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Wir tun Unrecht, über die Zeit, »als der Großvater die Großmutter nahm«, geringschätzig zu lächeln. Die Leute von damals hatten, wenn auch in bescheidenen Formen, eine feine Kultur und stellten an die Dinge des Alltags künstlerische Ansprüche, die wir längst verlernt haben. In der graphischen Reproduktion dominierte der Kupferstich. Die hochentwickelte persönliche Kultur hob auch das graphische Kunstgewerbe auf ein ansehnliches Niveau. Es genügte dem Geschmack der Biedermeierzeit nicht, daß die Besuchskarten bloß den Namen trugen. Der Sitte gemäß, die im 16. Jahrhundert aufkam, mußte eine zierliche Zeichnung dabei sein, die etwas von der Persönlichkeit, von ihrem Wesen, ihrem Berufe aussagte. Sie bekamen solcherart den Charakter von Exlibris. Wer eine solche Visitenkarte empfing, hatte ein Interesse daran, sie aufzubewahren. Man hielt mit der Karte unwillkürlich die Person in Ehren oder mindestens in Erinnerung. Es kam von der Geselligkeit her und von der verbindlichen Lebensart, die sich als Legende aus jenen Tagen herschreibt. Erst als der Verkehr unter den Menschen kühler und geschäftsmäßiger wurde, begnügte man sich mit dem einfachen Namen auf der Karte, die keinen Anspruch mehr erhob, aufbewahrt zu werden. Also liegt eine leise Andeutung des vergangenen Lebens und seiner Formen in den Karten. Fast immer drückt das Bild eine Beziehung zur bürgerlichen Eigenschaft des Besitzers aus.
Als Beispiel feiner Kultur in Dingen, die heute in einer unerträglichen Schundmäßigkeit produziert werden.
Ein Zeichner oder Maler liebte die notwendigen Requisiten seines Berufes auf der Karte, eine Studienmappe, einen Malschirm, eine schöne Landschaft dahinter, oder eine zeichnende Muse mit Pinsel und Palette, Staffelei und Marmorbüste. Ein Zuckerbäcker gab Familienkarten aus, auf denen neben Apollo Musagetes herzige Putti vorkommen, die Torten tragen. Dem romantisch klassizistischen Anstrich jener Tage entspricht es, daß die Torten die Form von Tempelchen, den beliebten Freundschaftstempeln erhielten.
Der antike Grundzug des Empire ist durchzuspüren. Der Kleinbürger fühlte sich nicht wohl, wenn er bei seinen Pasteten nicht griechisch schwärmen konnte. Der schwärmerische Klassizismus, der die Säulentempel, darin die Siegel der Freundschaft niedergelegt wurden, die elegischen Burgruinen, die antiken Baureste auf jedes Wunschpapier für Gevatter Schneider und Handschuhmachers Gebrauch einzeichnete, bestimmte die geistige Atmosphäre der Schmachtlockenzeit. Alle Lebenskreise waren am Ausgange des Empire davon so ergriffen, daß der kleine Geschäftsmann in seinen Anzeigen, Geschäftskarten und Etiketten diesen verbürgerlichten Klassizismus nicht entbehren konnte. Alle Drucksorten redeten in der griechischen Formensprache.
Die Literaten gaben den Ton an. An der Schwelle des XIX. Jahrhunderts wirkte Winckelmanns Werk über die Kunst der Alten. Die Dichter folgten dem Scheinwerfer in die antike Vergangenheit. Die Architekten gingen bei den Hellenen in die Schule. Und als die Krinoline die Herrschaft antrat, hatte das Griechentum eine der seltsamsten Nachblüten erlebt, gegen die selbst die theaterhaften Olympier des Jesuitenbarocks wahre Schüler waren. Auf den bürgerlichen Geschäftsanzeigen und Visitenkarten lebten die Gestalten und Formen der griechischen Antike fort.
Noch ein anderer Zweig des graphischen Kunstgewerbes, einst hoch entwickelt, harrt der Wiederbelebung: die sogenannten Privatdrucke. Sie waren einst interessante Dokumente der Familie und ihrer Kultur, – daß sie heute nicht mehr vorkommen, läßt auf einen erheblichen Rückschritt der intimeren Lebensansprüche schließen. Auf die Herstellung und graphische Ausstattung der Familienchroniken ward einst viel Sorgfalt gesetzt; Festtage der Familie wurden in den Privatdrucken festgehalten, die an die Teilnehmer und Verwandten verteilt, kunstvoll ausgestattet, in schwungvollen Worten oder auch Versen den Tag feierten und oftmals biographisch und kulturhistorisch interessant waren. Wie bereits die Visiten- oder Besuchskarten ahnen lassen, wurde nicht wenig Sorgfalt auf die Wunschkarten gelegt, davon zahlreiche Beispiele von geradezu verblüffender Schönheit überliefert wurden.
Die ziemlich hohen Ansprüche, die das äußerlich anscheinend bescheidene Leben an diese Dinge stellte, darin sich die persönliche Kultur zeigen konnte, kam unter anderem auch der formalen Seite des Buches zugute, auf dessen Toilette ein großes Augenmerk gelegt wurde, sowohl hinsichtlich des Einbandes als auch namentlich der farbigen Ausstattung.
