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III. Im Automobil

Buchschmuck

Buchschmuck Die ersten Fahrten – der Unterricht im Fahren – zählen nicht mit. Man hat noch nicht unmittelbar mit dem Wundertier zu tun. Zwischen ihm und uns steht ein störender Vermittler, der uns seinen wahren Charakter verheimlicht, ein Dolmetscher voll hinterlistiger Verschwiegenheit, ein verantwortlicher Bändiger. Selbst wenn man das Steuerrad und die Hebel in den Händen und die Bremse unter dem Fusse hat, ist man des Ungetüms nicht Herr. Neben uns sitzt zu seiner Überwachung ein schon zu lange selbstherrlicher Wille, dem es wie ein treuer Hund gehorsam zugetan bleibt. Man empfindet ungefähr dasselbe wie ein junger Tierbändiger, der sich unter dem Schutze seines Vaters in den Löwenkäfig begibt, wo die gezähmten Bestien sich demütig unter dem Blick und der Peitsche des Herrn ducken. Man brennt auf die Stunde, wo man sich mit dem unbekannten, seit gestern erschaffenen Tier allein im weiten Raum befinden wird. Man brennt darauf, zu wissen, was es an sich ist, was es verlangt und verweigert, wie es seinem unerwarteten Herrn gehorcht und welche neue Lehre uns die neuen Horizonte geben werden, die unserer Seele plötzlich eine Vorstellung von einer Kraft geben, die zum erstenmal aus dem unerschöpflichen Behälter der unbezähmten Naturkräfte hervorgeht, und die uns an einem Tage so viele Landschaften, so viele verschiedene Himmel und Anblicke zeigt, wie ehemals im Laufe eines Menschenlebens.

Gestern fuhr mein Lehrer mit mir von Paris nach Rouen. Heute früh begleitete er mich bis vor die Tore der alten Stadt mit ihren zahlreichen Kirchtürmen und liess mich dann allein – allein mit dem verdächtigen Hippogryphen, allein auf blachem Felde, auf der menschenleeren Strasse, die von dem reinen Blau des Horizonts zur Linken zu dem noch rosigen Azur des Horizonts zur Rechten führte und mitten durch ein Getreidemeer schnitt, aus dem Baumgruppen in nebelblauer Ferne auftauchten, wie die Wipfel eines grenzenlosen Parks.

Ich bin weit von den Remisen und Bahnhöfen, von allen hilfreichen Werkstätten. Das verursacht anfangs eine dunkle Unruhe, die nicht ohne Reiz ist. Ich bin ganz einer Macht überantwortet, die geheimnisvoll und doch logischer ist als ich selbst. Eine Laune ihres verborgenen Lebens, eine jener oft unfasslichen Launen, die doch nie unrecht haben und die unsere eitle Vernunft beschämen, – und ich sitze hilflos in der grünen, grenzenlosen Ebene, an die unverstandene Masse gefesselt, die meine Arme nicht fortschaffen können. Trotzdem sage ich mir, dass ich die Geheimnisse dieses Ungetüms kenne. Ehe ich mich seiner Kraft anvertraute, habe ich seine Organe auseinandergenommen und gründlich untersucht. Es schnaubt unter meinen Füssen und seine physiologische Zusammensetzung ist mir gegenwärtig. Ich kenne seine heiklen Punkte und sein tadelloses Getriebe, seine Kinderkrankheiten und seine unheilbaren Gebrechen. Man hat mir sein Herz und seine Seele erklärt und den tiefen Kreislauf seines Lebens. Seine Seele, das ist der elektrische Funke, der sieben bis achthundertmal in der Minute seinen Atem erglühen lässt. Sein schreckliches, kompliziertes Herz, das ist zunächst der Vergaser mit dem seltsamen Janusantlitz, der die Flüssigkeit abteilt, vorbereitet und verdampft, der die luftige Fee, die seit Anbeginn der Welt schlief, zur Macht beruft und mit der Luft vermählt, die sie erweckt. Dieses furchtbare Gemisch wird gierig durch die grossen benachbarten Eingeweide gepumpt, welche die Explosionskammer, den Kolben, die Ventile, kurz alle Lebenskräfte des Motors enthalten. Unaufhörlich zirkuliert reines und wachsames Wasser um diese Eingeweide, die nur einen Feuerblock bilden, und stillt immerfort die Glut, die an seinem Inneren nagt und die ihn zu einem Lavafluss verwandeln würde. Unermüdlich, und immer von neuem gekühlt durch den vorn am Wagen angebrachten Kühler, der die Frische der Täler und Ebenen auftrinkt, besänftigt es mit seinen langen, eisigen Liebkosungen das tödliche Fieber der Arbeit. Ferner besitzt der Motor einen Unterbrecher, der den Zündfunken regelt und der seinerseits durch die Bewegung des Motors geregelt wird. Die Seele gehorcht buchstäblich dem Körper und der Körper gehorcht der Seele in genialer Harmonie. Aber dank einer sehr seltsamen Elastizität dieser prästabilierten Harmonie kann ein klügerer oder selbständigerer Wille, der hier den göttlichen Willen, den Willen des Chauffeurs darstellt, dieses wunderbare Gleichgewicht zweier sich fremder Kräfte noch erhöhen und mit Hilfe des Hebels »Vorzündung« den Funken im günstigsten Augenblick hervorrufen, je nach dem Widerstand oder der Unterstützung, die dem Fahrzeug durch die Zufälle der Strasse zuteil werden.

