Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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III.

Der Kysrakdar hatte sich wirklich an Feldmelonen gesättigt; mich aber hungerte, und so suchte ich, als wir in die Stadt kamen, den einzigen Bäcker, den es dort gab, auf, um mir etwas Eßbares zu kaufen. Die Pilger hatten seine Vorräte so in Anspruch genommen, daß eigentlich nichts mehr zu haben war; glücklicherweise aber hatte er mich an der Seite des Einsiedlers gesehen, und da er mich für einen Freund desselben hielt, so ließ er mir aus reiner Gefälligkeit ein orientalisches, das heißt fast unverdauliches Kuchenbrot ab. Dann ging es weiter, denn mein Begleiter wollte sich in Urumdschili natürlich nicht aufhalten.

Ich wäre sehr gern unterwegs übernacht geblieben; er aber schlug mir vor, direkt bis Kaisarijeh zu reiten, weil er hier überall gekannt war und Unannehmlichkeiten vermeiden wollte, und ich gab aus Rücksicht für ihn meine Zustimmung.

Der Weg beträgt sechs deutsche Meilen, was keine geringe Aufgabe für unsere Pferde war, welche für diese Nacht eigentlich der Ruhe bedurften, und ging, wie schon erwähnt, über den Kizil Irmak, wobei man sich der Fähre zu bedienen hatte.

Als wir am Flusse ankamen, war der Fährmann wach. Er hatte ein Feuer am Ufer brennen, weil die ganze Nacht hindurch Pilger kamen, welche übergesetzt werden mußten. Andere lagerten gruppenweise am Flusse, um schlafend den Morgen zu erwarten. Die Fähre bestand aus aufgeblasenen Häuten, welche mit Rohr bedeckt waren. Es stiegen mit uns eine Anzahl Pilger ein, und eben wollte der Fährmann vom Ufer stoßen, da rief einer derselben.

»Halt! Wollt Ihr Allah und den Propheten beleidigen, indem ihr mit es Sabbi, dem Verfluchten, fahrt? Da steht er mitten unter euch! Allah verdamme ihn!«

Sie wichen alle vor ihm zurück, einige spuckten ihn sogar an, und kehrten ans Ufer zurück. Nur meinem groben Auftreten, dem Vorzeigen meines Tenbih und einer reichlichen Bezahlung hatten wir es zu verdanken, daß uns der Fährmann an das andere Ufer brachte. Er versicherte uns, daß die Fähre gewaschen und durch das Beten von Kuransprüchen gereinigt werden müsse, ehe ein gläubiger Moslem dieselbe wieder betreten werde. Der Auftritt war höchst ärgerlich, sollte uns aber später zum Vorteile gereichen.

Da der Mond am wolkenlosen Himmel stand, bot der nächtliche Ritt gar keine Beschwerden; aber die Helle, welche er verbreitete, hatte zur Folge, daß der Kysrakdar von mehreren Pilgern, welche wir überholten, erkannt wurde. Wir hatten dann immer die üblichen Flüche und Verwünschungen anzuhören; sonst jedoch begegnete uns bis Kaisarijeh nichts Erwähnenswertes.

Es war am späten Vormittag, als wir diese am Nordfuße des Ardschisch gelegene Stadt erreichten. Sie ist uralt, hieß vor Zeiten Mazaca und später Caesarea Eusebia oder Caesarea ad Argaeum montem und ist die berühmteste unter allen Städten, welche denNamen Caesarea führten. Der später hier residierende griechische Metropolit führte den Titel Hypertinorum hypertinus et totius Orientis exarchus. Die Stadt hat sehr enge, schmutzige Straßen, doch sah ich einige gut gebaute Häuser, unter ihnen dasjenige, welches der französische Konsul bewohnte und vor dessen Thür wir natürlich abstiegen.

