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Abgesehen von klimatischen Einflüssen hat es sich, wie die Tracht überhaupt, aus sehr einfachen Elementen entwickelt, es ging aus dem Schurz hervor. Der Schurz stellt das älteste Motiv des gesamten Kleiderwesens dar. Ursprünglich der primitivsten Notdurft dienstbar, verlängerte sich der Schurz nach oben und unten, wurde sodann mit einem Hüftgurt gehalten und in der oberen Verlängerung durch ein Tragband über die Schultern getragen. In veredelter Form tritt er in den Statuen der Ägypter, der Griechen und der Römer auf. Aus dem Schurz hat sich das Hemd entwickelt, das ebenfalls vielen Wandlungen unterworfen war und von prachtliebenden Völkern, wie den Assyrern, verschieden an Stoff und Farbe übereinander getragen wurde, teils als Unterkleid, teils nach Maßgabe der Qualität und Kostbarkeit als Oberkleid vornehmer Personen. Die italische Tunika, der assyrische Chiton, von den Griechen übernommen und erweitert, bis heute noch im katholischen Priesterkleid erhalten, sind wenig verschieden von dem Hemd, aus dem sich alle späteren Kleiderformen entwickelten. Schurz und Hemd (letzteres verkürzt als Bluse oder in der längeren Form mit dem Hüftgurt) sind die unveränderliche Grundform des Arbeitsgewandes geblieben. Frühzeitig hat sich aus dem Schurz in seiner Verlängerung nach unten die Tracht der Beinkleider entwickelt, die schon bei den Ägyptern sackförmig gestaltet und mit Löchern für die Beine versehen, vorkommt.
Das zeitlose Gewand des Menschen ist das Arbeitskleid. Von der Antike bis zu Meuniers Arbeiterdarstellungen hat es keine wesentliche Änderung durchgemacht. Das Gewand der Feldarbeiter, der Handwerker, der Grubenleute ist der Hauptsache nach seit den ältesten Zeiten gleichgeblieben. Dem Wechsel des Geschmackes und der Mode unterworfen ist allein das Festkleid, der Sonntagsstaat und die Herrentracht. Hier herrschte das Individuelle oder die Persönlichkeit des Standes; im Arbeitskleid, das feststeht, herrschte das Typische, allgemein Menschliche.
Im Festkleid schafft die Phantasie, im Arbeitskleid die Notwendigkeit. Der Feststaat diente der Repräsentation und läßt, wie an historischen Kostümen und Trachten erkenntlich, den Schmuck als Symbol zu. Das Arbeitskleid verkörpert den reinen Zweckbegriff, sein Schmuck ist die Schmucklosigkeit. Das Festgewand kann durch neue Einflüsse und Moden verdrängt werden, wie es z. B. gegenwärtig mit den Volkstrachten vieler Gegenden der Fall ist; das Arbeitskleid hält Stand und besiegt die Mode. Wenn wir das Landvolk in seiner ursprünglichen Tracht sehen wollen, dann müssen wir es wochentags bei der Feldarbeit aufsuchen. Trotz städtischer Einflüsse bleibt das Werktagskleid, während der malerische Sonntagsstaat meistens zum Trödler und in Museen wanderte. Aber so, wie wir sie bei der Feldarbeit sehen, hat auch das Schnittervolk im alten Griechenland, in der noch älteren Kultur Ägyptens ausgesehen. Das Arbeitsgewand ist somit das klassische Kleid, die Grundform, aus der sich die gesellschaftliche Tracht immer wieder aufs neue entwickelt. Es ist das eigentliche Volkskleid.
Es ist der Ausdruck einer verkommenen Gesinnung, wenn der alte, verbrauchte Sonntagsstaat oder abgenutzte, von Herrschaften abgelegte Kleidungsstücke als Arbeitsgewand verwendet werden. Diese Geschmacklosigkeit kann nur bei Generationen vorkommen, die so weit gesunken sind, daß sie der Arbeit diesen Stempel des Verächtlichen und Geringwertigen aufdrücken. Es ist ein sehr peinigender Anblick in unseren Industriestädten, Arbeitsleute zu finden, die mit derartigen, ungeeigneten, verlumpten Kleidungstücken zur Arbeit gehen.
