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1. Von den Komantschen verfolgt

Es war im Herbst 1847.

Auf dem Rio Grande del Norte schwamm langsam ein leichtes Kanu flußabwärts. Es war aus langen Baumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moos verbunden waren, und trug zwei Männer, die verschiednen Rassen angehörten. Der eine führte das Steuer, und der andre saß sorglos im Bug, damit beschäftigt, aus Papier, Pulver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppelrifle zu drehn.

Derjenige von den beiden, der das Steuer führte, hatte die scharfen, kühnen Züge und das durchdringende Auge eines Indianers; und auch ohnedies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehn, daß er zur roten Rasse gehörte. Er trug nämlich ein wildledernes Jagdhemd mit phantastisch ausgefransten Nähten, ein Paar Leggins (Lederhosen), deren Seitennähte mit den Kopfhaaren der von ihm erlegten Feinde geschmückt waren, und Mokassins (Jagdschuhe), die doppelte Sohlen zeigten. Um seinen nackten Hals hing eine Schnur aus den Zähnen des grauen Bären, und sein Haupthaar war in einen hohen Schopf geflochten, aus dem drei Adlerfedern hervorragten, ein sicheres Zeichen, daß er ein Häuptling war. Neben ihm im Boot lag ein sein gegerbtes Büffelfell, das ihm als Mantel diente. In seinem Gürtel steckten ein blinkender Tomahawk, ein zweischneidiges Skalpmesser und der Pulver- und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfell ruhte eine lange Doppelflinte, in deren Schaft man viele eingeschnittene Kerben bemerkte, die die Zahl der bereits erlegten Feinde bezeichnen sollten. An der Bärenzahnschnur war das Kalumet (Friedenspfeife) befestigt, und außerdem sah man aus einer Tasche seines Jagdhemds die Kolben von zwei Revolvern hervorragen. Diese bei den Indianern so seltenen Waffen ließen erkennen, daß er mit der Zivilisation in enge Berührung gekommen war.

Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Begleiter zuzuschauen und sich um weiter nichts zu bekümmern; ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er dennoch unter den tief gesenkten Wimpern hervor die Ufer des Flusses sehr scharf mit jenem eigentümlichen, maskierten Blick beobachtete, wie er dem Jäger eigen ist, der in jedem Augenblick einen Angriff auf sein Leben erwarten kann.

Der andre, der im Vorderteil saß, war ein Weißer. Er war lang und schlank, aber doch ungemein kräftig gebaut und trug einen blonden Vollbart, der ihn gut kleidete. Auch er hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezognen Schäften schwerer Aufschlagstiefel steckten. Eine blaue Weste und ein ebensolches Jagdwams bedeckten seinen Oberkörper. Der Hals war frei, und auf dem Kopf saß einer jener breitkrempigen Filzhüte, die man im fernen Westen häufig zu sehn bekommt; er hatte Farbe und Form verloren.

Die zwei Männer mochten im gleichen Alter von vielleicht achtundzwanzig Jahren sein. Beide trugen anstatt der Sporen scharfe Fersenstacheln, ein Beweis, daß sie beritten gewesen waren, ehe sie sich das Kanu bauten, um den Rio Grande hinabzufahren.

Während sie so vom Wasser des Flusses abwärts getragen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern eines Pferdes. Die Wirkung dieses Lautes war eine blitzschnelle, denn noch war der Ton nicht ganz verklungen, da lagen die beiden Männer bereits aus dem Boden des Kanus, so daß sie von außen nicht gesehn werden konnten. »

Schli – ein Pferd!« flüsterte der Indianer in der Mundart der Jicarilla-Apatschen.

»Es steht weiter abwärts«, meinte der Weiße.

»Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?«

»Ein Indianer nicht und ein weißer Jäger auch nicht«, sagte der Präriejäger. »Ein erfahrner Mann läßt sein Pferd nicht so laut wiehern. Rudern wir ans Ufer, steigen wir aus und schleichen uns hin!«

»Und das Kanu bleibt liegen?« fragte der Indianer. »Wenn es nun Feinde sind, die uns ans Ufer locken und töten wollen?«

» Pshaw, wir haben auch Waffen!«

»So mag wenigstens mein weißer Bruder den Kahn bewachen, während ich die Gegend untersuche.«

»Gut, ich bin einverstanden.«

Die Männer leiteten das Kanu ans Ufer; der Indianer stieg aus, während der Weiße mit den Waffen in der Hand sitzenblieb, um seine Rückkehr zu erwarten. Nach einigen Minuten bereits sah er ihn in aufrechter Stellung kommen, ein Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.

»Nun?« fragte der Trapper.

»Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busch.«

»Ah! – Ein Jäger?«

»Er hat nur ein Messer.«

»Ist weiter niemand in der Nähe?«

»Ich habe niemand gesehn.«

»So wollen wir hin!«

Der Weiße sprang aus dem Fahrzeug und band dieses fest. Dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beiden Revolver, die auch er besaß, halb hervor, um kampfbereit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten bald die Stelle, wo der Schläfer lag. Neben ihm stand ein Pferd angebunden, das auf mexikanische Weise gesattelt war.

Der Mann trug die nach unten weiter werdenden mexikanischen Hosen, ein weißes Hemd und eine kurze, nach Husarenart um die Schultern hängende blaue Jacke. Hemd und Hose wurden durch ein gelbes Tuch zusammengehalten, das er wie einen Gürtel um die Hüften gewunden hatte. In diesem Gürtel steckte außer einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero Schattenspender, Hut. Der Ton liegt auf dem »e«. Mit ganz wenigen Ausnahmen werden alle spanischen Ausdrücke, die auf einen Selbstlaut enden, auf der vorletzten Silbe, und die auf einen Mitlaut enden, auf der letzten Silbe betont. Worte, die auf der drittletzten Silbe betont werden, sind ganz selten. Beispiele: cabállo ? Pferd, caballéro ? Herr, caballería ? Reiterei. Worte, die nicht nach diesen Regeln betont werden, erhalten das Betonungszeichen ('), die andern nicht. [Sprich also: chuarés (=Juaréz), kortécho (=Cortejo), Mescaléro, Arbelléz, Ciboléro. Schreibung ohne Zeichen.] lag über seinem Gesicht, um dieses gegen die warmen Strahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief so fest, daß er das Nahen der beiden andern gar nicht hörte.

»Holla, Bursche, wach auf!« rief der Weiße, ihn am Arm schüttelnd.

Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog das Messer.

