Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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Der Krumir

Saadis el Chabir

Zwar war die Zeit erst neun Uhr vormittags, doch stachen die Strahlen der afrikanischen Sonne bereits mit intensiver Schärfe auf das vor uns liegende Thal hernieder. Wir beide waren allerdings gegen die Wärme recht gut geschützt. Zu unseren Häupten breitete ein riesiger Mastix, in dessen gefiederten Blättern ein leichter Nordwind säuselte, seine Aeste aus und badete seine Wurzelspitzen in dem kühlen Wasser eines Baches, welcher in eiligstem Laufe den Fluß zu erreichen suchte.

Wir kamen aus der Provinz Konstantine, hatten gestern zwischen Dschebel Frima und Dschebel el Maalega die tunesische Grenze überschritten und waren dann quer durch das Wadi Melis gegangen. Zwischen den westlichen, steilen Abhängen des Dschebel Gwibub hatten wir unter Feigen und Granaten unser Nachtlager aufgeschlagen, waren dann heut in östlicher Richtung über die Höhen gegangen und hielten nun eine kurze Morgenrast.

Wir wollten bis zum Abend Seraïa bent erreichen und mußten zu diesem Zwecke das Wadi Mellel durchschneiden, welches mit seinen Cypressen, Johannisbrot- und Mandelbüschen vor uns lag.

»Wie weit ist es noch bis Kef?« fragte ich meinen Diener.

»Nach dem Maße der Franken können es fünfundzwanzig Kilometer sein, Sihdi,« antwortete er.

Er war lange Zeit in Algier gewesen, und daher war ihm das französische Maß geläufig.

»Und bis Seraïa bent?«

»Acht Kilometer in gerader Richtung. Wie ich gehört habe, sind dort die Uëlad Sebira auf der Weide. Herr, ich werde die Meinen wiedersehen, den Vater, die Mutter und –«

Er hielt inne.

»Und wen noch?« fragte ich.

»Sihdi, du hast mich nie gefragt, ob ich eine Bent el Amm habe. Ich weiß, warum du es nicht thatest, aber ich sage dir, daß die Bedawi es nicht für eine Sünde halten, von ihren Frauen zu sprechen und die Morgenröte ihres Angesichtes sehen zu lassen. Die Frauen und Töchter der Uëlad Sebira haben das Herz der Taube, aber nicht die Augen der Tänzerinnen; sie brauchen ihr Gesicht nicht zu verhüllen.«

»So giebt es also zwei Taubenaugen, deren Blick deine Seele erleuchtet?«

»Ich habe noch kein Weib; aber Scheik Ali en Nurabi hat eine Tochter. Sie heißt Mochallah, die Wohlriechende; ihre Füße sind wie die Füße der Gazelle; ihr Haar gleicht den Locken von Dscheheresade; ihre Augen sind wie die Sterne am Himmel; ihre Stimme ist lieblich wie der Gesang des Sandes um Mitternacht, und ihr Gang ist wie der Schritt einer Königin, die durch die Reihen ihrer Sklavinnen wandelt. Allah il Allah – es giebt nur einen Gott, aber es giebt auch nur eine Mochallah! Du wirst sie sehen, Sihdi, und deine Zunge wird mein Glück preisen, mein Glück, welches höher ist als der Himmel, tiefer als die Fluten des Meeres und weiter als die Wüste es Sahar und alle Länder der Erde.«

Er hatte sich erhoben. Sein Auge leuchtete, seine braunen Wangen verdunkelten sich, und seine Hände begleiteten die Rede mit lebhaften Gesten.

»Und Mochallah, die Wohlriechende, wird dein Weib sein?« erkundigte ich mich.

»Sie wird mein Weib sein. Sie ist die Sonne meiner Tage, der Traum meiner Nächte, der Preis meiner Thaten und das Ziel aller meiner Gedanken. Sihdi, ich war arm, aber um sie zu erringen, ging ich fort von den Zelten der Kinder es Sebira. Hamdulillah, Preis sei Gott, der meine Hand und meinen Fuß gesegnet hat! Ich habe mir viele Franken und Piaster verdient; am wohlthätigsten aber hat deine Gnade über mir geleuchtet, Effendi, und nun kann ich dem Scheik bezahlen, was er für seine Tochter von mir gefordert hat. Ich bin Achmed es Sallah und werde der Glücklichste der Sterblichen sein – insch' Allah, wenn es Gott gefällt!«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig, doch die Schicksale des Menschen sind im Buche aufgezeichnet. Möge der Baum deines Lebens duften wie die Blume el Mochallah, die deine Seele bezaubert hat!«

»Effendi, der Baum meines Lebens wird sein wie der Baum des Paradieses, der ewig Blüten und Früchte trägt, und aus dessen Wurzeln tausend kühle Quellen strömen. Da drüben erhebt sich der lange Kamm des Dschebel hemormta wergra, bis an dessen Fuß die Herden meiner Brüder weiden. Laß uns aufbrechen, damit ich keinen Tropfen verliere von dem Meere der Seligkeit, dessen Fluten ich bereits rauschen höre!«

»Sollen wir die Pferde nicht noch länger ruhen lassen, Achmed?«

»Die Pferde, Sihdi? War dein Rapphengst nicht das beste Pferd unter den Arab el Hadeddihn zwischen den Flüssen Phrat und Tigris? Wird er nicht ›Rih‹ genannt, weil er schneller noch und unermüdlicher ist als der Sturm, der von den Bergen des Aures braust? Ist meine Fuchsstute nicht im Wadi Serrat geboren, welches berühmt ist wegen seiner Tiere, die niemals ermatten? Wir könnten heut' noch Kef erreichen, trotz der Berge und Flüsse, welche zwischen dort und hier zu finden sind.«

»Gut, so wollen wir aufsitzen!«

Er hatte recht. Was mein Pferd betrifft, so hätte ich es gegen kein Tier der Welt vertauscht, und das seinige war eines der besten, die ich jemals gesehen hatte. Auch er selbst war ein Mann, über den man sich nur freuen mußte. Von zwar nur mittlerer, aber kräftiger und herrlich ebenmäßiger Gestalt, sah er in seinem weißen Haik, mit dem wehenden Turbantuche und den messingbeschlagenen Waffen aus wie eine Gestalt aus den Zeiten Saladin des Großen. Dabei war er treu, ehrlich, wahr und offen, abgehärtet gegen alle Mühen und Entbehrungen und unerschrocken in jeder Gefahr, fast möchte ich sagen, verwegen. Ferner sprach er nicht nur alle landläufigen Dialekte, sondern er war auch, ehe er nach Algier ging, in Stambul gewesen und hatte sich dort zur Genüge auch mit dem Türkischen bekannt gemacht. Aus allen diesen Gründen war er mir bisher ein wertvoller Begleiter gewesen, den ich mehr als Freund denn als Diener zu behandeln pflegte, und so that es mir wirklich leid, ihn so bald verlieren zu müssen.

Wir ritten längs des Baches den kurzen Abhang vollends hinab und hielten dann unten im Thale grad auf den Fluß zu. Das Wasser des Wadi Mellel ist nicht breit; wir gelangten sehr leicht an das andere Ufer und damit in eine nicht sehr große, vollständig ebene Lichtung, welche rings von einem wilden Olivengebüsch eingefaßt wurde.

»Maschallah – Wunder Gottes, was ist das, Sihdi?« fragte da plötzlich Achmed, indem er nach links deutete.

Ich sah in der angedeuteten Richtung, also oberhalb unsers Standpunktes, ein Rudel Gazellen aus den Büschen brechen. Meine Jagdlust erwachte sofort.

»Sie kommen grad' auf uns zu, Achmed. Sie sind auf der Flucht!«

»So ist es, Sihdi. Siehst du den Fahad, der jetzt hinter ihnen aus dem Busche schnellt? Was thun wir?«

»Wir jagen mit und verlegen den Antilopen den Weg. Mein Pferd ist noch schneller als das deinige, halte dich hier am Flusse; ich werde nach rechts hinübergehen.«

»Aber, Sihdi, dürfen wir? Der Fahad gehört jedenfalls einem Scheik, oder gar dem Emir von Kasr el Bordsch!«

»Pah, wir thun dennoch mit. Vorwärts!«

Wie von der Sehne geschnellt, flog mein Pferd über die Ebene dahin. Die Gazellen mußten sich in größter Angst befinden, da sie uns nicht beachteten, trotzdem die Entfernung keine bedeutende war. Sie hatten zweimal gebogene, schwarze, leierförmige Hörner und waren oben hellbraun, unten weiß gezeichnet; Schwanz und Seitenstreifen zeigten eine dunkelbraune Farbe; wir hatten es also mit Antilope dorcas L. zu thun. Ich zählte vierzehn Stück, ließ also die Doppelbüchse auf dem Rücken und langte nach dem Henrystutzen, aus dem ich meine Kugeln abgeben konnte, ohne zwischen jedem Schusse zu laden. Dieses Gewehr hatte mir in Amerika, Australien und Asien große Dienste gethan und auch jetzt immer die Bewunderung meines wackern Achmed auf sich gezogen.

Jetzt hatte der Gepard die hinterste der Gazellen erreicht; mit einem weiten Sprunge warf er sich auf sie und riß sie nieder. Ich hielt mein Pferd an und zeigte demselben das Gewehr. Sofort stand das kluge Tier vollständig bewegungslos, wie aus Erz gegossen. Ich hätte eine halbe Stunde lang im Sattel bleiben und schießen können, ohne daß es auch nur einmal den Kopf gehoben hätte. Es hatte in seiner fernen Heimat die beste arabische Dressur erhalten. Eben krachte mein erster Schuß, als ich es auch aus dem Gewehre Achmeds aufblitzen sah. Zwei Tiere stürzten zu Boden. Zu gleicher Zeit wurde das Buschwerk von neuem durchbrochen, und ich bemerkte sechs Reiter, fünf in arabischer Tracht und der sechste in der goldstrotzenden Uniform eines hohen, tunesischen Offiziers. Auf seiner linken Faust sah ich einen Schahihn sitzen. Er stutzte einen Augenblick, als er uns sah, dann häubte er den Vogel ab und warf ihn empor. Sofort stieß der Falke auf eine der Gazellen, unglücklicherweise aber auf diejenige, die ich in ganz demselben Augenblick auf das Korn genommen hatte; es war zu spät, den Finger zurückzunehmen, denn ich war bereits im Abdrücken – beide Tiere wälzten sich am Boden. Ohne mich um sie zu kümmern, wandte ich mich den vorüberschießenden Gazellen nach und gab noch zwei Schüsse ab. Da aber hörte ich den Hufschlag eines Pferdes hinter mir, und eine Hand faßte meinen Arm.

»Chammar el kelb – Hund von einem Betrunkenen, wie darfst du wagen, hier zu jagen und meinen Schahihn zu erschießen!« donnerte es mich an.

Ich wandte mich um. Es war der Offizier. Seine Augen blitzten vor Zorn; die Spitzen seines Schnurrbartes zitterten heftig, und sein sonst wohl sehr gutmütiges Angesicht hatte sich dunkel gerötet. Ich war nicht gewillt, mir solche Reden bieten zu lassen, und schüttelte seine Hand von meinem Arme.

»Hawuahsch – laß mich in Ruh!« donnerte ich ebenso herzhaft zurück. »Sagst du noch ein einziges solches Wort, so schlage ich dich mit dieser meiner Faust vom Pferde!«

»Allah aienak – Gott helfe dir!« antwortete er, indem er nach dem Griffe seines Dschambijeh faßte. »Mensch, bist du verrückt? Weißt du, wer ich bin?«

»Der Besitzer eines ungeschickten Falken bist du, weiter nichts!«

»Dieser Kerl macht meinen Falken schlecht,« rief der Mann. »Allah istaffer – Gott mag es ihm vergeben! Wirst du gleich von deinem Pferde steigen und mir Abbitte thun!«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig; er mag deine Gedanken lenken, damit du dich nicht lächerlich machst. Bist du vielleicht Mohammed es Sadak Bei, der Herrscher von Tunis, oder gar der Sultan von Stambul, daß du von mir verlangst, um Verzeihung zu bitten?«

»Ich bin weder der Sultan, noch der Bei von Tunis, den Allah segnen möge, aber ich bin sein Apha el harass, der Oberste seiner Leibgarde. Herunter vom Pferde, wenn du nicht die Bastonnade schmecken willst!«

Ich zog in höchster Ueberraschung mein Pferd etwas zurück.

»Allah akbar – Gott ist groß! Bist du wirklich der Bei el mamluk des Beherrschers von Tunis?«

»Ich sage es!« antwortete er stolz.

