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V. Der Zorn der Bienen

Buchschmuck

Buchschmuck Seit meinem Buch über das Leben der Bienen bin ich oft darum gebeten worden, eines der gefürchtetsten Mysterien des Bienenstockes zu enthüllen und eine Psychologie seiner unwiderstehlichen, unerklärlichen, plötzlichen und oft tötlichen Zornausbrüche zu geben. In der Tat ist die Behausung der blonden Honigfeen von einem Kranz grausamer und ungerechter Märchen umwoben. An der von Reseda und Steinklee umblühten Einfassung, die die Töchter des Lichtes umsummen, verlangsamen auch die tapfersten Besucher des Gartens ihre Schritte und schweigen unwillkürlich still. Die Mütter halten ihre Kinder angstvoll zurück wie von einem unter der Asche schwelendem Feuer oder einem Schlangennest, und der junge Imker wagt nur mit Lederhandschuhen, Gazeschleier und in eine Rauchwolke gehüllt der rätselhaften Zitadelle zu nahen, nicht ohne ein leichtes, uneingestandenes Schaudern, wie man es vor grossen Schlachten empfindet.

Was ist an dieser durch Tradition geheiligten Überlieferung wahres? Ist die Biene wirklich gefährlich? Lässt sie sich zähmen? Ist es gefahrvoll, sich dem Bienenstand zu nähern? Muss man ihrem Zorn trotzen oder vor ihm fliehen? Besitzt der Imker ein Geheimnis oder einen Talisman, der ihn vor Stichen schützt? Solche Fragen werden einem ängstlich von allen denen gestellt, die einen bescheidenen Bienenstand errichtet haben und ihre Lehrzeit beginnen.

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Die Biene ist im allgemeinen weder boshaft noch angriffslustig, aber ziemlich launisch. Gegen gewisse Menschen hat sie eine unbezwingliche Abneigung, und ebenso hat sie ihre Tage der Abspannung, z. B. beim Nahen eines Gewitters, wo sie sich äusserst reizbar zeigt. Ihr Geruchssinn ist sehr fein und sehr argwöhnisch; sie duldet keinerlei Gerüche und vor allem ist ihr der Geruch von Menschenschweiss und Alkohol ein Greuel. Sie lässt sich nicht zähmen im eigentlichen Sinn des Wortes, aber während die Bienenstöcke, die man nie besucht, mürrisch und misstrauisch werden, gewöhnen sich die, denen man täglich seine Sorgfalt widmet, leicht an die zurückhaltende und vorsichtige Gegenwart des Menschen. Endlich gibt es, um die Bienen fast ungestraft nach seinem Willen zu lenken, eine Menge kleiner Mittel, die sich nach den Umständen richten und die man allein durch die Praxis lernt. Doch gehen wir auf das grosse Geheimnis ihres Zorns näher ein.

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Die Biene ist im Grunde das langmütigste und friedfertigste Tier und sticht nie (wenn man sie nicht quetscht), so lange sie die Blüten befliegt. Aber in ihrem wächsernen Königreiche behält sie diesen sanften und verträglichen Charakter nur dann bei, wenn ihre Stadt reich ist; ist sie arm, so wird sie kampflustig und gefahrbringend. Wie oftmals beim Studium der Sitten dieses emsigen und geheimnisvollen Völkchens, werden auch hier die Voraussetzungen der menschlichen Logik vollständig Lügen gestraft.

Es wäre natürlich, wenn die Bienen eine Stadt, die von mühsam gesammelten Schätzen strotzt, hartnäckig verteidigen würden, eine Stadt, wie man sie in guten Bienenständen trifft, wo der Nektar keinen Platz mehr findet in den unzähligen Zellen, die wie tausende von kleinen Fässern von den Kellern bis unters Dach aufgespeichert liegen, so dass er längs der summenden Wände in goldigen Stalaktiten herabtropft und weit in die Fluren hinaus den vergänglichen Düften der sich öffnenden Blumenkelche den dauerhafteren Wohlgeruch des Honigs entgegensendet, in dem die Erinnerung an die von der Zeit geschlossenen Kelche weiterlebt.