Der Kysrakdar hatte mir die Versicherung gegeben, daß ich wie ein alter Bekannter oder guter Freund aufgenommen werden würde, und ich fand das aufs vollkommenste bestätigt. Der Konsul, ein Großhändler, war ein frommer, ernster und dabei höchst wohlwollender Mann, seine Frau eine freundliche, sehr liebenswürdige, aber im Orient unmodern gewordene Dame und die Tochter erstens eine wirkliche Schönheit und zweitens in Beziehung auf ihr Herz und Gemüt der reine, wahre Sonnenschein. Es war nicht zu verwundern, daß sie die Seele meines neuen Freundes so ganz und gar für sich gefangen genommen hatte.

Zunächst mußte natürlich unser gestriges Erlebnis erzählt und ausführlich besprochen und beklagt werden; hierauf speisten wir vorzüglich; und dann mußten wir uns schlafen legen, da wir während der ganzen Nacht unterwegs gewesen waren. Der Kysrakdar legte sich jedenfalls mit fröhlichem Herzen nieder, denn da er nun die zur Bedingung gemachte Anstellung besaß, hatte ihm der Konsul gesagt, daß man noch heute oder morgen den Tag der Hochzeit bestimmen werde.

Ich schlief schnell ein, wurde aber sehr bald wieder geweckt, und zwar durch einen entsetzlichen Lärm, welcher sich vor dem Hause erhob. Es mußte etwas ganz Ungewöhnliches geschehen sein. Ich stand auf, um mich zu erkundigen, und wollte eben zur Thüre hinaus, als der Konsul hereingestürmt kam und bestürzt ausrief:

»Sie sind schon wach? Das ist gut! Denken Sie sich, Sie und mein Schwiegersohn sollen verhaftet werden! Draußen stehen die Polizisten mit einer großen Menge Volkes.«

»Verhaftet? Weshalb?« fragte ich.

»Sie sollen heute nacht beim Einsiedler eingebrochen sein und ihn bestohlen und sogar verwundet haben. Er hat gestern viel Geld erhalten und das hätten Sie ihm abgenommen. Er ist Ihnen hierher gefolgt und hat Sie beim Kadi angezeigt.«

»So! Das ist ja im höchsten Grade interessant! Erst bringe ich ihm das Geld vierzig geographische Meilen weit her, und dann breche ich bei ihm ein, um es ihm zu stehlen?«

»Ja, es ist ein Unsinn, aber ein sehr ernster und für Sie höchst gefährlicher Unsinn!«

»Wieso?«

»Das fragen Sie, Monsieur? ja, Sie fußen darauf, daß Sie fremd sind, und daß ich Konsul bin! Ich kann Ihre Auslieferung verweigern; das ist richtig; aber bedenken Sie, daß wir uns in der Zeit der Hadsch befinden! Da ist der Mohammedaner unberechenbar. Hunderte von Pilgern befinden sich in der Stadt; sie lagern auf allen Gassen und Plätzen. Wird nun ein einziger, kleiner Funke in diese so leicht entzündliche Masse geworfen, so entsteht ein Brand, dessen Wirkung gar nicht abzusehen ist.«

»Ich denke, der vierte Teil der hiesigen Bevölkerung besteht aus Christen?«

»Ja, aber aus armenischen, welche uns wenigen Katholiken feindlicher gesinnt sind als selbst die Mohammedaner. Wie oft haben diese Armenier unsern Gottesdienst gestört, den wir fast im Verborgenen halten müssen; wie oft haben sie gedroht, unsere kleine, arme Kapelle verbrennen zu wollen! Auf sie können wir uns gar nicht verlassen. Ich gestehe, daß ich mich in großer Verlegenheit befinde!«

»Die sehr bald zu Ende gehen wird, denn ich habe nicht die Absicht, Ihnen mit meiner Person Schwierigkeiten zu bereiten. Sagen Sie mir vorher das Eine: Können Sie die Auslieferung des Kysrakdar verweigern?«

»Nein; er ist türkischer Unterthan.«

»Gut, so liefern Sie uns einfach aus!«

»Das sagen Sie, weil Sie die Gefahr, in welcher Sie sich befinden, unterschätzen. Hören Sie?«

Er machte mich auf den Lärm draußen aufmerksam. Ich hörte rufen:

»Es Sabbi, es Sabbil Kristianlar dyschary, dyschary Kristianlar – der Verfluchte, der Verfluchte! Die Christen heraus, heraus mit den Christen!«

Das klang freilich nicht ungefährlich. Wenn wir in die Hände dieses aufgeregten mohammedanischen Pöbels gerieten, waren wir unsers Lebens nicht sicher.

