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Unserem Vorsatze treu, waren wir mit dem Dampfer der Società Rubattino von Tunis nach Sfaks gefahren, und Turnerstick hatte gefunden, daß er hier ein reiches Feld abernten könne. Er konnte nicht nur den Rest seiner Waren, welcher unter der Aufsicht des Steuermannes zurückgelassen worden war, verkaufen, sondern auch neue Ladung einnehmen. Er war ebenso schlau und umsichtig im Handel wie tüchtig zur See und befand sich infolge seiner Erfolge in der rosigsten Laune, machte Besuche über Besuche, hielt Konferenzen und war für mich nur des Abends zu sprechen. Darum beschloß ich, mich anderweit zu unterhalten und zu diesem Zwecke die nahen, hoch interessanten Karkehna-Inseln zu besuchen. Mandi, der bedeutendste Handelsmann der Stadt, ein Maltheser, bei welchem wir uns gern befanden, stellte mir sein Segelboot und einige Leute zur Verfügung. Ich blieb vier volle Tage dort und kehrte erst gegen Abend des fünften zurück. Nach einer Stunde, welche ich mit der Aufbesserung meines etwas angegriffenen Anzuges verbracht hatte, ging ich zu Mandi, um ihm zu danken. Der Tag war indessen vergangen, aber der frühe Mond stand schon am Himmel. Ein Diener, den ich nach seinem Herrn fragte, sagte mir, daß derselbe vor einiger Zeit in den Garten gegangen sei, und infolgedessen begab ich mich in den letzteren, in welchem ich schon einige Male gewesen war.
Zu erwähnen ist, daß Sfaks sehr schöne Blumen-, Obst- und Südfruchtgärten besitzt; es leben viele Europäer hier, besonders Franzosen, Italiener und Maltheser, und das hat dem geselligen Leben einen mehr französischen Anstrich gegeben.
Der Garten lag einsam, auf der einen Seite von dem Hause und auf den andern drei von hohen Mauern umgeben. Ich forschte vergeblich nach Mandi und hatte nur noch die hinterste Ecke zu durchsuchen. Um dorthin zu gelangen, mußte ich über einen kleinen, freien Platz gehen, welcher vom Monde hell beschienen wurde. Kaum war sein Licht auf mich gefallen, so hörte ich eine helle Kinderstimme rufen:
»EI Nusrani, el Nusrani – der Christ, der Christ!«
War das etwa der kleine Asmar, der Sohn des Henkers? Ich blieb gar nicht lange darüber im Zweifel, denn das Kerlchen kam gesprungen und nahm mich bei der Hand. Er war es wirklich.
»Wo ist dein Vater?« fragte ich ihn.
»Dort,« antwortete er, nach dem Hause deutend.
»Und Kalada, deine Mutter?«
»Komm, ich werde dich führen.«
»Wer ist bei ihr?«
»Niemand. Sie ist allein.«
Nun trug ich kein Bedenken, die arme, bedauernswerte Frau aufzusuchen. Sie saß in tiefem Schatten von Jasmin auf einem Steine. Ich grüßte; sie dankte nicht; die Angst, mit mir entdeckt zu werden, raubte ihr die Sprache.