Welch ein Zusammentreffen! Dieser Mann also war ›Krüger-Bei‹, der originelle Anführer der tunesischen Leibscharen! Ich hatte oft, sehr oft von ihm sprechen gehört. Er war keineswegs ein Afrikaner, sondern er stammte als der Sohn eines Bierbrauers aus der ›Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches deutscher Nation‹. Sein Kismet hatte ihn im Anfange der dreißiger Jahre nach Tunis verschlagen, wo er zum Islam übertrat. Dadurch erwarb er sich die Gnade des Propheten und aller heiligen Kalifen in der Weise, daß er von Stufe zu Stufe stieg und endlich gar die ehrenvolle Aufgabe erhielt, an der Spitze der Leibmameluken das teure Leben Mohammed es Sadak Paschas zu beschützen. Aber das verleugnete Vaterland schwur ihm Rache. Es sandte nicht etwa, wie Griechenland es vielleicht gethan hätte, drei Erynnien über ihn, sondern es ließ volle fünf unermüdliche Rachegötter über ihn herfallen, und deren Namen lauteten Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ und Syntax. Er hatte das Deutsche nie anders als im Brandenburger Dialekt sprechen können, drüben in Afrika kamen ihm die Regeln seiner Muttersprache nach und nach abhanden, und wenn er sich ihrer nun einmal bedienen wollte, so eilten sofort die genannten fünf Rächer herbei, um sich seiner zu bemächtigen und ihn in ihrem grammatischen Höllenfeuer schwitzen und schmoren zu lassen.

Hiervon sollte ich jetzt gleich ein Beispiel erleben. Wir hatten bisher arabisch gesprochen, nun aber machte ich meiner Ueberraschung in deutschen Worten Luft:

»Sapperlot, Herr Oberst, hätte ich das gewußt, so wäre unsere Unterhaltung etwas manierlicher ausgefallen – – !«

Er riß die Augen auf und öffnete den Mund sperrangelweit. Ich ahnte, daß jetzt Nominativ nebst Dativ und Konsorten in ihm zu rumoren beginnen würden.

»Maschallah, Dunderwetter! Du bist wohl – – – ach so, hätte ich mir doch bald versprochen! Ihnen sind wohl jar ein Deutscher?«

»Allerdings.«

»Allah, wallah, billah, tillah – heiliges Pech, dat is doch eigentlich janz und jar unmöglich!«

»Warum?«

»Deswegen – weil – – insofern – – na, Allah ist jroß, er führt die Seinigen und auch die Ihrigen oft wunderbar und herrlich hinaus. Wat wollen Sie denn hier im Tunis, he?«

»Nichts weiter, als alte Erinnerungen auffrischen und dabei Land und Leute eingehender kennen lernen, als es früher möglich war.«

»Alte Erinnerungen – Land und Leute –? Haben Sie denn früher schon 'mal hier jewesen?«

»Ja.«

»Wo?«

»Weiter im Süden, an den Schotts. Ich ging damals nach Tripolis, Barka und Aegypten.«

»Tripolis – Barka – Aegypten –? Wallahi, tallahi, Schock Batailljon, dat ist weiter als ein Spaziergang von Berlin nach Köpenik! Und wo sind ihnen nun heute hergekommen?«

»Ich komme über den Dschebel – – –«

Die Rede blieb mir auf der Zunge liegen. Mein Auge war auf das Angesicht eines Mannes gefallen, weicher abgestiegen war und sich mit dem toten Falken zu schaffen gemacht hatte. Jetzt wandte er sich zu uns und kam herbei. Wo hatte ich diesen ewig langen, zum Zerbrechen hagern Menschen nur schon gesehen? War dies wirklich Lord David Percy, der eigentümliche, originelle Sohn des Earl von Forfax? Auch er blieb stehen und blickte höchst erstaunt zu mir herauf.

»Good lack! Seid Ihr's, oder seid Ihr es nicht, old Rifleman?« fragte er.

»Lord Percy, ist's wahr!«

»Egad!« nickte er. »Welcorne amidst this tedious part of the world – willkommen mitten in diesem langweiligen Weltteile!«

Er reichte mir die Hand entgegen, die ich ihm herzlich drückte.

»Langweilig?« fragte ich. »Warum?«

»Hm! Kam herüber, um Löwen zu schießen, Tiger, Nashörner, Elefanten, Flußpferde. Habe noch nichts gesehen als Wüstenflöhe, Eidechsen und diese Ziegen da. Langweiliges Land, hm!«

»Ich finde es nicht langweilig.«

»Ja, Sir, mit Euch ist es anders. Ihr dürft nur hintappen, wo Ihr wollt, da giebt es Abenteuer; ich habe kein solches Glück. Well! Werde mich Euch wieder anschließen müssen, wie da drüben in old East-Indies

»Sollte mir recht und lieb sein, Sir. Aber wollt Ihr mich nicht diesem Gentleman vorstellen? Ich habe ihm meinen Namen noch nicht genannt.«

»Yes, soll geschehen!«

Er machte eine seiner kolossalen Armbewegungen und stellte mich dem Anführer der Leibgardisten vor. Dann fügte er hinzu:

»War ein guter Schuß, Sir. Könnt nicht dafür, daß Ihr diesen Vogel getroffen habt. Soll ein Falke sein, ist aber wohl nur ein Thistle-finch oder eine Goose gewesen. War schlecht geschult, hatte kein Geschick, nahm die Gazelle nicht oberhalb der Augen, sondern an der Kehle, mußte also von Eurer Kugel getroffen werden. Well

»Sie haben Ihnen einander bereits jekannt?« fragte Krüger-Bei.

»Ja. Wir haben miteinander ein gutes Teil von Indien durchstrichen,« antwortete ich ihm.

»Maschallah, hole mir der Jukuk, dat ist zum Erstaunen! Haben sich im Indien jekannt und thun sich hier im Tunis wieder treffen! Ich bin ein juter Moslemit, aber dat ist mich schon mehr als Kismet; dat ist ein Zufall, der mich zu denken jiebt. Schade, daß Ihnen Ihr Freund jar nicht deutsch und nur janz wenig arabisch reden kann; et ist da janz unmöglich, ihm mit sich zu unterhalten.«

»Wo sind Sie mit ihm zusammengetroffen?«

»Er hat sich mir im Tunis vorstellen lassen und ist dann mit mich nach el Bordsch jegangen, was iar nicht weit von hinnen liegt. Ich mußte mit den Achordar, hin, um Pferde einzuhandeln. Heut' wollten wir jagen, und das Nützliche mit das Anjenehme zu befriedigen, werden wir jetzt noch hinüber nach Seraïa bent reiten, was auch zuweilen Mosole jenannt zu heißen wird.«

»Nach Seraïa bent?« fragte ich erfreut.

»Ja, der Scheik Ali en Nurabi lagert dort, der einige prächtige Pferde haben soll, die er mir zeigen muß.«

»Das trifft sich gut, denn auch ich will nach Mosole.«

»Prächtig! Wir reiten zusammen. Aber wie steht es mit die Jasellen, he?«

»Die gehören natürlich Ihnen. Wegen des Schahihn aber dürfen Sie mir nicht zürnen. Er war schlecht dressiert und stieß im unrechten Augenblicke. Hätte er das Wild an der richtigen Stelle genommen, so wäre ihm kein Leid geschehen.«

»Schadet nichts. In Ejypten werden mehr jefangen. Der Bei bekommt von dem Vizekönig öfters welche jeschickt. Aber die Jasellen, welche Ihnen Ihr Jewehr jetroffen hat, die jehören Sie, das thue ich nicht anders. Sehen Sie, da kommen noch zwei Saisz von mich, die haben jeder einen Falken und eine Jaselle aufjeladen, die von mich bereits erlegt zu werden jeworden sind. Ich habe also Fleisch jenug.«

»Gut, so danke ich herzlich und werde mit den Tieren dem Scheik Ali en Nurabi ein Geschenk machen.«

»Richtig! Janz praktisch! Was mir betrifft, so werde ich die Leute zurückschicken, welche mich überflüssig sind.«

Der Gepard war unterdessen wieder mit der Kappe versehen worden. Einer der Männer nahm ihn hinter sich auf das Pferd und kehrte mit den Reitknechten nach el Bordsch zurück. Von den andern Begleitern des Obersten der Leibwache wurde die mir überlassene Jagdbeute aufgeladen, und dann wandten wir uns der im Osten aufsteigenden Thalwand zu. Sie war nicht sehr schroff und hoch und ließ sich leicht ersteigen, da eine Art von Weg hinauf zur Höhe führte.

Oben fanden wir eine kleine, baumlose Ebene, hinter welcher das Terrain sich abermals erhob. Dort gab es wieder Busch und Wald, und da jetzt die Sonne im Zenithe stand, so wurde beschlossen, eine kurze Rast zu machen.

Die Unterhaltung, welche seit unserm Aufbruch etwas ins Stocken geraten war, wurde jetzt wieder lebhaft. Lord Percy war schweigsamer Natur, aber Krüger-Bei wollte viel und alles wissen.

Ich mußte ihm von der Heimat erzählen, von meinen Reisen, von allem möglichen, und als wir wieder aufbrachen, klopfte er mir auf die Schulter und meinte:

»So wohl wie jetzt ist mich's selten jewesen, bei Allah, hole mir der Jukuk! Ich sage Sie, daß ich Ihnen nicht sogleich wieder von mich lasse. Deutsch bleibt Deutsch, dem Propheten und dem Kuran jar nicht mitjerechnet. Nehme es Ihnen nicht übel, aber ich sage Sie, es wäre sehr jut für Ihnen, im Tunis zu bleiben. Zwar so hoch wie mir avanciert es nicht gleich einen jeden, aber ein Mann von die Ihrigen Fähigkeiten wird es nicht schwer finden, es zu einer guten Stellung jebracht zu haben jeworden sein. Jeben Sie mich die Hand! Es kostet mich ein Wort, aus Sie etwas Besseres zu machen, als Ihnen da drüben in Deutschland jemals werden zu können vermögen.«

»Besten Dank, Herr Oberst! Ich werde mir Ihre freundliche Offerte sehr angelegentlich überlegen.«

»Recht so! Der Mensch soll sein Glück niemals nicht mit die Füße betreten. Ich jebe mich die Ehre, Ihnen bereits als Staatsbürger vom Tunis zu betrachten. Von Mohammed und seine Kalifen können wir später einmal zu sprechen die Zeit jefunden haben dürfen. Trotzdem aber werde ich Ihnen nicht zum Islam verleiten, denn ein Christ kann es deretwegen dennoch zu etwas bringen, wenn er nur glaubt, daß der Prophet und die Kalifen wirklich auf der Welt jewesen sind. – Aber jetzt möchte ich wissen, wohin wir reiten müssen, nach rechtsum oder nach linksdrum!«

»Mein Diener kennt die Gegend genau.«

»War er bereits hier jewesen?«

»Er gehört zu den Uëlad, Sebira, zu denen wir wollen.« »Rufen Sie ihm herbei! Ist er ein braver Kerl?«

»Ich betrachte ihn mehr als Freund, denn als Untergebenen.«

»So erlaube ich Sie, ihm mich vorzustellen!«

Ich winkte Achmed herbei. Krüger-Bei betrachtete ihn mit angelegentlicher Gönnermiene und fragte ihn, natürlich arabisch.

»Dein Name ist Achmed?« Der Gefragte machte eine stolze Handbewegung und antwortete:

»Ich heiße Achmed es Sallah Ibn Mohammed er Raham Ben Schafei el Farabi Abu Muwajid Khulani.«

Der freie Araber ist stolz auf seine Ahnen und unterläßt es zur geeigneten Zeit sicherlich nicht, sie wenigstens bis zum Großvater aufzuzählen. Je länger der Name, desto größer die Ehre; ein kurzer wird fast zur Schande gerechnet.

»Schön!« nickte der Bei der Mameluken. »Dein Name ist gut, und dein Herr hat dich gelobt; ich werde – –«

»Mein Herr?« fiel ihm Achmed mit blitzenden Augen in die Rede. »Du selbst ' magst einen Gebieter haben; ich aber bin ein freier Sohn der Beni Rakba vom Ferkah Uëlad Sebira. Ich habe keinen Herrn; aber ich liebe diesen Sihdi, weil er nicht nur klüger und tapferer sondern auch gütiger ist als alle andern, die ich kenne. Was wünschest du von mir, Effendi?«

»Wie kommen wir zu der Uëlad Sebira; hier rechts oder links?«

»Reite rechts. Sobald du das Thal überblicken kannst, wirst du ihre Zelte sehen.«

Er kehrte, während wir seiner Weisung folgten, zu den andern zurück. Krüger-Bei hatte die kleine Zurechtweisung ruhig hingenommen.