»Hat Ihr Haus nur einen Ausgang?« fragte ich darum.

»Nein. Man kann durch den Garten auf eine hintere Gasse kommen.«

»Und wie viele Polizisten hat der Kadi geschickt?«

»Sechs.«

»So mögen drei uns durch den Garten bringen, und die andern drei können die Menge beruhigen, indem sie den guten Leuten sagen, daß wir uns bereits beim Kadi befinden.«

»So geht's, ja, so geht's, Monsieur! Und damit Sie nicht etwa denken, daß ich Sie verlassen will, werde ich Sie zum Kadi begleiten.«

»Sehr gut, Monsieur! Unsere Unschuld muß sich auf alle Fälle herausstellen, aber es ist sehr leicht möglich, daß ich Ihres Beistandes nicht entraten kann.«

Zwei Minuten später gingen wir, nämlich der Konsul, der Kysrakdar und ich, von drei Polizisten begleitet, durch den Garten und mehrere sehr wenig belebte Gassen nach der Wohnung des Kadi, welche auch eine hintere Thür hatte, die wir natürlich benutzten. ich hatte alles mit, was mir gehörte, auch mein Doppelgewehr. Wir wurden über einen weiten Hof geführt, in welchem eine große Menge Menschen stand. Es war heute Gerichtstag, und im Orient ist es einem Schauspiel gleichgeachtet, den Gerichtsverhandlungen beizuwohnen, die Richtersprüche zu hören und der sofortigen Vollstreckung derselben, wobei es viele Prügel setzt, zuzuschauen. Dann kamen wir in ein größeres Gemach, welches das Amts- und Arbeitszimmer des Kadi bildete. Er befand sich in demselben; niemand war bei ihm.

Dieser Vertreter der großherrlichen Gerechtigkeit war ein dicker Türke mit wohlwollendem Gesichtsausdrucke; die Gutmütigkeit blickte ihm aus den Augen. Er bewillkommnete den Konsul, indem er ihm die Hand schüttelte und auf ein Sortiment gestopfter Tabakspfeifen deutete, welche auf einem Teppiche neben einem glimmenden Kohlenbecken lagen. Den Kysrakdar schien er als Abtrünnigen nicht zu sehen. Mich aber musterte er scharf und sagte dann:

»Wenn du das Geld gestohlen hast, so sag's lieber gleich; ich bekomme es doch heraus!«

Anstatt der Antwort gab ich ihm meinen Tenbih und setzte mich neben dem Konsul nieder, um mir, ebenso wie dieser, eine Pfeife anzubrennen. Dieses mein Verhalten und der Inhalt der Schrift machte den Kadi verlegen. Er rieb sich erst die Stirn, dann die Nase; nachher kratzte er sich hinter dem Ohre und meinte:

»Diese Angelegenheit scheint freilich ganz anders beschaffen zu sein, als ich dachte! Nicht?«

»Möglich,« antwortete ich. »Wie hast du dir ihre Beschaffenheit denn gedacht?«

»Daß du der Spitzbube bist.«

»Ja, dann war's freilich sehr einfach! Ich bekam zunächst ganz gehörige Prügel und wurde dann für eine Reihe von Jahren eingesperrt. Leider bin ich aber erstens dieser Spitzbube nicht, und zweitens müßte diese Sache, da ich ein Deutscher bin, vor einer ganz andern Stelle verhandelt werden.«

»Aber du warst gestern bei Osman Bei, der Mir Alai gewesen ist und den man den Einsiedler nennt?«

»Ja. Ich habe ihm das Geld gebracht, welches mir Said Kaled Pascha für ihn anvertraute.«

»Erzähle mir, wann du zu ihm gekommen, wieder von ihm gegangen bist und was während deiner Anwesenheit bei ihm geschehen ist!«

