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Die Wüste! –
Von der Nordwestküste Afrikas zieht sich mit wenigen kurzen Unterbrechungen bis hinüber nach Asien hinauf zu dem mächtigen Kamme des Chinggangebirges eine Reihe von öden, unwirtlichen Länderstrecken, die einander an Grausen überbieten. Die großen Wüsten des afrikanischen Kontinentes springen über die Landenge von Suez hinüber in die öden Flächen des steinigen Arabiens, denen sich die nackten, dürren Strecken Persiens und Afghanistans anschließen, um hinauf in die Bucharei und Mongolei zu steigen und dort die grauenvolle Gobi zu bilden.
Wohl über 120 000 Quadratmeilen groß, erstreckt sich die Sahara vom Cap Blanco bis zu den Bergwänden des Nilthales und vom Rif bis in die heißdunstigen Wälder des Sudan. Ihre Einteilung ist eine sehr mannigfaltige. Die an die Nilländer stoßende libysche Wüste geht nach Westen in denjenigen Teil der eigentlichen Sahara über, von welcher der Dichter sagt:
».... bis da, wo sich im Sonnenbrande
Die öde Hammada erstreckt,
Und man im glühend heißen Sande
Nicht einen grünen Halm entdeckt ....«
und von hier aus zieht sich dann die Sahel bis an die Küste des Atlantischen Oceans. Der Araber unterscheidet die bewohnte (Fiafi), unbewohnte (Khela), gesträuchige (Haitia), bewaldete (Ghoba), steinige (Serir), mit Felsblöcken übersäte (Warr), gebirgige (Dschebel oder Nedsched), flache (Sahel oder Tehama) und von beweglichen Dünen durchzogene Wüste (Ghud).
Die Ansicht, daß die Sahara eine Tiefebene bilde, welche niedriger liege, als der Wasserspiegel des Meeres, ist eine durchaus irrige; vielmehr ist die Wüste ein ausgedehntes Tafelland von tausend bis zweitausend Fuß Höhe und gar nicht so arm an Abwechslung der Bodengestaltung, wie man bisher immer meinte.
Das Letztere ist besonders der Fall im östlichen Teile, in der eigentlichen Sahara, welche sich dem Wanderer freundlicher zeigt, als die westliche Sahel, die der eigentliche Schauplatz der Wüstenschrecken und des gefürchteten Flugsandes ist, der, vom Winde zu fortrückenden Wellen angehäuft, langsam durch die Wüste wandert; daher der Name Sahel, d. i. Wandermeer. Diese Beweglichkeit des Sandbodens muß natürlich dem Wachstume der Pflanzen außerordentlich hinderlich sein, und dazu kommt der außerordentliche Mangel an Quellen und Brunnen, ohne welche das Entstehen von Oasen eine absolute Unmöglichkeit ist. Der dürre Sandboden vermag kaum einige wertlose Salzpflanzen, höchstens noch etwas dürren Thymian, ein paar Disteln und einige stachelige, krüppelhafte Mimosen zu nähren. Durch das glühende Sandmeer streift nicht der wilde Leu, obgleich der Dichter behauptet:
»Wüstenkönig ist der Löwe;« nur Vipern, Skorpione und ungeheure Flöhe finden in dem heißen Boden ein behagliches Dasein, und selbst die Fliege, welche den Karawanen eine Strecke in die Wüste hinein folgt, stirbt bald auf dem Wege. Und dennoch wagt sich der Mensch in den Sonnenbrand und trotzt den Gefahren, welche ihn von allen Seiten umdrohen. Freilich ist deren Schilderung oft eine übertriebene, aber es bleibt trotzdem genug Übrig, um die Sehnsucht nach einem ›Wüstenritte‹ zu verleiden, dessen Opfer man in der Sahel häufiger findet, als in der wasserreicheren eigentlichen Sahara. Da liegen dann die ausgedorrten Leichen der Menschen und Tiere in Grauen erregenden Stellungen neben- und übereinander; der eine hält den leeren Wasserschlauch noch in den entfleischten Händen; ein anderer hatte wie wahnsinnig die Erde unter sich aufgewühlt, um sich Kühlung zu verschaffen; ein dritter sitzt als vertrocknete Mumie auf dem gebleichten Skelett seines Kameles, den Turban noch auf dem nackten Schädel, und ein vierter kniet am Boden; das Gesicht ist gegen Morgen nach Mekka gerichtet, und die Arme sind über die Brust gekreuzt. Sein letzter Gedanke hat, wie es dem frommen Moslem geziemt, Allah und seinen Propheten gesucht.
Und dennoch hat die Wüste ihren Zweck zu erfüllen in dem großen Haushalte der Natur. Sie bildet den Glutofen, welcher die erhitzten Lüfte emporsteigen läßt, daß sie nach Norden streichen und, sich dort zur Erde niedersenkend, den Gegenden der Mitternacht die notwendige Wärme und Belebung bringen. Die Weisheit des Schöpfers duldet keinen Ueberschuß und hat von Anbeginn dafür gesorgt, daß alle Gegensätze und Extreme zur wohlthätigen Ausgleichung gelangen. – –
Das berüchtigte Bab-el-Ghud liegt ungefähr auf dem einundzwanzigsten Breitengrade an der Grenze zwischen der Sahara und Sahel, wo auch das Gebiet der Tuareg oder Imoscharh mit demjenigen der Tebu oder Teda zusammenstößt.
Diese Grenzverhältnisse geben sowohl der Landschaft als auch ihrer menschlichen Staffage etwas fortwährend Kampfbereites. Die wandernden Sandberge der Sahel werden von dem herrschenden Westwinde immer weiter nach Osten getrieben und stoßen beim Bab-el-Ghud auf die Felsen der Serir, an denen sie sich aufbäumen und, die Thäler, Schluchten und sonstigen Zwischenräume mit unerbittlicher Sicherheit ausfüllend, tiefe Sandlager bilden, denen die Feuchtigkeit mangelt, um zu einer festen kompakten Masse zusammengepreßt zu werden. Wehe dem Wanderer, der in eine solche verräterische Sandsee gerät! Noch vor einigen Augenblicken hat sein Dromedar den sichern felsigen Boden unter den Hufen gefühlt, plötzlich aber reicht ihm der feine, leichte Sand bis an den Leib; es macht eine kräftige Anstrengung, zurückzukehren, und gerät durch dieselbe nur noch tiefer in die brennende Körnerflut. Der Reiter darf nicht vom Tiere steigen, weil er sonst versinkt; er kämpft mit den Krallen des Sandes, die ihn immer enger, immer fester umschließen; das Dromedar arbeitet sich immer tiefer hinab; es verschwindet endlich ganz; das Bahr-el-Ghud, das Dünenmeer, reicht immer höher an dem Reiter hinauf; es faßt ihn bei den Beinen, bei den Hüften, an den Schultern; schon kann er sich nicht mehr regen; er wendet das Haupt nach der heiligen Kaaba –»Allah kehrim, wie Gott will, Allah ist gnädig!« flüstern seine bleichen vertrockneten Lippen, die nun der Sand verschließt. Die Düne schnürt ihm die Brust zusammen, die Lider schließen sich; der Engel des Todes rauscht vorüber, und hoch oben in der Luft schwebt der Bartgeier. Er hat den letzten Kampf des Wanderers beobachtet, aber in einer langsamen, weit sich aufwickelnden Spirallinie läßt er sich von seinen gewaltigen Schwingen in die Ferne tragen; er weiß, daß die Düne ihre Opfer vollständig verschlingt und ihm nicht den mindesten Anteil an ihrem Raube gönnt.
Das ist das Bab-el-Ghud. Wer sich zwischen seine Felsen und Sandwogen wagt, muß von schwer wiegenden Gründen dazu gedrängt werden.
Und doch giebt es wilde Gestalten, welche vor einem solchen Wagnisse nicht zurückbeben. Sie schöpfen den Mut dazu aus dem fürchterlichen ›Ed dem Ued dem – en nefs Wen nefs, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut‹. Neben der Gastfreundschaft ist die Blutrache das erste Wüstengesetz, und wenn es auch zwischen den Angehörigen verwandter Stämme vorkommt, daß ein Mord mit der Entrichtung des Diyeh (Blutpreis) gesühnt wird, so ist dies doch wohl niemals der Fall bei einem Verbrechen, welches durch das Glied einer fremden oder feindlichen Völkerschaft begangen wurde. Da erfordert die Schuld blutige Rache; sie wandert herüber und hinüber, wird größer und immer größer, bis sie endlich ganze Stämme erfaßt und zu jenem öffentlichen und heimlichen Hinschlachten führt, zu welchem das Bab-el-Ghud zwischen den Tuareg und Tebu den Schauplatz bildet. Hier ist das Blutgesetz mächtiger als die Natur, welche alle ihre Schrecken aufbietet, die Feinde zu trennen, und doch grad durch diese Schrecken den Feindseligkeiten ein Grausen verleiht, wie es die zerfleischenden Kämpfe der wilden Indianerhorden Amerikas nicht größer bieten können. –
Seit unserm letzten Abenteuer waren mehrere Wochen vergangen, und ich hatte Hassan wirklich als einen ausgezeichneten Führer kennen gelernt, ein Umstand, welcher mich mit seinem Mangel an Mut zur Genüge aussöhnte. Er kannte nicht nur die Wege genau, sondern verstand es, alle seine Vorkehrungsmaßregeln so zu treffen, daß wir bisher nicht den geringsten Schaden oder Mangel zu leiden hatten. Seine Anhänglichkeit an mich hatte sich nach und nach zu einer ganz erfreulichen Stärke entwickelt, und ich hätte ihm gern mein vollständiges Vertrauen geschenkt, wenn mir nicht eine außerordentliche, beängstigende Aufregung aufgefallen wäre, an welcher er seit einiger Zeit, und zwar nur des Morgens, zu leiden schien. Er saß dann auf seiner Matte, von welcher er nicht aufzubringen war, weinte und schluchzte, lachte und jubelte in einem Atem, nannte sich bald einen Helden und bald eine Memme, bald einen guten Moslem und bald einen Ungehorsamen, der in die Tschehenna fahren müsse. Es war eine Art Wahnsinn, der ihn er faßt haben mußte und dessen Ursache ich gar zu gern auf die Spur gekommen wäre; doch stand es fest, daß ich mich der Führung eines geistig gestörten Mannes nicht ohne ganz besondere Vorsicht anvertrauen konnte, was mir seiner sonstigen Zuverlässigkeit wegen herzlich leid that.