»Stolze Kerls, diese Beduinen,« meinte er. »Kein anderer Fürst hat solche Unterthanen!«

»Unterthanen?« fragte ich lächelnd. »Gehorchen sie wirklich Mohammed es Sadak Paschah?«

Der Gefragte zog eine höchst diplomatische Miene.

»Natürlich betrachten sie ihm als ihren Herrscher; dat versteht sich janz von selber. Oder jiebt es vielleicht einem andern, dessen Herrschaft sie ihnen jefallen zu lassen jeneigt zu sein pflegen werden?«

»Ich wüßte allerdings keinen.«

»Na, also! Mohammed es Sadak Bei regiert weder mit Ruten noch mit Skorpionen, wie jener König Rehabraham oder Jerobraham vom Israhel, wie der Kuran erzählt. Oder steht das vielleicht in die Bibel? Er ist klug und läßt es denen Beduinen jar nicht ahnen, daß sie seine Unterthanen zu sein sich zu rühmen haben müssen.«

»Aber wenn sie im Bardo, wo er alle Sonnabende Gericht zu halten pflegt, die Bastonnade oder gar den Strick erhalten, dann merken sie es; nicht?«

»Mahlesch – das thut nichts! Die Bastonnade und der Galgen stehen auch in dem Buche des Lebens jeschrieben, und niemand, dem sie bestimmt sind, kann ihnen entjehen. Wer nicht mag hören wollen, der wird und muß fühlen sollen; dat ist eine alte Wahrheit; verstanden?«

»Wie steht es denn da mit der Bastonnade, die auch ich vorhin bekommen sollte?«

»Die ist abjemacht und verjährt. Allah kehrim, Allah ist barmherzig, und auch mein Jemüt liebt die Gnade. Wir sind Freunde und werden einander also nicht die Füße zu versohlen brauchen notwendig haben. Aber – da unten stehen Zelte. Mich scheint, wir sind nun bald am das Ziel zu kommen anjelangt.«

Auch der Engländer, welcher wortlos neben uns geritten war, hatte bereits die weißen Zelte bemerkt, welche zerstreut auf der Ebene lagen.

»Sind dies die Uëlad Sebira, Sir?« fragte er mich.

»Wenigstens eine Abteilung von ihnen. Sie gehören zu dem großen Stamm der Rakba, welcher unter Umständen weit über zehntausend Krieger zu stellen vermag.«

»Tapfere Kerls?«

»Ja, wie man hört.«

»Räuber?«

»Hm! Der Beduine ist an allen Orten und zu allen Zeiten mehr oder weniger das, was man einen Räuber nennt.«

»Well! So wird es wohl ein Abenteuer geben?«

»Das müßten wir abwarten.«

»Will eins haben; verstanden, Sir? Mit Euch erlebt man andere Dinge als mit diesem Kolonel der Leibwache, mit dem man nicht einmal reden kann. Ich gehe nicht wieder von Euch fort.«

»Ihr seid mir willkommen.«

»Welche Route habt Ihr vor, Sir?«

»Ich will über Kef nach der Ebene der berühmten Uëlad Ayar und von da über die Berge von Melbila und Margela nach den großen Duars von Feriana, um dann nach Gafsa, Seddada, Toser und Nefta am Schott el Dscherid zu gehen. Auf dem Schott mußte ich vor Jahren beinahe einmal mein Leben lassen, und ich möchte mir die Stelle gern noch einmal betrachten.«

»Zounds! Ein Abenteuer? Erzählt es!«

»Jetzt ist keine Zeit dazu. Seht, man hat uns bereits bemerkt und kommt uns entgegen.«

Zwischen den Zelten weideten zahlreiche Schafe, Pferde und Kamele; vor jeder der weißen Sommerwohnungen aber war eine Lanze in den Boden gestoßen, an welcher das Leibpferd des Besitzers gebunden war. Bei unserem Erscheinen wurden die Lanzen herausgezogen und die Pferde bestiegen. Es bildete sich ein Trupp von gegen achtzig Kriegern, der uns entgegengesprengt kam. Die Männer stießen ein lautes, herausforderndes Geschrei aus, schwangen die Lanzen und schossen ihre langen Flinten ab. Sir David Percy griff nach seiner Büchse und lockerte auch die Pistolen.

»Thunder-storm! Sie verhalten sich feindlich. Endlich einmal ein Kampf, ein Abenteuer!«

»Freut Euch nicht zu früh! Sie sehen j a, daß wir nur sieben Personen sind und also keine unfreundlichen Absichten haben können. Sie werden uns nach arabischer Sitte mit einer kriegerischen Fantasia empfangen; von Kampf aber ist keine Rede.«

»Dull, extremely dull – dumm, außerordentlich dumm!« brummte er.

Ich wandte mich an Krüger-Bei:

»Sind Sie sicher, in Ihrer Uniform hier gastlich aufgenommen zu werden?«

»Ja. Die Rakba sind unsere Freunde. Sie haben die Karawanenstraße zu bewachen, welche vom Tunis über Testur, Nebör und Kef nach Konstantine jeht, und bekommen dafür Jeschenke. Wir haben von sie nichts zu befürchten. Dieser Scheik Ali en Nurabi kennt mir übrigens sehr gut, denn er war schon einmal bei mich im Tunis gewesen. Er wird sich freuen, mir jesund wiedersehen jedurft zu haben; darauf können Sie Ihnen verlassen. Und wenn ich Sie ihn als Landsmann vorstelle, so wird er geneigt sein, davon sehr angenehm berührt werden zu können. Dort kommt er an die Spitze von seine Eskadron. Er hat mir bereits erkannt. Bitte, wir wollen in Galopp auf ihm anrennen, denn dat ist diejenige arabische Sitte, welche bei dem Arabern jebräuchlich zu sein jenannt zu werden verdienen muß!«

Wir flogen einander in gestreckter Karriere entgegen, wobei von beiden Seiten durch Schießen und Schreien ein bedeutender Lärm verursacht wurde. Es hatte den Anschein, als ob wir zusammenrennen würden, aber gerade im letzten Moment vor dem Zusammenpralle warf ein jeder sein Pferd herum und ließ das Spiel von neuem beginnen. Zwar nimmt sich dies ganz prächtig aus, aber die Pferde werden dabei ganz außerordentlich in den Häksen angegriffen, und es ist nichts Seltenes, daß ein Tier daran zu Grunde geht. Wir jagten im Scheingefechte durch das von Frauen, Greisen und Kindern belebte Lager und sprangen endlich vor einem Zelte ab, dessen Größe und Ausschmückung uns erraten ließ, daß es dem Scheik gehöre. Die Männer bildeten einen Halbkreis um uns. Bis jetzt war kein Wort der Begrüßung gefallen, jetzt aber trat Ali en Nurabi auf den Anführer der Leibmameluken zu und reichte ihm die Hand.

»Die Wüste freut sich des Regens und der Ibn es Sahar seines Freundes. Marhaba – du sollst willkommen sein. Tritt ein in das Zelt deines Bruders und siehe, wie lieb er dich hat!«

Der Scheik war ein echter, dünn bebarteter Beduine in den reifen Mannesjahren. Er hatte das Hamaïl am Halse hängen und war also in Mekka und Medina gewesen. Krüger-Bei benahm sich außerordentlich würdevoll:

»Der Mond erhält sein Licht von der Sonne, und ich habe keine Freude ohne den Freund meiner Seele. Dein Name ist groß auf den Bergen und deine Stute berühmt in den Thälern; dein Vater war der tapferste der Helden und der Vater deines Vaters der weiseste der Weisen. Mögen deine Söhne stark sein wie Chalid und die Söhne deiner Söhne tapfer wie der Hengst, der seine Frauen und Kinder verteidigt! Ich bringe dir hier zwei Männer aus dem Abendlande. Sie sind große Emirs bei den ihrigen und kommen zu dir, um deine Macht und Freundlichkeit rühmen zu können in den Ländern, wo die Sonne untergeht.«

Wie schade, daß dieser Krüger-Bei das Deutsche nicht ebenso gewandt zu gebrauchen wußte wie das Arabische!

»Du sollst mein Rafik sein, und du mein Aschab,« meinte der Scheik, indem er erst dem Engländer und dann auch mir die Hand reichte. »Ihr seid in meinem Zelte so sicher, als ob Dsu'l Fekar, der Säbel des Propheten, euch beschütze. Tretet ein, und eßt das Brot mit mir!«

Wir traten in das Zelt. Die Begleiter Krüger-Beis blieben draußen, mein Diener Achmed mit ihnen. Er hatte nicht ein Wort, nicht einen Wink der Begrüßung von dem Scheik erhalten. Lag dies daran, daß dieser zunächst seine Gäste zu beehren hatte? Oder hatte es vielleicht andere, Achmed nicht freundliche Gründe?

Im Hintergrunde des Zeltes war ein ungefähr sechs Zoll hohes, hölzernes und mit Matten belegtes Gestell errichtet, das sogenannte Serir, auf welchem wir Platz nahmen. Eine besondere Frauenabteilung gab es augenscheinlich nicht. Die weiblichen Familienglieder des Scheik waren jedenfalls in dem kleineren Zelte, welches neben dem großen lag, untergebracht. Von der Decke hing an einer grünseidenen Schnur ein Glasgefäß herab, welches der Scheik nahm, um es uns entgegenzureichen. Es enthielt Salz, klargestoßenes Natron aus den Salzseen des Südens; dabei lag ein kleiner Porzellanlöffel. Beides, Glasschale und Porzellanlöffel, war hier ein Luxus, auf den der Scheik nicht wenig stolz zu sein schien. Wir genossen jeder einige Körner; Ali en Nurabi that dasselbe und sagte dann feierlich: »Nanu malahin – wir haben Salz miteinander gegessen. Wir sind Brüder, und keine Feindschaft vermag uns zu trennen.«

Hierauf nahm er drei Tabakspfeifen von der Zeltwand, stopfte sie mit eignet Hand, reichte sie uns und gab uns Feuer. Dann entfernte er sich auf kurze Zeit. Als er wieder zurückkehrte, folgte ihm eine ältere Frau und ein junges Mädchen. Die erstere trug ein neun Zoll hohes Senïeh in den Händen, welches sie vor uns niedersetzte. Die letztere war eine vollkommene Schönheit zu nennen. Sie trug das tiefschwarze Haar in langen, dicken Flechten, in welche Silberschnüre eingewoben waren; um den vollen, hellbraunen Hals legte sich eine Korallenkette, an welcher eine goldene Schaumünze hing; sie trug einen schneeweißen Saub, welcher an der Brust ausgeschnitten war, so daß man das rotseidene Sudameirijeh sehen konnte, welches den vollen Busen trug, ohne ihn zu drücken. Dieses Hemde hatte sehr weite geschlitzte Aermel, so daß man den Arm bis zur Gegend des Ellbogens sehen konnte, und reichte bis über das Knie auf die weiß und rot gestreifen Sarwal herunter. Die nackten Füßchen staken in blauen Pantoffeln, und an den Hand- und Fußgelenken glänzten blanke metallene Ringe, an denen je ein Mariatheresienthaler und ein goldenes Fünfpiasterstück befestigt war.

Sie trug einen aus starker Palmfaser geflochtenen, umfangreichen und präsentiertellerartigen Deckel in den Händen, welcher mit allerlei Vorgerichten belegt war, welche die beiden Frauen auf dem Senïeh ordneten.

Da gab es Fubir, knusprige Kebab, kleine Schalen mit Dibs, ein Salabah von Gurken, Granaten, Wassermelonen und verschiedene Sorten von Datteln, von denen mir besonders die Sorte el Schelebi auffiel. Sie ist zwei Zoll lang, kleinkernig und von dem herrlichsten Geruche und Geschmacke. Da sie aus Medina kommt, so ist sie teuer und es war also anzunehmen, daß der Scheik ein wohlhabender Mann sei.

