Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Gum

Djezzar-Bei, der Menschenwürger

Afrika! –

Sei mir gegrüßt, du Land der Geheimnisse! Ich soll auf edlem Rosse deine kahlen, leeren Steppen, auf flüchtigem Dromedare deine gluterfüllte Hammada durchreiten, soll unter deinen Palmen wandeln, deine Spiegelung schauen und auf grünender Oase an deine Vergangenheit denken, deine Gegenwart betrauern und von deiner Zukunft träumen.

Sei mir gegrüßt, du Land des Sonnenbrandes, des tropischen Pulses und des physischen Gigantentumes! Ich habe im eisigen Norden deine Wärme gefühlt, dem wunderbaren Klange deiner Märchen gelauscht und das ferne Rauschen der Psalmen vernommen, die deine überwältigende Natur zum Himmel braust. Da brandete das Meer der Springböcke über die Ebene; das Flußpferd weidete tief unter dem Wasser; der Wald brach unter den Tritten des Elefanten und des Rhinoceros; im Schlamme wälzte sich das Krokodil, und unter stacheligen Mimosen röchelte der schlafende Löwe. Mein Fuß war gefesselt, aber meine Seele eilte zu dir. Da donnerte die Büchse des Boeren; da erklangen die Speere der Hottentotten und Kaffern; schwarze Gestalten wanden sich im athletischen Ringen; Ketten rasselten; Sklaven heulten, und schwer beladen zog die Karawane nach Osten, das Schiff aber dem Westen zu. Im einsamen Duar erscholl der schmetternde Chor der Hariri; vom hohen Minaret rief der Mueddin zum Gebete; am Thore der Wüste knirschte der Sand zum Teyemmüm, und am fernen Bir beugten die Kamele ihre Kniee; die Söhne der Wüste wandten ihre Augen gen Aufgang, und der Dschellab sang sein frommes ›Lubbekka Allah hümeh, hier bin ich, o mein Gott!‹

Sei mir gegrüßt, du Land meiner Sehnsucht! Jetzt endlich sehe ich deine Küste winken, atme die Flut deiner reinen Atmosphäre und trinke den süßen Hauch deiner Düfte. Deine Zungen sind mir nicht fremd, doch will kein Angesicht mir entgegenlächeln und keine Hand die meinige erfassen, aber vom grünen Strande herüber neigen sich die Palmenwedel, und die Höhen strahlen im freundlichen Glanze mir zu ihr ›Habakek, sei uns willkommen, o Fremdling!‹ – –

Ich hatte in Australien den Emu und das Känguruh, in Bengalen den Tiger und in den Prairien der Vereinigten Staaten den Grizzly und den Bison gejagt. Drüben im ›far west‹ habe ich einen Mann getroffen, der sich ebenso wie ich aus reiner Abenteuerlust ganz allein in die ›finstern und blutigen Gründe‹ des Indianergebietes gewagt hatte und mir bei allen Fährlichkeiten ein treuer Freund und Maat geblieben war. Sir Emery war ein Engländer vom reinsten Krystalle, Stolz, edel, kalt, wortkarg, kühn bis zur Verwegenheit, geistesgegenwärtig, ein starker Ringer, ein gewandter Fechter, ein sicherer Schütze und dabei voller Aufopferungsfähigkeit, wenn sein Herz einmal freundschaftlichen Regungen zugängig geworden war.

Neben diesen zahlreichen Vorzügen besaß der gute Sir Emery allerdings einige kleine Eigentümlichkeiten, die ihn sofort als Engländer charakterisierten und einen Fremden gar wohl abzustoßen vermochten; mir aber hatten sie keinerlei Störung, sondern im Gegenteile öfters eine kleine, allerdings heimliche und unschuldige Belustigung verursacht, und wir waren schließlich in New Orleans als die besten Freunde geschieden und hatten uns das Versprechen gegeben, uns wieder zu sehen. Das Rendezvous sollte – – in Algier stattfinden.

Daß wir uns für Algier, für Afrika entschieden, geschah allerdings nicht ohne Gründe. Mein braver Bothwell war ebenso wie ich das, was man einen ›Weltläufer‹ zu nennen pflegt; er hatte fast alle Winkel der Erde durchkrochen, von Afrika aber im Süden nur die Kapstadt gesehen und im Norden das ›Gharb‹, wie der Araber die Küstenstrecke von Marokko bis Tripolis nennt, bereist. Natürlich lag ihm da der Wunsch nahe, auch das Innere dieses Erdteiles, die Sahara, den Sudan, kennen zu lernen; über Dar-for und Kordofan wollte er dann auf dem Nile zur Civilisation zurückkehren. In Algier lebte ein Verwandter von ihm, bei dem er früher einmal längere Zeit gewesen war, um das Arabische kennen zu lernen. Dieser, ein Onkel mütterlicherseits, war ein Franzose und Chef eines Handelshauses, welches sehr fruchtbringende Beziehungen zu dem Sudan unterhielt. Bei ihm, einem Mr. Latréaumont, wollten wir uns treffen.

Was mich betrifft, so hatte ich mich während meiner Schülerzeit aus besonderer Liebhaberei auch mit der arabischen Sprache beschäftigt und während eines Aufenthaltes in Aegypten die darin erlangte, nicht gar zu große Fertigkeit möglichst zu vervollständigen versucht. Unser Zusammensein in der Prairie hatte treffliche Gelegenheit geboten, beiderseits in Uebung zu bleiben, und so ging ich mit dem Dampfer Vulkan, welcher der messagerie impériale gehörte, mit der beruhigenden Ueberzeugung von Marseille ab, daß es mir nicht schwer fallen werde, mich mit den Kindern der Sahara in ihrer Muttersprache zu verständigen.

Afrika galt uns, wie ja auch einem jeden andern, als das Land großer, noch ungelöster Rätsel, welche uns genug des Interessanten und wohl auch Gefährlichen bieten würden; doch erfüllte uns besonders Eins mit erwartungsvoller Begeisterung: wie wir den Jaguar, den grauen Bären und den Büffel getötet hatten, so wollten wir unsere Büchsen auch an dem schwarzen Panther und dem Löwen versuchen. Emery Bothwell hatte mit einer Art von Eifersucht die Berichte über Gérard, den kühnen Löwenjäger, vernommen und war fest entschlossen, sich auf alle Fälle einige Mähnenhäute zu holen.

Es war bereits ein Jahr seit unserer Trennung vergangen, doch kannte er die ungefähre Zeit meines Eintreffens, und da er ebenso wußte, daß ich mit dem französischen Dampfer kommen würde, so fühlte ich mich einigermaßen enttäuscht, als ich ihn beim Landen nicht unter der bunten Menge erblickte, welche auf dem Quai auf die Ausschiffung der Passagiere wartete oder in Booten herbeigeeilt kam, um Bekannte in Empfang zu nehmen.

