Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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Nûr el Hilal

Es war einige Tage später. Wir hatten Tekrit, diese jetzt so klein und unbedeutend gewordene Ortschaft, hinter uns, waren auf Schilfflößen über den Tigris gegangen, noch eine Strecke westlich in die Steppe hineingeritten, und befanden uns nun an dem kleinen Flusse Tharthar, an dessen Ufer wir aufwärts ritten. Hier hatten wir Wasser, so viel wir brauchten, Weide die Fülle und konnten uns, falls uns eine feindliche Begegnung drohte, frei nach allen Richtungen wenden, was nicht möglich gewesen wäre, wenn wir uns am Ufer des Tigris gehalten hätten.

Und eine solche Begegnung lag keineswegs außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Wir hatten nämlich zu unserm Leidwesen in Tekrit erfahren, daß Feindseligkeiten zwischen den Stämmen der dortigen Beduinen ausgebrochen seien. Der erste Grund dazu war eine Räuberei der Abu Hammed gegen die Alabeide gewesen; diese beiden Stämme hatten befreundete Abteilungen an sich gezogen und machten nun mit ihren gegenseitigen Plänkelzügen die ganze Gegend unsicher.

Halef und ich hatten uns ganz besonders vor den Abu Hammed zu hüten, denn wir waren vor Jahren mit dabei gewesen, als sie von den Haddedihn besiegt und tief gedemütigt worden waren. Wenn wir ihnen in die Hände gerieten, hatten wir nichts Gutes zu erwarten. Darum hielten wir die Augen offen.

Was unsern Begleiter, den Parsi Alam, betrifft, so war ich mit seiner Anwesenheit vollständig ausgesöhnt; er war zwar jung, unerfahren und wohl auch unvorsichtig, dabei aber für mich eine sehr interessante Persönlichkeit. Er hatte einen Parsi zum Vater und war in Bagdad von einer mohammedanischen Mutter geboren worden; infolge dessen bekannte er sich äußerlich zum Glauben seines Vaters und hielt es doch innerlich mit demjenigen seiner Mutter. Halb Sonnen- und Feueranbeter und halb Moslem, war er doch keins von beiden; dabei besaß er eine durstige Seele, rang nach Licht und Wahrheit und hatte doch weder das eine noch das andere zu finden vermocht. Er fühlte die Fesseln des Aberglaubens, unter welchem er stand, wollte gern frei von ihnen sein und konnte doch nicht loskommen.

Es war gar kein Wunder, daß er in dieser innern Bedrängnis das Gespräch auf die Religion brachte. Er hatte mich für einen Moslem gehalten; als er dann hörte, daß ich Christ sei, wurde er noch offener, als er vorher gewesen war und legte mir eine Menge Fragen vor, welche ich alle beantworten sollte. Es fiel mir nicht ein, mich nun sofort als Missionär zu gebärden; das wäre ein unverzeihlicher Fehler gewesen; ich erwähnte meinen Glauben und seine Lehren mit keinem Worte, sondern schlug den wenn auch indirekten aber um so sicheren Weg ein, ihm durch kurze, klare und überzeugende Bemerkungen zu beweisen, daß der seinige haltlos sei.

Vom Morgen bis zum Abende sprachen wir von fast nichts anderem; er wurde nachdenklicher und immer nachdenklicher, so daß ich überzeugt war, daß meine Worte fest in seinem Innnern hafteten. Auf diese Weise hatte ich auch meinen Halef bekehrt, der mich partout zum Mohammedaner hatte machen wollen. Der kleine, treue Mann hörte unsern Wechselreden schweigend zu, konnte sich aber, als ich gelegentlich einmal neben ihm ritt, nicht enthalten, heimlich zu mir zu sagen:

»Sihdi, erinnerst du dich noch daran, daß ich dich damals zum Islam bekehren wollte, du mochtest wollen oder nicht?«

»Ja.«

»Und nun ist mir dein Glaube lieber als der unserige, obgleich ich dies noch niemand sagen mag. Ich bemerke, daß dieser Parsi eines Tages ebenso denken wird wie ich, trotz der Talismane, welche er bei sich trägt.«