Aber dem ist nicht so. Je reicher ihr Stock ist, desto weniger sind sie darauf bedacht, ihn zu verteidigen. Man öffne einen reichgesegneten Bienenstock oder stülpe ihn um: wenn man mit etwas Tabaksqualm die Schildwachen am Eingang vorher verscheucht hat, so wird es höchst selten vorkommen, dass die anderen Bienen einem die flüssige Beute streitig machen, die sie dem Lächeln und der Huld der schönen Jahreszeit abgewonnen haben. Man mache dies Experiment nur unbesorgt; ich bürge für seine Gefahrlosigkeit, wofern man nur an die segenschwersten Stöcke geht. Man kann sie umwenden und handhaben wie summende, unschädliche Krüge.

Was bedeutet das? Haben die tapferen Amazonen den Mut verloren? Hat der Überfiuss sie verweichlicht, und haben sie, wie die allzu begüterten Einwohner reicher Städte, die gefährlichen Pflichten der Verteidigung auf die unglücklichen Söldner abgewälzt, die an den Toren wachen? Nein, man kann nie wahrnehmen, dass ihre Tugend durch das grösste Glück entnervt wird. Im Gegenteil, je mehr ihr Gemeinwesen gedeiht, desto strenger sind die Gesetze, desto härter werden sie durchgeführt, und die Arbeitsbienen eines Stockes, in dem sich der Überfluss häuft, arbeiten viel fleissiger und schonungsloser als die eines armen Stockes.

Es liegen hier andere Gründe vor, die aber wahrscheinlich sind, wofern man sich nur klar wird, welche furchtbare Deutung die arme Biene unsern ungeheuren Bewegungen gibt. Wenn sie ihr gewaltiges Reich plötzlich in die Luft gehoben, hin- und hergestossen und geöffnet sieht, denkt sie wahrscheinlich an eine unvermeidliche Naturkatastrophe, gegen die es sinnlos wäre anzukämpfen. Sie leistet keinen Widerstand, aber sie flieht auch nicht. Indem sie die Zerstörung hinnimmt, scheint sie in ihrem Instinkt schon die künftige Wohnung zu sehen, die sie mit den Vorräten ihrer erbrochenen Stadt neu zu bauen hofft. Sie gibt die Gegenwart ohne Widerstand auf, um die Zukunft zu retten. Oder kommt es wohl auch vor, dass sie, wie der Hund in der Fabel, der »das Essen seines Herrn im Halse trägt«, wenn sie, zur Einsicht gelangt, dass alles unwiederbringlich verloren ist, es vorzieht, ihren Teil an der Beute in Beschlag zu nehmen und in einer einzigen wunderbaren Orgie das Leben mit dem Tod zu vertauschen? Wir wissen dies nicht genau. Aber wie sollten wir die Beweggründe der Bienen durchschauen, wenn die der einfachsten Handlungen unserer Mitbrüder uns unverständlich bleiben?

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Jedenfalls stürzen die Bienen bei jeder grossen Prüfung, die über ihre Stadt hereinbricht, bei jeder Umwälzung, die ihnen unabwendbar dünkt, sobald die Schreckenskunde sich unter dem schwarzen, zitternden Völkchen von Mund zu Mund verbreitet hat, sich auf die Waben, reissen die geheiligten Siegel der verdeckelten Wintervorräte auf, tauchen den Kopf in die duftenden Behälter, kriechen ganz hinein und schlürfen in langen Zügen den keuschen Blumenwein, berauschen sich damit und saugen sich voll, bis ihr geringelter Hinterleib sich verlängert und erweitert wie ein schwellendes Euter. Nun aber vermag die vom Honig aufgeschwellte Biene den Hinterkörper nicht mehr in dem Winkel zu krümmen, der erforderlich ist, um den Stachel zu zücken. Sie wird also dadurch sozusagen wehrlos.

Man wähnt zumeist, der Bienenzüchter brauchte den Räucherapparat, um die kriegerischen Schatzgräberinnen der Luft zu betäuben und halb zu ersticken und so ohne Widerstand in den Palast der unzähligen Dornröschen einzudringen. Aber das ist ein Irrtum. Der Rauch dient zuerst zum Verscheuchen der Wache am Eingang, die stets auf Posten und äusserst reizbar ist; dann genügen zwei oder drei Wolken, um die Panik unter die Arbeitsbienen zu tragen, und diese Panik hat die seltsame Orgie zur Folge, und die Orgie die Ohnmacht.

