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Es war nicht der erste derartige Jagdhieb, den ich jetzt erhielt, und da die gütige Natur meinen Kopf mit einer widerstandsfähigen Knochenlage geschützt hatte, so war ein solcher Schlag stets schnell von mir überwunden worden. So auch hier. Das Bewußtsein kehrte mir bald wieder, wenn auch nicht so rasch, wie es zu wünschen war; denn als ich erwachte, knieten vier oder fünf Gestalten auf mir, welche mir einen Knebel in den Hals geschoben hatten und nun beschäftigt waren, mir Hände und Füße so fest zu binden, daß ich mich nicht zu rühren vermochte. Saadis el Chabir stand dabei, um diesen mir so unwillkommenen Vorgang zu kommandieren.
Warum hatten mich diese Menschen nicht sofort getötet? Es war jedenfalls am besten, so zu thun, als ob ich noch in Ohnmacht liege. Vielleicht hörte ich da irgend ein Wort, welches geeignet war, mir Aufschluß zu geben. Dieser Entschluß erwies sich bereits nach wenigen Augenblicken als vorteilhaft, denn ich hörte den Krumir mit halblauter Stimme fragen:
»Bewegt er sich?«
»Nein,« antwortete einer der Männer. »Er ist so steif wie ein Speer. Mein Kolben hat ihn gut getroffen. Er wird tot sein, aber es ist doch besser, ich stoße ihm die Klinge in das Herz.«
»Das wirst du nicht thun. Ich hörte aus den Reden dieser Uëlad Sebira, die Allah verdammen möge, daß dieser Mann ein reicher Emir aus dem Abendlande ist. Wenn er wieder erwachen sollte, so nehmen wir ihn mit, und er wird uns ein großes Lösegeld bezahlen. Für jetzt haben wir ihn so sicher, daß er uns nicht schaden kann.«
»Was mag er hier gewollt haben?«
»Ich weiß es nicht, vielleicht ist es ein Dichter, der mit el Kamar hat reden wollen; diese fremden Fürstensöhne sollen alle Dichter sein. Laßt ihn liegen; wir werden später nach ihm sehen.«
»Was befiehlst du nun? Holen wir die Milchstute wirklich?«
»Nicht sie allein.«
»Wen noch?«
»Einen Rapphengst, der noch kostbarer ist als diese Stute; er gehört dem Fremdlinge hier.«
»Hm, wir werden beneidet sein von allen unsern Brüdern!«
»Und noch mehr. Wir haben auch eine Bent es Sebira, die schöner ist als alles, was ich bisher gesehen habe. Ich erlauschte, daß sie sich dort unter den Palmen befindet.«
»Allein?«
»Es ist einer von den Jünglingen bei ihr – –«
»Den wir töten werden?«
»Nein. Ein einziges Geräusch kann uns verraten. Er wird nicht mit ihr nach dem Duar zurückkehren, denn er hat den Hengst zu bewachen. Es ist die Tochter des Scheik Ali en Nurabi. Wir lauern sie ab, wenn sie heimgeht, und erlauben ihr nicht, einen Laut auszustoßen. Einer von euch führt sie fort. Wir andern nehmen die Stute und das köstliche Hedschihn, welche beide vor dem Zelte des Scheik angebunden sind. Eine Sänfte liegt daneben.«
»Man wird uns hören. Der Scheik wird gute Hunde besitzen.«
»Sie kennen mich bereits, denn ich habe bei ihnen im Zelte gelegen. Einer führt das Mädchen fort; einer nimmt die Stute, einer das Hedschihn und einer die Atuscha. Wir andern gehen dann vor das Duar, um den Hengst zu holen, und da allerdings werden wir den Wächter töten müssen.«
»Wo versammeln wir uns?«
»Grad im Süden vor dem Lager am Eingange der ersten Schlucht, die hinab zum Flusse steigt.«
»Aber wenn man uns hört? Wenn man uns entdeckt?«
»Schäme dich, Knabe! Ist einer von uns einmal entdeckt worden? Sind nicht unsere Augen wie die Augen des Panthers und unsere Füße unhörbar wie die Füße des Fennek und der Katze? Sind nicht Pferde genug vorhanden, um die Flucht zu ergreifen, noch ehe ein Sebira die Flinte erheben kann? Oder meinst du, daß wir noch vorsichtiger handeln sollen? Nun wohl, so nehmen wir erst Mochallah, die Tochter des Scheiks, und schicken sie in Sicherheit; sodann schleichen sich drei bis zum Zelte Ali en Nurabis und wir andern an den Ort, wo sich der Hengst befindet. Dann gebe ich euch das Zeichen der Beni Hamema, und in demselben Augenblicke nimmt jeder das, was er zu nehmen hat. Der letzte eilt hierher zurück und holt diesen Franken, den wir aber auch liegen lassen, wenn wir in Gefahr kommen sollten.«
»Und wir reiten nicht nach dem Bah el Halua zurück?«
»Nein; ich habe es den andern, welche die Kafila erwarten werden, bereits zugesagt. Wir eilen sofort nach Süden, übersteigen den Bah Abida und gehen quer durch die Wüste er Ramada nach dem Dschebel Tibuasch, hinter dem die Duars und Tschars der Mescheer-Beduinen liegen, die uns sicher Schutz gewähren, wenn die Uëlad Sebira uns verfolgen sollten. Nun aber vorwärts, damit wir die Rückkehr des Mädchens nicht versäumen!«
Im nächsten Augenblicke waren sie lautlos verschwunden, und ich lag allein unter den Büschen, gefesselt und geknebelt, hilflos wie ein Kind, ja, noch viel hilfloser, da ich nicht einmal rufen konnte.
Ich befand mich wahrhaftig in einer schauderhaften Lage. Ich kannte den ganzen nichtswürdigen Anschlag dieser Menschen und war doch nicht im stande, ihn zu hintertreiben! Also hatte ich den Krumir doch richtig beurteilt! Er stand im Begriff, seinen Schwur zu brechen; er wollte fliehen und die drei besten Tiere des Lagers, die Tochter des Scheiks und auch mich mitnehmen. Und dazu noch sollte mein braver Achmed getötet werden. Ich zweifelte keinen Augenblick an dem Gelingen des Anschlages, denn ich kannte aus Erfahrung die Schlauheit und Behutsamkeit, mit welcher der Wüstensohn dergleichen Bravourstücke auszuführen pflegt. Kein Indianer, kein europäischer Gauner kommt ihm darin gleich; nur höchstens von den eingebornen Indiern wird er übertroffen.
Ich strengte alle meine Sehnen und Muskeln an, und bäumte mich unter den Fesseln hoch empor – sie schnitten mir tief in das Fleisch, gaben aber nicht nach. Ich versuchte, mit der Zunge den Knebel aus dem Mund zu stoßen – es ging nicht, denn er war mit einem Tuche befestigt, welches man mir um Mund und Nase gelegt und hinten im Nacken verknotet hatte. Ich mußte ein für allemal von jeder Anstrengung ablassen, denn sie brachte mich dem Tode des Erstickens nahe. Ich konnte nur eins thun; ich mußte mich verstecken, um von den Krumir nicht wiedergefunden zu werden. Gelang mir dies, so war es später möglich, die Uëlad Sebira auf die Spur der Räuber zu bringen und nicht nur den Tod Achmeds zu rächen, sondern auch Mochallah mit den geraubten Tieren zu befreien. Ich versuchte also, mich von dem Platze fortzuwälzen. Es gelang, und in einigen Minuten war ich so weit entfernt von dem vorigen Orte, daß ich mich so ziemlich geborgen glaubte. Und was die Hauptsache war -ich war bei einer Umdrehung meines Körpers auf die Revolver zu liegen gekommen, welche mir entfallen waren, und da ich nur am Handgelenk gefesselt war, so hatte ich es mit einiger Anstrengung vermocht, sie mit den Fingern zu erfassen und festzuhalten. Kehrten nicht mehrere der Räuber, sondern nur einer zu mir zurück, und fand er mich auch an meinem neuen Platze, so war es mir trotz meiner ungünstigen Armstellung doch vielleicht möglich, auf ihn zu schießen und – – schießen? Ha! mußte ich denn warten, bis man mich fand? Konnte ich nicht den ganzen Ueberfall verhüten?
Kaum gedacht, so geschehen: ich gab dem Laufe des einen Revolvers eine Lage, bei der alle Gefahr für mich ausgeschlossen war, und feuerte alle sechs Schüsse los. Sie klangen nacheinander scharf und hell in die Nacht hinaus; sie mußten selbst den tiefsten Schläfer erwecken. Kaum war der letzte verklungen, so hörte ich den Schrei eines Bartgeiers. War dies ›das Zeichen des Beni Hamema‹, von welchem der Krumir gesprochen hatte? Eine halbe Minute noch blieb es still, dann aber hörte ich einen Pistolenschuß – noch einen, und nun erhob sich ein lautes Rufen und Schreien im Lager. Man war erwacht und mit klopfendem Herzen lauschte ich auf den immer größer werdenden Lärm.
Wer war es, der geschossen hatte? Der Krumir? Fast hätte ich wetten mögen, die Pistole zu erkennen, aus der die beiden Schüsse abgegeben worden waren – Achmeds Pistole. Das Geschrei wurde bald zum Wutgeheul, und ich unterschied sehr deutlich die Stimme des Scheik, der nach Mochallah, nach seiner Stute und dem Reitkamele rief. Dann hörte ich einen lauten Ruf Achmeds, welcher fragte, ob niemand mich gesehen habe.
Da drückte ich den ersten Schuß des zweiten Revolvers ab – eine lautlose Stille erfolgte, dann rief Achmed laut:
»Sihdi! O, es ist mein Effendi, denn kein Feind hat einen solchen Rewowah wie er. Sihdi, Sihdi!«
Ich gab den zweiten Schuß ab.
»Warum antwortet er nicht mit dem Munde?« rief der treue Diener. »Allah kehrim – Gott ist barmherzig; mein Effendi kann nicht sprechen; er befindet sich in Gefahr! Hier, haltet sein Pferd; ich muß zu ihm hin!«
Gott sei Dank; er und mein Pferd, beide waren mir erhalten! jetzt hörte ich viele Schritte sich den Büschen nähern, und ich drückte zum dritten Male los.
»Hier ist es!« schrie Achmed. »Kommt ihm zur Hilfe!«
Mit kampfbereiten Waffen drangen sie zwischen die Büsche ein. – Sie wähnten mich im Kampfe mit irgend einem Feinde, blieben aber sehr bald zaudernd halten, eine Hinterlist vermutend, da sie kein feindliches Wesen bemerkten. Nur der wackere Achmed drang unaufhaltsam vorwärts. Mein vierter Schuß gab ihm nochmals die rechte Richtung, und bald stand er vor mir.
»Maschallah, ein Gefesselter!« rief er, als er sich niedergebückt und mich betastet hatte. »Sihdi, Effendi, bist du es? Hast du geschossen? Wallahi, billahi, tallahi, man hat ihm den Mund verstopft!«
Im Nu entfernte er den Knebel, und da er mich nun an der Stimme erkannte, jauchzte er laut auf und entfernte die Fesseln mit wenigen raschen Schnitten.
»Er ist's, er ist's, Hamdulillah, er ist's! Komm herbei, O Scheik; er wird uns Auskunft geben!«
Ich wartete dies nicht ab, sondern drang aus dem Gebüsch in das Freie heraus, wo mehr Raum vorhanden war. Dort faßte mich Ali en Nurabi am Arm.
»Effendi,« fragte er stürmisch, »wo ist Mochallah, das Kind meiner Seele? Wo ist meine Stute, und wo ist mein Bischarihnhedschihn?«
»Sage mir erst, wo Saadis el Krumir ist,« antwortete ich ihm.
»Ich weiß es nicht! Er ist fort!«
»Fort? Geflohen?«
»Ja.«
»Trotz seines Schwures?«
»Er hat ihn gebrochen. Allah verdamme ihn!«
»Ich hatte recht, o Scheik. Dieser Krumir hatte das Auge eines Verräters. Ein Giaur hält das Wort, welches er verpfändet hat, dieser Moslem aber schwört bei dem Barte des Propheten, bei allen heiligen Kalifen und bricht sein Wort; aaib aaleihu – Schande über ihn! Aber er ist nicht nur wortbrüchig geworden, sondern er hat auch deine Tochter geraubt und die zwei besten deiner Tiere mitgenommen.«
»So ist es wahr, o Effendi?«
»Ja.«
»So möge der Himmel zusammenbrechen über den Lügner und Räuber, und die Erde möge sich öffnen, um ihn zu verschlingen, ihn, seinen Vater, den Vater seines Vaters und alle Ahnen und Urahnen bis hinauf zu Adam, dessen Nachkommen sie sind!«
»Du vergissest, daß auch du ein Nachkomme Adams bist!«
»Malesch – das thut nichts, das ist mir einerlei! Mir ist meine Stute geraubt, mein Bischarihnhedschihn und meine Tochter; was schere ich mich um alle Vorfahren und Nachkommen der Welt! Effendi, hilf mir. Du allein weißt es, wo er mit ihnen hin ist!«
»Laß uns vorher alles ruhig überlegen! Ich meine, daß – –«
Er unterbrach mich in stürmischem Tone:
»Ueberlegen? Effendi, ehe wir fertig sind mit dem Ueberlegen, wird uns der Räuber entkommen sein! Auf, ihr Männer, ihr Helden, auf, um ihm nachzujagen!«
»Jagt ihm nach!« antwortete ich ruhig. »Mir aber erlaubt, daß ich mich niederlege, um zu ruhen. Es ist heut noch kein Tropfen Schlafes an meine Augen gekommen.«
»Herr, ist dies dein Ernst?«
»Ja.«
»Du bist mein Gast und willst schlafen, während ich nach meiner Stute, nach meinem Kinde und nach meinem Kamele schreie? Weißt du nicht, daß dich die Verachtung aller Helden der Badawi treffen wird?«
»Sie wird mich nicht treffen, denn ich werde zwar schlafen, dir aber dann deine Tochter und deine Tiere wiederbringen; du jedoch wirst die Welt umstürzen, die Verlorenen aber nicht zurückerlangen.«
»So sage mir, was ich beginnen soll! Ich werde dir gehorchen.«
»Die meisten deiner Krieger sind nicht hier, sondern dort im Lager. Laß überall nachsehen, ob ein Mensch, ein Tier oder eine Sache fehlt; dann mögen alle Männer, welche Waffen tragen, zusammenkommen, um zu hören, was geschehen soll. Unterdessen mag die Dschemma, die Beratung der Aeltesten, sich vor deinem Zelte versammeln. Vier andere Männer werden noch teilnehmen, nämlich der Bei der Mameluken, der Emir aus Inglistan, ich und Achmed es Sallah!«
»Achmed es Sallah! Warum dieser?«
»Ali en Nurabi, ich sage dir, daß du deine Tochter und deine Tiere nur dann zurückerhalten wirst, wenn du Achmed dieselbe Ehre giebst, welche du dem besten deiner Krieger erweisest. Thue, was du willst!«
»Es soll geschehen, wie du gesagt hast. Kommt alle mit mir!«
Er stürmte voran, und wir andern folgten ihm. Im Gehen gesellte sich der treue Diener zu mir. Er hatte jedes meiner Worte gehört und ahnte nun, daß ich irgend etwas vorhabe, was ihm von Nutzen sein werde.
»Achmed, ist mein Rappe sicher?« erkundigte ich mich bei ihm. »Ich hörte deine Stimme, daß du ihn irgend einem der Männer anvertraut hast.«
»So ist es, Sihdi. Du kannst ruhig sein; siehe, dort zwischen den Zelten steht der Hengst!«
»Ich danke dir! Erzähle mir schnell, wie es gegangen ist! Ich wachte bei den Pferden, sah den Krumir von den Palmen kommen, wo er euch belauscht hatte, und folgte ihm bis in das Gebüsch, wo mich seine Leute niederschlugen und banden.«
»Niederschlugen und banden? Dich, Sihdi? Dies ist das erste Mal, daß du besiegt worden bist!«
»Pah, ich wurde überrascht, aber nicht besiegt; ich habe vielmehr den Sieg noch in den Händen. Also erzähle!«
»Ich ließ Mochallah zu den Zelten zurückkehren und wartete noch ein wenig. Als ich dann zu den Pferden kam, lagen sie noch da, du aber warst verschwunden. Dies machte mir große Sorge. Ich hatte gesehen, daß du dem Krumir nicht trautest, und wußte ganz genau, daß du bei den Pferden geblieben wärst, wenn nicht etwas Wichtiges dich fortgezogen hätte. Daher nahm ich meine Pistolen zur Hand und beobachtete die Dunkelheit mit scharfen Augen und Ohren. Da hörte ich die sechs schnellen Schüsse aus deinem Rewowah, und gleich darauf erscholl der Ruf von el Büdsch, dem großen Bartgeier. Das mußte ein Zeichen sein, denn el Büdsch plaudert nicht so mitten in der Nacht. Nun sprangen gleich drei Männer aus dem Lager herbei und auf mich zu. Ich dachte, daß es Räuber seien, schoß den einen tot, und den andern verwundete ich. Als ich die andere Pistole erhob, war dieser zweite mit dem dritten bereits wieder verschwunden.«
»Ist dieser Mann wirklich tot?«
»Ja.«
»Hast du ihn genau angesehen?«
»Ganz genau. Die Kugel ist ihm durch das böse Herz gegangen.«
»Ist es der Krumir?«
»Nein. Es ist ein Uëlad Hamema.«
»So merke dir: der Schrei von el Büdsch ist das Angriffszeichen der Beni Hamema. Vielleicht ist es für später gut, dies zu wissen. Jetzt komme zur Versammlung!«
»Sihdi, du erweisest mir die größte Gnade, daß du den Scheik gezwungen hast, mich unter die Aeltesten des Stammes treten zu lassen!«
»Sei froh! Wir werden Mochallah wieder holen und dann soll sie dein Weib sein.«
»Ist's wahr, o Herr?«
»Ich hoffe, es wahr machen zu können, wenn du treu und tapfer bist.«
»Effendi, ich werde die Berge von el Hanenni und Aures einreißen, wenn ich dadurch Mochallah, die Königin der Töchter, wiedererlangen kann!«
Ich befahl dem Beduinen, welcher mein Pferd hielt, dasselbe nicht aus den Augen zu lassen und es vielmehr stets in meiner Nähe zu halten. Dann trat ich vor das Zelt des Scheiks. Man war eben bemüht, ein Feuer zu errichten und Matten zu legen, auf welcher die Dschemma Platz nehmen sollte. Der Scheik wurde von seiner Unruhe an allen Gliedern gerissen; aber er wandte alle Selbstbeherrschung auf, um ruhig zu erscheinen. Sogar die Pfeifen wurden nach alter, ehrwürdiger Sitte herbeigeholt und in Brand gesteckt, ehe das erste Wort zum Ausspruch kam. Ich kam neben dem Scheik auf den Ehrenplatz zu sitzen; neben uns hatten wir Sir Percy und Krüger-Bei; Achmed es Sallah saß ganz unten an. Nun aber ließ es Ali en Nurabi länger keine Ruhe. Er erhob sich auf die Kniee und wir thaten dasselbe. Die Beratung war eine hochwichtige, und da mußte el Fathcha, die ›Eröffnung‹ die erste Sure des Koran, gebetet werden. Ali begann:
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht den der Irrenden!«
Hierauf ließ er sich wieder auf die Schenkel nieder und bat mich:
»Nun rede, Effendi! Meine Seele wird jedes deiner Worte trinken und mein Herz dürstet nach jedem Laut aus deinem Munde.«
»Wo, sagtest du heute, sei der Krumir gesehen worden?«
»Am Bah el Halua.«
»Dort hatten sich die Söhne der Hamema verborgen, um über die Kafila herzufallen. Wie wirst du diese letztere schützen?«
»Aber, Herr, wir wollen doch jetzt nicht von der Kafila sprechen, sondern von der Verfolgung des Krumirs! Rede schnell, wenn du nicht willst, daß die Ungeduld mich töten soll!«
»Ali en Nurabi, einem Scheik und alten Krieger ziemt es, ein stilles Angesicht und eine ruhige Rede zu zeigen, selbst wenn der Smum in seinem Innern tobt. Nicht der schnellste Läufer kommt immer zuerst an das Ziel. Erlaube, daß ich dir eine Geschichte erzähle!«
»Effendi, du willst Geschichten erzählen, während mich der Eifer tötet!«
»Ich weiß, daß du nicht sterben wirst! – Da drüben jenseits des großen Meeres giebt es ein weites Land, wo nur wilde Menschen und wilde Tiere wohnen. Ich habe mit diesen wilden Männern und Tieren gekämpft und unter ihnen viele Abenteuer erlebt. In jenem Lande wächst das Gold unter der Erde, und viele gehen, es zu suchen. ich ritt mit noch drei Jägern durch die Wildnis und kam mit ihnen abends an einen Ort, wo viele Männer wohnten, welche das Gold aus der Erde gruben. Sie baten uns, ihre Gäste zu sein; wir aßen, tranken, rauchten und schliefen mit ihnen. Sie stellten eine Wache aus, aber der Mann schlief auch ein, und als ein anderer kam, ihn abzulösen, war das Gold gestohlen worden. Nun ergriffen die Männer alle die Waffen, um dem Diebe nachzueilen. Ich bat sie, bis zum Morgen zu warten, wo die Spuren der Diebe zu sehen seien; sie aber hörten mich nicht und eilten davon. Nur zwei kranke Gefährten ließen sie zurück, um das Lager zu bewachen. Am Morgen brach auch ich mit den drei Jägern auf. Wir hatten die Gastfreundschaft der Männer genossen, und so beschlossen wir, nun auch nach dem gestohlenen Golde zu suchen. Wir fanden es, kämpften mit den Dieben, töteten einige und nahmen ihnen den Raub wieder ab. Bereits am dritten Tage brachten wir das Gold in das Lager zurück; die andern aber, die so eilig gewesen waren, kamen erst nach einer Woche wieder. Sie waren vor Anstrengung, Hunger und Durst ermattet, aber das Gold hatten sie nicht gefunden. – Merkst du, o Scheik, warum ich dir diese Geschichte erzähle?«
Er nickte ungeduldig.