Wir waren noch immer bloß drei Personen und zählten eine hinreichende Anzahl Packkamele, um die Lasten verteilen zu können; darum reisten wir mit doppelter Schnelligkeit als eine gewöhnliche Karawane und konnten sicher sein, das Bab-el-Ghud nach drei guten Tagemärschen zu erreichen. Da mein Hedjihn ein besserer Läufer als die andern Tiere war, so pflegte ich des Morgens später als Josef und Hassan aufzubrechen und, wenn ich sie eingeholt hatte, ihnen eine Strecke vorauszueilen, um dann bis zu ihrem Nahen entweder meinen Tschibuk in Gemütlichkeit rauchen zu können oder für die Bereicherung meiner Naturaliensammlung Sorge zu tragen.
So ritt ich auch jetzt ganz allein zwischen den Dünen dahin und hielt zuweilen mein Tier an, um dem eigentümlichen Klingen des Sandes zu lauschen, welches, beinahe unhörbar, für ein scharfes Ohr dennoch zu vernehmen war. Die einzelnen Körnchen berührten sich, drängten einander vorwärts, an der westlichen Seite der Dünen empor, an der entgegengesetzten wieder hinab, und verursachten jenes seltsame, beinahe singende Geräusch, welches in seinem zarten, metallischen Klange dem heimlichen Flüstern von Millionen Liliputkehlen gleicht. Die Myriaden und aber Myriaden Körnchen bewegten sich, ohne daß ich einen nennenswerten Lufthauch bemerkt hätte; sie waren einmal in Gang gebracht und behielten ihre Stetigkeit infolge einer so geringen Bewegung der Atmosphäre, daß die menschliche Haut für dieselbe keine Empfänglichkeit besaß.
D a bemerkte ich zwischen zwei Erhöhungen einen kleinen Sandberg, welcher nicht auf natürliche Weise entstanden sein konnte. Ich ließ mein Hedjihn niederknieen und stieg ab, um ihn zu untersuchen. Ich hatte recht vermutet. Hier lag die Leiche eines Arabers samt derjenigen seines Tieres, welche der wandernde Sand bereits überflutet hatte. Das Tier war ein echtes Bischarin gewesen und – wahrhaftig, es hatte, wie ich jetzt sah, eine Kugel vor die Stirne bekommen. Sollte hier ein Akt der Blutrache vorliegen? Ich entfernte den Sand weiter, um den Reiter genauer in Augenschein zu nehmen. Ich fand ihn in vollständiger Bekleidung und Bewaffnung; der Kapuze seines Burnus war ein A. L. eingestickt, und dieselben zwei Buchstaben fand ich auch dem Kolben seiner Flinte und dem Griffe seines Messers eingebrannt. Grad einen Zoll über der Nasenwurzel sah ich ein scharfes rundes Loch, welches von einer Kugel herrührte, die dem Manne vorn in den Kopf und hinten wieder hinaus gedrungen war.
»Emery Bothwell!« rief ich überrascht, obgleich kein Mensch in der Nähe war, der mich hören konnte.
Ich kannte diesen Kapitalschuß; ich hatte dasselbe Loch in mancher Indianerstirne gesehen, welche der sichern Büchse meines englischen Freundes zu nahe gekommen war, und wußte daher ganz genau, daß er auch hier der Schütze gewesen sei. Er befand sich also bereits in Bab-el-Ghud, und es mußten wenigstens drei Wochen seit diesem Schusse vergangen sein, wie ich aus der Höhe des Sandes und an genugsam andern Zeichen sah. Ich sagte mir augenblicklich, daß dies nicht der einzige Tote sei, dessen Gebeine, getroffen von der Kugel des ›verytablen Englishman‹, in der Wüste bleichten; das verhängnisvolle Zeichen mußte jedem den Tod bringen, an dessen Kleidern oder Waffen er es bemerkte.
Ich vermutete auch hier ganz richtig, denn in einiger Entfernung fand ich eine zweite und dann noch eine dritte Leiche, einen Zoll hoch über der Nasenwurzel in die Stirn getroffen. Der Hedjahn-Bei hatte einen fürchterlichen, unerbittlichen Feind gefunden, der sicherlich nicht eher ruhte, als bis R6nald Latréaumont gefunden oder gerächt worden war.
Eine Strecke weiter fand ich eine ganz frische Darb (Spur), welche unsere Richtung schief durchschnitt. Sie stammte von einem einzelnen Tiere und war so klein, daß ich vermutete, das Kamel sei ein Bischarinhedjihn oder wenigstens eines jener Mehara, wie man sie bei den Tuareg in ausgezeichneter Rasse findet. Ein solches Mehari übertrifft an Schnelligkeit, Ausdauer und Enthaltsamkeit sogar oft noch das Hedjihn der Bischara, und besonders sind es dann die Stuten, für welche man einen ganz außerordentlich hohen Preis bezahlt.
Dieses Tier hier war eine Stute, denn die hinteren Füße hatten eine größere Spurweite als die vorderen. Die Eindrücke waren nicht tief, aber auch nicht zu seicht; das Kamel war also nur mittelmäßig belastet; es trug nichts als seinen Reiter. Dieser war also entweder ein Verfolgter oder ein Räuber oder einer jener Kuriere, wie sie die Wüste auf ihren schnellen Tieren nach allen gangbaren Richtungen durcheilen. Das letztere freilich schien mir unwahrscheinlich, denn der Mann hielt mitten in die Serir hinein, in welcher ein Kurier nichts zu suchen hat. Aber was wollte ein Räuber dort, wo es eine Beute unmöglich geben konnte? So war es also doch wohl ein Flüchtling, der die Verborgenheit suchte, vielleicht auch ein Bluträcher, der einen einsamen Bir (Brunnen) entdeckt hatte und von demselben aus seine unheilvollen Ausflüge unternahm.
Die Spuren waren noch vollständig rein; kein einziges Körnchen Sand lag in ihnen, und keiner der Eindrücke zeigte, wie es beim Laufe nicht zu vermeiden ist, nach rückwärts einen Schweif. Der Mann war also langsam geritten und vor kaum fünf Minuten hier vorübergekommen. Dieser einsame Reiter hier mitten in der Wüste war jedenfalls eine ganz ungewöhnliche Erscheinung und nahm mein vollstes Interesse für sich in Anspruch. Ich machte auf meiner Fährte ein Zeichen, daß die Meinen unbesorgt ihre Richtung weiter beibehalten sollten, und wandte mich seitwärts hinter der aufgefundenen Spur her.
»Hhein, hhein!« Auf diesen Zuruf warf mein Hedjihn den Kopf in den Nacken und stürmte wie eine Windsbraut zwischen den Dünenbergen dahin. Wäre das Terrain eben gewesen, so hätte ich meinen Verfolgten sicher schon nach zehn Minuten erblickt; da aber die Sanderhöhungen jede Aussicht hemmten, so wurde er mir erst sichtbar, als ich mich schon in seiner Nähe befand.
»Rrree, halt!« rief ich ihm zu.
Er hatte den Ruf vernommen und zügelte sofort sein Dromedar, welches allerdings ein sehr schönes Mehari war. Es herumlenkend, erblickte er mich und riß sofort die lange Flinte vom Sattelriemen.
»Sallam aaleikum, Friede sei zwischen dir und mir!« grüßte ich ihn, ohne nach einer meiner Waffen zu langen. »Hänge dein Gewehr an den Serdj, denn ich erlaube dir, Freund zu mir zu sagen!«
Er blickte mich mit großen, verwunderungsvollen Augen an.
»Du erlaubst es mir? Weißt du auch, ob ich dir die Erlaubnis zu dieser Erlaubnis gebe?«
»Du brauchst sie mir nicht zu geben, Mann, denn ich habe sie mir bereits genommen.«
»Wie ist dein Name, und wie heißt der Stamm, zu welchem du gehörst?«
Mein Aeußeres und meine ganze Ausrüstung berechtigten ihn allerdings, mich für einen Araber zu halten. Er selbst war ein Tebu, wie ich auf den ersten Blick bemerkte. Die dunkle, beinahe schwarze Hautfarbe, das kurze, krause Haar, die starken, vollen Lippen, die etwas hervortretenden Backenknochen unterschieden ihn deutlich von dem Beduinen und Tuareg. Sollte ihn eine Blutrache herein in das Bahr-el-Ghud getrieben haben? Ich konnte mir nicht denken, daß es hier zwischen den wandernden Dünen eine Quelle geben könne, und dennoch trug er keinen großen Wasserschlauch, sondern an dem hintern Sattelknopfe hing nur eine kleine Zemzemi8h (Wassergefäß) von Gazellenleder. Er trug nebst der langen Flinte eine vollständige Kriegerausrüstung, und sein Leib stak unter dem weiten, weißen Burnus in einem eng anschließenden Wams von Ochsenleder, welches als Harnisch gegen Schnittwaffen und Wurfgeschosse dient und gewöhnlich nur von den Tuareg getragen wird.