Er hatte also an Alam ganz dieselbe Beobachtung wie ich gemacht. Nebenbei mag hier bemerkt werden, daß der Begleiter des Parsi ein junger Mann war, welcher jetzt in seinem Dienste stand und früher eine Art Hausierhandel unter den Beduinen getrieben hatte, die Gegend und deren Bewohner also einigermaßen kannte und darum als jetziger Begleiter nicht schlecht gewählt worden war. Für mich freilich konnte dieser einfache und vollständig harmlose Mann nicht die mindeste Bedeutung haben. Er ritt auch immer sehr bescheiden hinter uns her.

Der Tharthar hat im Sommer wenig oder fast gar kein Wasser; dann giebt es nur an seinen Ufern etwas Grün; in der Steppe aber sind die Pflanzen vollständig abgestorben, und die Beduinen halten sich mit ihren Herden in der Nähe des Tigris oder suchen den westwärtsfließenden Euphrat auf. Jetzt gab es Wasser in dem Flüßchen, doch nicht so viel, daß uns der Übergang schwer geworden wäre. Wir konnten, wenn es notwendig war, in jedem Augenblicke hinüber und wieder herüber, ganz wie es unsere Sicherheit erforderte.

Bis jetzt hatten wir keine Begegnung gehabt; heute aber, als die Sonne vielleicht drei Viertel ihres Laufes vollendet hatte, sahen wir vier Reiter, welche südwestlich aus der Steppe kamen und auf den Fluß zuhielten, an welchem sie mit uns zusammentreffen mußten. Als sie uns bemerkten, hielten sie für kurze Zeit an, um sich zu besprechen; dann setzten sie ihre Pferde in Galopp und kamen auf uns zu. Wir ritten unsern Schritt weiter, da wir vier Männer jedenfalls nichts zu fürchten hatten. Erst als sie uns ganz nahe waren, hielten wir, wie uns die Höflichkeit gebot, an. Sie sahen grad so aus wie alle Beduinen; es gab nichts an ihnen, was uns hätte mißtrauisch machen können. Sie grüßten uns höflich und wir dankten ihnen. Sie waren jung; der älteste von ihnen konnte fünfundzwanzig Jahre zählen. Er fragte uns, zu welchem Stamme wir gehörten.

»Wir sind fremd,« antwortete ich unbestimmt. »Unsere Väter haben nicht in der Wüste, sondern in Städten gewohnt.«

»Wohin wollt ihr?«

»Zu dem frommen Einsiedler auf dem Felsen von Wahsija. Du siehst, daß unsere Reise eine sehr friedliche ist.«

Ich mußte in dieser Weise antworten, weil ich noch nicht wußte, zu welchem Stamme diese Leute gehörten.

»Habt ihr ein Gelübde gethan, daß ihr zu dem Einsiedler wollt?« fragte er weiter.

»Nein. Wir wollen ihm nur ein Geschenk und eine Bitte bringen. Bei welchem Stamme stehen euere Zelte?«

»Wir gehören zum mächtigen Stamme der Alabeide.«

»Der Alabeide?« rief Halef erfreut aus. »Wo befindet sich derselbe?«

»Nicht weit von hier am Flusse. Wir werden unser Lager noch vor Abend erreichen,« antwortete der Mann dem kleinen, unvorsichtigen Frager.

»Dann reiten wir mit euch, denn wir sind alte Bekannte und Freunde eueres Stammes.«

»Ihr? Wieso?«

Halef deutete auf mich und antwortete stolz:

»Hier seht ihr den berühmten Emir Kara Ben Nemsi. Kennt ihr seinen Namen? Und ich bin Hadschi Halef Omar, sein Freund und Gefährte. Ihr seid jung und also damals nicht dabei gewesen; aber wir haben im Thale der Stufen mit euch und den Haddedihn gegen die Abu Hammed, Dschowari und Obeide gekämpft. Das war ein sehr großer Sieg, und ihr wißt gewiß, daß ihr denselben diesem Emir Kara Ben Nemsi zu verdanken hattet.«

