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Unter einer Hazienda versteht man eine Meierei; doch sind diese mexikanischen Haziendas oft mit unsern größten Rittergütern zu vergleichen, da zu ihnen zuweilen ein Gebiet von der Größe eines deutschen Fürstentums gehört.
Die Hazienda del Erina war ein derartiger Besitz. Das wuchtige Gebäude war aus Bruchsteinen erbaut und von Schanzwerk umgeben, das gegen räuberische Überfälle einen starken Schutz gewährte. Das Innere des Herrenhauses war aufs feinste ausgestattet und zeigte eine solche Geräumigkeit, daß Hunderte von Menschen da Wohnung finden konnten.
Umgeben wurde das Haus von einem großen Park, in dem die prachtvollste tropische Pflanzenwelt in den strahlendsten Farben schimmerte und die üppigsten Düfte verbreitete. Hieran schloß sich auf der einen Seite der dichte Urwald, auf der andern ein ausgedehnter Feldbesitz, und auf den beiden übrigen sah man große Weiden sich ausdehnen, auf denen sich Herden tummelten, deren Stückzahl viele Tausende betrug.
Bereits als die kleine Schar an den Weiden vorüberritt, kamen mehrere Vaqueros mit lautem Jubel herbeigesprengt, um die Kommenden zu begrüßen. Der Jubel aber wurde bald zum Zornesausbruch, als sie erfuhren, daß so viele ihrer Kameraden unter den Kugeln der Komantschen gefallen seien. Sie baten sofort, einen Rachezug gegen die Roten veranstalten zu dürfen.
Der Majordomo war dem Trupp vorangeritten, um ihn anzumelden. Darum stand, als die Reiter an der Hazienda anlangten, der alte Pedro Arbellez bereits unter dem Tor, um seine Tochter und deren Begleiter zu begrüßen. Tränen der Freude schimmerten in seinen Augen, als er Emma vom Pferd hob.
»Sei willkommen, mein Kind«, sagte er. »Du mußt auf dieser gefährlichen Reise viel gelitten haben, denn du siehst sehr angestrengt aus.«
Sie umarmte ihn, küßte ihn innig und antwortete: »Ja, mein Vater, ich war in einer großen Gefahr.«
»Gefahr, in welcher?« fragte er, indem er auch die Indianerin freundlich bewillkommnete.
»Wir wurden von den Komantschen gefangen.«
»Heilige Mutter Gottes! Sind die jetzt am Rio Grande?«
»Nein, aber wir hatten uns, um einen Abstecher zu machen, bis in die Gegend des Rio Pecos gewagt. Dort wurden wir überfallen. Hier diese beiden Männer sind unsre Retter.«
Emma nahm den Deutschen und den Apatschen bei der Hand und führte sie dem Vater zu.
»Dieser hier ist Señor Antonio Unger aus Deutschland, und dieser ist Shosh-in-liett, ein Häuptling der Apatschen. Ohne sie hätte ich die Squaw eines Komantschen werden müssen, und die andern hätte man am Pfahl zu Tod gemartert.«
Dem braven Pächter trat schon bei dem Gedanken daran der Angstschweiß auf die Stirn.
»Mein Gott, welch ein Unglück, und doch zugleich auch wieder welch ein Glück!« sagte er. »Willkommen, Señores, von ganzem Herzen willkommen! Ihr sollt mir alles erzählen, und dann will ich sehn, wie ich euch dankbar sein kann. Kommt herein und seid die Herrn dieses Hauses!«
Das war ein sehr freundlicher und liebenswürdiger Empfang. Überhaupt machte der Anblick des alten Mannes den Eindruck der Ehrlichkeit und Biederkeit.
Die Gäste kamen durch die Umpfahlung, übergaben ihre Pferde einigen Knechten und traten ins Gebäude. Während der Majordomo mit den Vaqueros im Vorraum zurückblieb, führte der Haziendero die beiden andern mit den Damen nach dem Empfangszimmer, wo Platz genommen wurde, bis Emma in großen Umrissen ihr Abenteuer berichtet hatte.
»Mein Jesus,« klagte der Haziendero, »was müßt ihr gelitten haben, ihr armen Mädchen! Aber Gott hat diese beiden Señores gesandt, um euch zu retten. Ihm und ihnen sei Dank gesagt. Was wird der Graf und was wird Tecalto sagen, wenn sie es hören!«
»Tecalto?« fragte die Indianerin. »Ist Büffelstirn, mein Bruder, da?«
»Ja, er ist gestern gekommen.«
»Und der Graf auch?« fragte Emma.
»Ja, bereits vor einer Woche. Ah, da ist er!«
Die Tür zu dem nebenan liegenden Speisesaal öffnete sich, und Graf Alfonso trat heraus. Er trug einen rotseidnen, prächtig in Gold gestickten Schlafrock, eine Hose vom feinsten weißen, französischen Linnen, blaue Samt-Hausschuhe und auf dem Kopf einen türkischen Fez. Er verbreitete einen aufdringlichen Duft von Parfüm um sich. Die offen gebliebne Tür erlaubte, einen Blick in den Speisesaal zu tun. Dessen Ausschmückung war mehr als fein, war verschwenderisch, und an dem Mundtuch, das der Graf in der Hand trug, bemerkte man, daß er beschäftigt gewesen war, in den Genüssen und Leckerbissen Mexikos zu schwelgen.
»Man nannte meinen Namen«, sagte er. »Ah, die schönen Damen sind es! Glücklich wieder zurückgekehrt, Señoritas?«
Bei seinem Anblick war die Indianerin blutrot geworden, was dem scharfen Auge des Apatschen nicht entging; Emma aber blieb sich vollständig gleich. Sie antwortete kalt, wenn auch höflich:
»Wie Ihr seht, Graf. Beinahe wären wir nicht wieder zurückgekehrt. Die Komantschen nahmen uns nämlich ein wenig gefangen.«
»Donnerwetter!« rief er. »Ich werde sie züchtigen lassen!«
»Das wird nicht sehr leicht sein«, erwiderte Emma spöttisch. »Übrigens sind wir ja davongekommen. Hier unsre Lebensretter.«
Der Graf trat einige Schritte zurück, betrachtete die beiden »Retter«, zog ein sehr enttäuschtes Gesicht und fragte:
»Wer sind diese Leute?«
»Dieser hier ist Señor Unger aus Deutschland, und der andre ist Bärenherz, ein Apatschenhäuptling.«
»Ah, ein Deutscher und ein Apatsche. Das gehört allerdings zusammen. Wann reisen diese Señores wieder ab? Doch sogleich?«
»Sie sind meine Gäste und werden bleiben, solang es ihnen beliebt«, entgegnete der Haziendero.
»Aber, Arbellez, wo denkt Ihr hin!« rief da der Graf. »Schaut Euch diese Männer an! Ich und sie unter einem Dach! Sie riechen nach Wald und Sumpf. Ich würde sofort abreisen!«
Der Haziendero richtete sich auf. Sein Auge flammte vor Zorn.
»Ich kann Euer Erlaucht nicht halten«, versetzte er. »Diese Señores haben das Leben und das Glück meines Kindes gerettet und sind mir hochwillkommen.«
»Ah! Ihr widersprecht mir?« rief der Graf.
»Ja«, antwortete Arbellez fest.
