Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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Abu el mawadda

Um den Eindruck zu begreifen, den Hadschi Halef Omar und ich auf die Nuehrs machten und die Bereitwilligkeit, mit welcher sie sich unter meinen Befehl begaben, muß man bedenken, daß der afrikanische, eingeborene Neger, nicht der amerikanische, eingeführte, gewohnt ist, den Weißen und zumal den Europäer für ein höher begabtes, wohl gar höher stehendes Wesen anzusehen. Dazu kam, daß wir am Bahr el Dschebel einigemale Gelegenheit gehabt hatten, einigen Mut zu zeigen, und überdies pflegte Halef, wenn er mit anderen von mir sprach, mich, obgleich ich ihm dies streng verboten hatte, als den größten Gelehrten und berühmtesten Helden hinzustellen. Das hatte sich weiter und weiter gesprochen, und allerorts war mehr und mehr neue Luft in die sich immer vergrößernde Seifenblase unseres Ruhmes gegeben worden. Kein Wunder also, wenn die Nuehr Eliab sich uns so günstig gesinnt erwiesen und bereit waren, ihren Willen dem meinigen zu unterwerfen. Und das war zu ihrem Glücke, denn, wenn sie es nicht gethan hätten, so wären sie, wie ich ihnen ja ganz offen sagte, in ihr Verderben gerannt.

Es war nach unserem Aufbruche ungefähr eine Stunde vergangen, als ich die Fährte eines einzelnen Reiters bemerkte, welche von links her auf unsern Weg stieß. Ich stieg ab, um sie zu betrachten, und bemerkte Sofort, daß dem Pferde dieses Reiters das rechte Hintereisen gefehlt hatte. Als ich dies Halef mitteilte, rief er aus:

»So ist es der Baqqara gewesen, mit dem wir gesprochen haben! Er ist nach dem Flusse zurückgekehrt. Warum aber hat er dabei einen Bogen geschlagen, einen solchen Umweg gemacht?«

»Um von uns nicht gesehen zu werden,« antwortete ich.

»Wir sollen nicht wissen, daß er die seinen auf uns aufmerksam machen, daß er sie vor uns warnen will.«

»Warum? Dann müssen wir uns sehr in acht nehmen, Sihdi; denn sie werden uns erwarten, um uns zu überfallen.«

»Uns überfallen!« stöhnte da der Fori-Neger voller Angst. »O Allah, Allah, bewahre uns vor dem neunmal geschwänzten Teufel! Man wird uns entweder erschießen, erstechen oder gar ermorden!«

»Keine Sorge,« tröstete ich ihn. »Der Baqqara glaubt, daß wir direkt nach der Insel Aha zu dem englischen Missionar reiten. Man wird uns also diesen nordöstlichen Weg verlegen und zwar vergeblich, weil wir ihn nicht einschlagen, sondern ostwärts reiten, grad dahin, wohin die Spur der Ghasuah, der wir folgen, führt. Reiten wir weiter.«

Wir setzten unsern Weg fort und sahen nach ungefähr einer halben Stunde abermals einen Reiter, welcher uns entgegenkam. Er saß auf einem Reit-Dromedare und führte ein bepacktes Lastkamel neben sich. Unser Erscheinen schien ihn keineswegs zu beängstigen, denn er hielt keinen Augenblick an, sondern kam unbedenklich auf uns zugeritten. Die Pakete, welche sein Kamel trug, waren in Schilfmatten eingeschlagen. Bei uns angekommen, hielt er an, legte die Hand grüßend auf die Brust und sagte:

»Sallam! Werdet ihr mir die 'Pragen erlauben, welche mein Mund an euch zu richten hat?«

»Sallam!« antwortete ich; »wir sind bereit, dir Antwort zu geben.«

»So sagt mir, wer ihr seid, und woher ihr kommt.«

Er schien kein Beduine zu sein, und sein Gesicht war nicht dasjenige eines sehr intelligenten Menschen. Ich durfte ihm keinesfalls die Wahrheit sagen; daher antwortete ich:

»Wir gehören zum Stamme der Rizekat, kommen vom Dschebel Tagur her und wollen über den Nil, um unsere Freunde, die Beduinen von Abu Roof, zu besuchen.«

»Habt ihr vielleicht zwei einzelne Reiter gesehen, welche mitten in der Steppe lagerten? Sie waren Weiße und hatten einen Neger bei sich.«

Er meinte mich, Halef und den Fori.