»Verdammt, was wollt ihr?« rief er schlaftrunken.

»Zunächst nur wissen, wer du bist.«

»Wer seid ihr denn?«

»Hm, mir scheint, du hast Angst vor dem roten Mann da. Ist nicht nötig, alter Junge. Ich bin ein deutscher Trapper namens Unger, und dieser hier ist Shosh-in-liett, der Häuptling der Jicarilla-Apatschen.«

»Shosh-in-liett?« rief der Fremde. »Oh, dann habe ich keine Sorge, denn dieser große Krieger der Apatschen ist ein Freund der Weißen.«

Shosh-in-liett heißt zu deutsch »Bärenherz«.

»Nun, und du?« fragte Unger.

»Ich bin ein Vaquero Sprich: wakéro (= Rinderhirt)«, antwortete der Mann.

»Wo?«

»Jenseits des Flusses beim Grafen de Rodriganda.«

»Und wie kommst du herüber?«

»Alle Teufel, sagt mir lieber, wie ich hinüberkomme! Ich werde von den Komantschen verfolgt.«

»Das scheint sich nicht zu reimen. Du wirst von den Komantschen verfolgt und legst dich in aller Gemütsruhe hier schlafen.«

»Der Teufel schlafe nicht, wenn man so müde ist!«

»Wo trafst du auf die Komantschen?«

»Grad im Norden von hier, nach dem Rio Pecos zu. Wir waren fünfzehn Männer und zwei Frauen, sie aber zählten über sechzig.«

»Donnerwetter! Habt ihr gekämpft?«

»Ja. Sie überfielen uns, ohne daß wir von ihrer Gegenwart etwas ahnten. Darum machten sie die Mehrzahl von uns nieder und nahmen die Frauen gefangen. Ich weiß nicht, wie viele noch außer mir entkommen sind.«

»Wo kamt ihr her, und wohin wolltet ihr?«

Der Vaquero war nicht gesprächig und ließ sich jedes Wort abkaufen; er erwiderte:

»Wir waren nach Fort Guadalupe geritten, um die beiden Damen abzuholen, die dort zu Besuch gewesen waren.«

»Aber der Rio Pecos liegt doch gar nicht auf dieser Strecke.«

»Bevor wir den Heimweg nach unsrer Hazienda einschlugen, unternahmen wir einen kleinen Jagdausflug nach dem Rio Pecos zu. Da erfolgte der Überfall.«

»Wer sind die Damen?«

»Señorita Sprich: Senjoríta.: Señor = Senjór Arbellez und Karja, die Indianerin.«

»Wer ist Señorita Arbellez?«

»Die Tochter unsres Pächters Pedro Arbellez.«

»Und Karja?«

»Sie ist die Schwester von Tecalto, dem Häuptling der Mixtekas.«

Da horchte Bärenherz auf.

»Die Schwester von Tecalto?« fragte er. »Er ist mein Freund. Wir haben die Friedenspfeife miteinander geraucht. Die Schwester seines Herzens soll nicht gefangenbleiben! Gehn meine weißen Freunde mit, sie zu befreien?«

»Ihr habt doch keine Pferde«, versetzte der Vaquero.

Der Indianer warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. »Bärenherz hat ein Pferd, wenn er eins braucht. In einer Stunde wird er den Hunden der Komantschen eins genommen haben.«

»Verdammt, das wäre stark!«

»Nein, das versteht sich von selbst«, versicherte Unger. »Wann seid ihr gestern überfallen worden?«

»Am Abend.«

»Und wie lange hast du hier geschlafen?«

»Wohl kaum eine Viertelstunde.«

»So werden die Komantschen bald hier sein.«

»Alle Teufel!«

»Du bist ein Vaquero und kennst die Gebräuche der Roten nicht. Was für eine Absicht haben sie deiner Meinung nach mit den Damen? Haben sie die beiden wohl wegen eines Lösegelds gefangengenommen?«

»Nein, sicherlich nicht. Sie werden sie mitnehmen, um sie zu ihren Weibern zu machen, denn beide sind sehr schön.«

»Ich habe gehört, daß die Mädchen der Mixtekas wegen ihrer Schönheit berühmt sind. Wenn also die Komantschen die beiden Damen nicht wieder herausgeben wollen, so werden sie darnach trachten, daß man deren Aufenthaltsort nicht entdecken kann; sie müssen ihre Spur verbergen. Infolgedessen dürfen sie also auch keinen von euch entkommen lassen, und darum haben sie sich ganz gewiß aufgemacht, um dich zu verfolgen, damit du keine Kunde nach Hause tragen kannst.«

»Das leuchtet mir ein«, nickte der Vaquero.

»Die Komantschen waren natürlich zu Pferd?«

»Ja.«

»Sie werden dich also auch zu Pferd verfolgen; sie werden auf deiner Spur reiten und Pferde haben, wenn sie hier ankommen.«

»Verdammt, das ist sehr leicht zu denken, obgleich ich nicht daran gedacht habe!«

»Ja, einen sonderlichen Scharfsinn scheinst du nicht zu besitzen. Dachtest du dir denn nicht, daß man dich verfolgen würde? Warum legst du dich da zum Schlafen?«

»Ich war zu müde.«

»Du mußtest wenigstens erst über den Fluß gehn.«

»Er ist hier zu breit und das Pferd war zu angegriffen.«

»Danke Gott, daß wir keine Komantschen sind! Du wärst hier eingeschlafen und dann im Paradies ohne Kopfhaut erwacht. Hast du Hunger?«

»Ja.«

»So komm mit nach dem Kahn! Führe aber zunächst dein Pferd weiter hinter die Büsche, damit man es von weitem nicht sehn kann!«

Das Gespräch war zuletzt nur von Unger und dem Vaquero geführt worden. Bärenherz hatte sich nach dem Kanu zurückbegeben, wo er ruhend auf der Büffelhaut lag. Der Vaquero erhielt Fleisch; Wasser gab es im Fluß, so war für alles gesorgt.

Nachdem er sich satt gegessen hatte, fragte ihn Unger nach seinen nähern Verhältnissen und erfuhr, daß er auf einer der Besitzungen des Grafen Fernando de Rodriganda angestellt war, die zerstreut zwischen dem Rio Grande del Norte, dem Grenzfluß zwischen Mexiko und Texas, und den Kordilleren von Coahuila lagen.

Als einige Zeit vergangen war, verließ Unger den Kahn, um das etwas erhöhte Ufer zu erklettern und Ausguck zu halten. Er hatte die Höhe kaum erreicht, als er einen Ruf der Überraschung ausstieß.