»Wißt Ihr, daß ich hier der Gebieter bin?«
»Das weiß ich nicht.«
»Nicht?« zischte Alfonso. »Wer sonst?«
»Graf Fernando. Ihr seid hier nur als Gast anwesend. Übrigens hätte selbst Graf Fernando keine Stimme in dieser Angelegenheit. Ich bin Pächter auf Lebenszeit. Wer will mir befehlen, wen ich bei mir empfangen soll oder nicht?«
»Verdammt, das ist stark!«
»Nein, stark war nur Eure Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit gegen meine Gäste. Wenn Euch schon der Wald- und Sumpfgeruch nicht angenehm ist, von dem ich allerdings ganz und gar nichts merke, so weiß ich wirklich nicht, ob diese Señores nicht Eure Parfüms auffällig finden, die ich recht gut bemerke. Ich werde meine Gäste jetzt in den Speisesaal führen und überlasse es Euch, weiterzuspeisen oder nicht.«
Damit öffnete der Haziendero die Tür des Saals noch weiter und bat die beiden mit der höflichsten Verbeugung, Zutritt zu nehmen. Der Indianer hatte teilnahmlos dagestanden; kein Blick seines Auges hatte den Grafen getroffen, und fast schien es, als ob er auch keins von seinen Worten verstanden habe. Er schritt stolz und schweigend in den Saal. Unger dagegen wandte sich zuvor zum Grafen:
»Ihr seid Graf Alfonso de Rodriganda?«
»Ja«, erwiderte der Gefragte erstaunt, daß ihn der Jäger anzureden wagte.
»So. Señor Arbellez hatte vergessen, Euch auch uns vorzustellen. Ihr seid gefordert. Was wählt Ihr: Degen, Pistolen oder Kugelbüchsen?«
»Ihr wollt Euch mit mir schlagen?« fragte der Graf viel erstaunter als vorher.
»Versteht sich. Hättet Ihr mich draußen vor der Hazienda beleidigt, so hätte ich Euch niedergeschlagen wie einen dummen Jungen. Da es aber unter dem Dach meines Gastfreunds geschah, so nahm ich Rücksicht auf ihn und auf die Gegenwart dieser Damen. Nun ich jedoch höre, daß Ihr in diesem Haus eigentlich keinen Pfifferling geltet, so biete ich Euch die Wahl der Waffen an.«
»Schlagen? Mit Euch? Gott, wer seid Ihr denn? Ein Jäger, ein Herumläufer! Pah!«
»Also nicht? So seid Ihr ein Lump, ein Feigling, ein erbärmlicher Wicht! Laßt Ihr auch das auf Euch sitzen, so seid Ihr gerichtet auf alle Zeit. Tut, was Euch beliebt!«
Unger schritt dem Apatschen nach. Der Graf stand ganz verdutzt da.
»Arbellez, das leidet Ihr?« fragte er den Haziendero.
»Wenn Ihr es leidet!« antwortete dieser. »Komm, Emma, komm, Karja! Unser Platz ist da drinnen bei den Ehrenmännern.«
»Ah, welche Niederträchtigkeit! Das werde ich Euch eintränken, Arbellez.«
»Versucht es!«
Der wackere Alte ging in den Saal, die beiden Damen mit ihm. Als jedoch Emma an dem Grafen vorüberschritt, sagte sie mit verächtlich gekräuselten Lippen und funkelnden Augen:
»Das war niederträchtig, das war armselig!«
Die Indianerin folgte ihr mit niedergeschlagnen Augen. Es widerstrebte ihr, den Geliebten zu verachten, und dennoch konnte sie ihm nicht ins Gesicht sehn. Graf Alfonso blieb stehn und kehrte nicht wieder nach dem Saal zurück. Er warf das Mundtuch zu Boden, stampfte mit den Füßen und knirschte:
»Das sollt Ihr mir büßen, und bald, bald, bald!«
Wer ihn jetzt so erblickte, mit den drohend blitzenden Augen und den stark angeschwollnen Zornesadern an der zwar niedrigen, aber sehr breiten Stirn, der konnte ihn recht gut auch einer gewaltsamen Tat für fähig halten.
Graf Alfonso war nicht etwa ein häßlicher, Abscheu erregender Mann, nein, ein jeder einzelne Teil seines Gesichts und ein jeder Zug war im Zustand der Ruhe vielleicht schön zu nennen; doch jetzt, wo der Grimm ihn beherrschte, war der Eindruck, den er machte, nur ein abstoßender. Er glich einem jener Satansbilder, bei denen der Meister den Teufel nicht mit Pferdefuß und Hörnern darstellt, sondern das Diabolische dadurch zu erreichen sucht, daß er die an und für sich schönen Züge des bösen Geistes zueinander in Widerspruch bringt.
Nach der ohnmächtigen Zornesäußerung suchte Alfonso seine Zimmer auf.
Die andern nahmen unterdessen ein üppiges Mahl ein. Da gab es große Schnitte von Wassermelonen mit fleischfarbigem Innern, deren wohlschmeckender Saft in rosigen Tropfen auf die silbernen Platten perlte; halb geöffnete Granaten, Früchte des Kerzenkaktus, Orangen, süße Limonen, Grenadillen und alle die Fleisch- und Mehlspeisen, an denen die mexikanische Küche so überaus reich ist. Während des Essens wurden die Erlebnisse noch ausführlicher besprochen, als es bisher möglich gewesen war. Hierauf bat der Haziendero, den Señores ihre Zimmer anweisen zu dürfen.
Die beiden Freunde wohnten nebeneinander. Es war dem Deutschen aber unmöglich, lang im engen Raum zu bleiben; er verließ ihn und suchte den Garten auf, wo er sich von Wohlgerüchen umduften ließ, bis er hinaustrat ins Freie, um die herrlichen mexikanischen Renner auf der Weide zu beobachten.
Während er so am Pfahlzaun hinschlenderte und um eine Ecke bog, erhob sich plötzlich vor ihm eine Gestalt, deren merkwürdiges Äußere ihn zum Stehn brachte. Der hohe, starke Mann war vollständig in gegerbtes Büffelleder gekleidet, so wie die Ciboleros sich zu tragen pflegen; auf dem Kopf saß ihm der obere Teil eines Bärenschädels, von dem einige Streifen Fell bis fast hinab zur Erde schleiften. Aus dem breiten Ledergürtel schauten die Griffe von Messern und andern Werkzeugen; von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte herüber hatte er einen fünffach geflochtenen Lasso um den Leib geschlungen. Am Pfahlzaun lehnte eine jener alten, schmiedeeisernen Büchsen, wie sie vor hundert Jahren in Kentucky gemacht wurden, und die ein gewöhnlicher Mann nicht zu handhaben vermag, so schwer sind sie.
»Wer bist du?« fragte Unger im ersten Augenblick des Erstaunens.
»Ich bin Büffelstirn, der Mixteka«, antwortete der Gefragte.
»Tecalto bist du? Mokaschi-tayiss, der Cibolero?«
»Ja. Kennst du mich?«
»Ich sah dich noch nie, aber ich habe viel von dir gehört.«
»Wie heißt du?«
»Mein Name ist Unger, ich bin ein Deutscher.«
Das ernste Gesicht des Indianers klärte sich auf. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und konnte als eine Schönheit des indianischen Typus gelten.
