des Ostens wurde stärker, und bald konnte man die einzelnen Gegenstände mit Genauigkeit unterscheiden.

Unger erblickte den Berg El Reparo vor sich, dessen schroffer Hang zumeist mit Eichenbäumen bestanden war. Ganz am Fuß der Anhöhe trat ein Wasser aus dem Felsen, das wenigstens eine Breite von einem Meter und eine Tiefe von anderthalb Metern hatte.

»Dies ist der Eingang?« fragte er.

»Ja«, antwortete Büffelstirn. »Aber noch treten wir nicht hinein. Wir wollen erst die Pferde verstecken. Der Besitzer eines Schatzes muß vorsichtig sein.«

Sie führten die Pferde längs des Bergs hin, bis der Indianer ein Gebüsch auseinanderbog. Hinter diesem zeigte sich eine enge, niedrige Schlucht, wo die Tiere Platz fanden. Dann kehrten sie an den Bach zurück und verwischten nach Indianerart ihre Spuren, bis sie an den Felsen gelangten, aus dessen Öffnung das Wasser floß.

»Nun komm!« sagte Büffelstirn und stieg mit diesen Worten ins Wasser, zwischen dessen Oberfläche und dem Felsen ein schmaler Raum war, so daß man mit dem Kopf über Wasser blieb. Sie mußten eine Zeitlang im Wasser auswärts schreiten und kamen dann in eine dunkle Höhlung, deren Luft trotz des Baches trocken war.

»Reiche mir deine Hand!« gebot der Indianer und führte den Trapper aus dem Wasser heraus auf das Trockene, um abermals dessen Puls zu befühlen.

»Dein Herz ist stark«, sagte er. »Ich darf die Fackel anbrennen.«

Er ging drauf einige Schritte von Unger fort. Bald durchzuckte ein matter, phosphorartiger Blitz den Raum; es ertönte ein lautes Prasseln, und dann flammte eine Fackel auf.

Aber was ging nun vor? Nicht die eine, sondern Tausende von Fackeln schienen zu brennen. Als befände sich der Deutsche inmitten einer ungeheuren, grell und golden blitzenden Sonne, so strahlten Millionen von Lichtern in sein geblendetes Auge, und in dieses unendliche Schimmern, Schillern und Gleißen hinein erklangen die Worte des Indianers:

»Das ist die Höhle des Königsschatzes! Sei stark und halte deine Seele fest!«

Es verging eine geraume Zeit, ehe der Deutsche seine Augen an diese Pracht gewöhnen konnte.

Die Höhle bildete ein sehr hohes Viereck von vielleicht sechzig Schritten in der Länge und Breite, durch das der mit Steinplatten bedeckte Bach floß. Sie war vom Boden an bis hinauf an die gewölbte Decke angefüllt mit Kostbarkeiten, deren Glanz allerdings die Sinne auch des nüchternsten Menschen verwirren konnte.

Da gab es Götterbilder, die mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt waren, besonders die Gestalten des Lustgotts Quetzalcoatl, des Schöpfers Tetzkatlipoka, des Kriegsgotts Huitzilopochtli und seiner Gemahlin Teoyaniqui, nebst seines Bruders Tlakahuepankuexkotzin, der Wassergöttin Chalchiukueja, des Feuergotts Ixcozauhqui und des Weingotts Cenzontotochtin. Hunderte von Hausgöttern standen auf Wandbrettern; sie waren entweder aus edlen Metallen getrieben oder in Kristall geschliffen. Dazwischen standen goldene Kriegspanzer, goldene und silberne Gefäße, Schmucksachen in Diamant, Smaragden, Rubinen und andern Edelsteinen, Opfermesser, deren Griffe, die funkelnden Steine gar nicht gerechnet, schon einen Altertumswert von Hunderttausenden hatten, Schilde von starken Tierhäuten, die mit gediegenen Goldplatten besetzt waren. Vom Mittelpunkt der Decke aber hing, gleich einem Kronleuchter, eine Königskrone herab; sie hatte die Gestalt einer Mütze, war aus schwerem Golddraht gefertigt und mit Diamanten besetzt. Ferner sah man da ganze Säcke voll Goldsand und Goldstaub, Kisten, die mit Nuggets Goldkörner von der Größe einer Erbse bis zu der eines Hühnereis angefüllt waren. Auch erblickte man ganze Haufen reines Silber, gleich in großen Stücken aus zutage getretenen Adern gebrochen. Auf großen Tischen standen leuchtende Nachbildungen der Tempel von Mexiko, Cholula und Teotihuakan; der prachtvollen Mosaiken von Muscheln, Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen gar nicht zu gedenken, die am Boden und in den Ecken lagen.