»So meinst du, daß wir diesem Saadis el Chabir erst beim Anbruch des Tages folgen sollten?« fragte er.
»Ja, erst beim Anbruch des Tages, oder vielleicht noch später.«
»Herr, so wird er uns entkommen!« brauste er auf.
»Weißt du, wohin er ist?«
»Nein. Als ich aus dem Zelte trat, war die Stute und auch das Kamel fort, und nachher merkte ich, daß auch Mochallah, die Tochter meines Herzens, fehlte. Gesehen habe ich keinen der Räuber.«
»Weißt du also, wohin du dich wenden mußt, um ihn zu finden?«
»Nein, aber du weißt es?«
»Ich weiß es; doch warte erst, bis man das Lager durchsucht hat. Jetzt magst du mir beantworten, wie du die Kafila schützen wirst!«
»Was kümmert mich heut die Kafila!«
Da erhob Krüger-Bei die Hand.
»Was dich die Kafila kümmert? Sehr viel, Ali en Nurabi! Ich sitze hier im Namen meines Gebieters. Mohammed es Sadak Bei, der Herr von Tunis, hat den Kriegern der Uëlad Sebira den Schutz der Karawanen anvertraut. Willst du seinen Zorn auf deinen Kopf und auf die Häupter der Deinen laden?«
»Ich bin nicht der Scheik aller Sebira!«
»Aber auf deinem Gebiet soll der Ueberfall stattfinden! Oder liegt el Halua auf dem Gebiete eines andern Scheiks?«
»Auf dem meinigen. Aber Allah wird deine Seele erleuchten, damit du einsiehst, daß ich meine Krieger heut zur Verfolgung des Krumir brauche.«
»Alle?«
»Alle!«
»Er hat nur fünf Männer bei sich!« warf ich ein.
»Dennoch bedarf ich meiner sämtlichen Männer. Wenn wir ihn ereilen wollen, müssen wir uns teilen, um ihm jeden Ausgang abzuschneiden. Und bei den Herden muß ich auch eine Anzahl zurücklassen.«
»Wir brauchen uns nicht zu teilen,« antwortete ich. »Aber davon wollen wir später reden. Da kommen wohl die Männer, die uns von der Nachsuchung berichten wollen.«
Ich hatte richtig geraten. Es kamen einige Männer herbei, welche berichteten, daß man außer der Tochter und den beiden Tieren des Scheik nur einige wertlose Teppiche vermisse, welche während der Nacht im Freien hängen geblieben seien.
»Und die Atuscha?« fragte ich den Scheik.
»Welche Atuscha?«
»Die deinige, hier hinter dem Zelte.«
»Was ist mit ihr?«
»Ist sie da, oder fehlt sie?«
Er erhob sich selbst, um nachzusehen, und kehrte bald mit der Kunde zurück, daß die Sänfte nicht mehr vorhanden sei.
»Der Krumir hat sie mitgenommen,« erklärte ich. »Und weil er Decken braucht, um die Atuscha auf dem Hedschihn zu befestigen, hat er die Teppiche, welche vermißt worden sind, an sich genommen. Laßt euch erzählen, was ich während eures Schlafes erlebte!«
»Erzähle, erzähle!« rief es rundum.
»Saadis el Chabir hatte kein Wohlgefallen in meinen Augen gefunden; ich glaubte seinem Schwur nicht und hatte die Blicke des Wohlgefallens gesehen, mit denen er mein Pferd betrachtete. Mein treuer Achmed wachte zwar bei dem Rosse, dennoch aber erhob ich mich, als ihr schliefet, um einmal vor das Duar zu gehen. Da sah ich den Krumir, welcher durch das Lager nach den Büschen schlich, in denen ihr mich gefunden habt. Ich ging ihm nach, um ihn zu belauschen; er aber hatte, ohne daß ich es wußte, sechs seiner Uëlad, Hamema dahin bestellt, die mich rücklings überfielen und niederschlugen. Als ich das Bewußtsein wieder erhielt, glaubten sie mich noch besinnungslos; daher hörte ich ihren ganzen Plan, von dem sie sprachen.«
»Welches war ihr Plan?« erkundigte sich der Scheik.
»Sie wollten Mochallah, deine Stute, dein Hedschihn und meinen Rappen stehlen, und weil sie wußten, daß Achmed es Sallah mein Pferd gut bewachte, sollte er getötet werden. Dieses letztere ist ihnen nicht gelungen, denn Achmed war treu und tapfer, er hat sie in die Flucht geschlagen.«
»Weiter hast du nichts gehört, Effendi?« fragte der Scheik.
»Ich werde darüber nachdenken. – Die Uëlad Hamema hatten mich an Händen und Füßen gebunden und mir einen Knebel in den Mund gesteckt. Sie ließen mich liegen, um mich nachher mitzunehmen, denn ich sollte ihnen ein Lösegeld bezahlen. Als sie sich entfernt hatten, ergriff ich trotz meiner gefesselten Hände die beiden Revolver, die mir entfallen waren, als ich den Schlag auf den Kopf erhalten hatte, und weckte euch mit sechs Schüssen aus dem Schlafe. Nun wißt ihr alles.«
»Aber du weißt, wohin der Krumir sich gewendet hat?«
»Ich werde darüber nachdenken. – Scheik, danke Achmed es Sallah, daß er nicht schlief, sondern wachte! Seine beiden Schüsse waren stärker als die meinigen; ihm hast du vieles zu danken.«
»Hat er mir mein Pferd, mein Hedschihn, meine Tochter erhalten?«
»Das konnte er nicht; aber er kann dir alles wiedergeben.«
»Er?«
»Ja er!«
»Beweise es, Effendi!«
»Niemand von euch weiß, wohin sich der Krumir gewendet hat, ob nach Nord oder Süd, nach West oder Ost, und daher müßt ihr den Morgen erwarten, um die Darb und Ethar zu lesen. Habt ihr einen Mann in eurem Stamme, der sich nie in der Fährte irrt?«
»Wir alle verstehen die Spuren der Menschen und der Tiere zu lesen,« antwortete der Scheik, und ich sah es den Mienen auch der andern an, daß sie ganz derselben Meinung seien.
Diese Beduinen hätten einmal einen Apachen oder Komanchen ›auf der Fährte‹ sehen sollen, dann wäre ihnen wohl eine etwas demütigere Selbsterkenntnis gekommen! Doch ließ ich mir nichts merken, sondern meinte nur:
»Dann brauchst du keine Sorge zu haben, o Scheik, und wir können uns ruhig schlafen legen, denn mit dem Morgen werden alle deine Krieger die Fährte erkennen, und du erhältst dein Eigentum schnell wieder.«
»Herr, glaube das nicht!« rief er schnell. »Der Tau und die Luft der Nacht werden die Spuren verwischt haben. Weißt du nicht, daß eine Spur kaum eine Stunde lang mit Sicherheit zu erkennen ist?«
»Ich kenne einen, der jede Darb und jede Ethar noch nach einer Woche erkennt. Ihm kann kein Mensch entgehen, den er verfolgt, und sollte er ihn durch die ganze Wüste es Sahar jagen.«
»Wer ist das, Effendi? Dieser Mann muß Augen haben wie Dschebraïl, der durch die Felsen blickt.«
»Hier sitzt er: es ist Achmed es Sallah, mein Freund und Gefährte.«
Sie alle blickten den guten Achmed erstaunt an, und dieser wieder warf seinen Blick mit einem Ausdruck auf mich, der mich beinahe zum Lachen brachte. Er verstand ja vom regelrechten Verfolgen einer Fährte eben auch nicht mehr, als ein jeder andere Beduine.
»Ist's wahr, Effendi?« fragte der Scheik überrascht.
»Zweifelst du etwa? Ich habe da drüben in dem wilden Lande, von welchem ich euch vorhin erzählte, oft eine Fährte mehrere Monate lang verfolgt, bis mir der Feind in die Hände fiel. Ich bin ihm nachgegangen über Wüsten und Sümpfe, durch Wälder und Wiesen, über Felsen und Gebirge, durch Thäler und Schluchten, über Flüsse und Bäche, durch Städte und Dörfer; oft war ich wochenweit, oft aber auch nur stundenweit hinter ihm; ich habe nach ihm die Blätter der Bäume, die Halme des Grases, die Tiere des Waldes, den Geruch des Feuers, den Stapfen des Fußes, das Wasser des Baches, das Moos der Höhle, das Geröll des Abhanges und den Schnee der Berge gefragt. Ueberall habe ich genaue Antwort erhalten, und stets habe ich endlich den gefunden, den ich suchte. Hier in diesem Lande ist Achmed es Sallah viele Wochen lang mit mir geritten; glaubt ihr etwa, daß er nichts von dem gelernt habe, der sein Lehrer war. Achmed, sage selbst: getraust du dir, den Krumir zu finden?«
Die Frage würgte ihn ein wenig, dann aber antwortete er im allerzuversichtlichsten Tone:
»Beim Barte des Propheten, ich werde ihn finden, er mag hingehen, wohin er will!«
Da wandte sich der Scheik sehr schnell an ihn:
»Wirst du auch meine Stute, mein Hedschihn und meine Tochter finden?«
Der gute Achmed warf erst einen fragenden Blick auf mich. Er fing an, mein Verhalten zu begreifen, und als er meine Augen aufmunternd auf sich gerichtet sah, antwortete er sehr entschieden:
»Alles werde ich finden!«
»Achmed es Sallah, wenn du meine Tochter und meine Tiere wiederbringst und den Räuber tötest, erhältst du zwei Pferde, drei Kamele, und fünf Schafe von mir!« gelobte der Scheik. »Ist dies genug?«
O du alter geiziger Nachkomme Hagars und Ismaels! Warte, ich werde dir sofort einen Strich durch die Rechnung machen! Ich zog ein sehr erstauntes Gesicht und erkundigte mich:
»Ali en Nurabi, wie hoch ist die Discha eines erwachsenen Kriegers? Ich habe gehört, daß bei den vier Stämmen der Krumirs, zu denen Saadis el Chabir gehört, und bei den neun Stämmen der Beni Rabka, zu denen ihr gehört, für ein Menschenleben fünfzig Kamele oder dreihundert Schafe bezahlt werden.«
»So ist es.«
»Nun wohl! Saadis el Chabir, der Räuber, hat einen der eurigen getötet; er steht im Thar, und das Ergreifen seiner Person allein ist also für euch fünfzig Kamele oder dreihundert Schafe wert. Nun sage, o Scheik, wie hoch du nun dazu deine Tochter, deine Stute und dein aschgraues Bischarihnhedschihn schätzest? Wenn Achmed es Sallah den Krumir fängt und ihm seinen Raub abnimmt, so kannst du es ihm mit vielen Herden nicht vergelten. Und du, Ali en Nurabi, du bietest ihm nur zwei Pferde, drei Kamele und fünf Schafe! Was sagt der Prophet im Koran? Er sagt: ›Wer hier auf Erden seinem Bruder weniger giebt, als er ihm zu geben hat, dem wird bei der Auferstehung das Hundertfache genommen werden; denn Allah ist der Gerechte; bei ihm gilt einer wie der andere, und alles was ihr habt, das hat er euch geliehen.‹ So spricht der Prophet. Du bist ein Ungläubiger, daß du nicht nach seinen Geboten handelst. Hast du nicht vorhin el Fathcha, die Heilige, gebetet; hast du nicht dabei gesagt: ›Führe uns nicht den Weg derer, denen du zürnest, und nicht den der Irrenden!‹ Willst du trotz deines Gebetes den Weg der Irrenden einschlagen?«
Er blickte finster vor sich hin, aber er bemerkte doch den Eindruck, den meine Worte auf die anderen gemacht hatten. Darum fragte er:
»Herr, ich weiß, daß du ein Hafizh bist, einer, der den heiligen Kuran auswendig kann. Du kennst alle Worte des Propheten und seiner Nachfolger; aber du weißt auch, daß Allah barmherzig und gnädig ist. Willst du grausam sein gegen den, der dir sein Zelt geöffnet hat? Kann Achmed es Sallah nicht für sich selber sprechen?«
»Deine Worte klingen weise, und deine Rede ist wie die eines Mannes, dem Allah die Gnade des Gedankens gegeben hat. Aber ich bin nicht auf dem Wege der Ungerechtigkeit, sondern mein Fuß wandelt auf dem Pfade des Friedens. Achmed es Sallah ist ein Mann und ein Krieger; er kann wohl sehr gut für sich selbst sprechen; jetzt aber nehme ich die Worte aus seinem Munde und lege sie auf die Lippen eines anderen. Du hast ihm heut gezürnt und mich einen Ungläubigen genannt, und also ist der Mund verschlossen. Aber es wird ein anderer für uns sprechen, einer, den du hören und dem du eine Antwort geben mußt. Ich meine den tapferen Bei der Leibscharen, der hier bei uns sitzt.«
Krüger-Bei wandte sich schnell zu mir und fragte:
»Dunderwetter, wat ist denn los? Ihnen haben hier eine Rede jehalten, die janz jewaltig und erjreifend jewesen zu sein jeschienen hat, aber ich habe ihr leider nicht verstanden. Ich soll reden, und von welche jewisse Jegenstände denn?«
»Hören Sie, Oberst!« antwortete ich ihm. »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, liebt mein Diener die Tochter des Scheik – –«
»Dat weiß ich. Ich würde ihr auch lieben, wenn die Liebe nicht zuweilen die Eijentümlichkeit zu zeigen sich anjewöhnt hätte, nicht wieder jeliebt sein zu werden zu dürfen, weil dat höhere Alter und außer dieses liejende anderweitige Verhältnissen zuweilen nicht janz jenau so jeliebt werden sollen, wie sie ihr jeliebt zu werden jewußt hätten. Verstanden?«
Ich wäre beinahe in lautes Lachen ausgebrochen. Dieser Bei der Heerscharen verstand es allerdings, sich geradezu in klassischer Schärfe über die Eigenschaften der Liebe auszusprechen. Doch beherrschte ich mich, um ernsthaft fortzufahren:
»Der Scheik hat ihm einst Hoffnung gemacht und ihm einen Preis genannt, für den er das Mädchen erhalten soll –«
»Wird er diesen Preis bezahlen zu müssen können?«
»Ja. Er ist in Konstantinopel und dann in Algier gewesen, um sich ihn zu verdienen. Nun er aber zurückgekehrt ist, soll er das Mädchen nicht erhalten, eben weil er in der Fremde gewesen ist, und sodann weil er mein Diener ist.«
»Der Ihrige? Warum denn darum nicht?«
»Ali en Nurabi hat mich einen Ungläubigen genannt.«
»Dunderwetter, den soll der Jukuk holen! Einen Ungläubigen darf man nur einen solchen Kerl nennen und jeheißen zu haben dürfen, der weder dem richtigen Glauben, noch seinem eigenen Glauben ohne Kirche und ohne Moschee bereits aus der Schule infolge der heiligen Bücher von die Worte des Propheten und der Kalifen notjedrungen aus dem einem in dem andern umjeändert zu haben janz jenau beschwören jekonnt haben wird.«
»Ganz und gar richtig, Herr Oberst! Nun also habe ich mit dem braven Achmed die Bitte, Sie möchten so freundlich sein, für ihn sozusagen den Freiwerber bei dem Scheik zu machen. Und zwar jetzt gleich. Ich weiß, welches Gewicht Ihre Worte haben werden; ich weiß auch, wie tief eindringlich Sie zum Herzen zu sprechen vermögen, und ich weiß endlich, daß es zu Ihrem eigenen Vorteile sein wird.«
»Zu meinem eigenen Vorteil? Erklären Sie mich diesem unjenauen Ausdrucke!«
»Ohne Achmed es Sallah ist es ganz unmöglich, den Krumir zu fangen. Und daß er gefangen werde, liegt doch auch in Ihrem Interesse, da er das Pferd Mohammed es Sadak Paschas gestohlen hat.«
»Dat ist richtig und auch mit die Eindringlichkeit und Herzenstiefigkeit, von die Sie sprechen, hat es seiner eijenen Richtigkeit. Ich werde infolge desselben diesem Auftrag mit Freuden zu übernehmen jeneigt zu wollen sein. Und da dieser Sache keinen Aufschub zu leiden vertragen kann, so erlauben Sie mir jefälligst, meine Rede zu beginnen und anjefangen zu haben mir jestatten. Ich bitte, Ihnen aufzupassen, welchem Respekt mir entjegenjebracht zu sehen, Sie in dat Jehör fallen wird!«
Es war hohe Zeit, daß er sich erhob, denn der Scheik vermochte kaum mehr, seine Ungeduld zu beherrschen. Als Krüger-Bei jetzt in stolzer, aufrechter Haltung vor uns stand und mit einer unbeschreiblichen Handbewegung zur Aufmerksamkeit winkte, war ich vollständig überzeugt, daß er etwas weit Besseres leisten werde, als vorhin im Deutschen. Er begann:
»Hört mich an, ihr Aeltesten der Ferkah Uëlad Sebira, und du, o Scheik Ali en Nurabi, schenke mir auch dein Ohr! Hier stehe ich, ein treuer Diener des Propheten und ein Schirm und Schild meines Gebieters, der sich Mohammed es Sadak Pascha nennt. Wer wagt es, eine Hand gegen mich zu werfen, oder ein Wort gegen mich zu reden? Hier sitzest du, o Scheik; Hunderte von Kriegern gehorchen deinem Worte, und Tausende von Seelen zählen zu den Deinigen. Dein Wort ist wie ein Schwur, und an den Spitzen deines Bartes klebt kein unerfülltes Versprechen. Hier sitzt ein junger, wackerer Krieger deines Stammes. Ich habe heut seinen Namen gehört; er lautet Achmed es Sallah Ibn Mohammed er Raham Ben Schafei el Farabi Abu Muwajid Khulani. Sein Dolch ist scharf wie der Strahl der Sonne und seine Kugel sicher wie die Gerechtigkeit des jüngsten Tages. Er hat großes Gut aus fremden Landen geholt, besitzt die Achtung seines Freundes, der ein berühmter Emir aus Dschermanistan ist, und hat heut einen Feind getötet, der euch berauben wollte. Ali en Nurabi, dieser tapfere Streiter deines Stammes hat sein Herz geschenkt an Mochallah, die Schönste der Schönen, die aus deinen Lenden geflossen ist. Er will den Preis bezahlen, den du von ihm verlangtest und wird die Tochter deines Alters ehren, wie einst Abraham sein Weib Sarah ehrte. Ich höre, daß du ihn von dir gewiesen habest, aber meine Seele glaubt nicht daran, denn das Wort eines Sebira ist fest und sicher wie el Aresch, der Thron Gottes, den achttausend Säulen und dreimalhunderttausend Stufen tragen, eine jede von der Höhe einer vollen Tagesreise. Ich stehe hier an seiner Statt und werbe für ihn um die Hand deiner Tochter. Seine Ehre ist meine Ehre, und seine Schande sei meine Schande! Dein Herz wurde heut in die Tiefen der Betrübnis getaucht, aber Achmed es Sallah ist der rechte Mann, deine Seele mit Freuden zu erleuchten. Er wird dir alles wiedergeben, was du verloren hast, wenn du ihm die zum Weibe giebst, die er sich erst erkämpfen muß. Bedenke das, o Scheik! Bedenke auch, daß jedes deiner Worte, das du ihm sagest, auch mich mit treffen muß! Du bist mein Freund, und ich bin der deinige. Allah gebe, daß wir Brüder bleiben! Du hast meine Rede vernommen, und ich bin bereit, nun auch die deinige zu hören!«
Er hatte geendet und setzte sich wieder nieder. Ich konnte nicht anders, ich mußte ihm voll Dankbarkeit die Hand drücken. Er hätte gar nicht besser sprechen können; er hatte die Sache Achmeds geradezu zu der seinigen gemacht, und nun war eine Abweisung beinahe zur Unmöglichkeit geworden. Das fühlte der Scheik. Eigentlich hätte er sich sofort erheben sollen, um seine Antwort zu geben, aber er wandte sich vorher an mich:
»Sihdi, ist er es wirklich ganz allein, der den Räuber zu verfolgen vermag?«
»Er hat es versprochen,« antwortete ich. »Kennst du einen andern, der es fertig bringt?«
»Ja.«
»Wer ist es?«
»Du selbst bist es, denn er hat es erst von dir gelernt.«
»Du hast recht, aber ich sage dir, o Scheik, daß auch ich eine Bedingung habe. Du wolltest sehen, ob mein Hengst so schnell ist, wie deine Stute, und ich verzichtete auf die Wette, da ich deine Seele nicht betrüben wollte. Nun aber sollst du erfahren, daß ich mich nicht zu fürchten brauchte. Deine Stute wird beim Anbruch des Tages einen Vorsprung von einigen Stunden haben, aber ich werde sie dennoch erreichen -wenn ich will. Soll ich für euch die Fährte lesen, so begehre auch ich Mochallah zum Lohne, aber nicht für mich, sondern für Achmed es Sallah. Wähle schnell, denn ich sage dir, es ist keine Zeit mehr zu verlieren.«
Da erhob er sich endlich. Er legte die Hände an den Bart und sagte:
»Ich schwöre hiermit bei dem heiligen Koran, bei dem Barte des Propheten, bei den Bärten aller Kalifen und auch meiner Väter und auch hier bei meinem Barte, daß Achmed es Sallah Mochallah zum Weibe haben soll, sobald er sie mir mit der Stute und dem Hedschihn übergiebt. Thut er das aber nicht, so hat er keinen Teil an ihr. Ihr alle habt meine Worte gehört! Sie sind gesprochen!«
Jetzt war der Bann gelöst. Wir alle reichten ihm die Hand, und der Oberst der Mameluken meinte fröhlich zu mir:
»Nun, habe ich mein Wort zu halten mich rühmen zu dürfen umsonst versprochen jehabt? Meine Rede hat jedermann mit sämtliche Zuhörer so tief in dem Jemüte zu rühren jekonnt, daß dieser schwere Werbung niemals ohne mir nicht als eine jelungene zu nennen jehabt werden dürfte!«
»Sie haben beinahe Unmögliches geleistet, Herr Oberst. ich danke Ihnen von ganzem Herzen!«
»Na, und auch Sie Ihr Wort hat denjenigen Eindruck übrig zu bleiben jelassen, dem man einer unjemein befriedigenden Wirkung mit volles Recht hinterher zu sehen jewähren kann. Darum dürfen wir zwei beiden uns zu trösten versuchen mit dasjenige Bewußtsein, für einem jeliebten Nebenmenschen einem Zustand jestiftet zu haben, dem auf die Seligkeit des Herzens und die lange Dauer einer juten Ehe kein anderer nie zu widmen vermocht werden würde.«
Da endlich ergriff auch der Engländer, der sich bisher natürlich hatte schweigsam verhalten müssen, das Wort:
»Aber, Sir, erklärt mir doch dies Händedrücken! Ich sitze hier wie ein Meilenzeiger zwischen Papageien. Redet doch nun einmal ein paar Worte mit mir!«
Ich erklärte ihm den ganzen Vorgang. Er lachte vergnügt, streckte behaglich seine ewig langen Beine aus und sagte dann:
»Well, freut mich! Verlobung, Hochzeit, Heirat, Ausstattung! Werde diesem guten Achmed es Sallah fünfzig Pfund geben, wenn der Krumir wirklich gefangen wird, stelle aber eine Bedingung!«
»Welche?«
»Ich muß auch dabei sein. Well!«
»Ich bin natürlich ganz von der Partie. Ihr wollt also wirklich mit?«
»Versteht sich! Yes!«
»Aber, die Gefahren – –?«
»Thunder-storm! Wollt Ihr Euch mit mir boxen, Sir?«
»Später einmal, jetzt aber nicht. Erlaubt, daß mich die andern wieder zu hören bekommen!«
Ich wandte mich wieder zum Scheik:
»Ich vermute, daß die Räuber über den Bah Abida nach der Wüste er Ramada gehen, um über den Dschebel Tibuasch zu den Uëlad Mescheer zu kommen, die ihnen befreundet sind.«
»Wie vermutest du dies?«
»Ich belauschte einige ihrer Worte. Zwar könnten sie sich anders besonnen haben, da ihr Raub nicht vollständig gelungen ist, aber es ist doch besser, für jetzt das erstere anzunehmen und unsern Entschluß danach zu fassen. Seid ihr in jenen Gegenden bekannt?«
»Nur auf den großen Wegen.«
»Aber gerade diese werden von ihnen vermieden werden, und wir sind also auf ihre Spuren angewiesen. Lebt ihr in Frieden mit den Beni Mescheer?«
»Wir haben keine Blutrache mit ihnen, aber es ist an der Grenze hin und wieder ein Weidetier abhanden gekommen.«
»So müssen wir also doch vorsichtig sein. Mit großer Macht dürfen wir nicht aufbrechen, denn unser Zug gilt nur dem Krumir und seinen fünf Uëlad Hamema. Vor den Hamema dürfen wir uns nicht sehen lassen, sobald sie zahlreicher sind, als wir, da Achmed einen der Ihrigen getötet hat. Wir können unsern Zweck auf verschiedene Weise erreichen. Die erste ist: Ich habe das einzige Pferd, mit welchem der Krumir zu erreichen ist; ich reite ihm also allein nach und schieße ihn vom Pferde.«
»Herr, sie würden dich töten!« rief der Scheik.