Ich kam dieser Aufforderung nach, indem ich ihm einen ausführlichen Bericht gab. Am Schlusse desselben erwähnte ich die beiden Reiter, welche ich vor den ersten Häusern von Urumdschili gesehen und für die beiden Arnauten gehalten hatte. Er hörte mir aufmerksam zu, las meinen Tenbih noch einmal durch, schlug mit der äußern Handfläche gegen das Papier und sagte:

»Deine Erzählung und dieser Tenbih beweisen alles. Ein Mann, dem der Wali von Engyrijeh eine so große Summe anvertraut, kann kein Spitzbube sein. Ich werde den Einsiedler kommen lassen.«

Er gab einem der drei Polizisten, welche uns gebracht hatten und mit uns eingetreten waren, einen Wink. Der Mann entfernte sich und brachte nach wenigen Augenblicken den Mir Alai herein. Als dieser uns erblickte, stürzte er zunächst auf seinen Sohn zu, schlug ihm die rechte Faust – den linken Arm trug er im Bunde – ins Gesicht und schrie ihn an:

»Verfluchter, Abtrünniger, Hund, der seinen eigenen Vater beraubt! Allah zerschmettere dich! Heraus mit meinem Gelde! Wo habt ihr es? Ihr habt es geteilt!«

Dann sprang er auf mich zu, blieb vor mir stehen, streckte mir die geballte Hand entgegen und rief:

»Verräter, Lügner, Mörder, sag' sofort, wo es ist, sonst ist's um dich geschehen! Draußen stehen hunderte von frommen Pilgern, welche dich zerreißen, wenn du es nicht gestehst!«

Ich antwortete natürlich nicht; der Kadi fuhr ihn an meiner Stelle an:

»Sei still, Schwachkopf! Dieser Effendi ist ein berühmter Gelehrter aus Frankistan, aber kein Dieb. Er hat das Vertrauen unsers berühmten Said Kaled Pascha genossen und es fällt ihm gar nicht ein, sich an deinen Piastern zu vergreifen!«

»Er ist's; ich weiß es genau!« antwortete der Wütende. »Er wollte mich erschießen, hat mich aber nur in den Arm getroffen. Die Kugel ging mir durch das Fleisch und drückte sich dann an der Wand platt; ich habe sie mit. Und noch etwas anderes habe ich mit, nämlich einen Zeugen, welcher beweisen kann, daß dieser Christenhund aus Frankistan sehr viel Geld, also das meinige, in seiner Tasche hatte.«

Er hatte dem Kadi den Thatbestand angezeigt und mußte ihn in unserer Gegenwart noch einmal erzählen. Er war eine Stunde nach unserer Entfernung schlafen gegangen, nachdem er seiner Frau das Geld noch einmal vorgezählt und es dann in einen Kasten gelegt hatte. Dieser Kasten stand zwischen ihm und seiner Frau auf dem Schlafteppich. Kurz nachdem er eingeschlafen war, weckte ihn ein Geräusch auf; er fühlte nach dem Kasten und erwischte dabei den Arm eines Mannes, welcher den Kasten stehlen wollte. Es entstand ein Ringen, wobei es sich zeigte, daß zwei Einbrecher da waren. Der eine riß mit dem Kasten aus; der andere hielt den Alten fest, eilte dann auch fort und gab, als er sich verfolgt hörte, einen Pistolenschuß auf ihn ab, durch welchen er verwundet und von der Verfolgung abgeschreckt wurde. Die Diebe waren jedenfalls über die Mauer gestiegen und hatten durch das Fenstergitter ihn das Geld zählen sehen. An den Thüren des Hauses gab es keine Schlösser; der Einbruch hatte nur dadurch gelingen können, daß ich die Hunde hatte töten müssen.