»Verzeihe mir, daß ich der Stimme deines Kindes folge!« bat ich sie. »Soll es nur Zufall sein, daß wir uns so unerwartet und unbeobachtet hier wieder treffen? Ich werde nur so lange bleiben, wie nötig ist, das zu erfahren, was ich wissen muß. Was waren bei dir die Folgen unsers Besuches?«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich mit dir gesprochen habe,« antwortete sie zagend. »Der Zorn meines Gebieters hat meinen Bruder getroffen, der Euch in das Haus gebracht hat, doch wurde mir deshalb ein großer Zorn, daß ich in meiner Herzensangst die Namen Jesu und der heiligen Jungfrau ausgerufen hatte. Darum reist er jetzt mit mir und dem Kinde nach Keruan, wo ich diese Schuld durch das Abbeten der Reinigungssuren auslöschen soll. Der Knabe soll mir, weil er schon das heilige Vaterunser betet, genommen werden und in Keruan bleiben, um ein frommer Marabut zu werden.«
»Warum geht dein Mann nicht direkt von Tunis nach Keruan? Warum hat er diesen Umweg zu Schiffe über Sfaks gemacht?«
»Weil er eine Botschaft des Bei an den Befehlshaber der hiesigen Truppen zu überbringen hatte. Mein Gebieter wohnt stets bei Mandi; darum sind wir auch heute hier.«
»Wann reist ihr ab?«
»Morgen früh, auf Kamelen und mit drei Dienern.«
»Weiß dein Mann, daß ich mich mit meinem Freunde hier in Sfaks befinde?«
»Nein; er ahnt es nicht.«
»So weiß ich genug; ich danke dir! Vertraue auf den Herrn, der dein Glück und dasjenige deines Kindes ebenso sicher lenkt, wie er die Sterne leitet. Lebe wohl! Vielleicht sehen wir uns wieder.«
Der Diener, welcher mich in den Garten gewiesen hatte, stand noch an der Thüre. Ich sagte ihm, daß ich seinen Herrn nicht gefunden hätte, und befahl ihm, demselben mitzuteilen, daß Abd el Fadl von unserer Anwesenheit nichts wissen dürfe. Dann begab ich mich in meine Wohnung zurück, die ich mit Turnerstick teilte. Vorhin war er nicht daheim gewesen; jetzt saß er da. Bei meinem Anblicke sprang er auf und empfing mich mit den Worten:
»Willkommen zur Heimkehr, Charley! Gut, daß Ihr zurück seid! Ich habe ein prächtiges Unternehmen. Meine Geschäfte sind fast beendet, und nun will ich einen Ausflug machen, zwanzig Stunden weit zu Pferde. Macht Ihr mit?«
»Wohin?«
»Großartige Ruine, riesiges Amphitheater, Löwen-, Tiger- und Elefantenkämpfe wie zur Römerzeit!«
»Meint Ihr el Dschem?«
»Was? Ihr kennt das Dings?«
»Leidlich.«
»Sodann eine Riesenhöhle, leider jetzt verschüttet, aber immer noch des Ansehens wert.«
»Meint Ihr die Mahara er rad, die Höhle des Donners?«
»Auch diese kennt Ihr?«
»Bin schon drin gewesen, damals, als ich von dem Krumirlande aus nach Süden ritt. Vielleicht weiß ich, warum diese große Höhle plötzlich eingestürzt ist. Es gab da einen verborgenen Wasserfall, dessen Geräusch die Beduinen für Donner hielten; daher der Name der Höhle.«
»Prächtig, daß Ihr das so kennt! Da brauchen wir keinen Führer. Wir beide allein, gut bewaffnet, zwanzig Stunden weit durch die Stämme der Beduinen! Ihr macht also mit?«
Natürlich sagte ich ja. Es lag wie eine Ahnung in mir. Wie gerne hätte ich Kalada Hilfe gebracht! Ich hatte sie auf Gottes Güte verweisen müssen. Und nun kam dieser Vorschlag des Kapitäns. Wollten wir die Höhle und die berühmten Ruinen besuchen, so hatten wir ganz denselben Weg, den der Henker reiten mußte. Sollte das auch Zufall sein?
Turnerstick war über meine Zusage so erfreut, daß er sofort ging, um zwei gute Pferde und Proviant zu besorgen. Am nächsten Morgen waren wir zeitig reisefertig, durften aber nicht in den Sattel steigen, weil es in meiner Absicht lag, dem Henker einen Vorsprung zu lassen. Wir hörten, daß er mit Tagesanbruch fortgeritten sei, und brachen drei Stunden später auf.
Der gute Kapitän hatte sich den Ritt viel interessanter vorgestellt, als er in Wirklichkeit war, Sobald man Sfaks hinter sich hat, wird die Gegend flach, sandig und unfruchtbar. Nur selten giebt es ein fließendes Wässerchen, welches aber nach kurzem Laufe wieder im Sande verschwindet. An solchen Stellen wächst ein Gras, und es stellen sich Beduinen ein, um dasselbe abweiden zu lassen. Zwischen dem Bah feitun und dem Bah Merai ziehen sich Höhen hin, welche den Beduinen vom Stamme der Metelit gehören. Bei ihnen hielten wir an, und erfuhren da, daß der Henker soeben erst mit seiner Begleitung vorübergekommen sei. Bald bekamen wir ihn in Sicht. Er hatte für sich und seine Frau mit dem Kinde zwei Kamele; die Diener gingen zu Fuß. Nun machten wir, im Galopp reitend, einen weiten Umweg, um unserem Feinde voranzukommen. Dabei trafen wir auf einige arme Selass-Beduinen, welche uns klagten, daß sie fortziehen müßten, da ein starker Panther ihre Herden dezimiere.