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Wenden wir bei dieser Gelegenheit einen Blick auf die selbstgeschaffenen und seltsamen, aber nie abgeschmackten Kunstausdrücke, die gleichsam die Sprache der neuen Kraft sind. Der Ausdruck »Vorzündung« ist z. B. ein sehr richtiger Ausdruck, und es dürfte schwer fallen, das, was er sagen soll, einfacher und greifbarer auszudrücken. Die »Zündung« ist die Entzündung der Explosionsgase durch den elektrischen Funken; diese Explosion kann der Bewegung des Kolbens entsprechend verzögert oder beschleunigt werden, je nach den Erfordernissen des Motors. Wenn man also »Vorzündung« stellt, so springt der Funke eintausendstel Sekunde früher über, als er sollte, d. h. bevor der Kolben auf dem toten Punkt angekommen, das Gas völlig komprimiert und die ganze Kraftleistung der letzten Explosion ausgenutzt ist. Auf den ersten Blick mag es scheinen, als müsste diese vorzeitige Explosion die Kolbenbewegung aufhalten. Aber das ist nicht der Fall. Erfahrungsgemäss kommt ihr das winzige Zeitteilchen zugute, das die entzündeten Gase brauchen, um sich auszudehnen, und wahrscheinlich noch andere, ziemlich dunkle Kraftquellen. Jedenfalls steht es fest, dass die Geschwindigkeit der Maschine dadurch merkwürdig zunimmt. Sie ist gewissermassen der Becher Wein, den man den Arbeitern reicht, eine Art von Erschleichung, durch die ihr ein abnormer Kraftüberschuss zuteil wird. Aber woher kommt dieser Ausdruck und wer ist sein Vater? Woher kommen diese Werte, die plötzlich im notwendigen Augenblick entstehen, um die Wesen, die gestern noch unbekannt waren, ins Leben zu stellen? Das wird man nie erfahren. Sie schlüpfen aus den Werkstätten und Läden, sie sind der letzte Widerhall jener gewöhnlichen, namenlosen Stimme, die den Bäumen und Früchten, dem Brot und Wein, dem Tod und dem Leben einen Namen gab; und wenn die Gelehrten sie prüfen und befragen, so ist es zum Glück meistenteils zu spät, um etwas daran zu ändern.

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Der Unterbrecher und die Zündkerze, das sind die beiden grossen Sorgen des Chauffeurs, zu denen sich noch sieben oder acht kleinere gesellen (wie die Kompression, die Vergasung, die Schmierung, die Wasserzirkulation, die Spannung der Akkumulatoren usw.). Verschiebt sich die Stellschraube des Unterbrechers um Haaresbreite, kommt zwischen die beiden Drähte der Zündung ein Tropfen Öl, eine Spur Rost, so ist das Wunderpferd plötzlich tot. Doch ringsum liegen noch andere Organe, an die ich garnicht zu denken wage. Da drunten steckt in seinem Gehäuse, wie ein wütender Geist in einem zu engen Kerker, das geheimnisvolle Geschwindigkeits-Getriebe, das plötzlich am Fuss einer Anhöhe auf einen Hebeldruck zahllose Explosionen entfesselt, so dass der Kolben fieberhaft hin- und herarbeitet und alle Fibern des Untiers erbeben, während die stockenden Räder plötzlich mit vierfacher Kraft begabt sind, vor der alle Berge ihren Rücken krümmen und ihren Besieger demütig auf ihren Gipfel tragen.

