Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nûr es Semâ – Himmelslicht

Nûr esch Schems

Es war Mitte Dezember. Wir kamen von Bagdad herauf und wollten meinen Freund Amad el Ghandur, den Scheik der Haddedihn-Araber vom großen Stamme der Schammar besuchen. Wenn ich sage ›wir‹, so ist damit außer mir nur noch mein kleiner, wackerer und treuer Diener Hadschi Halef Omar gemeint. Wir waren vor Jahren bei den Haddedihn gewesen, hatten ein gutes Andenken zurückgelassen und wußten, daß sie uns mit großer Freude bewillkommnen würden.

Es war eigentlich ein kleines Wagnis, daß wir zwei es unternahmen, fast das ganze Mesopotamien so allein der Länge nach zu durchreiten. Die freien Ebenen, welche zwischen dem Euphrat und Tigris liegen, sind von vielen Araberstämmen bewohnt, welche nicht nur sich gegenseitig immerfort befehden, sondern auch mit der türkischen Obrigkeit in stetem Hader liegen und jeden fremden Reisenden und sein Eigentum als gute Beute betrachten. Aber es war uns trotzdem nicht bange. Wir hatten grad in dieser Beziehung reiche Erfahrungen gemacht, kannten das Land und seine Bewohner genau und wußten, daß wir uns in jeder Beziehung und Gefahr aufeinander verlassen konnten. Besser war es immer, allein zu reisen, als unter dem sogenannten Schutze eines türkischen Soldaten, dessen Gegenwart uns nicht nur nichts nützen, sondern im Gegenteile nur schaden konnte. Wir hatten das erlebt.

Der kürzeste Weg hätte uns am Flusse hinaufgeführt; da sich aber die Beduinenhorden, welche wir vermeiden wollten, grad in dessen Nähe zu ziehen pflegen, so waren wir erst dem Wasser des kleinen Dijala gefolgt und ritten nun den Adhem entlang, um in der Nähe des Dschebel Hamrin nach Westen umzubiegen und bei Tekrit über den Tigris zu setzen.

Was unsere Ausrüstung betraf, so besaßen wir zwei gute Pferde und vortreffliche Waffen. Mein amerikanischer Henrystutzen hatte schon manchen Gegner in Schach gehalten. Dazu als Proviant mehrere Beutel voll Mehl und Datteln, für unsere Pferde das saftige Grün der Dschesireh, welcher es in der jetzigen Jahreszeit nicht an Regen mangelte – was brauchten wir mehr!

Es war am Vormittage; die Mündung des Adhem lag weit hinter uns, und schon gegen Abend hofften wir die Höhen des Dschebel Hamrin zu sehen. Die Steppe, welche in der tropischen Glut des Sommers eine Wüste bildet, glich einem Gras- und Blumengarten, dessen Blütenstaub die Beine unserer Pferde gelb färbte. Sie bildete hier in dieser Gegend keine vollständige Ebene; es gab Bodenerhebungen genug, wenn dieselben auch nicht bedeutend waren, und dazwischen zahlreiche Einsenkungen, welche oft eine beträchtliche Tiefe und Breite besaßen. Diese Rinnen mit den eingefallenen Wänden waren die Überreste des einstigen Bewässerungssystems, welches die Dschesireh unter persischer Herrschaft zum fruchtbarsten Land des Reiches gemacht hatte. Auch kamen wir durch einige größere Thalmulden, welche wohl selbst noch zur Khalifenzeit als große Wasserreservoirs gedient haben mochten. Etliche von ihnen waren so tief, daß wir auf ihrem Grunde wie zwischen Bergeshöhen hinritten.

Mitte Dezember, und doch gab es eine Wärme wie in Deutschland im Juli und August! Die Pferde begannen allmählich unter derselben zu leiden, und wir machten gegen Mittag Halt, um sie ausruhen zu lassen. Am Rande eines der erwähnten einstigen Bewässerungsgräben setzten wir uns in das Gras und zogen unsere Tschibuks hervor, um von dem aus Bagdad mitgebrachten Tabak eine Pfeife zu rauchen. Während wir dies thaten, deutete Halef nach Osten und sagte:

»Schau, Sihdi! Sind das nicht Reiter, welche sich dort bewegen?«

Ich saß mit dem Gesichte westwärts gerichtet, drehte mich um, blickte in die angedeutete Gegend und antwortete:

»Ja, es sind, wie es scheint, zwei Reiter, welche ein Lastpferd bei sich haben. Deutlich kann man es nicht erkennen, weil die Entfernung zu groß ist.«

»Wer mögen sie sein?«

»Das werden wir erfahren. Sie haben gleiche Richtung mit uns, und da sie langsam reiten, werden wir sie nachher bald einholen. Da ihre Anzahl nicht größer ist, haben wir von ihnen nichts zu befürchten.«

Nach ungefähr zwei Stunden ritten wir weiter und trafen bald auf die Fährte derer, die wir gesehen hatten. Sie schienen später schneller geritten zu sein, wie wir an ihren Spuren sahen. Wir beeilten uns nicht, denn wir hatten keinen Grund, sie einzuholen, blieben aber in ihren Stapfen, da sie wirklich unsere Richtung eingehalten hatten. Wie vermutet, sahen wir gegen Abend den Dschebel Hamrin, welcher seine Höhen nach Nordwesten zog, und gelangten in eines der vorhin erwähnten Thäler, in welchem wir die Nacht zuzubringen beschlossen, weil ein kleines Wässerchen durch dasselbe floß. Wir konnten trinken und auch die Pferde trinken lassen.

Das Thal beschrieb einen Bogen; darum konnten wir es nicht bis ans Ende übersehen. Wir lagerten uns am Eingange desselben. Die hohen Wände schützten uns vor dem stets kühlen Winde der Nacht.

Es war meinem Halef nicht eingefallen, unterwegs anzuhalten und abzusteigen, um die vom Islam vorgeschriebenen Gebete zu verrichten, und auch jetzt betete er weder das Mogreb noch das Aschiah, die Gebete bei Sonnenuntergang und eine Stunde nach demselben. Er war ein sehr eifriger Mohammedaner gewesen, durch sein Zusammenleben mit mir aber, obgleich er sich noch einen Mohammedaner nannte, innerlich ein Christ geworden. Wir rührten in dem mitgebrachten Becher Mehl und Wasser zusammen, aßen dies und einige Datteln dazu, banden den Pferden die Vorderbeine so zusammen, daß sie zwar grasen, aber sich nicht weit entfernen konnten, und legten uns dann schlafen.

Da wir so zeitig zur Ruhe gegangen waren, wachten wir am andern Morgen sehr früh auf; der Tag begann zu grauen. Wir aßen einige Datteln, sattelten die Pferde und ritten weiter. Wir kamen an den Bogen, den das Thal macht, und wollten eben um die innere Ecke desselben biegen, als wir jenseits derselben eine laute Stimme rufen hörten:

»Haï álas-salah ia mu'minin! Allah akbar; Allahu akbar –Auf zum Gebete, ihr Gläubigen! Gott ist groß; Gott ist groß!«

Wir ritten sofort ein Stück zurück, stiegen ab und gingen dann vorsichtig wieder vor, um, hinter der Krümmung versteckt, nach vorn zu sehen, was für Leute wir vor uns hatten.

Was wir da erblickten, war keineswegs erfreulich. Es lagerte da ein Trupp von gegen zwanzig sehr gut bewaffneten Männern mit ihren Tieren. Wir zählten sechzehn Reit- und acht Lastkamele, dazu sieben Pferde. Wie konnte das stimmen? Da waren doch wenigstens drei Pferde zu viel! Diese Männer knieten jetzt auf ihren Gebetsteppichen und beteten das Fagr, das Gebet bei der Morgenröte. Ihre Tiere waren alle abgesattelt und grasten. Die Sättel lagen auf einem Haufen beisammen; daneben standen die Gegenstände, welche die Lastkamele getragen hatten – sechzehn hölzerne Särge, je zwei für ein Kamel. Wir hatten eine sogenannte Karwan el Amwat, eine Karawane der Toten vor uns. Und da, hinter diesen Särgen, sahen wir zwei Menschen liegen, welche an Händen und Füßen gefesselt waren. Das erklärte das Rätsel der überflüssigen Pferde. Nämlich die zwei Reiter, welche wir gestern gesehen hatten, waren hier auf die Karawane gestoßen und von den Leuten derselben ergriffen worden,