Nach einiger Zeit kam mir die Luft so eigentümlich schwer vor; es war, als ob man sie in die Luftwege hinabfallen fühle. Ich kannte das und wurde besorgt. Im Südwest begann der Himmel sich zu färben; es lag da eine Luftschicht, welche oben eine fahlgelbe und unten eine silberglänzende Farbe hatte.
»Das ist die Zaubaa el milh, der Salzsturm!« rief ich aus. »Gebt Euerern Pferde die Sporen; dann sind wir in einer Viertelstunde in der Höhle.«
Turnerstick hatte noch nie etwas von einem Salzsturme gehört. Das ist der Wüstenwind, welcher über die Schotts streicht, seeartige Wasserbecken mit einer Salzkruste. Wird das Salz durch irgend welche Einflüsse zerstäubt und vom Samum mit fortgenommen, so entsteht der Salzsturm, welcher höchst 'gefährlich ist. Das Salz dringt in die Augen und Ohren, in alle Oeffnungen und Poren des Körpers; es sticht sich wie Nadelspitzen in die Haut und verursacht ein Brennen und Beißen, welches selbst den Löwen und Panther toll zu machen vermag. So einen Sturm sah ich kommen; die silberglänzende Luftschicht war salzhaltig, und die gelbfahle darüber bestand aus leichterem Wüstenstaube.
Noch hatten wir die Höhle nicht erreicht, so brach das Wetter los. Das war kein Orkan mit Heulen und Toben, sondern ein steter, gleichmäßiger Sturm, welcher mit schwerem Sausen über die Sahel strich. Im Nu hatten wir den Mund und die Nase voller Salz. Wir mußten niesen und husten. Den Pferden erging es ebenso; sie wollten durchgehen. Man konnte kaum zehn Schritte weit sehen; doch kannte ich die Lage der Höhle genau. Nach fünf Minuten hatten wir sie erreicht.
Ihr Eingang war schmal, bald aber erweiterte sie sich zu einem wohl fünfzig Fuß ins Gevierte messenden Raume, um sich dann so zu verengen, daß derjenige, der sie nicht genau untersuchte, leicht glauben konnte, daß sie nicht weiterführe. Aber es gab da einen Spalt, durch welchen sich sogar ein Pferd zu drängen vermochte; wer da hindurch war, befand sich in einer hohen, domartigen Wölbung. Dort drangen wir ein, da wir so weit hinten ganz sicher vor dem Salze waren.
Kaum hatten wir es uns bequem gemacht, so sahen wir andere Geschöpfe kommen, welche hier ebenso Rettung suchten, nämlich einige Schakale. Es kamen nach und nach noch mehrere, sogar zwei Hyänen. Die Angst hatte sie friedfertig gemacht; sie vertrugen sich. Durch unsere Spalte blickend, sahen wir das Salz in dicken Schwaden vor dem Eingange vorüberstreichen. Wehe dem, der gezwungen war, das Ende des Sturmes abzuwarten!
Da war es mir, als ob ich inmitten des ununterbrochenen Sausens den Schrei einer Kinderstimme gehört hätte. Ja, wirklich, jetzt wieder! Es kam näher. Jetzt hielten draußen zwei Kamele, welche von drei Männern gehalten wurden. Erst stieg der Henker ab und dann seine Frau mit dem weinenden Kinde. Alle flüchteten sich herein, sogar die Kamele. Die Schakale und zwei Hyänen aber schossen furchtsam in das Unwetter hinaus.
Die Gesellschaft nahm in der vordern Höhle Platz; von dem Dasein einer zweiten schien keiner etwas zu wissen. Wir verhielten uns still, da wir gern beobachten wollten.