Die Frauen sprachen kein Wort. Als sie sich wieder entfernt hatten, deutete der Scheik auf die Speisen:

»Tefattelan – wenn es Euch gefällig ist. Nehmt von dem wenigen, bis das Lamm geschlachtet und zubereitet ist!«

»EI Hamdulillah!« klang es aus unserem Munde, indem wir zulangten, und ich fügte hinzu: »Dein Herz ist gütig, und deine Hände sind offen für deine Gäste, o Scheik. Nimm auch du eine kleine Gabe, die wir für dich bestimmten. Wir haben el kassahl, die Gazelle, gejagt und mehrere ihrer Schwestern erlegt. Sie liegen vor deinem Zelte und sind dein Eigentum.«

»Rabbena chalïek ïa Sihdi – Gott erhalte dich, o Sihdi!« antwortete er. »Du kommst aus dem fernen Belad er Rurni, aber du kennst trotzdem die Gebote des Kuran, welcher sagt, daß Allah jede Gabe zehnfach vergilt. Ich nehme die Gazellen, und ihr sollt sie mit uns verspeisen.«

Krüger-Bei erkundigte sich:

»Ich habe gesehen Bent es Sebira, die schönste Tochter deines Stammes, aber deine beiden tapferen Söhne sah ich nicht. Warum kamen sie nicht, mir ihr Angesicht zu zeigen?«

»Sie sind hinüber nach el Hamsa. Meine Kundschafter erfuhren, daß die Söhne der Uëlad Hamema gekommen sind, die Kafila zu überfallen, welche wir von Testur her erwarten. Darum sandte ich eine Anzahl junger Krieger aus, um zu erfahren, wo die Feinde sich befinden.«

»Die Beni Hamema? Kommen diese Räuber so weit nach Norden herauf?«

»Sie sind überall zu sehen, wo ein Fang zu machen ist. Ihr Scheik ist der Sohn des Teufels. Seine Hände triefen von Blut; er schont sogar weder Weib noch Kind; aaïb aaleïhu – Schande über ihn!«

»Mohammed es Sadak Bei wird ihn zu finden wissen!«

»Meinst du? Es wird ihn niemand fangen. Sein Stamm hat viele Flinten, und der schlimmste aller Räuber ist sein Genosse.«

»Wen meinest du?«

»Hast du noch nicht von Saadis el Chabir gehört?«

»Von Saadis, dem Krumir von Ferkah ed Dedmaka? Er ist berüchtigt im ganzen Lande. Er hat seine Heimat fliehen müssen, weil er Blut vergoß und ihm nun die Rache folgt. Er ist der Chabir el Chabir, der größte unter den Führern; er kennt alle Berge und Thäler, alle Flüsse und Quellen des Landes; wenn die Beni Hamema sich ihm anvertrauen, so sind sie doppelt zu fürchten.«

»Sie haben ihn zum Führer gewählt, und er ist gestern am Bah el Halua gesehen worden. Das ist ein schlimmes Zeichen für die Kafila; Gott schütze sie!«

Obgleich ich an diesem Gespräch nicht teilnahm, interessierte es mich doch außerordentlich, denn auch ich hatte von diesem Saadis el Chabir gehört. Sein Name wurde in jedem Zelte und an jedem Kamelfeuer genannt; er lebte im Munde des Märchenerzählers und auf den Lippen der Weiber, die ihre Kleinen mit ihm zum Gehorsam zwingen wollten. Uebrigens brachte Krüger-Bei die Rede nun auf den Zweck seiner Anwesenheit, und so wurden wir von dem Scheik eingeladen, ihn hinaus zu seinen Pferden zu begleiten, um sie in Augenschein zu nehmen.

Wir verließen das Zelt und stiegen zu Pferde. Sämtliche männliche Araber begleiteten uns hinaus zur Stelle, wo die Tiere weideten. Ihr Anblick brachte das Blut des Engländers in Wallung. Er war ein Kenner und leidenschaftlicher Liebhaber des edelsten der Haustiere.

»Behold!« rief er. »Welch herrliche Tiere! Seht dort die milchweiße Stute. Ich würde tausend Pfund für sie bezahlen. Well

»Ihr bekommt sie nicht um das Doppelte, Sir,« antwortete ich ihm. »Und dennoch giebt es da ein Tier, welches vielleicht noch kostbarer, wenn auch nicht so teuer ist.«

»Welches?«

»Das aschgraue Hedschihn da drüben. Es hat ganz dieselbe Farbe, welche man beim Haare eines Weibes so schön findet; cendré nennt es der Franzose. Seht den Kopf, die Augen, die Brust, die Beine! Wahrhaftig, es ist ein Bischarihn-Hedschihn und muß ein vorzüglicher Läufer sein.«

»Heigh-ho! Geht mir mit Euren Kamelen! Habt Ihr schon einmal auf so einer Bestie gesessen, Sir?«

»Hm, oft genug. Ihr wißt ja, daß ich bereits früher diese alte Sahara mehrfach durchkreuzt habe.«

»Richtig! Und wie ist es Euch gewesen, als Ihr diesen Höcker unter Eurem armen Leichnam hattet?«

»Sehr wohl.«

»Wirklich? Na, das seid auch Ihr. Ich weiß, daß Eure Nerven aus der Haut eines Nilpferdes gemacht worden sind. Als ich zum erstenmal ein solches Geschöpf bestieg, bin ich erst hinten und dann auch vorn herabgeworfen worden. Denkt Euch, so ein alter Horse-man, wie der Sohn meines Vaters ist! Dann aber hielt ich mich ein wenig fester, will aber den Ritt all mein Lebtage nicht vergessen. Das war mehr als Seekrankheit, das war, als hätte ich tausend Teufel verschluckt, die mit mir in alle Winde wollten. Ich werde niemals wieder eine solche armselige, elende Kreatur besteigen!«

Er streckte abwehrend alle zehn Finger von sich und spreizte die langen, unendlichen Beine aus, als habe er das Kamel, von welchem er sprach, noch unter sich.

Die besten der anwesenden Tiere wurden uns einzeln vorgeführt. Auch Krüger-Bei war ganz entzückt über die Milchstute. Sein gutmütiges Angesicht strahlte vor Wonne.

»Haben Ihnen bereits einmal so ein Tier gesehen?« fragte er mich. »Dat ist, hole mir der Juckuck, eine echte Rawouan! Dem hat nicht einmal Sihdi Ali Bei, der Prinz Thronfolger, im seinen Marstall zu el Marsa, was dat Seebad vom Tunis stets gewesen zu sein jenannt zu werden verdienen muß.«

»Ich hörte, daß er sehr viel Geld für Pferde ausgiebt?«

»Sehr viel, ungeheuer viel – für Pferde, Wagen und Frauen. Er hat dreihundert Weiber, aber einem solchen Schimmel ist er noch nicht jewesen zu haben gehabt.«

»Halten Sie dieses Pferd wirklich für unvergleichlich?«

»Auf jedem Fall. Es ist mich lieber als alle dreihundert Weiber dieses Sihdi Ali Bei, unter denen sich niemals nicht kein solcher Schimmel befunden zu haben erwähnt zu werden erlaubt.«

»So sehen Sie sich einmal gefälligst meinen Rapphengst an!«

»Dat ist nicht leicht. Sie haben ihm ja so in dem Libet injewickelt, daß man nur die Beine und die Nasenspitze zu sehen jewohnt werden muß.«

»Sie sollen ihn nachher sehen.«

»Sein Jang und seine Haltung ist mich bereits schon aufgefallen; er scheint Jeist und Feuer zu besitzen. Warum bedecken Sie ihm so über?«

»Er hat in letzter Zeit Durrha fressen müssen und ist davon ein wenig indisponiert. Doch halt, passen Sie auf!«

Der Scheik hatte den Schimmel bestiegen, um ihn durch die Schule zu nehmen. Das Tier bewährte sich als ganz vorzüglich, und gern hätte ich es einmal mit meinem Schwarzen in die Schranke genommen, wenn ich nicht der Gast seines Besitzers gewesen wäre. Es giebt keine größere Betrübnis für einen Beduinen, als wenn sein Lieblingspferd gegen ein anderes zurücktreten muß.

Mitten in gestreckter Karriere parierte Ali en Nurabi die Stute grad vor uns und fragte Krüger-Bei mit leuchtenden Augen:

»Diese Stute heißt Utheif; wie gefällt sie dir?«

»Sie ist wert, den Propheten im Paradiese zu tragen. Verkaufst du sie?«

»Willst du mich beleidigen, Mir Alai? Weißt du nicht, daß der Sohn der Sahara lieber sich selbst, sein Weib und seine Söhne tötet, als daß er seine Stute für Geld hingiebt?«

»Ich weiß es, o Scheik. Kennst du ein Pferd, welches dieser Utheif gleicht?«

»Es giebt nicht ihresgleichen.«

»Willst du dir nicht einmal den Hengst dieses Effendi ansehen?«

»Kein Effendi aus Frankistan kann ein Pferd haben, dessen Augen auf Utheif ruhen dürfen; dennoch ist dieser Hengst vielleicht kein schlechtes Pferd, da ihn sein Herr so sorgsam eingeschlagen hat. Wie heißt er?«

»Sein früherer Herr hat ihm den Namen ›Rih‹ gegeben,« antwortete ich.

Das machte den Frager denn doch ein wenig stutzig.

»Rih ist ein arabisches Wort,« meinte er.»War der Herr des Pferdes denn ein Beduine?«

»Es war Mohammed Emin, der Scheik der Haddedihn von dem Stamme el Schammar.«

»So ist dein Hengst ein gewöhnliches Tier, denn kein Schammar verkauft ein gutes Pferd.«

»Er hat es nicht verkauft, sondern ich erhielt es als Geschenk von ihm. Ob es ein schlechtes Pferd ist, sollst du gleich sehen.«

Ich stieg ab und winkte meinem Diener Achmed. Dieser hatte unserer Unterhaltung mit Spannung zugehört und machte sich jetzt mit Freuden daran, die Hüllen von dem Rappen zu nehmen. Er war schon im voraus stolz auf den Sieg, den ich hoffentlich erringen würde.

»Wallahi, billahi!« rief der Scheik, als der Filz am Boden lag. »Herr, dieser Hengst hat blutrote Nüstern und ist gebaut wie es Saleh, das Lieblingspferd Harun el Raschids. Er ist Radschi pak, er ist vom reinsten Blute. Kein Beduine verschenkt einen solchen Reichtum. Es ist dir gefolgt ohne sein Wissen!«

Das sollte mit andern Worten heißen, daß ich es gestohlen hätte. Nur die Verwunderung konnte dem Scheik diese Worte entreißen. Ich zog die Brauen zusammen und legte die Hand an den Dolch.

»Weißt du, was du redest, Scheik Ali en Nurabi? Ist es hier am Dschebel Gwibub eine Ehre, ein Pferdedieb zu sein? In dem Lande, da ich geboren wurde, ist es eine Schande. Hätte ich nicht das Salz mit dir gegessen, so säße dieses Eisen dir bereits im Herzen. Ich bin kein Inglis und kein Fransesli, sondern ein Nemtsche, ein Deutscher. Sei in Zukunft vorsichtiger, wenn du mit einem Deutschen sprichst!«

Auch seine Augen leuchteten. Wäre ich sein Gast nicht gewesen, so hätte es sicher eine Messeraffaire gegeben. Jedoch er bezwang sich und fragte.

»Hat dein Hengst ein Geheimnis?«

»Jedes Pferd von reinem Blute hat ein Geheimnis; auch er hat es.«

»Kennst du es?«

»Ich kenne es.«

»So verzeihe mir! Kein Mann verrät das Geheimnis seines Pferdes; nur erst auf dem Totenbette entdeckt er es seinem Erben. Wer das Geheimnis seines Pferdes kennt, der hat sein Tier gewiß ehrlich erworben. Aber wenn dir der Scheik der Hadeddihn diesen Koheli-Hengst schenkte, so mußt auch du ein großer Scheik oder Emir sein!«

»Er war mein Freund, das ist genug für jetzt. Vielleicht erzähle ich dir am Abende, wie ich zu dem Pferde gekommen bin.«

»Und du glaubst, daß es meiner Stute ebenbürtig ist?«

»Ich glaube es.«

»So setze dich auf. Du sollst es mir beweisen!«

»Ich darf nicht die Stute des Mannes kränken, in dessen Zelt ich ruhen soll.«

»Du darfst es, Effendi. Ich verlange es von dir, um dir zu beweisen, daß meine Schwalbe schneller ist als dein Wind.«

Ich war noch unschlüssig, aber Krüger-Bei ermunterte mich:

»Er will es ja! Dunderwetter, ich bin ja selber neujierig, was dat für ein Wettrennen zu werden versprochen jehabt haben wird. Indem ich Ihrem Hengst jesehen habe, bin ich janz erstaunt, bis jetzt mit solcher Blindheit jeschlagen jeworden jewesen zu sein. Der Scheik kann nicht zornig sein, wenn Ihnen ihm besiegen, denn er will es nicht anders. Lassen Sie dem Teufel losjehen. Ich sage Sie, es soll mir freuen, wenn ihren ›Wind‹ nicht der Wind auszujehen und verloren jegangen sein haben wird!«

Sir David Percy hatte unsere Unterhaltung zwar nicht vollständig verstanden, aber beim Anblicke meines Pferdes waren ihm laute Ausrufe der Bewunderung entschlüpft; er ahnte, um was es sich handelte, und meinte zu mir:

»'s death, ist das ein Pferd! Ihr sollt mit dem Scheik wohl um die Wette reiten?«

»Ja.«

»Thut es, thut es! Ich glaube, dieser Rappe nimmt es mit dem Schimmel auf, vollständig auf!«

»Pah! Er ist ihm an Schnelligkeit und Ausdauer weit überlegen. Aber ich beleidige den Scheik, wenn ich seine Stute beschäme.«

»Papperlapapp! Der Ruf eines solchen Pferdes ist mehr wert, als dieser braune Kerl!«

Mit dem ›Geheimnisse‹ eines Pferdes ist es eine eigentümliche Sache. Ein jeder Araber nämlich gewöhnt sein Pferd an ein gewisses Zeichen, auf welches hin das Tier in potenzierter Schnelligkeit dahinfliegt, bis es tot zusammenbricht. Dieses Zeichen sagt er keinem Menschen, selbst seinem Sohne, seinem besten Freund nicht, und wendet es nur dann an, wenn er sich in Todesgefahr befindet, oder wenn es gilt, einen Preis zu erringen, der ihm kostbarer als das Tier zu sein scheint. Mein Zeichen bestand darin, daß ich den Namen Rih laut ausrief und dem Rappen die linke Hand zwischen die Ohren legte. Ich hatte bereits erfahren, daß es dann einem andern Reiter wohl schwer werden möchte, mich einzuholen. Auch die Stute des Scheik fürchtete ich nicht, desto mehr aber hegte ich Bedenken, seinen Stolz zu verletzen, darum war es mir lieb, daß jetzt eine Unterbrechung eintrat, welche uns, wenigstens für den Augenblick, von der Pferdeprobe absehen ließ. Einer der Araber nämlich stieß einen lauten Ruf aus und deutete mit der Hand nach Norden. Dort ließen sich zahlreiche Punkte sehen, welche sich, indem sie uns schnell näher kamen, zusehends vergrößerten. Es waren Reiter, welche zu dem Stamme gehörten. Kaum hatte der Scheik dies erkannt, so gab er das Zeichen, ihm zu folgen, und schoß auf seiner Stute mit einer schier schwindelerregenden Schnelligkeit davon.