Algier ist an der Westseite eines halbmondförmigen Golfes gelegen und kehrte dem Schiffe seine ganze Fronte zu. Die Stadt gewährte dem Beschauer ein sonderbares, fast geisterhaftes, ungeheuerliches Bild. Eine an dem grünen Gebirge aufsteigende, kreideweiße und ineinanderfließende Häusermasse ohne Dächer und Fenster starrte herab in den Hafen und sah beinahe aus wie ein Kalksteinfelsen, eine riesige Gipsgruppe oder ein Gletscher bei Sonnenbeleuchtung. Hoch oben auf dem Gipfel des Gebirges erschienen die Bastionen des Kaiserforts, und am Fuße desselben zogen sich außer der Festung Mersa Edduben verschiedene Fortifikationen hin.

Auf dem Quai bewegten sich Gruppen weißer Burnusgestalten, Neger und Negerinnen in den buntesten Kostümen, Frauen, vom Kopfe bis zum Fuße in weiße Wollenschleier gehüllt, Mauren und Juden in türkischer Tracht, Mischlinge aller Farben, Herren und Damen in europäischer Kleidung und französische Militärs in allen Graden und Abteilungen.

Ich ließ mein Gepäck nach dem Hotel de Paris in der Straße Bab-eI-Qued schaffen, restaurierte mich dort nach Bedürfnis und begab mich dann in die Straße Bab-Azoun, in welcher die Wohnung Mr. Latréaumonts lag.

Meine Karte wurde abgegeben, und sofort erschien der Chef unter der Thür des Zimmers, in welchem er arbeitete.

»Bienvenu, bienvenu monseigneur, aber nicht hier, nicht hier! Bitte, kommen Sie mit mir, damit ich Sie Madame und Mademoiselle vorstelle. Wir haben seit lange mit Schmerzen auf Sie gewartet!«

Dieser unerwartete Empfang mußte mich frappieren. Mit Schmerzen hatte man auf mich, den Unbekannten, gewartet? Aus welchem Grunde?

Latréaumont war ein kleiner, höchst beweglicher Mann, welcher die breiten, marmornen Stiegen erklommen hatte, noch ehe die Hälfte derselben unter mir lag. Das Haus war früher der Palast eines reichen Muselmannes gewesen, und die Vereinigung arabischer Architektur mit französischer Ausstattung brachte einen eigentümlichen Effekt hervor. Ich wurde durch den brillant eingerichteten Salon in das Familienzimmer geführt, eine Auszeichnung, welche mit dem Schmerze, mit welchem man mich erwartet hatte, in Verbindung stehen mußte.

Madame saß, in einem Romane blätternd, auf einem Taburett; sie war nach europäischem Schnitte in schwarze Seide gekleidet. Mademoiselle lag in einem sammetnen Diwan und trug das bequeme, malerische, morgenländische Gewand. Ein weites, seidenes Beinkleid reichte vom Gürtel bis zum Knöchel herab, während der nackte Fuß in blauen, goldgestickten Pantoffeln stak; feine Spitzeneinsätze, mit Gold und Silber durchwirkt, bedeckten Hals und Brust, und darüber trug sie eine sammetne türkische Jacke, die mit kostbaren Arabesken verziert und mit Reihen wertvoller Knöpfe besetzt war. Das dunkle Haar war von Gold- und Perlenschnüren durchflochten und in blaue und rosa Foulards eingebunden.

Beide Damen erhoben sich bei unserm Eintritte und konnten ihre Ueberraschung über den gesellschaftlichen faux pas kaum verbergen, welchen der Hausherr dadurch beging, daß er einem Fremden so ohne alle vorherige Anmeldung in diesem Raume Zutritt gestattete. Kaum aber hatten sie meinen Namen gehört, so machte diese Ueberraschung dem Ausdrucke unverhohlener Freude Platz.

Madame eilte zu mir heran und ergriff meine Hand.

»Welch ein Glück, Monseigneur, daß Sie endlich kommen! Unsere Sehnsucht nach Ihnen ist grenzenlos gewesen. Nun aber dürfen wir ruhiger sein, denn Sie werden unserm wackern Bothwell nacheilen und ihm helfen, R6nald zu finden!«

»Gewiß, Madame, werde ich dies thun, wenn Sie es wünschen, nur bitte ich Sie, mir zu sagen, wer Rénald ist und was für eine Bewandtnis es mit ihm und Emery hat, den ich hier zu treffen hoffte!«

»Sie wissen es noch nicht, wirklich noch nicht? Mon dieu, die ganze Stadt weiß es ja schon längst!«

»Aber, Blanche,« fiel Latréaumont ein, »magst du nicht bedenken, daß Monseigneur jedenfalls soeben erst mit der Messagerie angekommen ist?«

»Vraiment, das ist wahr! Sie können noch nichts wissen! Bitte, nehmen Sie Platz, und, Clairon, begrüße doch unsern Gast!«

Die junge Dame verneigte sich mit verbindlicher, beinahe respektvoller Höflichkeit, und ich wurde von der Mutter zu einem Sitze geleitet. Der Empfang war geheimnisvoll, und ich sah dem Kommenden mit wirklicher Erwartung entgegen.

»Sie finden uns in einer Situation,« begann Latr6aumont, »welche uns gebietet, von den gewöhnlichen Formen abzusehen. Emery hat uns sehr viel, sehr viel von Ihnen erzählt, was bei seiner verschlossenen Weise für uns eine Veranlassung ist, Ihnen unser ganzes und vollständiges Vertrauen zu schenken.«

»Ja, unser ganzes und unerschütterliches Vertrauen, Monseigneur,« bekräftigte Madame, nach dem höflichen Gebrauche des Südens das Monseigneur an Stelle des einfachen Monsieur setzend. »Sie haben so viel Schlimmes mit unserm Neveu gewagt, daß Sie wohl auch nicht vor der Erfüllung unserer Bitte zurückschrecken werden.«

Ich mußte beinahe über die rasche Art und Weise lächeln, in welcher diese liebenswürdigen Leute über mich verfügten, die ich zwar noch nicht kannte, welche aber nach den Worten der Dame mit irgend einer Gefahr für mich verbunden sein mußte.

»Mesdames und Monseigneur, gestatten Sie mir, mich Ihnen für alles, was Sie von mir wünschen, zur Verfügung zu stellen!« bat ich.

»Eh bien! Nach dem, was wir von Ihnen hörten, konnten wir nichts anderes erwarten, obgleich ich Ihnen zu unserer Entschuldigung sagen muß, daß unsre Bitte keine selbständige ist, sondern uns von Bothwell diktiert wurde.«

»Liegt es in meiner Macht, so wird sie erfüllt!« antwortete ich einfach.