Das Kind weinte noch immer; die Mutter suchte es zu beruhigen. Der Mann meinte höhnisch: »Nun, so bete doch zu deinem Jesus, daß er dem Salze verbiete, sich zu erheben! Wird er helfen können. Dein Glaube ist – –«
Das Wort blieb ihm im Munde stecken, und auch mir schlug in diesem Augenblicke das Herz, denn vor dem Eingange erschien wieder ein Tier, welches Schutz in der Höhle suchte, nämlich ein riesiger schwarzer Panther. Die Zunge hing ihm weit aus dem Halse, so war er gehetzt worden. Vielleicht war er das Tier, von welchem die Selass-Beduinen erzählt hatten, und vielleicht kannte er die Höhle. Er trat furchtlos herein, hustend und pfauchend. Kaum waren ihm die Augen frei vom Salz geworden, so that er einen Sprung auf das eine Kamel, zerschlug ihm mit der Pranke den Halswirbel und riß ihm die Gurgel auf. Dann begann er, sich um die anwesenden Menschen gar nicht bekümmernd, seinen Raub zu verzehren. Das Knacken und Prasseln der Knochen klang entsetzlich zu uns herüber.
»Schießen wir?« fragte Turnerstick leise.
»Nein,« antwortete ich. »Ein Fehlschuß würde viel Blut kosten. Warten wir es ab!«
Die fünf Menschen da vorn saßen lautlos und unbeweglich vor Angst. Die Mutter hielt ihr Kind in den Armen. Der Henker machte den Versuch, seinen Platz zu verlassen, aber sofort erhob das Tier den Kopf und brüllte zornig; er blieb sitzen. Die Leute waren gefangen und konnten sich nicht wehren. Die drei Diener hatten keine Gewehre, und dasjenige des Henkers lag weit zur Seite.
Jetzt legte ich mich auf den linken Ellbogen nieder und versuchte, zu zielen. Es war eine schwere Sache, denn es dunkelte hier in der Tiefe, und das Tier mußte unbedingt in das Auge getroffen werden.
Eine Hyäne kam hereingeschossen; sie stürzte beinahe über den Panther weg und flog sofort wieder hinaus. Darob erzürnt, ließ das gewaltige Tier ein Gebrüll ertönen, daß die Wände zu zittern schienen. Das war für die Nerven Kaladas zu viel. Sie öffnete unwillkürlich die Arme, um sich die Ohren zuzuhalten – das Kind rollte von ihrem Schoße herab und zu dem Panther hin. Ein vielfacher Schrei erscholl, sogar auch mit von meinen Lippen.
Die nun folgende Scene läßt sich nicht beschreiben. Zum größten Glücke war der Knabe vor Entsetzen ohnmächtig geworden.
»Allah, o Allah, hilf, hilf!« stöhnte der Vater. Es schien, daß das Sprechen dem Panther gar nicht störend sei.
Die Mutter hatte ihr Gesicht in die Hände gehüllt. Der Vater saß leichenblaß, ein Bild der entsetzlichsten Ratlosigkeit, da. »O Allah, Allah, hilf! O Mohammed, du Glänzender, sende Rettung! O ihr heiligen Khalifen, tröstet mich!« so hörte man ihn wimmern. Die Diener verhielten sich ganz still; ihnen war es nur um das eigene Leben zu thun.
Jetzt machte Kalada noch einen Versuch, ob das Tier sich das Kind nehmen lassen werde. Sie streckte, ohne sich zu erheben, den Arm nach demselben aus; der Panther aber knurrte und zog mit der Vorderpranke den Knaben näher zu sich heran. Er schien ihn als sein Eigentum zu betrachten. Das trieb die Angst der Eltern auf den höchsten Punkt.
»O Mohammed, o Prophet der Propheten, rette, hilf, erbarme dich!« rief der Henker. »Jesus, du Heiland der Welt, erbarme dich!« betete Kalada. »Heilige Mutter des Erlösers, bitte für mein Kind!«
»O Mohammed, o Mohammed!« wiederholte der Vater. »O Abubekr, o Ali, ihr großen Khalifen! O Mohammed, rette, wenn du kannst!«
»Er kann es nicht!« weinte die bebende Frau.