»Drauf, drauf!« rief Krüger-Bei mir zu. »Holen Sie ihn ein! Das ist die schönste Jelegenheit, sich dem Hengst als die Stute überlegen beweisen zu sein müssen!«

Ich machte eine abwehrende Handbewegung und blieb im gleichen Tempo mit den andern. Die uns Entgegenkommenden waren ungefähr zwanzig Köpfe stark. Sie führten in ihrer Mitte einen Reiter, der mit Palmenfaserleinen an sein Pferd gefesselt war. Zwei von ihnen ritten schneller als die übrigen auf den Scheik zu und parierten vor ihm ihre Pferde. Es waren seine beiden Söhne.

»Hamdulillah,« hörten wir den einen rufen, »Preis sei Allah, der uns den größten der Räuber und Mörder in die Hand gegeben hat!«

»Wer ist dieser Gefangene!« fragte der Scheik.

»Es ist Saadis, der Krumir. Allah inhal el Kelb – Gott verderbe den Hund, ihn und den ganzen Ferkah ed Dedmaka! Er hat Abu Ramsa, unsern tapfern Krieger, erschossen und einige von uns verwundet. Sein Name werde ausgelöscht, und sein Blut bezahle die Schuld, die ihn zur Hölle führt!«

Dieser Gefangene also war der berüchtigte Krumir, von dem wir vorhin gesprochen hatten! Ich betrachtete ihn mir. Seine Hände waren an den hinteren Teil seines arabischen Sattels gefesselt, und beide Füße hatte man ihm mit Leinen gebunden, welche unter dem Bauche seines Pferdes hinliefen. Dennoch saß er aufrecht, stolz und kalt im Sattel, die schwarzen stechenden Augen scharf auf den Scheik gerichtet. Die niedrige Stirne mit den dünnen, borstenartigen Brauen, die spitzen Backenknochen, die dünne Habichtsnase, die wulstigen Lippen und das stark entwickelte Kinn gaben seinem Angesicht einen gefühllosen, grausamen Ausdruck.

»Abu Ramsa ist tot? Wo ist er?« fragte der Scheik.

»Dort bringt man ihn.«

Der Sprecher deutete dabei nach rückwärts, wo zwei Reiter sichtbar wurden. Sie führten zwischen sich ein Pferd, auf welchem die Leiche des Erschossenen fest gebunden war.

»Und wer ist verwundet?« erkundigte sich der Scheik.

Zwei der Reiter zeigten wortlos auf die Blutflecke, welche an ihren weißen Mänteln zu sehen waren.

»Erzähle, wie ihr ihm begegnet seid!« gebot Ali en Nurabi.

Sein Sohn berichtete:

»Wir ritten das Wadi Milleg hinab und machten am Fum el Hadschar Halt. Da kam dieser Nachkomme eines räudigen Hundes. Er saß auf dem Pferde; seine Augen suchten wie die Augen eines Spions, und sein Ritt war wie der Gang eines Verräters. Da erblickte er uns und wandte sich zur Flucht. Wir aber waren bald bei ihm. Doch bevor wir ihn festnehmen konnten, hatte er den Gefährten getötet und diese zwei verwundet. Ed dem b'ed dem – en nefs b'en nefs = Auge um Auge, Zahn um Zahn; er ist der Blutrache verfallen!«

»Ed dem b'ed dem – en nefs b'en nefs!« riefen die Stimmen rund im Kreise.

Der Scheik winkte Schweigen.

Die Versammlung wird über ihn beraten,« meinte er. »Hat er euch gestanden, wo sich die Seinigen befinden?«

»Nein. Er hat kein Wort gesprochen. Sein Mund ist wie die Lippe des Todes, welche ewig schweigt.«

»Die Spitzen unserer Speere und Messer werden ihm die Worte lehren, welche wir von ihm verlangen. Führt ihn zum Lager fort!«

Während dieser kurzen Verhandlung hatte der Krumir mit keiner Wimper gezuckt und mit unverhohlener Bewunderung mein Pferd und dasjenige des Scheiks betrachtet. Sein Angesicht blieb unbeweglich, und als wir an den Herden vorüber ritten, hielt er durch einen leisen Schenkeldruck sein Pferd an, um das aschgraue Reitkamel mit dem entzückten Auge eines Kenners zu mustern. Sein Schicksal schien ihm nicht die mindeste Sorge zu bereiten.

Einige der' Araber waren in das Lager vorausgeeilt, um die Kunde zu verbreiten, daß der gefürchtetste ihrer Feinde gefangen sei. Daher wurde unser Zug von der ganzen Bevölkerung unter lautem Jubel empfangen. Die Reiter schossen in kühnen Sätzen durcheinander, und die übrigen klatschten jauchzend in die Hände und gaben durch beleidigendes Mienenspiel und Ausspucken dem Gefangenen ihre Verachtung zu erkennen. Er bewegte keine Miene, selbst dann nicht, als man vor dem Zelte des Scheiks Anstalt machte, ihn von seinem Pferde zu lösen. Kaum aber war der letzte Knoten geöffnet, so schnellte er sich mit einem weiten Satze herab, warf die Umstehenden beiseite und befand sich im nächsten Augenblicke vor dem Nebenzelte, an dessen Eingange die Tochter des Scheiks stand. Im Nu hatte er sie ergriffen und wie einen Schild vor sich gestellt.

»Dakilah ïa Scheik – Ich bin der Beschützte!« rief er, und sofort sanken alle Hände, die sich nach ihm ausgestreckt hatten.

Das war so schnell geschehen, daß es unmöglich verhindert werden konnte. In allen Gesichtern spiegelte sich die zornigste Ueberraschung, aber keiner wagte es, die Hand gegen den zu erheben, der das geheiligte Wort ausgesprochen hatte, welches selbst den schlimmsten Missethäter vor der Rache seiner Feinde schützt.

»Eddini scharbat, ïa ambr el benaht – gieb mir zu trinken, o Zierde der Mädchen!« sagte er zu Mochallah, der ›Wohlriechenden‹, welche der unerwartete Vorgang ganz erschreckt hatte.

Sie blickte fragend auf ihren Vater. Ein leises Murren erhob sich ringsum; der Scheik aber kehrte sich nicht daran, sondern gebot ihr:

»Gieb ihm Wasser, aber weder Brot noch Salz! Die Aeltesten werden richten, was mit ihm geschehen soll.«

Sie verschwand im Innern des Frauenzeltes und trat gleich darauf wieder mit einer mit Wasser gefüllten Schale hervor, welche sie dem Krumir entgegenreichte.

»Nimm und trink, du Feind meines Stammes!« sagte sie.

»Ich trinke,« antwortete er stolz. »Mögen meine Feinde verschwinden, wie die Tropfen dieses Wassers, und möge dieser Trank sein Ma el Furkan für Saadis el Chabir, den Sohn der Beni Dedmaka!«

»Allah jenahrl el Dedmaka – Allah verdamme die Dedmaka!« ließ sich eine zornige Stimme vernehmen.

Es war mein Diener Achmed es Sallah, welcher diese Worte gesprochen hatte. Der Scheik zog die Stirn in drohende Falten und antwortete ihm:

»Allah iharkilik – Gott verbrenne dich, dich und deine Zunge! Hast du nicht gesehen, daß dieser Mann die Nuktha al karam mit einer Tochter deines Stammes getrunken hat? Doch ich weiß, daß du in die Fremde gegangen bist, um die Sitten und Gesetze deines Volkes zu vergessen, und nun weißt du nicht mehr, daß der Beduine zu gehorchen hat, wenn der Mul el Duar seine Stimme erhebt. Der Fluch des Propheten trifft den Mann, der seinen Gastfreund schändet, und ich sage euch, daß ich einen jeden töte, der ein Haar dieses Dedmaka zu krümmen wagt, ehe die Dschemma beraten hat, was mit ihm geschehen soll!«

O wehe! Aus diesen Worten konnte ich ersehen, daß der Scheik auf den armen Achmed nicht sonderlich gut zu sprechen sei. Was sollte da aus der Lebe der beiden jungen Leute werden? Achmeds Augen funkelten. Jedenfalls war es die Eifersucht gewesen, die ihm seine Worte diktiert hatte. Er war noch nicht so glücklich gewesen, ein Wort mit der Geliebten wechseln zu können, und dieser Räuber und Mörder durfte sie ungestraft berühren und von ihren Händen trinken. Das mußte ihm peinlich sein; doch war er jetzt zu klug, als daß er seinen Gefühlen noch weiteren Einfluß gestattet hätte. Er zog sich grollend zurück.

Auf einen Wink des Scheiks nahmen zwei Krieger den Krumir in die Mitte und führten ihn in das Zelt des ersteren. Krüger-Bei legte mir die Hand auf die Schulter.

»Nanu jeht die Beratung los, und da sind wir überflüssig,« meinte er. »Ich werde Ihnen bitten, mir zu begleiten.«

»Wohin?«

»Nur ein wenig, auf dem Promenade, um die Beine zu vertreten. Dat wird so eine Art höfliche Rücksichtsvolligkeit gejen den Scheik zu haben sein, da er jetzt seinem Zelt zu die Versammlung braucht. In eine Viertelstunde ist alles abjemacht, und dann können wir uns zurückzukehren erlaubt jedurft haben.«

»So nehmen wir den Engländer mit?«

»Dat wird sich janz von selber zu verstehen jeneigt sein. Mit wem zu jehen sollte er wohl anders aufgefordert werden, als von uns, mit uns auf der Promenade zu dürfen?«

Ich gab Sir David Percy einen Wink. Wir überließen Achmed die Aufsicht über unsere Pferde und wandten uns einer Palmengruppe zu, deren Wedel in einiger Entfernung kühlen Schatten verhießen. –

»Was ist das für ein Kerl, Sir, den die Uëlad Sebira gefangen nahmen?« frug mich Percy. »Ich habe wohl alles gesehen, aber nichts verstanden.«

»Es ist ein Krumir von Ferkah ed Dedmaka, ein höchst gefährlicher Karawanenräuber, an dessen Hand schon mancher Tropfen Blutes klebt.«

»Hm! Wie heißt der Mensch?«

»Saadis el Chabir.«

»Was heißt das?«

»Saadis ist der eigentliche Name und heißt ›der Sechste‹. Er wird wohl das sechste Kind, oder gar der sechste Sohn seines Vaters sein. EI Chabir heißt ›der Führer‹. Dieser Mensch kennt nämlich infolge seiner Streifzüge in Algier und Tunesien einen jeden Berg und ein jedes Wadi. Er ist der sicherste Führer weit und breit, hat von der Küste des Mittelmeeres bis in das Belad el Dscherid zahlreiche Freunde und saubere Verbündete, wie ein Londoner Taschendieb von Holborn bis Isle of Dogs seine Hehler hat, und soll sogar auf den gefährlichen Salzseen des Südens so sicher sein, wie ein Reiter in seinem Sattel. Daher engagieren ihn die räuberischen Stämme der Beduinen sehr oft als Führer.«

»Hm! Habe den Namen bereits gehört, wußte aber nicht, daß dieser Saadis und jener Spitzbube ein und derselbe Halunke sei.«

»So habt Ihr ihn bereits gesehen, Sir?« fragte ich rasch.