»Wollen wir wetten?« antwortete ich. »Wenn sie mich töten, verliere ich das Leben, wenn aber ich sie töte, so verlierst du deine Stute, die dann mir gehört!«
Ich streckte ihm meine Hand entgegen, aber er bedachte sich doch, einzuschlagen, vielmehr erklärte er:
»Du bist mein Gast, und mein Leben ist das deinige. Wir lassen dich nicht allein von hier.«
Auch die andern stimmten alle ein, und so mußte ich mich bescheiden. Ich fuhr also weiter fort:
»Wir könnten dem Krumir über Kef, Zaafran, Dschebel Schefara und Dschebel Dildschil zuvorzukommen suchen. Wir kommen dann vielleicht einen Tag früher bei den Mescheer an, suchen ihre Gastfreundschaft zu gewinnen und nehmen dann die Feinde in Empfang, sobald sie kommen.«
Die Männer schüttelten die Köpfe, und einer sprach:
»O Effendi, du willst mehr wagen, als wir dürfen. Wer kann sich auf die Freundschaft der Beni Mescheer verlassen!«
»So bleibt uns nichts anderes übrig, als den Räubern gerad auf der Spur zu folgen und sie anzugreifen, wo wir sie nur finden.«
»Werden wir sie erreichen?« fragte der Scheik besorgt.
»Ich glaube es,« antwortete ich. »Zwar könnte die Stute und das Hedschihn nur von meinem Rappen eingeholt werden, aber sie haben jedenfalls noch fünf andere Pferde bei sich, vielleicht auch sechs, da einer von ihnen erschossen wurde. Vielleicht ist sogar ein Mann mehr noch bei ihnen, denn sie haben während ihres Ueberfalles ihre Pferde wohl von einem Gefährten halten lassen müssen. Und ferner wird Mochallah hoffen, daß wir ihnen folgen; darum wird sie alles thun, um den Ritt aufzuhalten.«
»Effendi!« rief der Scheik; »deine Worte sind weise; sie träufeln Trost in meine Seele!«
»Habe keine Sorge, wir werden alles wieder bekommen, wenn wir vorsichtig sind. Besser freilich wäre es, wenn wir wenigstens einige sehr gute Pferde hätten, auf denen mehrere von uns vorausreiten und den Krumir beobachten könnten. Wie viele Männer willst du mitnehmen, Ali en Nurabi?«
»Alle!«
»Maschallah! Willst du eine Mücke mit einem Adler jagen? Es sind im höchsten Falle sieben Männer, denen wir folgen wollen. Fehlt es den Söhnen der Sebira so sehr an Mut und Tapferkeit, daß auf einen Feind hundert von ihnen zu rechnen sind?«
»Herr, bedenke, daß wir den Feind erdrücken müssen ohne Kampf!«
»Warum?«
»Wenn der Krumir sich angegriffen sieht, so wird er eher die Stute, das Hedschihn und Mochallah töten, ehe er sie uns wiedergiebt.«
»Ist das Erdrücken nicht auch ein Angriff? Können wenige Männer ihren Angriff nicht so einrichten, daß der Sieg erfochten ist, ehe der Feind sich nur zu verteidigen vermag? Willst du bei den Stämmen, an denen wir vorüber müssen, die Besorgnis erwecken, daß wir Absichten hegen, die ihnen feindlich sind? Wenn wir den Uëlad Scheren und den Uëlad Khramemsa begegnen, werden sie uns glauben, daß wir die vielen hundert Männer nur dazu verwenden wollen, um sechs oder sieben Spitzbuben zu fangen?«
»Wir werden ihnen nicht begegnen.«
»Wir werden sie ganz sicher treffen. Ein so großer Zug, wie du ihn haben willst, kann nicht verborgen bleiben. Bedenke doch, daß du viele Kamele mitnehmen müßtest, um den Proviant, die Zelte und vieles andere zu tragen, was wir nicht brauchen werden, wenn wir weniger zahlreich sind!«
»Er hat recht!« sagte Krüger-Bei. »Hundert Mann sind genug.«
»O, hundert Mann sind noch viel zu viel!« antwortete ich.
»Wie viel meinst du denn, daß wir Krieger brauchen, Effendi?« fragte mich der Scheik.
»Nicht mehr als zwanzig.«
»Herr, das ist zu wenig!«
»Nein! Bedenke, daß du auch mitgehst, dann Achmed es Sallah und dieser tapfere Emir aus Inglistan. Mich selbst will ich auch erwähnen. Wir allein wären vollständig hinreichend, den Krumir zu überwältigen. Die sechs oder sieben Feinde während eines Nachtlagers zu überraschen, wären drei erfahrene Jäger vollständig genug. Bedenke auch, daß du die Mehrzahl deiner Männer zum Schutze der Kafila verwenden mußt!«
Diesen Gegenstand erfaßte Krüger-Bei sofort mit Energie. Die Beratung wurde lebhafter, denn auch jeder der Aeltesten wollte seine Meinung hören lassen, und als sie dann beendet war, durfte ich das Resultat kein erfreuliches nennen: Hundertfünfzig Männer sollten unter Anführung des einen Sohnes des Scheik der Kafila entgegengehen, und unsere Truppe sollte aus sechzig Mann bestehen. Die anderen blieben unter dem anderen Sohne zum Schutze des Lagers zurück. Sir Percy lächelte verächtlich, als ich ihm dieses Ergebnis mitteilte.
»Pshaw,« meinte er; »diese Beduinen sind Feiglinge! Lassen große Fantasias und Kriegsspiele sehen und haben Angst, sobald es Ernst wird!«
»Das will ich nicht sagen, Sir. Der Araber ist nicht gewohnt, wie die Indianer dem Feinde einzeln und wie ein blutdürstiges Tier nachzufolgen, um täglich einen zu skalpieren. Der Beduine liebt den Kampf, aber dieser darf nicht heimlich fressen, sondern muß mit dem möglichsten Schaugepränge verbunden sein. Leider bin ich überzeugt, daß wir mit zehn Männern den Krumir leichter und eher gefaßt hätten, als mit diesen sechzig.«
»Well! Kommt, Sir; wollen miteinander vorangehen und die Geschichte allein abmachen!«
»Fast hätte ich Lust dazu; aber ich habe mein Wort gegeben, bei der Expedition zu bleiben.«
»Gut, so bleiben wir. Aber ich sage Euch, daß ich ganz allein vorwärts gehen würde, wenn ich richtig arabisch reden könnte. Yes!«
Jetzt wurden nun schnell die nötigen Vorbereitungen getroffen. Man lud Proviant und Munition auf und nahm auch eine ziemliche Anzahl Girba mit, um sie später für den Ritt durch die Wüste er Ramada mit Wasser zu füllen. Gerade als diese Vorkehrungen beendet waren, war die Zeit des Fedscher herangerückt. Der Morgen rötete sich im Osten, und die Beduinen sanken neben ihren Pferden auf die Kniee, um, das Gesicht gegen Mekka gerichtet, ihr erstes Gebet zu verrichten.
Nun war es Zeit, uns zu überzeugen, ob der Krumir auch wirklich die vermutete Richtung eingeschlagen habe.
»Wie werden Ihnen dieses anfangen, um es janz jenau sehen und behaupten jekonnt zu dürfen?« fragte mich Krüger-Bei.
»Nichts leichter als das!« antwortete ich. »Sehen Sie die Trinkstelle neben dem Zelte des Scheiks. Sie hat zwei Abteilungen, die eine für das Lieblingspferd und die andere für das Lieblingskamel des Herrn, denn ein Rassepferd trinkt nie gern aus demselben Gefäße, aus welchem bereits ein Dschemmel getrunken hat. Durch das verschüttete Wasser nun ist der Boden feucht geworden, und die Hufe der Tiere haben sich in demselben eingedrückt. Sehen Sie?«
»Ich jestehe sehr jern, alles dieses jenau erkennen zu dürfen.«
Ich entnahm meinem Verbandzeuge eine Schere und zog das nötige Papier aus der Tasche. Dann fuhr ich fort:
»Jetzt schneide ich mir diese Spuren ganz genau in Papier aus und zeichne das innere Bild der Hufe mit dem Stifte nach – – so! Nun steigen Sie auf das Pferd, und kommen Sie mit mir. Achmed mag uns begleiten.«
Wir drei stiegen auf und verließen das Lager. Ich ritt voran und galoppierte gerade nach Süden und auf die Schlucht zu, von welcher der Krumir gesprochen hatte. Wir erreichten sie in fünf Minuten, trotzdem sie eine volle halbe Stunde vom Duar entfernt lag. Ich stieg ab und untersuchte das Terrain. Bereits nach zwei Minuten hatte ich gefunden, was ich suchte.
»Steigen Sie vom Pferde, Oberst, und treten Sie näher!« bat ich. »Sehen Sie sich doch einmal diese Stelle an!«
»Ich sehe Gras, weiches niedergedrückt jewesen zu scheinen jesonnen ist.«
»Es war allerdings niedergedrückt und zwar im Vierecke; ein geübtes Auge kann die Ränder desselben noch ziemlich deutlich verfolgen. Und hier, nahe an der andern Seite des Vierecks?«
»Da scheint jemand im den Grase jescharrt und etwas suchen jewesen jehabt zu haben.«
»Nun sehen Sie: Hier hat eine viereckige Decke am Boden gelegen; auf derselben hat ein Mann geruht. Seine Füße langten über die Decke hinaus, und so hat er bei jeder Bewegung mit den Sandalen in dem Grase gerieben. Verstehen Sie das?«
»Da Ihnen es mich jesagt haben, so scheint es mich einzuleuchten sehr deutlich jeworden zu sein.«
»Natürlich ist dieser Mann nicht allein hier gewesen; es steht vielmehr zu vermuten, daß er die Pferde bewachen sollte, welche dem Krumir und seinen Uëlad Hamema gehörten. Wo werden diese Pferde gewesen sein?«
»Dieses zu sagen, kann sich mein Jeist nicht träumen zu lassen so schnell vermuten.«
»Wer Pferde zu bewachen hat, der wendet ihnen auf alle Fälle sein Gesicht zu. Sie werden also in derselben Richtung gestanden haben, in welcher er seine Füße liegen gehabt hat, also wohl bei den Büschen dort, die meist nur aus Baten bestehen. Kommen Sie! – Da, sehen Sie, daß der Boden niedergestampft ist und mehrere Zweige zu Schlingen gedreht sind? Diese Schlingen haben zur Befestigung der Zügel gedient; es sind ihrer sieben, also dürfen wir auf ebensoviele Pferde schließen. Leuchtet Ihnen auch dieses ein?«
»Erlauben Sie mich, Sie zu diesen unjeheurem Scharfsinn meine Gratulation erjebenst hinnehmen und entjegenjebracht zu mögen! Aber wie wollen Sie Ihnen nun auch dat Kamel, der Stute und dem jeraubten Mädchen finden werden?«
»Vielleicht gelingt mir auch das. Die Räuber sind jedenfalls inmitten der Schlucht geritten, wo der feste, steinige Boden keine Spuren hinterlassen hat. Aber es steht sehr zu vermuten, daß sie die Stute und besonders das Kamel erst gehörig getränkt haben, ehe sie ihm die Sänfte aufschnallten. Hier kann dies nicht geschehen sein, weil die Ufer des Baches zu hoch sind. Gehen wir also weiter. Ich bin überzeugt, daß wir Spuren finden werden, sobald wir eine Stelle erreichen, wo die Ränder des Baches nicht hoch über dem Wasser stehen.«
Meine Vermutung bestätigte sich schon in ganz kurzer Zeit. Der Bach schlug einen ziemlich eben liegenden Bogen, der eine kleine Halbinsel umrandete, auf welcher sich von der Zeit der Frühlingsüberschwemmungen her ein grober, mit einzelnen Steinbrocken untermischter Sand abgelagert hatte. Dazwischen war ein spärlicher, schmalhalmiger Graswuchs zu sehen. Diese Art Boden war natürlich geeignet, die leiseste Fußspur aufzunehmen und für lange Zeit festzuhalten.
Außerhalb dieses kleinen Platzes war der harte Weg vielfach zerscharrt.
»Sehen Sie, Oberst, hier haben die sieben Pferde nach ihrem Aufbruche gehalten. Und hier, sehen Sie den deutlichen Eindruck im Sande? Hier hat die Atuscha gestanden, ehe man sie auf das Hedschihn schnallte. Bemerken Sie die Spur eines Kameles und eines Pferdes hier am Wasser? Ich nehme meine Papierabdrücke hervor. Sehen Sie, wie genau sie passen? Hier ist die Stute und das Hedschihn gewesen, und hier – ah, was hat dieser rote Faden zu bedeuten?«
»Dieses zu wissen kann kein anderer Mensch als nur Ihnen zu erraten befähigt jeworden dat jroße Glück zu haben.«
»An diesem Faden klebt Blut. Man hat irgend ein Gewebe zerrissen, um den Verwundeten zu verbinden, der die Kugel Achmeds erhalten hat, und dabei ist dieser Faden an dem kleinen Zweige hängen geblieben. Hier rechts, unter der jungen Tscham hat jemand gelegen. Ach, es ist Mochallah gewesen.«
»Dunderwetter! Woher wollen Sie Ihnen dat so jenau zu wissen es erraten jehabt zu können?«
»Sehen Sie nicht, daß von dem Zweige die meisten Nadeln wie mit den Händen abgestreift worden sind? Sie hat sich geweigert, mitzugehen, sie hat sich an dem Zweige festgehalten; man hat sie losgerissen, und dabei sind die Nadeln abgezogen worden.«
»Allah akbar – Allah ist jroß, aber Ihnen Ihre Jeistesjegenwart ist um ein Erstaunen zu erregen bewundert jeworden!«
»Maschallah!« rief da Achmed, der zwar kein Wort unseres Deutsch verstehen konnte, aber jeder unserer Bewegungen mit Aufmerksamkeit gefolgt war. »Sihdi, siehe her! Was ist das?«
Er hatte neben der Pinie ein Stück tonigen Schiefers gefunden, welches er mir entgegenreichte. Auf der einen Seite des kleinen Steines war mit unsicherem Zuge, aber doch deutlich genug, ein arabisches m eingegraben, also der Anfangsbuchstabe von Mochallah.
»Weißt du nicht, ob Mochallah etwas Scharfes bei sich trug?« fragte ich Achmed es Sallah.
»Herr, sie hat stets ein kleines Mun um den Hals hängen.«
»Sie weiß, daß wir den Räubern folgen werden, und hat uns ein Zeichen geben wollen. Es ist sehr zu wünschen, daß sie dies öfters thut.«
»O, sie wird es thun, Sihdi! Diesen Stein aber werde ich bei mir behalten, bis ich sie wiederfinde.«
»Nun gilt es nur noch, uns zu überzeugen, daß sie längs des Baches diese Gegend verlassen haben,« meinte ich. »Wir wollen also noch ein Stück weiter gehen.«
Wir verfolgten die Schlucht noch tiefer und fanden genug Hufspuren, um unserer Sache sicher zu sein. Dann kehrten wir wieder zum Duar zurück, wo man sehnlichst auf uns gewartet hatte.