»So bist du der Jäger, der Karja, meine Schwester, befreit hat?«
»Der Zufall war mir hold.«
»Nein, das war kein Zufall. Du hast dir die Pferde der Komantschen geholt und bist ihnen nachgeritten. Büffelstirn ist dir vielen Dank schuldig. Du bist so tapfer wie Matava-se, der Herr des Felsens, der auch ein Deutscher ist.«
»Kennst du die Deutschen?«
»Ich kenne einige. Sie werden von den Amerikanern Dutchmen genannt. Sie sind stark, tapfer und klug, wahr und treu. Ich habe gehört von einem von ihnen, den die Apatschen und Komantschen Itinti-ka, den Donnerpfeil, nennen.«
»Gesehn hast du ihn noch nicht?« fragte der Trapper.
»Er heißt der Donnerpfeil, weil er schnell und sicher ist wie der Pfeil und mächtig und schwer wie der Donner. Seine Büchse verfehlt nie ihr Ziel, und sein Auge irrt auf keiner Spur, Ich habe viel von ihm gehört, ich habe ihn bisher noch nie gesehn, aber heute sehe ich ihn.«
»Wo?« fragte Unger überrascht.
»Hier. Du bist es.«
»Ich? Woran erkennst du mich?«
»Sieh deine Wange an! Donnerpfeil hat einen Messerstich durch die Wange erhalten, das weiß ein jeder, der einmal von ihm gehört hat. Solche Erkennungszeichen merkt man sich. Habe ich richtig geraten oder nicht?«
Unger nickte. »Du hast recht. Man nennt mich allerdings Itinti-ka, den Donnerpfeil.«
»So danke ich Wahkonda Gott, daß er mir erlaubt hat, mit dir zu sprechen. Du bist ein tapferer Mann, reiche mir deine Hand und sei mein Bruder!«
Sie schlugen ein, und Unger sagte:
»Solang unsre Augen einander erblicken, soll Freundschaft sein zwischen mir und dir!«
Und der Indianer fügte hinzu:
»Meine Hand sei deine Hand und mein Fuß dein Fuß! Wehe deinem Feind, denn er ist auch der meinige, und wehe meinem Feind, da er auch der deinige ist! Ich bin du, und du bist ich, wir sind eins!«
Dieser »Büffelstirn« war kein Indianer nach der Art der nördlichen Roten. Er war gesprächig und mitteilsam und doch wohl trotzdem nicht minder furchtbar als einer jener schweigsamen Rothäute, die es für eine Schande halten, den Gefühlen des Herzens Worte zu verleihn.
»Du wohnst in der Hazienda?« fragte Unger.
»Nein«, entgegnete der Büffeljäger. »Wer mag wohnen und schlafen in der Luft, die zwischen Mauern gefangen ist. Ich wohne hier.« Er deutete aus das Rasenstück, auf dem er stand.
»So hast du das beste Lager auf der ganzen Hazienda. Ich konnte es in der Stube nicht aushalten.«
»Auch Bärenherz, dein Freund, hat die Weide aufgesucht. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und ihm gedankt. Wir sind Brüder geworden wie du und ich.«
»Wo ist er?«
»Er sitzt da drüben bei den Vaqueros, die von dem Überfall der Komantschen erzählen.«
»Laß uns zu ihnen gehn!«
Der Indianer ergriff seine schwere Büchse, warf sie auf die Schulter und führte den Deutschen.
Weit draußen, mitten zwischen halbwilden, weidenden Pferdegruppen lagerten die rauhen Vaqueros an der Erde und erzählten sich die Abenteuer ihrer jungen Herrin, die sich sehr schnell herumgesprochen hatten. Bärenherz saß schweigsam dabei. Er sagte kein Wort dazu, obgleich er alles besser und wahrer hätte erzählen können. Die beiden kamen und setzten sich mit zu den andern, die sich nicht stören ließen, obgleich nun auch der zweite Held der Erzählung zugegen war. Dieser nahm zuweilen das Wort, und so entwickelte sich nach und nach eine jener fesselnden Unterhaltungen, die man nur beim Lagern in der Wildnis zu hören bekommt.
Da drang ein zorniges Schnauben und Röcheln in das Gespräch hinein.
»Was ist das?« fragte Unger, der sich bei diesem Geräusch schnell umdrehte.
»Es ist der Rapphengst«, antwortete einer der Vaqueros. »Er soll verhungern, wenn er nicht gehorcht.«
»Verhungern? Warum?«
»Er ist unzähmbar.«
»Pah!«
»Pah? Señor, zweifelt ja nicht! Wir haben uns alle Mühe mit ihm gegeben. Wir haben ihn nun schon dreimal im Corral gehabt, um ihn zu zähmen, aber wir mußten ihn immer wieder freigeben. Er ist ein Teufel. Wir alle sind Reiter, das könnt Ihr glauben, aber alle hat er abgeworfen, außer einem.«
»Wer ist dieser eine?«
»Büffelstirn hier, der Häuptling der Mixtekas. Er allein wurde nicht abgeworfen, aber dennoch hat er ihn nicht bezwungen.«
»Unmöglich. Wer nicht abgeworfen wird, der muß doch Sieger bleiben.«
»So dachten auch wir. Aber der Teufel von einem Rapphengst ist mit ihm ins Wasser gegangen, um ihn herabzutauchen, und als dies nichts fruchtete, hat er ihn in den dichtesten Wald getragen und einfach abgestreift.«
»Donnerwetter!« rief Unger.
»Ja«, nickte Büffelstirn. »Es ist eine Schande, aber es ist wahr. Und ich darf mich doch rühmen, daß ich schon manches Pferd tot gemacht habe, das nicht gehorchen wollte.«
Der Vaquero fuhr fort:
»Es sind viele Reiter und Jäger hier auf der Estanzia gewesen, um ihre Kraft und Gewandtheit zu versuchen, aber immer vergebens. Sie alle sagen, daß es vielleicht nur einen gibt, der den Hengst bezwingen kann.«
»Wer sollte das sein?«
»Das ist ein fremder Jäger da oben am Red-River, der selbst den Teufel in die Hölle reiten würde. Dieser Mann soll mitten in wilde Pferdetrupps geraten und von Kopf zu Kopf über die Tiere hinweggelaufen sein, um sich das beste herauszuholen.«
Unger lächelte belustigt und fragte: »Hat er einen Namen?«
»Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itinti-ka, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.«
Bärenherz und Büffelstirn ließen es sich nicht merken, daß von Unger selbst die Rede sei, und auch er zuckte mit keiner Miene, als er fragte:
»Wo ist das Pferd?«
»Dort hinter jener Anhöhe liegt es gefesselt!«
»Alle Teufel, das ist ein Unrecht!«
»Pah! Señor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber diesmal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.«
»So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?«
»Versteht sich.«
»Zeigt ihn mir!«
»So kommt, Señor!«
Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeireiten. Es war der gewöhnliche Besichtigungsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen sich nicht stören und führten Unger zu dem Hengst.
Das Tier lag, an allen vieren gefesselt und mit einem Korb vor dem Maul, am Boden. Die Augen waren ihm vor Wut und Aufregung mit Blut unterlaufen. Jede einzelne Ader war zum Zerplatzen geschwollen, und aus dem Maulkorb triefte der Schaum in großen Flockentrauben.
»Alle Wetter, das ist ja die reine Sünde!« rief Unger.