Bei der Nennung meines Namens hatten die vier Reiter laute Rufe der Überraschung ausgestoßen. Sie sahen einander mit einem Ausdrucke an, welcher auf freudige Bestürzung deutete, später erfuhren wir freilich, daß es etwas ganz anderes gewesen war. Als Halef seine hochtrabende Rede geendet hatte, antwortete der vermeintliche Alabeide in jubelndem Tone:

»Hamdulillah! Preis sei Allah, der uns euch hier begegnen ließ! ja, wir gehörten damals noch nicht zu den Kriegern, aber wir haben eueren großen Ruhm vernommen. Unsere Stämme verdankten euch jenen Sieg. Ihr seid uns willkommen, hoch willkommen. Wie werden sich die Unserigen freuen, wenn wir ihnen verkünden, welche Gäste wir ihnen bringen! Emir Kara Ben Nemsi, nimm hier meine Hand! Sei unser Gast für viele, viele Tage! Willst du uns die Wonne deiner Gegenwart bereiten?«

Ich sah seine Augen und diejenigen seiner Gefährten leuchten, ergriff seine Hand und sagte zu. Ich nahm dieses Augenleuchten als ein Zeichen der Freude; das war es auch, aber einer ganz anderen Freude, als wir annahmen. Wir unvorsichtigen Menschen gingen ganz vertrauensselig in eine Falle, die uns noch dazu von so jungen Menschen gestellt worden war!

Wir ritten weiter und unterhielten uns über die damaligen Kriegserlebnisse. Ganz besonders freuten sich die vermeintlichen Alabeide darüber, daß wir damals die Abu Hammed so gezüchtigt hatten. Ich war Gefangener dieses Stammes gewesen, ihm aber entkommen; sein Scheik Zedar Ben Huli wurde dann von einem meiner Gefährten erschossen; die Abu Hammed mußten sich den Haddedihn und Alabeide unterwerfen und den besten Teil ihrer Herden als Tribut zahlen. Dabei gaben sich die vier in einer Weise, daß bei uns kein Argwohn entstehen konnte. Sie hielten ihre Worte und Gebärden unter einer außerordentlichen Beherrschung.

Später trennte sich einer von uns, um voranzureiten und die Ankunft so hoch willkommener Gäste zu verkündigen. Es war vielleicht eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, als wir die schwarzen Zelte des Stammes liegen sahen. Herden weideten, von einzelnen Hirten beaufsichtigt, rund um das Lager. Es war ein Bild des Friedens. Eine große Anzahl von Frauen und Mädchen kam uns entgegen und bewillkommnete uns mit einem vielstimmigen und oft wiederholten ›Marhaba!‹. Hinter diesen hielten die Jünglinge, um diesen Ruf zu wiederholen. Bei ihnen befanden sich nur wenige erwachsene Männer. Wir hatten gehört, daß die Krieger auf einem Zuge gegen die feindlichen Abu Hammed abwesend seien, aber hoffentlich übermorgen schon wiederkommen würden. Das war ein ganz außerordentliches Freudengeschrei, welches man nur bei der Ankunft von sehr lieben Gästen zu hören pflegt! Wir wurden förmlich von den Pferden gehoben und im Triumphe zu den Zeltreihen geführt. Da plötzlich sah ich, daß einer der alten Krieger meinem Halef das Gewehr aus der Hand riß; im nächsten Augenblicke, ehe ich nur eine Bewegung der Abwehr machen konnte, schlug er mir den Kolben desselben so gegen die Stirn, daß mir die Gedanken vergingen; noch ein solcher Hieb, ich stürzte zu Boden und verlor die Besinnung.

Wie lange ich ohnmächtig gewesen war, weiß ich nicht; als ich erwachte, umgab mich tiefe Dunkelheit; im Kopfe hatte ich eine Empfindung, als ob derselbe ein hohler Kürbis sei, in welchem Millionen Fliegen summten. Durch dieses Summen tönten wie aus weiter Ferne menschliche Stimmen. Ich lag, an Händen und Füßen gebunden, an der Erde. Als ich mein Gehör anstrengte, wurden die Stimmen nach einiger Zeit deutlicher; ich glaubte diejenige meines Halef zu erkennen.