»Holla, sie kommen! Bald hätten wir die rechte Zeit versäumt.«

Der Indianer stand im Nu bei ihm. »Sechs Reiter!« sagte er.

»Kommen auf jeden drei!« Der deutsche Trapper schien gar nicht daran zu denken, daß der Vaquero auch einen der Feinde bewältigen könne.

»Wer nimmt das Pferd?« fragte Bärenherz.

»Ich«, antwortete der Deutsche.

Der Indianer nickte und sagte dann: »Von diesen Komantschen darf kein einziger entkommen!«

Unger bejahte und wandte sich an den Vaquero: »Du hast nur dein Messer? So kannst du uns bei dieser Sache nichts nützen. Du bleibst im Kanu liegen, und ich nehme einstweilen dein Pferd.«

»Aber wenn es erschossen wird!« sagte der Mann ängstlich.

»Dummheit, so bekommen wir sechs andre dafür.«

Der Mexikaner mußte dieser Anordnung Folge leisten. Er versteckte sich also im Kahn, während die beiden andern sich nach dem Ort begaben, wo sie ihn gefunden hatten, sich neben das hinter den Büschen des Ufers versteckte Pferd stellten und warteten.

Die Reiter, die Unger zuerst als sechs dunkle Punkte in der Ferne erkannt hatte, kamen schnell näher. Man konnte bereits ihre Bekleidung und Bewaffnung erkennen.

»Ja, es sind die Hunde der Komantschen«, sagte Bärenherz.

»Sie haben sich mit den Kriegsfarben bemalt, kennen also keine Gnade«, bemerkte Unger.

»Sie sollen selbst keine erhalten!«

»Die beiden letzten müssen zuerst dran glauben; die vordersten bleiben uns dann gewiß.«

»Ich nehme die letzten«, erklärte der Apatsche.

»Gut!«

Die Komantschen waren jetzt auf einen halben Kilometer herangekommen; sie ritten noch immer im schnellsten Galopp. In einer Minute mußten sie sich im Bereich der Büchsen befinden.

»Diese Komantschen haben kein Hirn, sie vermögen nicht zu denken!«

»Sie könnten doch wenigstens vermuten, daß der Vaquero sich hier versteckt hat und auf sie wartet. Aber jedenfalls meinen sie, daß er sofort über den Strom geritten ist.«

»Uff!«

Mit dieser Aufforderung zur Aufmerksamkeit erhob der Apatsche seine Büchse. Unger tat dasselbe. Gleich darauf krachten zwei Schüsse und noch zwei, und vier der Komantschen wälzten sich am Boden. Im nächsten Augenblick saß der Trapper auf dem Pferd des Vaquero und brach mit ihm durch die Büsche. Die beiden übriggebliebenen Komantschen stutzten und hatten gar nicht Zeit, ihre Tiere zu wenden, so war der Deutsche schon bei ihnen. Sie erhoben ihre Tomahawks zum tödlichen Schlag. Er aber hielt den Revolver bereit, drückte zweimal ab, und auch die zwei stürzten von den Pferden.

Dieser Sieg war in weniger als zwei Minuten errungen.

Die Pferde der Gefallnen wurden mit leichter Mühe eingefangen.

Jetzt kam der Vaquero herbei, der vom Kanu aus alles beobachtet hatte.

»Verdammt!« meinte er, »das war ein Sieg!«

»Pah!« lachte der Deutsche. »Sechs Komantschen, was ist das weiter! Man sollte eigentlich mit Menschenblut sparsamer umgehn, denn es ist der köstlichste Saft, den es gibt; aber diese Prärieräuber verdienen es nicht anders.«

Man nahm hierauf den Komantschen die Waffen ab und warf die Toten in den Fluß, nachdem Bärenherz den beiden, die er getötet, die Skalpe gelöst hatte, um sie sich an den Gürtel zu hängen.

»Was nun?« fragte der Deutsche. »Brechen wir sofort auf?«

»Ja«, erwiderte der Indianer. »Die Schwester meines Freundes soll nicht vergebens auf Hilfe rechnen.«

»Nehmen wir den Vaquero mit?«

Bärenherz musterte diesen und entgegnete: »Tu, was du willst!«

»Ich gehe mit«, erklärte der Mexikaner.

»Ich glaube nicht, daß wir dich brauchen können,« meinte Unger, »denn ein Held bist du nicht.«

»Ich hatte jetzt ja keine Waffen.«

»Aber bei dem gestrigen Überfall bist du doch auch geflohn.«

»Nur, um Hilfe herbeizuholen.«

»Ach so! Nun, wirst du den Platz wiederfinden können, wo ihr überfallen wurdet?«

»Ja.«

»So magst du uns begleiten.«

»Darf ich mir von den Waffen der Indianer nehmen?«

»Gewiß. Nimm dir auch ein Pferd von ihnen! Das deinige lassen wir frei; es ist zu sehr abgetrieben und würde uns nur hinderlich sein.«

Die drei besten Pferde wurden darauf bestiegen und die übrigen freigelassen, dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung.

Es ging nach Norden, immer dem Rio Pecos zu. Der Weg führte zunächst durch offne Prärie, dann erhob sich eine Sierra vor ihnen, deren Berge mit Wald bestanden waren. Sie ritten durch Täler und Schluchten und gelangten gegen Abend auf eine Höhe, von der aus man eine kleine Savanne überblicken konnte.

»Uff!« rief der Apatsche, der voranritt. »Sieh!« Er streckte die Hand aus und deutete nach unten.

Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte man die Gefangnen erblickte. Der Deutsche nahm ein kleines Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an das Auge und spähte hindurch.

»Was sieht mein weißer Bruder?« fragte Bärenherz.

»Neunundvierzig Komantschen und sechs Gefangne.«

»Sind die Frauen mit dabei?«

»Ja, zwei. Wir werden sie am Abend befreien.«

Der Indianer nickte.

»Diese neunundvierzig Komantschen vermögen nicht hundert Wachen aufzustellen«, fuhr der Trapper fort. »Dennoch wollen wir uns verbergen. Es könnten außerdem noch andre Vaqueros entkommen sein. Die hat man gewiß auch verfolgt, und wenn die Verfolger zurückkehren, würden sie uns leicht entdecken. Halte die Pferde!« wandte er sich an den Vaquero. »Wir beide wollen zunächst dafür sorgen, daß unsre Fährte verwischt wird.«

Unger kehrte mit Bärenherz eine Strecke weit auf dem Weg, den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspuren unsichtbar zu machen; dann wurde im dichtesten Gebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht, worin sie sich mit ihren Tieren verbargen.