»Macht es anders, Señor!« meinte der Vaquero, kaltblütig die Achseln zuckend.
»Das ist Tierquälerei. Das darf man nicht leiden. Auf diese Weise wird das edelste Pferd verdorben.«
Unger hatte sich in Eifer hineingeredet. Da kam Arbellez mit den Mädchen an.
»Was gibts, Señor Unger, daß Ihr Euch so erregt?« fragte er.
»Ihr bringt den Hengst um!« antwortete dieser.
»Das will ich auch, wenn er nicht gehorchen lernt.«
»Er wird gehorchen lernen, so aber nicht.«
»Wir haben alles vergebens versucht.«
»Gebt ihm einen tüchtigen Reiter auf den Rücken!«
»Hilft nichts.«
»Pah! Darf ich es versuchen, Señor?«
»Nein.«
Unger sah ihn erstaunt an. »Warum nicht?«
»Weil mir Euer Leben zu lieb ist.«
»Pah! Ich will lieber sterben, als dieses länger mit ansehn. Ein guter Pferdekenner hält das nicht aus. Also, darf ich den Rappen reiten?«
Da drängte Emma besorgt ihr Pferd heran und bat ängstlich: »Vater, erlaube es ihm nicht! Der Rappe ist zu gefährlich!«
Der Deutsche blickte ihr mit einem glücklichen Lächeln ins Gesicht. Ihre Angst war ihm ein Beweis, daß er ihr nicht gleichgültig sei; dennoch aber entgegnete er ernst:
»Señorita, ich bitte Euch, beleidigt mich nicht in dieser Weise! Ich sage Euch, daß ich den Schwarzen ganz und gar nicht fürchte.«
»Ihr kennt das Tier nicht, Señor«, mahnte Arbellez. »Es sind viele hier gewesen, die behaupten, daß vielleicht nur Itinti-ka, der Donnerpfeil, es bändigen könne.«
»Kennt Ihr diesen Itinti-ka?«
»Nein, aber er ist einer der besten Reiter, die zwischen den beiden Meeren leben.«
»Und dennoch beharre ich bei meiner Bitte!«
»Nun wohl, ich muß sie Euch gewähren, denn Ihr seid mein Gast, aber es tut mir leid um die Folgen. Zürnt mir später nicht!«
Da stieg Emma schnell vom Pferd, trat auf Unger zu und bat, seine Hand ergreifend: »Señor Unger, wollt Ihr nicht doch um meinetwillen von dem Pferd ablassen? Mir ist so angst!«
Sein Auge traf mit einem warmen Strahl das ihrige. »Señorita, sprecht aufrichtig: ist es eine Ehre oder eine Schande für mich, wenn ich erst behaupte, daß ich mich nicht fürchte, und dann doch zurücktrete?«
Sie senkte den Kopf, sie sah ein, daß er recht hatte, daß er vor den andern, die alle gute Reiter waren, nicht zurück konnte. Darum fragte sie kleinlaut: »Ihr wollt es also wirklich wagen?«
»Oh, Señorita Emma, für mich ist das kein Wagnis.«
Unger blickte dem schönen Mädchen dabei mit einer so offnen, heitern Zuversicht in die Augen, daß es zurücktrat und an die Möglichkeit des Gelingens glaubte.
»Wohlan, nun gilts!«
Mit diesen Worten trat er an den Hengst heran und wies die Vaqueros zurück, die ihm helfen wollten, die Fesseln abzunehmen. Das Tier wälzte sich noch immer schnaubend und stöhnend am Boden. Unger nahm ihm den Korb ab und zog das Messer. Nur das Ende eines Lasso war dem Pferd um das Maul gebunden. Der Deutsche nahm diesen Riemen in die Linke, schnitt mit dem Messer die Fesseln erst der Hinter-, dann auch die der Vorderbeine durch und saß, als der Rappe emporschnellte, wie angegossen auf dessen Rücken.
Jetzt begann ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, wie ihn noch keiner der sich vorsichtig zurückziehenden Zuschauer gesehn hatte. Der Hengst ging vorn und hinten in die Höhe, bockte zur Seite, schlug und biß, warf sich zu Boden, wälzte sich, sprang wieder empor – immer blieb der Reiter über ihm. Es war zunächst ein Kampf der menschlichen Geschicklichkeit gegen die Widerspenstigkeit eines wilden Tiers, dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Pferd schwitzte Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte; es strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter gab nicht nach. Mit stählernem Schenkeldruck preßte er das Tier zusammen, daß diesem der Atem auszugehn drohte. Und nun erhob es sich zum letztenmal mit allen vieren in die Luft, dann – schoß es davon, über Stock und Stein, über Graben und Büsche, daß man es samt seinem Reiter in einer halben Minute nicht mehr erblickte.
»Donnerwetter, so etwas habe ich noch nicht gesehn!« lobte Arbellez.
»Er wird den Hals brechen«, sagte einer der Vaqueros.
»Nun nicht mehr«, meinte ein andrer. »Er hat gesiegt.«
»Oh, war es mir angst!« gestand Emma. »Aber ich glaube nun wirklich, daß keine Gefahr mehr vorhanden ist. Nicht wahr, Vater?«
»Sei ruhig! Wer so fest sitzt und solche Stärke zeigt, der stürzt nun nicht mehr herab. Das war ja gerade, als ob Teufel gegen Teufel kämpften. Ich glaube, dieser Itinti-ka könnte es auch nicht besser machen.«
Da trat Büffelstirn heran und sagte: »Nein, Señor, er kann es nicht besser machen, denn dieser Señor Unger ist ja selbst Itinti-ka, der Donnerpfeil!«
»Was?« fuhr Arbellez auf. »Er? Der Donnerpfeil?«
»Ja. Fragt hier den Häuptling der Apatschen!«
Arbellez richtete einen fragenden Blick auf den Genannten.
»Er ist es«, sagte dieser einfach.
»Ja, wenn ich das gewußt hätte, so hätte ich keine solche Angst ausgestanden«, erklärte der Haziendero. »Es war mir wahrhaftig so zumut, als ob ich selber auf dem Tier säße.«
Emma blickte still vor sich hin, aber in ihrem Auge brannte ein glückliches Feuer.
Voller Erwartung blieben alle halten, und keiner ging von dem Platz fort. So verfloß über eine Viertelstunde, da kehrte Unger zurück. Der Rapphengst war zum Zusammenbrechen müde, aber der Reiter saß lächelnd auf seinem Rücken.
Emma ritt ihm entgegen. »Señor, ich danke Euch!« sagte sie.
Ein andrer hätte gefragt: »Wofür?« Er aber verstand sie und lächelte ihr glücklich zu.
»Nun, Señor Arbellez,« fragte er, »muß es denn gerade wirklich dieser Itinti-ka sein? Ich denke, wir können ihn entbehren, denn ich kann es auch.«
»Weil Ihr es selber seid, ja.«
»Aha, so ist mein Geheimnis verraten!« lachte er.
»Und das Inkognito des Fürsten der Savanne ist zu Ende«, fügte Emma hinzu.