»Yes!« nickte er.

»Wo?«

»In Tunis oder vielmehr bei Tunis. Well

»Wann?«

»Vor drei Wochen. Es war am Ende der Manuba, wo er mir begegnete. Er saß auf einem köstlichen Fliegenschimmel und galoppierte nach den Bergen von Saghoan hin. Als ich den Bardo erreichte, hörte ich, daß soeben ein Pferd des Bei, ein sechsjähriger Fliegenschimmel, gestohlen worden sei. Ich that meine Aussage und schloß mich der Verfolgung des Spitzbuben an; aber als wir die Manuba hinter uns hatten, war er bereits am Dschebel Saghoan angekommen. Er konnte nicht mehr eingeholt werden.«

»Und Ihr habt ihn ganz sicher wieder erkannt? Und irrt Euch nicht?«

»Er ist es, sicher und gewiß. Diese Physiognomie ist nicht zu vergessen, und ich wette alles gegen nichts, daß ich mich nicht irre. Yes

»Weiß Krüger-Bei von dem Diebstahle?«

»Natürlich. Er war zu derselben Zeit im Bardo.«

»Und Ihr habt ihm jetzt noch nicht gesagt, daß dieser Saadis der Spitzbube ist, dem Ihr damals begegnet seid?«

»Nein.«

»So soll er es sofort erfahren!«

Ich teilte dem Obersten der Leibwache mit, was ich soeben gehört hatte. Er war so überrascht, daß er den geöffneten Mund nicht wieder zuzubringen schien.

»Was?« rief er endlich. »Dieser Saadis el Chabir, dieser Hauptspitzbube, soll es gewesen sein? Wird der Lord nicht sich jetäuscht zu haben schuldig jeworden sein?«

»Er täuscht sich nicht.«

»Dunderwetter! Dat ist gut; dat wird ein Fang, für welchen mich es Sadak Bei die jrößte Dankbarkeit zu widmen jeneigt zu sein dat Versprechen zu jeben haben wird! Aber wo ist der Fliegenschimmel?«

»Verkauft jedenfalls, da ihn der Krumir heute nicht geritten hat.«

»Den Kerl soll der Deibel holen! Er wird die Bastonnade so lange auf den Fußsohlen bekommen, bis er dat Jeständnis zu entschlüpfen jelingt, wo der Schimmel zu finden werden kann. Ich bitte Ihnen, lassen Sie mir schnell umkehren, damit wir nicht zu spät kommen, ehe dieser Halunke von die Versammlung der Aeltesten begnadigt zu werden in Schutz jenommen zu sein ihr veranlassen wird!«

»Werden wir Zutritt in die Dschemma erhalten?«

Er blieb stehen und besann sich.

»Nein,« antwortete er dann, »und dat ist sehr unanjenehm. Aber wir kehren dennoch um, denn man kann nie nicht jemals wissen, was in einer solchen Anjelegenheit ein einziger Augenblick für eine Wirkung zu versäumen mißraten kann. Janzes Bataillon, rückwärts marsch!«

Wir schritten nach dem Duar zurück. Vor demselben stand Achmed bei unsern grasenden Pferden. Ich blieb bei ihm stehen, während die beiden andern weiter gingen. Er mußte etwas Frohes erfahren haben, denn sein offenes Angesicht glänzte vor Entzücken.

»O Sihdi,« meinte er, »die Sonne ist aufgegangen über deinen Freund und Diener, und Allah hat die Fülle des Glückes über ihn ausgeschüttet!«

»Darf ich erfahren, welches Gesandten sich Allah bedient hat, um dir diese Seligkeit zu schenken?«

»Du darfst es erfahren, nur du allein, denn du wirst uns nicht verraten. Mochallah, die schönste der Houris, ging hier vorüber, um nach dem Lieblingskamel des Scheiks zu sehen. Sie mußte sehr vorsichtig sein, aber sie sagte mir, daß sie mich um Mitternacht dort bei den Palmen erwarten wird. Der Scheik zürnt mir, weil ich als Schiluhh und Amazigh in die großen Städte gegangen, und nun gar der Diener eines Ungläubigen geworden bin. Wir werden besprechen, wie wir seinen Zorn besänftigen können.«

»Er zürnt dir meinetwegen? Das ist eine Beleidigung, die ich rächen werde!«

»O Sihdi, schone ihn! Dein Arm ist stark, und dein Messer hat sein Ziel noch nie gefehlt; aber der Scheik ist der Vater von Mochallah, die ich liebe; du wirst mein Herz nicht betrüben!«

»Pah, ich will ihn ja nicht töten! Du weißt ja, daß ich ein Christ bin, und daß mein Kitab el mukaddas mir verbietet, Blut ohne Not zu vergießen.«

»Was willst du denn thun, Effendi?«

»Ich werde mich dadurch an ihm rächen, daß ich, der Ungläubige, deinen Fürsprecher mache. Ich werde ihn bitten, dir deine ›Wohlriechende‹ zum Weibe zu geben.«

»Ist es wahr? O Sihdi, wolltest du das wirklich?« fragte er erfreut.

»Ja. Und ich bin neugierig, zu erfahren, ob er meine Wangen in Scham erröten lassen wird. Du weißt ja, daß der Prophet verbietet, den Gast schamrot zu machen.«

»Herr, wenn du das thust, so wirst du auch bereit sein, mir noch eine andere Liebe zu erweisen. Erfülle meine Bitte, und ich werde deine Güte preisen von Kind auf Kindeskind!«

Hm, der gute Achmed sprach von seinen Nachkommen zweiter Folge, noch ehe er die Erlaubnis hatte, mit der einstigen Großmutter seiner Kindeskinder reden zu dürfen! Die Liebe ist ein eigentümliches Ding, in Lappland und in Tunis, am Mississippi und bei den Papuas; es ist am besten, ihr den Willen zu lassen. Darum fragte ich:

»Welchen Wunsch soll ich dir erfüllen?«

»Meinest du nicht, daß ich mit Mochallah überrascht werden könnte?«

»Das ist sehr leicht möglich.«

»Sihdi, ich habe keinen andern. Lasse du dein Auge über uns wachen, damit wir sicher sind!«

Ah! Nicht übel! Mein braver Achmed schien zu wissen, daß der Deutsche auf alle Fälle ein gutes Herz hat und seinen Nächsten außerordentlich gern gefällig ist. Aber warum sollte ich ihm den kleinen Dienst nicht erweisen? Wäre ich es gewesen, den eine Mochallah unter Palmen erwarten wollte, so hätte er auch mit Freuden unsern ›Speech‹ bewacht. Also antwortete ich:

»Achmed es Sallah, gehe getrost hin unter die Datteln. Ich werde jeden Verräter fernzuhalten wissen!«

»O Sihdi, deine Gnade ist so groß, wie der Baum esch Schiab, auf dem die Erde steht, und deine Barmherzigkeit reicht so weit, wie die Tschiuhr el Dschinne fliegen. Ich gebe dir mein Leben, wenn du es haben willst!«

»Behalte es für Mochallah, die ›Wohlriechende‹! Sage ihr, daß ich dein Freund sei, der für euch bei ihrem Vater reden wird!«

Ich setzte meinen Weg nach dem Zelte des Scheik fort. Perey und Krüger-Bei standen wartend vor demselben, Eben als ich bei ihnen ankam, öffnete sich der Eingang und der Scheik trat mit dem Krumir und den Aeltesten hervor.

»Was habt Ihr über diesen Mann beschlossen?« fragte der Oberst der Leibwache.

»Die Versammlung ist gütig gegen ihn gewesen,« antwortete Ali en Nurabi. »Er hat das Wasser des Willkommens, nicht aber das Brot und Salz der Gastfreundschaft erhalten. Er wird drei Tage lang in unsern Zelten und auf unsern Weideplätzen sicher sein; nach dieser Zeit aber und auch vorher, sobald er über unsere Grenze schreitet, ist er der Blutrache verfallen.«

»Er wird fliehen!«

»Sein Pferd wird von meinen Männern bewacht.«

»Er wird dennoch fliehen. Weißt du, o Scheik, daß er nicht bloß euch, sondern auch mir verfallen ist?«

»Warum?«

»Das sollst du sofort hören!«

Der Krumir hatte während dieser Verhandlung scheinbar auf keines der Worte gehört. Sein Auge hatte auf der in der Nähe angepflockten Milchstute en Nurabis geruht und war dann nach dem Frauenzelte geglitten, vor welchem Mochallah beschäftigt war, auf einem Steine Durrha zu mahlen. Es lag ein gieriger, hohnvoller Ausdruck in seinem Blicke, und ich las von seinem Gesichte den Gedanken, daß sowohl das Pferd als auch das schöne Mädchen zwei Gegenstände seien, um deren Besitz man etwas wagen könne. Bei den letzten Worten Krüger-Beis wandte er sich mit stolzem Gesichtsausdrucke diesem zu.

»Du warst vor drei Wochen in Tunis?« wurde er von diesem gefragt.

»Was gehen dich meine Wege an?« antwortete er.

»Mehr als du denkst! Willst du leugnen, daß du dort gewesen bist?«

»Ich habe weder zu leugnen, noch dir Rede zu stehen. Ich bin ein freier Sohn der Dedmaka, du aber bist ein Sklave des Pascha. Warte, bis es mir gefällt, mit dir zu sprechen!«

»Es wird dir gefallen müssen, du freier ed Dedmaka, der du ein Gefangener dieser tapfern Uëlad Sebira bist. Dieser fremde Emir aus Inglistan hat dich in Tunis gesehen.«

»Er mag ansehen, wen er will. Was kümmert es mich?«

»Du hast auf einem Fliegenschimmel geritten.«

Es zuckte doch etwas wie Ueberraschung über das eiserne Gesicht des Krumir; doch er verstand, sich zu beherrschen und antwortete:

»Kam dieser fremde Emir nur deshalb aus Inglistan, um Fliegenschimmel zu sehen?«

»Dieser Schimmel war dem Pascha gestohlen worden. Du rittest mit ihm vom Bardo durch die Manuba nach den Bergen von Saghoan. Wir konnten dich nicht mehr erreichen.«

Der Krumir stieß ein kurzes, schadenfrohes Lachen aus.

»So war dieser Schimmel wohl ein sehr gutes Pferd?« fragte er. »Der, welcher ihn gestohlen hat, muß ein besserer Reiter sein als diejenigen, welche ihn verfolgten.«

»Und dennoch haben sie ihn erreicht, wie du jetzt siehst. Saadis el Chabir, wo hast du das geraubte Pferd?«

»Ich?! – – Hat dir der Smum, der böse Wind der Wüste, das Gehirn ausgetrocknet, daß du diese Frage aussprechen kannst?«

Da legte der würdige Oberst der Mameluken seine Hand an den Griff des Yatagans und rief:

»Kelb, Ibn el Kelb – Hund, Sohn eines Hundes, kennst du mich?«

»Ich kenne dich, denn ich habe dich in el Marsa auf der Straße Sihdi Morgiani und auch vor dem Dar el Bei an der Spitze der Sklaven gesehen. Du stammst aus den Ländern des Nordens, wo die Ungläubigen wohnen, die Allah verdammen möge. Bist du noch so rhassihm im Lande der Gläubigen, daß du es wagst, einen Krumir von dem Ferkah ed Dedmaka einen Hund zu nennen? Weißt du nicht, daß du nur den als Dieb behandeln darfst, den du unmittelbar nach dem Diebstahle auf dem gestohlenen Pferde sitzend findest? Und selbst wenn du den Fliegenschimmel heut bei mir gesehen hättest, so würde ich ihn nicht gestohlen, sondern geschenkt erhalten, getauscht oder gekauft haben. Wärest du nicht der Gast dieser Männer, bei denen ich Wasser getrunken habe, so würde dich mein Messer treffen. Aber sagst du nur noch ein einziges Schimpfwort zu mir, so wird augenblicklich deine Seele zu ihren Vätern versammelt sein. Ein Sohn der Krumirs läßt sich nicht zum zweiten Male ungestraft beleidigen. Merke dir das!«

Diese Drohung hatte keinen Einfluß auf den tapferen Krüger-Bei. Er trat seinem Gegner einen Schritt näher und fragte:

»Wagst du, zu lügen, daß du das Pferd gestohlen hast?«

»Ich brauche nicht zu lügen und brauche auch nichts einzugestehen. Rede, mit wem du willst, nur nicht mit mir!«

»Nun wohl, dieser Wunsch soll dir erfüllt werden, aber glaube ja nicht, daß du mir entkommst!« Und sich an Ali en Nurabi wendend, fuhr er fort: »Also dieser Saadis el Chabir steht wirklich unter Eurem Schutze?«

»Ja; er kann drei Tage lang frei und unbelästigt bei uns umhergehen, als ob er zu uns gehörte. Am vierten Tage, zur Zeit des Fetscher, erhält er sein Pferd zurück, um uns zu verlassen. Aber zur Zeit der Morgenröte jagen wir ihm nach, und wenn wir ihn ereilen, so nehmen wir sein Blut. So wurde es beschlossen.«

»Er wird vorher entfliehen!«

»Er hat geschworen, nicht zu fliehen.«

»Welchen Schwur hat er geleistet?«

»Bei Allah, dem Propheten, und allen heiligen Kalifen.«

»So wird er seinen Schwur halten. Ich aber habe keinen Teil an eurem Beschlusse; ich habe ihm nicht versprochen, ihm zwischen dem Zwielichte und der Morgenröte Zeit zum Entkommen zu lassen. Ich werde ihn an der Grenze eurer Weideplätze erwarten, um ihn festzunehmen und nach Tunis zu bringen.«

»Dies müssen wir dir gestatten,« antwortete der Bei; »aber ehe du ihn nach Tunis bringst, wird er bereits von unsern Kugeln gefallen sein. Jetzt aber tretet ein in das Zelt; ich rieche den Duft des Schafes, welches für euch geschlachtet wurde.«

Der Krumir schritt mit erhobenem Haupte davon, wir aber gingen in das Zelt, wo wir von Mochallah und ihrer Mutter bedient wurden. Weder der Scheik noch einer der Seinigen war bei dem Mahle gegenwärtig. Die Sitte verbot ihnen, zu essen, bevor der getötete Genosse begraben war.