Die Sonne ging unter, und es wurde Abend. Die finstre Nacht brach an, und noch regte sich nichts in dem Versteck. Die beste Zeit zum Überfall war kurz nach Mitternacht.

»Nun, hast du dir ausgesonnen, wie es zu machen ist?« fragte der Deutsche den Apatschen.

»Ja«, antwortete dieser »Mein Bruder kann eine Wache töten, ohne daß sie einen Laut von sich gibt. Wir schleichen uns hinzu, beseitigen die Wachen, schneiden die Fesseln der Gefangnen durch und entfliehn mit ihnen.«

»So wird es Zeit, zu beginnen, denn das Anschleichen ist eine langweilige Sache.«

»Aber dieser Vaquero bleibt zurück?« fragte der Häuptling.

»Ja; er hat die Pferde zu halten.«

»Wo erwartet er uns?«

»Da, wo wir die Komantschen zuerst erblickten. Wir müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls nach dem Rio Grande zurückkehren.«

»So laß uns beginnen!«

Die beiden mutigen Männer ergriffen ihre Gewehre und schritten davon, nachdem sie dem Vaquero die nötigen Anweisungen erteilt hatten.

Unten im Tal brannte ein einziges Wachtfeuer; rund darum lagen die schlafenden Komantschen und bei ihnen die gefesselten Gefangnen. Die Wachtposten waren jedenfalls außerhalb dieses Kreises zu suchen. Als die beiden das Tal erreichten, flüsterte Bärenherz:

»Ich gehe links, und du gehst rechts.«

»Gut. Auf alle Fälle befreien wir zunächst die beiden Frauen.«

Dann trennten sie sich.

Unger umschritt das Lager nach der rechten Seite hin. Natürlich geschah dies nicht in aufrechter Stellung, sondern in der Weise, wie sie in der Prärie gebräuchlich ist. Man legt sich auf den Boden nieder und schiebt sich wie eine Schlange langsam weiter. Dabei darf man weder gehört noch gesehn werden. Auch muß man dafür sorgen, daß die Pferde keine Witterung bekommen, weil sie sonst durch ihr ängstliches Schnauben die Nähe des Feindes verraten.

So tat es Unger. Erst einen weiten Bogen schlagend, machte er diesen allmählich enger, bis er eine dunkle Gestalt erblickte, die langsam auf und nieder schritt. Das war eine Wache. Er schlich sich mit größter Vorsicht heran. Es war ein Glück, daß die Nacht finster war und das Feuer nicht sehr leuchtete. So kam er ungesehn der Wache bis auf fünf Schritte nahe, dann schnellte er sich plötzlich auf sie zu, packte sie von hinten mit der Linken bei der Kehle, schnürte diese so fest zu, daß ein Laut unmöglich war, und stieß ihr mit der Rechten das lange Bowiemesser in die Brust. Der Mann sank, ohne einen Laut geben zu können, nieder.

So gelang es Unger nach vielleicht einer Viertelstunde eine zweite Wache unschädlich zu machen. Dann stieß er mit Bärenherz zusammen, der auf dieselbe Weise auch zwei Komantschen getötet hatte.

»Nun zu den Frauen!« flüsterte der Indianer.

»Vorsicht!« bat der Deutsche.

»Pshaw! Der Apatsche ist mutig, aber auch vorsichtig. Vorwärts!« war die Antwort.

Sie wandten sich unhörbar durch das fußhohe Gras nach dem Feuer hin. Die Mädchen waren an der hellen Farbe ihrer Kleidung leicht zu unterscheiden; sie lagen nebeneinander und waren an Händen und Füßen gefesselt. Unger erreichte sie zuerst und näherte seine Lippen dem Ohr der einen. Dabei sah er trotz der Dunkelheit, daß sie die Augen offenhielt und ihn beobachtet hatte.

»Erschreckt nicht und verhaltet Euch still!« raunte er ihr zu. »Erst wenn ich auch Eurer Freundin die Fesseln durchschnitten habe, eilt zu den Pferden hin!«

Sie verstand ihn. Der Trapper durchschnitt die Riemen, die ihnen ins Fleisch gedrungen waren.

Sobald der Apatsche bemerkte, daß der Deutsche sich der Damen annahm, suchte er die männlichen Gefangnen auf. Es waren ihrer vier, sie lagen in der Nähe. Er kroch zu ihnen heran. Auch sie schliefen nicht. Er nahm das Messer zur Hand, um ihre Riemen zu durchschneiden. Schon hatte er dies bei zweien getan, da erhob sich ganz plötzlich in der Nähe einer der Indianer. Er hatte die Bewegungen des Apatschen im halben Schlaf gehört. Zwar erhob Bärenherz sofort sein Messer und stieß es ihm in die Brust, aber der zum Tod Getroffne fand noch Zeit, einen lauten Warnungsruf auszustoßen.

»Vorwärts, zu den Pferden! Mir nach!« rief der Apatsche, indem er blitzschnell die Bande der übrigen löste.

Sie sprangen empor und stürzten zu den Pferden.

»Schnell, schnell, um Gottes willen!« rief auch der Deutsche, ergriff mit jeder Hand eine der Damen und riß sie zu den Pferden hin; aber ihre Hand- und Fußgelenke waren von den Fesseln so eingeschnürt gewesen, daß sie kaum gehn konnten.

»Bärenherz!« rief der Deutsche in höchster Angst.

»Hier!« ertönte die Stimme des Apatschen.

»Schnell herbei!«

Im nächsten Augenblick war der Häuptling da. Er ergriff eine der Frauen, hob sie empor und eilte mit ihr zu den Pferden. Unger tat es ebenso. Sie sprangen auf, zogen die Frauen aufs Pferd, schnitten die Lassos durch, an denen die Tiere angepflockt waren, und jagten davon.

Das alles war in größter Angst, aber mit der Schnelligkeit des Blitzes geschehn, doch keinen Augenblick zu früh, denn kaum trieben sie die Tiere an, so krachten hinter ihnen die Schüsse der Komantschen.

Diese hatten gar nicht an die Möglichkeit eines Überfalls gedacht und darum fest geschlafen. Jetzt sprangen sie empor und griffen zu den Waffen. Sie bildeten ein wirres Durcheinander und merkten erst, was geschehn war, als die Gefangnen bereits davonsprengten. Nun warfen auch sie sich auf die noch übrigen Pferde und jagten den Entflohnen nach.