Daneben die merkwürdigen Gelenke der Cardanwelle, die an Stelle von Ketten, Zahnrädern und Treibriemen die zum höchsten gesteigerte Kraft des rasenden Herzens auf die beiden Hinterräder überträgt. Endlich noch tiefer, unter der Bremse, in seinem schützenden Gehäuse das transzendentale Geheimnis des Differentialgetriebes, das durch ein neues Wunder zwei Räder gleichen Durchmessers, die sich an der gleichen Welle drehen und von demselben Motor bewegt werden, eine verschiedene Zahl von Umdrehungen machen lässt.

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Aber dies sind grosse Mysterien, um die ich mich noch nicht zu besorgen habe. Das Ungetüm unter meiner zitternden Hand hat den besten Willen, und auf beiden Strassenseiten ziehen die Kornfelder friedlich an mir vorbei wie grüne Ströme. Es ist Zeit, die Macht der geheimnisvollen Bewegungen zu erproben. Ich berühre den Wunderzapfen. Das Zauberross gehorcht. Es hält plötzlich inne. All sein Leben erstickt in einem kurzen Schnaufen. Es ist nur noch ein riesiger, träger Metallapparat. Ich muss es wieder auferwecken. Ich steige ab und umkreise den Leichnam. Die Gefilde, deren Unendlichkeit ich Hohn sprach, nehmen bereits ihre Rache. Man möchte sagen, sie dehnen sich und wogen tief um meine Unbeweglichkeit, sie strecken sich, soweit der Blick reicht, bis zu den Grenzen des Himmels, die sich ihrerseits gleichfalls erweitern. Ich bin verloren inmitten der unwegsamen Kornfelder, deren Ährenfülle wogt, sich hebt und senkt und zusammendrängt, um besser zu sehen, was ich beginnen werde, während der rote Mohn in ihrer wogenden Menge tausendfältig auflacht. Was ficht's mich an? Ich bin meiner neuen Weisheit schon sicher. Der Hippogryph lebt wieder auf, schnaubt erst auf der Stelle und setzt dann seine Fahrt singend fort. Ich werde wieder Herr der Fluren, die sich vor mir neigen. Ich stelle langsam den berühmten Hebel »Vorzündung« und regle so gut ich kann den Benzinzufluss. Das Tier läuft schneller, das schärfere Geräusch der Räder verrät seine wachsende Trunkenheit. Zuerst kommt mir die Strasse im Reigen der Festfreude entgegen, wie eine palmenschwenkende Braut. Doch bald wird sie feuriger, sie hüpft und tollt, sie stürzt mir entgegen und rollt unter dem Wagen dahin wie ein wütender Giessbach, der mich mit seinem Schaum peitscht, mich mit seinen Fluten überschwemmt und mit seinem Hauche blendet. O, welch ein herrlicher Hauch! Es ist, als ob Flügel, als ob tausend unsichtbare, durchsichtige Flügel der grossen übernatürlichen Vögel, die unsichtbare Gipfel umkreisen, von ewigen Winden getrieben, meine Schläfen und meine Augen peitschten! Jetzt stürzt der Weg senkrecht in den Abgrund und der Wunderwagen stürzt ihm voraus. Die Bäume, die ihn seit so vielen langsamen Jahren heiter einfassten, fürchten den Weltuntergang. Man möchte glauben, dass sie herbeieilen und ihre grünen Häupter zusammenstecken, dass sie sich drängen und verständigen vor dem auftauchenden Phänomen, um ihm den Weg zu sperren. Dann plötzlich, da es nicht anhält, fahren sie erschrocken zurück, retten sich, stieben auseinander und stolpern tastend auf ihren hundertjährigen Platz, beugen sich stürmisch über den Vorbeifahrenden, werfen mit ihren tausend Blättern den wahnsinnigen Freudenschwall dieser singenden Kraft zurück und rauschen mir die luftigen Psalmen des weiten Raumes ins Ohr, der seiner alten Feindin Bewunderung und Beifall zollt, ihr, die bis auf diesen Tag stets unterlag und die nun endlich siegt: die Geschwindigkeit.