Diese letzteren waren keine Sunniten, sondern Schiiten. Die Sunniten, welche man die orthodoxen Mohammedaner nennen könnte, erkennen Abu Bekr, Omar und Othman als Khalifen an, während die Schiiten diese drei verwerfen und nur Ali und dessen Nachfolger für rechtmäßig erklären. Zwischen beiden herrscht ein grimmiger Haß, welcher besonders zur Zeit der schiitischen Wallfahrten in hellen Flammen auflodert. Dieser Haß ist eine Folge der Leiden, welche die Söhne Alis auszustehen hatten. Der jüngere von ihnen, Hussein, wurde ermordet und in Kerbela begraben; darum ist diese Stadt der heiligste Wallfahrtsort der Schiiten, welche ihre Toten von weither bringen, um sie dort zu begraben. Diese Leichen werden bis zu einer passenden Gelegenheit aufbewahrt, um dann in größeren oder kleineren Karawanenzügen nach Kerbela geschafft zu werden. Während dieser Totenzüge befinden sich die Beteiligten in einer religiösen Aufregung, welche an Wahnsinn grenzt und sie zu allen Unthaten gegen Andersgläubige fähig macht; den Beweis dazu hatten wir jetzt vor uns liegen.

»Siham Allah fi ada ed din – Allah möge die Feinde der Religion durchbohren!« flüsterte mir Halef zu. »Das sind ja verdammte Schiiten! Sie haben die beiden Reiter überfallen und werden das auch mit uns thun wollen, wenn sie uns sehen. Sihdi, was werden wir beginnen?«

»Schnell fliehen,« antwortete ich, um ihn auf die Probe zu stellen.

Was ich vermutet hatte, das geschah: Der kleine wackere Mann antwortete zornig:

»Fliehen? Zwei solche Männer, wie wir sind? Vor diesen gemeinen Totengräbern? ja, es wäre klüger, sie zu meiden; aber sollen wir den Gefangenen nicht beistehen? Das wäre feig! Wer weiß, was sie mit ihnen vorhaben. Diese tollen Bekenner der Schia sind im stande, sie qualvoll zu töten. Wir müssen die armen Teufel retten, und ich hoffe, Sihdi, daß du damit einverstanden bist!«

»Allerdings, aber da dürfen wir nicht hier bleiben; wir müssen uns einen Punkt aussuchen, welcher ihr Lager besser beherrscht und unsern Leibern Sicherheit bietet. Komm!«

Wir stiegen wieder auf, ritten bis an den Ausgang des Thales zurück und bogen dann außerhalb desselben scharf ein, um an seinem Rande empor zu reiten, bis wir uns grad über der Karawane befanden. Da stiegen wir wieder ab, trieben unsere Pferde eine Strecke fort, damit sie nicht von unten gesehen werden konnten, legten uns auf die Erde nieder und krochen vorsichtig bis an den Rand, um in das Thal hinabzublicken.

Wir befanden uns auf einer vielleicht zwanzig Ellen hohen und ziemlich steilen Böschung, grad über dem Mittelpunkt des Lagers. Dieses hatte eine so geringe Ausdehnung, daß ich mit meinem Henrystutzen die zehnfache Länge hätte bestreichen können. Das Gebet war vorüber; man hatte den Gefangenen die Fesseln an den Füßen gelöst und einen Kreis um sie gebildet, in dessen Mitte sie standen, und beriet sich unter wüstem Geschrei, welches Schicksal sie erleiden sollten.

Eben zuckte der erste Strahl der aufgehenden Sonne über das Thal; da erhob der eine der Gefangenen die gefesselten Hände und rief:

»Ia schems, ia schems! Ia schems, il hamdulilla – O Sonne, o Sonne! O Sonne, Gott sei Dank! Du wirst uns retten vom gräßlichen Tode, der uns droht, denn wir stehen im Nur esch Schems, unter deinem Lichte und Schutze! Laß uns nicht schon jetzt über die Brücke Tschinevad ins jenseits schreiten, sondern vertreib mit deinen Strahlen die bösen Geister Ahrimans und sende uns Ormuzds reine Engel zu Hilfe!«

Ein schallendes Hohngelächter antwortete ihm, und das Brüllen und Schreien begann von neuem in einer Weise, daß wir die einzelnen Worte und Ausrufe nicht unterscheiden und verstehen konnten. Aus seinen Worten hatten wir gehört, daß er ein Parsi war, also einer der Anhänger der zoroasterschen Lehre, welche die Sonne und das Feuer als Sinnbilder ihres guten Gottes Ormuzd anbeten. Als eine Pause in dem Geschrei entstand, rief er wieder mit erhobenen Armen:

»Ia schems, ia ilaha, ia nefisa, ia cballasa – O Sonne, o Göttliche, o Herrliche, o Retterin! Du mußt und wirst uns retten, denn ich trage ja dein Tilsim (Talisman) auf meinem Herzen!«

Wieder wurde mit Gelächter geantwortet, und dann gebot einer, welcher der Anführer war:

»Macht es kurz mit den ungläubigen Hunden; ihnen geschehe, wie ich schon gestern abend geboten. Wir haben hier ja Platz zur Runde!«

Was für eine Runde sollte das sein? Was meinte er mit diesein Worte? Wir sollten es gleich sehen. Es wurden mehrere Stricke zusammengeknüpft und mit dem einen Ende an den Nasenriemen eines Pferdes befestigt; das andere nahm einer der Kerle in die Hand. Dann schlang man den Gefangenen kürzere Stricke um die Handgelenke und band dieselben rechts und links an den Bauchgurt des Pferdes.

»O Allah! Man will sie zu Tode schleifen! Siehst du es, Sihdi?« fragte Halef.

Natürlich sah ich es! Das Pferd sollte an dem langen Stricke, welcher als Longe diente, im Kreise herum getrieben werden und die beiden armen Menschen hinter sich her schleppen, bis sie tot waren. Wir durften nicht länger zögern, denn schon machten sich mehrere Schiiten mit ihren langen Lanzen bereit, das Pferd mit den Spitzen derselben anzutreiben.

»Fangt an!« gebot der Anführer. »Was zögert ihr lange!«

Da erhob ich mich mit Halef und rief hinab:

»Halt, bei Allah, haltet ein, wenn ihr nicht selbst verderben wollt!«

Sie fuhren alle herum und blickten vor Überraschung sprachlos zu uns herauf

»Bindet diese beiden Männer augenblicklich los, und gebt sie frei, sonst sterben nicht sie, sondern ihr fahrt zur Dschehenna (Hölle)!«

Die Leute schwiegen noch immer, so betroffen waren sie; dann fragte der Anführer:

»Wer seid ihr denn, daß ihr es wagt, uns stören zu wollen?«

»Wir sind Retter in der Not, denen niemand widerstehen kann. Mein Gewehr allein reicht hin, euch alle in einer Minute zu töten. Paßt auf, ich werde es euch beweisen; da drüben steckt eine Lanze in der Erde; ich werde, ohne zu laden, sechs Löcher in dieselbe schießen.«

Ich hatte dieses Experiment mit meinem Stutzen oft gemacht und stets war es mir gelungen, die Betreffenden dadurch einzuschüchtern. Vielleicht war es mir auch jetzt möglich, die Gefangenen durch dasselbe zu befreien und Blutvergießen zu verhüten. Ich legte also den Stutzen an, zielte und drückte schnell hintereinander ab. Sie eilten nach dem letzten Schusse hin, die Lanze zu betrachten, wodurch ich Zeit gewann, die sechs verschossenen Patronen unbemerkt von ihnen zu ersetzen. Es ertönten laute Ausrufe der Verwunderung; den Anführer hörten wir sagen:

»Allah bewahre uns! Das ist ein Dschiht es Sihr, ein Zaubergewehr, welches man nicht zu laden braucht und womit man dennoch ganz genau die Ziele trifft.«

»Du hast recht gesprochen,« antwortete ich. »Eine Minute genügt, euch alle mit dieser Zauberflinte tot ins Gras zu strecken; es schießt so schnell und sicher, daß keiner von euch Zeit zur Flucht finden würde. Gebt also die Gefangenen frei, sonst schieße ich!«

»Seid nur ihr zwei da oben?« fragte er.

»Zwei oder hundert, das ist ganz gleich; mein Gewehr allein genügt.«

»Wir schießen auch!«

»Versucht's einmal! Eure Flinten liegen dort bei den Särgen. Wer Miene macht, die seinige zu holen, der bekommt meine erste Kugel, und dann hält das Zaubergewehr nicht eher mit Schießen ein, als bis ihr alle getroffen seid.«

»Du bist der Scheitan (Teufel) selbst, sonst hättest du keine solche Flinte und könntest uns nicht so furchtlos drohen!«

»Wenn du das meinst, so beeile dich! Ich gebe euch nur so viel Zeit, als nötig ist, dreimal die Fathah zu beten, dann schieße ich!«