»Was hat dieser Kolonel der Leibwache mit dem Scheik verhandelt?« fragte mich Sir Percy während des Essens.

Ich erklärte ihm den Vorgang.

»Hm!« brummte er. »Miserabler Spitzbube, dieser Krumir! Soll uns nicht entwischen, dieser Kerl! Yes! Ich schaffe ihn mit nach Tunis.«

»Ich denke, Ihr wollt Euch mir anschließen?«

»Ah, richtig! Ihr wollt ja nach dem Süden, und ich gehe mit. Aber vorher können wir doch helfen, den Menschen zu fangen?«

»Werden sehen. Ich traue weder ihm noch seinem Schwure. Vielleicht passiert irgend etwas, noch ehe die drei Tage abgelaufen sind.«

Wir waren eben mit dem Mahle zu Ende, als sich draußen ein lautes, vielstimmiges Klagegeheul erhob. Man stand im Begriffe, den Toten zu beerdigen. Als Gäste hatten wir die Verpflichtung, uns mit anzuschließen; daher verließen wir das Zelt und gingen vor das Lager, wo sich sämtliche Bewohner desselben um die Leiche versammelt hatten. Sie lag, in weiße Gewänder gehüllt, vor einer seichten, offenen Grube. Neben ihr standen die Verwandten, und die übrigen schlossen einen weiten Kreis um die Stätte. Die Frauen und Mädchen jammerten in schrillen, durchdringenden Tönen, die Männer aber standen schweigsam mit finstern, rachgierigen Blicken. Der Krumir war nicht zu sehen; er war so klug gewesen, sich unsichtbar zu machen.

Da ein Geistlicher nicht zugegen war, so hatte der Scheik die Stelle desselben zu vertreten. Er erhob die Hand, und sofort trat lautlose Stille ein. Er wandte sein Antlitz in die Kibla und begann:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Bei dem weisen Kuran, du bist einer der Gesandten Gottes, um den richtigen Weg zu lehren. Es ist die Offenbarung des Allmächtigen und Allbarmherzigen, daß du ermahnest ein Volk, dessen Väter nicht gewarnt wurden und daher sorglos und leichtsinnig dahinlebten. Das Urteil ist bereits über sie gesprochen, daher sie nicht glauben können – –«

Das war der Anfang der sechsunddreißigsten Sure, welche Mohammed ›Quelb el Kuran‹, d. i. Herz des Kuran, genannt hat. Sie wird in der Stunde des Sterbens oder bei dem Begräbnisse gebetet. Bei den Worten: »Ein Zeichen der Auferstehung sei ihnen die tote Erde, die der Regen neu belebt,« wurde die Leiche in die Grube gelegt, mit dem Gesichte nach Mekka gerichtet. Bei den Worten: »Die Posaune wird ertönen, und siehe, sie steigen aus ihren Gräbern. Das ist es, was uns der Allbarmherzige verheißen hat. Nur ein einziger Posaunenschall, und siehe, sie sind allesamt vor uns versammelt –« wurde die Erde auf den Toten geworfen. Während dieser Arbeit betete der Scheik die Sure bis zu Ende. Nun lagen Steine bereit, von denen über dem Grabe ein Hügel errichtet wurde. Dann betete der Scheik noch die fünfundsiebzigste Sure, die ›Sure der Auferstehung‹, und schloß die Leichenfeier mit dem mohammedanischen Glaubensbekenntnisse: »Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet!« jetzt erhob sich das jammern und Wehklagen von neuem. Die Frauen schritten um das Grab herum, und auch die wehrhaften Männer traten einzeln nach der Reihe herzu, um ihre Messer und Dolche in den Boden zu stoßen zum Zeichen, daß der Tod ihres Waffenbruders gerächt werden solle. Wäre der Krumir dabei zugegen gewesen, ich glaube, daß es ihm schwer geworden wäre, seine stolze, zuversichtliche Haltung zu bewahren. Er lag, als wir in das Zelt des Scheiks wieder eintraten, dort auf dem Serir. Er hatte mit vollem Rechte geglaubt, an diesem Orte sich am sichersten zu befinden. Trotz seiner nichts weniger als angenehmen Situation befleißigte er sich eines keineswegs rücksichtsvollen Betragens gegen uns. Er blieb lang ausgestreckt liegen und schien uns gar nicht zu bemerken. Mir und Krüger-Bei war das gleich, da wir wenig Raum brauchten, um uns in orientalischer Stellung niederzuhocken. Sir David Percy aber war diese Stellung, welche der Orientale Rahat otturmak nennt, nicht gewohnt. »Thue deine Beine weg, Master Spitzbube!« meinte er, leider aber nur in englischer Sprache, aber mit einer Geste, welche der Krumir unbedingt verstehen mußte.

Dennoch bewegte Saadis el Chabir nicht die Fußspitze, um dem Engländer Platz zu machen.

»Well! Wenn du nicht willst, so magst du Schlitten fahren!«

Er faßte den Krumir bei den Füßen und schleuderte ihn mit einem raschen Schwung vom Serir hinweg bis an den Eingang des Zeltes. Aber im Nu hatte sich der auf diese Weise Attackierte aufgerafft, um sich auf ihn zu stürzen. Sir Percy war ein gewandter Boxer. Er empfing den auf ihn Eindringenden mit einem Faustschlage auf das Gesicht, der ihm für den Augenblick die Besinnung raubte, und im nächsten Moment flog der Krumir zum Zelte hinaus.

Das war alles so schnell geschehen, daß es mir unmöglich gewesen wäre, es zu verhindern. Percy nahm auf dem Serir Platz, ich aber griff zum Messer, um ihm beizustehen, denn ich erwartete, daß Saadis el Chabir sich eine Waffe suchen und dann wieder eindringen werde. Ein Schlag ist für einen Beduinen die größte Beleidigung, welche es nur geben kann; sie ist nur mit Blut abzuwaschen.

»Was habt Ihr gethan, Sir?« fragte ich. »Es wird Euch an das Leben gehen!«

Er zog ruhig eine seiner Pistolen hervor, spannte die Hähne und antwortete sehr gelassen.

»An das Leben! Gut, so werde ich ihn vorher ein wenig töten. Ich habe keineswegs die Absicht, mich von einem Pferdediebe unhöflich behandeln zu lassen.«

»Um Gottes willen, schießt nicht! Er steht unter dem Schutze des Stammes, und sein Tod würde Euch unter die Blutrache bringen.«

»Pshaw! Glaubt Ihr etwa, daß ein Englishman das dumme Ding kennt, welches man Furcht oder Angst zu nennen pflegt? Dieser Mensch hat mich beleidigt nach der Sitte meines Landes; dafür habe ich ihn beleidigt nach der Sitte seines Landes; also sind wir quitt. Giebt er sich damit nicht zufrieden, so ist das seine Sache. Yes

Was ich befürchtete, geschah nicht; der Krumir blieb zu meiner Verwunderung fort. Auch Krüger-Bei schüttelte den Kopf und meinte:

»Dieser Ed Dedmaka kann niemals nicht kein Ehrjefühl besitzen, sonst würde er sein Leben wagen, um dieser Beleidigung zu rächen, die jar nicht jrößer jedacht zu werden jenannt zu sein verdienen muß. Wird der Engländer ihn niederschießen?«

»Ich befürchte es.«

»Dat müssen wir zu vermeiden jesonnen sein miteinander beschließen. Sobald der Kerl wieder in diesem Zelte einzutreten hereinzukommen wagen sollte, halten wir ihm sofort fest, damit er sich nicht zu bewegen und zu rühren vermocht werden kann. Dann rufen wir dem Scheik herbei und überjeben ihn dem jefangenen, der auf dieser Art und Weise am sichersten unschädlich jemacht zu werden jelingen kann.«

Dieser in einem so wunderbaren Deutsch ausgesprochene Plan kam glücklicherweise nicht zur Ausführung, da der Krumir verschwunden blieb. Erst später, als der Scheik kam, erfuhren wir, daß Saadis sich bei ihm über uns beschwert und mit schwerer Rache gedroht habe. Man hatte ihm ein anderes Zelt als Aufenthaltsort angewiesen.

Unterdessen war der Nachmittag vergangen, und draußen erscholl der Ruf- »Hai aal el sallah – ja rüste dich zum Gebete, wenn die Sonne in das Sandmeer taucht!«

Es war also el Mogreb da, die Zeit des Gebetes beim Untergange der Sonne. Wir tauchten die Hände in das Wasser, traten vor das Zelt und warfen uns mit Ausnahme Percys, welcher sitzen geblieben war, auf den Boden nieder. Ich habe mich während meiner Wanderungen unter den Moslemim nie von den Waschungen und Gebeten ausgeschlossen und denke dennoch, ein guter Christ geblieben zu sein.

Nach dem Mogreb stieg der Scheik zu Pferde, um für die Sicherheit der Herden zu sorgen. Ich schloß mich ihm an, da mir sehr daran lag, mit ihm unter vier Augen von meinem Diener reden zu können. Dieser befand sich wieder vor dem Duar bei meinem Pferde.

»Achmed es Sallah,« rief ich ihm zu, »du wirst keinen Schritt von meinem Tiere weichen, und es auch während der Nacht, wenn du schläfst, an dich befestigen!«

»Sihdi, ich verstehe dich,« antwortete er. »Ich werde es nicht nur anbinden, sondern mein Haupt soll auf ihm ruhen, wenn es sich zum Schlafe niederlegt.«

»Warum diese Vorsicht?« fragte mich der Scheik im Weiterreiten. »Bist du nicht mein Gast, dessen Eigentum sicher ist, so lange er sich bei mir befindet?«

»Wirst du mir meinen Hengst wiedergeben, wenn er morgen früh verschwunden ist?«

»Wer sollte ihn fortführen?«

»Saadis el Chabir.«

»Du irrst. Uns wird er nicht bestehlen. Uebrigens hält ihn sein Schwur drei Tage lang bei uns zurück.«

»Traue du ihm, ich aber glaube ihm kein Wort. Weißt du überhaupt, ob er da unten im Wadi Milleg allein gewesen ist?«

»Selbst wenn er Gefährten bei sich gehabt hätte, würden sie nicht wagen, das Lager Ali en Nurabis zu überfallen. Sie kennen mich. Morgen werden wir nach dem Wadi Milleg reiten, um sie aufzusuchen, wenn sie vorhanden sind. Reitest du mit, Effendi?«

»Nein.«

»Warum nicht? Dein Pferd wird ausgeruht haben.«

»Weder ich, noch mein Pferd bedürfen der Ruhe, wenn ich auch jetzt eines der deinigen reite. Ich bleibe morgen nur deshalb zurück, weil ich nicht haben will, daß du einen großen Fehler begehst.«

»Von welchem Fehler redest du?«

»Hast du es nicht einen großen Fehler genannt, daß Achmed es Sallah mit mir geritten ist? Und nun willst du selbst, daß ich bei dir sein soll! O Scheik, seit wann ist es im Lande der Uëlad Sebira Sitte, seinen Gast zu kränken? Ich habe die Sahara durchritten, vom Dschebel Abiad im Westen bis zum Wah el Dakel im Osten, vom Dschebel Aldeda im Lande der Krumirs im Norden bis zur fürchterlichen Wüste Tintuma im Süden; ich war in Masr, im heiligen Lande el Arab, dann immer weiter gen Osten bis zum Lande der Kurden und Perser; ich war in Ländern und bei Völkern, deren Namen du noch niemals gehört hast, aber nie habe ich einen Scheik getroffen, der die Wange seines Gastes schamrot machte. Ich weiß, daß mein Rappe deinen Schimmel besiegt, dennoch habe ich auf die Wette verzichtet, weil ich unter deinem Dache wohne. Und du? Ich gehe von hier in das Land der Kramemssa, Segrelma, Mescheer und Neschaima; sogar über den großen Schott werde ich gehen, um die Kinder der Merasig noch einmal zu besuchen. Was soll ich ihnen allen sagen, wenn sie mich fragen nach dem Scheik Ali en Nurabi vom Ferkah Uëlad Sebira? Ich muß ihnen erzählen, daß du deine Gäste beschimpfest, daß du mich einen Giaur(Ungläubigen"> nennst, obgleich ich bereits heut el Asr und auch el Mogreb mit dir gebetet habe. Du nennst mich einen Giaur, weil ich zu Isa Ben Marrjam bete. Was aber sagt der Prophet von ihm? Sagen nicht selbst die Heiligen und Lehrer des Islam, daß Isa Ben Marrjam am jüngsten Tage herniederfahren werde auf die Moschia der Ornmijaden in Damask, um Gericht zu halten über alle Toten und Lebendigen? Warum also nennst du den, der zu ihm betet, einen Ungläubigen? Antworte mir, Scheik Ali en Nurabi!«

Ich merkte ihm die große Verlegenheit an, in welche ihn meine Worte gebracht hatten.