Der Einsiedler zeigte die plattgedrückte Kugel vor; es war eine Pistolenkugel, aber weder der Kysrakdar noch ich besaß ein Pistol. Der Zeuge war jener Pilger, welcher uns auf der Fähre beleidigt hatte. Seine Aussage war günstig anstatt ungünstig für uns, denn wir bewiesen durch dieselbe, daß wir zur Zeit des Einbruches schon längst jenseits des Flusses gewesen waren. Dennoch blieb der Alte bei seiner Meinung. Er schwor, daß wir die Diebe seien, wurde aber vom Kadi scharf zurechtgewiesen und aufgefordert, sich zu entfernen. Als er trotzdem auf mich losschimpfte, drohte ihm der Kadi mit sofortiger Arretur und Bastonnade, falls er noch ein beleidigendes Wort zu mir sage; darum richtete er seinen Grimm nun ausschließlich gegen seinen Sohn, dessen sich der Kadi nicht annahm; der letztere hatte nicht ein einziges Wort an den Kysrakdar gerichtet; für ihn, den strenggläubigen Mohammedaner, war der ›Verfluchte‹ eben gar nicht vorhanden.

»Sabbi, vermaledeiter Sabbi, du hast deinen eigenen Vater beraubt und bestohlen!« schrie der Alte, indem er seinen Sohn ins Gesicht schlug und ihn anspie. »Allah partschalamah – Allah zerschmettere dich! Ob ich einst den Himmel erben werde, das weiß ich nicht, denn du bist mein Sohn und hast mich um die Seligkeiten des ewigen Lebens und um die Wonnen des Paradieses gebracht. Möge der Satan dich verschlingen!«

In dieser Weise ging es eine Weile fort. Der Kysrakdar war arretiert und durfte sich nicht entfernen; als Sohn wollte er sich nicht an seinem Vater vergreifen und so mußte er dessen wörtliche und thätliche Beleidigungen über sich ergehen lassen. Der Kadi that dem keinen Einhalt; er gönnte dem zu einem andern Glauben Übergetretenen die Züchtigung, welche er erlitt. Aber mir wurde es doch zu viel. Ich stand auf, schob mich zwischen Vater und Sohn und donnerte den ersteren an:

»Nun schweig'! Denn alles, was du deinem unschuldigen Sohne vorwirfst, muß ich auch auf mich beziehen. Soll ich die Hilfe des Kadi anrufen, welche er mir augenblicklich gewähren muß?«

Das wirkte. Er wendete sich von seinem Sohne ab, mir zu und antwortete:

»Ja, ich muß hier schweigen, denn die Augen des Gerichtes sind mit Blindheit geschlagen; aber Allah wird richten zwischen mir und euch, und zwar noch heute, an diesem Tage. Allah partschalamah – Allah zerschmettere euch!«

Er ging fort, und zwar gerade zur rechten Zeit, denn der Kadi fühlte sich durch die Worte, daß die Augen des Gerichtes mit Blindheit geschlagen seien, in hohem Grade beleidigt, ließ ihn aber doch gehen, ohne ihn zu bestrafen. Der Beamte hielt es für seine Pflicht, sich zu entschuldigen, daß er uns belästigt hatte, und that dies in der umständlichen orientalischen Weise, so daß wir wohl erst nach einer Stunde entlassen wurden.

Während dieser Zeit hatte der Einsiedler sein möglichstes gethan, die Menge draußen gegen uns aufzuhetzen. Als wir in den Hof traten, wurden wir mit Verwünschungen empfangen. Wir durften uns nicht durch das vordere Thor wagen; der wüste Lärm, den es da draußen gab, sagte uns deutlich, was unser wartete. Wir wendeten uns also hinterwärts nach der Thüre, durch welche wir hereingekommen waren. Wir erreichten sie auch; aber die gegen uns erbitterten Menschen drängten aus dem Hofe nach, und als wir auf die hintere Gasse traten, sahen wir rechts von uns einen Haufen stehen, der uns erwartete und mit wüstem Geschrei auf uns zukam. An seiner Spitze befanden sich – – meine beiden Arnauten! Nach links war der Weg frei. Wir rannten in dieser Richtung fort, denn es war klar, wir mußten fliehen, wenn wir nicht gelyncht sein wollten.

»Haltet sie auf, die Ungläubigen, die Verfluchten!« schrie der Mob, welcher sich hinter uns dreinstürzte. Bald kam uns ein zweiter Haufe entgegen; also bogen wir eilends in eine Seitengasse ein, und so weiter, die Verfolger immer hinterdrein, bis es uns doch einmal gelang, sie irre zu führen. Da blieben wir stehen, um Atem zu schöpfen. Wir befanden uns am südlichen Ende der Stadt, deren Bewohner dem Geschrei nach, welches wir von überall her hörten, alle auf den Beinen zu sein schienen, um uns zu fangen.