»El kuwwe a'leija – die Gewalt ist gegen mich. Gott verbrenne dich! Ich werde mich mit meinen Leuten beraten!«

»Und ich bete indessen dreimal die Fathah. Wenn ich zu Ende bin, trifft meine erste Kugel das Pferd, an welchem die beiden hängen, in den Kopf und die zweite dich!«

Das Tier that mir leid; aber ich sah voraus, daß ich es opfern mußte, um den Schiiten Schreck einzujagen und dadurch Blutvergießen zu vermeiden. Sie berieten sich wild gestikulierend halblaut miteinander, ich wartete vielleicht zwei Minuten und rief dann hinab:

»Die Frist ist zu Ende, es geht los!« Hierauf zielte ich nach dem Pferde und drückte ab. Es wankte einigemale herüber und hinüber und fiel dann nieder, um noch kurze Zeit mit den Beinen um sich zu schlagen. Dann richtete ich mein Gewehr auf den Anführer.

»Battil – halt ein!« schrie er, als er dies sah. »Wir werden die Hunde freigeben!«

»Augenblicklich?«

»Sofort!«

»Mit ihren Pferden und allem, was ihr ihnen genommen habt!«

»Verlangst du auch das?«

»Ja, wenn ihnen das Geringste fehlt, hört ihr kein Wort mehr von mir, desto mehr aber Schüsse!«

»Jil'an daknak, addak el hemm – verflucht sei dein Bart, und Unheil treffe dich!«

»Fluche nicht, sondern beeile dich, sonst schieße ich doch! Die beiden Männer mögen dann ihren Weg schnell fortsetzen!«

Was so ein Repetiergewehr bei solchen unwissenden und abergläubischen Menschen thut! Sie banden die Gefangenen los und gaben ihnen ihre Pferde. Wegen der übrigen Gegenstände gab es freilich ein längeres Gezänk, da dieselben schon verteilt worden waren; doch war nach meiner letzten Drohung höchstens eine Viertelstunde vergangen, so hatten sie alles beisammen und konnten weiter reiten. Ehe sie ihre drei Pferde in Bewegung setzten, rief der eine zu uns herauf-

»Ia sejjid, ia weli en niam, Allah jebarik fik, Allah jesellimak – o Herr, o Wohlthäter, Allah segne dich, Allah erhalte dich!«

»Reitet fort; wir sehen uns wieder!« rief ich ihnen zu. Dann machten sie sich schnell davon, und zwar im schnellsten Galoppe, der ihren Pferden möglich war.

Als wir glaubten, daß die beiden Geretteten weit genug fort seien, stiegen auch wir in unsere Sättel und ritten ihnen nach. Verfolgt wurden wir von den Schiiten nicht, und hätten sie es gethan, so wären wir imstande gewesen, sie mit unsern Gewehren, welche viel weiter trugen als die ihrigen, von uns fern zu halten.

Die beiden Geretteten waren noch nicht am Horizonte verschwunden; wir galoppierten hinter ihnen her. Als sie uns bemerkten, hielten sie an, uns zu erwarten. Der eine von ihnen, welcher vorhin zu uns gesprochen hatte, war besser gekleidet als der andere; er rief uns, noch ehe wir sie erreicht hatten, entgegen:

»Ihr kommt uns nach? Darüber ist mein Herz erfreut, denn nun ist es mir möglich, euch besser Dank zu sagen, als es vorhin möglich war.«

»Danke Gott und nicht uns!« antwortete ich ihm. »Er war es, der uns zur rechten Zeit zu euch führte. Was wir gethan haben, war nichts als unsere Pflicht, und für die Erfüllung einer Pflicht hat niemand Dank zu fordern.«

»Das ist wahr; aber euer Pflichtgefühl brachte euch selbst in eine so große Gefahr, daß hundert andere sich vor derselben gefürchtet hätten. Nimm also meine Hand, Sihdi, und sage mir, wie ich dir wieder dienen kann!«

»Deine Hand ist mir willkommen; hier ist die meinige. Hattet ihr denn diese Perser beleidiget?«

»Nein. Sie sind keine Perser, sondern aus der Gegend von Suleimania, welches noch diesseits der Grenze liegt. Wir trafen auf sie, grad als sie, die uns entgegenkamen, lagern wollten. Wir grüßten und wollten an ihnen vorüber; da hielten sie uns an, weil sie glaubten, daß wir Sunniten seien. Als ich ihnen sagte, daß ich ein Parsi bin, wurde ihr Haß noch größer als vorher, und sie bemächtigten sich unser, um uns für den Tod ihres Hussein sterben zu lassen.«