Da wurde es licht. Einige Männer erschienen, von denen einer eine thönerne Öllampe in der Hand hatte. Sie traten zu mir. Als sie sahen, daß ich die Augen offen hatte, sagte der Lampenträger:

»Allah sei Dank; der Hundesohn lebt; ich habe ihn also nicht erschlagen!« Und sich zu mir wendend fuhr er fort: »Du bist Kara Ben Nemsi, der uns damals im Thale der Stufen überlistet hat; heute haben wir dich übertölpelt. Wir gehören nicht zu den Alabeiden, welche Allah verbrennen möge, sondern wir sind Abu Hammed, denen du damals so großen Schaden zugefügt hast. Du wurdest zu uns gelockt, und dein Hirn war schwach genug, zu glauben, daß wir Alabeide seien. Ihr habt damals unsern Scheik Zedar Ben Huli getötet; nun bleibt ihr hier liegen, bis unsere Krieger zurückkommen, welche um der Blutrache willen eure Seele von euch nehmen werden!«

Er versetzte mir einen Fußtritt und entfernte sich dann mit den anderen. Im Scheine des kleinen Lichtes hatte ich gesehen, daß ich mit meinen Gefährten im Innern eines Zeltes lag; sie waren ebenso gefesselt wie ich; sie hatten vorhin miteinander gesprochen, und infolge der beiden Hiebe, durch welche ich niedergeworfen worden war, hatte ich ihre Stimmen wie aus weiter Ferne gehört.

Als wir wieder allein waren, erkundigte ich mich nach den Verhältnissen. Mich hatte man für den Gefährlichsten gehalten und also niedergeschlagen; die andern waren niedergerissen und bewältigt worden. Als wir dann gebunden worden waren, hatte man unter Geschrei und Geheul einen Freudentanz um uns aufgeführt, uns mit Händen und Füßen geschlagen und gestoßen, angespuckt und dann in dieses Zelt geschleift, vor welchem jetzt zwei Wächter saßen.

»Daran bin ich schuld, Sihdi,« gestand Halef. »Ich hätte nicht so schnell sagen sollen, wer wir sind!«

»Das ist wahr; aber Vorwürfe nützen zu nichts. Ich bin ebenso unvorsichtig gewesen wie du. Man hat uns natürlich ausgeraubt?«

»Nein. Als einige Miene machten, uns die Taschen zu leeren, verbot es der Stellvertreter des Scheiks. Er meinte, dies dürfe erst geschehen, wenn die Krieger zurückkehren.«

»Er hat gewußt, daß alles bald verschwinden würde, während nur der Scheik den Raub zu verteilen hat. Das ist gut für uns. Aber unsere Waffen?«

»Die hat man uns freilich abgenommen und in das Zelt des Scheiks geschafft.«

»Weißt du, welches Zelt dies ist?«

»Nein. Ich hörte aber sagen, daß sie dort aufbewahrt werden sollten.«

»Hm! Du liegst neben mir. Wie sind dir deine Hände gebunden?«

»Vorn.«

»Ich habe die meinigen auf dem Rücken. Kannst du deine Finger bewegen?«

»Ja.«

»So rutsche näher, und versuche einmal, ob du mir die Knoten aufknüpfen kannst! Man merkt es, daß wir es mit unerfahrenen Leuten zu thun haben. Hätten sie uns einzeln eingesperrt, so könnten wir einander nicht helfen.«

Halef folgte meiner Aufforderung; es ging schwer und langsam, aber nach einer halben Stunde hatte ich die Hände frei.

»Nun binde auch mich und die andern los!« forderte er mich auf.

»Fällt mir nicht ein! Daß wäre die größte Thorheit, die ich begehen könnte! Binde mir vielmehr die Hände wieder zusammen. Es war einstweilen ein Versuch. Hörst du den Lärm da draußen! Man ist noch viel zu munter. Später werde ich sehen, ob und wie wir fort können. Jedenfalls aber gehe ich nicht, ohne mein Gewehr wieder zu haben.«

»Und meinen Packsattel!« flüsterte der Parsi angelegentlich.