So erklärt es sich, dass man mit unverschleiertem Gesicht und blossen Armen die volkreichsten Stöcke öffnen, ihre Waben prüfen, die Bienen abschütteln und vor seine Füsse werfen, sie auf einen Haufen sammeln, wie Getreidekörner umschütten und inmitten des summenden Schwarms ruhig den Honig schneiden kann, ohne einen Stich zu bekommen.

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Aber wehe dem, der die armen Bienenwohnungen anrührt! Man halte sich von den Behausungen des Elends fern! Hier vermag auch der Rauch nichts, und kaum hat man die ersten Wolken hineingeblasen, so kommen zwanzigtausend wütende kleine Teufel aus dem Innern hervorgeschossen, stürzen sich auf die Hände, umnebeln die Augen und bedecken das Gesicht des Störenfrieds. Kein lebendes Wesen, ausser dem Bären, wie man sagt, und dem Totenkopfschmetterling widersteht der Wut der geflügelten Legionen.

Vor allem darf man keinen Kampf aufnehmen, sonst wachen auch die Nachbarkolonien auf. Es gibt kein anderes Heil als schnellste Flucht durch die Büsche. Die Biene ist nicht so rachsüchtig und unversöhnlich wie die Wespe und verfolgt den Feind selten. Wenn die Flucht unmöglich ist, kann allein die vollständige Unbeweglichkeit sie beruhigen oder irreführen. Sie fürchtet jede zu heftige Bewegung und greift sie an, aber sie verzeiht auf der Stelle, wenn man sich nicht mehr rührt.

Die armen Bienenstöcke leben oder besser sterben in den Tag hinein, und weil sie in ihren Zellen keinen Honig mehr haben, so hat auch der Rauch seine Wirkung verloren. Weil sie sich nicht vollsaugen können wie ihre begüterten Schwestern, so wird ihr Eifer nicht durch die Möglichkeit einer Neugründung der Stadt beherrscht. Sie wollen dann lieber auf der entweihten Schwelle sterben und verteidigen sie, mager und eingefallen, gelenk und zügellos, wie sie sind, mit unerhörtem Heldenmut und gleicher Hartnäckigkeit.

Darum transportiert der vorsichtige Imker auch keinen seiner darbenden Bienenstöcke, ohne zuvor den hungrigen Eumeniden ein Honigopfer gebracht zu haben. Er gibt ihnen eine Honigwabe, auf die sie sich stürzen, und auf der sie sich bei Zuhilfenahme von Rauch vollsaugen und berauschen – und alsbald sind sie entwaffnet wie die reichen Bürgerinnen der üppigen Städte.

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Es wäre noch mancherlei zu sagen über den Zorn der Bienen und ihre seltsamen Abneigungen, die oft so wunderlich sind, dass man ihnen lange Zeit – und unter den Bauern tut man es noch jetzt – moralische Ursachen und tiefe mystische Intuitionen zu Grunde gelegt hat. So ist man z. B. überzeugt, dass die jungfräulichen Schnitterinnen die Nähe alles Unkeuschen nicht ertragen können. Es wäre erstaunlich, wenn die klügsten Geschöpfe, die mit uns auf diesem unbegreiflichen Erdball leben, der unschuldigsten Sünde ebensoviel Bedeutung beilegten wie der Mensch.

Im Grunde kümmern sie sich nicht darum; aber sie, deren ganzes Dasein sich im hochzeitlichen Hauche der Blumen wiegt, verabscheuen die künstlichen Düfte, die wir aus denselben gewinnen! Muss man annehmen, dass die Keuschheit weniger Düfte verbreitet als die Liebe, und liegt hierin der Grund des Hasses der eifersüchtigen Bienen und die strenge Sage, die sie Tugenden rächen lässt, welche ebenso eifersüchtig sind wie sie? Wie dem aber auch sei, diese Sage gehört unter die grosse Zahl derer, die den Naturerscheinungen grosse Ehre anzutun wähnen, wenn sie ihnen menschliches Empfinden beilegen. Es wäre im Gegenteil besser, unsere kleine menschliche Psychologie so wenig wie möglich in alles einzumischen, was wir nicht ohne weiteres verstehen; es wäre besser, wenn wir unsere Erklärungen ausser uns suchten, diesseits oder jenseits des Menschen; denn wahrscheinlich liegen hier die endgültigen Offenbarungen, die wir noch erwarten.

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