»Ja,« nickte ich zustimmend. »Sie lagern aber nicht mehr da, wo wir sie fanden; sie sind fortgeritten.«

»Wohin?«

»Nach der Insel Aba, um einen Christen, der dort wohnt, aufzusuchen.«

»Das stimmt; du sagst die Wahrheit. Diese Männer werden den, welchen sie suchen, nicht finden, denn er wohnt nicht auf der Insel Aba, sondern auf der Mischrah Omm Oschrin.«

»Man hat sie aber doch nach der Insel gewiesen!«

»Weil sie Hunde sind, welche beißen wollen; es ist aber dafür gesorgt, daß sie unschädlich gemacht werden.«

»Weißt du genau, daß der Christ, von dem du redest, auf der Mischrah wohnt?«

»Natürlich weiß ich es, denn er ist ein Missionar, und ich bin sein Diener. Ich bin von Chartum mit ihm hierher gekommen, und heut sendet er mich nach Tassin hinüber, wo ich diese Pakete abzuliefern habe.«

»Was enthalten sie?«

»Bibeln in arabischer Sprache.«

»Wie heißt der Missionar?«

»Sein Name ist Gibson; hier aber wird er nur Abu el mawadda, Vater der Liebe, genannt, weil seine Lehre die Lehre der Liebe ist. Wenn ihr ihn sehen wollt, so werdet ihr ihn auf der Mischrah finden.«

»Wie weit ist es bis dorthin?«

»Ihr werdet mit der Dämmerung dort ankommen, wenn ihr der Spur weiter folgt auf welcher ihr bisher geritten seid.«

»Von wem stammt diese Fährte?«

»Von einer Ghasuah, welche die Baqqara zu den Nuehrs unternommen haben; sie sind siegreich heimgekehrt.«

»Wo befinden sich die Sklaven, welche sie gemacht haben?«

»Auf einer kleinen Insel, welche unweit der Mischrah in dem Flusse liegt. Ich würde euch dies nicht sagen, wenn ihr nicht zu den Rizekat gehörtet, welche Freunde der Baqqara sind. Jetzt aber muß ich weiter. Chatirkum; fi amahn allah -lebt wohl; ich befehle euch in Allahs Schutz!«

»Allah jekuhn rna'ak,- tarik es-salahme – Allah sei mit dir, und glücklich sei deine Reise!« erwiderte ich seinen Abschiedsgruß.

Als er fort war, lachte Hadschi Halef behaglich vor sich hin und sagte:

»Sihdi, dieser Mensch war ein großer Dummkopf. Er konnte sich doch denken, daß wir diejenigen waren, nach denen er fragte; er aber hat uns nun alles gesagt, was wir zu wissen brauchen. Ganz gewiß ist eine Abteilung der Baqqara nach der Insel Aba gegangen, um uns dort feindlich zu empfangen. Wie gedenkst du, dich zu verhalten?«

»Das kommt auf die Umstände an, die ich auf der Mischrah vorfinde.«

»Auf alle Fälle aber werden wir die gefangenen Sklaven befreien?«

»Ja. Kommt jetzt weiter!«

In jenen Gegenden geht die Sonne sechs Uhr nachmittags unter. Nach europäischer Zeit war es jetzt vielleicht halb fünf Uhr. Wir hatten also noch anderthalb Stunden bis zur Mischrah zu reiten.

Bald begann sich die Nähe des Niles bemerkbar zu machen; die Feuchtigkeit der Luft lockte aus dem Boden ein Grün hervor, welches allerdings zunächst ein spärliches war, nach und nach aber dichter und saftiger wurde. Dann sahen wir einzelne Büsche stehen, und am östlichen Horizonte tauchte eine schwarze Linie auf; das war der Wald, welcher die Ufer des Niles besäumt.

Es durfte uns nicht einfallen, direkt nach der Mischrah zu reiten; wir wollten die Gefangenen ja durch List befreien. Darum wichen wir, als wir ungefähr noch eine halbe Stunde zu reiten hatten, von der Fährte rechts, nach Süden ab, um oberhalb der Mischrah an das Wasser zu kommen, von wo aus ich den Ort heimlich beschleichen wollte.