»Warum diesen?«

»Weil mein Geld im Polster desselben versteckt ist. Sag mir, o Sihdi, würden diese Abu Hammed uns töten?«

»Ohne Gnade und Barmherzigkeit!«

»Du meinst aber, daß wir fliehen können?«

»Ich hoffe es.«

»Allah sei gepriesen! Daran sind nur meine beiden Talismane schuld. Ich habe es dir gesagt, daß sie uns aus jeder Not erretten werden!«

Ich schwieg. Er kannte meine Meinung bereits. Was hätte ich nun noch sagen sollen?

Wir warteten. Die Zeit verging. Draußen wurde es still und stiller. Die Männer, welche vorhin dagewesen waren, kamen wieder, um nach uns zu sehen. Wir lagen wie vorher. Sie glaubten uns fest zu haben und gingen wieder. Draußen geboten sie den neuen Wächtern, ja recht gut aufzupassen. Dann hörte ich zuweilen leise Schritte, welche um unser Zelt gingen; das waren die Wächter, welche vor dem Eingange saßen. Von Zeit zu Zeit unternahm einer von ihnen einen Rundgang.

Nun wurde es Zeit. Halef mußte mich wieder losbinden, was jetzt schneller ging als vorher. Ich hatte die Hände frei und konnte mir nun den Strick von den Fußgelenken knüpfen.

»Sihdi, wohin willst du draußen?« fragte der Parsi.

»Das Zelt des Scheiks suchen.«

»Such' auch meinen Packsattel! Ich werde die Hand auf meinen Talisman der Sonne legen, den ich auf der rechten Brust trage. Er wird dich beschützen. Ormuzd mag dir seine reinen Geister zur Begleitung senden!«

Ich kroch leise an die Hinterwand des Zeltes und zog einen der Pflöcke aus der Erde. Nun konnte ich die Leinwand heben und unter derselben hindurchkriechen. Der Himmel hatte sich mit Wolken umzogen, als ob es regnen wolle; es war so dunkel, daß man nicht sehr weit sehen konnte. Das war mir lieb, obgleich es mir dadurch schwer wurde, unser Zelt wiederzufinden. Ich schob mich also hinaus und schnellte mich dann gleich mehrere Ellen weit fort, um aus der Nähe der Wächter zu kommen. Dann legte ich mich zu Boden und kroch weiter. Ich mußte durch das ganze Lager, war aber überzeugt, daß das Zelt des Scheiks sich durch irgend etwas vor den anderen auszeichnen werde.

Weiter aufwärts brannte ein Feuer, an welchem mehrere Männer saßen, gewiß die spätere Ablösung für unsere Wächter. Ich mußte mich so halten, daß der Schein dieses Feuers nicht auf mich fiel, und kroch im Dunkel der anderen Seite weiter, jedes Zelt, an dem ich vorüberkam, so weit die Dunkelheit es zuließ, genau betrachtend. Da stand eines, welches größer als die anderen war; zwei mit Palmfaserbüscheln verzierte Lanzenspitzen ragten über demselben hoch empor. Sollte dies das gesuchte sein?

Eben wollte ich mich vorsichtig nach der vorderen Seite desselben schieben, da hörte ich ein Geräusch. Ein Mann kam um das Zelt herum; ich befand mich gerade vor seinen Füßen und hatte keine Zeit, ihm auszuweichen. Noch ein Schritt, er stolperte über mich weg und stürzte. In demselben Augenblicke kugelte ich mich so weit wie möglich fort, eilte auf Händen und Füßen fort, erhob mich dann, und huschte, so schnell ich konnte, den Weg zurück, den ich gekommen war.