Unger und der Apatsche ritten an der Spitze. Sie kannten den Weg; jeder von ihnen hatte ein Mädchen vor sich. Oben auf der Höhe wartete der Vaquero. Als er sie kommen hörte, stieg er auf und nahm die beiden andern Pferde am Zaum.

»Uns nach!« rief ihm der Trapper zu.

So ging die wilde Jagd bei voller Dunkelheit jenseits wieder ins Tal hinab, voran die Flüchtlinge und hinter ihnen die Komantschen, die unaufhörlich ihre Gewehre abschossen, ohne jemand zu treffen. Da endlich erreichte man die freie Prärie, und nun konnte man an eine Gegenwehr denken.

»Könnt Ihr reiten, Señorita?« fragte Unger seine Dame.

»Ja.«

»Hier ist der Zügel! Immer gradaus!«

Damit sprang er ab und stieg auf sein Pferd, das der Vaquero am Zügel führte. Der Apatsche tat dasselbe. Sie bildeten nun die Nachhut und hielten mit ihren vortrefflichen Büchsen die Indianer in Schach. So ging es fort, bis der Morgen graute und es sich zeigte, daß die Komantschen weit zurückgeblieben waren, teils aus Vorsicht, teils wohl auch deshalb, weil sie ihre Tiere jetzt noch nicht so antreiben wollten wie die Flüchtigen.

»Wollen wir langsamer reiten?« fragte der Vaquero.

»Nein«, erwiderte der Deutsche. »Immer fort, so schnell wie möglich, damit wir den Strom zwischen uns und die Komantschen bringen.«

Unger konnte jetzt die beiden befreiten Mädchen deutlich sehn und genauer betrachten. Die eine war eine Spanierin und die andre eine Indianerin, beide von besonderer Schönheit.

»Könnt Ihr den Ritt noch aushalten, Señorita?« fragte er die erstere.

»Solange Ihr wollt«, antwortete sie.

»Wie soll ich Euch nennen?«

»Mein Name ist Emma Arbellez. Und der Eure?«

»Ich heiße Unger.«

»Unger? Das klingt deutsch.«

»Ich bin auch wirklich ein Deutscher. Wollt Ihr Euch mir anvertrauen?«

»Gern.«

»Wir müssen über den Fluß. Leider sind nur drei von uns bewaffnet; doch liegen dort am Rio Grande noch die übrigen Waffen, die wir gestern den Komantschen abnahmen.«

»Ihr habt schon gestern gekämpft?«

»Ja. Wir trafen den Vaquero und hörten von ihm das Nähere. Wir erlegten seine Verfolger und beschlossen, auch Euch zu befreien.«

»Zwei Männer gegen so viele?«

Es traf Unger ein leuchtender Blick aus ihren dunklen Augen, und er bemerkte, daß diese mit Wohlgefallen auf seiner stattlichen Gestalt ruhten. Damit war aber auch die Unterredung beendet.

Als die fliehende Truppe den Rio Grande erreichte, hatte sie die Verfolger so weit hinter sich gelassen, daß man sie ganz aus den Augen verloren hatte. Die Waffen der erschossenen Indianer lagen noch hier und wurden unter diejenigen verteilt, die unbewaffnet waren. Die vier männlichen Geretteten waren drei Vaqueros und ein Majordomo (Hausmeister).

»Was tun wir?« fragte dieser. »Erwarten wir die Indianer hier, um ihnen einen Denkzettel zu geben? Wir haben jetzt acht Gewehre.«

»Nein, ich bin ein Feind jedes unnützen Blutvergießens.«

»Unnütz? Ich meine nicht. Wenn wir sie hier nicht zurückweisen, dann werden sie uns folgen, und wir bringen sie überhaupt nicht mehr los.«

»Wir könnten auch dann nicht von ihnen loskommen, wenn wir hier an dieser Stelle ein paar Dutzend Rothäute in die ewigen Jagdgründe schicken würden, denn das würde ihre Rachsucht erst recht herausfordern. Nein, wir setzen über und reiten weiter. Die Damen nehmen im Kanu Platz.«

So geschah es. Der Majordomo ruderte die Damen hinüber, während die andern zu Pferd ins Wasser gingen. Als man drüben anlangte, wurde das Boot versenkt. Dann gings im raschen Galopp in die jenseitige Ebene hinein. Einige Stunden ritt man in unverminderter Schnelligkeit dahin. Erst dann erlaubte man den Pferden einen langsameren Schritt, was auch die Unterhaltung erleichterte.

Bärenherz ritt, wie bereits vorher, so auch jetzt wieder an der Seite der schönen Mixteka-Indianerin, während sich der Trapper zu der Mexikanerin hielt.

»Wir sind nun schon stundenlang beisammen, ohne uns nur im geringsten kennengelernt zu haben«, sagte Unger zu seiner Dame.

»Oh, ich meine doch, daß wir uns grad im Gegenteil recht gut kennen«, meinte sie lächelnd. »Ich weiß von Euch, daß Ihr für andre Euer Leben wagt und daß Ihr ein kühner und umsichtiger Jäger seid.«

»Das ist allerdings etwas, aber nicht viel. Laßt mich wenigstens meinerseits das Notwendigste nachholen.«

»Ich werde Euch dankbar sein, Señor.«

»Mein Name ist Anton Unger; ich bin der jüngere von zwei Brüdern. Wir wollten studieren, da aber die Mittel nicht ausreichten und der Vater starb, so ging mein Bruder zur See und ich nach Amerika, wo ich nach vielen Irrfahrten schließlich in der Prärie als Waldläufer mein Leben friste.«

»Aber wie kommt Ihr so weit herab nach dem Rio Grande?«

»Hm, das ist eine Sache, von der ich eigentlich nicht sprechen sollte.«

»Also ein Geheimnis?«

»Vielleicht ein Geheimnis, vielleicht aber auch nur eine recht große Kinderei.«

»Ihr macht mich neugierig.«

»Nun, so will ich Euch nicht auf die Folter spannen«, sagte Anton Unger lachend. »Es handelt sich nämlich um nichts mehr und nichts weniger als um die Hebung eines unendlich reichen Schatzes.«

»Was für eines Schatzes?«

»Eines wirklichen, aus kostbaren Steinen und edlen Metallen bestehenden Schatzes, der aus uralter Indianerzeit stammt.«