»Ich danke Ihnen, Monseigneur!« sprach Latréaumont.

»Wir haben einen großen Verlust, ein fürchterliches Unglück erlitten – – –«

»Ja ein fürchterliches, ein gräßliches Unglück, Monseigneur,« fiel Madame ein, indem ihr die Thränen aus den Augen brachen.

Auch Clairon, die Tochter, zog ihr duftendes Taschentuch, um ein sich hervordrängendes Schluchzen zu verbergen.

»Bitte, sprechen Sie, Madame!«

»Nein, ich kann es nicht erzählen; der Kummer raubt mir die Worte dazu!«

Die kleine, zarte Dame zeigte auf einmal eine Erschütterung, welche so tief war, daß sie mich beinahe beängstigte.

»Bitte, Monseigneur, lassen Sie mich hören!« bat ich darum Latréaumont.

»Kennen Sie die Imoscharh?« fragte er, fügte aber sofort in der lebhaften südlichen Weise hinzu: »Doch nein, Sie können sie ja nicht kennen, da Sie heute erst hier ankamen; aber ich sage Ihnen, diese Imoscharh oder Tuareg sind ein fürchterliches Volk, und die Karawanenstraße von Ain Salah nach Ahir, Dschenneh und Sakkatu, auf welcher ich meine Güter nach dem Sudan schicke, geht grad durch ihr Gebiet. Mein Haus ist das einzige in Algier, welches direkte Beziehung nach Timbuktu, Pullo, Haussa, Bornu und Wadai unterhält, und da wir fern von jeder Straße liegen und nur erst in Ain Salah oder Ghadames und Ghat Anschluß finden, so ist die Unterhaltung so unsicherer Handelsverbindungen oft mit schweren Opfern und Verlusten verbunden. Das Schwerste aber hat uns mit der letzten Kaffila betroffen.«

»Sie wurde von den Tuareg überfallen?«

»Sie raten richtig, Monseigneur. Die Gum griff sie auf und machte alles nieder. Nur einer entkam; er hatte sich gleich bei Beginn des Kampfes tot gestellt und brachte mir die Nachricht von dem fürchterlichen Schlage, der meine Familie betroffen hat.«

»Ihr Haus wird sich von demselben erholen, Monseigneur

»Mein Haus, ja, aber meine Familie nie! Der Verlust der Güter ist zu verschmerzen, aber R6nald, mein Sohn, mein einziger Sohn, befand sich bei der Kaffila und ist nicht zurückgekehrt!«

Jetzt konnten die Damen ein lautes Weinen nicht länger zurückhalten, und auch Latréaumont gab sich rückhaltslos seinem Schmerze hin, der ihn übermannte. Ich ließ sie einige Zeit gewähren und fragte dann:

»Erhielten Sie keine bestimmte Nachricht über sein Schicksal? Die Räuber der Wüste pflegen keinen Pardon zu geben.«

»Er lebt noch!«

»Ah! Das müssen Sie als ein Wunder betrachten, wenn nicht ein Irrtum vorliegt!«

»Er lebt sicher, denn wir erhielten Nachricht von ihm.«

»Durch wen?«

»Durch einen Tuareg, welcher von dem Aguid abgeschickt worden war. Er verlangte ein Lösegeld.«

»Welches Sie bezahlten?«

»Ich mußte; ich konnte nicht anders.«

»Worin bestand es?«

»In Waren, die ich nach der Oase Melrir zu schicken hatte.«

»Und Ihr Sohn?«

»Kehrte dennoch nicht zurück; die treulosen Räuber traten mit einer neuen Forderung auf.«

»Die Sie auch befriedigten?«

»Ja.«

»Und mit demselben Erfolge?«

»Kann ich noch nicht sagen. Als der zweite Bote kam, war Bothwell eben eingetroffen. Das war vor ungefähr zehn Monaten, und – –«

»So lange ist Sir Emery bereits in Afrika?« unterbrach ich ihn. »Er wollte erst im gegenwärtigen Monat nach Algier gehen!«

»Er hat sich nur einige Wochen in Altengland ausgeruht und dann der alten Reiselust nicht länger widerstehen können. Helas, er kam zur rechten Zeit!«

»Ich ahne das weitere, Monseigneur! Das Gouvernement mit all den ihm zu Gebote stehenden Mitteln konnte Ihnen nichts nützen. Sie waren auf sich selbst angewiesen, und da hat sich unser Englishman erboten, die Sache in die Hand zu nehmen.«

»So ist es!«

»Welche Maßregeln traf er?«

»Er ließ die verlangten Waren abgehen, folgte aber heimlich nach.«

»Ein kühnes Unternehmen! Mit welcher Begleitung reiste er?«

»Nur mit einem Führer und einem einzigen arabischen Diener.«

»Wohin ging der Weg?«

»Dieses Mal waren die Güter nach der Oase Lotr bestimmt.«

»Welche Waren wurden verlangt?«

»Fertige Burnus und Kopftücher, lange Flinten, Messer, Decken, weit ausgeschnittene Schuhe, wie sie die Araber zu tragen pflegen, und eine Menge für uns allerdings beinahe wertlose Zeltgegenstände.«

»Ich sehe, die Gum will sich eine vollständige Ausstattung erpressen und wird dann dennoch Ihren Sohn nicht ausliefern. Der Araber hält es für keine Sünde, einen Ungläubigen zu betrügen, und muß, wenn man ihn sicher haben will, bei gewissen empfindlichen Punkten gefaßt werden. Aber, Monseigneur, Emery hat sämtliche Waren zeichnen lassen?«

»Woher wissen Sie das?« fragte er überrascht.

»Ich hörte es von niemand. Er handelt hier als amerikanischer Westmann, und von dieser Seite kennen wir uns genau. Wer unter den Indianerstämmen des wilden Westens jahrelang und in jedem Augenblick in Todesgefahr schwebte, hat sich an Scharfsinnigkeiten gewöhnt, welche ihm wohl auch in der Sahara von Nutzen sein können. Wie war das Zeichen?«

»Es bestand in den Anfangsbuchstaben meines Namens André Latréaumont, also in einem A. L. Ich ließ es den Kolben und Griffen der Flinten und Messer einbrennen und nebst einer Arabeske dem Kragenteile der Burnus und den Ecken der Kopftücher und Decken einsticken.«

»Emery wird die Räuber daran erkennen. Haben Sie keine Nachricht von ihm?«

»Eine sehr bestimmte. Ich erhielt sie vor zwei Wochen und erwarte seitdem sehnlichst Ihre Ankunft, denn sie bezieht sich meist auf Sie, Monseigneur

»Ich soll ihm folgen, nicht?«

»Allerdings. Hier sind die Zeilen, welche er von Zinder aus sandte!«

Das Papier lag auf dem Tische, ein Zeichen, wie oft während dieser vierzehn Tage die Augen der drei Personen auf demselben geruht hatten. Bothwell schrieb nur wenige Worte. Er hatte zwar noch keinen größern Erfolg zu verzeichnen, bat aber dennoch, die Hoffnung nicht sinken zu lassen, und knüpfte hieran die Bitte, mich ihm nach meiner Ankunft sofort nachzusenden. Das Papier enthielt weder eine Orts- noch eine Zeitbestimmung.