Wir mußten uns nun vor jeder Begegnung hüten und freuten uns daher, als wir auf buschiges Terrain kamen, wo die Sträucher uns Deckung gewährten. Dann nahm uns ein Wald von hochwachsenden Sunutbäumen auf, wo wir uns ein Versteck suchten, in welchem die Nuehrs sich verbergen sollten. Wir fanden ein passendes, stiegen da ab und banden unsere Pferde an. Nachdem ich den Nuehrs anbefohlen hatte, sich bis zu unserer Rückkehr vollständig ruhig zu verhalten, entfernte ich mich mit Halef in nördlicher Richtung, in welcher die Mischrah lag. Unter Mischrah versteht man eine am Flusse liegende freie Stelle, welche entweder bewohnt ist oder auch nur zum Landen der Fahrzeuge und Tränken der Herden dient. Die Mischrah Omm Oschrin war bewohnt. Als wir den Rand des Waldes erreichten, sahen wir rechts von uns die breite Fläche des Niles, während grad vor uns die Hütten und Zelte der Baqqara lagen. Eben jetzt wurden links vom hohen Ufer die dort weilenden Tiere nach dem Flusse getrieben, um getränkt zu werden. Ungefähr hundert Schritte vom Ufer entfernt lag eine Insel, deren Ufer von Schilf eingerahmt waren. Dort jedenfalls befanden sich die Gefangenen und ihre Hüter. Weiter oben lag ein großes Floß am Ufer. Es war aus Ambagstämmen gebaut und konnte wohl fünfzig Personen tragen.

Wir lagen unter einem Hegelikbaume, welcher seine Äste tief niedersenkte und also ein gutes Versteck bildete. Darum sagte ich zu Halef:

»Wir werden jetzt zu den Nuehrs zurückkehren; dann reite ich nach der Mischrah, wo ich mich für einen Händler ausgeben werde. Du kehrst später zu diesem Hegelik hier zurück, wo ich dich heimlich aufsuche, um dir zu sagen, was ihr thun sollt.«

»Sihdi, das ist gefährlich! Willst du mich nicht lieber mitnehmen?«

»Nein, du mußt bei den Nuehrs bleiben, weil ich mich sonst nicht auf sie verlassen kann.«

»Aber wenn dir ein Unglück geschieht!«

»Sorg dich nicht um mich. Du kennst mich ja und weißt, daß ich mich zu bewahren verstehe.«

»Das weiß ich, doch kann der Mutigste und Klügste sich verrechnen. Wehe aber dann diesen Baqqara; sie würden es zu büßen haben!«

Zu unsern schwarzen Gefährten zurückgekehrt, vertauschte ich mein Pferd mit einem von ihnen und mein Gewehr mit der langen Flinte ihres Anführers. Man sollte mich nicht erkennen, denn es war anzunehmen, daß der zurückgekehrte Baqqara eine Beschreibung unserer Bewaffnung und Pferde gegeben hatte. Ihn auf der Mischrah zu treffen, brauchte ich nicht zu besorgen, da er jedenfalls mit nach der Insel Aba geritten war.

Nachdem ich Halef und den Nuehrs gesagt hatte, wie sie sich in den verschiedenen möglichen Fällen verhalten sollten, ritt ich fort, aus dem Walde hinaus, zwischen den Büschen hindurch und dann auf die Mischrah zu. Als ich dieselbe erreichte, tauchte eben die Sonne hinter dem westlichen Horizonte hinab.

Ich sah zunächst die Weideplätze der Pferde, Rinder und Schafe liegen und merkte mir besonders die ersteren genau, da wir später für die befreiten Gefangenen Pferde brauchten. Die Mischrah mochte gegenwärtig von vielleicht zweihundert Menschen bewohnt werden. Die Kinder kamen schreiend auf mich zugerannt; die Weiber sahen neugierig aus den Thüröffnungen, und die Männer traten zusammen, um mich mit erwartungsvollen Blicken zu empfangen.

»Sallam aaleikum!« grüßte ich mit lauter Stimme. »Welcher von euch ist der Scheik dieses Lagers?«

»Der Scheik ist nicht hier,« antwortete ein alter Graubart. »Was willst du von ihm?«

»Ich bin Selim Mefarek, der Händler aus Tomat am Seditflusse, und bitte, diese Nacht hierbleiben zu dürfen.«

»Womit handelst du?«

»Mit allen Waren, die es giebt, und welcher Farbe sie auch seien.«

Mit diesen Worten spielte ich auf Sklaven an.

