Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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Hussein Isa

Während wir beide Männer mit großem Eifer das thaten, was die Abendländer so prosaisch mit ›rauchen‹, die Türken aber mit tütün itschmek –›Tabak trinken‹ bezeichnen, war Fatima Marryah mit tief verschleiertem Gesicht beschäftigt, das Abendessen zuzubereiten. Es mußte Kuchen gebacken, Reis gedünstet und der Hammel am Spieße gebraten werden. Da ich leicht Ekel habe, so paßte ich sehr auf, in welcher Weise sie das that. Hamdulillah! Sie war viel, viel reinlicher, als ich es bei einer Kurdenfrau vermutet hatte! Ich konnte mit Appetit essen. Während sie still und wortlos schaffte, unterhielt ich mich mit ihrem Manne über hunderterlei, was ihn und mich interessierte, und fragte ihn im Laufe des Gespräches auch, ob Allah ihm das Glück, Vater eines Kindes zu sein, ganz versagt habe. Da wurde sein bisher so zufriedenes Gesicht plötzlich ungewöhnlich ernst; er blickte nachdenklich vor sich nieder und antwortete dann:

»Nein, Herr, es wurde mir nicht versagt, dieses Glück, welches ich wohl besser ein Unglück nennen sollte.«

»Ein Unglück? Dann verzeihe, daß ich davon sprach! Ist dir ein liebes Kind gestorben, so wisse, daß es bei Allah ist. Sprechen wir nicht davon!«

»O, sprechen wir dennoch davon! Du weißt alles und kennst alles. Vielleicht kannst du mir einen Rat erteilen, welcher die schwere Last von meinem Herzen nimmt. Ich habe einen Sohn; er ist nicht gestorben und doch vielleicht schon tot.«

»Vielleicht? So weißt du es noch nicht sicher? Ist er in die Fremde gegangen und nicht zurückgekehrt?«

»Er ist in der Fremde und kommt oft zurück, uns zu besuchen, denn er liebt uns sehr und bringt alles, was er sich erspart. Er lebt also und ist doch vielleicht schon tot für uns.«

»Wie soll ich das begreifen?«

»Ich werde es dir erzählen. Als wir vergebens auf ein Kind hofften, thaten wir ein Nadr (Gelübde), daß, wenn das Kismet sich erweichen lasse, unser Sohn nur für Allah und den Islam leben und wirken solle. Da erbarmte sich Allah und gab uns einen Sohn, Herr, ich sage dir, eine Wonne von einem Kinde! Der Knabe hatte Augen wie Diamanten, ein Gesicht wie die lachende Morgenröte, ein Herz voller Liebe zu uns, einen Verstand, o, einen Verstand, der von Jahr zu Jahr größer und reicher wurde. Wir thaten ihn nach Diarbekir zu einem berühmten Gelehrten. Wir mußten hungern, um diesen Mann bezahlen zu können, aber wir thaten es gern. Nach drei Jahren kam er zurück. Da konnte er den Kuran und alle seine Auslegungen auswendig; alle heiligen Bücher waren in seinem Kopfe versammelt, und der Geschichte der Khalifen war er so gewiß wie seiner eigenen Erfahrung. Wir waren entzückt; wir dankten Allah auf unsern Knien und baten um seinen ferneren Segen. Unser Sohn, den wir Hussein Isa genannt hatten, sollte – –«

»Hussein Isa?« unterbrach ich ihn, über diesen Namen erstaunt, da Isa Jesus heißt.

»Ja, Hussein nannten wir ihn nach unserm größten heiligen Khalifen, den die Sunniten bei Kerbela ermordet haben. Und den Namen Isa erhielt er nach dem Stifter des Christentumes, der auch von uns für einen Propheten gehalten wird und ein gewaltiger Redner war. Seine Worte waren wie Sonnenstrahlen, welche das Herz erleuchten, und wie Schwerter, die durch die Seele dringen. So ein Redner, so ein Prophet, wohl gar der Mahdi, den wir alle erwarten, sollte unser Sohn werden, und darum hat er zu dem Namen Hussein noch den Namen Isa bekommen.«

