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Wer je in die Lage kommt einen Tisch zu decken, der die Form hat, wird die Erfahrung machen, wie wenig die heutige Kultur für diesen Fall vorbereitet ist. Alle Materialien, die dazu gehören, Tischtücher, Servietten, Glas, Silber, Porzellan, Blumen usw. sind zwar vorhanden und aus den verschiedenen Läden leicht zu beschaffen. Auch versichern die Herren Verkäufer, daß sie stets das Modernste und Neueste führen, und an manchen dieser Dinge haftet der Ruf einer künstlerischen Urheberschaft. Sobald man aber diese einzelnen Bestandteile zum fertigen Gebrauch zusammenstellt, gewahrt man die Unzulänglichkeit, an der die besten Absichten scheitern.
Ein Stück paßt nicht zum anderen, jedes ist sozusagen Ding an sich, als Einzelwesen entstanden, nicht aus der runden Gesamtidee des gebrauchfertigen gedeckten Tisches, auf dem ein Gegenstand eine formale Beziehung zum anderen Gegenstand darstellt. Prüft man den einzelnen Gegenstand auf seine Gebrauchsfähigkeit, so stellt sich ebenfalls heraus, daß er in der Regel seinen Zweck nur in unvollkommener Weise erfüllt. Selten finden wir ein Glas oder ein Besteck, das in jeder Beziehung handgerecht und mundgerecht ist. Selten einen Teller, eine Schüssel oder ein Blumengefäß, woran die peinlichste Erforschung der Anwendungsart als das Erstrebenswerte galt. Weil nun diese Dinge so schlecht für ihren Zweck passen, darum passen sie auch so schlecht zueinander. Es fehlt das natürliche Maß, das die Herstellung leitet und Übereinstimmung an Stelle des Chaos setzt. Zwar gelten viele dieser Gegenstände nach ihrem Urheber als künstlerisch; aber sie beweisen weiter nichts, als daß unsere Künstler wenig gewohnt sind, organisch zu denken. Ihr künstlerisches Merkmal liegt im Ornament, im Dekorativen, im Kult der Linie, Eigenschaften die im Kunstgewerbe großes Unheil anrichten. Wie kommt es, daß die Künstler in der Regel die Fabrikate nach ihren eigenen Entwürfen wieder verwerfen und verleugnen, wenn diese ein paar Jahre alt geworden sind? Es könnte kaum der Fall sein, wenn von vornherein die praktische und natürliche Forderung der organischen Formgebung anstatt des höchst überflüssigen Dekorierens erfüllt worden wäre. Also fort mit dem Ornament, das in den meisten Fällen lästig und schädlich ist, solange die Form nicht in Ordnung ist. Das Ziel besteht zunächst in der Richtigstellung der Gebrauchsform, die infolge einer zu langen Herrschaft des Ornaments verkommen ist. So lange dieses Ziel nicht erreicht ist, werden wir es schweigend dulden müssen, daß England in allen Fragen der Lebenskultur die unbestrittene Führung behält. Wir dürfen nicht vergessen, daß jeder erstbeste Londoner Laden unvermittelt den fertiggedeckten Tisch mit allen Utensilien zu liefern imstande ist und jede Form bis ins Kleinste in sachlicher Vollendung bietet. Das Entscheidende liegt darin, daß jeder Laden, jeder Gewerbsmann in Übereinstimmung mit seinem Publikum die sachliche Richtigkeit als das Selbstverständliche findet. Kein Käufer in England, und wäre es der letzte Mann, die letzte Frau im Volke, würde sich die unerhörten Darbietungen gefallen lassen, die das große deutsche Publikum von seinen Händlern duldet. Wenn wir also künstlerisch arbeiten wollen, dann müssen wir antikünstlerisch vorgehen und den dekorativen Plunder abschaffen, um zur reinen Form zu gelangen. Erst wenn die reine gute Form gefunden ist, was ich als eine weitaus schwierigere Kunst schätze, denn die Verzierungskunst, dann erst darf es der Künstler wagen, ein Übriges zu tun. Die gute Form, das gute Material, die richtige Bearbeitung und Anwendung, zuletzt der Kult der Farbe, das bedeutet einen so ungeheuren geistigen Aufwand, daß zunächst gar keine Möglichkeit scheint, ein Überflüssiges zu tun. Wenn es geschieht, geht es meistens auf Kosten einer anständigen Gesinnung.
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Wie also soll der gedeckte Tisch im einzelnen und im ganzen beschaffen sein?