Es wurde ihm von allen Seiten die lauteste Bewunderung zuteil, er aber wehrte alle Lobeserhebungen ab und sagte:
»Ich bin noch nicht fertig. Darf ich Euch auf Eurem Ritt begleiten, Señor Arbellez?«
»Ist das Pferd nicht zu müde?«
»Es muß, ich will es so.«
»Gut, so kommt!«
Sie ritten nun die weiten Plätze ab, auf denen Pferde, Rinder, Maultiere, Schafe und Ziegen weideten, und kehrten dann nach Haus zurück, wo der Rapphengst angepflockt wurde.
Als Karja, die Indianerin, sich nach ihrem Zimmer begab und an der Tür des Grafen vorüberging, öffnete sich diese, und Alfonso trat für einen Augenblick heraus.
»Karja, kann ich dich heute sprechen?«
»Wann?« fragte sie.
»Zwei Stunden vor Mitternacht.«
»Wo?«
»Unter den Ölbäumen am Bach.«
»Ich komme.«
Sobald der Abend hereingebrochen war, versammelte man sich im Speisesaal, wo ein vorzügliches Mahl aufgetragen wurde. Auch die beiden Häuptlinge waren anwesend, der Graf jedoch ließ sich nicht sehn. Er hatte sich bereits nach den Ölbäumen geschlichen, in deren Nähe das Wasser so vertraulich rauschte. Um die angegebne Zeit kam die Indianerin. Er zog sie neben sich nieder. Sie zeigte sich schweigsamer als bisher.
»Was hast du, Karja?« fragte er. »Liebst du mich nicht mehr?«
»O doch, obgleich ich dich nicht mehr lieben sollte«, erwiderte sie. »Freust du dich etwa wirklich, daß ich gerettet worden bin?«
»Ah! Wie kommst du auf diesen Gedanken?«
»Hättest du sonst meine Retter beleidigt?«
»Sie gehören hinaus auf die Weide, nicht aber in die Estanzia.«
Die Indianerin schüttelte den schönen Kopf. »Du bist nicht edel, Alfonso.«
»O doch, aber ich hasse alles Häßliche.«
»Ist dieser Donnerpfeil etwa häßlich?«
»Donnerpfeil? Der Reiter und Pfadfinder? Den habe ich ja noch gar nicht gesehn.«
»Du hast ihn allerdings gesehn. Es ist Unger.«
»Verdammt! Nun begreife ich auch die Forderung.«
»Wirst du dich mit ihm schlagen?«
»Fällt mir nicht ein. Er ist mir nicht ebenbürtig.«
Die Indianerin liebte Alfonso und hatte Angst um ihn. Deshalb sagte sie: »Daran tust du recht, du wärst sonst verloren.«
Es ist nicht angenehm für einen Mann, von der Geliebten zu hören, daß sie einen andern für tapferer hält. Er antwortete daher:
»Du irrst dich. Sahst du mich einmal schießen oder fechten?«
»Nein.«
»Nun, so kannst du auch nicht über mich urteilen. Ein Ritter, ein Graf muß ja in solchen Dingen jedem Jäger überlegen sein. Du wirst mich erst kennenlernen, wenn ich dich zu meiner Gemahlin erhoben habe.«
»Oh, das wird nie geschehn! Alfonso, ich möchte dir ja so gern glauben. Ich liebe dich, und wir würden glücklich sein.«
»Ja, wir werden es, und ob früher oder später, das kommt ganz auf dich an. Kennst du nicht die Bedingung, die ich dir gesagt habe?«
»Sie ist hart, denn sie verlangt, daß ich meinen Schwur breche, daß ich zur Verräterin an meinem Volk werde.«
»Der Schwur bindet dich nicht, da du ihn als Kind gabst, und dein Volk kein Volk mehr ist. Wenn du mich liebst und die Meinige werden willst, so ist nur mein Volk das deinige. Ich bin jetzt nach der Hazienda del Erina gekommen, um mir Gewißheit zu holen. Muß ich auch diesmal ohne dich abreisen, so gehe ich nach Spanien, und wir sind getrennt für immer.«
»Du bist grausam.«
»Nein, ich bin nur vorsichtig. Ein Herz, das keine Opfer zu bringen vermag, kann nicht wirklich lieben.«
»Oh,« rief Karja, ihn umschlingend, »ich liebe dich ja unendlich! Glaube es mir doch!«
»So beweise es mir! Wir brauchen die Schätze der Königshöhle, um dem Vaterland einen neuen Herrscher zu geben. Und die erste Tat dieses Herrschers wird sein, dich in den Adelstand zu erheben, damit du Gräfin de Rodriganda werden kannst.«
»Das wird wirklich geschehn?«
»Ich schwöre es dir zum tausendstenmal.«
»Und du wirst meinem Bruder niemals verraten, daß ich es war, die dir das Geheimnis mitteilte?«
»Niemals. Er wird gar nicht erfahren, wer die Schätze gehoben hat.«
Alfonso fühlte die Indianerin nachgiebig werden, und seine Brust schwoll vor Freude. Er heuchelte ihr nur Liebe, um ihr das Geheimnis zu entlocken, und hätte ihr jetzt alles versprochen, um sie nur zum Reden zu bringen.
»Nun gut, du sollst erfahren, wo sich der Königsschatz befindet. Aber nur unter der Bedingung, daß ich dir erst am Tag unsrer Verlobung das Geheimnis offenbare.«
»Das geht nicht«, sagte er enttäuscht. »Du erhältst den Adel nur nach der Entdeckung des Schatzes, und eher darf den Gesetzen des Landes gemäß unsre Verlobung nicht stattfinden.«
»Ist dies wirklich wahr?« fragte sie.
Alfonso umschlang sie sanft und küßte sie. »Es ist so, glaube es mir doch, meine liebe Karja. Du weißt ja, daß ich ohne dich nicht leben kann! Du bist zwar ein Fürstenkind, doch nach spanischen Gesetzen gilt deine Herkunft nicht als Adel. Meinem Herzen bist du teuer und ebenbürtig, vor der Welt aber ist dies anders. Magst du mir denn nicht vertrauen, mein Leben?«
»Ja, du sollst es erfahren«, erwiderte Karja, deren Widerstand unter seinen Zärtlichkeiten schmolz. »Aber dennoch wirst du mir eine ganz kleine Bedingung erlauben. Gib mir vorher eine Schrift, in der du bekennst, daß ich gegen Überantwortung des Schatzes deine Frau werden soll.«
Diese Bedingung war für Alfonso sehr heikel; aber sollte er jetzt, so nah am Ziel, einer Albernheit wegen zaudern? Nein. Diese Indianerin war nicht die Person, mit einigen geschriebenen Worten irgendwelche Ansprüche rechtfertigen zu können; darum antwortete er bereitwillig:
»Gern, sehr gern, meine Karja! Ich tue ja damit nur das, was ich selber von ganzem Herzen wünsche. Also sag, wo liegen die Schätze?«
»Erst die Schrift, lieber Alfonso!«
»Schön. Ich werde sie bis morgen mittag anfertigen.«
»Und dein Siegel druntersetzen?«
»Jawohl!«
»So werde ich dir am Abend den Ort beschreiben.«
»Warum erst am Abend? Die Schrift ist ja bereits am Mittag fertig. Darf ich da zu dir kommen?«
»Nein. Ich muß jeden Augenblick gewärtig sein, daß Emma oder eine der Dienerinnen mich aufsucht. Man könnte uns leicht überraschen.«
»So kommst du zu mir?«
»Ich zu dir?« fragte sie zögernd.