Der Anblick dieser Reichtümer rief bei dem Deutschen einen wahrhaft berauschenden Eindruck hervor. Es war ihm, als sei er ein Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht. Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte das Blut an seinen Schläfen pochen, und es schien ihm, als ob große Feuer- und leuchtende Diamanträder vor seinen Augen wirbelten. Es kam eine Art von Rausch über ihn; er sah ein, daß solche Reichtümer eine Macht ausüben, ein wahnsinniges Verlangen erwecken können, das selbst vor dem fürchterlichsten Verbrechen nicht zurückschrecken würde.

»Ja, das ist die Höhle des Königsschatzes«, wiederholte der Indianer. »Und dieser Schatz gehört nur allein mir und meiner Schwester Karja, den letzten Abkömmlingen der Mixtekas.«

»So bist du reicher als viele Fürsten der Erde!« antwortete Unger.

»Du irrst! Ich bin ärmer als du und jeder andre. Oder willst du den Enkel eines Herrschers beneiden, dessen Macht vergangen ist und dessen Reich in Trümmern liegt? Die Krieger, die jene Rüstungen trugen, wurden von ihrem Volk geliebt und verehrt. Ein Wort von ihnen gab Leben oder Tod. Ihre Schätze sind noch vorhanden, aber die Stätte, wo man ihre Gebeine niederlegte, ist von den Weißen entweiht und zertreten worden, und ihre Asche wurde in alle Winde zerstreut. Ihre Enkel irren durch die Wälder und Prärien, um den Büffel zu töten. Der Weiße kam; er log und trog, er mordete und wütete unter meinem Volk, um dieser Schätze willen. Das Land ist sein, aber es liegt verödet, und der Indianer hat die Schätze dem Dunkel der Erde übergeben, damit sie dem Räuber nicht in die Hände fallen. Du aber bist nicht wie die andern, dein Herz ist rein vom Verbrechen. Du hast meine Schwester aus den Händen der Komantschen errettet, du bist mein Bruder, und darum sollst du von diesen Schätzen so viel haben, wie ein Pferd zu tragen vermag. Doch nur zweierlei steht dir zu Gebot. Hier sind Goldkörner, ganze Säcke voll, und hier sind Ketten, Ringe und andrer Schmuck; wähle dir aus, was dir gefällt. Das andre aber ist heilig; es soll nie wieder beschienen werden von der Sonne, die den Untergang der Mixtekas gesehn hat.«

Unger sah die Nuggets und das Geschmeide, ihm wurde fast schwindlig. »Aber das sind ja Hunderttausende von Dollars, die du mir schenkst!«

»Nein; es werden sogar Millionen sein.«

»Ich kann es nicht annehmen!«

»Warum? Willst du die Gabe des Freundes verachten?«

»Nein, aber ich kann nicht dulden, daß du dich meinetwegen beraubst.«

Der Indianer schüttelte stolz den Kopf.