»Auch schwarz?« fragte der Alte, indem er das rechte Auge bezeichnend zukniff.

»Ja, das am liebsten.«

»So bist du uns willkommen und sollst beim vornehmsten Manne des Lagers wohnen. Steig ab; ich werde dich zu Abu el mawadda führen.«

Das war es ja, was ich gewünscht hatte: ich sollte bei dem Missionar bleiben! Natürlich war ich höchst neugierig, ihn zu sehen. Er bewohnte eine ziemlich große, aus Nilschlamm erbaute Hütte, unter deren Eingange er mir entgegentrat. Welch ein langer, hagerer Mensch war das, und welche Salbung lag auf seinen harten, gemütlosen Zügen. Er war in einen schwarzen Burnus gekleidet, sah mich mit scharfen Augen prüfend an und sagte, als der Alte ihm meinen Namen, Beruf und Wunsch mitgeteilt hatte, in schlechter arabischer Sprache:

»Du bist mir willkommen, Selim Mefarek. Tritt zu mir ein! Vielleicht ist dein Kommen von Vorteil für uns und auch für dich.«

Als wir uns miteinander allein in der Hütte befanden, ließ er die Schilfmatte, welche die Thür bildete, herab und brannte eine Thonlampe an, welche mit Sesamöl gespeist wurde.

Beim Scheine derselben sah ich an den Wänden ein Kruzifix und verschiedene schlechte Bilder aus der heiligen Geschichte. Wir setzten uns nieder. Er gab mir eine Pfeife mit Tabak, brannte sich auch selbst eine an und begann dann ein Gespräch, dessen Zweck war, mich vollständig auszuhorchen. Es gelang mir, ihn ebenso vollständig zu täuschen. Er wurde völlig überzeugt, daß ich ein Sklavenhändler sei, und war schließlich so vertrauensvoll, daß er mir sagte:

»Du bist der Mann, der grad jetzt für uns paßt. Wir haben achtundzwanzig Sklaven gemacht, welche wir verkaufen wollen.«

»Herr,« antwortete ich erstaunt, »man nennt dich den Vater der Liebe und sagt, du seist Missionar. Ich denke, Christen dürfen nicht Sklaven machen und verkaufen!«

Er lachte klanglos vor sich hin und meinte:

»Die Schwarzen sind keine Menschen wie wir; sie denken nicht und fühlen nichts. Es ist eine Wohlthat für sie, Sklaven zu sein. Ja, ich bin ein Christ, aber nicht ein Missionar. Ich lehre zwar, aber nur zum Scheine, um die Häscher zu täuschen, welche den Sklavenhändlern aufpassen. Keiner von ihnen wird glauben, daß da, wo ein Missionar wohnt, Sklaven gemacht werden. Seit ich hier bin, ist den Baqqara jeder Fang gelungen, und ich stehe mich gut dabei. Sogar der berühmte Reis Effendina hat sich von mir betrügen lassen. Hast du von ihm gehört? Er ist ein hoher Beamter des Vizekönigs und betreibt nur den Fang der Sklavenjäger und Händler. Viele, viele hat er schon gefangen, und ihr Los ist stets der Tod gewesen. Sein Helfershelfer war vor einiger Zeit ein Deutscher, Kara Ben Nemsi genannt, und dessen schlauer Gefährte, welcher Hadschi Halef Omar hieß. Diese beiden sind heut hier plötzlich aufgetaucht. Unser Scheik ist ihnen begegnet; er hat sie erkannt, weil sie ihm ihre Namen nannten; er ließ sich natürlich nichts merken und hat sie an einen Ort gelockt, an welchem er sie fangen wird. Er ist mit einer Anzahl von Kriegern dorthin aufgebrochen.«

Das war ja außerordentlich interessant! Also der Baqqara, mit welchem wir gesprochen hatten, war der Scheik selbst gewesen. Welch ein Glück für mich, daß er sich jetzt nicht hier befand! Es läßt sich denken, welche Gefühle ich gegen diesen Engländer hegte, der aber wohl keiner war, sondern sich nur für einen solchen ausgab, doch hütete ich mich wohl, ihm dies durch irgend ein Wort oder eine Miene zu verraten. Er war dann so vertrauensselig, das Geschäft mit mir abzuschließen. Wir wurden einig um dreihundert Piaster für jeden der achtundzwanzig Gefangenen. Zehn Baqqara sollten sie über den Fluß und nach Karkog bringen, wo ich den Kaufpreis und auch den ›Treiberlohn‹ zu bezahlen hatte. Dies konnte aber nicht eher als bis nach der Rückkehr des Scheiks geschehen, weil dieser seine Genehmigung zu erteilen hatte. Dem Engländer hatte ich vor dem Aufbruche für jeden Sklaven zwanzig Piaster heimlich zu entrichten.