»Und wo soll dieser liegen?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Ah, das ist unangenehm! Aber wo habt Ihr denn von dem Vorhandensein dieses Schatzes gehört?«

»Hoch droben im Norden. Ich hatte das Glück, einem alten, kranken Indianer einige nicht ganz wertlose Dienste zu leisten, und als er starb, vertraute er mir zum Dank dafür das Geheimnis an.«

»Aber er sagte Euch die Hauptsache nicht, nämlich wo er liegt?«

»Er sagte mir, daß ich ihn in Mexiko in der Provinz Coahuila zu suchen habe und gab mir eine Karte mit, bei der sich ein Übersichtsplan befindet.«

»Und welche Gegend betrifft diese Karte?«

»Ich weiß es nicht. Die Karte enthält zwar Höhenzüge, Talbildungen und Wasserläufe, aber keinen einzigen Namen.«

»Das ist allerdings höchst sonderbar. Weiß auch Shosh-in-liett, der Häuptling der Apatschen, davon?«

»Nein.«

»Und doch scheint er Euer Freund zu sein?«

»Er ist es allerdings im vollsten Sinn des Wortes.«

»Und mir, mir teilt Ihr das Geheimnis mit, obgleich wir uns erst heute gesehn haben!«

Unger blickte der schönen Mexikanerin mit seinen blauen Augen voll ins Gesicht und entgegnete:

»Es gibt Menschen, denen man es ansieht, daß man kein Geheimnis vor ihnen zu haben braucht.«

»Und zu diesen rechnet Ihr mich?«

»Ja.«

Sie errötete, reichte ihm die Hand und erwiderte: »Ihr täuscht Euch nicht. Ich werde Euch dies beweisen, indem ich ebenso aufrichtig gegen Euch bin und Euch eine auf Euer Geheimnis bezügliche Mitteilung mache. Soll ich, Señor?«

»Ich bitte Euch sogar darum«, antwortete er überrascht.

»Ich kenne nämlich einen, der auch nach diesem Schatz trachtet.«

»Ah! Wer ist es?«

»Unser junger Prinzipo, der Graf Alfonso de Rodriganda y Sevilla, der Neffe und Erbe des kinderlosen Grafen Fernando. Um nach dem Schatz zu forschen, hält er sich zur Zeit bei meinem Vater auf.«

»Was weiß er von dem Schatz?«

»Oh, wir alle wissen, daß die früheren Beherrscher des Landes ihre Schätze verbargen, als die Spanier Mexiko eroberten. Außerdem gibt es Orte, wo das gediegne Gold und Silber in Massen zu finden ist. Man nennt solche Orte eine Bonanza. Die Indianer kennen diese Orte, sterben aber lieber, als daß sie einem Weißen ihr Geheimnis anvertrauen.«

»Und diesem Alfonso de Rodriganda hat es doch einer anvertraut?«

»Nein. Wir bewohnen die Hazienda del Erina, und es geht die Sage, daß sich in deren Nähe eine Höhle befindet, in der die Herrscher der Mixtekas ihre Schätze versteckten. Es ist viel nach dieser Höhle gesucht worden, auch Graf Alfonso hat sich große Mühe gegeben; aber keiner fand sie.«

»Wo liegt diese Hazienda del Erina?«

»Etwas über eine Tagreise von hier, am Abhang der Berge von Coahuila. Ihr werdet sie sehn, da ich hoffe, daß Ihr uns dorthin begleitet.«

»Ich werde Euch nicht eher verlassen, als bis ich Euch in völliger Sicherheit weiß, Señorita!«

»Ihr werdet uns auch dann noch nicht verlassen, sondern unser Gast sein, Señor?«

»Gerade Eure Sicherheit erfordert, daß ich Euch sofort wieder verlasse. Wir haben Komantschen getötet, und ich bin überzeugt, daß uns einige Späher heimlich folgen werden. Man wird uns überfallen wollen, um Rache zu nehmen. Darum werde ich bei der Hazienda mit Bärenherz umkehren, um auf Kundschaft zu reiten.«

»Fürchtet Ihr nicht, daß uns die Komantschen noch vor der Hazienda einholen könnten?«

»Nein, das fürchte ich nicht. Bedenkt, daß uns die Roten nur so lang zu folgen vermögen, als es hell genug ist, um unsre Spuren erkennen zu können, während wir auch in der Dunkelheit reiten. Das gibt uns mehrere Stunden Vorsprung, die die Indianer unmöglich einbringen. Aber bleiben wir für jetzt bei unsrer Sache, dem Königsschatz! Es weiß also niemand, wo die Höhle zu suchen ist?«

»Wenigstens kein Weißer.«

»Aber ein Indianer?«

»Ja. Es gibt einen, der den Schatz der Könige ganz sicher kennt, vielleicht sind es auch zwei. Tecalto ist der einzige Nachkomme der einstigen Beherrscher der Mixtekas; sie haben das Geheimnis auf ihn vererbt. Karja, die dort neben dem Häuptling der Apatschen reitet, ist seine Schwester, und es ist nicht unmöglich, daß er es ihr mitgeteilt hat.«

Unger betrachtete die Indianerin jetzt mit größerer Aufmerksamkeit als vorher.

»Ist sie verschwiegen?« fragte er.

»Ich denke es«, erwiderte die Mexikanerin. Dann fügte sie lächelnd hinzu: »Man sagt allerdings, daß Damen nur bis zu einem gewissen Punkt verschwiegen sind.«

»Und welcher Punkt ist dies, Señorita?«

»Die Liebe.«

»Ah! Es ist möglich, daß Ihr recht habt«, scherzte er. »Darf ich vielleicht erfahren, ob Karja bereits bei diesem Punkt angelangt ist?«

»Ich halte dies fast für wahrscheinlich.«

»Ah! Wer ist der Glückliche?«

»Ratet! Es ist nicht schwer.«

Die Stirn des Jägers zog sich scharf zusammen. »Ich vermute, es ist Graf Alfonso, der ihr auf diesem Weg das Geheimnis entlocken will.«

»Ihr ratet richtig.«

»Und Ihr glaubt, daß seine Bestrebungen Erfolg haben?«

»Sie liebt ihn.«

»Und ihr Bruder, der Nachkomme der Mixtekas? Was sagt er zu dieser Liebe?«

»Vielleicht weiß er noch nichts davon. Er ist der berühmteste Cibolero (Büffeljäger) und kommt nur selten einmal nach der Hazienda.«

»Der berühmteste Cibolero? Dann müßte ich seinen Namen kennen. Der Name Tecalto aber ist mir unbekannt.«