»Ihr könnt unmöglich zurück,« sagte der Konsul. »Steigt hinauf zur Kapelle; dort seid ihr sicher. Ich werde euch benachrichtigen, wenn ihr kommen dürft. Es ist die reine Empörung in der Stadt, und mir bangt um die andern Katholiken. Ich will versuchen, nach Hause zu kommen und sie zu warnen.«

Wir trennten uns also; ich stieg mit dem Kysrakdar, welcher die Umgebung der Stadt genau kannte, den Berg hinauf, wo wir hinter den dort stehenden Büschen leidliche Deckung fanden.

Der Ardschisch-Berg, an weichem Kaisarijeh liegt, von den Alten Mons Argaeus genannt, ist ein großartiger, erloschener Vulkan, steil und wild zerklüftet und steigt mit seinen Kratern und zerrissenen Felsgebilden bis in die Schneeregion hinauf. Es war ein schmaler, steiler, aber gut ausgetretener Pfad, auf welchem mein Begleiter mich aufwärts führte. Um Felsen zu umgehen, mußten wir uns bald nach rechts, bald nach links wenden und standen dann plötzlich vor einem kleinen, hölzernen Bauwerke, welches auf einem kanzelartigen Felsenvorsprunge stand. Das war die Kapelle, in welcher die wenigen Katholiken der Stadt ihre Andacht zu verrichten pflegten. Nach vorn und rechts ging es steil in die Tiefe; linker Hand gab es einen Felsenspalt, welcher durch hohes Strauchwerk beinahe verdeckt wurde. Der Kysrakdar steckte die Hand in einen dieser Büsche und zog an einer Schnur, die dort verborgen war. Wie ich sah, hing an derselben ein vielleicht drei Ellen langes Brett, welches er über den Spalt legte. Es bildete eine Brücke, mit deren Hilfe wir hinüber kamen. Er zog das Brett hinter uns her und sagte:

»So! Nun kann niemand zu uns herüber, und wir befinden uns in Sicherheit. Nur zwei Menschen kennen dieses Versteck, nämlich ich und meine Braut; die Brettbrücke habe ich mir erdacht und hier war es, wo sie mich in den Wahrheiten der heiligen Religion unterrichtete.«

Wir setzten uns am Felsenrande nieder. Gerade unter uns lag die Stadt. Wir sahen das ameisenartige Gewühl in den Gassen. Die Aufregung schien sich gesteigert zu haben. Rechts von uns, jenseits des Spaltes, stand die Kapelle. Jetzt sah ich auf den ersten Blick, daß sie auf einer sehr gefährlichen Stelle stand. Der Vorsprung, welcher sie trug, hatte viele Risse und schien im Zerbröckeln begriffen zu sein. Das Kapellchen konnte er wohl tragen, ob aber auch eine größere Anzahl Menschen dazu, das schien mir doch zweifelhaft. Als ich den Kysrakdar darauf aufmerksam machte, sagte er, daß er auch schon denselben Gedanken gehabt, sich aber an den gefährlichen Anblick gewöhnt habe. Noch während er diese Antwort aussprach, hörten wir Stimmen jenseits des Spaltes. Wir lugten durch die Büsche und sahen – – unsere Verfolger erscheinen, den Einsiedler, die beiden Arnauten und noch viele, viele andere, welche sich nachdrängten. Wir konnten hören, was sie sprachen. Wir waren im Irrtum gewesen; sie hatten unsere Spur doch nicht verloren gehabt. Sie wußten, daß wir hier heraufgestiegen waren, und füllten bald die Kapelle und den ganzen Raum vor derselben. Wenn sie uns fanden, waren wir verloren; aber sie sahen uns nicht und steckten aus Wut darüber die Kapelle in Brand. Unter jubelndem johlen und gotteslästerlichen Ausrufen standen sie nun da, um die Flammen aufzingeln zu sehen. Da erblickte ich einen dünnen Riß, den ich vorher nicht gesehen hatte, im Felsen, auf dem sie standen; er wurde breiter und breiter – – der Felsen brach. Ich schrie, meine eigene Lage vergessend, laut auf, um sie zu warnen, aber da starrte ich auch schon ins Leere; der Felsen war verschwunden, mit der Kapelle und allen Menschen, die sich auf demselben befunden hatten. Einen Augenblick später hörten wir es unten in der Tiefe krachen, als ob der ganze Berg zusammenbreche. Der Kysrakdar sprang auf, schlug beide Hände vor das Gesicht und schrie:

»Mein Vater, mein Vater! Gott hat gerichtet und zwar fürchterlich!«

Er wollte hinab; ich hielt ihn zurück. Zu retten gab es nichts, denn bei dieser Tiefe waren gewiß alle Menschen, welche sich auf dem Felsen befunden hatten, zerschmettert wie dieser selbst; zu retten hatten wir nur uns selbst, und das konnten wir nur dadurch, daß wir hier oben verborgen blieben.

Die nun folgenden Stunden können nicht beschrieben werden. Ich sah, was unten vorging. Die ganze Bewohnerschaft der Stadt schien am Fuße der Felswand versammelt zu sein, um die Leichen aus dem Steingetrümmer hervorzuarbeiten. Mein Gefährte befand sich in einem unbeschreiblichen Zustande. Gegen Abend hörten wir eine weibliche Stimme, welche fort und fort seinen Namen rief. Wir antworteten und stiegen dem Schalle nach. Es war seine Braut, welche, als sie ihn erblickte, sich krampfhaft schluchzend in seine Arme warf. Erst nach einiger Zeit konnte sie erzählen. Man hatte natürlich geglaubt, daß wir beide auch mit abgestürzt seien. Der Kadi war gekommen, um die Arbeiten zu leiten und die Verunglückten zu rekognoscieren. Viele waren nicht zu erkennen gewesen. Als man auch die beiden Arnauten unter den Trümmern hervorzog, hatte der Beamte sich meines Verdachtes erinnert und ihre Kleider und Taschen durchsuchen lassen. Man fand das Geld bei ihnen; unsere Unschuld war also erwiesen. Dennoch schien es mir nicht geraten, uns sehen zu lassen, da der Fanatismus jedenfalls der Ansicht war, daß wir, wenn auch schuldlos, doch die Ursache des Todes so vieler Leute seien. Auch der Körper des Einsiedlers hatte sich gefunden, aber in einem fürchterlichen Zustande. Der Konsul hatte ihn in sein Haus schaffen lassen.

Die junge Dame kehrte zurück, um ihren Eltern zu sagen, daß wir gerettet und vollständig unverletzt seien. Als es dunkel geworden war, kam der Konsul selbst, uns zu holen. Wir kamen glücklich und unbeachtet in seiner Wohnung an. Der Kysrakdar wollte vor allen Dingen seinen Vater sehen, und ich ging mit in die Stube, in welcher der Körper lag.

»Allah partschalamah – Allah zerschmettere dich!« Das war die so oft wiederholte Verwünschung des Alten gewesen; nun lag er selbst zerschmettert da. Kein Glied seines Körpers war unverletzt geblieben! »Allah wird richten zwischen mir und euch, und zwar noch heute, an diesem Tage!« hatte er gesagt. Mit welch entsetzlicher Genauigkeit waren diese seine Worte in Erfüllung gegangen! Allah hatte gerichtet! –

Was weiter geschah? Der ›Oberste der ganz Strengen‹ wurde am nächsten Abende beim Scheine des Mondes begraben – – von Katholiken; ein reitender Bote hatte sein Weib herbeigeholt. Der Sohn des von Allah Zerschmetterten ist noch heute Kysrakdar von Malatijeh und hat dieses Gestüt zu großer Berühmtheit gebracht. Seine Braut ist ihm das geblieben, was sie immer war – sein Sonnenschein. Glück und Segen ruht auf allem, was er thut, und längst vergessen ist der häßliche Name, der an der Spitze und am Ende dieser Erzählung steht: es Sabbi, der Verfluchte. – – –


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