Als diese Verhandlung zu Ende war, begaben wir uns hinaus ins Freie, wo mehrere Feuer brannten, denn es war Nacht geworden. Die Baqqara freuten sich, als sie von dem abgeschlossenen Handel hörten; es wurden einige Hammel geschlachtet, um gebraten zu werden, und große Krüge voll berauschender Merissah herbeigeschafft.

Den Gefangenen wurde ihr Essen auf einem kleinen Flosse nach der Insel geschafft. Ich fuhr mit hinüber. Da ich sie gekauft hatte, hielt man es für ganz selbstverständlich, daß ich sie sehen wollte. Sie waren an Pfähle gebunden und wurden von drei Baqqara bewacht. Ihr Essen bestand in aus Durramehl gebackenen harten Fladen.

An das Ufer zurückgekehrt, suchte ich unauffällig den Hegelikbaum auf, unter welchem Halef auf mich wartete. Ich gab ihm den Auftrag, mit vier Nuehrs um Mitternacht hier zu sein, und ging dann in das Lager zurück.

Die Baqqara aßen und tranken. Man glaubt nicht, welche Quantitäten so ein Beduine vertilgen kann. Ich saß mit dem ›Vater der Liebe‹ vor seiner Hütte, aß ein Stück Fleisch und trank einige Schlucke Wassers dazu. Er erzählte mir von sich, natürlich nur Rühmliches, ich hörte aber zwischen seinen Worten heraus, daß er ein verlorener Sohn und gewissenloser Abenteurer war, dem nichts, auch nicht die Religion, heilig galt. Später kam das Gespräch wieder auf den schon erwähnten Reis Effendina und seinen Helfer Kara Ben Nemsi. Der Engländer ahnte nicht, daß ich dieser letztere war, sonst wäre er nicht in die zornige Drohung ausgebrochen;

»Wehe diesem Kerl und seinem Halef! Morgen werden sie gefangen und sofort aufgehängt!«

»Hm!« meinte ich nachdenklich. »Nach allem, was ich von dir gehört habe, sind diese beiden sehr schlau und vorsichtig und also nicht leicht zu fangen. Wie nun, wenn sie den Scheik ergreifen, anstatt er sie?«

»Was fällt dir ein! Ich sage dir, ehe die Sonne morgen untergeht, sind sie in die Hölle gefahren!«

»Wünschest du das, der du ein Christ ebenso wie Kara Ben Nemsi bist?«

»Ja, ich wünsche es; ich will es, denn solches Ungeziefer muß unschädlich gemacht werden!«

Wie hätte ich ihm geantwortet, wenn ich gedurft hätte! Aber ich mußte vorsichtig sein. Später ging er in die Hütte, um sich schlafen zu legen. Es fiel ihm nicht auf, daß ich im Freien schlafen wollte; er hielt mich für einen Eingeborenen des Landes, dem die giftigen Nebel des Flusses nicht schaden können.

Gegen Mitternacht wurde es ruhig im Lager. Die Baqqara krochen in ihre Hütten und Zelte, und nur die Wächter bei den Herden oben auf der Uferhöhe blieben wach. Ich wartete noch eine Weile und schlich mich dann nach dem Hegelik, wo ich Halef mit den Nuehrs vorfand. ich teilte ihnen mein Vorhaben mit.

Außer dem großen Flosse lagen am Ufer einige kleine Kähne von der Art, wie sie dort gebräuchlich sind; die Planken derselben werden nur mit Baststricken zusammengebunden. Ich wollte mit einem derselben nach der Insel fahren, und Halef sollte mir nach einiger Zeit in dem anderen mit den Nuehrs folgen und an der Südspitze der Insel anlegen. Die drei Wächter mußten unschädlich gemacht werden. War dies geschehen, so wollten wir die Gefangenen losbinden und auf dem großen Flosse in Sicherheit bringen.