»Fürchtest du dich?«
»Nein. Ich werde kommen.«
Da zog er Karja abermals an sich und küßte sie, obgleich ihn diese Zärtlichkeit eine gewisse Überwindung kostete. Sein Herz war zwar weit, aber eine Indianerin war doch nicht nach seinem Geschmack.
Während Alfonso und die Indianerin unter den Oliven saßen, begleitete Unger den Häuptling Tecalto zu seinem Lagerplatz im Gras der Weide. Er war seit langer Zeit die freie Gottesnacht gewöhnt und wollte, eh er sich im Zimmer schlafen legte, noch eine Lunge voll frischer Luft sammeln. Darum ging er, als er sich von dem Häuptling verabschiedet hatte, noch nicht in die Hazienda zurück, sondern trat in den Blumengarten, wo er sich am Rand des künstlichen Wasserbeckens niederließ, in dem ein Springbrunnen seinen belebenden Strahl in die Höhe schoß.
Er hatte noch nicht lange hier gesessen, als er leise Schritte hörte. Gleich darauf kam eine weibliche Gestalt langsam den Gang dahergeschritten und gerade auf den Springbrunnen zu. Er erkannte Emma und erhob sich, um nicht vielleicht für einen Lauscher gehalten zu werden. Sie erblickte ihn und zauderte, weiterzugehn.
»Bitte, Señorita, tretet getrost näher!« bat er. »Ich werde mich sogleich entfernen, um Euch nicht zu stören.«
»Ach, Ihr seid es, Señor Unger«, antwortete sie. »Ich glaubte, Ihr hättet Euch bereits zur Ruhe begeben.«
»Das Zimmer ist mir noch zu unbequem und drückend; man muß sich erst daran gewöhnen.«
»Es ging mir ganz ebenso, darum suchte ich vorher noch den Garten auf.«
»So genießt den Abend ungestört! Gute Nacht, Señorita!«
Unger wollte gehn, sie aber nahm ihn bei der Hand, um ihn zurückzuhalten.
»Bleibt, wenn es Euch Bedürfnis ist«, sagte sie. »Unser Gott hat Luft und Duft und Sterne genug für uns beide. Ihr stört mich nicht.«
Er gehorchte und nahm neben ihr am Rand des Wassers Platz. –
Unterdessen hatte sich der Häuptling der Mixtekas hart an der Gartenumzäunung niedergelegt. Er blickte träumerisch gen Himmel und ließ seine Phantasie hinaufsteigen in jene ewigen Welten, wo die Sonnen rollen, die von seinen Ahnen verehrt worden waren. Dabei aber hatte er doch Sinn für das kleinste Geräusch seiner Umgebung.
Da war es ihm, als ob er im Innern des Blumengartens leise Schritte und dann auch unterdrückte Stimmen vernehme. Er wußte, daß der Graf sich bemühte, so oft als möglich in die Nähe seiner Schwester Karja zu kommen, und ebenso, daß diese dem Bestreben des Grafen keinen Widerstand entgegensetzte. Sein Argwohn erwachte. Seit einer Stunde waren weder der Graf noch Karja in der Hazienda zu sehn gewesen. Sollten sie ein Stelldichein im Garten verabredet haben? Er mußte das erfahren, das war notwendig für ihn und sie.
Er erhob sich leise und schwang sich mit indianischer Leichtigkeit über die Umpfahlung in den Garten hinüber. Dort legte er sich auf den Boden und schlich mit solcher Unhörbarkeit näher, daß selbst das geschärfte, jetzt aber in Sicherheit gewiegte Ohr des Deutschen nichts vernahm. So erreichte er unbemerkt die andre Seite des Beckens und konnte nun jedes Wort der Unterhaltung verstehn.
»Señor, ich sollte Euch eigentlich zürnen«, sagte Emma soeben. »Ihr habt mir heute so große Angst verursacht.«
»Wegen des Pferdes? Ihr habt Euch umsonst geängstigt, denn ich habe Pferde gebändigt, die ebenso schlimm waren. Der Rappe ist nun so fromm, daß ihn jede Dame unbesorgt reiten kann.«
»Ein Gutes hat der Vorgang doch gehabt, nämlich, daß Ihr Euer Inkognito aufgegeben habt, Ihr eitler Mann!«
»Oh,« lachte er, »eine eigentliche Eitelkeit war es nicht. Man muß zuweilen vorsichtig sein. Gerade dadurch, daß man mich für einen gewöhnlichen und ungeübten Jäger hielt, habe ich oft die größten Vorteile errungen.«
»Aber mir konntet Ihr es doch offenbaren. Ihr hattet mir ja bereits ein viel größeres Geheimnis anvertraut.«
»Ein Geheimnis, das für mich wohl niemals einen Wert haben wird. Ich werde die Höhle des Königsschatzes niemals entdecken, obgleich ich mich hier in ihrer Nähe befinden muß.«
»Ah, woraus schließt Ihr das?«
»Aus der Bildung der Berge und dem Lauf des Wassers. Die Gegend, die wir zuletzt durchritten, stimmt genau mit einem Teil meiner Karte überein.«
»So habt Ihr ja einen Anhalt gefunden und könnt weitersuchen.«
»Es fragt sich sehr, ob ich dies tue. Ich bin nämlich im Zweifel, ob ich ein Recht dazu habe.«
»Ihr hättet doch jedenfalls das Recht des Finders. Ich überschätze den Wert des Goldes keinesfalls, aber ich weiß auch, daß sein Besitz vieles gewährt, wonach Tausende vergeblich streben. Sucht, Señor! Es sollte mich freuen, wenn Ihr die Höhle fändet!«
»Ja, die Macht des Goldes ist groß,« sagte er nachdenklich, »ich habe in der Heimat einen armen Bruder, dessen Glück ich vielleicht machen könnte. Aber wem gehört der Schatz? Doch wohl den Nachkommen derer, die ihn versteckten.«
»Wißt Ihr nicht, von wem Eure Karte stammt?«
»Von einem Indianer, wie ich Euch bereits sagte. Er war verwundet und starb, bevor er mir die notwendigen mündlichen Aufklärungen geben konnte.«
»Und es steht kein Name darauf?«
»Nein. In der einen Ecke befindet sich ein rätselhaftes Zeichen, das ich nicht zu erklären vermag. Ja, ich nehme es mir vor, ich werde suchen. Aber wenn ich den Schatz wirklich finden sollte, so werde ich ihn nicht berühren, sondern nach seinen rechtlichen Besitzern suchen. Sollten diese nicht zu finden sein, so ist es noch immer Zeit, sich zu entschließen.«
»Señor, Ihr seid ein Ehrenmann«, sagte die Mexikanerin warm.
»Ich tue nur, was ich muß, und unterlasse alles Unrecht.«
»Euer Bruder ist also arm?«
»Ja. Er ist ein Seemann, der es wohl nie zur Selbständigkeit bringen kann, solang er auf seine eigne Kraft angewiesen ist, und ich selbst besitze nur eine kleine Summe, die ich aus dem Ertrag meiner Jagdstreifereien gelöst habe.«
»Ihr besitzt mehr! Sollte ein ›Donnerpfeil‹ wirklich so arm sein? Gibt es nicht Reichtümer, die mit dem Besitz des Goldes nichts zu tun haben?«
»Ja, es gibt solche Schätze. Ich kenne einen solchen Schatz, der kostbarer ist als alles Gold der Erde, und hätte ich hundert Leben, so würde ich sie alle opfern, um nach dem Besitz dieses Schatzes ringen zu dürfen. Ja, Señorita, ich bin Itinti-ka, der Donnerpfeil; ich gehöre zu den gefürchtetsten Pfadfindern der Wildnis. Der Bösewicht zittert vor mir, mag er nun eine weiße oder eine rote Haut tragen. Ich bin an Gefahren gewöhnt, aber, um diesen Schatz zu erobern, würde ich mit allen Weißen und Indianern des Westlandes kämpfen.«
»Darf man diesen Schatz kennenlernen?«
»Soll ich ihn nennen?« fragte er leise.