»Etwa Isa, dein Christ?« fragte er halb höhnisch und halb hoffnungsvoll.
»Ja, der kann es!«
»So laß uns sehen! Ich werde an den glauben, welcher Rettung bringt.«
Es war gar nicht anders zu denken, als daß meine Kugel die Entscheidung bringen mußte. Nur fragte es sich, in welchem Augenblicke das Ungetüm sich aufrichten werde, denn nur dann war ich meiner Kugel sicher. Ich hatte den Löwen und auch den schwarzen Panther schon des Nachts erlegt, war meines Gewehres vollständig sicher und glaubte, keinen Fehlschuß zu thun.
»O Mohammed, du Herr der Propheten, höre mich!« bat der Henker mit zitternder Stimme. Er hatte sein Kind wirklich lieb, und es war mir, als ob ich seine Zähne klappern hörte. »Gieb mir meinen Sohn, oder deine ganze Lehre ist eitel!«
Er wartete eine Weile, und als nichts erfolgte, forderte er seine Frau auf:
»Sage mir die Worte vor!«
»Bete folgendermaßen!« antwortete sie, indem sie ihm die Worte auf die Zunge legte.
Grad jetzt war das Kind aus seiner Betäubung erwacht und es hörte die Mutter sagen: Bete folgendermaßen! Diese Aufforderung hatte es oft vernommen und befolgt, und so begann es sein ›ja abana Iledsi‹, das Vater unser, laut herzusagen. Also beteten drei Stimmen. Der Panther war noch immer mit Fressen beschäftigt; die Stimmen der andern hatten ihn nicht gestört; als er aber neben sich die feine, klare Stimme des Knäbleins hörte, hob er sich vorn in sitzende Stellung empor und begann, mit geschlossenen Augen zu heulen. Mein Gewehr lag an; kaum öffnete er das Auge und ich erblickte die grüngelbe Glut desselben, so krachte mein Schuß, den das Gewölbe hundertfach wiedergab. Das Tier flog, als hätte es einen schweren Schlag vor den Kopf erhalten, zur Seite, von dem Kinde weg. Im Nu stürzten Vater und Mutter hin und rissen den Knaben, welcher vollständig unverletzt war, an sich. Der Panther wälzte sich noch zwei-, dreimal hin und her, streckte dann die Glieder und verendete.
Welch ein Jubel brach nun los! Niemand dachte daran, daß ein Schuß gefallen war, daß dieser nur aus einem Gewehre hatte kommen können und daß dasselbe einen Besitzer haben müsse. Die Mutter war die erste, welche darauf zu sprechen kam; der Vater untersuchte das Raubtier und fand, daß die Kugel in das rechte Auge gedrungen war.
»Aber, wer hat geschossen?« fragte er.
»Ich weiß, ich weiß, ich ahne es!« rief sie. »Der fremde Effendi ist's gewesen, denn er wollte mir helfen.«
»Welcher Effendi?«
»Ich werde ihn dir zeigen. Die Kugel kann nur von da hinten her gekommen sein, und dort muß er sich befinden. Ich suche ihn.«
Nun, Frick Turnerstick sorgte schon dafür, daß wir leicht gefunden wurden. Wie betroffen aber war der Henker! Er wußte nicht, was er sagen sollte. Ich nahm ihn beim Arme und fragte:
»Wirst du mir jetzt auch noch nach dem Leben trachten?«
»Nein, nein, bei Allah, nein!« stammelte er. »Ich wollte dich töten, und du errettest mein Kind! Wie soll ich dir danken!?«
»Danke nicht mir, sondern Gott, und frage dich, ob ein Moslem ebenso schnell vergiebt, wie ein Christ. Wird dein Weib nun beten dürfen, wie ihr Herz es ihr befiehlt?«
»Ja, sie darf, und ich – – ich bete mit, denn unser Prophet hat meine Stimme nicht hören wollen.«
Der erst so abstoßende Mann umarmte mich; sein Weib reichte mir die Hand, ohne daß er finster dazu blickte, und der kleine Asmar mußte mir das Mäulchen zum Kusse geben.