Die Buntpapiere, die zu diesen Zwecken und sonstigem Gebrauch damals hergestellt wurden, können heute noch als eine Quelle der Anregung gelten und als Beweis, daß die Bildung des Auges zur Farbenfreude, die wir heute wieder anstreben, eine wesentliche Grundlage der künstlerischen Kultur bildete, die unsere Großväter und Urgroßväter in hohem Maße besaßen. Es gibt noch manches bei ihnen zu lernen.
Sicherlich besitzt auch die moderne Zeit schöngedruckte Karten für alle Zwecke, für Geschäfts-, Visiten- und Wunschgelegenheiten; immerhin aber gehört das künstlerisch Erlesene zu den Ausnahmefällen.
Im allgemeinen müssen wir zufrieden sein, daß die Visitenkarte nichts anderes, als in guter deutlicher Schrift den Namen trägt und die künstlerische Zeichnung unabhängig von ihr in der heute wieder beliebten Form der Ex-libris ein eigenes Feld gefunden hat, wenn es auch gar nicht ausgeschlossen sein darf, die Visitenkarte in dem Geiste wieder zu beleben, den wir an den erwähnten alten Formen bemerkt haben.
In diesem Falle ist die Zeichnung der Visitenkarte oder des Ex-libris gleichsam eine Hausmarke, die in der ganzen Briefausstattung des Privatmenschen durchgängig erscheinen kann. Allein das bloß druckermäßige Satzmaterial läßt sich auch für die Visitenkarte mit ungeahnter künstlerischer Freiheit und Erfindung verwenden. Für den guten Geschmack ist unter allen Umständen verbindlich, daß der viereckige oder rechteckige Raum des Papierblattes gut gegliedert und die ausgefüllten und leeren Flächenteile rhythmisch angeordnet sind. Der quadratischen Grundform gemäß, muß auch die Zeichnung oder der Schriftsatz eine Geschlossenheit auf quadratischer oder rechteckiger Grundlage aufweisen. Wenn in der Schrift ungleichlange Zeilen vorkommen, und es werden die Zeilenfüllungen verschmäht, um sie auf gleiche Länge zu bringen, so hilft die bewährte alte Druckerregel, derzufolge jede Zeile auf die Achse zu stellen ist.
In den Geschäftskarten und sonstigen geschäftlichen Drucksorten, wie Briefe, Rechnungen usw. ist es heute noch durchaus üblich, Schrift in Verbindung mit der Zeichnung anzubringen und nicht nur durch das Wort, sondern auch bildlich auszudrücken, was des Pudels Kern ist. Mit den alten Druckausstattungen verglichen, stehen diese heutigen Geschäftskarten auf einem bedenklich niederen Niveau. Nur Firmen, die mit Künstlern arbeiten, haben in dieser Beziehung vielfach geschmackvolles oder mindestens Originelles hervorgebracht. Die meisten Drucksorten dieser Art jedoch sind ganz dem Geschmack der kleinen Drucker überlassen, die in den meisten Fällen von der großen Kunst und Überlieferung des edlen Handwerks gar nichts verstehen. Der gewöhnliche Fehler besteht in der Anwendung von 3–7 verschiedenen Schriftgattungen auf einer einzigen kleinen Geschäftskarte. Die geschäftlichen Drucksorten werden dadurch den Katalogen von Schriftgießern gar nicht unähnlich, wobei noch zu bemerken ist, daß in den allerseltensten Fällen wirklich geschmackvolle Schriften gewählt werden.
Gerade dadurch kann der Geschmack im Alltag gefördert werden, indem auch diese Dinge einer sorgfältigen Behandlung unterzogen werden. Es kostet das gleiche Geld und bringt dem Empfänger wie dem Hersteller ein Vergnügen und dem letzteren einen ganz positiven Gewinn in kunstgewerblicher Hinsicht. Freilich darf die Sorge dafür nicht den unwissenden, durch andauernde, geringwertige Arbeit in seinem Geschmack heruntergekommenen gewöhnlichen Drucker überlassen werden. Es ist gar nicht schwer, sich künstlerisch beraten zu lassen, in einer Zeit, wo es so viele junge Leute gibt, die durch die Kunstgewerbeschule und einen ähnlichen Weg über einigermaßen guterzogene Augen verfügen. Allerdings muß gesagt werden, daß selbst die Veranstalter von Kunst- und Kunstgewerbeausstellungen mit ihren Prospekten, Einladungskarten und namentlich Katalogen nicht immer das beste Beispiel geben. Nur die Sezessionen haben fast ausnahmslos ein gutes Beispiel geliefert und viel zur Hebung der allgemeinen Ansprüche beigetragen. Gerade von hier aus sollte die Anregung bei solchen praktischen Gelegenheiten gegeben werden, die sicherlich auch im Leben weiterwirken würden. Für Geschäftsleute muß gesagt werden, daß das Schönste auch einen Nützlichkeitswert besitzt. Häßliche, schlecht ausgestattete Geschäftskarten und ähnliche Drucksorten wird niemand aufbewahren. Verraten sie aber den Adel künstlerischer Gesinnung und wahrhaft guter Druckleistung, so wird jeder Empfänger sie mit Vergnügen zur Hand nehmen und sie nicht ohne weiteres vergessen oder wegwerfen. Es ist endlich sehr wichtig, den Industrialismus im Druckwesen zu überwinden. Gerade durch die Steigerung der Qualität ist es kleinen Druckereien, die nach guten, kunsthandwerklichen Grundsätzen geleitet sind, möglich, den Kampf mit großen Unternehmungen erfolgreich aufzunehmen.