»Wer brachte diesen Brief?« erkundigte ich mich.

»Ein Araber vom Stamme der Kubabisch, welcher den Befehl hat, auf Ihre Ankunft zu warten und Ihnen als Wegweiser zu dienen.«

»Wo befindet er sich?«

»Hier im Hause. Befehlen Monseigneur, ihn rufen zu lassen?«

»Ich bitte darum!«

Ich mußte mich im stillen ein Glückskind nennen, denn kaum hatte mein Fuß die afrikanische Erde betreten, so wurde ich in eine Angelegenheit gezogen, welche mir eine reiche Aussicht auf die interessantesten Erlebnisse eröffnete. Latréaumont klingelte nach dem Araber, und die Damen vergaßen in Erwartung der kommenden Verhandlung für kurze Zeit den Schmerz, welcher sie bewegte.

Während meiner Anwesenheit in Aegypten hatte ich einen Ausflug nach Siut, Dakhel, Khardscheh und Soleb bis zur Oase Selimeh unternommen und war auf demselben mit einigen Kubabisch zusammengetroffen, die ich als tapfere Krieger und tüchtige Führer kennen gelernt hatte. Daher sah ich der Unterredung mit dem Kubbaschi nicht ohne ein auch persönliches Interesse entgegen.

Er trat ein. Die Araber sind nur selten über Mittelgröße und meist von schlanker, hagerer Gestalt; dieser Mann aber war fast ein Riese zu nennen. Er war so hoch und breit gewachsen, daß mir beinahe ein Ausruf des Erstaunens entfahren wäre, und sein langer, dichter Vollbart, verbunden mit dem Umstande, daß er bis unter die Zähne in allen möglichen Waffensorten stak, gab ihm ein höchst martialisches Aussehen. Das war jedenfalls ein Begleiter, wie ich mir keinen bessern wünschen konnte, denn schon sein bloßer Anblick mußte dem Feinde Furcht einjagen.

Er verbeugte sich mit über die Brust gekreuzten Händen bis beinahe herab zur Erde, und mit tiefer, dröhnender Baßstimme erklang sein »Sallam aaleikurn, Friede sei mit Euch!«

»Marhaba, du sollst willkommen sein!« antwortete ich ihm. »Du bist ein Sohn der tapfern Kubabisch?«

Ein stolzer Blick seines dunklen Auges blitzte mir entgegen.

»Die Kubabisch sind die berühmtesten Kinder des großen Abu Zett, Sihdi; ihr Stamm umfaßt mehr als zwanzig Ferkah, und der tapferste derselben ist En Nurab, zu dem ich gehöre.«

»En Nurab? Ich kenne ihn; sein Scheikh ist der weise Fadharalla-Uëlad-Salem, neben dessen Stute ich geritten bin.«

»Bismillah, das ist gut, Sihdi, denn nun darf ich deine Stimme hören, obgleich du ein Ungläubiger bist aus dem armen Lande Frankhistan!«

»Wie ist dein Name?«

»Mein Name ist schwer für die Zunge eines Inglese. Er lautet Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli.«

Ich mußte lächeln. Hier stand einer jener Araber vor mir, welche ihrem einfachen Namen den ganzen Stammbaum beifügen, teils um ihre Ahnen zu ehren, meist aber um auf den Hörer einen Eindruck zu machen. Ich entgegnete daher:

»Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli. Die Zunge eines Inglese vermag einen Namen auszusprechen, der, wenn er niedergeschrieben wird, von Bengasi bis nach Kaschenah reicht; dennoch aber werde ich dich nur Hassan nennen, weil Mohammed sagt: ›Sprich nicht zehn Worte, wo ein einziges genügt!‹«

»Mein Ohr wird verschlossen sein, wenn du mich Hassan rufst, Sihdi. Die mich kennen, nennen mich Hassan el Kebihr, Hassan den Großen; denn du mußt wissen, daß ich Djezzar-Bei, der Menschenwürger, bin!«

»Allah akbar, Gott ist groß; ihn kennt jede Kreatur, aber von Djezzar-Bei, dem Menschenwürger, habe ich noch nie ein Wort vernommen! Wer hat dich so genannt?«

»Ein jeder, der mich kennt, Sihdi!«

»Und wie viel Menschen hast du bereits erwürgt?«

Er schlug verlegen die Augen zu Boden.

»Die Steppe bebt und die Sahel erzittert, wenn Djezzar-Bei erscheint, Sihdi; aber sein Herz ist voll Gnade, Langmut und Barmherzigkeit, denn ›deine Hand sei stark wie die Tatze des Panthers, doch lind wie der Halm des Grases auf dem Felde‹, lehrt der fromme Abu Hanifa, dem jeder Gläubige gehorcht.«

»So ist dein Name makasch, und ich werde ihn erst dann gebrauchen, wenn ich überzeugt bin, daß du ihn verdienst!«

Ich begann zu ahnen, daß der gute Hassan el Kebihr trotz seiner riesigen Gestalt und des Waffenarsenals, welches er um sich hängen hatte, ein höchst unschädliches Menschenkind sei. Die Wüste hat ihre Renommisten ebenso wie die Bierbank oder der Salon.

»Ich habe ihn verdient, sonst hätte ich ihn nicht, Sihdi,« antwortete er stolz. »Sieh diese Flinte, diese Pistolen, diese Muzra, dieses Kussa und dieses Abu-Thum,vor dem selbst der kühne Uëlad Sliman flieht! Und du willst mir meinen Namen verweigern? Selbst Sihdi Emir hat ihn mir gegeben!«

Sihdi Emir? Verwandelte er vielleicht das englische Emery in das morgenländische Emir?

»Wer ist Sihdi Emir?« fragte ich ihn.

»Rabbena chaliëk, Gott erhalte dich, Sihdi, und deinen Verstand! Kennst du nicht den Namen dessen, der mich zu dir sendet?«

Wahrhaftig, er hatte aus unserm Emery einen Emir gemacht! Der liebenswürdige Wunsch, mit welchem er seine Verwunderung aussprach, mußte mich belustigen, doch nahm ich einen ernsteren Ton an, um ihn in die gebotenen Schranken zurückzuweisen.