»Wer hat dir gesagt, daß ich dich einen Giaur genannt haben soll?« fragte er mich nach einigem Schweigen.

»Warum fragest du, da du doch genau weißt, daß du es gethan hast? Siehe, hier an meinem Halse hängt das heilige Buch; ich bin ein Hafizh, einer, der den Kuran auswendig kann. Sage, ob man mich einen Giaur nennen darf!«

»Nein; du bist kein Kafir, kein Giaur!«

»Warum zürnst du dann Achmed es Sallah meinetwegen?«

»Nicht deinetwegen zürne ich ihm, sondern weil er das Duar verlassen hat, um in die Städte zu gehen.«

»Du selbst triebst ihn ja fort! Er ging, um sich den Preis für Mochallah zu verdienen. Oder hältst du es für eine Sünde, die Heimat zu verlassen? Sagt nicht selbst der Prophet: ›Du siehst den Wandrer durch die Länder ziehn, und Allah ist mit ihm. Auch siehest du Schiffe die Wellen durchschneiden, damit ihr von dem Ueberflusse Gottes Reichtümer erlangt und ihm dafür dankbar seid!‹ Ist es also gegen den Willen des Propheten, daß Achmed sein Duar verlassen hat?«

»Nein.«

»Warum also zürnest du ihm?«

»Ich zürne ihm nicht.«

»Warum verweigerst du ihm Mochallah, die Seele seines Lebens?«

Er fühlte sich in die Enge getrieben und antwortete zaudernd:

»Ich bin ein Scheik, und er ist nur ein Krieger.«

»Allah schütze deine Gedanken! Will Achmed denn dich zum Weibe haben? Er will Mochallah, deine Tochter, und diese ist doch nicht ein Scheik! Gott kann erhöhen und kann stürzen. Achmed ist tapfer, treu, wahr, fromm und klug; ich will heute nicht weiter davon sprechen! Denke darüber nach, O Scheik, so wirst du erkennen, daß er es wert ist, die Blume der Uëlad Sebira zu besitzen.«

Das Gespräch verstummte nun. Wir umritten das Lager in einem weiten Bogen und kamen zur Zeit des Aschia wieder zurück. Dann wurde ein kleines Nachtmahl eingenommen, worauf man inmitten des Duar ein prächtiges Feuer anzündete, um welches sich die Männer versammelten, um bei dampfenden Tabakspfeifen die alten Hikkajah zum tausendsten Male anzuhören oder den Aghani zu lauschen, welche zu den anspruchslosen Klängen der Rababah vorgetragen wurden. Eine Stunde vor Mitternacht ging man zur Ruhe.

Im Zelte des Scheik wurden Decken ausgebreitet, um uns gegen die bekannte nächtliche Kälte jener am Tage so heißen Gegenden zu schützen.

»Schlaft ruhig und sicher unter meinem Dache,« meinte Ali en Nurabi. »Allah sei mit euch. Leilkum saaide – gesegnete Nacht!«

Einige Augenblicke später schnarchte er bereits in allen Tönen der chromatischen Tonleiter. Krüger-Bei folgte nach, und auch der Engländer war bald eingeschlafen, wie seine langen, halblauten Atemzüge zu erkennen gaben. Ich steckte meine Revolver zu mir, erhob mich von dem Lager und schlich mich aus dem Zelte.

Im Lager herrschte eine lautlose Stille. Von fern her hörte ich das tiefe, hastende ›Ommu-ommu‹ einer Hyäne, worauf das helle ›J-a-u‹ eines Schakals antwortete, und etwas näher ließ ein neugieriger Fennek sein kurzes Gekläff erschallen. Ich fand Achmed an demselben Orte wieder. Er lag zwischen meinem und seinem Pferde, deren Leinen er sich um den Leib geschlungen hatte.

»Hamdulillah – Preis sei Gott, daß du kommst!« begrüßte er mich. »Ich habe auf dich gewartet wie die Nacht auf den Tau.«

»Warum? Hast du so notwendig? Mitternacht ist noch nicht da.«

»Nein. Aber Mochallah, die Krone der Töchter, ist bereits da. Sie wartet bereits dort bei den Palmen. Sie kam eine Minute vor dir hier vorüber.«

»Eine Minute? Eine ganze Minute? Schrecklich! Nun wundre ich mich nicht, daß du auf mich gewartet hast wie die Nacht auf den Tau.«

»Sihdi, hast du bereits mit dem Scheik gesprochen?«

»Ja.«

»Was sagte er?«

»Nichts. Doch davon können wir später reden. Eile jetzt, damit die ›Krone der Töchter‹ nicht zornig auf dich werde!«

»Effendi, zuvor muß ich dir etwas sagen.«

»Was?«

»Als der Abend hereinbrach, hörte ich da unten in dem Szemt- und Loz-Gebüsch den Bulbul singen, und weil ich ihn gern höre, ging ich näher. Ich stand mit den Pferden zwischen den Sträuchern. Da sah ich einen Mann vorüberhuschen, der kein anderer gewesen ist, als Saadis el Chabir.«

»Du hast ihn genau erkannt?«

»Genau.«

»Hat er dich gesehen?«

»Nein.«

»Du meinst, daß er entflohen ist?«

»Nein, denn er hat geschworen, zu bleiben.«

»So wäre sein Ausgang ja gar nicht verdächtig. Im Duar mag keiner etwas von ihm wissen; so treibt ihn die Langweile heraus in das Freie.«

»Herr, glaube dieses nicht! Dieser Krumir ist gefährlicher und giftiger als Assaleh, die Todbringende.«

»Ich stimme dir vollständig bei. Ist er wieder in das Duar zurück?«

»Ich weiß es nicht, denn ich mußte wieder nach hier zurück, um von dir gefunden zu werden.«

»So gehe jetzt. Wenn ich etwas für euch Störendes vernehme, so werde ich den leisen Laut eines Hedsch ausstoßen, der im Schlafe gestört wird.«

»Wie lange wirst du Geduld mit uns haben, Sihdi?«

»Solange, bis Mochallah den letzten deiner Küsse erhalten hat. Allah kerihm – Gott ist gnädig, aber gegen mich nicht, denn er hat mir keine einzige Mochallah geschenkt.«

»Effendi, du wirst noch sehr viele bekommen, denn ich werde deinen Namen verbreiten in alle Länder der Erde; darauf kannst du dich verlassen!«

Er schlich sich davon zur ›Wohlriechenden‹, und ich, sein Herr und Gebieter, sein Sihdi und Effendi, mußte für ihn bei den Pferden zurückbleiben. O Schicksal, war das recht von dir? Ich hüllte mich in meinen Haik und lehnte mich an den warmen Leib meines Pferdes. Dieses lauschte lautlos den Suren des Kuran, die ich ihm leise in das Ohr recitierte, eine Gewohnheit, die sein früherer Besitzer mir vererbt hatte, und die sich auch für mich sehr nützlich erwies. Der feurige, windesschnelle Rappe erkannte sicher keinen Menschen als Herrn an, der ihm nicht des Abends in dieser Weise in das Ohr flüsterte. Auch dies war ein Teil des ›Geheimnisses‹ meines Pferdes.

Da drüben unter den Palmen wurden gewiß keine Suren geflüstert, aber ich war nicht neidisch auf den braven Achmed es Sallah. Ueber mir wölbte sich der tiefblaue Himmel des Südens mit den glänzenden Funken der Schlange, des Schützen, des Skorpions und des Wolfes; diese Sterne waren gewiß ebenso zauberisch wie diejenigen zwei, in deren liebevolles Licht jetzt mein Diener sich sicher ganz ohne Fernrohr und Perspektiv versenkte.

Ich wartete eine halbe Stunde – eine ganze – noch eine halbe – und abermals eine halbe – Mochallah, wo bleibt der letzte Kuß, bis zu dem ich zu warten versprochen hatte! Eben wollte ich, nur um meines Wächteramtes quitt zu werden, das vorhin vereinbarte Zeichen geben, als sich rechts neben mir ein leises Geräusch vernehmen ließ. Ich legte das Ohr fest auf die Erde; ich konnte mich auf mein Gehör verlassen; es war in den Prairien Nordamerikas zur Genüge geübt worden – ich hörte Schritte, die sich vorsichtig von der Palmengruppe her näherten und die Richtung nach den Zelten einzuhalten schienen. War es Mochallah? Ich zweifelte daran. Schnell schälte ich mich aus meinem weißen Burnus und dem ebenso hellen Mahrahmeh, so daß ich nun in der dunkelblauen, türkischen Hose und Jacke nicht von dem Erdboden zu unterscheiden war, legte mich platt nieder und kroch nach Indianerart der Gegend zu, in welcher ich die Schritte gehört hatte.

Eine Gestalt wand sich vorsichtig zwischen den Zelten hindurch. Es war ein Mann. Jede Deckung benutzend und immer ein Zelt zwischen ihm und mir, folgte ich ihm. Vor demjenigen des Scheiks waren die beiden Lieblingstiere desselben, die Milchstute und das aschgraue Bischarihn-Hedschihn angepflockt, und hinter dem Frauenzelte lag eine Atuscha zwischen mehreren Sardsch, welche der Mann in Augenschein nahm. Dabei bekam ich sein Gesicht zu sehen -es war Saadis el Chabir, der Krumir.

Er kam von seinem Gange zurück. So spät! Warum ging er nicht sofort in das ihm angewiesene Zelt? Warum spionierte er hier umher? Warum schlich er sich wieder aus dem Lager hinaus? Ich mußte es erfahren und folgte ihm so vorsichtig wie möglich nach. Er schritt auf das Akazien- und Mandelgebüsch zu, von welchem Achmed vorhin gesprochen hatte. Kaum kannte ich dies sein Ziel, so schnellte ich auf die Seite, um vor ihm dort anzukommen. Ich schlug einen Bogen, weit genug, um von ihm nicht gesehen zu werden, und rannte in langen Sätzen, aber doch möglichst unhörbar, dem Gebüsch zu.

Ich erreichte es, als er noch ungefähr dreißig Schritte davon entfernt war, und duckte mich auf den Boden nieder. Er blieb am Rande des Hölzchens stehen, kaum drei Meter von mir entfernt, und klatschte leise in die Hände. Auf dieses Zeichen vernahm ich ein Rascheln, welches sich uns näherte. Zurück konnte ich nicht, zur Seite und vorwärts auch nicht; ich war in eine schlimme Lage geraten.

Da brachen einige Personen durch die Sträucher, und die eine von ihnen stieß an mich. Sofort fuhr ich, die beiden Revolver in der Hand, empor, um ihnen zuvorzukommen, aber mein oft bewährtes Glück hatte mich verlassen – diese Beduinen waren geistesgegenwärtige Leute, noch ehe ich mein ›Werda?‹ aussprechen konnte, erhielt ich einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf, die Revolver entsanken meinen Händen, und ich selbst stürzte besinnungslos zu Boden. – –


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