»Sonderbar! Sollte das ein Omen, ein Kismet sein?«

»Wie meinst du das?«

»Eure drei Namen sind Yussuf Ali, Fatima Marryah und Hussein Isa. Jede dieser drei Personen hat einen moslemitischen und einen christlichen Namen. Ali und Fatima waren die Eltern von Hussein, welcher von seinen Gegnern getötet wurde. Yussuf (Josef) und Marryah (Maria) waren die Eltern von Isa, welchen seine Feinde ans Kreuz schlugen. Ist das nicht sonderbar?«

»Herr, das ist mir noch nicht aufgefallen; das beschwert meine Seele noch viel mehr! Du unterbrachst mich. Ich wollte dir sagen, daß unser Sohn nun nach Meschhed-Ali gehen sollte, um dort die tieferen Lehren der Schiiten zu studieren. Wir rüsteten ihn aus und sandten ihn mit Bekannten fort, welche nach Mossul reisten, um Galläpfel abzuliefern. Sie kehrten zurück und meldeten uns, daß er ganz glücklich mit ihnen dort angekommen sei. Später waren wieder Leute dort, welche behaupteten, ihn in Mossul gesehen zu haben. Wir wollten das nicht glauben, erhielten aber kurz darauf von ihm selbst die Nachricht, daß er nicht nach Meschhed-Ali gegangen, sondern als Chizmikar (Diener) des Patrik (Patriarch) von EI Kosch in Mossul geblieben sei. Kennst du diesen Mann vielleicht?«

»Ja. Ich war bei ihm und habe mit ihm gesprochen. Er ist ein sehr frommer Mann, den ich sehr verehre. Auch EI Kosch ist berühmt. Man sagt, daß der Prophet Nahum da geboren worden sei.«

»Wenn du bei dem Patrik warst, so hast du wohl unsern Sohn gesehen?«

»Vielleicht. Der Patrik hat mehrere Diener, von denen mir nur zwei zu Gesicht gekommen sind. Erzähle weiter! Deine Geschichte interessiert mich außerordentlich.«

»Wollte doch Allah, daß sie weniger traurig wäre! Mein Sohn, der nach Meschhed-Ali sollte, um ein großer Lehrer der Schia, vielleicht gar ein Mahdi zu werden, bei dem christlichen Patrik in Mossul! Das war ja entsetzlich! Ich machte mich auf und reiste selbst hin. Ich fand ihn. Ich bat, ich zürnte, doch vergeblich. Er hatte dem Patrik einen zufälligen Dienst erwiesen und ihn deshalb besuchen müssen. Dieser alte Mann, dieser Giaur, den Allah töten wolle, hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er nicht von ihm fortzubringen war. Er kränkte mein Herz sogar mit der Behauptung, daß ihm jetzt das Licht aufzugehen beginne, nach welchem er bisher vergeblich gesucht habe. Ich mußte unverrichteter Sache heimkehren, und er blieb dort. Zuweilen besuchte er uns und brachte uns allerhand Gaben mit. Ich bat ihn, hier zu bleiben. Ich drohte mit allem, womit ich drohen konnte; aber es half nichts. Er antwortete mir mit langen Reden, die ich nicht verstehen durfte, und ging wieder fort. Ich sandte mehreremal mein Weib, denn ich dachte, er werde der Mutter vielleicht lieber gehorchen als dem Vater; aber sie nahm nicht ihn, sondern er nahm sie gefangen, denn sie begann nun auch von dem Lichte zu reden, welches aufgegangen sei, alle Völker und Heiden zu bekehren, und von dem Sterne, den die Könige des Morgenlandes gesehen haben wollten. Wenn das so fortgeht, ist mein Sohn tot für uns und – –«

»Für mich nicht!« unterbrach ihn seine Frau unter einem lauten Aufschluchzen. »Er ist mein Kind, mein einziges, geliebtes Kind, und wird es bleiben, so lange ich lebe!«

Ich hatte während der Erzählung ihres Mannes gesehen, daß sie wiederholt mit der Hand unter das Schleiertuch fuhr, jedenfalls um sich die stillen Thränen abzutrocknen. Jetzt aber konnte sie sich nicht mehr beherrschen; sie mußte sprechen und that dies in einem so herzzerreißenden Tone, daß mir die Augen sofort naß wurden.