»Ich komme aus dem fernen Lande Germanistan herüber, wo es keine Stämme und keine Ferkah giebt. Du bist ein Tebu?«
Er überhörte die letztere Frage und rief ganz verwundert:
»Aus Germanistan? Kennst du den Sihdi Emir?«
»Ich kenne ihn,« antwortete ich nun überrascht. »Hast du ihn gesehen?«
»Ich habe ihn gesehen. Bist du der Scheikh aus Germanistan, auf den er wartet?«
»Ich bin es.«
»Habakek, so sei mir willkommen, Sihdi! Ich bin von ihm ausgesandt, dich zu erwarten.«
»Wo ist er?«
»Im weiten Bab-el-Ghud. Am Bab-el-Ghud wirst du sein Zeichen finden, welches dir sagt, wo seine Füße weilen.«
»So danke Allah, daß ich deine Darb sah und ihnen folgte; du hättest mich sonst vorüberziehen lassen, ohne mich zu sehen.«
»Ich hätte dich gefunden, Sihdi. Ich wollte in der Serir mein Mehari tränken und mir Wasser holen; dann wäre ich zurückgekehrt zum Wege, den du kommen mußtest. Ich hätte deine Darb gesehen und wäre dir gefolgt, bis ich sah, wer du bist.«
»So kennst du eine Quelle in dieser Wüste?«
»Ich kenne viele Quellen, die nur mein Auge gesehen hat, Sihdi.«
»Und du bist ein Tebu?«
»Du hast es erraten; ich bin ein Tebu vom Stamme der Beni Amalech.«
»Und wie ist dein Name?«
»Ich habe keinen Namen, Sihdi. Mein Name liegt vergraben unter dem Dache meines Zeltes, bis ich den Schwur erfüllt habe, den ich beim Barte des Propheten und beim ewigen Gericht that. Nenne mich Abu billa Beni (Vater ohne Söhne)
Dieser Wunsch sagte mir alles, dennoch aber fragte ich weiter:
»Man hat dir deine Söhne getötet?«
»Drei Söhne, Sihdi, drei Söhne, die meine Freude, mein Stolz und meine Hoffnung waren. Sie standen hoch und schlank wie die Palmen, waren klug wie Abu Bekr, tapfer wie Ali, stark wie Khalid und gehorsam wie Sadik, der Aufrichtige. Sie trieben meine Herde zum Bir (Brunnen), und ich fand ihre Leichen, nicht aber die Tiere.«
»Wer hat sie getötet?«
»Hedjahn-Bei, der Karawanenwürger. Er holte sich meine Mehara, um seine Räuber zu tragen, und meine Rinder und Schafe zur Speise für die Mörder. Ich habe mein Duar, meinen Stamm, mein Weib und meine Töchter verlassen und bin ihm nachgefolgt von einer Uah (Oase) zur andern. Meine Lanze hat drei, mein Pfeil vier und mein Messer sechs seiner Männer gefressen, ihn selbst aber beschützt der Scheitan, daß ihn mein Auge nicht erblicken und mein Arm nicht erreichen konnte. Aber er wird dennoch in die Dschehenna gehen, denn wenn meine Hand zu kurz ist, so wirst du ihn treffen, du und Sihdi Emir, den sie Behluwan-Bei, den Räuberwürger, nennen.«
»Wo trafst du ihn?«
»Beim Brunnen Khoohl, wo seine Kugel drei Hedjahn tötete, die das Todeszeichen trugen.«
»Wen hatte er bei sich?«
»Zwei Männer, die sein Diener und sein Führer sind. Hast du nicht auf deinem Wege Leichen gefunden, welche durch die Stirn geschossen waren – Reiter und Tier?«
»Ja.«
»Das ist Sihdi Emir, der Behluwan-Bei, gewesen. Seine Kugel ist wie Allahs Zorn; sie fehlt nie ihr Ziel. Der Hedjahn-Bei und seine Gum kennen die Büchse des Rächers; sie fluchen ihm, aber der friedliche Hirt denkt ihrer mit segnendem Worte. Er reitet auf den Ethar (Fährten) der Räuber; sie wollen ihn fangen und töten, aber sein Gott ist mächtig wie Allah; er macht ihn unsichtbar und behütet ihn vor aller Fährlichkeit. In jeder Uah ertönt sein Lob, und an jedem Bir erklingt sein Ruhm; die Wüste ist stolz auf seinen Namen, und die Lüfte verbreiten den Preis seiner Thaten. Er ist der Richter des Sünders und der Schutz des Gerechten; er kommt und geht, keiner weiß, woher und wohin. Ich aber werde dich zu ihm bringen, damit dein Name so groß werde, wie der seinige.«
Das war ja eine wirkliche Hymne, gesungen auf meinen braven Emery Bothwell! Dieser Tebu hatte jedenfalls ein mutigeres Herz, als der große Hassan, und ich konnte mich seiner Führung ohne Sorge anvertrauen.
»Wie weit ist es noch bis zum Bab-el-Ghud?« fragte ich.
»Einen Tag und noch einen Tag; wenn dann dein Schatten nach Osten geht, dreimal so lang wie dein Fuß, wird dein Bischarin unter dem Bab-el-Hadjar (Thor der Steine) niederknieen, damit du im Schatten Ruhe findest.«
Der Bewohner der Wüste kennt weder Kompaß noch Uhr oder Bussole. Die Sterne zeigen ihm den Weg, und nach der Länge des Schattens bestimmt er seine Zeit. Und darin besitzt er eine solche Fertigkeit, daß er sich nur selten irrt.
»So komm, damit wir meine Leute treffen!«
»Mein Wasser geht zur Neige, Sihdi!«
»Du findest bei mir, soviel du dessen bedarfst.«
Er folgte mir. In kurzer Zeit stießen wir auf Josef und Hassan, welche mein Zeichen verstanden und ihre Richtung beibehalten hatten. Sie verwunderten sich nicht wenig über die Gesellschaft, welche ich hier mitten in der Wüste aufgegriffen hatte.
»Maschallah, tausend Schwerebrett,« meinte der Staffelsteiner, »is dos hübsch, daß Gesellschaft kommt! Wer is denn halt der Schwarze, Herr?«
»Das ist Abu billa Beni, der uns nach dem Bab-el-Ghud führen wird.«
Da zogen sich die Brauen Hassans finster zusammen.
»Wer ist dieser Tebu, daß er den Weg besser kennen will, als Hassan el Kebihr, den alle Kinder der Wüste Djezzar-Bei, den Menschenwürger, nennen? Welche Mutter hat ihn geboren, und wie viele Väter sind ihm vorangegangen? Er kann gehen, wohin er will, Sihdi; ich werde dich nach dem Babel-Ghud bringen auch ohne ihn! Sieh sein Gesicht und sein Haar, seine Wange und seinen Mund; ist er ein echter Nachkomme Ismails, welcher der wahre Sohn des Erzvaters Abram war?«
Der Tebu sah ihm ruhig lächelnd in die Augen.
»Du nennst dich Hassan el Kebihr und Djezzar-Bei, den Menschenwürger? Das Ohr meines Djemmels hat noch niemals diese Namen vernommen. Wie heißt dein Stamm und deine Ferkah?«
»Ich bin ein Kubaschi vom Ferkah en Nurab. Wir haben den Panther mit seiner Frau und Assad-Bei, den Löwen, getötet. Wen aber hast du getötet? Du bist der Vater ohne Söhne und der Tebu ohne Mut und Heldenthat. Ich werde den Sihdi führen; du aber kannst dich am Schwanze meines Djemmels halten!«
Der Tebu blieb auch bei dieser Beleidigung gleichmütig.
»Wie ist dein Name?« fragte er.
»Größer als die Zahl deiner Verwandten und länger als dein Gedächtnis. Ich heiße Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli.«
»Nun gut, Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-lbn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli, steige von deinem Djemmel, denn ich habe ein kleines mit dir zu reden!«
Er stieg ab, zog sein Messer und setzte sich in den Sand.
Ein arabisches Duell! Das hatte ich erwartet und aus diesem Grunde den kleinen Zank ruhig gestattet; ich wußte, daß den großen Hassan eine Demütigung erwartete. Dieser merkte jetzt, was ihm drohte, und meinte:
»Wer hat dir erlaubt, vom Kamele zu steigen? Weißt du nicht, daß hier keiner zu befehlen hat als nur der Sihdi, der Eile hat, nach dem Bab-el-Ghud zu kommen?«
»Ich erlaube es euch, abzusteigen, Hassan,« antwortete ich ihm. »Du bist ein tapferer Kubaschi en Nurab und hast ein scharfes Kussa (Messer); wahre deine Ehre!«
»Aber wir haben keine Zeit, Sihdi; die Schatten werden immer länger!«
»Darum steige ab, und beeile dich!«
Jetzt konnte er nicht anders; er stieg ab, setzte sich dem Tebu gegenüber und zog sein Messer ebenfalls.
Ohne ein Wort weiter zu verlieren, entfernte der Tebu sein Beinkleid von der Wade, setzte die Spitze des Messers an dieselbe und bohrte sich die Klinge bis an das Heft in das Fleisch. Dann blickte er Hassan still und erwartungsvoll in das Angesicht.
Der Kubaschi mußte, um seine Ehre zu retten, denselben Stich auch bei sich anbringen. Auf diese Weise zerfleischen sich zwei Kämpfer oft viele Muskeln ihres Körpers, ohne bei diesen höchst schmerzhaften Verwundungen mit der Wimper zu zucken; wer am längsten aushält, hat gesiegt. Die Söhne der Wildnis halten es für eine Schande, sich vom Schmerze beherrschen zu lassen.
Hassan entblößte höchst langsam seine Wade und setzte sich die Messerspitze auf die Haut. Diese bog sich unter einem leisen, ganz leisen Versuch, die Klinge einzustoßen, aber Djezzar-Bei, der Menschenwürger, merkte, daß dies wehe thue; er schnitt ein recht schauderhaftes Gesicht und stand schon im Begriffe, die Waffe wieder abzusetzen, als ein Intermezzo eintrat, auf welches er am allerwenigsten vorbereitet war. Josef Korndörfer war nämlich ebenfalls abgestiegen, um sich den Zweikampf in Bequemlichkeit betrachten zu können; er stand hart hinter dem Kubaschi, und als dieser jetzt Miene machte, das Duell aufzugeben, bog er sich, einer augenblicklichen Malice folgend, vor und schlug mit der Faust so kräftig auf das Heft des noch über dem Beine schwebenden Messers, daß der scharfe, spitze Stahl zur einen Seite der Wade hinein und zur andern wieder heraus fuhr.
Mit einem fürchterlichen Schrei sprang Hassan empor.
»Be issm lillahi ia Kir, um Gottes willen, Kerl, bist du verrückt? Was hast du mit meinem Beine zu schaffen? Gehört diese Wade mir oder dir, du Laus, du Floh, du Igel, du Vater von einem Igel, du Vetter und Oheim von einem Igelsvater? Habe ich dir etwa mein Bein geborgt, daß du mit meiner Wade zeigen sollst, wie tapfer du bist, du Giaur, du Sohn und Enkel einer Giaurin, du – du – du Jussef Koh-er-darb-BenKoh-er-darb-Ibn-Koh-er-darb-Abu-Koh-er-darb el Kah-elbrunn!«
Es war ein fürchterlicher Wutausbruch, aber ich konnte wirklich nicht anders, ich mußte lachen über den tragikomischen Anblick des Riesen, welcher – das Messer stak noch immer in der Wade – auf einem Bein die wunderlichsten Kraftsprünge ausführte und trotz seines Grimmes nicht den Mut besaß, sich an dem Staffelsteiner zu vergreifen.