»Es ist kein Raub. Ich bringe kein Opfer. Was du hier siehst, ist nur ein Teil der Schätze, die der Berg El Reparo verbirgt. Es gibt hier noch weitere Höhlen, von denen nicht einmal Karja, meine Schwester, etwas weiß. Nur ich kenne sie, und wenn ich einst sterbe, so wird kein menschlicher Gedanke mehr in diese Tiefen dringen. Ich werde jetzt gehn, um die andern Höhlen zu besuchen. Sieh dir die Schätze an und leg alles zur Seite, was du für dich auswählst! Wenn ich zurückkehre, beladen wir das Pferd damit und kehren heim nach der Estanzia.«

Büffelstirn steckte die Fackel in den Boden und schritt nach der hintersten Ecke, in der er verschwand.

Der Deutsche stand jetzt allein inmitten dieser unermeßlichen Reichtümer. Welch ein Vertrauen mußte der Indianer zu ihm haben! Wie nun, wenn er den Mixteka tötete, um Herr des Ganzen zu werden, von dem er nur einen kleinen Teil erhalten sollte? Aber kein einziger solcher Gedanke kam dem ehrlichen Mann. Er fieberte ja schon vor Wonne, daß er eine volle Pferdelast Geschmeide und Nuggets mitnehmen durfte. – ?

Graf Alfonso war unterdessen mit seinen Dienern und den Maultieren auf dem Weg nach der Höhle des Schatzes. Die Angst vor den Folgen seiner Unbedachtsamkeit trieb ihn vorwärts. Er galt zwar als der Neffe und Erbe von Graf Fernando de Rodriganda, dem eigentlichen Gebieter der Hazienda, hatte aber erfahren, wie gering man das hier einschätzte; auch wußte er, daß so nahe an der indianischen Grenze ganz andre Anschauungen und Gebräuche herrschten als in den Städten und in ihrer Umgebung, und so hatte er nur einen Gedanken: Fort nach der Höhle des Königsschatzes und dann heim nach der Hauptstadt Mexiko!

Er ließ sein Tier so rasch ausgreifen, als es bei der Dunkelheit ohne Gefahr möglich war, und seine Diener folgten ihm mit der gleichen Schnelligkeit. Alfonso kannte den Berg, den die Indianerin ihm genannt hatte, aber von dieser Seite aus hatte er ihn noch nicht besucht. Er war also mit den Einzelheiten des Wegs nicht vertraut, sondern wußte nur die Richtung, und so kam man bei der Vorsicht, die infolge der Dunkelheit geboten war, nicht allzu rasch vorwärts.

Erst als der Morgen zu dämmern begann, konnte man die Pferde besser rennen lassen, und nun dauerte es nicht lange, so tauchte die dunkle Masse des El Reparo vor ihnen auf.

Sie erreichten den Berg von seiner Südseite und ritten an seinem östlichen Abhang hin. Der erste Bach wurde überschritten, und als dann Alfonso merkte, daß der zweite in der Nähe sei, ließ er halten. Bis an die Höhle wollte er die Diener nicht mitnehmen. Es galt ja überhaupt zunächst, sich vom Dasein des Schatzes zu überzeugen.

»Was nun?« fragte der eine.

»Ihr wartet!«

»Ah, Ihr werdet uns verlassen?«

»Ja, für kurze Zeit.«

»Was ists denn eigentlich, was wir zu laden haben?«

»Darum habt ihr euch gar nicht zu kümmern; ihr habt hier einfach zu warten, bis ich wiederkomme.«

Graf Alfonso ritt langsam davon. Es ging eine Strecke weiter, bis der zweite Bach erreicht wurde. Hier stieg er ab, band sein Pferd an den Stamm eines Eichenbäumchens und verschwand hinter den Büschen. Von hier bis zum Austritt des Baches aus dem Berg war es gar nicht mehr weit. Er untersuchte die Stelle und fand, daß es möglich sei, Hineinzugelangen. Er stieg also in die kalte Flut, bückte sich und kroch vorwärts. Noch aber hatte er nicht ganz den Punkt erreicht, wo die Höhle sich zu wölben begann, so gewahrte er einen hellen Lichtschein vor sich.