Ich werde mich hüten, Rezepte zu verschreiben. Ich will aber die wichtigsten Grundsätze festlegen, von denen die anständige Form abhängt.
Die Tischwäsche ist in der Regel aus Damast hergestellt, dessen Glanzstellen irgend ein Muster verraten. Tischwäsche aus ungemustertem feinen Linnen hat außer dem guten Ansehen noch den Vorteil, daß es nicht abhaart, was bei Damast häufig der Fall ist. Die Serviette mit einem Zipfel in den Kragen zu stecken, gehört in die Kategorie jener Sitten, die es gestatten, das Messer zum Mund zu führen und mit der Gabel die Zähne zu stochern. In kultivierter Tischgesellschaft legt man die Serviette über den Schoß. Die Kunst des Serviettenlegens in den üblichen phantastischen und aufgetürmten Formen gehört in das Bereich des Ungeschmackes. Sie ist ganz zu vermeiden. Einfach gefaltet, mit ihrem einzigen künstlerischen Schmuck, dem formenschönen Monogramm nach oben, liegt sie auf dem Teller, oder an dessen Stelle zwischen den Bestecken, wenn nach englischer Sitte die Teller nicht von vornherein auf den Tisch gestellt werden.
Für die Form des Glases gilt die Regel, daß es standfest, handgerecht und mundgerecht sei. Bier schmeckt besser aus starkwandigen Gläsern, Wein und Sekt selbstverständlich nur aus sehr dünnen, feinen Gläsern. Nur der Rotwein steht in der Karaffe auf dem Tisch. Mit anderen Weinen kann es schon deshalb nicht der Fall sein, weil sie kühl gehalten werden müssen.
Beim Porzellan, den Tellern, insbesondere ist darauf zu achten, daß es keinen reliefartigen Dekor trage. Überhaupt ist jede Form, die nicht sachlich zu rechtfertigen ist, von Übel. Ganz einfarbiges, weißes oder mövengraues Porzellan kann als der höchste Grad von Delikatesse betrachtet werden. Denn in diesem Falle muß das Porzellan tadellose Qualität haben.
Hohe Obstaufsätze, die die Aussicht auf die Gegenübersitzenden hemmen, sind zu vermeiden. Man verwendet aus guten Gründen niedere Fruchtschalen.
Wer es tun kann, wählt silbernes Besteck auch für den Alltag. Silber ist billiger als jedes andere Metall, weil es jede Abnützung verträgt, ohne an gutem Aussehen zu verlieren. Es reagiert nicht auf die Säuren, die in den Speisen vorkommen, und ist daher aus gesundheitlichen Gründen vorzuziehen. Schließlich gewährt es die Möglichkeit leichter Formen. Eine Vergleichung von Bestecksammlungen aller Völker und Zeiten bis in die älteste Vergangenheit zurück, wird den Beweis liefern, daß an den guten Stücken jeder Dekor vermieden war, zugunsten der sachlichen und organischen Form. Das gilt insbesondere von den Löffeln, die als Schöpfgefäße am frühesten eine vollendete Ausbildung gefunden haben. Die heutigen Formen, die wir in den Silberläden finden, sind fast ausnahmslos durch plumpe Ornamente verunstaltet, schwer und häßlich in ihrer maschinenfertigen Härte. Die meisten Formen bedürfen einer Richtigstellung nach Maßgabe ihrer heutigen Verwendung. Für die Anordnung am Tische ist maßgebend, daß Löffel und Messer zur Rechten, die Gabeln zur Linken liegen, das Fischbesteck mit eingerechnet, und zwar von außen in der Richtung zum Teller in der Reihenfolge der Gerichte. Oberhalb des Tellers in der gleichen Folge liegt das Kleinbesteck, Puddinglöffel, Kompottlöffel, Obstbesteck, Tortenbesteck usw. nach Maßgabe des Gebotenen. Der Eislöffel wird mit dem Eisteller separat serviert.
Der künstlerische Schmuck der Tafel besteht in den Blumen. Man wähle eine starke Farbe, die den Tisch beherrscht. Jede Jahreszeit gibt das ihrige. In Ermangelung der Blumen verwendet man Zweige und Pflanzengrün. In diesem Falle ersetzt das bunte Seidenband die Farbe der Blumen. Sie stehen in geeigneten Gefäßen als Solitärblumen oder in Schalen. Glas und Silber ist zu diesem Zwecke gut, am besten aber ist Keramik, in zweckmäßiger Form in starker, wo möglich komplementärer Farbe ohne Ornament. Der Blumenstrauß selbst ist das Ornament. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich, die feinen, künstlerischen Händen offen stehen.