»Maschallah, so schäm' dich doch in die Seel' hinein, Djezzar-Bei, du Menschenwürger,« antwortete dieser. Er hatte es jedenfalls nur auf einen kleinen Ritz abgesehen gehabt und war infolge seiner Körperstärke um einige Grade zu kräftig gekommen. »Geh' her; das Messer soll sogleich wieder 'raus!«
Er faßte den Kubaschi und zog unter einem erneuten Gebrüll desselben das Messer aus der Wunde. Als Hassan das rinnende Blut bemerkte, fiel er, so lang und breit er war, in den Sand. Er kam erst wieder zur Besinnung, als er bereits verbunden war. Der Anblick des rinnenden Blutes hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß, vielleicht auch infolge einer stillen Beschämung, der laute Zorn einem schweigsamen Groll gewichen war.
Natürlich bekam der Staffelsteiner einen Verweis, den er allerdings nicht sehr reuevoll hinnahm; dann wurde der so eigentümlich unterbrochene Weg wieder fortgesetzt.
Am Abend machten wir zwischen den Dünen Halt; die Zelte wurden aufgespannt, die Matten ausgebreitet, die Tiere gefüttert, und dann legten wir uns nach einem frugalen Abendbrote, welches aus einer Handvoll Mehl, einigen Monakhirdatteln und einem Becher Wasser bestand, zur Ruhe.
Daß ich eine Wache ausstellte, verstand sich ganz von selbst. Hassan hatte sich, wie gewöhnlich so auch heute, den letzten Teil derselben ausgebeten. Die Hoffnung, mit Emmery nun bald zusammenzutreffen, ließ mich früher als sonst munter werden. Ich erhob mich und trat aus dem Zelte, um mir aus dem Schlauche eine Handvoll Wasser zum Waschen zu nehmen.
Ein wunderlicher Anblick bot sich mir dar. Bei den abgeladenen Effekten saß nämlich, mir den Rücken zukehrend, der lange Kubaschi von Ferkah en Nurab und hielt – – mein Spiritusfäßchen an den Mund. Ich führte das sorgfältig in Bastmatten gehüllte Fäßchen bei mir, um in der konservierenden Flüssigkeit allerlei für meine Sammlungen bestimmtes Getier aufzubewahren. Es befanden sich in demselben außer den mannigfaltigsten Insekten und Würmern allerlei Amphibien, Vipern, Skorpione, Steppenmolche, Birketkröten, und jetzt saß Hassan, der wahre Moslem, da an der Erde und schlürfte die Sauce, in welcher diese Kreaturen schwammen, mit einem Behagen, als sei er über den Nektar des Olymps geraten. Zugleich bemerkte ich, daß dieser Opfertrank nicht der erste sei, dem er sich hingab; denn er mußte das Fäßchen gewaltig heben, um noch einige Tropfen aus dem geöffneten Zapfenloche zu erhalten. Jetzt war ich mir mit einem Male über den Wahnsinn klar, an welchem er in jüngster Zeit zu leiden schien: es war nichts gewesen als –Betrunkenheit.
Ich schlich mich zu ihm hin und schlug ihm dann die Hand auf die Schulter. Er ließ vor Schreck das Fäßchen fallen und fuhr empor.
»Was thust du hier?«
»Ich trinke, Sihdi!« antwortete er, vollständig perplex vor Ueberraschung.
»Und was trinkst du?«
»Ma-el-Zat.«
Die Moslemin, welche sich im stillen dem Genusse des Weines und der Spirituosen hingeben, benennen dieselben mit den verschiedensten Namen, um ihr Gewissen zu beruhigen. Nach ihrer Logik ist der Wein nicht Wein, wenn er anders heißt.
»Ma-el-Zat, Wasser der Vorsehung? Wer hat dir den Namen des Getränkes genannt, welches sich in dem Gefäße befindet?«
»Ich kenne ihn, Sihdi. Als die Menschen einst traurig waren, ließ die Vorsehung eine Nuktha, einen Tropfen der Erheiterung, zur Erde fallen; er bewässerte das Land, und nun wuchsen allerlei Pflanzen hervor, deren Saft einen Teil der Nuktha enthält. Darum heißt solch ein Trank, der den Menschen fröhlich macht, Ma-el-Zat, Wasser der Vorsehung.«
»So sage ich dir, daß dies kein Ma-el-Zat, sondern Spiritus ist, der einen noch viel schlimmeren Geist hat, als der Wein, den du nicht trinken darfst.«
»Ich trinke keinen Wein und keinen Spiritus; ich habe die Nuktha-el-Zat genossen.«
»Aber auch diese ist dir verboten!«
»Du irrst, Sihdi; der Moslem darf sie trinken.«
»Hast du nicht gehört, daß der Prophet sagt: ›Kullu muskirün haram, alles, was trunken macht, ist verboten.‹«
»Sihdi, du bist weiser als ich; du kennst sogar die Ilm et tauahhid, die Lehre von dem einen Gotte und die Gesetze des frommen Schaffey; aber ich darf das Mal-el-Zat trinken, denn es macht mich nicht betrunken!«
»Es hat dich betrunken gemacht schon mehrere Tage, und auch jetzt hält der Geist des Schnapses deine Seele gefangen.«
»Meine Seele ist frei und munter, als hätte ich aus der Zemzemiëh getrunken!«
»So sage mir den Surat el kafirun!«
Diese Sure ist die hundertundneunte des Koran und findet bei den Muselmännern oft eine eigentümliche Anwendung. Dieses Kapitel muß nämlich ein Moslem hersagen, wenn man ihn für betrunken hält. Die einzelnen Verse unterscheiden sich nur dadurch voneinander, daß dieselben Worte in ihnen eine verschiedene Stellung haben, und ein Betrunkener wird es nur selten dahin bringen, sie nicht zu verwechseln. Deutsch heißt diese Sure: »Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nicht verehren das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion und ich die meinige.« In arabischer Sprache ist allerdings die richtige Recitation eine viel kritischere und schwierigere als im Deutschen.
»Du hast kein Recht, Sihdi, mir den Surat el kafirun abzuverlangen, denn du bist nicht ein Moslem, sondern ein Christ.«
»Du würdest ihn sagen, doch du vermagst es nicht. Du glaubst, ein Moslem dürfe einem Christen nicht gehorchen; warum bist du dann mein Diener geworden? Du hältst es für kein Verbrechen, das Ma-el-Zat zu trinken, aber daß du es mir gestohlen hast, kannst du nicht leugnen. Der Koran bestraft den Dieb, und auch du wirst deine Strafe haben!«
»Kannst du einen Rechtgläubigen bestrafen, Sihdi? Geh zum Kadi!«
»Ich brauche deinen Kadi nicht!«
Hassan war nur unser Führer, und da die Aufsicht über das Gepäck Sache des Staffelsteiners war, so wußte der gute Kubaschi nicht, welchen Inhalt das Fäßchen außer dem Spiritus noch hatte. Ich nahm das Messer her. In wenigen Augenblicken waren die oberen Reifen zerschnitten und losgesprengt; ich schlug den Boden auf und hielt dem Menschenwürger nun das übelaussehende und noch übler riechende Gewürm unter die Nase.
»Hier hast du dein Ma-el-Zat, Hassan!«
Er spreizte die Beine aus, warf alle zehn Finger in die Luft und schnitt ein Gesicht, in welchem sich alle in dem Gefäße befindlichen Figuren wiederspiegelten.
»Bismillah, Sihdi, was habe ich da getrunken! Allah inhal el rhuschar, Allah verderbe dieses Faß; denn mir ist's in meiner Gurgel, als hätte ich die ganze Dschehenna hinuntergeschluckt mit zehn Millionen von Geistern und Teufeln!«
»Dies ist der eine Teil deiner Strafe; der andere mag in der Wunde bestehen, welche dir Yussuf gestern gestoßen hat. Ihr seid quitt!«
»Sihdi, die Wunde ist nicht so schlimm als dieses Ma-el-Zat. Paß auf, es wird mich im Augenblicke umbringen!«
Ich hatte keine Lust, mich an dem weiteren Anblick des traurigen Djezzar-Bei zu weiden, und gab Josef, der mittlerweile aufgewacht und herbeigekommen war, den Befehl, die Tiere auf ein Reservefäßchen zu füllen, welches ich glücklicherweise bei mir führte. Dieses war nun jedenfalls vor den Angriffen Hassans sicher, der wohl nicht gleich wieder Appetit nach der Nuktha der Fröhlichkeit verspürte.
Wir brachen auf und setzten unsere Wanderung bis gegen Mittag fort, wo wir zu unserem Erstaunen auf die Spur einer zahlreichen Karawane trafen.
»Allah akbar, Gott ist groß,« meinte Hassan, der sich bisher sehr kleinlaut verhalten hatte; »er dürstet nie und kennt alle Wege der Wüste; was aber will diese Kaffilah im Ghud, wo es kaum eine Quelle giebt, aus welcher zwei Tiere genug zu trinken bekommen?«
»Zählt die Spuren!« gebot ich.
Wir fanden Eindrücke von Menschen-, Pferde- und Kamelsfüßen. Die Djemmels waren meist schwer beladen; wir hatten also eine Handelskarawane vor uns. Eine genaue Uebersicht ergab sechzig Lastkamele, elf Satteltiere, und zwei Fußgänger nebst drei Reitern zu Pferde, welche uns die Gewißheit gaben, daß sich die Karawane verirrt haben müsse, denn hier gab es für mehrere Tagereisen nicht so viel Wasser, um ein einziges Pferd zu erhalten.
»Diese Kaffilah kommt aus Air und geht nach Safileh oder gar nach Tibesti,« bestimmte der Tebu.