»Weib, schweig!« gebot er ihr. »Er hat auch dich verführt. Willst du etwa auch Christin werden und zu dem Gekreuzigten beten? Dieser Isa war ein Prophet und großer Redner; aber was ist er gegen Mohammed, gegen Ali, den Heiligen, gegen Hassan und Hussein! Willst du den abtrünnigen Sohn verteidigen, so wehe ihm, wenn er kommt! Er hat mich verlassen und will mir nun auch noch das Weib vom Herzen nehmen! Ich weiß, was ich zu glauben habe und – –«

Er wurde durch einen Ruf unterbrochen, welcher vom hintersten Feuer her erschallte. Er selbst war es, den man gerufen hatte; darum stand er auf und begab sich dorthin, wo man nach ihm verlangte.

»Herr,« weinte die Frau, »es ist alles so, wie er dir erzählte, und dennoch ist es nicht ganz so, wie er es sagt. Ich habe um Hassan und Hussein, welche getötet wurden, viele, viele Thränen vergossen, denn ich dachte an Fatima, die Mutter der Getöteten. Jetzt aber weine ich um Isa, den Gekreuzigten, der für alle Menschen gestorben ist, und denke an Marryah, die Mutter der Schmerzen, die an seinem Kreuze stand. Mein Sohn hat mir viel, viel von ihm und ihr erzählt, und was er sagt, das glaube ich, denn ich liebe ihn. Ich habe es meinem Manne wieder erzählt, oft, sehr oft. Er hat es still in seinem Herzen bewahrt, das weiß ich; das habe ich bemerkt, denn er fing zuweilen selbst von Isa und Marryah an. Es ist ein Streit in seiner Seele entbrannt; doch ist Mohammed in ihm noch mächtiger als der Welterlöser. Aber ich bete im stillen zu Gott, daß er Mohammed besiegen und dem Vater meines Sohnes beistehen möge, zu der Klarheit zu gelangen, die ich für die ewige Wahrheit halte. O Gott, o Gott, wen bringt er da!«

Ich richtete den Blick nach der Gegend, in welche sie deutete. Sie stand wie starr, ob vor Schreck oder vor Freude, das war nicht zu sagen. Ihr Mann kehrte zurück, und an seiner Seite schritt ein anderer, den ich nicht deutlich erkennen konnte; die Feuer flackerten zu sehr. Kurden und Kurdinnen kamen hinterdrein. Da rief Fatima Marryah:

»Mein Sohn, mein Sohn! Er ist's, ja, er ist's!«

Sie eilte auf ihn zu, schlang die Arme um ihn und zog ihn an ihr Herz. Nun erkannte auch ich den jungen Mann. Ich hatte ihn bei dem verehrten, frommen Patriarchen von EI Kosch gesehen und damals freilich nicht gedacht, daß er bei einem meiner spätern Erlebnisse eine solche Rolle spielen werde. Die Zuschauer wichen ein Stück zurück, denn Mutter und Sohn küßten sich, und zwar öffentlich, was bei Mohammedanern eine unverzeihliche Sünde gegen die gute Sitte ist. Yussuf Ali riß sie auch schnell und zornig auseinander und rief:

»Was thut ihr da? Was fällt euch ein! Habt ihr die Gebote und Satzungen unsers Glaubens schon so weit vergessen, daß ihr den Leuten hier ein solches Schattenspiel vorführt? Geh her, und begrüße zunächst diesen fremden Herrn, welcher deiner Mutter heute das Leben gerettet hat! Dann habe ich sogleich ein ernstes Wort mit dir zu reden.«

Er schob den Sohn zu mir hin. Dieser erkannte mich und sagte, indem er mir die Hand entgegenstreckte:

»Welche Überraschung und welche Freude, dich hier zu sehen, Effendi! Vater, dieser Effendi ist der Gast meines Patrik gewesen und von ihm so hoch geehrt worden, daß du stolz, sehr stolz darauf sein kannst, mit ihm an einem Feuer sitzen zu dürfen. Was ist denn mit der Mutter geschehen? Hat sie sich in Gefahr befunden?«

»Ja, sie sollte von den Hunden der Mir Mahmalli zerrissen werden. Doch davon wirst du später hören. Jetzt beantworte mir eine Frage: Wirst du bei dem Patrik bleiben oder zu uns kommen?«