Was war das? War das Fackellicht? Oder war es der Schein des Tags, der durch irgendeine Öffnung der Höhle hereindrang? Es schien das erstere zu sein. An ein Zurückweichen dachte der Graf nicht; er schob sich langsam und vorsichtig weiter, jedes Geräusch vermeidend, um nicht bemerkt zu werden.

Da plötzlich brach ein goldenes und diamantenes Blitzen und Flimmern in sein Auge. Er erschrak förmlich und fuhr empor. Und als er innerhalb der Höhle stand und die Schätze erblickte, die hier eingeschlossen waren, begann er zu zittern. Der Teufel des Goldes packte ihn mit aller Macht. Seine Augen verdunkelten und erweiterten sich abwechselnd. Er hätte laut aufschreien mögen vor freudigem Schreck; aber das ging nicht, denn – dort, kaum fünf Schritte vor ihm, kniete ein Mann am Boden und ordnete kostbares Geschmeide, das er auf einer Mosaikplatte ausgehäuft hatte. Wer war dieser Mensch? Ah, jetzt bog er sich seitwärts; sein Gesicht war zu sehn, und der Graf erkannte ihn.

»Der Deutsche!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Wer hat ihm die Höhle verraten? Ist er allein hier, oder hat er Begleitung mit?«

Sein Auge irrte suchend durch den Raum. Er sah, daß Unger allein war; er hatte keine Ahnung davon, daß Büffelstirn sich in einer nebenan liegenden Abteilung befand.

»Ah, es ist niemand hier außer ihm!« dachte er mit grimmiger Freude. »Er soll nicht eine Erbse groß von diesem Gold erhalten! Ich werde Rache nehmen. Er muß sterben!«

Er stieg leise aus dem Wasser. Nicht weit von ihm lehnte eine Kriegskeule. Sie war von festem Eisenholz gefertigt und mit spitz geschliffenen Kristallstücken besetzt, die einen Hieb doppelt gefährlich machten. Er faßte sie an dem mit edlen Steinen geschmückten Griff und schlich sich hinter dem Deutschen heran, der soeben eine köstlich gearbeitete Kette durch seine Finger gleiten und sie im Licht der Fackel funkeln ließ.

»Prachtvoll!« sagte er. »Lauter Rubinen! Sie allein bildet einen Reichtum!«

Dann wollte er sie fortlegen, kam aber nicht dazu, denn die Keule sauste auf ihn herab und traf seinen Kopf mit solcher Wucht, daß er sofort zusammenbrach und die Kette der sich öffnenden Hand entglitt.

Jetzt stieß der Graf einen wilden, jubelnden Schrei aus und rief:

»Gesiegt! Alles mein, alles, alles!«

Ein fast wahnsinniges Entzücken bemächtigte sich seiner. Er sprang vor Freude empor und schlug die Hände zusammen wie ein Sinnloser.

Da, was war das? Er stand plötzlich wie gelähmt; er erbleichte, und seine Augen öffneten sich weit, als ob er Gespenster sehe. Aus der hinteren Ecke löste sich eine Gestalt, die ihren Blick erst erstaunt und dann mit einem grimmigen Leuchten auf ihn richtete. Es war Büffelstirn, der von seinem Gang zurückkehrte und anstatt des Freundes einen andern erblickte, neben dem der Deutsche regungslos am Boden lag.

Mit zwei tigergleichen Sprüngen stand der Mixteka bei dem Grafen und packte ihn.

»Hund, was tust du hier?« rief er.

Der Gefragte vermochte kein Wort hervorzubringen. Diesem entsetzlichen Indianer war er nicht gewachsen; das wußte er. Er war verloren – aus dem höchsten Entzücken herab in den bösen, starren Tod gestürzt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken, und er zitterte.