»Dann hat sie sich einem sehr unwissenden Führer anvertraut, daß sie sich so außerordentlich weit verirren konnte.«
»Der Khabir ist nicht unwissend, Sihdi,« antwortete er mit einem eigentümlichen Lächeln um die aufgeworfenen Lippen. »Der Hedjahn-Bei nimmt in seiner Gum keinen Mann an, der die Wüste nicht kennt.«
Was konnte er meinen? Der Gedanke, welcher mir kam, war allerdings ungeheuerlich.
»Du denkst, der Khabir führt die Kaffilah in die Irre?«
»So ist es, Sihdi. Ein Khabir kann sich um einige Fußbreit des Schattens irren, doch er kann nicht das Bab-el-Ghud mit dem Safileh verwechseln. Wenn er etwas nicht genau weiß, so hat er seinen Schech el Djemali (Obersten der Kameltreiber), den er fragen kann. Sieh diese Darb, Sihdi; die Djemmels sind nicht gegangen, sondern sie haben sich nur noch geschleppt. Liegt hier nicht ein leerer Schlauch, der hart ist wie Holz? Die Kaffilah hat kein Wasser mehr. Der Khabir führt sie dem Hedjahn-Bei entgegen, und sie wird untergehen, wenn wir ihr nicht Hilfe bringen.«
»Dann vorwärts, ihr Leute, daß wir sie erreichen!«
Ich wollte forteilen, doch der Tebu ergriff das Halfter meines Kameles.
»Rabbena chaliëk, Gott erhalte dich, Sihdi, denn du gehst einer großen Gefahr entgegen, die du dir nicht mit den Augen deines Geistes angeschaut hast. Was wirst du dem Khabir sagen, wenn er dich fragt, was du im Sandmeer thust?«
»Ich werde ihm sagen, daß ich von Sehliet komme, um nach Dongola zu reisen, und mich verirrt habe. Oder ich werde ihm auch nichts sagen, wenn es mir beliebt. Die Gefahr, in welche mich dieser Khabir bringt, ist nicht so groß wie ein Nagel an der Sohle meines Schuhes; wenn ich auf ihn trete, muß er gehorchen. Hhein!«
Josef und Hassan hatten nicht so schnelle Tiere wie der Tebu und ich; ich bedeutete sie daher, uns langsamer zu folgen, während wir im raschen Trott vorausritten.
Die Kaffilah vor uns mußte wirklich sehr notleiden, denn hier und da fanden wir einen Gegenstand, welcher vor Müdigkeit oder aus Verzweiflung weggeworfen worden war. Die Eindrücke zeigten, daß die Bewegungen der Tiere immer müder und langsamer geworden waren, und besonders die Pferde schienen dem Umsinken nahe, denn sie hatten sehr oft gestolpert.
Da endlich sahen wir vor uns zwischen den Dünen einige weiße Kapuzen zum Vorschein kommen, und bald befanden wir uns bei den hinteren Reitern der Karawane, deren Tiere die müdesten waren und den andern nur sehr schwer zu folgen vermochten. Sie sahen bei unserm rüstigen Erscheinen freudig erstaunt auf und erwiderten mit neu erwachender Lebhaftigkeit unsern Gruß.
»Wer ist der Khabir dieser Kaffilah?« fragte ich.
»Gieb uns zu trinken, Sihdi!« war die Antwort.
Ich hatte einen meiner großen Schläuche mit vorangenommen und reichte ihnen den verlangten Trunk. Augenblicklich hatte ich beinahe die ganze Kaffilah um mich versammelt, und alles begehrte Wasser. Nur zwei schlossen sich von dieser Bitte aus, ein Tuareg, welcher ein ausgezeichnetes Bischarinhedjihn ritt, und ein Beduine, welcher zu Fuße an der Spitze des Zuges gegangen war; ich vermutete in ihm den Schech el Djemali. Beide beobachteten mich mit halb erstaunten, halb finsteren Blicken.
Ich gab jedem nur so viel zu trinken, daß mein Schlauch für alle reichte, und wiederholte sodann meine Frage:
»Welcher unter euch ist der Khabir?«
Der Mann auf dem Bischarin kam herbei.
»Ich bin es. Was willst du?«
»Einen Gruß von dir. Hast du nicht vernommen, daß mein Mund die ganze Kaffilah grüßte und meine Hand jeden tränkte, der des Wassers bedurfte? Seit wann sind die Lippen des Gläubigen verschlossen, wenn ihm der Wanderer Heil und Frieden bietet?«
Der Tebu sah mich erstaunt an; er war tapfer, aber in diesem Tone hätte er vielleicht doch nicht mit dem Tuareg gesprochen. Die Augen des Khabir wurden noch größer als diejenigen des Tebu.
»Sal – aaleik« – grüßte er kurz, grad wie der Bote, welchen der Karawanenwürger nach Algier geschickt hatte. »Wie viele Leben hast du, daß deine Zunge solche Worte spricht?« fügte er stolz hinzu.
»Sal – aal – – Nur ein einziges, grad wie du, doch scheint es mir lieber zu sein, als dir das deinige.«
»Warum?« brauste er auf.
Ich mußte einlenken.
»Weil du dich in dieser Wüste verirrest und verschmachten wirst, wenn du den rechten Weg nicht wiederfindest.«
»Ich verirre mich nie,« entgegnete er, indem er eine ernste Besorgnis nicht verbergen konnte. Er mußte natürlich annehmen, daß ich jetzt sagen würde, daß sich die Karawane in einer falschen Richtung befinde. »Allah gab trockene Luft, daß unser Wasser auf die Neige ging; er wird uns morgen an einen Brunnen führen.«
»Wohin geht diese Kaffilah?«
»Mußt du es wissen?«
»Hast du Grund, es zu verschweigen?«
»Sie geht nach Safileh.«
Ich nickte wie einverstanden mit dem Kopfe,
»Auch ich will nach Safileh. Erlaubst du mir, mit euch zu ziehen?«
Er atmete beruhigt auf, obgleich ich es ihm ansah, daß er nicht wußte, wie er sich mein Verschweigen seines Verrates deuten sollte.
»Wie ist dein Name, und zu welchem Stamme gehörest du?«
»Ich bin ein Franke, dessen Namen deine Zunge nicht auszusprechen vermag.«
»Ein Franke bist du, ein Christ?« fragte er. Und sich zu den andern wendend, setzte er hinzu: »Ihr habt von einem Giaur euch Wasser reichen lassen!«
Sie wichen von mir zurück; ich aber drängte mein Kamel so hart an das seinige, daß er nach seinem Messer griff, und sagte:
»Vergiß dieses Wort nicht, Khabir, denn du wirst es sühnen müssen!«
Seit meines offenen Geständnisses, daß ich ein Ungläubiger sei, wußte er sich sicher. Ich hätte ihn immerhin verdächtigen können, die fanatischen Muselmänner, aus denen die Karawane bestand, hätten mir doch keinen Glauben geschenkt. Jetzt ließ er auch den Grund vernehmen, dessentwegen er mich bei meinem Erscheinen so erstaunt und finster, so argwöhnisch gemustert hatte.
»Von wem hast du dieses Bischarin? Ein Moslem verkauft ein solches Tier nicht an einen Ungläubigen.«
»Ich erhielt es zum Geschenk von einem Gläubigen, den ich aus dem Rachen des Löwen errettete.«
»Du lügst! Ein Giaur fürchtet den Herrn des Erdbebens, und der, welchem dieses Bischarinhedjihn gehörte, kommt nicht unter die Tatzen des Löwen.«
Ich griff nach meiner Kamelpeitsche.
»Höre, Ben Kelb, du Hundesohn! Sagst du noch einmal, daß ich lüge, so gebe ich dir diese Peitsche in das Gesicht, und du weißt, daß der Koran sagt, Mikäil, Dschebrail, Issrafil und Asrail, die vier Erzengel, lassen keinen Gläubigen in das Paradies, der von einem Christen geschlagen wurde.«
Das war die allerärgste Beleidigung, welche ihm widerfahren konnte. Die abgematteten Reiter, welche ich soeben erst getränkt hatte, drängten sich drohend um mich, und der Khabir griff zur Pistole, welche er aus seinem Gürtel zog.
»Steige vom Dschemmel, Giaur, denn ehe du die Seele deinem Gott befehlen kannst, wird dich der Scheitan durch die Lüfte führen!«
Er spannte den Hahn. Der wackere Tebu hielt hart an meiner Seite und griff zur Lanze, um mich zu verteidigen. Jetzt konnte ich die Macht der Anaïa, welche ich am Birket el fehlate erhalten hatte, erproben. Der Khabir kannte mein Bischarin, er mußte auch den kennen, von dem ich es erhalten hatte. Uebrigens bemerkte ich sowohl bei ihm als auch bei dem Schech el Djemali die verräterischen Buchstaben A. L., welche mir das übrige erklärten.
Ich zog das Korallenstück hervor und hielt es ihm entgegen.
»Stecke deine Waffe ein, sonst bekommt der Scheitan deine Seele, aber nicht die meinige! Wirst du gehorchen oder nicht?«
Ich sah, wie er erschrak.
»Allah akbar, Gott ist groß, Sihdi, und du stehst unter einem Schutze, der stärker ist, als selbst die Macht des Teufels. Ich sehe, daß du die Wahrheit sagst: Du hast einen Gläubigen aus dem Rachen des Löwen errettet und dafür sein Hedjihn bekommen. Ziehe mit uns, so weit du willst!«
Das war es, was ich wünschte. Diese Erlaubnis machte mich zum Mitgliede der Kaffilah und gab mir das Recht, für das Wohl derselben gegen den Khabir zu sprechen und zu handeln.
»So zieh weiter; meine Diener werden uns erreichen!«
»Wie viele Diener hast du bei dir, Sihdi?« fragte er, wieder mißtrauisch.
»Zwei außer diesem. Sie waren dabei, als ich den Herrn des Erdbebens tötete. Wenn sie kommen, kannst du seine Haut sehen und auch die Felle der Panther, welche meine Kugel traf.«
»Was thust du in der Wüste?«
»Ich will Assad-Bei töten und auch noch mit anderen Beis sprechen.«
Er war befriedigt und winkte zur weiteren Fortsetzung des Rittes. Ich hielt mich mit dem Tebu am Ende des langsam dahinschleichenden Zuges.