»Wo kommt ihr her?‹&

»Aus Bagdad. Mein Vater ist der Parsikaufmann Wikrama, und ich heiße Alam. Wir wollen zu den Anezeh-Arabern, um meinen Vater aus der Gefangenschaft derselben zu befreien.«

»Wie? Er ist Gefangener der räuberischen Anezeh? Wie konnte er, ein Bagdader Kaufmann, in die Hände dieser Leute fallen?«

»Er reiste nach Mossul, um einem Geschäftsfreunde eine große Summe Geldes zu bringen, wurde aber von ihnen überfallen und ausgeraubt. Sie sind mit dieser Summe nicht zufrieden und verlangen noch ein hohes Lösegeld. Ist dasselbe nicht zur bestimmten Zeit bezahlt, so werden sie ihn töten.«

»Du willst das Geld zu ihnen bringen?«

»Ja, aber nicht die ganze Summe, welche sie verlangt haben, denn es war mir unmöglich, dieselbe aufzubringen. Durch den Verlust, den er erlitten hat, sind wir arm geworden, denn was die Anezeh ihm abgenommen haben, war fast unser ganzes Vermögen. Ich habe geborgt, soviel ich konnte, und doch kaum die Hälfte der Summe zusammen, welche die Beduinen verlangt haben, doch hoffe ich, daß sie damit zufrieden sein werden. Sollte dies nicht der Fall sein, so wende ich mich an den berühmten Einsiedler auf dem Felsen Wahsija, von dem ich hörte, daß er große Macht über sie habe.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit, hier von diesem Gelde zu erzählen! Wie nun, wenn wir Räuber wären und euch dasselbe abforderten?«

»Ihr würdet es nicht finden, wie es die Schiiten auch nicht gefunden haben. Es ist gut versteckt. Übrigens seid ihr unsere Retter, denen ich vertrauen darf, und auf alle Fälle habe ich zwei Talasim bei mir, welche mich aus jeder Gefahr retten werden.«

»Vertraue keinem Talisman und keinem Amulett, o Jüngling! Gott allein ist der Retter. Das Gebet vermag mehr als alle Talasim der Welt.«

»Meine Talasim sind eben Gebete. Sobald ich meine rechte Hand auf die Stelle lege, an welcher sie sich befinden, ist die Rettung da. Als ich vorhin die Sonne anrief und die gefesselten Hände auf die Brust legte, an welcher meine Talasim ruhen, sandte sie euch sofort, uns zu befreien. Wo kommt ihr her, und wo wollt ihr hin, o Sihdi?«

»Wir kommen von Bagdad und wollen zu den Haddedihn-Beduinen, um deren Scheik, welcher unser Freund ist, zu besuchen. Ich werde Kara Ben Nemsi genannt, und hier ist Hadschi Halef Omar, mein Begleiter.«

»Zu den Haddedihn? So müßt ihr wohl auch nach Tekrit und über den Tigris hinüber?«

»Ja. Dann werden wir am Thartharflusse hinaufreiten.«

»Das ist ja auch unser Weg! Sihdi, erlaubst du, daß wir mit euch reiten?«

Es lag mir gar nicht viel daran, diese beiden jungen und jedenfalls unerfahrenen Menschen bei mir zu haben; sie konnten uns nichts nützen; dennoch antwortete ich:

»Wenn ihr euch in unsere Art und Weise fügt, werdet ihr uns willkommen sein. Also vorwärts nach Tekrit, damit wir keine Zeit verlieren!«

Ich setzte mein Pferd in Bewegung; er hielt sich sogleich an meine Seite und sagte:

»Du wirst es nicht bereuen, uns bei dir zu haben. Wir kommen durch Gegenden, in denen es viele Gefahren giebt. Aber meine Talismane werden uns beschützen und auch dir zu gute kommen. Der eine ist ein Talisman der Sonne; ich befinde mich im Nur esch Schems, im Lichte und Schutze der Sonne, welche wir verehren, und kein Feind wird uns etwas anhaben können.«

»Sie ist ein Werk des allmächtigen Schöpfers, ohne den sie nichts wäre. Wer in seinem Lichte wandelt, der steht unter dem mächtigsten Schutze, den es im Himmel und auf Erden giebt!«


 << zurück weiter >>