»Hast du ihn erschlagen?« schrie Büffelstirn, auf den Deutschen und die am Boden liegende Keule deutend. Er rüttelte ihn dabei mit einer Gewalt, als ob ein Riese ein kleines Kind gepackt habe.

»Ja«, stöhnte der Graf vor Angst.

»Warum?«

»Diese – diese Schätze sind schuld«, stammelte er.

»Pah! Du bist sein Feind. Sein Tod war dir schon vorher erwünscht. Wehe dir, dreifach wehe!«

Büffelstirn bückte sich, um den Freund zu untersuchen, und der Graf stand bewegungslos dabei. Wie leicht konnte er die Keule erfassen und einen Kampf wenigstens versuchen. Aber er befand sich unter dem Zauber des Schatzes und unter dem Bann dieses berühmten Cibolero. Es ging ihm, wie die Sage von dem kleinen Vogel erzählt, der auch nicht flieht, wenn die Klapperschlange ihre Augen auf ihn richtet, sondern sich widerstandslos von ihr verschlingen läßt.

»Er ist tot!« sagte Büffelstirn, sich wieder erhebend. »Ich werde Gericht halten über dich, und dein Tod soll ein solcher sein, wie ihn noch keiner hier gefunden hat. Du bist der Mörder eines der edelsten Jäger, die die Erde trug; ich werde dich tausendfach sterben lassen.«

Der Indianer stellte sich mit vor der Brust verschlungnen Armen dem Missetäter gegenüber. Seine sehnige Gestalt reckte sich in ihren Muskeln, und sein Auge richtete sich düster drohend auf den Grafen.

»Ah, du bebst!« sagte er verächtlich. »Du bist ein Wurm, eine feige Memme. Wer hat dir den Weg zu dieser Höhle verraten?«

Der Gefragte schwieg. Es war ihm, als sei der Jüngste Tag hereingebrochen und als stehe er vor dem ewigen Richter.

»Antworte!« donnerte der Cibolero.

»Karja«, hauchte der Graf.

»Karja? Meine Schwester?«

»Ja.«

Die Augen des Indianers funkelten wie glühende Fackeln.

»Sagst du die Wahrheit? Oder lügst du? Du nennst meine Schwester vielleicht nur, um Gnade zu erlangen und der Strafe zu entgehn!«

»Ich sage die Wahrheit; du kannst es mir glauben.«

»Ah, so mußt du teuflische Verführungskünste angewandt haben, um ihr das Geheimnis des El Reparo zu entlocken. Du hast ihr Liebe geheuchelt?«

Der Graf schwieg.

»Rede! Nur die Wahrheit kann dein Schicksal mildern. Weißt du, wie du sterben mußt? – Es gibt da droben am Berg ein Wasserloch; es ist nicht groß, aber es enthält die zehn heiligen Krokodile, in deren Bäuchen die früheren Herrscher dieses Landes die Verbrecher begruben. Die Tiere sind über hundert Jahre alt; sie haben lange Zeit gehungert. Ich werde dich hinausschaffen und an einen Baum hängen, so, daß du lebendig über dem Loch schwebst. Die Krokodile werden emporschnellen nach dir, dich aber nicht ganz erreichen. Sie werden sich um dich zerreißen, du wirst ihren stinkenden Dunst einatmen und lange Tage und Nächte über ihnen hängen, denn der Strick geht dir nicht um den Hals. So wirst du hängen in der Sonnenglut, so wirst du verschmachten, verhungern und verdursten, und dann erst, wenn dein Leichnam verfault, wirst du herabstürzen und von den Alligatoren gefressen werden.«

Alfonso hörte diese Worte mit unbeschreiblichem Entsetzen. Seine Zunge war bewegungslos; sie lag ihm vor Furcht wie Blei im Mund; er vermochte keine Bitte um Gnade auszusprechen.

»Nur ein offnes Geständnis kann dieses Schicksal mildern«, wiederholte der Indianer. »Also! Hast du meiner Schwester von Liebe gesprochen?«

»Ja«, stieß der Gefragte hervor.