»Allah kerihm, Gott ist gnädig, Sihdi, er schützt die Gläubigen. Du aber bist ein Christ und wagst dein Leben, obgleich dir Allah keine Hilfe giebt.«
»Allah ist nicht mächtiger als mein Gott, der im Himmel wohnet; er hat alle Macht, und wir sind seine Kinder.«
»Aber kein Ben Arab hätte mit dem Khabir deine Worte gesprochen. Der Engel des Todes schwebte über deinem Haupte. Du bist stark und kühn, wie Sihdi Emir, der Behluwan-Bei.«
»Ein mutiger Finger ist besser als zwei Hände voll Waffen; auch du bist wacker und treu; ich werde Sihdi Emir davon erzählen. Werden wir im Bab-el-Ghud Wasser finden?«
»Es giebt dort zwei verborgene Quellen, aus denen zehn Kamele trinken können.«
»So kann sich die Kaffilah halten, bis ihr Hilfe wird, wenn sie nicht der Hedjahn-Bei vernichtet.«
»Was wirst du thun, um sie zu erretten?«
»Ich muß erst meine Seele fragen. Sihdi Emir ist am Bab-el-Ghud?«
»Er wartet dort, doch er weiß nicht, wann du kommst; er kann für kurze Zeit gewichen sein.«
»Wird die Kaffilah das Dünenthor erreichen?«
»Nein. Der Khabir wird sie zur Seite in die Dünen führen, wo sie überfallen wird.«
Auch ich stimmte aus gewichtigen Gründen dieser Vermutung bei und sann über die sicherste Weise nach, die Karawane zu erretten und zugleich den Räuber in meine Hand zu bekommen.
Ich hätte einfach den Khabir und den Schech el Djemali niederschießen können; das aber wäre, so lange ich nicht zweifellos beweisen konnte, daß er mit dem Hedjahn-Bei verbündet sei, den Arabern gegenüber für mich gefährlich gewesen und hätte mich doch nicht zum rechten Ziele geführt. Ich mußte den Bei fangen, um Rénald Latréaumont zu befreien, und, ehe ich ungezwungen einen entscheidenden Schritt that, danach trachten, mit Emery zusammenzutreffen.
Unterdessen holten uns Josef und Hassan ein. Ich wies sie an, einen Wasserschlauch für uns zu verbergen und den übrigen Vorrat an die Kaffilah zu verteilen. Der große Hassan hatte sich bald mit den Gliedern derselben in ein gutes Einvernehmen gesetzt, rühmte sich und seinen Namen und ließ auch, wie ich bemerkte, nichts unversucht, mich in den gehörigen Respekt zu bringen. Korndörfer dagegen hielt sich zu mir und dem Tebu.
Da hielt der Führer sein Tier an und ließ den Zug an sich vorüberpassieren, bis ich bei ihm angelangt war.
»Kennst du den Namen dessen, der dir dein Djemmel schenkte, Sihdi?« fragte er, mit mir allein hinter den übrigen zurückbleibend.
»Der Christ hilft seinem Nächsten, ohne nach dem Namen zu fragen.«
»So weißt du auch nicht, was er ist?«
»Ich weiß es.«
»Sage es!«
»Er ist, was du bist.«
»Und du auch, Sihdi. Du hast seine Anaïa und mußt für seinen Schutz thun, was er befiehlt. Kennst du den Pfad, den ich euch führe?«
Der Mann sprach hier eine Meinung aus, welche mit meiner Ansicht allerdings nicht sehr harmonierte. Für die Anaïa des Hedjahn-Bei mußte ich sein Mitschuldiger sein? Dazu hatte grad ich die allerwenigste Lust. »Du hast seine Anaïa,« hatte er gesagt. Sollte dieses ›seine‹ vielleicht bedeuten, daß der, von welchem ich sie bekommen hatte, der Bei selbst sei? Dann hätte ich mir allerdings einen ausgezeichneten Fang entgehen lassen. Erst jetzt leuchtete mir diese Möglichkeit ein, denn ein untergeordneter Räuber war wohl schwerlich berechtigt, die Andia zu vergeben, und hatte wohl auch nicht die Mittel, ein kostbares Bischarinhedjihn zu verschenken. Ich mußte den Khabir ausforschen.
»Ich kenne ihn. Er geht nicht nach Safileh, sondern in das Bab-el-Ghud.«
»Wir werden das Bab nicht erreichen, sondern heute, wenn die Sonne sinkt, im Sandmeer lagern. Dann kommt der Bei.«
»Der Bei? Wartet er nicht im fernen Duar, wo er unter dem Herrn mit dem dicken Kopfe lag?«
»Hat er dir nicht gesagt, daß es zwei Hedjahn-Bei giebt, Sihdi, die Brüder sind?«
Das also war das Geheimnis, daß der Räuber mit solcher Schnelligkeit an verschiedenen Gegenden auftauchen konnte! Ich hatte den einen Bruder in meiner Macht gehabt und ihn mir wieder entgehen lassen; den andern mußte ich desto sicherer zwischen die Hände nehmen.
»Wir hatten keine Zeit zu vielen Worten,« antwortete ich. »Weiß der Bei, wo er die Kaffilah trifft?«
»Er wartet auf sie schon mehrere Tage. Wenn alles schläft, wird er kommen, um mit mir zu reden, damit ich ihm sage, wie viele Männer die Kaffilah zählt. Die Gum ist stark, Sihdi, und sie wird keinen Widerstand finden. Doch es kann ein Feind kommen, der größer ist, als alle andere Gefahr; wirst du uns auch gegen ihn deinen Arm leihen?«
»Mein Arm gehört meinen Freunden zu aller Zeit,« antwortete ich zweideutig. »Wer ist dieser schlimme Feind?«
»Der Behluwan-Bei. Hast du von ihm gehört, Sihdi?«
»Wer ist er?«
»Niemand weiß es. Reite durch die Serir, durch das Belad-el-Ghud, das Land der Dünen, durch die Sahel, und du wirst die Gebeine der Unseren finden, die seine Kugel traf. Er ist an jedem Orte, und doch sieht ihn niemand; sein Djemmel hat acht Füße und vier Flügel; es ist schnell wie der Blitz und läßt keine Spur zurück; er braucht weder Speise noch Trank und ist dennoch ein Riese, dessen Leib so hoch ist, wie drei Männer. Er ist der Scheitan, er ist Eblis, der widerspenstige Engel, der sich nicht vor Adam niederwerfen wollte und nun auf der Erde weilt, um die Seelen der Gläubigen zu morden.«
Es war spaßhaft, mit welchen Eigenschaften der Aberglaube und das böse Gewissen dieser Araber den guten ›Englishman‹ ausstaffierten, doch hütete ich mich sehr, die Meinung des Khabir zu bekämpfen. Behluwan-Bei, der ›Oberste der Helden‹, war ein Name, welcher zur Genüge sagte, in welchen Respekt sich Emery bei den Bewohnern der Wüste gesetzt hatte.
»Denkst du, daß er kommt?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht; er naht, wenn seine Kugel fertig ist, die in der Dschehenna gegossen wird. Er kennt jedes Tier und jeden Mann der Gum, er weiß alle unsere Brunnen und Halteplätze; nur auf EI Kasr (dem Schloß) war er noch nicht, weil es ein frommer Marabut gefeit hat gegen alle bösen Geister.«
Das war mir eine höchst wertvolle Mitteilung; die Andia that eine größere Wirkung, als ich jemals hatte erwarten können. Im Vertrauen auf sie ließ sich der unvorsichtige Khabir zu Enthüllungen hinreißen, welche seinem Gebieter mehr als gefährlich waren.
Die alten Römer drangen weiter in die Sahara vor, als man gewöhnlich anzunehmen pflegt, und zur Zeit, in welcher die kriegerischen Horden der Khalifen über die Landenge von Suez stürmten, ergoß sich eine wahre Völkerwanderung über die Wüste. In jenen alten und mittelalterlichen Zeiten wurde in stiller Uah oder im einsamen, sichern Warr manches Bauwerk errichtet und später wieder verlassen, so daß es nun vom Flugsande bedeckt wird oder in Trümmern liegt, die immerhin noch geeignet sind, dem räuberischen Gesindel der Wüste als Versteck zu dienen. Ich hatte schon mehrere solche Kasr oder Ksur gesehen und dabei stets gefunden, daß zwischen ihren Mauern oder doch in ihrer Nähe ein Brunnen oder sonstiges Wasser war.
Besaß die Gum hier einen solchen Zufluchtsort, so war derselbe wohl schwerlich im Bahr-el-Ghud, sondern jedenfalls im Serir zu suchen, und es ließ sich beinahe mit Gewißheit erwarten, daß sich nirgends anders als dort der gefangene Rénald Latréaumont befand.
»Ich werde bei dem Bei im Kasr sein,« meinte ich daher. »Wie lange braucht ein Hedjihn, um es zu erreichen?«
»Wenn du am Bab-el-Hadjar, am Thor der Steine, stehst, Sihdi, und du reitest grad in der Richtung deines Schattens, wenn er gegen Aufgang zweimal so lang ist wie der Lauf deines Gewehres, so kommst du am Abend des andern Tages an den Dschebel (Berg) –Serir, der die Mauern unsers Kasr trägt.«
Ich wollte weiter fragen, doch wurde seine Gegenwart bei der Kaffilah erforderlich, wo Hassan der Große ein ganz bedeutendes Unheil angerichtet hatte. Trotz meines Befehles nämlich, die Leute über die Richtung ihres Weges bis auf weiteres im unklaren zu lassen, hatte er geplaudert und sich mit dem Schech el Djemali in einen Streit eingelassen, zu dessen Schlichtung der 11,habir herbeigerufen wurde.
»Hast du nicht gesagt, daß du zu den Kubabisch gehörst?« verteidigte sich der Oberste der Kameltreiber. »Diese haben ihre Duars in Kordofan. Wie willst du den Weg nach Safileh besser kennen, als ein Tuareg, der ihn hundertmal geritten ist? Kubabisch heißt Schafhirten; sie hüten ihre Schafe, sie reden mit ihren Schafen und sie essen ihre Schafe, ja, sie kleiden sich sogar in das Fell und in die Wolle ihrer Schafe; darum sind sie selbst Schafe geworden, die keine verständige Seele haben, sondern Unsinn blöken, wie die Schafe. Halte den Mund, Kubaschi, und schäme dich!«
Schon öffnete Hassan den Mund zu einer geharnischten Gegenrede, als ein Ereignis eintrat, welches ihn verstummen ließ und die Aufmerksamkeit aller, ganz besonders aber die meinige, in Anspruch nahm.