»Er wird von den Jägern nicht Tecalto genannt, sondern Mokaschi-tayiss.«

»Mokaschi-tayiss, Büffelstirn?« fragte Unger überrascht. »Ah, den kenne ich allerdings. Büffelstirn ist der bedeutendste Büffeljäger zwischen dem Red-River und der Wüste Mapimi. Ich habe viel von ihm gehört und würde mich freuen, ihn zu sehn. Und Karja ist also die Schwester dieses berühmten Mannes? Da muß man sie ja mit ganz andern Augen betrachten.«

»Wollt Ihr vielleicht Eure Liebenswürdigkeit auch an ihr versuchen?«

Er lachte. »Ich? Wie kann ein Westmann liebenswürdig sein! Und wie könnte ich mit einem Grafen de Rodriganda in die Schranken treten wollen! Wäre es mir möglich, liebenswürdig zu sein, so würde ich dies bei einer andern versuchen.«

»Und wer wäre diese andre?« fragte sie.

»Nur Ihr allein, Señorita!« antwortete er aufrichtig.

Ihr Auge leuchtete ihm glückverheißend zu. »Aber bei mir könnt Ihr ja nichts von Eurem Königsschatz erfahren.«

»Oh, Señorita, es gibt Schätze, die mehr wert sind als eine ganze Höhle voll Gold und Silber. In diesem Sinn wünschte ich, einmal ein glücklicher Gambusino (Goldsucher) zu sein.«

»Sucht, vielleicht findet Ihr!«

Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er rasch ergriff und innig drückte.

Im Verlauf des Weiterritts erfuhr Unger, daß die beiden Mädchen am Rio Grande del Norte gewesen waren, um eine Tante der Mexikanerin zu besuchen, die schwer krank darniederlag. Die Pflege der beiden Frauen hatte den Tod der Tante nicht zu hindern, sondern nur zu verzögern vermocht. Später hatte Arbellez den Majordomo mit den Vaqueros geschickt, um die Tochter abholen zu lassen. Auf dem Rückweg waren sie von den Komantschen überfallen worden.

Während ihrer Unterredung war hinter ihnen eine andre geführt worden. Bärenherz ritt an der Seite der Indianerin. Sein Auge umfaßte die schöne Gestalt seiner Nachbarin, die mit einer Sicherheit auf dem halbwilden Pferd saß, als habe sie niemals anders als auf einem indianischen Männersattel geritten. Der schweigsame Häuptling war nicht gewohnt, seine Worte zu verschwenden; wenn er aber sprach, so hatte eine jede Silbe das doppelte Gewicht. Karja kannte diese Art und Weise der wilden Indianer, und darum wunderte sie sich auch nicht darüber, daß er wortlos blieb. Doch fühlte sie es förmlich, daß sein Auge durchdringend auf ihr ruhte; und fast erschrak sie, als er sie anredete:

»Zu welchem Volk gehört meine junge Schwester?«

»Zum Volk der Mixtekas«, entgegnete sie.

»Das war einst ein großer Stamm und ist noch jetzt durch die Schönheit seiner Frauen berühmt. Ist meine junge Schwester eine Squaw oder ein Mädchen?«

»Ich habe keinen Mann.«

»Ist ihr Herz noch ihr Eigentum?«

Bei dieser Frage, die ein Weißer sicherlich nicht so unumwunden ausgesprochen hätte, rötete sich ihr dunkles Antlitz, aber sie antwortete mit fester Stimme:

»Nein.«

Sie wußte, daß hier Offenheit richtig sei, denn sie kannte die Apatschen. Es veränderte sich kein Zug seines eisernen Gesichts, und er fragte weiter:

»Ist es ein Mann ihres Volkes, der ihr Herz besitzt?«

»Nein, ein Weißer.«

»Bärenherz beklagt seine Schwester. Sie mag es ihm sagen, wenn der Weiße sie betrügt.«

»Er wird mich nicht betrügen!« erwiderte sie stolz und zurückweisend.

Ein leises Lächeln zuckte um seine Lippen; er schüttelte den Kopf und entgegnete:

»Die weiße Farbe ist falsch und wird leicht schmutzig. Meine Schwester mag vorsichtig sein!« –

Man ritt immer nach Süden zu. Eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit wurde zu einer kurzen Rast angehalten; Menschen und Tiere bedurften der Erholung. Nach einer halben Stunde ging es mit frischen Kräften weiter. Unger wunderte sich über die Ausdauer, mit der seine weiße Begleiterin diesen Gewaltritt aushielt, ohne besondre Abspannung zu zeigen, und er konnte nicht umhin, ihr gegenüber eine diesbezügliche Bemerkung fallen zu lassen. Emma lächelte:

»Ihr müßt eben wissen, daß ich mich schon seit meiner Kindheit hierzulande aufhalte. Wir leben von jeher halb in der Wildnis.«

»Habt Ihr nie Sehnsucht nach der Zivilisation und nach dem Verkehr mit Euresgleichen?«

»Keineswegs. Ich habe auf der Hazienda alles, was ich brauche, sogar ein weniges mehr, und ich ziehe den Verkehr mit den urwüchsigen Kindern der Natur dem mit der höheren Gesellschaft vor, wo doch das meiste hohl und falsch ist. Gebt Ihr mir da nicht recht?«

»Ihr sprecht da ganz meine Meinung aus. Auch ich habe unter den sogenannten Wilden mehr Treue und Anhänglichkeit gefunden als unter den Gebildeten. Seht nur einmal meinen Freund, den Apatschen an! Er ist die tüchtigste, wackerste und treuste Rothaut, die ich kenne, und auf ihn allein verlasse ich mich lieber als auf Dutzende und Hunderte von Weißen, deren Hautfarbe zwar heller, deren Herz dafür aber desto falscher ist.«

»Gut! Verlassen wir uns auf ihn und auf noch einen! Auf Euch!«

»Ah, wollt Ihr das wirklich?« fragte er mit einem freudigen Aufleuchten seiner Augen.