»Aber du liebtest sie nicht?«

»Nein«, antwortete er. Er wagte nicht, eine einzige Unwahrheit auszusprechen.

»Sie aber liebte dich?« forschte der Indianer weiter.

Auch diese Frage bejahte Alfonso aufrichtig.

»Wo hattest du deine Zusammenkünfte mit ihr?«

»Bei den Oliven am Bach, hinter der Hazienda.«

»Du hast ihr versprochen, sie zu deiner Frau zu machen?«

»Ja.«

»Wann hat sie dir das Geheimnis verraten?«

»Gestern abend«, lautete die Antwort.

»Bist du allein hier?«

»Nein, ich bin von zwei Dienern begleitet.«

»Ah, sie sollten dir helfen, diese Schätze wegzuführen, und du hast ihnen das Geheimnis mitgeteilt?«

»Sie wissen nicht, was sie fortschaffen sollen, und kennen auch die Höhle nicht.«

»Wo sind sie?«

»Sie halten eine Strecke von hier in unbedeutender Entfernung.«

»Gut. Dieser Mann bleibt jetzt liegen, du aber wirst mir folgen. Ich feßle dich vorerst nicht, denn du kannst mir nicht entgehn. Du bist ein Wurm, den ich mit einem einzigen Griff zermalme. Komm und folge mir!«

»Was willst du mit mir tun?« fragte Alfonso voller Angst.

»Das wirst du erfahren.«

Büffelstirn faßte Alfonso beim Arm und zog ihn nach dem Ausgang. Dort ging er mit ihm ins Wasser und schob ihn, ohne die Hand von ihm zu lassen, an das Tageslicht.

Es war, als ob durch das erneute Wasserbad und durch den Eindruck des Morgenlichts der Bann von Alfonso genommen wurde. Er atmete tief und leichter auf und fragte sich im stillen, ob er nicht vielleicht doch noch Hoffnung hegen dürfe.

»Wo ist dein Pferd?« fragte der Mixteka.

»Es ist dort rechts an dem Eichenbaum befestigt.«

»Und wo sind deine Diener?«

»Hinter jenem Hügel.«

»So komm zu deinem Pferd!«

Büffelstirn schritt mit seinem Gefangnen dem Ort zu, den dieser angedeutet hatte. Beim Pferd angekommen, band er mit einigen Riemen die Hände des Grafen auf dem Rücken zusammen, fesselte ihm die Füße und schob ihm einen Knebel in den Mund. Alfonso ließ dies alles widerstandslos und wie im Traum geschehn. Dann verließ ihn der Mixteka, doch nicht, ohne zuvor das Gewehr des Grafen mit sich zu nehmen, und ging mit leisen, unhörbaren Schritten auf der Spur weiter, der Gegend zu, in der er die Diener vermutete. So kam er in die Nähe des ersten Baches, wo er die Stimmen der beiden Diener hörte. Büffelstirn legte sich auf den Boden und schob sich wie eine Schlange zwischen den Büschen hindurch nach der Richtung, aus der die Stimmen klangen. Hinter dem letzten Busch angekommen, sah er sie endlich. Sie waren von ihren Tieren gestiegen und saßen am Boden, in eine eifrige Unterhaltung vertieft.

»Uff! Die Bleichgesichter sind der Höhle des Königsschatzes zu nahe. Ich muß mein Geheimnis bewahren. Sie müssen sterben.«

Und kaltblütig nahm er das Gewehr des Grafen vom Rücken und zielte auf die beiden Ahnungslosen. Ein Schuß und noch einer aus der Doppelbüchse, und die Männer stürzten mit durchschoßner Stirn zu Boden. Büffelstirn trat zu den Getroffnen hin und überzeugte sich, daß kein Leben mehr in ihnen sei. Dann kehrte er zu seinem Gefangnen zurück. –


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