»Wacht auf, ihr Männer!« rief eine laute Stimme, welche durch das ganze Lager klang. »Es war ein Mensch am Zelte des Scheiks!«

Es wurde augenblicklich in den Zelten und außerhalb der selben lebendig. Jetzt war es Hauptsache für mich, schnell in das unserige zu kommen. Ich befand mich schon in der Nähe desselben, auf der hintern Seite der Zeltreihe, legte mich wieder nieder und kroch hin. Zum Glück für mich fiel es den Wächtern nicht ein, hierher zu sehen, oder gar zu kommen. Sie waren aufgestanden und einige Schritte nach der Richtung gegangen, in welcher das Zelt des Scheiks lag. Ich schob mich unter der Leinwand hindurch und steckte den Pflock wieder in die Erde. Dann band ich mir den Strick um die Füße, und Halef mußte mir die Hände auf den Rücken fesseln. Kaum war dies geschehen und ich lag an meinem frühern Platze, so kamen mehrere Beduinen mit der Lampe und leuchteten uns einen nach dem andern an.

»Die liegen sicher; von ihnen kann keiner fort,« lautete das Resultat dieser Inspektion. »Es ist kein Mensch, sondern einer unserer Herdenhunde gewesen.«

Sie gingen fort, und es wurde nach und nach wieder ruhiger im Lager. Ich erzählte den Gefährten mit leiser Stimme, was geschehen war.

»Mein Tilsim der Sonne hat sich nicht bewährt,« meinte der Parsi. »Mein zweites Tilsim ist ein Tilsim el Hilal, ein Talisman des Halbmondes, für Moslimin gemacht. Ich stehe also auch unter dem Nur el Hilal, im Lichte und Schutze des Halbmondes. Wagst du dich wieder fort, o Sihdi?«

»Ja. Wir müssen unser Leben an die Freiheit wagen und zwar noch in dieser Nacht; morgen ist's wahrscheinlich schon zu spät.«

»So werde ich, wenn du gehst, die Hand auf diesen zweiten Talisman legen, den ich auf der linken Seite der Brust trage.«

Ich wartete, bis unsere Wächter abgelöst worden waren, machte mich wieder frei und legte ganz denselben Weg in derselben Weise wie vorhin zurück. Ich wußte nun wirklich, daß es das Zelt des Scheiks gewesen war. Diesmal hatte ich mehr Glück. Es bestand bloß aus dem Selamlik (Empfangszelt); die Abteilung für die Familie bildete ein eigenes, danebenstehendes Zelt. Leider saß ein Wächter davor, jedenfalls weil sich unsere Sachen in demselben befanden. Dieser Mann war vorhin über mich weggestürzt.

Ich zog auch hier einen Pflock aus der Erde; dann kroch ich hinein und tastete im Finstern um mich, so vorsichtig und leise, daß der Wächter nichts hörte. Da lagen unsere Sättel und dabei alle unsere Waffen. Ich fühlte meinen Stutzen, nahm ihn und kroch wieder hinaus.

Jetzt war wenigstens ich auf alle Fälle gerettet. Das Gewehr in meiner Hand gab mir das Gefühl vollständiger Sicherheit. Ich kehrte in unser Zelt zurück und band die andern los. Sie mußten mir folgen. Da sie außer Halef das Anschleichen nicht geübt hatten, krochen wir nur langsam vorwärts. Am Zelte angekommen, schob ich mich zunächst allein hinein; die andern mußten warten. Ich kroch leise, leise quer durch den kleinen Raum bis vor zum Eingange und schob das Tuch, welches die Thür bildete, ein wenig zur Seite. Da saß der Wächter, welcher stumm gemacht werden mußte, mir grad handgerecht so nahe, wie ich es nur wünschen konnte. Ich nahm ihn von hinten mit der Linken bei der Kehle, drückte dieselbe fest zusammen und schlug ihm die rechte Faust zwei-, dreimal so gegen die Schläfe, daß er sich streckte. Er war besinnungslos.