Der Arbeiter, der auf sich und seine Arbeit hält, wird seiner Werkfreudigkeit zunächst in einer sauberen und zweckmäßigen Gewandung, die von Haus aus für seine Werktätigkeit bestimmt ist, Ausdruck geben. In einer solcherart ausgedrückten schlichten Sachlichkeit liegt auch eine gewisse Festlichkeit, die wir für jede freudige Arbeit bedürfen, der Ausdruck des Selbstbewußtseins und des zuversichtlichen Stolzes, der notwendig ist, wenn eine Arbeit gelingen soll. Wie der moderne Arbeiter mit Bewußtsein ein zweckmäßiges und geschmackvolles Arbeitskleid trägt, so wird er sich auch in den übrigen Angelegenheiten seiner Lebenshaltung mit größerer Sicherheit den Erfordernissen seines wirklichen Gerätes gegenüber zu verhalten wissen. Die etwa verlotterte Neigung, geschenkte oder vom Mittelstand abgelegte Kleidungsstücke zur Arbeit zu tragen, entspricht der gleichzeitigen Neigung, das eigene Heimwesen mit den verkommenen höfischen Barockformen der Möbelfassade auszustaffieren und es in dieser lächerlichen Großsucht dem Bürger gleichzutun, den schon vor mehr als 150 Jahren die satirischen Dichter verspotteten. Auch darin kann noch immer das Landvolk als Vorbild ins Treffen geführt werden, das in allen Lebensdingen an den durch seinen Stand bedingten Formen mit bewußtem Stolz festhing, wenngleich in neuerer Zeit durch die Industrie ein einigermaßen häßlicher Umschwung herbeigeführt wurde. Aber es wird auch damit besser werden, wenn der Arbeiterschaft die kulturellen Forderungen ihres Standes klar geworden sein werden. Wenn sie einmal so weit sind, um ein selbständig entwickeltes Arbeitskleid mit Würde zu tragen, dann werden sie es vielleicht auch verschmähen, sich Sonntags wie die kleinbürgerlichen Stutzer zu kleiden. Eine unsagbare Komik, die mehr betrübend als lächerlich ist, liegt in dem allzu vorherrschenden Hang des Arbeiters, sich Sonntags herrenmäßig mit Gehrock, Zylinder und Glacéhandschuhen herauszustaffieren. Es ist nur allzu leicht begreiflich, daß ein Stück zu dem anderen nicht paßt und daß der Mann eine traurige Figur macht. Auch in den Gehrock muß man hineingewachsen sein, er bringt Konvenienzen mit sich, wie jede Tracht, die man kennen muß, um sie mit Anstand zu tragen.
Es soll durchaus nicht die Ansicht verfochten werden, daß er etwas besseres darstelle, als ein anderer Rock, es soll vielmehr die einzig richtige Ansicht gefördert werden, daß er ein formales Übereinkommen darstellt, das nur für jene gesellschaftlichen Kreise gilt, die darin ihr Wesen ausdrücken. Das Sprichwort »Kleider machen Leute« kommt endlich einmal verdientermaßen zu schanden. Der bloße Gehrock hat, wie eben erzählt, noch niemand zu dem gemacht, was er gerne scheinen möchte. Gerade um die Legende zu widerlegen, daß der Gehrock ein Merkmal des gesellschaftlichen Höherseins sei, müßte der Arbeiter auf diesen Sonntagsstaat verzichten, weil er sonst ausdrückt, daß er in einem solchen Kleidungsstück das äußere Zeichen eines höheren Ranges erblicke.
Es sei dabei erinnert, daß das Sportkleid und die militärische Uniform sich neben dem Gehrock gesellschaftliche Geltung verschafft haben. Es ist also nicht das Kleid, das man schätzt, sondern es ist der Träger, der durch das Kleid sein persönliches Wesen oder das Wesen seines Standes ausdrückt. Es kommt allerdings vor, daß zuweilen auf den Rock und auf die Kleiderordnung mehr gesehen wird, als auf den Menschen, der darin steckt, aber solche Verkehrungen sind Auswüchse und verdienen mit allen Mitteln der Verspottung und der Nichtachtung bekämpft zu werden.
Es bleibt also die Frage übrig, welchen Sonntagsstaat der Arbeiter tragen soll. Es ist ein Gesetz des guten Geschmackes, für alle kultivierten Menschen verbindlich, daß das Arbeitskleid für seinen Zweck geschaffen sei, von edler Einfachheit, in gutem passenden Stoff, so konstruiert, daß die Körperbewegungen bei der Arbeit nicht behindert seien und daß es dennoch dem Körper wohl angemessen sei. Keinesfalls soll irgend ein abgelegtes Stück eines Feststaates oder von der Tracht anderer Stände als Arbeitskleid herhalten müssen, weil sich darin eine Geringschätzung der Arbeit und eine Erniedrigung des Arbeiters ausdrückt.
Vollkommen richtig aber ist der umgekehrte Weg, daß der Sonntagsstaat oder das Festkleid aus dem Arbeitskleid entwickelt werde. Die Entwicklung der großen historischen Trachten hat immer diesen Weg genommen.
Die erste Tracht, die der Mensch verfertigte, war das Arbeitskleid. Es war in täglicher Anwendung erprobt und verbessert. Als der Schmuck hinzutrat und die Anwendung edler Stoffe, sollte es schon dem Bedürfnis dienen auszuzeichnen, Festlichkeit zu verkörpern; es wurde repräsentativ, Feststaat. Die einfache Form des Arbeitsgewandes blieb der sich absondernde Feststaat. Er verfolgt seinen eigenen Entwicklungsgang. Aus dem modernen Arbeitsgewand muß sich wieder der Feststaat entwickeln. Einfach dadurch, daß edlere Stoffe, leuchtendere Farben und in gewissen Fällen der Schmuck hinzutritt, wie bei dem Frauengewande die edle Handarbeit. Für Frauen und Männer gilt dasselbe, daß ihr Arbeitsgewand Ausgangspunkt für ihre Festtracht werde, als Ausdruck ihrer Persönlichkeit und ihres Standes. Eine ungeahnte Perspektive ganz selbständiger künstlerischer Möglichkeiten liegt vor, eine Mannigfaltigkeit der Erfindung, die einen Reichtum hoffen läßt, wie in den besten Zeiten vergangener Kultur.