»Effendi, laß uns fortgehen! Vielleicht erreichen wir die Räuber noch am heutigen Tage!« bat der Scheik.
»Daran glaube ich nicht, Ali en Nurabi. Sie können stracks vorwärts reiten, während wir eine große Zeit im Suchen ihrer Spuren verlieren müssen. Was hast du für ein Pferd?«
»Dieser Fuchs ist sehr gut, wenn er auch nicht die Schnelligkeit der Stute besitzt.«
»Auch Achmed und der Emir aus Inglistan reiten gute Pferde. Wir werden uns also von den andern scheiden können.«
»Scheiden?« fragte er. »Warum?«
»Weißt du nicht, daß jedes Kriegsheer eine Abteilung haben muß, welche voranreitet, um die Gegend zu erkunden und für die Sicherheit der andern zu sorgen? Dies werden wir thun, weil wir die besten Pferde haben. Deine sechzig Krieger können uns mit Sicherheit folgen, da wir ihnen stetig Zeichen zurücklassen werden, welche Richtung wir eingeschlagen haben. Besprich diese Zeichen mit ihnen, und laß uns Abschied nehmen, damit wir unser Tagewerk beginnen können!«
Mein Vorschlag leuchtete ihm schnell ein, und er befolgte ihn sogleich.
Der Anführer der tunesischen Heerscharen konnte sich unserer Expedition natürlich nicht anschließen. Er kehrte mit seinen Begleitern, aber ohne den Engländer, nach el Bordsch zurück, wobei er eine große Strecke mit den Uëlad Sebira reiten konnte, die der Kafila entgegengingen.
»Nun kommen auch Ihnen an die Reihe,« sagte er, als er bereits von den übrigen Abschied genommen hatte. »Glauben Sie mich – dat Scheiden ist die unanjenehmste Erfindung, die jemals jemacht worden zu sein mir verdrossen hat. Werden wir uns einmal wieder zu sehen die Jelegenheit geboten sein?«
»Inschallah – wenn es Gott gefällt. Die Wege des Menschen sind im Buche verzeichnet.«
»Ich weiß, daß Sie pflegen, mein Freund jeworden zu sein. Wollen Ihnen mich einmal einem Jefallen zu erweisen die Jewogenheit behaupten?«
»Sehr gern, wenn es mir möglich ist.«
»Dann sind Sie doch einmal so jut, und schießen Sie dem Krumir nicht janz tot, wenn Sie ihm finden, sondern schicken Sie ihm mich nach Tunis, wo wir ihn zeigen werden, was einem jestohlenen Fliegenschimmel für seine eijentümliche Bewandtnis hat. Sollten Sie selbst einmal nach Tunis eintreffen, so verjessen Sie Ihnen nicht, mir zu besuchen. Jetzt aber adieu, juten Morjen und jute Reise. Allah sei mit Sie nebst dem Propheten! Nehmen Sie Ihnen vor die Uëlad Hamema in acht, und verjessen Sie mir nicht, der ich Ihr Freund zu sein mir als juter Bekannter stets einjewilligt haben werde!«
Ich erwiderte seine herzlichen Worte, und dann schieden wir, die einen nach Norden und wir anderen nach Süden. Ich habe den wackern, originellen Mann niemals wiedergesehen, aber noch immer steht sein Bild so lebhaft vor meiner Seele, als ob ich erst gestern von ihm geschieden sei.
Die Schlucht war bald wieder erreicht. Hier erklärte ich dem Scheik in Kürze die Bedeutung der vorhandenen Spuren, und dann ging es vorwärts. Es war keine leichte Aufgabe, die vorhandene Fährte auf dem meist felsigen Terrain festzuhalten, doch wurde ich sehr unterstützt durch die Kenntnis der Richtung, welche der Krumir verfolgte.
Er hatte gesagt, daß er den Bah Abida übersteigen werde. Dieser lag von dem Ausgangspunkte unseres Rittes in gerader Linie ungefähr dreißig Kilometer oder vier deutsche Meilen entfernt. Da wir aber mehrere bedeutende Höhen zu umgehen und verschiedene Gewässer zu durchschwimmen hatten, so mußten wir wenigstens sechs Meilen rechnen. Dazu kam der Zeitverlust, welchen das Aufsuchen der Spur verursachte, so daß ich gut fünfzehn Stunden rechnete, welche wir brauchten, um den Bah Abida zu erreichen.
Wir gingen über den Hemormta Wergra, durchschwammen den Anneg und bald darauf den bedeutenden Milleg und hielten zu Mittag in einem Querthale des Dschebel Tarf eine kurze Rast. Gerade an demselben Punkte hatte der Krumir auch ausgeruht; die Spuren davon waren ganz deutlich zu erkennen. Dieses Thal ist etwa fünf Stunden lang, erstreckt sich von Westen nach Osten und wird von einem Bache durchzogen, der auf dem Bah Abida entspringt. Gerade vor uns also hatten wir diesen Berg, links Bu Baheur, Mesara und Bordsch Bir bu Hamed, und rechts das Land der Scherehn und Uëlad Yhramemssa. Da wir die Gesinnung dieser Leute nicht kannten, so galt es, von jetzt an sehr vorsichtig zu sein. Der Krumir hatte denselben Gedanken gehabt; er war, wie sich bald herausstellte, nicht in dem Thale geblieben, wo er jeden Augenblick eine Begegnung erwarten konnte, sondern hatte rechts die Hochebene erstiegen, um auf derselben den Abida zu erreichen. Natürlich folgten wir ihm. Da oben dehnte sich ein meilenweites Plateau rechts nach dem Wadi Serrat hinüber, und gerade vor uns sahen wir in stundenweiter Entfernung den Abida sich erheben. Die Fährte wurde hier außerordentlich deutlich, denn die Verfolgten waren im Galopp geritten, jedenfalls um dieses offene Land baldigst hinter sich zu legen. Sie hatten, wie ich aus der Beschaffenheit der Spur erkannte, einen Vorsprung von kaum drei Stunden vor uns, und ich sagte dies dem Scheik.
»Hamdulillah – Gott sei Dank!« rief er. »Wir werden sie noch heute erreichen!«
»Du irrst, Ali en Nurabi,« antwortete ich ihm. »Oder ist deine Stute ein so schlechtes Pferd, daß es sich diesen Vorsprung in so kurzer Zeit abgewinnen läßt?«
»Wir reiten die ganze Nacht hindurch!«
»Kannst du des Nachts die Spuren erkennen?«
»Du hast recht. Allah verdamme die Finsternis! Komm, laß uns vorwärts eilen!«
Wir flogen dahin, als ob wir selbst die Verfolgten seien. Mein Rappe stöhnte laut auf vor Lust; man merkte es seinen graziösen, spielenden Bewegungen an, daß es ihm leicht sei, die jetzige Schnelligkeit zu verdoppeln. Hätte ich ihm den Willen gelassen, so wäre ich in einigen Minuten mit ihm verschwunden gewesen.
So ging es brausend über den ebenen Boden dahin, doch bald begannen die Pferde der andern zu schäumen und zu schnauben; eines nach dem andern blieb zurück, und nur die Wadi Serrat-Stute meines Achmed zeigte keine Ermüdung. Wir mußten unsere Schnelligkeit mäßigen, hatten aber doch in dieser kurzen Zeit eine ganz bedeutende Strecke überwunden. Der Scheik war außer sich vor Zorn, daß sein Fuchs keine bessere Ausdauer zeigte.
»Sahst du bereits einmal ein Pferd, welches so viel versprochen und doch so wenig gehalten hat wie dieses?« fragte er mich. »Es war eines meiner besten Pferde, aber seit heute hat es den Scheitan im Leibe mit allen bösen Geistern der Dschehennah . Aber es wird dennoch laufen müssen, laufen, bis es zusammenbricht!«
»Dann nimmst du den Sattel auf den Rücken und versuchst, ob du auf deinen eigenen Beinen schneller vorwärts kommst. O Scheik, der eiligste ist nicht stets auch der schnellste!«
»Du spottest meiner, Effendi!«
»Nein, denn auch mir ist es unangenehm, daß dir dein Pferd den Dienst versagt. Du solltest mit mir den Deinigen voranreiten; nun aber giebt es nur drei, die dies zu thun vermögen.«
»Wer?«
»Ich, Achmed und höchstens noch der Engländer.«
»Herr, verlasse uns nicht! Wir wissen nicht, was uns begegnen kann, wenn du vorne bist; auch könnten wir leicht deine Spur verlieren.«
»Aber es ist jedenfalls besser, wenn«
Ich hielt inne, noch ehe ich mit der Aufzählung meiner Gründe begonnen hatte, denn rechts von uns tauchten zwei Reiter auf, welche bei unserm Anblicke stutzend halten blieben und dann ebenso schnell wieder verschwanden, als sie gekommen waren.
»Was waren dies für Männer?« fragte ich.
»Beni Scherehn oder Khramemssa,« antwortete der Scheik.
»Das ist unangenehm; doch vielleicht sind sie allein und wir bleiben unbelästigt. Laß uns wieder schnell reiten!«
Dies war schneller gesagt als gethan, und kaum waren zehn Minuten verstrichen, so tauchte zu unserer Rechten eine Staubwolke auf, hinter der eine bedeutende Zahl Reiter zu vermuten war. Sie hielt sich zuerst parallel mit uns, ging dann in ein beschleunigtes Tempo über, um uns den Weg zu verlegen.
»Sind dies Feinde, Sir?« fragte mich der Engländer.
»Vielleicht!«
»High-day! Endlich ein Abenteuer! Sagte ich es nicht, daß man nur mit Euch zu reiten braucht, um etwas zu erleben? Habe eine Doppelflinte, zwei Pistolen und zwei Revolver, giebt also achtzehn Schüsse, das Messer gar nicht gerechnet. Wird prächtig werden, der Spaß. Yes«
Er fuhr vor Vergnügen mit seinen unendlichen Armen durch die Luft, als ob er wie weiland Ritter Don Quixote, seligen Angedenkens, mit Windmühlen fechten wollte.
»Freut Euch nicht zu früh, Sir,« warnte ich. »Unsere Aufgabe ist es, den Krumir zu fangen, wir müssen also jeden Zeitverlust und auch jeden Kampf zu vermeiden suchen.«
»Well, richtig! Aber im Vorbeireiten können wir doch immerhin ein wenig schießen. Nicht?«
»Ich hoffe nicht, daß man uns dazu zwingen wird!«
Jetzt hatte der fremde Reitertrupp uns die Richtung abgewonnen und blieb in unserm Wege halten. Es war eine ganz bedeutende Schar; sie konnte über hundert Köpfe zählen.
Der Anführer stellte seine Leute in ein Vordertreffen und eine Reserve auf und erwartete uns in einiger Entfernung vor seiner Linie. Scheik Ali en Nurabi gebot den Seinen, halten zu bleiben, und ritt auf den Anführer zu. Ich schloß mich ihm an.
»Kennst du den Fremden?« fragte ich ihn.
»Jetzt erst sehe ich seine Züge, und nun erkenne ich ihn.«
»Wer ist es?«
»Es ist ein Feind; es ist Hamram el Zagal, der grausamste Scheik der Khramemssa. Ich habe ihn in Kin Juhsuf und in Segrid gesehen. Er verlangt Tribut von jedem, der sein Gebiet betritt, und wer nichts geben kann, muß mit ihm kämpfen. Er hat schon viele arme Männer getötet, die den Zoll nicht entrichten konnten. Er wird ein großes Geschenk von uns fordern.«
»Wonach richtet sich die Höhe dieses Geschenkes?«
»Nach dem Reichtum der Reisenden und nach der Zahl der Köpfe.«
»Hättest du zwanzig Männer genommen anstatt sechzig, so kämen wir billiger davon.«
»Ich zahle nichts!«
»Bedenke, daß wir keine Zeit zu verlieren haben, und diese Khramemssa sind doppelt so stark als wir.«
»Fürchtest du dich, Effendi?«
»Pah!«
Wir waren jetzt an Scheik Hamram, der den Beinamen el Zagal hatte, herangekommen.
»Sallam aaleikum!« grüßte Ali en Nurabi, indem er sein Pferd parierte.
»Wer bist du?« fragte der Gegner, ohne den Gruß zu erwidern.
»Kennst du mich nicht mehr? Ich bin Ali en Nurabi, der Scheik der Rakba vom Ferkah Uëlad Sebira.«
»Und ich bin Hamram el Zagal, Ben Hadschi Abbas er Rumir Ibn Schehab Abil Assaleth Abu Tabari el Faradsch.
Ich bin der Herr und Anführer dieser tapfern Krieger vom Stamme der Khramemssa, und ich frage dich, was du hier auf unserm Gebiete zu suchen hast?«
»Wir verfolgen einen Räuber, der mir meine Lieblingsstute, mein bestes Hedschihn und meine Tochter geraubt hat, und bitten dich, uns durch dein Gebiet reiten zu lassen.«
»Wer sich seine Stute, sein Dschemmel und seine Tochter stehlen läßt, der ist nichts anderes wert, als daß sie ihm geraubt werden. Haben die Uëlad Sebira keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören? Wer durch mein Land reiten will, muß das Geschenk bezahlen.«
»Wie viel verlangst du?«
»Wer ist der Räuber, den du verfolgst?«
»Es ist Saadis el Chabir, der Krumir von Ferkah ed Dedmaka. Er hat noch mehrere Reiter bei sich, die zu den Beni Hamema gehören.«
»Saadis el Chabir ist hier durchgekommen, und wir haben mit ihm gesprochen. Er hat keinen Raub bei sich. Er ist mein Freund. Du wirst sehr viel zahlen müssen, wenn du vorüber willst.«
Dieser tapfere Hamram log. Hätte er wirklich eine Zusammenkunft mit dem Krumir gehabt, so würde ich dies an der Fährte gesehen haben. Er machte überhaupt den Eindruck eines rohen, wilden Menschen. Breitschulterig und von einem überaus muskulösen Gliederbau, ragte er um eines Kopfes Höhe über seine Leute hinaus. Er war ein wahrer Enakssohn. Bewaffnet war er mit zwei Flinten, einem Dolche, einer Pistole, einer Keule und mehreren Wurfspeeren. Sein Anblick mußte auch einen mutigen Mann bedenklich machen.
»Wie viel verlangst du?« erkundigte sich Scheik Ali.
»Wer ist der Mann an deiner Seite?«
»Ein Emir aus dem Frankenlande.«
»Ein Giaur? Allah vernichte ihn! Und der Mann, der dort vor den Deinen hält?«
»Ein Emir aus Inglistan.«
»Auch ein Ungläubiger? Allah möge sie zermalmen. Höre, was ich dir sage: jeder deiner Männer giebt ein Schaf; du giebst zwanzig Schafe und jeder der Giaurs zahlt fünfzig Schafe.«
»Das sind beinahe zehnmal zwanzig Schafe; das könnte ich nicht geben, selbst wenn ich so viele Tiere bei mir hätte.«
»So zahlst du die Hälfte und kehrst wieder um!«
»Du verlangst den Zoll, selbst wenn wir wieder umkehren?«
»Glaubst du, daß ich euch umsonst entkommen lasse?«
»Steige herunter von deiner Forderung!«
»Um kein einziges Schaf! Was Hamram el Zagal gesagt hat, das bleibt gelten. Oder willst du vielleicht mit mir kämpfen?«
Es galt vor allen Dingen, diese Verhandlung abzukürzen. Ali en Nurabi konnte diesen Riesen nicht besiegen, das war sicher. Ich ritt also noch um einen Schritt vor und sagte:
»Du willst mit einem von uns kämpfen? Hat dich Allah aus der Reihe der Lebenden gestrichen, daß du solche Worte wagest? Was sind deine hundert Khramemssa gegen meine tapfern Sebira, und was bist du selbst gegen einen Emir aus dem Lande der Helden?«
Ich sprach mit Absicht in der überschwenglichen Weise der Wüstensöhne; ich hatte noch mit andern Männern gekämpft und gerungen, als er war; ich wußte mich ihm überlegen, und darum wollte ich ihn von Ali auf mich lenken. Es gelang mir. Er erhob sich erstaunt im Sattel und starrte mich an.
»Thibb el Kelb – Hund von einem Schakal!« rief er. »Wirst du mir sofort die Hand ablecken, damit ich dir verzeihe!«
»Wenn deine Hand schmutzig ist, so lecke sie selbst ab! Dein Maul ist groß genug dazu. Wie kannst du dich unterfangen, fünfzig Schafe von mir zu verlangen! Siehe, hinter mir halten sechzig Krieger; aber auch wenn sie nicht hier wären, wenn ich ganz allein wäre, würdest du nicht das Haar eines Schafes erhalten. Man sieht euch an, daß euer Mut kleiner ist als eure Worte!«
Seine Augen funkelten; seine Lippen zuckten, und er stieß einen heisern Schrei der Wut aus.
»Mensch, bist du wahnsinnig!« brüllte er. »Du wagest es, zu Hamram el Zagal solche Worte zu sagen. Gut, du sollst mit mir kämpfen, aber nicht nur um den Zoll, sondern um das Leben!«
»Ich bin bereit. Aber hüte dich! Mein Pferd ist besser als das deine, und meine Waffen sind es auch.«
»Ich sehe, daß du die Waffen der Franken hast,« lachte er höhnisch, »aber du wirst sie nicht brauchen dürfen. Das Pferd und die Waffen des Besiegten gehören dem Sieger. Lege sie von dir, und steige ab, wie ich es thue. Wir werden nur mit den Händen kämpfen, und der eine wird den andern erwürgen.«
»Du sollst deinen Willen haben, el Zagal. Wir beide werden ehrlich miteinander kämpfen, aber die andern sollen auch ehrlich gegeneinander sein.«
»Was sollen diese Worte sagen?«
»Ich verlange das Recht der Schilugh. Besiegest du mich, so ist alles, was mir gehört, dein Eigentum, und diese Uëlad. Sebira werden dir den Zoll bezahlen, den du verlangt hast; besiege aber ich dich, so gehören dein Pferd und deine Waffen mir, und wir können ohne Zoll und Aufenthalt durch euer Gebiet reiten.«
Seine Augen hafteten mit Begier auf meinem Pferde.
»Es soll dein sein, wie du begehrst,« antwortete er.
»Wenn einer von uns beiden gefallen ist, wird Friede sein zwischen den andern?«
»Ich verspreche es!«
»Schwöre es!«
»Ich schwöre es bei Allah und allen Moslemin, die gelebt haben und noch leben werden!«
»Auch die Deinen schwören es?«
»Mein Schwur gilt mit für sie.«
»So steige herab!«
Ich winkte Achmed und den Engländer herbei, um ihnen mein Pferd und meine Waffen zu übergeben. Dabei erklärte ich Sir Percy den Vorgang.
»Zounds,« rief er, »hundert Pfund würde ich geben, wenn ich an Eurer Stelle wäre!«
»Seht Euch den Kerl an, Sir! So ein Gang ist nicht ganz ungefährlich!«
»Hm! Da legt er den Haik ab. Diese Muskeln! Dieser alte Boy hat Arme wie ein Elefant. Nehmt Euch in acht, Sir; die Sache ist allerdings bedenklich. Gebt ihm einen richtigen box on the stomach, daß ihm die Seele abhanden kommt; das ist das Beste!«
»Pah! Ihr habt ja damals in Indien meine Art Jagdhieb gesehen; ein einziger davon ist genug.«
»Ihr werdet Euch die Faust zerschlagen, Sir!«
»Ich glaube nicht, daß der Kopf dieses Khramemssa härter ist als die Indianerschädel, die ich bereits getroffen habe. Sollte mir aber etwas Menschliches passieren, so haltet Ruhe; ich habe es versprochen!«
Auch ich warf den Haïk von mir. Die andern wichen zurück, und nun standen wir uns allein gegenüber. Der Riese schien mir weit überlegen zu sein; er selbst war so überzeugt hievon, daß er ohne alles Vorspiel sofort zum Angriff überging. Mit einem weiten, kräftigen Sprunge stürzte er sich auf mich, um mich zu erfassen. Er konnte mir die Sache gar nicht leichter machen. Ich drehte mich schnell zur Seite, und während er mit beiden Armen in die Luft griff, schlug ich ihm die Faust mit solcher Gewalt gegen seine rechte Schläfe, daß er augenblicklich zusammenbrach. Ein lautes Geschrei erhob sich von beiden Seiten, aber getreu dem Schwure ihres Anführers, wagte es keiner der Gegner, sich vom Platze zu rühren.