Es kamen nämlich im raschesten Laufe vier Reiter hinter uns her, welche beim Anblick der stehenden Karawane einen Augenblick beobachtend anhielten, dann aber vollends herbeigeritten kamen. Sie saßen auf Bischarinhedjihns, und ich erkannte – den Uëlad Sliman, welcher mir sein Djemmel geschenkt hatte, und den Boten, welcher in Algier von uns gefangen genommen worden war. Diesem mußte es auf irgend eine Weise gelungen sein, seine Freiheit zu erlangen; er war in das Duar am Auresgebirge zurückgekehrt, und der eine der Räuberbrüder hatte sich sofort mit den Seinen in Eile auf den Weg gemacht, den Mißerfolg der Sendung zu berichten. Vielleicht kannten sie den Zweck meiner Reise, aber selbst wenn dies nicht der Fall war, schwebte ich jetzt in einer offenbaren Gefahr, und ich winkte daher Josef und den Tebu an meine Seite.
»Sallam aaleikum,« grüßte der Uëlad Sliman laut, indem er mich und Josef nicht bemerkte, da wir hinter den andern hielten. »Wer ist der Khabir dieser Kaffilah?«
»Ich,« antwortete der Tuareg mit einem verschmitzten Blinzeln seiner Augen.
»Wohin geht euer Weg?« »Nach Safileh.«
»Bismillah, das ist gut. Auch ich will nach Safileh; ich werde mit euch reiten!«
Da gab es weder Anfrage noch Bitte; der Mann machte kurzen Prozeß; er behandelte die Karawane bereits als sein Eigentum. Da erblickte er den großen Hassan, der über alle andern um eines Kopfes Länge emporragte. Sofort ritt er auf ihn zu.
»Du warst bei dem Franken, welcher den Löwen tötete?«
»Ja.«
»Wo ist dein Herr?«
»Dort!« antwortete der Kubaschi, auf mich deutend.
Das Auge des Beis traf mich und wandte sich dann zu dem Boten.
»War es dieser?«
»Ja; er schlug mich nieder.«
Jetzt lenkte er, gefolgt von den drei andern, sein Tier zu mir heran; auch der Führer und der Schech el Djemali kamen herbei. Ich hatte sechs wohlbewaffnete Leute gegen mich, von den Männern der Kaffilah ganz abgesehen. Korndörfer hatte die Büchse gefaßt; der Tebu hielt seinen aus biegsamem Bassamholz gefertigten Wurfspeer in der Faust, und ich zog mit der Linken den Revolver unter dem weiten Burnus aus dem Gürtel, während ich in der Rechten die Kamelpeitsche behielt, damit es den Anschein hatte, als sei ich auf eine augenblickliche Verteidigung nicht vorbereitet.
»Du kennst mich?« fragte er ohne Gruß, indem sein stechendes Auge drohend das meine suchte.
»Ich kenne dich,« antwortete ich ruhig und kalt.
»Du hast meine Anaïa?«
»Ja.«
»Gieb sie mir wieder!«
»Hier!«
Ich warf ihm das Korallenstück hinüber; er fing es auf und steckte es zu sich.
»Du hast mich vom Löwen errettet, und ich gab dir mein bestes Hedjihn; wir sind quitt!«
»Gut! Dein Leben hat keinen höhern Wert als den eines Kameles. Du hast recht gesagt; wir sind quitt!«
Sein Auge blitzte auf.
»Kennst du diesen Mann?«
»Ich kenne ihn.«
»Du hast ihn geschlagen, daß er seinen Geist verlor. Er war ein Bote, und ihr habt ihn gefangen genommen. Ein Giaur, der einen Gläubigen schlägt, verliert seine rechte Hand, sagt der Kuran; du wirst deine Strafe leiden!«
»Und wer Menschenblut vergießt, deß Blut soll wieder vergossen werden, sagt die Bibel, das heilige Buch der Christen. Du wirst deine Strafe leiden, Hedjahn-Bei!«
Bei diesem letzteren Worte war es, als habe der Blitz mitten unter die Männer der Kaffilah hineingeschlagen. Sie waren von Anstrengung und Entbehrung entkräftet und entmutigt; Hunger und Durst wühlten in ihren Eingeweiden; sie konnten der Gum unmöglich widerstehen, wenn der Schreck sie schon bei Nennung dieses einen Namens beinahe vom Pferde und Kamele stürzte.
Der Uëlad Sliman war auch überrascht; er konnte von der Plauderhaftigkeit des Khabir nichts wissen; doch sah er die Wirkung seines Namens, sah fünf mutige Männer bei sich und wußte auf jeden Fall seinen Bruder mit der Gum in der Nähe; dies gab ihm die Kühnheit, sich ohne Leugnen zu dem Namen, den ich genannt hatte, zu bekennen.
»Allah kerihm, Gott ist gnädig, und ich bin der Hedjahn-Bei. Diese Kaffilah wird morgen wohlbehalten in Safileh sein, wenn sie mir den Franken mit seinen Dienern ausliefert. Steige herab vom Djemmel, Giaur, und küsse mir die Schuhe!«
Sämtliche Araber wichen von uns zurück, so groß war die Furcht vor diesem Manne.
»Du wirst die Kaffilah dennoch töten,« entgegnete ich ruhig. »Dieser Khabir ist ein Verräter; er hat sie nach dem Babel-Ghud geführt, wo die Gum heute in der Nacht über sie herfallen wird.«
»Du lügst!« donnerte er.
»Mensch, wage es nicht noch einmal, mich, einen Christen, einen Lügner zu nennen, sonst – –«
»Agreb, Skorpion, deine Zunge ist Gift,« unterbrach er mich mit doppelt verstärkter Stimme. »Du lügst!«
Mein Kamel hielt hart an dem seinen. Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, so sauste meine aus Rhinozeroshaut gefertigte Kamelpeitsche durch die Luft und strich ihm lautschallend über das Gesicht, daß ihm das Blut aus Nase, Mund und Wangen spritzte. Der entsprungene Bote, welcher neben ihm hielt, legte in demselben Augenblick das Gewehr auf mich an, doch ich kam ihm zuvor: den Revolver zu seiner Stirn erhebend, drückte ich los.
»Kennst du diesen Schuß, eine Mandel hoch über der Nasenwurzel, Karawanenwürger? Du bist der Bruder des Hedjahn-Bei, und ich bin der Bruder des Behluwan-Bei. Fahre zur Dschehenna und melde dem Scheitan, daß die Gum nachfolgen wird!«
Mein zweiter Schuß traf ihn an derselben Stelle in die Stirne; den dritten riß die Kugel Korndörfers vom Kamele, und dem vierten fuhr der Speer des Tebu in die Brust.
Das war das Werk kaum zweier Sekunden, so daß die beiden übrigen, der Khabir und der Schech el Djemali, gar nicht dazu gekommen waren, ihre Waffen zu gebrauchen. Ich hielt ihnen den Revolver entgegen.
»Gebt eure Waffen ab, sonst, das schwöre ich euch beim Barte eures Propheten, frißt euch die Kugel des Behluwan-Bei!«
Ein Wink an den Staffelsteiner genügte; er trat zu ihnen und entwaffnete sie.
»Binde sie, daß sie nicht fliehen!«
Er that es, und sie ließen es ruhig geschehen. Der ›Behluwan-Bei‹ hatte auf sie dieselbe niederschmetternde Wirkung hervorgebracht, wie auf die Männer der Kaffilah der ›Hedjahn-Bei‹. Jetzt konnte ich mein Verhör beginnen.
»Steigt ab von den Tieren, ihr Männer, und hört zu, wie ein Franke Gericht hält über die Räuber und Verräter der Wüste!«
Sie folgten meinem Gebote und schlossen einen Kreis um die beiden Inkulpaten und mich. Bisher hatte sich Hassan el Kebihr hinter den andern versteckt gehalten, jetzt aber war ihm der Mut zurückgekehrt. Er zog seinen langen Sarras, der aus Methusalems Waffenkabinett zu stammen schien, stellte sich mit der abschreckendsten Cerberusmiene, die es geben kann, vor die Gefangenen hin und ermahnte sie mit donnerndem Basse:
»Hört meine Worte, und vernehmt meine Stimme, ihr Räuber, ihr Mörder, ihr Schurken, ihr Schufte, ihr Gesindel, ihr Söhne vom Gesindel, ihr Abkommen und Väter des Gesindels! Ich bin ein Kubaschi vom berühmten Ferkah en Nurab, und mein Name lautet Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Yussuf-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli. Die Kinder der Tapfern nennen mich Djezzar-Bei, den Menschenwürger, und ich werde euch erdrosseln und zermalmen, wenn ihr nur das Geringste thut, was mir nicht gefällt. Allah hat euch in meine Hand gegeben, und ich werde euch richten lassen durch diesen Sihdi aus Germanistan, welcher den Herrn des Erdbebens und den schwarzen Panther mit seiner Frau getötet hat. Oeffnet euren Mund, und redet die Wahrheit, sonst werdet ihr von meinem Zorne zerschmettert und von meinem Grimme vernichtet, denn ich bin Hassan el Kebihr!«
»Wir haben kein Unrecht begangen,« behauptete der Khabir, »und lassen uns von keinem Ungläubigen richten. Habt ihr eine Klage, so stellt uns vor einen Kadi und seinen Adul (Beisitzer); ihm werden wir antworten, aber nicht euch.«
»Du wirst mir antworten,« entschied ich, »sonst öffnet dir meine Peitsche den Mund.«
»Du darfst keinen Gläubigen schlagen!«
»Wer will es mir wehren? Hat nicht meine Peitsche sogar den Karawanenwürger getroffen?«
»Diese Männer werden es nicht dulden. Sie sind Moslemin.«
»Sie sind Moslemin und kennen das Gesetz, welches sagt: ›Blut um Blut‹. Du wolltest sie in den Tod führen; dein Leben gehört ihnen,«
»Ich habe sie den rechten Weg geführt. Sagte nicht auch der Hedjahn-Bei, daß wir morgen in Safileh sein werden?«
»Sagtest du mir nicht selbst, daß heute, wenn alles schläft, die Gum kommen werde?«
»Ich habe nichts gesagt. Du bist ein Ungläubiger und willst uns verderben.«
»Lüge nicht, Khabir! Der Tod streckt seine Hand aus nach dir, und dein Prophet spricht: ›Redetest du nie die Wahrheit, so rede sie, wenn du stirbst, damit Allah dich ohne Flecken sieht!‹ Wir sind beim Bab-el-Ghud, und Safileh liegt gegen Mitternacht von hier. Du hast gehört, daß ich der Bruder des Behluwan-Bei bin, der mächtiger ist als die Gum. Er hat einen Geist bei sich und ich auch, der uns alles sagt, was wir wissen wollen. Hier, sieh ihn an! In diesem kleinen Häuschen ist seine Wohnung, und ich werde ihn fragen: Wo liegt Safileh?«
Ich zog den Kompaß hervor. Der Araber ist außerordentlich abergläubisch, und ich wußte, daß das unbekannte Instrumentchen eine größere Wirkung hervorbringen werde, als alles Ermahnen und Drohen.