In seiner Stimme Lang ein unbeschreiblich bewegter Ton mit, und dieser Ton fand Widerhall in ihrem Herzen. Sie antwortete:
»Sagt es!«
»Ihr – Ihr seid es!« sprach er da, indem er ihre Hand ergriff. »Glaubt Ihr das?«
»Ja, ich glaube es!« erwiderte sie einfach und innig. »Klingt das nicht wie eine Anmaßung, Señor? Aber es ist die Wahrheit, denn auch ich fühle es, daß man ein Menschenherz höher schätzen kann, als alle Reichtümer der Erde! Ich selbst kenne ja auch einen solchen Schatz.«
Es durchzitterte ihn in freudiger Ahnung bei diesen Worten. »Welcher Schatz ist es, Señorita?«
»Ihr seid es – nein, du bist es, Antonio!«
Bei diesen Worten schlang sie die Arme um seinen Nacken und legte ihren Kopf an seine Brust.
»Ists wahr, ists möglich?« fragte er.
»Ja. Ich habe dich bewundert von dem Augenblick an, wo du meine Fesseln zerschnittest und mich auf dein Pferd schwangst, und ich habe dich geliebt von dem Augenblick an. wo ich dir in dein gutes, treues Auge blicken konnte. Ich bin dein, du starker, du guter, du lieber Mann, und jeder Augenblick meines Lebens soll nur dir allein gewidmet sein.«
Da legte er auch seine Arme um sie und flüsterte: »Herrgott, ich danke dir! Das ist des Glücks fast zuviel für einen armen Jägersmann.«
Ihre Lippen suchten sich, und als sie sich in einem langen Kuß fanden, da hörten sie nicht, daß sich an der andern Seite des Wassers etwas zu bewegen begann. Es war Büffelstirn, der sich an den Zaun zurückschlich, um sich über diesen hinüberzuschwingen und sich zur Ruhe zu legen. –
Am andern Morgen hatte sich Unger kaum vom Lager erhoben, als der Haziendero bei ihm eintrat, um ihm einen guten Morgen zu wünschen. Trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins hatte er den Deutschen bereits herzlich liebgewonnen.
»Ich komme eigentlich mit einer Bitte«, sagte er.
»Die ich erfüllen werde, wenn ich kann«, meinte Unger.
»Ihr könnt es. Ihr befindet Euch hier in der Einsamkeit, wo Ihr Eure Bedürfnisse gar nicht befriedigen könnt, während ich von allem einen Vorrat habe, da ich die Meinigen mit dem, was sie brauchen, versorgen muß. Wollt Ihr Euch mit Wäsche und einer neuen Kleidung versehn, so hoffe ich, daß Ihr mit meinen Preisen zufrieden sein werdet.«
Unger wußte gar wohl, wie es gemeint war, aber einesteils konnte er den guten Haziendero doch nicht beleidigen, und andernteils befand sich sein alter Jagdanzug in einem sehr dürftigen Zustand. Er überlegte sich die Sache also kurz und erwiderte:
»Gut, ich nehme Euer Anerbieten an, Señor Arbellez, vorausgesetzt, daß Eure Preise nicht gar zu hoch sind, denn ich bin, offen gestanden, das, was man einen armen Teufel nennt.«
»Hm, eine Kleinigkeit wenigstens muß ich mir doch auch verdienen, obgleich die Zahlung nicht grad heute notwendig ist. Kommt, Señor; ich werde Euch meine Vorratskammer zeigen!«
Als eine Stunde später Unger vor dem Spiegel stand, kam er sich selbst ganz fremd vor. Er trug eine unten aufgeschlitzte, goldverbrämte mexikanische Hose, leichte Halbstiefel mit ungeheuren Rädersporen, ein schneeweißes Hemd, darüber eine kurze, vorn offne Jacke, die mit Gold- und Silberstücken besetzt war, auf dem Kopf einen breitkrempigen Sombrero und um die Hüfte einen Schal von feinstem, chinesischem Seidenstoff. Das Haar war ihm verschnitten, der Bart ausrasiert und zugestutzt, und so erkannte er sich in dieser kleidsamen, reichen Tracht kaum selbst wieder.
Als er zum Frühstück in den Speisesaal trat, fand er Emma bereits anwesend. Sie errötete, als sie die Veränderung bemerkte, die mit ihm vorgegangen war. Karja, die Indianerin, schien erst jetzt zu sehn, welch ein prächtiger Mann der Deutsche war. Vielleicht stellte sie Vergleiche zwischen ihm und dem Grafen an. Die beiden Indianerhäuptlinge taten natürlich, als bemerkten sie diese Veränderung gar nicht.
Einer aber ärgerte sich fürchterlich darüber. Das war der Graf. Die Hoffnung, bald in den Besitz des Schatzes zu gelangen, mochte ihn nachgiebig stimmen; er erschien zum Frühstück, wäre aber fast wieder umgekehrt, als er Unger erblickte. Kein Mensch sprach ein Wort mit ihm, und er mußte sehn, mit welcher Herzlichkeit Emma mit dem Verhaßten verkehrte. Er knirschte heimlich mit den Zähnen und nahm sich vor, diesen Fremden unschädlich zu machen.
Nach dem Frühstück bat Emma den Deutschen und ihren Vater, noch zu bleiben. Er ahnte nicht im geringsten, was sie beabsichtigte. Aber als die drei sich nun allein befanden, legte das schöne Mädchen den Arm um den Haziendero und sagte:
»Vater, wir haben gestern nachgesonnen, wie wir Señor Unger danken wollen.«
»Ja,« nickte er, »aber wir haben leider nichts gefunden.«
»Oh,« sagte sie, »ich habe dann später wieder nachgesonnen und das Richtige getroffen. Soll ich dir es zeigen?«
»Freilich!«
Da nahm sie den Deutschen beim Kopf und küßte ihn. »So meine ich es, Vater, und ich denke, daß er es wert ist.«
Die Augen des Hazienderos leuchteten und wurden feucht. »Ist denn Señor Unger damit zufrieden?«
»Oh, daß er mich liebt, das macht mich ja so glücklich!« versicherte sie.
»Hat er es dir denn gesagt?«
»Jawohl!« lachte sie unter Tränen.
»Wann denn?«
»Gestern abend. Im Garten. Aber, Vater, mußt du das alles wissen? Ists dir denn nicht genug, daß ich sehr glücklich bin?«
»Ja, ja, das ist mir genug, obgleich ich dir sagen muß, daß du auch mich ganz glücklich machst. Und Ihr, Señor Unger, wollt Ihr denn wirklich der Sohn eines alten, einfachen Mannes sein?«
»Oh, wie gern!« erwiderte er. »Aber ich bin arm, sehr arm, Señor!«
»Nun, so bin ich desto reicher, und das hebt sich also auf. Kommt an mein Herz, ihr guten Kinder! Gott segne uns alle und lasse diesen Tag den Anfang eines recht frohen Lebens sein!«
Sie lagen sich in den Armen und hielten sich in tiefer Rührung umschlungen als sich die Tür öffnete und – der Graf wieder eintrat.