Ich kniete auf den besiegten Feind und hielt ihn bei der Kehle. Ein zweiter Hieb hätte ihn getötet, doch lag dies ganz und gar nicht in meiner Absicht. Nach kurzer Zeit kam er wieder zu sich und machte eine Anstrengung, emporzukommen, doch hielt ich ihn fest unter mir. Er wandte seine ganze Kraft an, mich abzuwerfen, aber ich brauchte nur den Finger fester um den Hals zu schließen, um jeden Widerstand zu brechen.
»Giebst du zu, daß du besiegt bist?« fragte ich ihn.
»Töte mich, Hund!« stöhnte er.
Da ließ ich die Hand von ihm und stand auf.
»Erhebe dich, Hamram el Zagal; ich will dein Leben nicht!«
»Nimm es! Ich mag es nicht mehr haben.«
»Stehe auf! Ich sage dir, daß es keine Schande ist, von einem Emir aus dem Frankenlande besiegt worden zu sein.«
»Aber eine Schande ist es, sein Pferd und seine Waffen zu verlieren!«
»Behalte sie. Ich schenke sie dir!«
Er war trotzig liegen geblieben; jetzt aber schnellte er rasch empor.
»Ist's wahr? Läßt du mir alles?«
»Alles! Du hast mich beleidigt; du hast mich einen Hund und einen Schakal genannt; aber der Prophet sagt: ›Wer sich rühmt, seinem Freunde Gutes zu erweisen, der sei still; wer aber seinem Feinde Barmherzigkeit erzeigt, dem stehet die Hand Gottes offen.‹ Komm, nimm und iß; wir wollen Freunde sein!«
Ich ging zu meinem Pferde, nahm aus der Satteltasche eine der darin befindlichen Bela, zerbrach sie und reichte ihm die Hälfte, während ich die andere Hälfte aß. Er ließ sich wirklich überraschen und steckte die Dattel in den Mund. Jetzt waren wir sicher; jetzt hatten wir gewonnen. Er nahm seine Waffen wieder auf und bestieg sein Pferd.
»Ich habe mit dir gegessen; du bist mein Freund. Kommt mit nach dem Duar, um meine Gäste zu sein!«
»Erlaube uns, dies nach unserer Rückkehr zu thun! Wir dürfen keine Zeit versäumen, wenn wir die Leute erreichen wollen, welche wir suchen.«
»Du betrübst meine Seele, o Emir. Aber sage mir, ob ihr eine Blutrache habt?«
»Ja. Der Krumir hat einen Sebira getötet.«
»So eilt, ihm nachzukommen. Der Zoll sei euch erlassen. Es sei Friede zwischen den Sebira und den Khramemssa. Allah schütze euch!«
Das erst so gefährlich scheinende Abenteuer war glücklich beendet, und ich merkte zur Genüge, daß mein Kredit bei den Gefährten um ein bedeutendes gestiegen war. Wir setzten unsern Weg unbelästigt fort, und die Khramemssa kehrten ohne Beute nach ihrem Duar zurück.
Ich schlug dem Scheik nochmals vor, mit Achmed voranzureiten; aber nach dem, was wir soeben erfahren hatten, wollte er uns nun gar nicht missen. Es ging im scharfen Tempo über die Hochebene dahin. Der Bah Abida trat immer näher und deutlicher an uns heran. Wir erreichten ihn kurz nach dem Nachmittagsgebete, und erstiegen, immer der Fährte folgend, seinen sanften westlichen Abhang so leicht, daß wir gerade mit Sonnenuntergang den Gipfel erreichten.
Gegen Osten fällt er sehr steil in die Ebene hernieder. Wir sahen im Nordosten die Kuppen des Zaafran im Abendrot erglühen; weit gegen Morgen leuchtete der hohe Maktör herüber, und zu unsern Füßen zog sich die öde er Ramada in die dunkle Ferne hinaus.
»Schlagen wir das Lager auf?« erkundigte sich der Scheik.
»Es ist mir noch möglich, die Spur zu erkennen, und hier oben ist es während der Nacht zu kalt. Laß uns weiter gehen!« entschied ich.
Ich hätte einen Trapper oder einen Indianer sich über die Fährte äußern hören mögen, welcher ich zu folgen hatte. Während sie für die Beduinen vollständig unsichtbar blieb, fand ich fast alle zwanzig Schritte ein untrügliches Zeichen. Während der ›Westmann‹ Nordamerikas sich alle Mühe giebt, seine Spur zu verwischen, hatte der Krumir sein Augenmerk nur darauf gehabt, schnell vorwärts zu kommen, und da das Terrain jetzt steil bergabwärts fiel, so hatten die Hufe seiner Tiere den Boden hier förmlich gepflügt, und es war keine Kunst, die Richtung einzuhalten.
So gelangten wir an ein kleines Wasser, welches hier oben entsprang und sich während seines Laufes ein Thalbette gegraben hatte, welches bis zum Fuße des Gebirges abwärts führte. Die Beschaffenheit des Terrains ließ vermuten, daß der Krumir dieses Thal nicht verlassen habe, und so ritten wir selbst dann noch in demselben fort, als die Dunkelheit der Nacht mir die Fährte unsichtbar machte.
»Beginnt die Wüste er Ramada gleich am Fuße des Gebirges?« erkundigte ich mich bei dem Scheik.
»Warum fragest du?«
»Wenn sie gleich da beginnt, so könnten wir bald auf den Feind treffen; denn ich glaube nicht, daß er sein Nachtlager in der Steppe aufschlagen wird.«
»Die Wüste beginnt erst später. Vorher kommt noch das ebene Weideland Zwarihn.«
»Wie weit ist es vom Bah Abida bis zum Dschebel Tibuasch?«
»Man reitet durch Zwarihn und er Ramada zwölf Stunden. Dann kommt man zwischen den Bergen von Rökada und Sekarma an die Stelle, wo das Land der Mescheer beginnt.«
»Ich denke, dies beginnt erst hinter dem Dschebel Tibuasch und dem Gebirge von Haluk el Mehila?«
»Wenn gute Weide ist, kommen die Mescheer auch über die Berge hinüber.«
»Warst du bereits einmal dort?«
»Nein.«
»Du kennst keinen Mescheer?«
»Ich kenne viele. Ich habe sie in dem Lande der es Sseers und Uëlad Aun getroffen. Ich weiß nicht, ob sie uns freundlich empfangen werden.«
»Sechzig Gäste auf einmal ist auch einem Freunde zu viel. Wir müssen unser möglichstes thun, um den Krumir noch vor dem Dschebel Rökada zu erreichen. Laß uns eilen!«
Nach zwei Stunden beschwerlichen Rittes, bei welchem uns nur die Sterne leuchteten, erreichten wir die Ebene. Hier machten wir Halt. Wir tränkten die Pferde, gaben ihnen ihre Sisch Bla Halef zu fressen, aßen selbst einige Datteln und legten uns dann zur Ruhe nieder. Wir bedurften ihrer so notwendig, daß keiner daran dachte, ein Gespräch anzuknüpfen.
Während der Nacht, als ich einmal erwachte, vernahm ich ein fernes Brüllen. Ich erinnerte mich, daß die Umgebung der Steppe er Ramada wegen der dort hausenden Löwen berüchtigt sei, doch schlief ich sofort wieder ein. Ich ahnte nicht, daß ich bereits am nächsten Abend mit einem Vetter des ›Wüstenkönigs‹ anzubinden haben würde.
Kaum graute der Morgen, so waren wir wieder marschbereit. Ich ritt einen Bogen in die Ebene hinaus und stieß dabei bald auf die Fährte, der wir wieder folgten, nachdem ›el Fagr‹ gebetet worden war.
Nach Indianerart beinahe wagrecht auf dem Pferde hängend, um keine Spur zu übersehen, ritt ich voran. Mehrere kleine Bäche ließen auf die Nähe eines Flüßchens schließen. Es gab hier gutbefruchtetes Weideland, in welchem sich die Hufe recht deutlich abgedrückt hatten. Wir kamen mit unseren ausgeruhten Pferden rasch vorwärts und erreichten nach ungefähr anderthalb Stunden das vermutete Flüßchen, dessen Lauf sich rechts nach dem Bah bu Scherif zu richten schien. Hier hatten die Gesuchten übernachtet. Das Gras war zertreten und niedergelagert, und man sah deutlich die Stellen, an denen die einzelnen Tiere angebunden gewesen waren.
»Effendi,« meinte der Scheik, »kannst du den Ort finden, an welchem Mochallah geschlafen hat?«
Ich suchte.
»Hier ist es. Sie hat in der Atuscha geschlafen.«
»Woher weißt du dies?«
»Siehst du nicht, daß die Sänfte hier gestanden hat?«
»Ja. Aber Mochallah kann doch an einer andern Stelle geschlafen haben.«
»Blicke her! Sie hat aus der Atuscha herausgelangt, als alle schliefen, und abermals ein M. in den Rasen geschnitten.«
»Maschallah, es ist wahr! Herr, sie ist gesund; sie hat uns ein Zeichen gegeben; sie weiß, daß wir kommen. Laß uns eilen!«
Das Wasser des Flüßchens war nicht tief; wir kamen leicht hinüber. Drüben untersuchte ich die neue Spur ganz genau.
»Was suchst du noch, Sihdi?« fragte Achmed es Sallah.
»Ich will sehen, seit welcher Zeit sie aufgebrochen sind. Dem Nachtlager nach sind sie genau so weit von uns entfernt, wie wir vom Bah Abida bis hierher reiten mußten. Nach diesem Grase aber sind sie noch eher aufgebrochen als wir, schon während der Nacht. Es hat sich fast ganz wieder aufgerichtet; die Flüchtlinge sind über zwei Stunden vor uns. Laß uns eilen!«
Es ging im scharfen Trabe und lautlos vorwärts, so gut es die Pferde auszuhalten vermochten. Leider zeigte es sich, daß ihnen die Tiere des Krumirs überlegen waren, denn als ich drei Stunden vor Mittag abstieg, um die Fährte, welche jetzt im sandigen, vegetationslosen Boden lief, zu untersuchen, zeigte es sich, daß wir den Verfolgten um nichts näher gekommen waren.
»So erreichen wir sie nicht,« sagte ich zum Scheik. »Laß mich mit Achmed voranreiten. In vier Stunden holen wir sie ein, und dann ist es gerade die höchste Zeit, denn dann sind sie fast beim Dschebel Schefara angekommen.«
»Ich reite mit,« antwortete er.
»Dein Pferd hält es nicht aus!«
»Dann ist es immer noch Zeit zurückzubleiben.«
Auch der Engländer ließ sich nicht zurückhalten. Die Sebira erhielten ihre Instruktion, und wir vier ließen unsere Pferde doppelt ausgreifen. Eine Stunde verging – und noch eine. Die Sonne brannte heiß hernieder, und wir hielten einen Augenblick an, um uns und die Pferde mit Wasser zu erfrischen, welches wir in einem Schlauche mitgenommen hatten. Die Schläuche waren des Morgens am Flusse gefüllt worden. Nun ging es wieder vorwärts. Weit und unbegrenzt lag die Ebene rund um uns her. Wandernde Ghuds wechselten mit wirrem Felsengebrock; kein Baum, kein Strauch, kein Halm war zu sehen, und die Hitze vibrierte wie eine sichtbare Flut über den glühenden Boden dahin. Das Pferd des Scheiks und des Engländers begann zu straucheln, auch Achmeds Stute ward unzuverlässig; da erhob sich gerade vor uns am Horizonte weiß und glänzend ein riesiges Gemäuer, fast wie die Ruinen einer altenglischen Abtei. Es waren keine Mauern; es waren Felsen, in die die Jahrhunderte so abenteuerliche Lücken und Risse gebrochen hatten. Am Fuße, im Schatten derselben sah ich weiße und farbige Punkte, welche sich regten.
Ich nahm das Fernrohr zur Hand, richtete es und – stieß einen lauten Ruf der Freude aus.
»Sind sie es, Effendi?« fragte der Scheik.
»Sie sind es – ein Kamel mit einer Atuscha und sieben Reiter, der eine von ihnen auf deiner Milchstute.«
»Hamdulillah – Preis sei Gott; wir haben sie!«
»Noch nicht. Sie sind ihrer sieben, und wir zählen nur vier.«
»Fürchtest du dich?« fragte er erregt.
»Ali en Nurabi, du hast gestern diese Frage bereits einmal ausgesprochen und nachher doch gesehen, ob ich mich fürchte!«
»Verzeihe, Herr! Aber warum scheust du dich vor ihnen.«
»Ich scheue mich nicht. Ich denke nur daran, daß wir die kostbare Stute und das Kamel nicht verwunden dürfen.«
»Herr, du hast recht! Was werden wir thun?«
»Wir müssen gewärtig sein, der Krumir tötet beide Tiere, anstatt daß er sie zurückgiebt. Reitet langsamer. Ich werde einen weiten Bogen schlagen und ihnen zuvorkommen. Dann jagt ihr auf sie zu, und ich stelle mich ihnen in den Weg.«
»Nein, das darfst du nicht thun, Effendi! Du wirst uns nicht verlassen. Wir bleiben zusammen, holen sie ein, und dann werde ich so mit ihnen reden, daß wir schnell fertig werden.«
»Ganz wie du willst! Sie haben nichts bei sich, was mir gehört.«
Wir flogen wieder vorwärts. Der Krumir war gerade im Begriffe gewesen, wieder aufzubrechen, als wir ihn erblickten. Ehe er mit den Seinen hinter den Felsen verschwand, sah er sich um und musterte uns, doch nur einen kurzen Augenblick, dann bog er schnell um die Steine. In zehn Minuten hatten wir diese letzteren erreicht. Da sahen wir die Hamema im Galopp über die Ebene brausen.
»Nach, ihnen nach, und wenn die Pferde stürzen!« rief der Scheik.
Er hob sich im Sattel, um sich leichter zu machen, und brachte es wirklich fertig, mit mir Schritt zu halten. Der Krumir blickte um sich und erkannte, daß wir ihn erreichen würden. Er ließ einen Augenblick, nur einen kurzen Augenblick halten; das Kamel sank nieder, so daß die Atuscha von den Reitern verdeckt wurde; es erhob sich wieder, und dann stob der Trupp auseinander – der Krumir geradeaus, das Dschemmel nach rechts und die andern Reiter nach links.
»Herr,« rief der Scheik, »sie wollen entkommen. Nimm du das Hedschihn mit Mochallah; ich nehme meine Stute!«
»Ueberlaß die Stute mir, du erreichst sie nicht!« antwortete ich, während wir förmlich über den Boden schossen.
»Ich brauche sie nicht zu erreichen. Ich brauche nur so nahe zu kommen, daß sie meine Stimme hört. Sie hat ein Geheimnis, und wenn ich das Wort rufe, so dreht sie sich um und kommt zu mir.«
»Sage lieber mir dieses Geheimnis!«
»Kein Mensch soll es erfahren!«
Er spornte seinen Fuchs, daß dieser fast das Unmögliche leistete. Ich wandte mich nach rechts, um ihm den Willen zu thun. Achmed blieb hinter mir, und nach dem Engländer blickte ich mich nicht um. Ich schnalzte nur leise mit der Zunge, so war es, als ob mein Rappe doppelte Kraft gewönne. Seine Hufe fraßen die Entfernung, und in fünf Minuten war ich neben dem Hedschihn, welches wie im Sturme dahinjagte.
»Rrreeh, rrreeh – halt, halt!« rief ich.
Bei diesem Rufe hielt das Kamel im Laufe inne; in demselben Augenblicke aber krachte ein Schuß aus der Atuscha, und die Kugel flog an meinem Kopfe vorbei. Ah, der Krumir war listig gewesen. Er hatte Mochallah zu sich aufs Pferd genommen und einen der Hamema auf dem Kamel plaziert. Der Kerl hatte nur eine einläufige Flinte; er war mir nicht mehr gefährlich.
»Khee, khee!« gebot ich dem Kamele, indem ich es beim Halfter faßte.
Dies ist das bekannte Kommando zum Niederknieen. Es gehorchte, aber der Hamema sprang auf der andern Seite zur Sänfte hinaus. Doch in demselben Augenblicke fiel ein Schuß. Achmed hatte mich erreicht und den Mann niedergestreckt.
»Wo ist Mochallah?« fragte er erschrocken.
»Bei dem Krumir auf dem Pferde,« antwortete ich. »Ich eile ihm nach. Nimm du das Dschemmel!«
Ich hörte bereits nicht mehr, was er erwiderte, denn ich hatte mein Pferd herumgeworfen und jagte wieder nach links zurück. Ich sah den Scheik und in weiter Entfernung draußen vor ihm den Krumir. Sir Percy war an der Seite des ersteren geblieben. jetzt galt es einmal im Ernste, das Geheimnis meines Pferdes zu erproben. Ich legte ihm die Hand zwischen die Ohren:
»Rih –!«
Er stutzte einen Moment, dann aber stieß er einen schmetternden, trompetenähnlichen Laut aus und flog dahin, daß es mir hätte schwindlig werden können. Sein Leib berührte beinahe die Erde; die Beine arbeiteten sozusagen unsichtbar; die Schnelligkeit, mit welcher alles hinter mich wich, war unbegreiflich, fast dämonisch, und ich saß, ohne eine Bewegung zu verspüren, wie auf einem Pfeile, der durch die Lüfte saust. So erreichte ich nach einigen Augenblicken den Scheik.
»Allah akbar – maschallah ïa radschal!« rief er erschrocken.
Aber schon war ich an ihm vorüber. Es war, als ob ich die Wüste nur so an mir vorüber zu winken brauchte. Aber auch die Milchstute that ihre Schuldigkeit. Fünf Minuten vergingen – zehn Minuten – eine Viertelstunde; da war ich nur noch fünf Pferdelängen hinter dem Krumir.
»Halt!« rief ich ihm zu.
Er drehte sich um.
»Giaur!« knirschte er.
Im nächsten Momente sah ich sein Messer. Schon erhob ich das Pistol, um ihn vom Pferde zu schießen, denn ich glaubte, die Klinge sei für Mochallah bestimmt; aber ich ließ es wieder sinken, denn der Stoß galt nur dem Pferde. Er versetzte ihm einen leichten Stich, um es zu größerer Anstrengung anzuspornen. Es gelang ihm. Der Schimmel machte einige konvulsivische Sätze und legte eine Pferdelänge mehr zwischen sich und den Rappen. Dennoch mußte ihn der letztere erreichen, das war außer allem Zweifel. Sollte ich den Menschen erschießen? Das widerstrebte mir. Er konnte sich nur schwer verteidigen, da er das Mädchen zu halten hatte, und ich sah auch nicht, daß er nach einer Waffe griff.
Da plötzlich stieß er einen lauten Schrei aus und bog nach links hinüber. Während unseres Parforcerittes hatte der Sand des Bodens aufgehört und ein erst dünner, dann aber immer dichterer Graswuchs war an seine Stelle getreten, ohne daß ich darauf geachtet hatte. Jetzt sah ich plötzlich da drüben Herden weiden und im Hintergrunde Zelte stehen. Der Krumir war sehr wahrscheinlich gerettet, wenn er diese erreichte. Schon sah ich Reiter uns entgegen kommen.
»Halt, sonst schieße ich dich vom Pferde!« rief ich, das Pistol erhebend.
Da faßte er Mochallah und setzte ihr das Messer an die Brust.
»Schieß, Hund, wenn du sie töten willst!« antwortete er.
Ich durfte es nicht wagen. Ich legte dem Rappen nochmals die Hand zwischen die Ohren – aber nein, da hätte ja dieser Mensch das Wort meines Geheimnisses gehört! Wir schossen zwischen den Herden und den Reitern hindurch; ich sah die Zelte mit Gedankenschnelligkeit näherfliegen; jetzt, jetzt war ich an seiner Seite; jetzt faßte ich ihn am Arm; da riß er sein Pferd in die Häcksen, und ich flog weiter, durch die Vehemenz des Rittes von ihm weggerissen.
Ein lautes Hohngelächter erscholl. »Saadis el Chabir!« hörte ich rufen. Ich zügelte den Lauf meines Pferdes, riß es herum und kehrte zurück. Ich befand mich inmitten eines großen Beduinenlagers, und hundert Gewehre waren auf mich gerichtet, zwanzig Fäuste streckten sich nach mir aus. Ich war ganz in der Lage eines Falken, der bei Verfolgung einer Taube durch ein Fenster in die Stube geraten ist.