»Von ganzem Herzen!« antwortete sie. »Ihr lobt nur den Apatschen, aber Ihr vergeßt, zu sagen, daß man Euch ebenso vertrauen kann als ihm.«

»Glaubt Ihr das wirklich?«

»Ja. Ich habe Euch beobachtet. Ihr seid kein gewöhnlicher Jäger, und ich bin überzeugt, daß auch Ihr einen Ehrennamen tragt, den Euch die Trapper und Indianer gegeben haben.«

Er nickte. »Ihr erratet es.«

»Und welches ist Euer Jägername?«

»O bitte, nennt mich immer Antonio oder Unger.«

»Ihr wollt ihn mir nicht sagen?«

»Jetzt nicht. Wenn man ihn einmal zufällig nennen wird, werde ich mich zu erkennen geben.«

»Ah, Ihr seid eitel. Ihr wollt inkognito sein wie ein Fürst.«

»Ja«, lachte er. »Ein guter Jäger muß ein klein wenig eitel sein, und Fürsten sind wir alle, nämlich Fürsten der Wildnis, des Waldes und der Prärie.«

»Fürsten! Da fällt mir einer jener berühmten Namen ein: Matava-se Sprich: Matava-sé!

»Ja, der ist einer der Berühmtesten. Habt Ihr von ihm gehört?«

»Viel. Er soll da oben in den Felsengebirgen gewesen sein.«

»Allerdings; darum nennen ihn die Indianer Matava-se, die englischen Trapper Rockyprince, und die französischen Coureurs sagen Prince du roc. Alle diese drei Namen bedeuten ein und dasselbe, nämlich Herr oder Fürst des Felsens.«

»Er ist ein Weißer?«

»Ja.«

»Habt Ihr ihn gesehn?«

»Nein, aber ich habe gehört, daß er ein Landsmann von mir ist, ein Deutscher. Er soll Karl Sternau heißen und eigentlich ein Arzt sein. Er hat Amerika bereist und ist mehrere Monate mit unserm braven Bärenherz hier durch die gefährlichsten Gegenden des Felsengebirgs gestrichen. Jetzt befindet er sich längst wieder drüben in Europa.«

»Werdet auch Ihr wieder in Eure Heimat gehn?«

»Ja, wenn ich so viel besitzen werde, daß ich meinen Angehörigen drüben ein behagliches Leben bieten kann.«

Auf diese Worte folgte ein kurzes Schweigen. Beide dachten daran, daß ihr gegenwärtiges Beisammensein nicht auf die Dauer sein könne. Unger war der erste, der das Schweigen unterbrach.

»Habt Ihr noch nie den Wunsch gehabt, die Welt zu sehn und Reisen zu machen? Zum Beispiel nach der alten Welt, nach Europa?«

»Noch nie! Unsre Hazienda ist meine Heimat, aus der ich noch nie herausverlangte.«

»Fürchtet Ihr Euch in Eurer Einsamkeit nie vor einem Überfall der Roten?«

»Oh, die Hazienda ist eine kleine Festung.«

»Ich kenne diese Art von Meiereien oder Gutshöfen. Sie sind aus Stein gebaut und gewöhnlich mit Schanzwerk umgeben. Was aber hilft das gegen einen Feind, der unvermutet kommt?«

»Wir werden wachen und Ihr mit. Ich will hoffen, daß Ihr doch unser Gast sein werdet!«

»Ich muß sehn, was Bärenherz dazu sagt. Von ihm kann ich mich nicht trennen.«

»Er wird bleiben!«

»Er ist ein Freund der Freiheit. Er hält es in einem Gebäude nie längere Zeit aus.«

»Oh,« lächelte sie, »ich sehe, daß er es aushalten wird.«

»Woher vermutet Ihr das?«

»Aus den Blicken, mit denen er Karja betrachtet.«

»Hm! Ihr beobachtet richtig, wie ich auch schon bemerkt habe. Aber ich denke, die Indianerin liebt bereits den Grafen?«

»Gewiß. Bärenherz sollte mich dauern, wenn er sich hinreißen ließe.«

»Dauern? Pah! Er ist von einem eisenharten Stoff gemacht. Er wird nie um Liebe winseln und sich auch einer unerwiderten Neigung wegen nicht zu Tod jammern.«

»Aus welchem Stoff seid denn Ihr gemacht?« neckte sie.

»Vielleicht aus demselben.«

»So würdet auch Ihr nicht jammern?«

»Nie!«

»Und doch habe ich gehört, daß der Deutsche ein Herz hat, wie kein andrer, so tief und so weich. Er soll sogar ein Herzenswort besitzen, das in keiner andern Sprache vorkommt.«

»Ihr meint das Wort ›Gemüt‹? Ja, dieses Wort hat kein andres Volk. Der Deutsche allein hat ein Gemüt, aber zugleich Charakter. Und ein Präriemann, mag er nun stammen von welchem Volk es nur immer sei, bettelt selbst um die Liebe nicht.«

»Das ist stolz!«

»Aber richtig. Das Weib, das ich liebe, soll mich auch achten. Aber bitte, wir bleiben zurück! Der Apatsche eilt, weil er noch die Zeit vor Einbruch der Dunkelheit benützen möchte, um möglichst rasch vorwärts zu kommen, und das wollen wir ihm nicht durch unser Zögern erschweren.«

Nach einer halben Stunde brach die Dunkelheit herein. Es ging jedoch, wenn auch mit verminderter Schnelligkeit, noch zwei Stunden weiter, bis ein breiter Wasserlauf erreicht wurde. Man folgte ihm, bis das Flüßchen einen Bogen bildete. Dort wurde angehalten.

Sie sprangen alle von den Pferden und richteten das Lager vor. Innerhalb des Dreiviertelkreises, den der Fluß bildete, und hart an dessen Ufer wurden die Pferde untergebracht; dann kam das Feuer, um das sich die Gesellschaft lagerte, und die vierte, die Landseite, wurde von Büschen abgeschlossen, in die man eine Wache legte.

Unger richtete für Emma aus Zweigen und Laub ein weiches Lager vor; Bärenherz tat dasselbe für die Indianerin. Es war dies von seiten des Apatschen eine ganz ungewöhnliche Auszeichnung, denn selten läßt sich ein Indianer herbei, eine Handreichung zu leisten, die die Frau oder das Mädchen selbst tun könnte.

Man legte sich bald zur Ruhe. Es war die Anordnung getroffen, daß ein jeder drei Viertelstunden wachen sollte. Bärenherz und Unger hatten die letzten Wachen übernommen, da die Zeit kurz vor Beginn des Tags, in der die Rothäute ihre Angriffe am liebsten zu unternehmen pflegen, die gefährlichste ist.

Doch verging die Nacht ohne alle Störung, und man brach beim ersten Tagesgrauen mit erneuten Kräften auf. Nach und nach kam man in bewohntere Gegenden und erreichte am Spätnachmittag das Ziel.


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