Er hatte die Arme über die gewaltige Brust gelegt und stand hoch aufgerichtet vor dem Sohne, welcher sich zwar wunderte, daß anstatt eines Willkommens diese Frage jetzt und in solcher Weise an ihn gerichtet wurde, aber sofort und ruhig antwortete er:

»Vater, ich käme gern zu euch, aber das ist nun nicht mehr gut möglich.«

»Nicht? Warum?«

»Weil ihr zu uns kommen sollt.«

»Wir – –? Zum Patrik etwa?«

»Ja. Er hat mich abgesandt, euch zu holen. Ihr seid arm und lebt in diesen Wäldern kümmerlich. Ich habe mich gesehnt, für euch sorgen zu können, und das ist mir von jetzt an möglich geworden. Der Patrik hat mich einstweilen zu seinem Katib (Schreiber) gemacht; da habe ich eine schöne, große Wohnung und alles, was ihr sonst noch braucht, für euch. Später wird es dann noch besser.«

»Noch besser?« fragte der Riese spöttisch. »Ja, wiefern denn das?«

»Weil ich dann nicht mehr Katib, sondern Kha – –Khassis sein werde.«

Er brachte das Wort doch nicht mit einemmal heraus, denn Khassis heißt Priester.

»Khassis!« schrie sein Vater auf. »Ein christlicher Priester willst du werden! Ein Oberster der ungläubigen Hunde sollst du sein! Willst du dem Islam entsagen?«

»Vater, zürne nicht; vergieb mir! Ich konnte nicht anders. Ich habe es schon gethan. Ich bin ein Christ; ich habe Il Kurban il mukad'das er Ritas (das heilige Sakrament der Taufe) erhalten.«

»So – bist du – – also wirklich schon – – ein verdammter – –Giaur geworden?« stieß der Alte hervor, indem er vor Grimm nur absatzweise sprechen konnte.

»Ich mußte, Vater, ich mußte! Ich stand zwischen Mohammed und Isa Ben Marryam; ich habe mit beiden gerungen, Tage und lange Nächte hindurch. Mohammed hat mich verlassen; Isa aber nahm mich auf in den Schoß der alleinigen Wahrheit, in den Glanz der ewigen Hoffnung, die niemanden täuscht. Ich – –«

»Halt ein!« fiel ihm sein Vater fast brüllend in die Rede. »Du bist ein Christ und kannst nun nicht mehr zurück? Nicht wahr?«

»Ja; ich bin ein Christ und bleibe es!«

»So sei verdammt und verflucht in alle Ewigkeit – –«

»Vater!« schrie der Sohn auf, indem er sich ihm zu Füßen warf. »Halt ein! Nicht dieses entsetzliche Wort! Du bist ergrimmt. Wenn du dich beruhigt hast, wirst du anders denken und anders sprechen. Ich wollte dir das alles nicht in dieser Weise, nicht so schnell und unvorbereitet sagen. Du aber hast mich mit deinen Fragen dazu gezwungen. Beherrsche dich! Denke nicht nur an mich, sondern auch an die Mutter, die dir hier zu Füßen liegt!«

Die Frau hatte sich vor ihrem Manne niedergeworfen und seine Füße umschlungen. Er stieß sie von sich, erhob den Arm, drang auf den Sohn ein und schrie:

»Ich soll mich beherrschen, ich! Das sagst du mir, der Sohn dem Vater, du Kröte, du Hund! Willst du mir augenblicklich schwören, von deinem gekreuzigten Isa zu lassen, sonst – –«

Ich hatte mich vom Feuer erhoben. Der aufgeregte Mann stand im Begriff, den Sohn zu schlagen. Das wollte ich verhindern; darum trat ich zwischen beide und sagte in beruhigendem Tone.