»Schießt ihn nieder!« schrie der Krumir. »Er ist ein Hund, ein Giaur, ein Verräter, der mich töten wollte!«
Ein Blick sagte mir, daß Gegenwehr mir nichts fruchten könne. Diese Leute waren Bekannte des Krumirs; hier konnte mich nur das retten, was auch ihn bei den Sebira gerettet hatte. Nicht weit von mir hatte sich ein Zelt geöffnet, und unter demselben erschien eine Frau, an ihrer Seite ein junges, vielleicht siebenzehnjähriges Mädchen. Dieses letztere trug weiße weite Pantalons und ein kurzes ärmelloses Jäckchen. Goldene Krollkralls schmückten ihre Hand- und Fußgelenke; um den Hals trug sie eine Kette von Silberstücken und Gewürznelken, und die langen, langen Dafirah waren mit Perlen und kleinen Münzen durchflochten. In der einen Hand hielt sie die lange Habayah und in der andern ein mit Flittern gesticktes Kiladh. Sie war also wohl gerade bei der Toilette gewesen, als sie der Lärm aus dem Zelte rief. Sofort schwang ich mich vom Pferde, warf die Umstehenden auseinander und sprang auf die beiden Frauen zu.
»Fi hard el harime – ich bin unter dem Schutze der Frauen!« rief ich laut und huschte in das Zelt hinein.
Draußen hörte ich die Rufe des Aergers. Die beiden Beduininnen waren mir gefolgt und blickten mich ganz ratlos an.
»Bist du ein Weib?« fragte ich das Mädchen.
»Nein.«
»Bist du die Braut eines Jünglings?«
»Nein.«
»So sollst du meine Schwester sein, wie ich dein Bruder bin!«
Ich zog sie an mich und küßte sie auf die Stirn. Das war mehr als Kühnheit, das war Verwegenheit. Wenn das folgende nicht glückte, so war ich verloren. Ich band den Shawl, der mir als Gürtel diente, ab; ich benutzte ihn als Aufbewahrungsort verschiedener Kleinigkeiten, die ich zu gelegentlichen Geschenken bestimmt hatte.
Es waren verschiedene Quincaillerien, billige Sachen, die man für kaum eine Mark bekommt, welche aber in jenen Gegenden einen hohen Wert besitzen. Ich zog eine Halskette von unechten Korallen und zwei Haarnadeln hervor, an denen große Perlmutterschmetterlinge befestigt waren, hing ihr die erstere um den schönen, vollen Hals und steckte ihr die letzteren in das dunkle Haar.
»Willst du dieses nehmen und meine Schwester sein? Sage ›ja‹, du lieblichste unter den Blumen dieses Landes!«
Sie erglühte bis unter das Mieder, und ich neigte besorgt das Ohr zu ihr herab.
»Soll dies wirklich mir gehören?« fragte sie.
»Ja, es ist dein. Darf ich nun dein Bruder sein?«
»Du darfst!« hauchte sie.
»So nimm deine Habayah um, und folge mir!«
Jetzt war ich sicher. Ich hatte ihre Stirne mit meinen Lippen berührt, und sie hatte mein Geschenk angenommen.
»Willst du mir deinen Namen sagen?« bat ich.
»Ich heiße Dschumeilah.«
»So komm mit, Dschumeilah! Wo wohnt der Scheik dieses Urdi?«
»Hier.«
»Hier? Ist er dein Vater?«
»Nein, er ist der Bruder meines Vaters, welcher Scheik der Mescheer von Hadscheb el Aïun und Hamra Kamuda ist.«
»So bist du selbst auch Gast in diesem Zelte?«
»Ja.«
Das war mir noch lieber, denn der Freund eines Gastes muß noch mehr geachtet werden, als der eigene Freund und Gast. Ich warf dem Mädchen die Habayah über und zog sie aus dem Zelte. Draußen stand mein Pferd, bereits bis auf die bloße Haut ausgeplündert; es war von vielen Beduinen umringt, welche seinen Gliederbau prüften. Und da vorn am Eingange des Lagers erschien soeben der Scheik Ali en Nurabi und der Engländer, beide als – Gefangene.
»Seit wann haben sich die tapfern Beni Mescheer angewöhnt, ihre Gastfreunde auszuplündern?« rief ich mit lauter Stimme. »Wo ist der Bei el Urdi, der Herr und Anführer dieses Lagers?«
Ein alter Beduine trat hervor.
»Ich bin es. Was willst du?« fragte er.
»Siehe hier Dschumeilah, die Rose von Hamra Kamuda! Sie nennt mich ihren Bruder und trägt mein Geschenk in ihren Haaren. Sie hat mich in deinem Zelte aufgenommen, und du erlaubst deinen Männern, mein Pferd zu berauben? Siehe hier den Schatten deines Zeltes, o Scheik; wenn er um eine Handbreit fortgerückt ist bis hierher, wo ich das Messer in die Erde stecke, so wird derjenige an dem Messer sterben, der dann noch etwas besitzt, was mir gehört!«
Ein lautes Murren erhob sich ringsum, und aus dem Haufen rief eine Stimme:
»Glaube ihm nicht, O Scheik! Er ist ein Lügner, ein Giaur, in dessen Leib der Scheitan wohnt!«
Es war der Krumir, der diese Worte sprach. Ich beachtete sie nicht. Der Scheik fragte das Mädchen:
»Tochter meines Bruders, hast du diese Geschenke von ihm genommen?«
»Ja, er ist ein Diff rebbi, der unter deinem Schutze steht.«
»Du sendest Sorgen auf mein Haupt; aber dein Wort ist mein Wort, und dein Bruder ist mein Bruder. Gebt ihm alles zurück, was ihr genommen habt; er ist wie ein Sohn der Uëlad Scherehn!«
Dann trat er zu mir und reichte mir seine Hand.
»Habakek – sei uns willkommen! Dein Fuß mag ein- und ausgehen bei uns, wie es ihm gefällig ist. Dein Freund ist mein Freund, und dein Feind mein Feind; so ist das Recht, welches dir, dem Gast, gehört.«
»Ich glaube es und vertraue dir, o Scheik. Aber warum nimmst du dann meine Freunde gefangen?« fragte ich, auf Ali en Nurabi und den Engländer deutend.
»Sind diese Männer deine Freunde?«
»Sie sind es.«
»Ich weiß noch nicht, wie sie in dieses Lager kommen. Ich war bei den Herden und bin erst hier eingetroffen, als du aus dem Zelte tratest. Ich werde untersuchen, was recht und billig ist. Man rufe die Aeltesten zur Beratung zusammen!«
Da erhob sich am Eingange des Lagers ein Angstgeschrei. Ich blickte hin und sah Achmed es Sallah auf dem Hedschihn zwischen den Zelten herbeigestürmt kommen, daß alles auseinanderflog. Er hatte die Hähne seiner Pistolen gespannt und rief:
»Sihdi, Sihdi! Wo ist mein Effendi? Hier ist Achmed es Sallah!«
Ich sprang vor und winkte ihm. Sofort hielt er sein Dschemmel an, ließ es knieen, sprang herab und umarmte mich. Der brave Kerl hatte mich wirklich tief in sein treues Herz geschlossen.
»Bist du gefangen, Sihdi?« fragte er.
»Nein.«
»Sind es die andern?«
»Nur einstweilen.«
»Wo ist Mochallah, die Geraubte?«
»Sie ist hier, denn dort steht der Räuber.«
Ich zeigte auf den Krumir, welcher mit finsteren Blicken bei einigen Mescheers stand. Achmed wollte sich auf ihn stürzen.
»Ich werde ihn zermalmen!« drohte er.
»Halt,« sagte ich, ihn festhaltend. »Er ist so gut der Freund der Beni Mescheer wie ich. Die Dschemma wird über ihn entscheiden.«
»So entscheide sie schnell, sonst verschlingt ihn meine Rache!«
Die beiden Gefangenen waren in ein Zelt gebracht worden, wo man sie bewachte. Achmed wurde nicht angerührt. Die Mescheer standen in Gruppen beisammen, teils finster und drohend, teils mit neugierigen Gesichtern. Das Hedschihn lag unberührt am Boden, und mein Pferd hatte, wie ich mich jetzt sorgfältig überzeugte, alles wieder erhalten, was man ihm fortgenommen hatte. Ich zog den Dolch wieder aus der Erde.
Dschumeilah war wieder in das Zelt getreten, doch sah ich, daß sie uns durch eine Spalte des Vorhanges beobachtete. Nun trug ich nur noch um die Sebira Sorge, welche wir zurückgelassen hatten.
»Wo hast du dein Pferd?« fragte ich Achmed.
»Draußen auf der Ebene. Ich wußte, daß ich dir Mochallah überlassen könnte; darum band ich mein müdes Pferd an einen Stein und folgte den Hamema, die nach diesem Lager wollten.«
»Allah kerihm, was hast du gethan? Hast du einen getötet?«
»Nein, denn ich dachte daran, daß sie Freunde dieser Menschen sind. Sie flohen in die Wüste hinein, und ich habe sie gejagt, so weit ich konnte. Dann wollte ich nach dir und Mochallah sehen, und nun werde ich umkehren, um mein Pferd zu holen.«
Dieser Achmed es Sallah hatte wirklich einen kleinen Teufel im Leibe.
»Gehe, und hole es!« sagte ich; »aber bringe es nicht her!«
»Wohin sonst, Sihdi?«
»Ich weiß noch nicht, wie es hier gehen kann. Reite den Gefährten entgegen und führe sie so weit herbei, daß sie das Dorf sehen können. Dort mögen sie warten und zum Kampf gerüstet sein!«
Er bestieg das Hedschihn wieder. Als es sich erhob, trat der Krumir hervor.
»Halt,« rief er. »Dieser Mann ist ein Gefangener, er darf nicht fort!«
Ich nahm die Büchse aus dem Sattel und legte auf ihn an.
»Achmed es Sallah, reite fort!«
Er that es, und ich senkte das Gewehr erst dann, als er nicht mehr zu sehen war; aber ich bemerkte, daß dies Verhalten die Mescheer noch mehr zu erzürnen schien. Einige von ihnen stiegen zu Pferde und folgten meinem Diener. Jetzt band ich mein Pferd hart am Eingange des Zeltes fest und trat dann wieder ein.
»Sallam aalaikum – Friede sei mit euch! Ich hatte vorhin keine Zeit, den Gruß zu sagen,« entschuldigte ich mich.
Die beiden Araberinnen antworteten nicht. Die Frau schien dem Mädchen Vorwürfe gemacht zu haben.
»Mich dürstet,« sagte ich einfach, indem ich mich niedersetzte.
Da brachte mir Dschumeilah Wasser.
»Trinke!« bat sie. »Willst du auch essen?«
»Nein, ich esse nicht eher, bis die Dschemma gesprochen hat.«
»Von welchem Stamme seid ihr?«
»Der eine Gefangene ist der Scheik der Uëlad Sebira; der andere ist ein großer Emir aus Inglistan, und ich bin ein Bei aus Dschermanistan.«
»Ist Dschermanistan ein fernes Land?«
»Es liegt im Norden weit über dem Meere drüben, wohl über achtzig Tagereisen von hier.«
Sie schlug vor Verwunderung die Hände zusammen.
»So weit kommst du her! Was willst du hier bei uns?«
»Ein Mädchen befreien, welches ein böser Mann ihrer Mutter raubte.«
Dies erweckte auch das Interesse der Alten. Ich schenkte ihr ein Fünfpiasterstück und erzählte dann so viel von dem Raube Mochallahs, als mir für sie zu wissen nötig erschien. Damit hatte ich ihre Herzen vollends erobert. Dschumeilah nahm sich gleich vor, Mochallah aufzusuchen, und die Alte gab ihre Zustimmung dazu. Eben als das Mädchen ging, trat der Scheik herein, um mich zur Dschemma abzurufen. Die Aeltesten hatten sich auf einem freien Platze versammelt. Der Krumir war dabei, der Engländer und Ali en Nurabi. Im Laufe der Verhandlung kamen auch die Hamema, welche sich unterdessen nach dem Lager zurechtgefunden hatten.
Der Fall war nach den dortigen Verhältnissen ein sehr schwieriger. Der Krumir war Gastfreund der Mescheer, ich war es ebenso, und infolgedessen wurden auch Ali en Nurabi und der Engländer für freie Gäste erklärt. So weit standen sich die Parteien gleich. Als aber der Scheik seine Tochter und sein Pferd zurückforderte, geriet er auf einen heftigen Widerspruch. Es wurde ihm erklärt, daß die Entführung eines Mädchens kein Verbrechen, sondern eine ritterliche That sei, und daß ein solches Mädchen dem Helden gehöre, sobald er die Grenzen ihres Stammes mit ihr überschritten habe. Auch gestand der Krumir in aller Seelenruhe ein, daß er die Milchstute mitgenommen habe, weil er in der Eile der Entführung nicht gleich sein Pferd finden konnte; übrigens sei das seine von ganz gleichem Werte gewesen. Darauf erklärte die Dschemma, daß sie in dieser Sache nicht kompetent sei; sie habe nur dafür zu sorgen, daß ihre Gäste das Lager auf denselben Tieren verlassen könnten, auf denen sie hier angekommen seien. Daß der Krumir einen Schwur abgelegt und dann gebrochen habe, leugnete er entschieden.
Die Verhandlung wurde von Minute zu Minute stürmischer; der Scheik war mehr auf unserer Seite, die andern aber auf derjenigen des Krumirs. Schon wollte man den Beschluß verkünden, daß der letztere mit seinem Raube ungehindert ziehen könne und wir hingegen zurückgehalten werden sollten, bis er ihn in Sicherheit habe, da erhob ich mich. Ich winkte Schweigen, nahm, ohne ein Wort zu sagen, meinen Henrystutzen zur Hand, den ich mir zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, legte an und zielte auf einen Speer, welcher in ziemlicher Entfernung vor einem Zelte in der Erde stak. Ich hatte dieses Mittel schon öfters angewandt, um Leute einzuschüchtern, welche mit der Konstruktion eines Gewehres, mit welchem ich fünfundzwanzig Schüsse hintereinander abgeben konnte, nicht vertraut waren. Dieser Stutzen hatte den Apachen und Comanchen, den Chinesen und Malaien, den Kaffern und Hottentotten, den Türken, Kurden und Persern imponiert. Warum sollte er hier nicht auch seine Schuldigkeit thun?
Ich drückte zwölfmal ganz nach dem Takte, in gleichen Intervallen, los und zielte bei jedem Schusse einige Linien tiefer. Dann legte ich ab und zeigte ganz stumm auf die Lanze. Alle erhoben sich und eilten, sie zu betrachten. Selbst der Krumir ging mit. Ein lautes Rufen des Erstaunens erhob Sich, während ich die Frist benutzte, schnell wieder zu laden. Die Lanze zeigte zwölf Löcher in ganz genau gleicher Entfernung voneinander. So etwas hatten diese Beduinen noch nicht gesehen. Der Speer wurde aus der Erde gezogen, er ging von Hand zu Hand und wanderte dann sogar durch das ganze Lager.
Mit scheuen Blicken auf mich und mein Gewehr nahmen die Aeltesten wieder Platz.
»Emir, was für eine Flinte ist das?« fragte mich der Scheik. »Ist sie von einem Zauberer gemacht?«
»Du weißt, daß man von einem Zauberer nichts erzählen darf,« antwortete ich ausweichend. »Mit dieser Flinte treffe ich den Utheif und den Büdsch, den Khansir und den Nimr, den Nömmer und sogar den Sihdi el salßali. jedes Wahesch und jeder Mensch, der mein Feind sein will, ist verloren, wenn ich sie erhebe. Ich habe jetzt zwölfmal mit ihr geschossen; soll ich noch zehnmal, fünfzehnmal, zwanzigmal mit ihr schießen?«
»Herr, diese Flinte ist kostbarer, als alle Gewehre, welche ich gesehen habe. Darf man sie angreifen?«
»Nein. Niemand weiß, wie sie angegriffen werden muß, als nur ich allein. Was sind alle eure Flinten, Lanzen und Messer gegen dieses Zaubergewehr? Setzt euch zu Pferde und greift mich an; ich stehe ruhig, erhebe mein Gewehr und schieße euch von euren Tieren, noch ehe ihr mir die Haut nur ritzen könntet. Und seht diese kleinen Flinten hier in meinem Gürtel. Paßt auf! Ich werde, ohne zu laden, in jene Zeltstange schießen – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Seht, und zählt die Löcher! Auch dieser Emir aus Inglistan hat solche Wunderpistolen. Seht ihr sie in seinem Shawl? Wären wir beide auch ganz allein; wir würden uns nicht vor euch fürchten; aber draußen vor dem Lager halten noch sechzig Männer, welche gute Waffen tragen. Blickt hier zwischen den Zelten hindurch! Seht ihr die Köpfe unserer Reiter? Und dennoch wollt ihr diesen Räuber beschützen? Dennoch soll er die Stute und das Mädchen behalten, welche dem Scheik der Sebira gehören? Allah kerihm – Gott ist barmherzig; er möge euch gnädig sein und eure Gedanken lenken, damit unsere Kugeln euch nicht dahin senden, von dannen keine Wiederkehr stattfindet. Wir sind als eure Freunde gekommen; sollen wir eure Feinde eines Räubers wegen sein? Ich will nicht haben, daß sich ein Klagegeschrei erhebt in diesem Thale, und daß der Dschebel Schefara widerhalle von dem Totenrufe der Mescheer. Eure Ohren hören meine Worte; öffnet auch eure Herzen für meine Rede, mit der ich euch gewarnt habe!«
Ich setzte mich nieder. Ich hatte einen tiefen Eindruck hervorgebracht und dieser wurde bedeutend verstärkt, als die Männer, welche vorher hinter Achmed das Lager verlassen hatten, zurückkehrten, um zu melden, daß eine große Anzahl Reiter vor dem Duar halte. Man konnte von unserm Platze aus ihre Köpfe und die Spitzen ihrer Lanzen sehen.
Jetzt wurde die Beratung wieder aufgenommen, leider aber hatte sie doch nicht das Ergebnis, welches ich erwartet hatte. Man beschloß nämlich, nach Hadscheb el Aïun, Hamra Kamuda, Karaat el Aatasch und Sihdi bu Ghamen zu senden, um die Aeltesten der anderen Mescheerstämme herbeizurufen. Sie sollten die schwierige Angelegenheit entscheiden, und bis dahin sollte alles in der gegenwärtigen Lage verbleiben. Einige Vorteile erreichten wir doch: der Krumir durfte das Lager nicht verlassen; Ali en Nurabi und Achmed es Sallah konnten Mochallah besuchen, und die sechzig Sebira erhielten die Erlaubnis, in das Duar einzureiten, mußten sich aber selbst verpflegen. Die Milchstute freilich blieb noch Saadis Eigentum; auch behielt dieser die Aufsicht über Mochallah, welche ihr Zelt nicht verlassen durfte. Ich selbst blieb der Gast des Scheik, während der Engländer es vorzog, mit den Uëlad Sebira im Freien zu kampiren. Das Hedschihn war wieder in den Besitz von Ali en Nurabi übergegangen.
Die Verhandlung hatte eine sehr lange Zeit in Anspruch genommen. Als die Sebira eingeritten waren und alles sich in Ordnung befand, neigte sich die Sonne bereits dem westlichen Horizonte zu, und ich sah, daß man große Haufen des scharfen Halfagrases und stachelicher Mimosen herbeischaffte, um beim Einbruche der Dunkelheit zahlreiche Feuer anzuzünden. Vor seinem Zelte stand der Scheik – Mohammed er Raman war sein Name – im Kreise vieler junger Männer; er hielt eine Anzahl Grashalme in der Hand und ließ die Männer von denselben ziehen. Ich trat hinzu.
»Worüber zieht ihr das Los?« erkundigte ich mich.
»Herr, über eine schlimme Sache. O, wenn uns deine Wunderflinte helfen könnte!«
»Erzähle mir, gegen wen soll sie euch helfen?«
»Das darf ich dir nur ganz leise sagen.« Er näherte sich meinem Ohre, hielt die Hand vor den Mund und flüsterte: »Gegen Areth, den Löwen!«
Der Beduine hat nämlich einen eigentümlichen Aberglauben: er sagt nämlich das Wort Areth, Löwe nur ganz leise; er glaubt, wenn er es laut sage, so höre es der Löwe und komme in der nächsten Nacht herbei. Die verschiedenen Beinamen des Löwen werden in einigen Gegenden auch laut ausgesprochen.