»Erzähle mir von Sihdi Emery!«

»Ich war in Bilma, von wo aus ich eine Kaffila nach Zinder geleitete. Du mußt nämlich wissen, Sihdi, daß Hassan el Kebihr, Hassan der Große, ein berühmter Khabir ist, der alle Wege der Sahara kennt und ein Auge besitzt, dem nicht die geringsten Darub und Ethar(Spuren und Fährten"> entgehen!«

War dies wirklich so, dann mußte mir seine Begleitung allerdings von großem Vorteile sein. Ich beschloß, ihn sofort auf die Probe zu stellen, um zu sehen, was ich von ihm zu halten hatte.

»Sagst du die Wahrheit, Hassan?«

Er nahm die stolzeste Haltung und Miene an, die ihm möglich war.

»Weißt du, was ein Hafizh ist, Sihdi?«

»Einer, der den Koran auswendig kennt.«

»Du bist klug, obgleich du aus dem Lande Frankhistan stammst. Nun wohlan, Sihdi! Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuff-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli ist ein Hafizh, der dir alle hundertvierzehn Suras und alle sechstausendsechshundertsechsundsechzig Ayats des Kuran hersagen kann; du aber bist ein Giaur. Willst du an dem Worte eines echten Moslem zweifeln?«

»Hüte deine Zunge, Hassan, denn ich bin nicht gewohnt, mich von jemand beschimpfen zu lassen, und wenn er zehnmal ein Hafizh und hundertmal ein Moslem ist! Strenge dein Gedächtnis an, so wirst du dich entsinnen, daß die Christen nicht ungläubig sind, weil sie ebenso wie ihr ein ›heiliges Buch‹ empfangen haben; so sagen alle weisen Lehrer von dem ersten Emir el Mumiain an bis herab zu deinem frommen Abu Hanifa, dem jeder Gläubige gehorcht, wie du vorhin sagtest. Du hast den Koran gelernt; aber kennst du auch den Ilm tefsir el Kuran? Dort heißt es, daß nur ein Parsi und ein Götzendiener ein Giaur ist!«

»Du bist weise wie ein Softha, Sihdi; noch weiser aber wärst du, wenn du glaubtest, was ich dir sage!«

»Ich will es glauben, wenn du mir sagst, welche Oasen den Schlüssel zum Rif (Küste von Tripolis und Aegypten) bilden!«

»Ain es Salah, Ghadames, Ghat, Murzuk, Audschelah und Siut.«

»Und zum Sudan?«

»Aghades und Ahir, Bilma, Dongola, Khartum und Berber.«

»Wie reist man von Kordofan nach Kairo?«

»Von Lobeidh nach Khartum über Kurssi, Sanzür, Koamat und Tor el Khada. Die Reise dauert zehn Tage. Oder von Lobeidh nach Debbeh über Barah, Kaymar, Dschebel, Haraza, Way und Ombelillah. Dieser Weg ist um acht Tage länger, aber besser als der vorige.«

»Wie lange braucht man, um von Soaken nach Berber zu kommen?«

»Der Weg geht über den berühmten Brunnen von Ruay und durch das Gebiet der Amaver, Hadendoa und Omram, die sämtlich nubische Hirten sind. Du kannst ihn in zwölf Tagen zurücklegen, Sihdi.«

Er gab seine Antworten schnell, korrekt und mit einer Miene, in welcher sich eine sichtbare Genugthuung über die glanzvolle Art und Weise aussprach, mit der er das kurze Examen bestand.

»Ich glaube dir, Hassan,« entschied ich jetzt einfach. »Jetzt erzähle weiter! Also du geleitetest eine Kaffila nach Zinder!«

»Von Bilma nach Zinder. Dort traf ich den Sihdi Emir. Er gab mir alles, was ich brauchte, und sandte mich hierher, wo ich einen tapfern Sihdi aus Germanistan finden würde, den ich zu ihm bringen soll.«

»Wo soll ich ihn treffen?«

»Beim Bab-el-Ghud (Dünenthor), wo man aus den wandernden Sandhaufen in die Felsen des Serir (Steinwüste) gelangt. Hast du gehört von den bösen Djinns (Geistern) der Wüste, Sihdi?«

»Ich kenne sie. Hast du Angst vor ihnen, Hassan?«

»Angst? Hassan el Kebihr, der große Hassan, fürchtet weder die Scheitans (Teufel) noch die bösen Djinns; er weiß, daß sie fliehen, wenn er den Surat en nas und den Surat el falak betet. Du aber bist ein Christ und kannst keinen Surat (Sure) beten, darum werden sie dich verschlingen, wenn du in das Serir kommst, wo sie wohnen.«

»Warum hast du da den Sihdi Emir nach dem Bab-el-Ghud gehen lassen? Sie werden ihn verschlungen haben, ehe wir ihn erreichen!«

Diese unerwartete Entgegnung brachte ihn doch in einige Verlegenheit, aber er wußte sich zu helfen.

»Ich werde für ihn beten!«

»Für einen Ungläubigen? Gut, Hassan, ich sehe, daß du ein frommer Sohn des Propheten bist; bete auch für mich: für ihn den Surat en nas und für mich den Surat el falak, dann brauchen wir uns vor den Djinns der Wüste nicht zu fürchten. Ich werde aufbrechen morgen, wenn die Sonne sich erhebt.«

»Allah akbar, Gott ist groß, Sihdi! Er kann alles und darf alles; der Mensch aber muß ihm gehorchen und darf keine Reise antreten zur Zeit der Morgenröte. Die Zeit des Aufbruches ist drei Uhr nachmittags oder das heilige Assr, zwei Stunden vor dem Abend.«

»Du vergissest, Hassan, daß diese Zeit nur den Karawanen gilt; der einzelne Reisende aber kann gehen, wenn es ihm beliebt.«

»Sihdi, du bist wirklich ein großer und gelehrter Fakih (Gesetzkundiger), und ich beklage die Stunde, welche dir einen Franken zum Vater und eine Christin zur Mutter gegeben hat. Ich sehe, daß du ein Hafizh bist, der nicht allein den Kuran, sondern auch den Ilm tefsir el Kuran auswendig kennt, und werde dir treu und gehorsam sein und dich führen, wohin du willst!«

»Was hast du für Tiere?«

»Keines, Sihdi. Ich ritt mit zwei Djemmels (Kamelen) von Zinder ab; das eine stürzte mir in der Tehama (flachen Wüste) und das andere war, als ich hier anlangte, so abgetrieben, daß ich es verkaufen mußte.«

»So werden wir mit der Steppenpost von hier nach Batna gehen und von dort mit der Wüstenpost über den Djebel-bouRezal nach den achtzehn Oasen des Siban, wo wir uns in Biskara mit guten Hedjihns (Reitkamelen) versehen können. Also halte dich bereit, früh mit der Sonne aufzubrechen, und überzeugst du mich bis Bab-el-Ghud von deiner Tapferkeit, so werde ich mich nicht weigern, dich Djezzar-Bei und el Kebihr zu nennen!«

»Meinst du vielleicht, Sihdi, daß ich ein Tuschan bin? Ich fürchte weder den Löwen noch den Smum (Wüstenwind); ich fange die Assaleh (gefährlichste Schlange der Steppe) und den Vogel Strauß; ich jage die Gazelle und das Gnu, und ich töte den Panther und den Skorpion. Wenn meine Stimme erschallt, so zittert jedermann, und auch du wirst mir den Namen nicht versagen, der mir gebührt. Sallam aaleikum, Friede sei mit Euch!«

Nach einer tiefen Verbeugung verließ er das Zimmer.