»Yussuf Ali, willst du eine Angelegenheit, welche zwischen deine Wände gehört, in solcher Weise öffentlich behandeln? Höre auf meinen Rat und – –«

»Schweig!« donnerte er mich an. »Du bist auch ein solcher Giaur, ein solcher Hund, dessen Fleisch kein Aasgeier fressen mag. Deine Worte stinken mich an. Sage noch ein einziges, so vergesse ich, daß du mein Gast bist!«

»Das hast du bereits vergessen!«

»Habe ich es vergessen? So? Nun so kann ich es auch vollenden. Hier, nimm – – –«

Er hielt erschrocken inne. Er hatte gethan, was nicht er selbst, sondern was der Teufel seines Zornes gewollt hatte -er hatte mich geschlagen. Da mir das undenkbar gewesen war, so hatte ich mich nicht zur Abwehr bereit gehalten und den Schlag in das Gesicht also voll und gewichtig empfangen, von einer solchen Riesenhand. ich taumelte zurück und griff nach dem Auge. Es war, was der Kunstausdruck einen Sauhieb nennt, ein Hieb auf die Nase, von welcher der Daumen von derselben ab- und in die Augenhöhle geglitten war. Das Blut drang mir aus der Nase, und auf dem rechten Auge konnte ich nichts sehen. Als ich es befühlte, hing es halb aus der Höhle.

Ein einziger, vielstimmiger Schrei erscholl rundumher. Ein Gast war von seinem Gastgeber erst geschimpft und dann sogar geschlagen worden! Das war noch nie geschehen. Yussuf Ali war übrigens selbst ganz entsetzt über sich. Er ließ die Arme sinken, starrte mich an, ergriff dann seinen Sohn beim Arme und sagte, ihn mit sich fortziehend:

»Komm! Er hat recht. Diese Sache gehört nicht vor andere. Ich allein habe mit dir zu reden.«

Sie verschwanden miteinander. Die Frau legte mir die Hände auf beide Schultern und sagte schluchzend:

»Herr, verzeihe ihm; er wußte nicht, was er that! Er ist sonst so gut; aber wenn er zornig ist, so darf man ihm nicht widersprechen. Hat er dich sehr getroffen? Hast du Schmerzen?«

»Komm mit ins Haus, und gieb mir Wasser!«

Ich ging mit ihr ins Haus, um meinen Anblick den andern zu entziehen, aus Rücksicht für ihren Mann und auch – – für mich selbst. Hadschi Halef folgte nach. Ich brachte das Auge behutsam wieder an seine Stelle; dann stillte er mir die Blutung und legte mir eine nasse Kompresse auf. Während dieser Arbeit hörten wir einen lang gezogenen Schrei erschallen, achteten aber nicht auf denselben. Später kam der Scheik, um mich aufzufordern, als Gast zu ihm zu kommen. Ich weigerte mich natürlich nicht, dies zu thun, denn meines Bleibens konnte bei Yussuf Ali unmöglich länger sein. Als wir aus dem Hause traten, saß dieser allein bei seinem Feuer. Wir gingen an ihm vorüber, ohne ihn zu beachten.

Ich sollte mich an das Feuer des Scheikes setzen und mitessen; aber die Lust war mir dazu vergangen. Nase und Auge schmerzten mich, und wenn ich an Hussein Isa und seine arme Mutter dachte, so war es mir unmöglich, einen Bissen zu nehmen. Darum ging ich auch hier in das Haus und setzte mich in der Abteilung desselben, welche mir angewiesen wurde, nieder, um mir von dem zärtlichen Hadschi Halef unausgesetzt kalte Umschläge auflegen zu lassen.

Damit verfloß eine ziemlich lange Zeit, bis ich einen aus der Ferne herüberschallenden Lärm hörte, welcher wie ein aus der Tiefe heraufdringendes Hohngelächter klang. Draußen vor dem Hause erhoben sich laute Stimmen. Man schien sich zu zanken; ich achtete nicht darauf. Da kam der Scheik herein und sagte:

»Herr, Yussuf Ali will mit dir reden. Ich habe ihn abgewiesen, aber er besteht darauf. Auch sein Weib läßt dich dringend bitten, seinen Wunsch ja zu erfüllen.«

»Ich werde gleich hinauskommen.«

Er schien diese meine Bereitwilligkeit nicht erwartet zu haben, ging aber hinaus, ohne ein Wort darüber zu verlieren, und ich folgte ihm mit Halef. Draußen stand Yussuf Ali allein mit seiner Frau. Die andern Kurden und Kurdinnen hielten sich von ihnen fern, weshalb, das war mir leicht erklärlich.

»Herr, hilf uns; mein Sohn ist gefangen!« rief uns Fatima Marryah an, indem sie vor mir auf die Knie sank und die gefalteten Hände flehend empor hob.