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Der Raum und seine unsichtbare Schwester, die Zeit, sind im ganzen genommen die beiden grossen Feinde des Menschen. Wenn wir sie besiegten, wären wir den Göttern gleich. Die Zeit scheint unbesieglich; sie hat weder Körper noch Gestalt, noch ein Organ, durch das wir ihrer habhaft werden könnten. Sie vergeht, sie hinterlässt fast immer schmerzliche Spuren, gleichsam den verderblichen Schatten eines unvermeidlichen Wesens, das man nie erblickt. Es ist zudem wahrscheinlich, dass sie an sich garnicht vorhanden ist, sondern nur für uns, und dass es uns nie gelingen wird, dieses notwendige Phantom unserer organisch fehlerhaften Einbildungskraft zu unterjochen. Ihr prächtiger Bruder hingegen, der Raum, der sich ins grüne Kleid der Ebenen, in den gelben Schleier der Wüsten und den blauen Mantel der Ozeane hüllt und das alles mit dem Azur des Himmels und dem Gold der Sterne bedeckt, – er hat schon manche Niederlage erlitten, aber noch nie bis auf diesen Tag hat der Mensch sozusagen Mann gegen Mann, Brust gegen Brust, und Aug in Auge mit ihm gerungen. Er sandte bisher gegen seine Riesengestalt nur Ungetüme ins Feld, die, wenn sie siegten, erst selbst besiegt werden mussten.

Auf dem Meere wird er von grossen Dampfern täglich überwunden, doch das Meer ist so ungeheuer, dass die äusserste Geschwindigkeit, die unsere schwachen Lungen ertragen könnten, doch nur eine Art unbeweglichen Sieges wäre. Auf der Eisenbahn hingegen zieht der unterworfene Raum an uns vorüber; er ist gleichsam der Gefangene, der von einem fremden Fürsten im Triumph daher geschleppt wird, und wir selbst sind die zagen Gefangenen dessen, der ihn entthronte. Aber hier in diesem kleinen Feuerwagen, der so lenksam, so leicht und wunderbar unermüdlich ist, zwischen den entfalteten Schwingen dieses Flammenvogels, der flach über die Erde hinstreicht, um uns die Blumen zu zeigen, der die Kornfelder liebkost und die Kühle der Bäche atmet, der den Baumschatten liebt, in die Dörfer eindringt, der die Türen geöffnet und die Tische gedeckt sieht, der die Schnitter zählt, die sich auf den Wiesen bücken, der die lindenumrauschte Kirche umkreist und Schlag Zwölf vor der Herberge rastet, um dann singend weiter zu ziehen und mit einem Satz zu sehen, was die Menschen treiben, die drei Tagemärsche von der beendeten Mahlzeit wohnen, und dieselbe Stunde in einer neuen Welt zu beschleichen, – hier wird der Raum wirklich menschlich, er gleicht sich unserem Auge, den Bedürfnissen unserer zugleich raschen und langsamen, ungeheuren und engen, unersättlichen und kleinlichen Seele an; er wird schliesslich assimilierbar und bietet uns unaufhörlich, an jedem seiner Ziele jede seiner Schönheiten, die er uns früher nur bei der beschwerlichen Ankunft bot.

Jetzt dagegen ist es nicht mehr die Ankunft, welche uns die Augen öffnet, die für unser Leben so kostbare Aufmerksamkeit schürt und zum Glück des Schauens einlädt; der Weg selbst ist nur mehr ein endloses Ankommen. Die Freuden des Zieles vervielfältigen sich, denn alles nimmt die herrliche Gestalt des Zieles an; die Augen vergessen endlich ihre Gleichgültigkeit und Trägheit, und die gute Erinnerung an die Schönheiten der Mutter Erde, die bescheidenste der Feen, die dem Menschenglück vorstehen, schreibt im Gedenken an die weniger glücklichen Tage, die jedem Menschen beschieden sind, zu den erworbenen Gütern, die uns niemand rauben kann, die unverhofften Schätze, die ihr auf den entfesselten Strassen und in den losgebundenen Stunden zuströmen.

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