Madame Latréaumont trat abermals auf mich zu und faßte meine Hand.

»Also wirklich, Sie erfüllen unsere Bitte, Monseigneur, obgleich dieselbe so groß und so kühn ist? Und schon morgen wollen Sie fort, ohne zuvor unsere Gastfreundschaft zu genießen?«

»Madame, wir befinden uns in einer Lage, welche schnelles Handeln erfordert, und wenn Sie mir erlauben, werde ich Sie nach unserer Rückkehr um Ihre Gastfreundschaft ersuchen. Vielleicht gestatten Sie mir, bis dahin diejenigen meiner Effekten, welche ich nicht mitnehmen kann, bei Ihnen einzustellen!«

»Sûr, assurément, Monseigneur! ich werde sofort nach dem Schiffe senden, um alles, was – –«

»Pardon, Madame, ich stieg bereits im Hotel de Paris ab.«

»Wirklich, das thaten Sie? Wissen Sie, Monseigneur, daß dies eine große Beleidigung für uns ist?«

Ich hatte einige freundliche Vorwürfe zu hören, dann wurde die Angelegenheit einem Diener übergeben. Eben war ich bereit, mich in das mir angewiesene Zimmer zurückzuziehen, als ein Araber gemeldet wurde, welcher mit Monseigneur zu sprechen wünsche. Der Mann wurde in meiner Gegenwart im Sprechzimmer empfangen.

Er war von langer, hagerer und sehniger Gestalt. Sein Burnus war außerordentlich mitgenommen; die ausgefransten Kamelhaarschnüre hingen ihm in Fetzen um die Kapuze, und jeder Zollbreit an ihm zeigte den echten Wüstensohn, der vor keiner Gefahr zurückbebt und jede Entbehrung mit Gleichmut zu ertragen weiß.

»Sal – aaleïk –!« grüßte er mit stolzer Abkürzung der beiden Worte. Nicht die leiseste Neigung seines Hauptes ließ sich bemerken; der Kolben seines langen Gewehres klang mit rücksichtslosem Tone auf den Marmorfließen, und sein dunkles Auge flog mit einem Blick, in welchem sich die Ueberlegenheit des freien Mannes und Rechtgläubigen aussprechen sollte, von einem zum anderen.

»Sprechen Sie mit ihm, Monseigneur,« raunte mir Latréaumont zu. »Es ist der Tuareg, welcher wegen Rénald bereits bei mir war.«

Nichts konnte mir lieber sein, als daß der Bote gerade heute noch kam.

»Sal – aal –!« antwortete ich noch kürzer. Der Beduine giebt durch diese Art der Ausdrucksweise gern den Grad der Achtung zu erkennen, welche er dem andern widmet. »Was willst du?«

»Du bist nicht der, mit dem ich zu sprechen habe!«

»Du hast mit keinem andern als mit mir zu reden!«

»Ich komme nicht zu dir.«

»So kannst du wieder gehen!«

Ich drehte mich um. Auch die andern wandten sich dem Ausgange zu.

»Sihdi!« sagte er.

Ich schritt weiter.

»Sihdi!« rief er dringlicher.

Ich wandte bloß den Kopf.

»Was noch?«

»Ich werde mit dir sprechen!«

»So bemühe dich, höflich zu sein, sonst sende ich dich hinab auf die Straße. Wie ist dein Name?«

»Ich heiße Mahmud Ben Mustafa Abd Ibrahim Jaakub Ibn Baschar.«

»Dein Name ist länger als dein Gruß. Euer Prophet, der große Mohammed Ibn Abdallah el Haschemy, sagt: ›Seid höflich auch mit den Ungläubigen und Feinden, damit sie euren Glauben und die Kaaba achten lernen!‹ Merke dir das! Du bist ein Tuareg?«

»Ein Tuareg und Imoscharh.«

»Von welchem Stamme?«

»Hedjahn-Bei, der Karawanenwürger, erlaubt seinen Kriegern nicht, den Franken ihren Stamm zu nennen.«

Beinahe hätte mich ein kleiner Schreck erfaßt. Also Rénald war Gefangener des berüchtigten Hedjahn-Bei! Das war das Schlimmste, was ich erfahren konnte. Ich hatte selbst in der Ferne von diesem ebenso grausamen wie verwegenen Wüstenräuber gehört und wußte, daß er der Schrecken aller Karawanen sei. Niemand vermochte zu sagen, zu welchem Stamme er eigentlich gehöre; die ganze, weite Wüste war sein Jagdgebiet. Von der algerischen Steppe bis hinunter zum Sudan und von den ägyptischen Oasen bis hinüber nach Wadan und Walada in der westlichen Sahara war sein Name bekannt. Bald hier, bald dort auftauchend, war er stets ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war; doch stets und überall kostete sein Erscheinen Opfer an Gütern und Menschenleben. Er mußte geheime Aufenthaltsorte haben, die über die ganze Sahara zerstreut lagen; er mußte Agenten besitzen, die ihm von jeder bedeutenden Kaffila Nachricht brachten und ihm behilflich waren, die geraubten Güter an den Mann zu bringen. Aber seine Person und seine Thaten waren in so geheimnisvolles Dunkel gehüllt, daß eine Aufklärung bisher unmöglich gewesen war. – Ich hielt es für geraten, gegen seinen Boten so zu thun, als ob ich noch gar nichts von ihm gehört habe.

»Hedjahn-Bei? Wer ist das?«

»Kennst du den Karawanenwürger nicht? Ist dein Ohr taub, daß du noch nichts von ihm vernommen hast? Er ist der Herr der Wüste, fürchterlich in seinem Zorne, gräßlich in seinem Grimme, schrecklich in seinem Hasse und unüberwindlich im Kampfe. Der junge Ungläubige ist sein Gefangener.«

Ich lachte.