Die Sterne leuchteten hell hernieder; ihr verräterischer Schimmer konnte uns leicht verderblich werden; aber schon begann ein leichter Nebel zu wallen, der sich bald verdichtete und uns Schutz gewährte. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ich nicht beobachtet wurde, stieg ich in das Boot und ruderte mich nach der Insel. Einer der Wächter rief mich an, beruhigte sich aber, als er mich erkannte. Ich war jetzt Besitzer der Sklaven und hatte das Recht, die Nacht über bei ihnen zu sein. Die beiden andern traten auch herbei; sie still zu machen, war nicht schwer, drei schnelle Kolbenschläge warfen sie in das Gras, wo sie betäubt liegen blieben. Sie wurden, als Halef kam, gebunden und erhielten, um nicht rufen zu können, Knebel in den Mund. Darauf nahmen wir den Sklaven die Fesseln ab. Sie hatten fürchterlich gelitten; um so größer war ihr Entzücken, als sie hörten, daß die Ihrigen gekommen seien, sie zu befreien. Ich hatte große Mühe, sie zum notwendigen Schweigen zu bewegen.

Nun fuhren wir sechs nach dem Flosse, um dasselbe herbeizuholen. Im Nebel gelang uns dies sehr leicht. Ruder waren genug vorhanden. Die Befreiten wurden aufgenommen, dann stießen wir das Floß von der Insel und ließen es abwärts gleiten, um eine Strecke unterhalb der Mischrah an das Ufer zu legen. Auf demselben angekommen, durchdrangen wir trotz der herrschenden Dunkelheit den Wald, wendeten uns dann wieder aufwärts, schlugen einen Bogen um die Mischrah und blieben südlich von derselben zwischen den Sträuchern halten. Halef ging, um die in unserm Verstecke zurückgebliebenen Nuehrs mit den Pferden zu holen. Nun erst, als diese kamen, konnte ich die Befreiung für gelungen erklären. Jetzt sollte ein wirres Durcheinanderrufen, Danksagungen und dergleichen beginnen, ich mahnte aber streng zur Ruhe, weil es noch galt, Pferde für den Transport zu schaffen. Ich schlich also mit Halef fort, um die Gelegenheit dazu auszuspähen; ich hatte mir den Ort gemerkt, an welchem sich die Pferde befanden. Dort brannte ein Feuer, an welchem die Wächter saßen; es waren nur zwei. Ein Kolbenschlag und noch einer, und sie waren betäubt. Halef ging, die Nuehrs zu holen; eine Viertelstunde später waren diese mit Pferden versehen, freilich aber nicht mit Sätteln, da dieselben sich in den Hütten und den Zelten befanden, wohin wir unmöglich dringen durften.

Die Nuehrs, selbst die Knaben und Mädchen, konnten alle gut reiten. Wir sorgten zunächst dafür, eine Strecke von der Mischrah fortzukommen; dann hielten wir an, um den Geretteten Zeit zu geben, ihrem Jubel Luft zu machen. Das thaten sie denn in so ausgiebiger Weise, daß mir die Ohren gellten. Dann, als sie sich nach und nach beruhigt hatten, wurde Beratung gehalten über die Richtung, welche einzuschlagen war.

Es war für die Nuehrs ganz unmöglich, sich direkt nach ihrer Heimat am Bahr el Ghasal zu wenden. Zu einem so weiten Ritte waren sie in keiner Weise ausgerüstet. Dazu kam, daß ich sie dorthin nicht begleiten konnte, da mein Weg in die entgegengesetzte Richtung, nach Norden führte. Dort lag, einen guten Tagesritt von der Mischrah entfernt, das Dorf Qaua, wo die Regierung die bedeutendsten Niederlagen am weißen Nile hatte. Dort fanden die Nuehrs sicher Schutz und Unterstützung, und so gingen sie auf meinen Vorschlag ein, dorthin zu reiten.

Als wir uns in Bewegung setzten, brach der Morgen an, so lange hatten wir doch zugebracht. Wir ritten so schnell, wie möglich, denn es war zu erwarten, daß uns die Baqqara verfolgen würden. Leider beeinträchtigte das sattellose Reiten unsere Schnelligkeit bedeutend; daher kam es, daß wir schon nach drei Stunden die Verfolger hinter uns bemerkten. Es waren wohl gegen vierzig bewaffnete Reiter, welche ihre Tiere mit Schlägen antrieben.