»EI Areth ist hier?« fragte ich. »Wo hält er sich auf?«
»Allah illa Allah, ïa Allah il Allah! Rede leise, Emir, sonst kommt er herbei und verschlingt uns!« rief er erschrocken. »Gott hat uns schrecklich heimgesucht. Wir weideten am Dschebel Tiuasch, da kam der Herr mit dem dicken Kopfe und fraß unsere Rinder und Schafe; wir flohen nach dem Dschebel Semata; er folgte uns und fraß sogar unsere Söhne; nun flohen wir nach dem Dschebel Rökada; er ging mit uns und würgte grimmiger als zuvor.«
»Warum habt ihr ihn nicht getötet?«
»Wir zogen gegen ihn aus zu hundertzwanzig Mann; wir haben ihn verwundet; aber vier unserer Krieger hat er zerrissen; die anderen rannten fort von ihm. O, Emir, er ist schrecklich! Nun flohen wir hierher gegen den Dschebel Schefara. Wir glaubten, es werde ihm hier nicht gefallen, weil hier wenig Wasser ist, und der König des Donners trinkt sehr gern. Aber er folgte uns dennoch nach. Nun hat er sich eine Frau genommen, die ihm Kinder gegeben hat; darum braucht er sehr viel Fleisch und kommt alle Nächte, um es sich zu holen. Allah hat sein Angesicht von uns abgewendet; wir werden verderben, wenn wir nicht tiefer in die Wüste ziehen. Und wenn wir dies thun, so müssen unsere Herden verdursten.«
Ich glaubte ihm seine Klage Wort für Wort. Der Araber wird es niemals wagen, sich dem Löwen allein gegenüberzustellen, wie es der kaltblütige Nordländer thut, die sichere Büchse in der Hand. Erst wenn ihm der König der Tiere einen beträchtlichen Teil seiner Herde abgeschlachtet hat, ruft er seine Genossen zur Jagd. Dann thun sich möglichst viele Beduinen zusammen, um das Tier in seinem Lager aufzusuchen. Man erhebt ein infernalisches Geschrei; man wirft mit Steinen; man jagt dem Tiere die beleidigendsten Schimpfwörter an den Kopf. Wenn es sich dann sehen läßt, so reitet und jagt alles wirr und aufgeregt durcheinander. Man schießt auf das Geratewohl; man wirft mit Speeren, man sendet nutzlose Pfeile aus der Ferne. Glücklicherweise verblutet sich der Löwe an der Menge kleiner Wunden, nie fällt er von einer einzigen, kaltblütig gezielten Kugel, und stets wird sein Tod mit dem Leben mehrerer Menschen bezahlt. Man flieht schließlich mit den Herden aus einer Gegend in die andere; der Löwe geht mit, und die Angst beginnt von neuem.
»Bleibt hier und tötet ihn,« sagte ich ruhig.
»Wir haben es versucht, Effendi; aber er stirbt nicht. Und hier ist es schlimmer als zuvor. Wir haben zu Assad-Bei, dem Herdenwürger, einen noch viel schlimmern Feind erhalten.«
»Welchen?«
»Weißt du, welches Tier noch viel fürchterlicher ist, als der Herr mit der langen Mähne?«
»Der Panther, der schwarze Panther. Er ist das schrecklichste der Tiere.«
»Du hast recht gesagt. Der schwarze Panther, den wir Abu 'l Afrid nennen, ist entsetzlicher als der König der Tiere. Dieser nimmt nur so viel Fleisch als er braucht, auch kehrt er sich um, wenn er falsch gesprungen ist; der Panther aber mordet so lange, wie es ihm beliebt; er ist blind vor Blutgier, und wenn er einmal das Fleisch eines Menschen gegessen hat, so mag er kein anderes mehr.«
»Und diesen Abu 'l Afrid habt ihr hier?«
»Ja. Ihn und den Herrn des Erdbebens.«
»Beide zusammen? Das ist selten!«
»O Emir, sie wohnen nicht zusammen an einem Orte. Der König des Donners hat seinen Palast draußen in den Felsen der Ebene; der Panther aber kommt weit her, vom Dschebel Berberu herab. Erst mordete er vier Schafe, dann eine Kuh, nachher ein Pferd. Als ihm dies nicht mehr schmeckte, holte er sich einen Menschen, und nun will er nur noch Menschenblut trinken. Niemand mag mehr bei den Herden wachen. Wir sind zu dem großen, berühmten Marabut nach Semela de Feraschisch geritten und haben ihn um Rat gefragt. Er hat gesagt, wir sollen losen, wer die Wache halten soll, alle Abend sieben Männer, zwei bei den Schafen, zwei bei den Rindern und drei bei den Pferden. Für einen jeden von uns hat er ein Amulet gegeben, und dennoch hat Abu 'l Afrid wieder einen jungen Mann gefressen, und der ›Herr mit dem dicken Kopfe‹ hat sich ein Kamel geholt.«
»Stehen die Kamele bei den Schafen?«
»Ja, denn es ist so bei uns Sitte!«
»Und nun lost ihr hier, wer heute abend wachen soll?«
»Ja. Das erste Los hat meinen Sohn getroffen.«
»Welcher ist es?«
»Er ist nicht hier; ich habe an seiner Stelle gezogen. Er ist nach Kas bu Falha geritten und wird bald wiederkehren.«
»Ich werde mitwachen.«
»Emir, ist es wahr?«
»Ja, ich und der Emir aus Inglistan.«
»Mit deiner Zauberflinte?«
»Ich habe noch eine andere, mit welcher man den Sihdi es salßali und Abu l'Afrid tötet. Es wird bald dunkel sein. Führe uns an die Orte, an denen sich des Nachts die Herden befinden!«
»Erlaube, daß ich erst die Losung beende!«
Ich suchte sogleich Sir Percy auf. Er saß bei Achmed es Sallah und radebrechte mit ihm ein schauderhaftes Arabisch. »Holla, Sir, es giebt ein Abenteuer!« rief ich ihm zu.
»Well! Ist mir recht! Was für eins?«
»Wir sollen den ›Herrn des Erdbebens‹ schießen.«
»Wen?« fragte er erstaunt.
»Und den ›Vater des obersten Teufels‹, mit Respekt zu melden.«
»Geht selbst zum Teufel mit Eurem Scherz, Sir!«
»Es ist kein Scherz, Sir. ›Herr des Erdbebens‹ wird hier der Löwe genannt, und der ›Vater des obersten Teufels‹ ist ein schwarzer Panther,
»Ein Löwe! Ein schwarzer Panther! Heavens! Ist dies Euer Spaß oder Euer Ernst?«
»Mein vollständiger Ernst!«
»Werden geschossen, die Bestien, Sir! Halloo, huzza! Aber wann und wo?«
Er war vor Freuden aufgesprungen, schlenkerte die ewigen Beine und gestikulierte mit den unendlichen Armen, daß ihn die Beduinen mit furchtsamem Erstaunen anblickten.
»Wann? Heute nacht,« antwortete ich. »Scheik Mohammed er Raman wird uns sogleich die Orte zeigen.«
Ich teilte ihm nun alles mit, was der Scheik mir erzählt hatte. Er war voller Freude und lachte, daß sein großes, gelbes Gebiß zur ununterbrochenen Ansicht blieb. Trotz aller seiner Eigentümlichkeiten war er ein tüchtiger, mutiger Jäger. Wir hatten miteinander auf Ceylon den Elefanten und in Indien den Tiger gejagt, und Sir Percy hatte sich in den gefährlichsten Situationen als ein kühner Mann und sicherer Schütze bewährt. Er befand sich heute ganz am rechten Platze.
Der Scheik suchte uns auf und führte uns vor das Lager, wo man gerade im Begriffe stand, die zerstreuten Tiere zusammenzutreiben. Auch hier war viel Brennstoff aufgehäuft, um die Würger der Herden durch die Feuer abzuschrecken. Das Terrain war eben und von allem Gefelse frei.
»Ihr habt die Tiere stets in drei einzelne Haufen zusammengetrieben?« fragte ich den Scheik.
»ja.«
»Wenn wir Abu 'l Afrid oder den Sihdi es salßali schießen sollen, so mußt du thun, was ich begehre.«
»Ich werde es thun.«
»Du wirst zunächst die Pferde längs des Lagers in einer langen Linie aufstellen, dann die Rinder, dann die Kamele und dann die Schafe. Der Platz, auf dem die Tiere ruhen, soll ein Dreieck bilden. Die eine Seite dieses Dreiecks stößt dicht an das Lager, und die beiden andern Seiten bilden eine Spitze, welche gerade vom Lager absteht. Diese beiden Seiten werden nur von den Schafen gebildet; die andern Tiere kommen nach innen, denn sie sind kostbarer. In dem Mittelpunkte des Dreiecks wird ein einziges, großes Feuer entzündet, welches den ganzen Platz beleuchtet.«
»Wo kommen die Wächter hin?«
»Mitten unter die Herden hinein. Sie können sich so postieren, daß sie von dem ›Herrn des Erdbebens‹ nicht erreicht werden können. Ich und dieser Emir aber werden uns draußen vor die Herden lagern, ein jeder an eine Seite des Dreiecks. Den Wächtern sagst du, daß sie auf keinen Fall schießen dürfen, außer wenn sie selbst angegriffen werden.«
»Herr, dein Plan ist gut; er ist weise, wie der Plan eines Feldherrn.«
Natürlich war dieser Plan sehr vorteilhaft für ihn und die Beduinen. Von der einen Seite wurden die Herden durch die Lagerzelte und von den beiden andern Seiten durch mich und Percy gedeckt. Die Araber konnten sehr zufrieden sein, daß wir zwei alle Gefahr auf uns nehmen wollten.
Als wir in das Lager zurückkehrten, wurden wir von jedermann mit staunendem Auge betrachtet. Es war diesen Leuten geradezu unbegreiflich, daß zwei Männer es wagen wollten, ganz allein es mit dem Löwen und einem schwarzen Panther aufzunehmen. Als wir an dem Krumir vorüberschritten, fing ich einen höhnischen, schadenfrohen Blick auf, den er auf uns warf. Vielleicht hoffte er, durch Abu 'l Afrid oder el Areth von zwei schlimmen Feinden befreit zu werden.
Der Scheik wollte mich nach seinem großen Zelte führen, welches neben demjenigen stand, in welchem ich bei den Frauen gewesen war. Achmed es Sallah hielt mich auf.
»Sihdi, du willst wirklich den Nimr und den Herrn mit dem dicken Kopfe töten?« fragte er besorgt.
»Ja.«
»O, Sihdi, ich weiß, daß du drüben in Algier bereits beide getötet hast; ich weiß auch, daß du mehrere Herren des Erdbebens erschossen hast in dem Lande, wo die Kosa und Tempa wohnen; aber hier bei uns ist der König des Donners anders als in fremden Ländern; hier müssen ihn viele Kugeln treffen, wenn er sterben soll. Und der Nimr ist noch viel schlimmer; sein Leib hat tausend Leben; seine Seele ist aus tausend Teufeln zusammengewachsen; sein Rachen kann Eisen zermalmen; und seine Krallen sind unwiderstehlich, wie die eines Drachen. Bleibe hier; gehe nicht hinaus!«
»Was ich versprochen habe, muß ich halten.«
»So nimm mich mit, o Sihdi!«
»Du wirst mir nichts nützen, sondern du kannst mir nur schaden.«
»So werde ich beten zu Allah und dem Propheten, daß er die Augen des Nimr und des Vaters der Mähne verblende, damit sie andere Wege gehen.«
Er wandte sich betrübt von mir. Als ich an dem Frauenzelte vorüber wollte, hörte ich eine leise Stimme rufen:
»Emir!«
Ich trat ein. Dschumeilah befand sich allein.
»Herr, du willst mit dem Sihdi es salßali kämpfen?« fragte sie angstvoll.
»Ja.«
»Und mit dem Vater des Teufels?«
»Ja.«
»Allah illa Allah! Thue es nicht!«
»Warum nicht?«
»Du wirst sterben!«
Es sprach sich eine wirklich ernste, herzliche Besorgnis in ihrer vibrierenden Stimme aus. Ich ergriff ihr kleines, braunes Händchen.
»Hast du Angst um mich, Dschumeilah?«
»Sehr!«
Ich zog sie leise an mich.
»Habe keine Sorge! Ich fürchte el Areth nicht.«
»Aber ich fürchte ihn. Hast du nicht gesagt, daß du mein Bruder bist?«
»Ich bin es.«
»Warum willst du mich dann durch deinen Tod betrüben!«
»Würde er dich betrüben?«
Sie antwortete nicht, aber sie lehnte das Köpfchen fester an mich. Es kam eine seltsame, fremde Regung über mich. Dieses Mädchen war die einzige Seele unter den Uëlad Mescheer, welche es wirklich aufrichtig mit mir meinte. Ich legte ihr die Hand unter das Kinn, hob ihr Gesicht empor und küßte sie auf die warmen, nicht widerstrebenden Lippen.
»Allah segne dich, du Rose von Aïun, für die Freundlichkeit deiner Rede! Aber weißt du nicht, daß das Schicksal des Menschen im Buche geschrieben steht? Ich habe schon oft mit el Areth gekämpft und bin stets Sieger gewesen; er wird auch heut unterliegen.«
»Herr, mein Mund ist still, aber meine Seele bebt für dich. Kehre wieder, sonst wird Dschumeilah lange um dich weinen!«
Ich ging. Dieses Naturkind handelte rein nach der Eingebung ihres Herzens; sie hatte keine Ahnung davon, daß ihr Verhalten ein ›inkorrektes‹ genannt werden könne. Wäre ich ein Beduine gewesen, so hätte es leicht sein können, daß sie meine Mochallah geworden wäre.
Als ich in das Zelt des Scheiks trat, fand ich dessen Weib beschäftigt, die Vorbereitung für das Mahl zu treffen. Diesem Umstande hatte ich es zu verdanken, daß ich Dschumeilah allein getroffen hatte. Auch hier war der Hauptbestandteil ein gebratenes Lamm; doch gab es wenig Nebenspeisen. Zu allerletzt brachte Dschumeilah noch eine Püree von getrockneten Wein- und Maulbeeren, mit süßer Sahne übergossen, ein Gericht, welches mir auch um der Hände willen mundete, die es bereitet hatten. Nach dem Essen traten wir wieder ins Freie hinaus und nahmen an einem der Feuer Platz, welche innerhalb des Lagers angezündet worden waren. Es ging da sehr lebhaft zu, denn Achmed es Sallah saß an demselben und erzählte von unseren Erlebnissen. Man machte uns sehr ehrerbietig Platz und vergnügte uns mit einem Mummenschanz mit Tanz, den einige Beduinen in weiblicher Kleidung aufführten. Dann wurden allerlei Jagdabenteuer erzählt, welche uns in die richtige Stimmung brachten, und als es ungefähr anderthalb Stunden vor Mitternacht war und ich mich mit dem Engländer erhob, erklang von allen Seiten die Versicherung, daß niemand schlafen werde.
Ich glaubte dies recht gern; stand ihnen allen doch ein Ereignis bevor, welches sie noch niemals erlebt hatten. Ich übergab meine Waffen, außer der Bärenbüchse und dem Bowiemesser, Achmed, der auch die Sorge für mein Pferd und meine andern Habseligkeiten übernommen hatte. Sir David Percy bewaffnete sich mit seinem vortrefflichen Elefantentöter und steckte einen vergifteten malaiischen Kris zu sich.
»Auf welche Seite geht Ihr, Sir?« fragte er mich.
»Wollen wir losen?«
»Yes!« nickte er.
»Dreht Euch herum! Ich halte mein Messer so, daß das Heft rechts und die Klinge links ist, oder umgekehrt. Was wählt Ihr?«
»Die Klinge.«
»Seht her; sie zeigt nach der rechten Seite; Ihr geht also rechts. Zuvor wollen wir aber rekognoszieren.«
Die Büchsen über die Schulter geworfen, traten wir zwischen die Zelte hindurch und hinaus auf den Lagerplatz der Tiere. Meine Anordnungen waren genau befolgt worden. In der Mitte brannte ein mächtiges Feuer, dessen Schein die Herden in der Nähe hell beleuchtete, während die ferneren Gruppen in phantastische Schatten gehüllt lagen. Die sieben Wächter saßen ganz in der Nähe des Feuers, wo sich diese gewaltigen Helden am allersichersten wußten. Auch die Hunde hatten sie bei sich, so daß also die große Herde der Tiere ganz allein der Obhut von uns beiden anvertraut blieb. Jetzt trennten wir uns; Percy ging nach rechts und ich nach links hinüber. Jetzt war weder der Löwe noch der Panther bereits zu erwarten; ich lief also meine Strecke noch unbesorgt ab, um zu sehen, ob die Tiere zusammenhielten. Zum Glücke wurden sie schon allein vom Instinkte in der Nähe des Feuers festgehalten. Die Kamele und Rinder inmitten des Dreiecks lagen ruhig wiederkäuend da, und die Schafe, welche die gefährlicheren äußeren Seiten einnahmen, hatten sich so dicht zusammengedrängt, als ob sie bereits die Stimme ihres gewaltigen Feindes gehört hätten.
Es war um die Zeit des Neumondes, die Sterne strahlten hell hernieder; aber ihr Schein verirrte sich in die flackernden Lichter des Lagerfeuers. Doch konnte ich, als ich an der Spitze des Dreiecks anlangte, wo mein Revier zu Ende ging, den Engländer noch erkennen, welcher ebenso wie ich beschäftigt war, seine Strecke einmal abzulaufen. Wir hatten beide unsere weißen Burnus- und Turbantücher im Lager gelassen, um nicht schon von weitem die Augen des gefährlichen Wildes auf uns zu lenken.
Ich hielt es für angezeigt, meinen Standpunkt nicht gar zu sehr in der Nähe der Herden zu nehmen; ich zog mich vielmehr so weit von ihnen zurück, daß mich der Schein des Feuers nicht mehr irritierte und ich die ganze Linie, welche ich zu bewachen hatte, mit einem Blicke zu übersehen vermochte. Hier legte ich mich platt auf den Boden, Büchse und Messer griffgerecht, und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
Der Löwe geht ebenso wie der Panther erst zur Tränke, ehe er sich sein Fleisch holt. Dabei werden beide laut. Die Ebene, in welcher der Herr des Erdbebens seinen ›Palast‹ hatte, lag auf des Engländers Seite; es stand zu vermuten, daß er durch das Brüllen des Löwen gewarnt und benachrichtigt wurde. Meine Position dagegen war gefährlicher. Der Panther, welcher jedenfalls schon am Dschebel Berburu zur Tränke ging, von woher man seine Stimme nicht hören konnte, kam dann jedenfalls lautlos angeschlichen, so daß er mich sehr leicht überraschen konnte. Glücklicherweise waren mein Gesicht und mein Gehör während meiner vielen Irrfahrten zur Genüge geschärft worden, auch war mir jenes eigentümliche Witterungsvermögen zu eigen geworden, welches der Wilde Nordamerikas in so hohem Grade besitzt, und endlich verließ ich mich einigermaßen auch auf das unerklärliche Ahnen, welches uns sehr oft die Nähe einer Gefahr verkündet, wenn dieselbe von unsern Sinnen noch gar nicht bemerkt werden kann. Der Mensch ist der Kreatur gegenüber in den meisten Fällen viel besser ausgerüstet, als er anzunehmen pflegt.
So verging die Zeit in lautloser Stille; da – da endlich erscholl da drüben in der Ferne jenes tiefe, unbeschreibliche, grollende Rollen, welches der Araber ›Rrad‹ nennt, und welches dem Löwen den Namen Sihdi es salßali – Herr des Erdbebens – gegeben hat. Der ›Herr mit dem dicken Kopfe‹ stand an der Tränke und benachrichtigte die Herden mit königlicher, stolzer Aufrichtigkeit, daß er Hunger habe. Ein- und zweimal wiederholte sich das Brüllen, welches mit keinem andern Laute genau verglichen werden kann; dann wurde es still.
Wohl eine Viertelstunde verging; da – ich schrak zusammen – erscholl die Stimme des Fürsten der Tiere plötzlich ganz in der Nähe, jenseits der Herde. Er konnte keine tausend Schritte von derselben entfernt sein. Wäre er auf meiner Seite gewesen, so hätte keine meiner Wimpern gezuckt, so aber zitterte ich beinahe vor Erwartung, was jetzt erfolgen werde.
Die Schafe drängten sich womöglich noch dichter zusammen; kein Tier von all den vielen gab einen Laut von sich; sogar die Hunde verhielten sich still. Die Furcht vor dem gewaltigen Herrscher hatte alles Lebendige gepackt. Ich lauschte atemlos. Da, noch ein lauter, kurzer Ton, daß die Erde zu erbeben schien, und gleich darauf ein Geräusch, als ob jemand von hoch oben herab auf die Erde springe – ein lautes, fürchterliches, scharfes Prasseln und Krachen von Knochen, ein Schuß – und noch einer, dann war es wieder still. Ich aber konnte mich nicht halten, so unvorsichtig es auch war; ich mußte wissen, wie es stand.
»Sir Percy!« rief ich laut.
»Yes!« ertönte es herüber.
»Unverletzt?«
»Well«
»Er war da?«
»Er selber!«
»Was hat er geholt?«
»Junges Kamel.«
»Ist er getroffen?«
»Hoffe es!«
»Bleibt! Die Mistreß könnte mit ihm sein!«
»Well!«
Der alte David Percy hatte also keinen guten Schuß gethan. Wie kam dies nur? Er war doch sonst im denkbarsten Grade zuverlässig! Wenn nun auch ich nicht gut oder vielleicht gar nicht zum Schusse kam, so waren wir zwei Jäger mit unserem großen Selbstbewußtsein bei diesen Beduinen blamiert in alle Ewigkeit!