Nun konnten die andern herein. Wir banden den Wächter und zwangen ihm einen Zipfel seines Kopftuches als Knebel in den Mund. Dann nahmen wir unsere Sachen, wobei wir uns durch den Tastsinn leiten lassen mußten. Jetzt wurde sehr einfach die hintere Zeltwand von oben bis unten zerschnitten, damit wir mit den Sätteln leicht hinaus konnten. Der Parsi und sein Begleiter hatten freilich viel zu tragen, drei Sättel und einige Pakete Waren, welche sie auf dem Saumpferde mit sich geführt hatten, um, da Alam das Lösegeld nicht ganz besaß, die Anezeh vielleicht mit diesen Handelsgegenständen zu befriedigen. Das erschwerte unser Fortkommen, doch halfen ich und Halef mittragen, und so kamen wir glücklich und unbemerkt zum Lager hinaus.

Nun aber Pferde. Es war gar nicht notwendig, daß wir grad die unserigen bekamen. Heut gegen Abend, als wir uns dem Zeltlager näherten, hatten wir gesehen, auf welcher Seite desselben die Pferde weideten. Dorthin trugen wir unsere Sachen, legten sie ins Gras, und dann ging ich zunächst rekognoszieren.

Die Hunde hatte ich nicht zu fürchten, da dieselben bei den Schafen und Ziegen zu sein pflegen. Ich kam an den Kamelen vorüber; dann sah ich Pferde im Grase liegen. Auf dem Bauche kriechend, bewegte ich mich weiter. Da lag ein Hirte, den Ellbogen auf die Erde gestemmt und den Kopf in die Hand gelegt. Ich machte einen Bogen, um von hinten an ihn zu kommen, und nahm ihn dann beim Halse. Der junge Mensch war schon vor Schreck halbtot. Ich setzte ihm das Messer auf die Brust, ließ ihm Luft, leise reden zu können, und sagte:

»Sprich um Allahs willen nicht laut, sonst ersteche ich dich! Sagst du eine Lüge, so bekommst du auch das Messer! Wie viel Hirten sind hier bei den Pferden?«

»Nur ich,« stieß er zitternd hervor.

»Steh auf, und komm mit mir! Wenn du still bist, wird dir nichts geschehen.«

Er gehorchte. Ich hielt ihn fest und brachte ihn zu den Gefährten, wo er mit seinem eigenen Gürtel gebunden wurde. Der Parsi und dessen Diener mußten ihn bewachen; ich aber ging mit Halef, fünf Pferde zu holen. Das war in kurzer Zeit geschehen. Wir sattelten und zäumten sie auf, knebelten den Hirten, so daß er nicht gleich nach unserer Entfernung rufen konnte, stiegen auf und ritten so schnell davon, wie die Dunkelheit es gestattete.

Zunächst sagte keiner ein Wort; aber als wir uns weit genug entfernt hatten, rief Halef im Tone der Erleichterung aus:

»Lob und Preis sei Allah, der uns errettet hat! Sihdi, wir waren dem Tode verfallen, denn die Krieger der Abu Hammed hätten uns nach ihrer Rückkehr ganz gewiß ermordet.«

»Nein, es war keine Gefahr vorhanden,« behauptete sonderbarerweise der Parsi.

»Nicht?« fragte der kleine Hadschi ganz erstaunt.

»Nein, denn ich habe meine beiden Talismane bei mir. Zwar hat sich der Talisman esch Schems, der Sonne, diesmal nicht bewährt, dafür aber hat der andere, der Talisman el HiIal, des Halbmondes, um so besser seine Pflicht gethan. Ich stehe im Nur esch Schems und im Nur el Hilal, im Lichte und Schutze der Sonne und im Lichte und Schirme des Halbmondes; mir kann also nichts geschehen und euch auch nicht, weil ihr euch bei mir befindet.«

»Wenn aber hier mein Sihdi nicht gewesen wäre, so hätte es für uns keine Rettung gegeben,« wendete Halef eifrig ein. »Und meinst du, daß er sich von deiner Sonne oder von deinem Halbmonde kommandieren läßt? Er ist ein Christ und lebt in einem andern Lichte, als das deinige ist. Es ist auch das meinige geworden; Allah und dem Propheten sei Dank dafür!«

Er dankte also dem ›Propheten‹ dafür, daß er innerlich ein Christ geworden war! Das durfte man aber dem kleinen, wackern Kerlchen nicht übelnehmen.


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