»Unüberwindlich im Kampfe? So kämpft er wohl nur mit dem kleinen Schakal und der feigen Hyäne? Kein Franke fürchtet sich vor ihm und seiner Gum. Warum giebt er den Gefangenen nicht frei? Hat er nicht zweimal Lösegeld erhalten?«

»Die Wüste ist groß, und der Hedjahn-Bei hat viele Männer, welche Kleider, Waffen und Zelte brauchen.«

»Der Karawanenwürger ist ein Lügner und Betrüger. Sein Herz kennt nicht die Wahrheit, und seine Zunge ist falsch; sie hat zwei Spitzen wie die Zunge der Schlange, der man den Kopf zertritt. Mit welcher Botschaft sendet er dich?«

»Gieb uns Burnus und Schuhe, Waffen und Pulver, Spitzen für unsere Speere und Tücher für unsere Zelte!«

»Ihr habt bereits zweimal erhalten, was du begehrst. Du wirst nicht den Zipfel eines Tuches und nicht ein Körnchen Pulver mehr erhalten!«

»So stirbt der Gefangene!«

»Der Hedjahn-Bei giebt ihn nicht los, auch wenn er erhält, was er von uns fordert.«

»Er wird ihm seine Freiheit schenken. Der Würger der Karawanen ist gnädig, wenn er den Preis erhält.«

»Wie viel fordert er?«

»So viel, als er bereits erhalten hat.«

»Das ist viel. Du willst die Waren mitnehmen?«

»Nein. Du wirst sie ihm senden wie die beiden andern Male.«

»Wohin?«

»Nach dem Bab-el-Ghud.«

Das war ja derselbe Ort, nach welchem mich Emery bestellt hatte! War dies Zufall oder wußte er, daß der Räuber sich dort befinden würde?

»Werden wir den Gefangenen dort treffen und gegen das Lösegeld erhalten?«

»Ja.«

»Sagst du die Wahrheit?«

»Ich lüge nicht!«

»Du hast bereits zweimal ja gesagt, und doch gelogen. Schwöre es mir!«

»Ich schwöre es!«

»Bei der Seele deines Vaters?«

»Bei – der Seele meines – – Vaters!« stieß er zögernd hervor.

»Und beim Barte des Propheten!«

Jetzt wurde er vollständig verlegen.

»Ich habe geschworen; das ist genug!«

»Du hast geschworen bei der Seele deines Vaters, die nicht mehr wert ist, als die deinige. Für beide zusammen gebe ich nicht eine einzige Sisch oder Bla halef, und ein Schwur bei ihnen ist kein Sandkorn wert, deren doch die Wüste voll ist vom Aufgang bis zum Niedergang. Schwörst du beim Barte des Propheten?«

»Nein.«

»So ist dein Wort wieder Lug und Trug, und du wirst die Sterne der Wüste nicht wieder sehen.«

Sein Auge leuchtete auf.

»Wisse, Ungläubiger, daß die Seele des Gefangenen zur Tschehennah (Hölle) fahren wird, wenn ich nicht bis zur rechten Zeit beim Hedjahn-Bei eingetroffen bin; dieses schwöre ich dir allerdings beim Barte des Propheten, der seine Gläubigen zu schützen weiß!«

»Dann wird deine Seele ihr vorangehen, und die Gebeine des Karawanenwürgers und seiner Gum werden bleichen im Sonnenbrande, das schwöre ich dir bei Jesus, dem Sohn Mariens, den ihr Isa Ben Marryam nennt, und der mächtiger und größer ist als Mohammed; denn ihr selbst sagt, daß er sich einst auf die Moschee der Ommijaden zu Damaskus niederlassen wird, um zu richten alle Kreaturen der Erde, der Luft und des Wassers!«

Er warf den Kopf empor und fuhr sich mit den Nägeln der geöffneten Rechten rasch unter den Bart, bei den Beduinen die Gebärde der vollständigsten Verachtung.

»Ihr werdet alles bringen, was wir verlangen! Ich war zweimal bei euch, und ihr habt es nicht gewagt, eure Hände an den Gesandten des Hedjahn-Bei zu legen; ihr werdet es auch heute nicht thun. Hundert Männer wie du vermögen nicht, ihn zu besiegen, und tausend Männer deinesgleichen werden seine Gum nicht überwinden, denn du bist – ein Giaur!«

Ich trat sofort mit erhobener Faust auf ihn zu.

»Ist dein Kopf leer und dein Geist verdorrt, daß du es wagst, mir dieses Wort zu sagen, du, der du nichts bist als ein Kelb den man zur Erde schlägt?!«

Er ließ sofort die Flinte zur Erde gleiten und erhob die beiden Arme. An jedem Handgelenke hing ihm ein scharfes, spitzes Kussa (Messer) von wohl acht Zoll Klingenlänge. Während der gewöhnliche Beduine nur ein solches Messer trägt, führt der Wüstenräuber deren zwei, welche er in der Weise gebraucht, daß er den Feind umarmt und ihm die beiden Klingen dabei in den Rücken stößt. Mein Tuareg hielt sich zu demselben Verfahren bereit.

»Willst du das Wort widerrufen?« fragte ich.

»Ich sage es noch einmal, Giaur!«

»So falle nieder vor dem Giaur!«

Noch ehe er eine Bewegung machen konnte, traf ihn meine Faust auf die Stirn; er knickte zusammen und sank besinnungslos zu Boden. Es war dies ganz derselbe Jagdhieb, wegen dessen man mich in der Prairie Old Shatterhand genannt hatte.

»O mon Dieu!« kreischte Madame auf, »Sie haben den Mann erschlagen; er ist tot; vollständig tot!«

Mademoiselle lag in halber Ohnmacht auf dem Diwan, neben welchem sie gestanden hatte, und Latréaumont war sprachlos und machte ein Gesicht, als ob der Blitz grad vor ihm in den Boden gefahren sei.

»Keine Sorge, Madame,« tröstete ich; »dieser Geselle lebt noch, wenn ihm auch die Besinnung für einige Zeit abhanden gekommen ist. Ich kenne meine Faust genau; wäre es meine Absicht gewesen, ihn zu töten, so hätte ich ein wenig weiter ausgeholt.«

Diese Worte brachten den erschrockenen Franzosen wieder zu Atem.

»Aber Sie sind ja ein Gigant, ein wahrer Goliath, Monseigneur! Bei mir hätte es wenigstens einiger hundert Hiebe bedurft, um diesen Mann par terre zu bringen!«

Das kleine Männchen, welches mir kaum bis zur Schulter reichte und die Hände eines Kindes besaß, hatte jedenfalls recht. Er hätte wohl Monate lang auf dem Schädel des Tuareg herumhämmern können, ohne ihm einigermaßen wehe zu thun.

»Bitte, Monseigneur,« erwiderte ich, »sorgen Sie dafür, daß dieser Beduine gebunden und der Polizei überliefert werde: ihre Gewalt reicht zwar nicht bis in die Wüste; hier aber wird sie sich Ihnen gern zur Disposition stellen.«

Er sah mich ganz überrascht an.