Der Eindruck, den die Errettung seines Kindes auf den Henker gemacht hatte, schien ein nachhaltiger zu sein, denn er erklärte, auf die Reise nach Keruan verzichten und lieber nach Sfaks umkehren zu wollen, worüber niemand mehr als Kalada sich freute.
Wir brachen auf und gelangten gegen Abend nach Sfaks zurück, wo Mandi nicht wenig erstaunt war, den Henker mit Weib und Kind schon wieder zu sehen.
»Ich bin umgekehrt,« erklärte dieser, »denn ich mag nichts mehr von dieser heiligen Stadt wissen. Ich habe heut erfahren, daß Allah dem Propheten und dem Khalifen nicht die mindeste Macht gegeben hat. Wer zu ihnen betet, bleibt ohne Erhörung; aber Isa, der Christ, besitzt alle Macht im Himmel und auf Erden, und wer sich im Vertrauen an ihn wendet, wird Erhörung finden. Ich habe es erlebt und werde von nun an an ihn glauben.«
Er hat dieses Wort wahr gemacht; aus dem Saulus ist ein Paulus geworden, eine Folge der in der Höhle ausgestandenen Angst, welche in seinem Herzen noch lange nachgezittert hat. Er kehrte mit mir und Turnerstick auf dessen Schiff nach Tunis zurück, und ich beobachtete während der Ueberfahrt, daß er sein Weib mit einer Zartheit und Aufmerksamkeit behandelte, welche seinem frühern Wesen fern gelegen hatte.
Turnerstick nahm in Tunis neue Ladung ein. Während der Zeit, welche das Laden in Anspruch nahm, wohnten wir bei dem Henker, mit dessen Frau wir wie mit einer Europäerin verkehren durften. Ich schenkte ihm eine in arabischer Sprache gedruckte Bibel, aus welcher ich ihm vorlesen mußte. Er lauschte meinen Erklärungen mit demselben Eifer wie Kalada. Es fiel mir nicht ein, ihn offen und direkt zum Uebertritte aufzufordern, aber ich that mein möglichstes, der Gnade den Boden zu bereiten.
Als wir dann am Tage unserer Abreise von Kalada und Asmar Abschied genommen hatten, begleitete er uns bis an Bord, reichte mir sein Notizbuch und bat:
»Effendi, schreibe mir hier deine Adresse auf! Vielleicht habe ich dir später etwas mitzuteilen, worüber du dich freuen wirst.«
Er hat Wort gehalten und mir geschrieben, Sein Brief liegt da vor mir, und ich schreibe ihn, natürlich in deutscher Uebersetzung, wörtlich ab.
»Tunis ifrikija, am 12ten Kaum ittani. Abd. el Fadl, der Bekehrte, an seinen Freund Mauwatti el Pars-Effendi.
Gruß und Heil! Gruß auch von Kalada, dem Weibe, und Asmar, dem Sohne, die dich lieben. Ich sitze auf dem Felle des Panthers, um dir zu schreiben. Nochmals Heil! Der Herrscher hat mich aus dem Dienste entlassen, denn ich wurde Christ. Fromme Männer haben mich unterrichtet, und ich bestand die Fragen des Priesters. In drei Tagen ernpfange ich den Ritas el Mukaddes und werde dann Jussuf (Josef) genannt. Mein Weib heißt Marryam und mein Sohn Karal (Karl), weil dies dein Name ist, welcher in meinem Hause hoch in Ehren steht. Meine bisherigen Freunde verachten mich, weil ich ein Giaur geworden bin, aber meine Seele ist froh, den richtigen Weg gefunden zu haben. Die Ernte war hier reich und gut. Wie trugen in deinem Lande die Datteln? Auch die Füllen sind munter, und in den Dörfern wachsen die Herden – – die deinigen ebenso? Abermals Heil! Ist dir dein Herrscher wohlgesinnt? Hoffentlich gönnt er deinen Kamelen genugsam Futter! Möge das Feuer deines Zeltes nie verlöschen und dein Kessel stets voller Kuskussu sein. Bald blühen die Orangen. Besuche mich bald! Meine Grüße stehen hier! Saure Milch erquickt den erhitzten Körper; sie mangele dir nimmer! Ich liebe dich und gedenke deiner. Sei gesegnet! Wiederum Heil!«-