»Sie mögen kommen!« drohte Abu djom, der Blatternarbige, indem er seine lange Flinte schwang. »Wir werden sie alle töten!«

»Glaub das nicht,« antwortete Halef. »Du bist ein tapferer Krieger; aber was sind eure Messer und Spieße gegen ihre Gewehre, deren Kugeln weiter gehen, als ihr eure Speere werfen könnt? Da wird mein Sihdi mit seinem Henrystutzen helfen müssen.«

»Wie wird er das thun?«

»Das sollst du sogleich sehen,« fiel ich ein, indem ich mein Pferd anhielt. »Laß deine unbewaffneten Frauen, Knaben und Mädchen geradeaus weiterreiten, die Männer bleiben hier mit uns halten. Wir nehmen die Baqqara auf uns.«

Die Genannten ritten davon; die zwanzig Bewaffneten blieben halten. Ich stieg vom Pferde und nahm den Stutzen zur Hand. Sobald die Baqqara in Schußweite gekommen waren, zielte ich und gab schnell hintereinander fünf Schüsse ab. Die fünf vordersten Pferde stürzten, auf die Reiter hatte ich nicht zielen wollen, denn Menschenblut vergießt man nicht ohne große Not. Die Verfolger ritten dennoch weiter. Fünf oder sechs fernere Schüsse warfen ebensoviele Pferde nieder. Da hielten sie nun doch an. Sie erhoben ein wütendes Geheul und berieten sich. Ich füllte die Patronenkugel wieder und hörte dabei, daß der Name Selim Mefarek, den ich mir beigelegt hatte, einigemale zornig genannt wurde. Dann kam der ›Vater der Liebe‹, welcher bei ihnen war, langsam auf uns zugeritten und gab mit der Hand das Zeichen, daß er als Unterhändler komme. Wir ließen ihn nahe heran.

»Was soll das bedeuten?« fuhr er mich zornig an. »Erst kaufst du die Sklaven, ohne sie sofort zu bezahlen, und dann befreist du sie und stiehlst noch unsere Pferde dazu!«

»Du irrst,« antwortete ich lächelnd: »Selim Mefarek hat sie gekauft, ich nicht.«

»Du bist doch Mefarek!«

»Nein; der war gestern bei dir. Ich aber bin der deutsche Kara Ben Nemsi, und hier neben mir siehst du meinen Hadschi Halef Omar. Wir sollen heut, ehe die Sonne untergeht, in der Hölle sein. Wißt ihr vielleicht, Mister Gibson, wo ihr euch da befinden werdet?«

Er sah mich einige Augenblicke lang betroffen an; dann ging eine plötzliche, gewaltige Bewegung über sein Gesicht. Er stieß einen grimmigen Fluch aus und fügte hinzu:

»Dieser deutsche Hund also! Da mußt du erst recht zur Hölle und zwar sofort!«

Er legte blitzschnell sein Gewehr auf mich an; noch schneller aber krachte es hinter mir; das Gewehr glitt ihm aus den Händen; er wankte und fiel aus dem Sattel zur Erde nieder – – Abu djom hatte ihn erschossen, ihn grad ins Herz getroffen.

Als die Baqqara dies sahen, sprengten sie mit gellendem Geschrei wieder auf uns ein; sie kamen nicht weit; mein Stutzen räumte unter ihren Pferden auf; sechs, acht, zehn, zwölf stürzten; das half; die auf ihnen gesessen hatten, rannten heulend davon, und die Reiter kehrten um und folgten ihnen. Wir waren sie nun sicher los. Das verdoppelte die Kampflust der Nuchrs; sie wollten ihnen nach; es gelang mir aber, sie davon abzuhalten. Ich untersuchte den ›Vater der Liebe‹; er war tot. Ich will ihm wünschen, daß er nicht dahin gegangen ist, wohin, wie er gestern abend sec, ich geschickt werden sollte. Wir ließen ihn für die Baqqara, welche später jedenfalls zu ihm zurückkehrten, liegen, und ritten weiter.

Am Abende kamen wir in Qaua an, wo die Beamten sich der Nuehr Eliab annahmen. Sie sind, wie ich später erfuhr, glücklich am Bahr el Ghasal angekommen und haben dann auf einem siegreichen Kriegszuge die Baqqara gezwungen, den hohen Blutpreis für die bei dem Sklavenzug Ermordeten zu zahlen. Es ist seit jener Zeit den Baqqara nicht wieder eingefallen, eine Ghasuah gegen die Nuehrs zu unternehmen. – – –


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