»Siehst du, wie er nach Mitternacht zeigt? Seht es auch, ihr Männer! Ich kann seine Wohnung nach allen Richtungen drehen, er zeigt euch immer ganz denselben Weg.«
Der Kompaß wurde mit staunender, ehrfurchtsvoller Scheu betrachtet, und selbst der lange Hassan, der ihn noch nicht beachtet hatte, konnte seine Bewunderung nicht verbergen.
»Sihdi, du bist ein großer Zauberer! Dir kann niemand widerstehen!« meinte er.
»Hast du diesen Geist schon bei einem Gläubigen gesehen, Khabir? Die Christen sind weiser und mächtiger als die Moslemin, und wenn du nicht gehorchest, so werde ich dir auch deinen Geist aus dem Leibe ziehen und ihn noch viel enger einsperren als diesen hier, der einst auch ein verräterischer Khabir war und nun gefangen bleibt in alle Ewigkeit, um dem Wanderer den Weg zu zeigen.«
»Frage, Sihdi; ich werde die Wahrheit sagen!« gelobte voll Angst der durch diese Drohung, über welche der beschränkteste Europäer gelacht haben würde, eingeschüchterte Muselmann.
»Du gestehst, daß du mit dem Schech el Djemali zu den Leuten des Hedjahn-Bei gehörst?«
»Ja.«
»Die Gum sollte heute diese Kaffilah überfallen?«
»Ja.«
»Dabei sollten alle Männer getötet werden?«
»Ja,« antwortete er zögernd.
»Wie stark ist sie?«
»Ich weiß es nicht, Sihdi, ob alle Djemalan beisammen sind. Die Gum hat an jedem andern Orte andere Leute.«
Das war ein weiterer Beitrag zur Lösung des Rätsels von der schnellen Beweglichkeit der Raubkarawane. Der Hedjahn-Bei ritt allein von Ort zu Ort und fand überall zum Raub gerüstete Leute, und da es zwei Brüder waren, so konnte es allerdings scheinen, als ob der gefürchtete Räuber mit den Seinen allgegenwärtig sei.
»Kennst du den jungen Franken, welchen der Bei gefangen hält?«
»Ja. Er ist auf EI Kasr.«
»Wie viele Eingänge hat das Schloß?«
»Einen durch das Thor, Sihdi, und eine unterirdische Treppe, die nach dem Schott hinabführt.«
»Wo wartet die Gum auf die Kaffilah?«
»Wenn du jetzt gegen Aufgang reitest, so erreichst du sie, wenn dein Schatten zweimal und noch die Hälfte so lang ist, wie du selbst.«
»Der Bei wollte kommen, um vor dem Ueberfall mit dir zu sprechen. Wo sollst du ihn treffen?«
»Er wird die Kaffilah kommen sehen und ihren Lagerplatz kennen. Wenn alles schläft, wird die Hyäne rufen, so daß ich weiß, wo er steht.«
»Ist dies die erste Karawane, die du in das Verderben führest?«
Er schwieg.
»Du bist ein großer Sünder, Khabir, doch sollst du nicht getötet werden, wenn du mir gehorchest und mich zum Schlosse führst.«
»Rhemallah, das verhüte Gott!« rief da der Tebu. »Hast du meine Söhne gesehen, Sihdi, und die Thränen meines Auges? Hast du gefühlt den Gram meines Herzens und gehört die Schwüre meiner Seele? Ich habe gelobt bei den acht Himmeln Allahs und den sieben Höllen des Teufels, bei dem Munde Ozairs (Esra) und dem Haupte von Seydna Yaya (heil. Johannes), daß jeder Mann sterben soll, der mit dem Mörder ist. Ed dem Wed dem – en nefs b'en nefs, Blut um Blut, Leben um Leben! Giebst du mir diese Männer, Sihdi?«
»Ihr Leben gehört nicht mir; ich kann es nicht verschenken.«
»Wohlan, so gehört es mir!«
Ehe ich es hindern konnte, fuhr seine Lanze dem Khabir in die Brust, und im nächsten Augenblick hatte er die Kehle des Schech el Djemali durchschnitten.
»Hamdulillah, Preis sei Gott, der da gerecht richtet im Himmel und auf Erden,« jubelte er. »Meine Rache wird fressen unter den Mördern, bis die Gum in der Dschehenna wohnt!«
Ich konnte mit ihm nicht rechten, obgleich mir die beiden Toten sicher von Nutzen gewesen wären. Die Strafe, welche sie so schnell ereilt hatte, war jedenfalls eine wohlverdiente, wenn man an die Opfer dachte, welche sie dem Hedjahn-Bei an das Messer geliefert hatten.
»Weißt du nicht, Abu billa Beni, daß der Prophet sagt: ›deine That sei schnell, aber dein Gedanke langsam vorher?‹ Diese Verräter waren uns nötig, um die Gum zu fangen; jetzt aber schweigt ihr Mund, und ihr Fuß kann uns nicht zu den Räubern führen.«
Schon befand sich alles, was die Toten getragen hatten, in den Händen der Araber. Der Uëlad Sliman hatte noch einen ziemlichen Vorrat von Wasser und Proviant bei sich geführt; ich ließ beides verteilen und nahm die Bischarinhedjihn der Gefallenen als Beute für mich in Beschlag.
Die Kaffilah hielten leise beratend bei einander; dann trat einer von ihnen zu mir.
»Sei unser Khabir, Sihdi! Du hast einen Geist, der uns nach Safileh bringen wird.«
»Wollt ihr diesem Geiste gehorchen?«
»Ja. Sage uns seine Befehle!«
»Ihr werdet nicht nach Safileh kommen, wenn ihr die Gum hinter euch laßt; sie wird euch verfolgen und vernichten. Doch wenn ihr tapfere Uëlad Arab seid, so werden wir die Räuber töten, und der Pilger kann fortan in Frieden durch die Wüste ziehen.«
»Wir sind tapfer, Sihdi, und haben keine Furcht, doch die Gum hat mehr Männer, als wir sind, und wird uns besiegen.«
Ich mußte ihnen Mut machen.
»Mein Geist sagt mir, daß sie uns nicht besiegen wird. Ich bin der Bruder des Behluwan-Bei, der am Bab-el-Ghud auf uns wartet; er wirft die Räuber nieder wie dürren Weizen. Seht hier: diese zwei Revolver, von denen ihr noch niemals gehört habt, fressen zwölf Männer auf; diese Büchse sendet zwei von ihnen zum Scheitan, und dieser Henrystutzen, dessen Namen noch kein einziges Mal an euer Ohr gedrungen ist, kostet zweimal zehn und noch fünf Diemalan das Leben. Soll ich euer Khabir sein, so sagt es schnell, sonst suche ich mit meinen Dienern die Gum allein auf und lasse euch hier in der Wüste halten.«
»Wir wollen dir gehorchen, Sihdi!«
»Ja, wir wollen dir gehorchen, Sihdi,« stimmte der große Hassan begeistert ein. »Du bist der Weiseste der Weisen, der Klügste der Klugen und der Held aller Helden. Seht her, ihr Männer, ich bin Djezzar-Bei, der Menschenwürger. Dieser Säbel wird zehn Räubern den Bauch aufschlitzen, diese Tschembea (Dolch) wird zwanzig Mördern die Kehle zerschneiden, und diese Flinte, diese Lanze und diese Pistolen werden alles vernichten, was dann noch übrig ist. Für euch wird nichts übrig bleiben, als unsere Tapferkeit zu rühmen und unsere Heldenthaten zu besingen, und wenn ihr zurückgekehrt seid zu euren Söhnen und Töchtern, so werden eure Zelte erklingen von dem Lobe Hassan el Kebihrs und des großen Sihdi aus Germanistan, der Areth, den Herrn des Erdbebens, tötet, und den schwarzen Panther mit seiner Frau verschlungen hat!«
»Maschallah, tausend Schwerebrett, hat der aan Maul!« meinte der Staffelsteiner ärgerlich. »Wenn's losgeht, wird der große Hassan so klein geworden sein, daß man ihn halt gar nit zu seh'n vermag!«
Die Sonne hatte bereits das dritte Viertel ihres Bogens vollendet; ich mahnte zum Aufbruche. Die Leichen blieben in ihrer gegenwärtigen Stellung liegen; die Totengräber der Wüste, Sand- und Bartgeier, überhoben uns der Arbeit. Ich wußte, daß ich mich nur wenig auf die Araber verlassen konnte, doch schien es mir, als sei die Gefahr, welcher ich entgegenging, nicht größer als so manche andere, die ich glücklich bestanden hatte. Der Hedjahn-Bei war mir nicht fürchterlicher als jeder gewöhnliche Araber, und wo der offene Mut nicht ausreichte, konnte ich ja zur List meine Zuflucht nehmen. Die Anaïa hatte ich wieder zu mir gesteckt; sie konnte mir von Nutzen sein. – –