Ganz erstaunt blieb er stehn. Er verstand, was hier vorging, und wurde leichenblaß vor Grimm.
»Ich sehe, daß ich störe!« entschuldigte er sich.
»Geht nicht eher,« sagte der Haziendero, »als bis Ihr erfahren, daß sich meine Tochter mit Señor Unger verlobt hat!«
»Wünsche viel Glück!«
Mit diesen wütend hervorgepreßten Worten verschwand er wieder. Pedro Arbellez aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als sein Gesinde zusammenrufen zu lassen, um ihm zu erklären, daß heute Feiertag sei, da die Verlobung von Señorita Emma gefeiert würde. Die Hazienda und ihre Umgebung hallte wider von dem Jubel der Vaqueros und Indianer, die im Dienst des Haziendero standen. Sie alle waren ihrer Herrschaft zugetan und hatten ja auch den Trapper als einen Mann kennengelernt, dem man die schöne Tochter Arbellez' wohl gönnen konnte.
Als Unger einmal hinaus auf die Weide trat, kam ihm der Häuptling der Mixtekas entgegen.
»Du bist ein tapferer Mann«, sagte er. »Du besiegst den Feind und eroberst die schönste Squaw des Landes. Wahkonda gebe dir seinen Segen! Das wünscht dein Bruder!«
»Ja, es ist ein großes Glück«, antwortete der Deutsche. »Ich war ein armer Jäger und werde nun ein reicher Haziendero sein.«
»Du warst nicht arm, du warst reich!«
»Ja,« lächelte Unger, »ich schlief im Wald und deckte mich mit den Sternen zu.«
»Nein«, entgegnete der Indianer ernst. »Du warst reich, denn du hattest die Karte zur Höhle des Königsschatzes.«
Der Deutsche trat erstaunt einen Schritt zurück. »Woher weißt du das?«
»Ich weiß es! Darf ich die Karte sehn?«
»Ja.«
»Sogleich?«
»Komm!«
Unger führte den Indianer in sein Zimmer und legte ihm das abgegriffene Schriftstück vor. Tecalto warf einen Blick in die Ecke des Plans und sagte:
»Ja, du hast sie! Das ist das Zeichen von Toxertes, der der Vater meines Vaters war. Er mußte das Land verlassen und kehrte nie wieder zurück. Du bist nicht arm. Willst du die Höhle des Königsschatzes sehn?«
»Kannst du sie mir zeigen?«
»Ja.«
»Wem gehört der Schatz?«
»Mir und Karja, meiner Schwester. Wir sind die einzigen Abkömmlinge der Könige der Mixtekas. Soll ich dich führen?«
»Ich gehe mit.«
»So sei heut um Mitternacht bereit. Dieser Weg kann nur im Dunkel der Nacht angetreten werden. Niemand darf davon wissen. Nur dem Weib deines Herzens magst du es anvertrauen. Denn sie weiß, daß du den Schatz suchtest.«
»Ah, woher ist dir das bekannt?«
»Ich habe jedes Wort gehört, das ihr gestern im Garten geredet habt. Du hattest die Karte und wolltest dennoch nichts nehmen. Du wolltest erst forschen, ob der Erbe vorhanden sei. Du bist ein ehrlicher Mann, wie es unter den Bleichgesichtern wenige gibt. Darum sollst du den Schatz der Könige sehn.« –
Eine Stunde später, zur Zeit des Mittagsmahls, als die andern beim Nachtisch saßen, schlüpfte die Indianerin in das Zimmer des Grafen.
»Hast du die Schrift fertig?« fragte sie.
»Kannst du lesen?«
»Ja«, antwortete sie stolz.
»Hier ist es.«
Alfonso gab Karja einen Bogen Papier, auf dem folgende Zeilen zu lesen waren:
»Ich erkläre hiermit, daß ich nach Empfang des Schatzes der Könige der Mixtekas mich als Verlobten von Karja, der Erbin dieser Könige, betrachten und sie als meine Gemahlin heimführen werde.
Alfonso,
Graf de Rodriganda y Sevilla.«
»Ist es so recht?« fragte er.
»Die Worte sind gut, aber das Siegel fehlt.«
»Das ist ja nicht notwendig.«
»Du hast es mir versprochen.«
»Gut, so magst du es haben«, sagte er, seinen Unwillen verbergend.
Er brannte den Wachsstock an und drückte sein Siegel unter die Worte.
»Hier, meine Karja! Und nun halte auch du dein Wort!«
»Ich halte es. Kennst du den Berg El Reparo?«
»Ja. Er liegt vier Stunden von hier gegen Westen.«
»Er sieht fast aus wie ein langgezogner, hoher Damm. Von ihm fließen drei Bäche ins Tal. Der mittelste ist der für dich wichtige. Sein Anfang bildet keinen offnen Quell, sondern er tritt gleich voll und breit aus der Erde heraus. Wenn du ins Wasser watest und da, wo es aus dem Berg kommt, dich bückst und hineinkriechst, so hast du die Höhle vor dir.«
»Ah, das wäre doch recht einfach.«
»Sehr einfach.«
»Braucht man Licht?«
»Du wirst Fackeln rechts vom Eingang finden.«
»Das ist alles, was du mir zu sagen hast?«
»Alles.«
»Und der Schatz befindet sich wirklich auch vollständig dort?«
»Vollständig.«
»So habe Dank, mein gutes Kind! Du bist jetzt meine Verlobte und wirst nun bald mein Weib sein. Jetzt aber geh! Man könnte uns hier überraschen.«
Karja ging. Sie hatte ein Opfer gebracht, aber dieses Opfer lag ihr mit Zentnerschwere auf der Seele. Sie mußte teilnehmen an der heutigen Festlichkeit, und doch war es ihr bei der allgemeinen Freude, als ob sie bittere Tränen weinen möchte.
Der Graf blieb in seinen Gemächern und ließ sich gar nicht sehn. Am Nachmittag kam ein reitender Eilbote zu ihm. Er erhielt einen Brief aus der Hauptstadt Mexiko, der ihm nur allein ausgehändigt werden durfte. Als er ihn geöffnet und gelesen hatte, blickte er erst starr vor sich hin, dann sprang er auf und murmelte:
»Es mag ein Verbrechen sein, pah! Ich heiße es jedoch gut, denn es bringt mir eine Grafenkrone. Wie gut, daß ich bereits zur Abreise gerüstet bin. Ich bringe einen Reichtum mit, um den mich Könige und Kaiser beneiden werden.«
Der Brief lautete folgendermaßen:
»Lieber Neffe!
Dein Vater hat geschrieben. Der Brief traf acht Tage nach Deiner Abreise ein. Du mußt nach Spanien zum Stammschloß Rodriganda reisen. Zuvor jedoch stirbt der alte Fernando. Komm! Der Kapitän Landola wird inzwischen in Veracruz eintreffen.
Dein Oheim Pablo Cortejo.«