»Ist das Ihr Ernst, Monseigneur

»Gewiß!«

»Mon ciel, das dürfen wir doch nicht thun, denn dann wird der fürchterliche Hedjahn-Bei unsern armen R6nald töten! Ich glaube vielmehr, daß dieser gräßliche Hieb schon ein ganz außerordentliches Wagnis ist!«

»Ich werde Ihnen meine Gründe erklären, ersuche Sie aber dringend, bis dahin so zu handeln, wie ich es von Ihnen erbitte. Oder sagten Sie nicht vorhin, daß ich im Besitze Ihres vollständigen Vertrauens sei?«

»Gewiß, gewiß, Monseigneur. Ich stehe ja schon im Begriffe, die Dienerschaft zu rufen!«

Er eilte nach dem Klingelzuge, und auf den ungewöhnlich lauten Ton der Glocke kam die sämtliche disponible Domestikenschaft herbeigestürzt.

»Bindet diesen Menschen, und werft ihn in ein festes Gewölbe, bis die Polizei kommt, um ihn abzuholen!« befahl der Hausherr mit einer Miene, als sei er es gewesen, der den ›gräßlichen Hieb‹ geführt hatte.

Man stürzte sich mit echt südlicher Lebhaftigkeit auf den Besinnungslosen, und in zwei Augenblicken war er mit allen möglichen Dingen, die einstweilen als Fesseln dienen konnten, so eng zusammengeschnürt, daß ihm nach seinem Erwachen sicherlich keine Bewegung möglich war. Dann faßten acht eifrige Hände den Gefangenen, um ihn fortzuschleifen.

Ein einziger von den Dienern war am Eingange stehen geblieben, ohne sich an den Bemühungen der andern zu beteiligen. Er war eine untersetzte, breitschulterige Figur und hatte ein Gesicht, welches mir zu der morgenländischen Kleidung, welche er trug, gar nicht recht zu passen schien. Als er den Aufwand von Kräften bemerkte, mit welchem die andern vier den Tuareg nach der Thür zogen, trat er heran und schob sie beiseite.

»Maschallah, tausend Schwerebrett, is des aan Gezieh und an Gezerr! Packt euch fort, ihr Nixnutz ihr, denn dos bring' ich halt ganz allein fertig!«

Ein Ruck, ein kräftiger Schwung, und er hatte den Tuareg auf die Achsel geworfen.

Vor Freude über die so unerwarteten deutschen Laute ließ ich ihn fast aus dem Zimmer laufen, ohne ihn nur zurückzuhalten.

»Halt!« rief ich, als er bereits die Thür geöffnet hatte. »Du bist ein Deutscher?«

Im Nu hatte er sich trotz seiner Last zu mir herumgedreht.

Sein breites, ehrliches Gesicht glänzte von einem Ohre bis zum andern.

»Dos will ich wohl meinen, Herr! Sie wohl auch?«

»Allerdings. Wo bist du daheim?«

»Ich bin zu Haus' in Kaltenbrunn bei Staffelstein.«

»Also in Bayern. Aber dein Dialekt ist ein anderer als der in der Gegend von Staffelstein, wo ich ein so gutes, laufiges Bier getrunken habe!«

»Ja, Herr, dos is – – aber da habt ihr halt den Kerl wieder! Schleift ihn meinetweg'n, wohin ihr wollt!« unterbrach er sich, indem er den Tuareg zur Erde gleiten ließ. Dieser wurde hinausgeschafft, der Landsmann aber wandte sich wieder zu mir und reichte mir treuherzig die Hand. »So, itzt hab' ich halt nun die Händ' wieder frei. Grüß' Gott, Herr, in Afrika! ja, in Staffelstein, da giebt's aan Bier, aan Bier, sag' ich, dos läuft wie die Maus ins Loch; drum ist's ganz richtig, wenn Sie sag'n, daß es laufig is. Also dort gewes'n sind Sie? Na, dos is halt schön; dos is halt prächtig! Und an meiner Sprach' is halt niemand schuld als die Leut' aus Baden und der Rheinpfalz hier, die mir den Staffelsteiner Dialekt halt ganz verdorben hab'n.«

»Es sind Süddeutsche hier?«

»Satt und genug, Herr. Sie sind drauß'n auf dem Dorf Dely Ibrahim bei EI Biar, wo's Trappistenkloster is. Aber wo sind denn Sie zu Haus'?«

»Ich bin ein Sachse.«

»Maschallah, tausend Schwerebrett, aan Nachbar von daheim! Darf ich halt frag'n, wie lange Sie noch hier bleiben werd'n?«

»Morgen früh reise ich wieder ab.«

»Schon! Wohin denn, wenn's erlaubt sein wird?«

»In die Sahara.«

»In die Sand- und Mördergrube? Aan Stück bin ich schon d'rin gewes'n, nämlich in Farfar, und hab' schon lang wieder 'mal hineingewollt. Maschallah, Herr, darf ich halt mit?«

Diese Frage kam mir nicht unwillkommen. Einen Diener mußte ich haben, und ein Deutscher war mir auf alle Fälle lieber als jeder andere.

»Gingst du wirklich mit?«

»Auf der Stell' und mit Plaisir!«

»Kannst du reiten?«

»Reiten? Wie der Teufel, Herr! Ich bin ja mit der Fremdenlegion herübergekommen und hab' halt bei den Chasseurs d'Afrique gestand'n.«

»Verstehst du Arabisch?«

»Grad was gebraucht wird, ja.«

»Was warst du früher?«

»Schreiner. Hab' auch was Tüchtiges gelernt, Herr, besonders das Dreinschlag'n. Nachher bin ich halt in die weite Welt 'gangen und unter die Legion gerat'n, hol' sie der Kuckuck! Dann hab' ich in Dely Ibrahim gearbeitet, bis ich hier den Dienst erhalt'n hab'. Fragen Sie den Herrn; er wird halt zufried'n mit mir sein!«

»Du gehst mit. Ich werde dir seine Erlaubnis auswirken!«

»Maschallah, tausend Schwerebrett, dos is ja, als hätte heut' das Christkind beschert! Geht auch der große Hassan mit, der den langen Namen hat?«

»Ja. Er wird unser Führer sein.«

»Juch! Der gefällt mir schon! So lange er da is, hat's zwischen ihm und mir halt nix gegeben als Lust und Katzbalgerei. Ich geh' mit; ich geh' halt mit; drauf können Sie sich verlassen, Herr! Juch, Maschallah!«

Mit der Zunge und allen zehn Fingern schnalzend, sprang er in die Höhe und fuhr zur Thüre hinaus. – –


 << zurück weiter >>