»Gefangen?« fragte ich, indem ich sie aufrichtete. »Von wem?«

»Von den Mir Mahmalli da drüben.«

»Woher weißt du das?«

»Sie haben es uns herübergeschrien.«

»Ah! Das Geheul, welches auch ich hörte!«

»Hast du es vernommen? Sie riefen in einem fort: Hussein Isa gefangen, Hussein Isa gefangen!«

»Wie ist er denn in ihre Hände geraten? Hat er denn diesen Platz hier verlassen?«

»Er mußte. Als sein Vater dich geschlagen hatte, führte er ihn zum Thor hinaus und verbot ihm, jemals wiederzukommen. Der Sohn ging still fort. Die Mir Mahmalli müssen hier in der Nähe gewesen sein, denn ich hörte einen langen, angstvollen Schrei.«

»Sie haben sich wegen mir um euer Lager geschlichen. Auch ich hörte den Schrei, hatte aber keine Ahnung davon, was er bedeutete.«

»Ich auch nicht, denn ich erfuhr erst später von meinem Manne, daß der Sohn fort sei. Sie haben ihn draußen ergriffen und, als er schrie, fortgeführt. Dann riefen sie es zu uns herüber, daß sie ihn gefangen haben. Hilf uns, Herr! Du bist der einzige, der helfen kann!«

»Ich? Warum ich allein? Hier stehen über fünfzig bewaffnete Männer. Auf, o Scheik! Wir müssen schleunigst hinüber, um ihn zu retten, denn die Mir Mahmalli werden nach dem, was heute geschehen ist, nicht zaudern, ihn zu töten.«

Der Scheik schüttelte den Kopf und antwortete:

»Wenn sie ihn töten, so ist es uns ganz lieb. Er ist ein Christ geworden und geht uns nichts mehr an.«

»Aber er ist ein Mensch und von eurem Stamme!«

»Gewesen; jetzt nicht mehr. Der Stamm stößt ihn aus.«

»Ihr sagt euch also gänzlich von ihm los?«

»Ganz und gar!«

»So denkt daran, daß ich euer Gast bin! Ich erkläre ihn für meinen Bruder; er ist also auch der eurige, und ihr müßt ihn befreien.«

»Ein Abtrünniger kann selbst unter dieser Voraussetzung nicht unser Bruder sein. Er hat Mohammed verlassen; mag Isa, an den er jetzt glaubt, ihn retten!«

Da wiederholte Yussuf Ali, welcher bis jetzt geschwiegen hatte, in dumpfem Tone diese Worte:

»Er hat Mohammed verlassen; mag Isa ihn retten! Isa vermag es nicht. Die Mir Mahmalli sind zu blutdürstig und zu stark!«

»Aber Isa ist stärker als sie und als alle Menschen,« entgegnete ich. »Halef, gehst du mit?«

»Ja,« antwortete der kleine, wackere Hadschi sofort bereitwillig.

»Aber wir wagen das Leben und kennen die Gegend nicht!«

»Die Gegend werden wir bald kennen gelernt haben, und wo du etwas wagst, muß ich dabei sein. Ich hole meine Flinte.«

»Die ist überflüssig, ebenso die Pistole. Ich gebe dir meine Revolver; dazu dein Messer, das ist mehr als genug.«

Da wir all unser Eigentum ehrlich zurückerhalten hatten, so besaß ich auch meine Revolver wieder. Wir gingen in das Haus; ich holte den Stutzen. Als wir wieder herauskamen, stand Yussuf Ali mit seiner langen Lanze da und sagte:

»Herr, ich gehe mit. Ich muß den Sohn wieder haben.«

»Bleib!« gebot ich ihm. »Du taugst bei uns nichts.«

Er wollte nicht gehorchen, doch als ich ihm erklärt hatte, daß und warum er uns hinderlich sein werde, fügte er sich. Er begleitete uns mit seinem Weibe bis an den Ausgang, um uns hinaus zu lassen. Als wir draußen standen, drückte sie mir weinend die Hand und bat:

»Thue alles, was du kannst, Herr; aber schone auch dein Leben. Gott wird dich begleiten und meinen Sohn durch dich retten, denn ich werde für dich und ihn beten, bis ihr kommt.« – –


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