Sollte sich wirklich auf meiner Seite nichts sehen lassen? Was war denn das? Ich legte mein Ohr auf die Erde. Wirklich! Ich vernahm ein Geräusch, ganz ähnlich dem, wenn jemand in genügender Entfernung von dem Hörer mit einem Stocke schnell über einen verschlossenen Fensterladen fährt. Diesen Ton kannte ich. Ich hatte ihn drüben in den Pampas gehört, wenn der Jaguar des Nachts seine Exkursion begann und in stundenweiter Ferne seine Stimme übte. In der Nähe hat sie natürlich einen ganz anderen Klang.
War dies der Panther, der vom Dschebel Berburu herniederstieg? Ich zog mich noch etwas weiter zurück, um ganz in tiefem Schatten zu liegen. Eine Viertelstunde verging, noch eine und noch eine.
Es ist eine Aufgabe, so lange Zeit auszuhalten mit Sinnen und Nerven, welche auf das höchste angespannt sind. Hatte ich mich getäuscht? Oder hatte sich das Tier nach einer anderen Gegend gewandt? Würde der Panther kein Brüllen hören lassen, wenn er in der Nähe wäre? Herrgott, da unten beim ersten Zelte des Lagers bewegt sich etwas! Ich blickte schärfer hin – ah, es war ein Mensch, eine weibliche Gestalt, welche sich in den Schatten des Zeltes niederkauerte. Wer war es? Was wollte sie dort?
Ich hatte keine Zeit nachzudenken, denn in demselben Augenblicke fühlte ich in der Luft jene eigentümliche Penetranz, welche jedes größere, in der Freiheit lebende Raubtier um sich verbreitet, die aber nur derjenige Jäger bereits von weitem empfindet, der sich viel mit solchen Bestien herumgeschlagen hat. Schnell wandte ich das Gesicht zur Seite. Himmel! Ich erfaßte mit einem einzigen Blicke zwei Körper, welche sich unhörbar über den Boden hinschlichen. Der eine näherte sich, von mir abgewendet, der Spitze des Dreiecks; der andere aber hatte mich bereits bemerkt und wandte sich leise, leise zu mir her. Der Panther hatte auch ein Weibchen, beide waren da, hier auf meiner Seite; heimtückisch, hinterlistig, ohne sich durch einen Laut, durch das geringste Geräusch Zu verraten, waren sie herbeigekommen, echt panthermäßig, echt teuflisch – Abu 'l Afrid!
Natürlich hatte ich keine Zeit, diese Betrachtungen anzustellen. Er war noch ungefähr zwanzig Schritte von mir entfernt. Ich lag platt auf dem Boden. Schnell nahm ich das Bowiemesser zwischen die Zähne, stützte mich langsam auf den linken Ellenbogen, erhob den Lauf und zielte.
Er merkte diese Bewegung und hielt inne. Sich auf die Hinterpranken erhebend, duckte er sich vorn nieder. Seine Augen rollten groß und weit geöffnet in grünlich gelber Glut; sie wurden kleiner, schmäler, ich wußte, in dem Augenblicke, in welchem sie nur noch einen Strich bildeten, würde er springen. Ich hielt auf sein rechtes Auge, drückte ab, und schnellte mich in demselben Momente mit solcher Gewalt vom Boden auf und nach der Seite hin, daß ich erst acht Schritte von der Stelle entfernt, auf welcher ich gelegen hatte, zum Halten kam.
Meinem Schusse folgte ein einziger brüllender Laut, aber so markerschütternd, so gräßlich, daß drüben am Feuer die Hunde vor Angst zu heulen begannen.
Ein einziger Blick genügte mir, um zu erkennen, daß die Kugel ihre Schuldigkeit gethan hatte – der Panther war tot.
Aber der andere? Ich blickte nach der Spitze des Dreiecks hinauf. Dort stand er, hoch aufgerichtet und herüber nach der Gegend starrend, in welcher er den Todesschrei seines Gefährten gehört hatte. Er besann sich; er schien noch einen zweiten Schrei zu erwarten. Dies gab mir Zeit, den abgeschossenen Lauf, zwar mit aller Sorgfalt, aber doch in fieberhafter Eile wieder zu laden. Dann zog ich mich weiter zurück und kniete nieder. Dies geschah natürlich alles viel schneller, als es sich erzählen läßt.
Ich hielt mein Auge auf den zweiten Feind gerichtet, und nur einen Gedanken lang schweifte es hinüber nach dem ersten Zelte. Ich erschrak. Dort stand jene weibliche Gestalt, hoch aufgerichtet und hell vom Feuer beschienen, und starrte herüber zu mir. Was wollte sie? Wenn der Panther sie erblickte, so war sie verloren! Und, wahrhaftig, er sah sie; er begann, sich zu bewegen; er schlich sich auf sie zu. Sollte ich rufen – sie warnen?
Da hielt er plötzlich an; der Geruch des Blutes hatte ihn erreicht. Mit drei, vier, fünf weiten Sätzen war er bei dem toten Tiere. Nur einen Augenblick beroch er dasselbe, dann schnellte er sich mit einem wutröchelnden Gebrüll auf das Weib zu. In langen Sätzen sprang ich nach. Nie vorher und später habe ich solche Sprünge fertig gebracht. Hundert Schritte vor mir erreichte er sie und riß sie nieder; aber Gott sei Dank, sein Sprung war zu weit gewesen – er stürzte über sie hinweg. Im Nu stand ich fest, im Nu drehte er sich nach seinem Opfer zurück, im Nu auch krachte mein Schuß. Er zuckte zusammen. Es war ein gefährlicher Schuß gewesen, denn wie leicht konnte ich das Weib treffen! Doch er, er war getroffen; er hatte im Aufleuchten des Schusses meine Gestalt gesehen; er wußte, daß ich es war, der ihn verwundet hatte; er beachtete seine Beute nicht weiter, sondern schnellte sich auf mich herbei.
Ich hatte nur noch einen Schuß, dann war ich verloren. Machte das Tier keine Pause vor mir, so konnte ich nicht sicher zielen – es waren nur drei Augenblicke, aber drei fürchterliche. Doch, es sollte nicht so arg werden. Acht, neun Schritte vor mir hielt das Tier, von vorher klug geworden, wo sein Sprung zu weit gewesen war, an, um Distanz zu nehmen. Es war nur eine Sekunde lang, aber sie genügte. Das Auge des ergrimmten Tieres flammte förmlich in der Dunkelheit; es bot mir ein Ziel, wie ich es sicherer gar nicht haben konnte. Der Schuß krachte; ich schnellte mich seitwärts, aber dennoch fühlte ich ein Etwas meinen Oberarm streifen, ließ die Büchse fallen und griff nach dem Messer. Nur zwei Schritte vor mir zuckte der Panther am Boden – ein kurzes ersticktes Röcheln, ein konvulsivisches Schlagen der Pranken – dann war es aus.
Diese fünf Minuten, – denn in so kurzer Zeit war das alles geschehen – waren schwer und gefährlich gewesen, aber ich hatte noch schwerere Minuten und Stunden überstanden. Zunächst lud ich meine beiden Läufe wieder, dann eilte ich zu dem Weibe. Wer war es? Dschumeilah! Sie lag ohnmächtig am Boden, aber kein Tropfen Blutes, keine Spur einer Verwundung war zu sehen. Der Panther hatte sie nicht mit den Tatzen, sondern mit seinem Leibe niedergerissen. Ich hob ihren Kopf empor, und bei dieser Bewegung schlug sie die Augen auf. Es war also doch keine Ohnmacht; sie war bei voller Besinnung und hatte nur vor Angst die Augen geschlossen, weil sie jeden Moment erwartete, von dem fürchterlichen Tiere zerrissen zu werden.
»Emir!« jubelte sie laut und legte die Arme um meinen Hals.
»Dschumeilah! Was thust du hier?«
»Ich hatte Angst um dich!«
Welch ein Mädchen, und welch eine Unvorsichtigkeit! Aber sollte ich ihr zürnen? Durfte ich schelten?
»Wenn dich nun der Panther tötete!«
»Allah war bei mir und du, Emir!«
Da aber richtete sie sich plötzlich empor und faßte mich beim Arm.
»Hier ist Blut! Du bist verwundet, Herr?«
Ich hatte es noch gar nicht bemerkt. Beim Todessprunge hatte eine Kralle des Tieres meinen Oberarm ein wenig aufgerissen.
»Es ist nichts, es ist nur eine Wenigkeit, Dschumeilah,« beruhigte ich sie.
»Ist's wirklich nicht viel? Schmerzt es dich nicht?«
»Nein! Aber willst du dich hier sehen lassen? Man wird bald kommen. Weiß die Frau deines Oheims, daß du nicht im Zelte bist?«
»Nein! Sie schläft hinter dem Vorhange. Sie hüllt sich in ihre Tücher, denn sie fürchtet sich vor Abu 'l Afrid und dem Sihdi es Salßali.«
»Abu 'l Afrid wird euch nichts mehr thun. Ich habe ihn und sein Weib getötet.«
»Beide, Herr?« fragte sie erstaunt.
»Beide. Nun aber kehre in das Zelt zurück, denn ich muß fort!«
»Herr, du bist ein großer Krieger; du bist ein Held wie keiner hier. Dschumeilah wird dich nie vergessen!«
Sie schlich sich fort. Warum war ich kein Beduine! Oder warum ist sie nicht die Tochter eines andern Landes! Auch ich habe sie bis heute nicht vergessen.
Ich untersuchte nun zunächst die beiden Tiere. Dasjenige, welches ich zuletzt getroffen hatte, war das Männchen. Sie waren beide von einer Größe, wie ich sie mir gar nie vorgestellt hatte; sie konnten sich mit einem ausgewachsenen, bengalischen Tiger messen.
Meine zwei Schüsse und die darauffolgende Stille schienen den Engländer besorgt zu machen, denn er that, was ich auch vorhin gethan hatte:
»Halloo, Sir!« ertönte seine Stimme.
»Yes!« machte ich es ihm nach.
»War er da?«
»Well!«
»Getroffen?«
»Nein!«
»Fie devil – Pfui Teufel!«
»Yes.«
»Kommt Ihr herüber, oder soll ich – –?«
»Macht Ihr Euch auf die Beine!«
In zwei Minuten sah ich ihn oben um die Ecke biegen; nach einer dritten stand er bei mir.
»Vermaledeite Katzen!« brummte er.
»Miserabel!«
»Mein Kater kommt auch nicht wieder!«
»Wie groß war das junge Kamel? Ein Füllen oder Fohlen?«
»Hm, vielleicht zweijährig.«
»Na, Master Percy,« lachte ich, »da kommt Euer Kater allerdings nicht wieder, denn an einem zweijährigen Dschemmel kann er sich samt seiner Familie recht satt fressen. Aber, old Shooter, warum habt Ihr denn das Tierchen nicht getroffen?«
»Tierchen? Reitet Euch der Teufel? Der Kerl war ja so groß wie ein achtzigjähriger Elefant!«
»Hopphopp!«
»Yes! Habe nie geglaubt, daß ein Löwe ein solcher Kerl sein kann; habe immer nur an die Katzen gedacht, die man in zoologischen Gärten und Menagerien zu sehen bekommt. Und sodann hatte ich meinen Stand sehr unglücklich gewählt. Er fiel zu weit links von mir in die Herde ein, und das Feuer, dessen Schein dazwischen lag, blendete mich. Aber getroffen habe ich ihn; das weiß ich ganz genau.«
»Habt Ihr den Schweiß gesehen?«
»Nein. Bin gar nicht von meinem Orte fortgekommen.«
»Trotzdem er so unglücklich gewählt war? Hättet Euch einen bessern wählen sollen – ungefähr so wie ich, dann hättet Ihr auch etwas geschossen.«
»Auch? Pshaw! Ihr habt ja auch nichts!«
»Hm! Kommt einmal hierher! Was ist das?«
»sdeath! Ein Vieh!« rief er, sich niederbückend.
»Ja, ein schwarzer Panther. Kommt einmal einige Schritte weiter. So! Was ist das?«
»Zounds! Abermals ein Vieh!«
»Abermals ein schwarzer Panther, Männchen und Weibchen, Abu und Omm el Afrid – Vater und Mutter des obersten Teufels, sagen die Mescheer.«
»Aber Ihr sagtet doch, Ihr hättet nichts getroffen!«
»Wollte nur sehen, was Ihr meinen würdet. Da Eure Kugeln nichts machten, so mußte doch wenigstens ich meine Schuldigkeit thun, sonst wären wir ja ganz erbärmlich ausgelacht worden!«
»Hm! Könnte mich eigentlich ärgern! Habe verteufeltes Pech gehabt!«
»Grämt Euch nicht, Sir! Wir werden morgen am Tage den Vater des Erdbebens nebst Familie in seinem Tuskulum aufsuchen. Seid Ihr dabei?«
»Yes! Well!« nickte er freudig. »Werde mich dann besser halten! Aber wo habt Ihr diese Kerls getroffen? Diese Bestien sollen ein noch zäheres Leben haben als der Löwe.«
»Ins Auge.«
»Beide?«
»Ja.«
»All devils! Erzählt!«
Ich berichtete ihm das ganze Abenteuer ausführlich, und nur von Dschumeilah sagte ich nichts.
»Mensch,« rief er, »das ist ja ganz interessant gewesen!«
»Nur interessant? Hm, ich dächte, es sei noch etwas mehr gewesen!«
»Ja, Ihr konntet allerdings von diesem Vater und dieser Mutter des Teufels ein wenig zerrissen werden, aber daran muß man sich gewöhnen.«
»Gewöhnen? Ich denke, das lernt man gleich beim ersten Male! Aber meint Ihr nicht, daß wir jetzt Hallo schlagen wollen?«
»Meinetwegen!«
Er ärgerte sich doch ganz gewaltig, daß er nicht so glücklich gewesen war wie ich, und schritt recht kleinlaut mit mir dem Lager zu. Dasselbe war vollständig menschenleer, denn selbst diejenigen Männer, welche die dort brennenden Feuer zu unterhalten hatten, saßen während der Zwischenzeit in ihren Zelten. Es war ja immer möglich, daß der Uwe oder der Panther statt zu den Herden seinen Weg in das Lager nahm. Ich trat in das Zelt des Scheiks. Er lag auf dem Serir, von einer kleinen Thonlampe beleuchtet.
»Emir!« rief er aufspringend.
»Hole deine Männer!«
»Hast du den Herrn des Erdbebens besiegt?«
»Er ist nur verwundet; er wird erst morgen sterben; aber Abu 'l Afrid und seine Frau sind tot.«
»Ist das wahr, Herr?«
»Ich sage es!«
»Hamdulillah – Lob, Preis und Dank sei Allah, dem Allmächtigen, der Stärke und Segen in deine Hand gegeben hat! Denn daß du Abu 'l Afrid und seine Frau getötet hast, das ist noch ein größeres Wunder, als wenn du zehn Herren mit dem dicken Kopfe getötet hättest. Erlaube, daß ich gleich die Tabl anschlage!«
Er zog einen kupfernen Kessel hervor, über welchen ein Trommelfell gezogen war, und trat damit vor das Zelt. Kaum waren die ersten Schläge erklungen, so öffneten sich alle Zelte, und sämtliche Insassen derselben, Männer, Frauen und Kinder kamen herbei. Jetzt sah man recht, daß kein einziger Mensch geschlafen hatte. Unsere vier Schüsse waren gehört worden, und nun hatte ein jeder mit Spannung das Resultat derselben erwartet. Alle kamen wißbegierig und lautlos herbei, um zu hören, was der Scheik zu verkünden habe.
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wahrlich wir haben dir einen offenbaren Sieg verliehen,« begann er mit dem Anfange der achtundvierzigsten Sure des Koran, »auf daß dir Gott deine früheren und späteren Sünden vergebe und seine Gnade an dir vollende und dich leite auf den richtigen Weg und dir beistehe mit seinem mächtigen Beistande! So steht es im heiligen Buche geschrieben, und so ist es heute an uns erfüllt worden durch die Thaten dieser Fremdlinge aus dem Abendlande. Hört, ihr Gläubigen, ihr Söhne und Töchter der Mescheer, daß Abu 'l Afrid getötet worden ist mit seinem Weibe, der Mutter des obersten Teufels. Nehmt Fackeln und feste Stricke von Palmenfasern und laßt euch von diesen beiden Helden führen zur Stätte des Todes, daß man die toten Leiber des Teufelsvaters und der Teufelsmutter hereinschleife in das Duar, und ihnen die Haut ziehe von den Gliedern, die in der Hölle brennen mögen. Allah illa Allah we Mohammed Rasul Allah – Alla ist Gott, und Mohammed ist Allahs Prophet!«
Der Sturm des Jubels, welcher auf diese Rede allerseits losbrach, ist nicht zu beschreiben. Man umarmte sich; man beglückwünschte sich; man rief, schrie und brüllte zu Allah, Mohammed, zu allen Kalifen, zu mir, zu dem Engländer; es war ein Spektakel, der geradezu seinesgleichen suchte. Man brachte eine Menge Fackeln herbei, die man anzündete; Stricke wurden geschafft, und dann ging es hinaus vor das Lager, ich und Percy an der Spitze, neben mir aber auch Achmed es Sallah, der vor Glück und Freude ganz außer sich war, daß er mich lebend wieder hatte. Der ungeheure Lärm machte auch die Herden rebellisch. Pferde wieherten, Kamele kreischten, Rinder brüllten, Schafe blökten und Hunde bellten und heulten. Und nun erst, als wir an dem Platze anlangten, wo die beiden Panther nicht weit voneinander lagen!
Zunächst getraute man sich nicht an sie heran; als ich sie aber unbeschädigt nach allen Seiten drehte, und man sich also Überzeugte, daß sie wirklich tot seien, stürzte sich alles auf sie. Man trat sie mit Füßen; man schlug sie mit Fäusten; man spuckte ihnen in das Gesicht; man ergoß eine Flut von Schimpfworten und Grobheiten über sie, wie sie nur die arabische Sprache in dieser Reichhaltigkeit und Drastik aufzuweisen hat. Ich mußte wirklich alle meine Kräfte aufbieten, um die schönen Felle vom Zerrissenwerden zu bewahren.
Endlich, endlich beruhigte man sich, und ich wurde von dem Scheik aufgefordert, zu erzählen. Ich that es in aller Kürze, und als man sich dann überzeugte, daß jedes Tier wirklich in das Auge getroffen sei, war des Erstaunens kein Ende. Die Panther wurden nun nach dem Duar geschleift, während ich mit Percy, Ali en Nurabi, Achmed, dem Scheik und einigen anderen, welche Fackeln trugen, nach der andern Seite ging, um nach den Spuren des Löwen zu sehen.
Ja, er war getroffen; er war vielleicht sogar gefährlich getroffen, denn er hatte bedeutend geschweißt, und der Scheik stimmte gern ein, als ich ihm vorschlug, am Tage die Fährte des gewaltigen Tieres zu verfolgen. Daß es ein außerordentlich großes Exemplar sei, war an der Größe der Spuren zu erkennen. Das fortgeschleppte Kamel hatte dem Scheik gehört.
Als wir in das Duar zurückkehrten, war man bereits mit dem Abziehen der Felle beschäftigt. Sie wurden mir als mein wohlerworbenes Eigentum vorgelegt. Der Scheik betrachtete sie mit lüsternem Auge.
»Scheik Mohammed er Raman, willst du mir eine Bitte erfüllen?« fragte ich ihn.
»Rede; ich höre!« antwortete er.
»Nimm dir von diesen Fellen dasjenige, welches dir am besten gefällt, und behalte es. So oft du es erblickst, magst du mein gedenken, wenn ich nicht mehr bei dir bin.«
»Emir, ist es wahr? Wolltest du mir wirklich diese kostbare Haut von Abu 'l Afrid verschenken?«
»Ich verschenke sie beide.«
»Beide?«
»Ja, denn ich kann sie nicht mit mir nehmen.«
»Wem soll die andere gehören, Herr?«
»Dschumeilah.«
»Dschumeilah? Warum?« fragte er verwundert.
»Ist sie es nicht, die mich unter ihren Schutz nahm, als die Gefahr über mir zusammenschlug? Allah vergilt alles Gute und alles Böse; warum sollte der Mensch nicht dankbar sein? Gieb das andere Fell der Tochter deines Bruders. Die Blume von Hamra Kamuda mag darauf ruhen und des Fremdlings gedenken, der heute ihr Freund und Bruder geworden ist!«
»Ich danke dir, Emir! Dein Herz ist voll Güte, und deine Hand voll Segen. Darum sollst du auch die Stute und Tochter erhalten, die dem Scheik der Sebira geraubt worden ist.« –-