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In dem alten Kaufhause zu Courtrai war mit der bräutlichen Tochter das Glück und die Zufriedenheit eingezogen. Gleich nach der Ankunft der Baronin und ihrer Töchter fuhr Adalbert mit seiner Braut, im Einverständnisse mit dem Schwiegervater, der in seiner freudigen Stimmung mit allen versöhnt sein wollte, nach dem ländlichen Vorort, wo das Ehepaar Lambert wohnte, stellte sich den Überraschten als Schwager vor und brachte beide im Triumph zu den Eltern Juliettens.
Es galt noch eine kleine Überwindung von Seiten Meuniers, dem beleidigten Lambert das erste Wort der Abbitte zu sagen, von Seiten Lamberts, es freundlich anzunehmen, – aber die Freude über das Wiederfinden und die glückliche Wahl Constanzens überwog doch alles, und bald war eine vollständige Aussöhnung zu Stande gekommen. Noch an demselben Abende feierte man die Verlobung im vollzähligen Kreise der Familie, die dritte, die diesen Bund besiegelte, aber wie verschieden von den beiden ersten! Mit bewegtem Herzen erinnerten sich die Liebenden an den kurzen, verstohlenen Austausch ihrer Gelöbnisse am Gitter des Klostergartens, an die Abschiedsfeier auf den improvisierten Sitzen des Lindheimschen Gepäcks, und verglichen diese Augenblicke mit der Gegenwart, wo auch Constanzens Eltern der Feier beiwohnten und den Bund segneten, wo das liebe Vaterhaus den Schauplatz ihres Glückes bildete.
Der fröhlichen Verlobung folgte sehr bald eine nicht minder fröhliche Hochzeit. Adalberts Mutter und Schwestern, die auf dringendes Zureden von allen Seiten bis jetzt geblieben waren, wollten nun endlich abreisen, stießen aber wieder auf ganz energischen Widerspruch, und zuletzt rückte Vater Meunier mit einem wohlüberlegten Vorschlage heraus. Die beiden jungen Paare bewohnten ein mit dem Kaufhause verbundenes, von der Straße weit eingerücktes villenartiges Gebäude in der Weise, daß jedes eine Etage inne hatte, das Kaufhaus selbst verblieb den Eltern als Wohnung. Nun war allerdings der schöne, große Garten hinter der Villa der Sammelplatz aller drei Familien, doch schreckten die beiden Alten, wie Meunier sagte, trotzdem vor dem Gedanken zurück, in den weiten Räumen wieder ganz allein zu hausen, nachdem sie so frisches, junges Leben darin gehabt. Kurzum, er würde es als eine große Wohlthat betrachten, wenn die Frau Baronin sich entschließen könnte, gleich für immer mit den lieben Mädchen da zu bleiben. Sie wäre ja doch keine schlechte Mutter, es müßte sie also doch verlocken, in der Nähe des Sohnes und Zeugin seines Glückes sein zu können, – er wie seine Frau würden alles thun, um ihr den Aufenthalt im Hause nur angenehm zu machen u. s. w.
Die Baronin, die viel auf ihre Selbständigkeit hielt, sträubte sich lange, aber als alle Familienmitglieder, Sohn und Schwiegertochter an der Spitze, sie mit Bitten bestürmten, gab sie endlich nach, besonders da sie sich sagen mußte, daß ein solches Zusammenleben mit allen ihren Kindern und diesen lieben neuen Freunden doch die Erfüllung ihrer kühnsten Wünsche in sich schloß.
Während nun Adalbert, dem der Schwiegervater möglichst bald das Geschäft zu übergeben wünschte, nach Rotterdam reiste, um sein Verhältnis zu Druysen zu lösen und die Übertragung seiner Stelle auf Lindheim zu veranlassen, wurde Anna von Rechnitz nach N. gesendet, um den Transport der kleinen Wirtschaft nach Courtrai zu bewerkstelligen. Den Rückweg nahm sie über Berlin und verweilte einige Tage in Hedwigs schöner Häuslichkeit, in der auch Tante Lindheim Aufnahme gefunden hatte.
Ein wunderliebliches Heim war die grünumrankte Cottage in der Villenkolonie, die Helmstädt seiner Hedwig eingerichtet hatte, ein Paradies des Friedens, der innigsten Liebe, des seligsten Genügens für alle seine Bewohner, die kleine Hedwig nicht ausgeschlossen, die im Sonnenschein wahrer, mütterlicher Liebe sich immer reizender und glücklicher entfaltete. Auch Frau Lindheim konnte nicht genug rühmen, wie wohl sie sich bei Hedwig fühlte und mit welcher zarten Aufmerksamkeit man sie behandelte, – ja, sie nannte wirklich ihr trauliches Großmutterstübchen ein kleines Paradies, in dem nichts fehlte, was zum Behagen einer alten Frau gehörte; aber sie gestand Anna doch, daß ihr ganzes Sinnen und Trachten dahin gehe, den Sohn wiederzusehen, bei ihm ihren Lebensabend zu verbringen. Wenn sie nur eine gute Begleiterin für die Reise fände, die auch dort bei ihr bliebe, – so eine, wie ihre liebe Anna, – dann würde sie unbedenklich die Reise wagen.
Anna gestand nun ihrerseits, daß sie gern, sehr gern diese Begleiterin sein möchte, wenn ihre Mutter dazu die Erlaubnis gäbe. »Mein Leben,« sagte sie, »war schon immer ein recht leeres, unnützes, und ich fürchte, daß es dies in Courtrai noch mehr sein wird. Häusliche Arbeiten giebt es keine für uns, da wir mit den Meuniers die Mahlzeiten einnehmen und auch unsere Zimmer von den Dienstboten des Hauses in Ordnung gehalten werden. Mama bedarf meiner in keiner Weise, besonders seit Editha herangewachsen ist, – ich werde, um etwas zu thun zu haben, das Spitzenklöppeln lernen müssen, aber, Tante Lindheim, ein solches Leben wäre auf die Dauer mein Untergang, das fühle ich. Dir kann ich noch etwas sein, schon meine Gegenwart würde Dir drüben im fernen Weltteil das Heimatsgefühl geben, und meine Thätigkeit hätte das schöne Ziel, Dir eine traute Häuslichkeit zu schaffen. Also, liebe Tante, ich werde mit Mama sprechen, und wenn sie einwilligt und es wirklich Ernst mit der Reise wird, – dann verfüge über mich.«
Und kaum ein halbes Jahr später sehen wir, daß die Baronin aus Liebe zu der vielgeprüften Freundin, aus Liebe zur Tochter, die sich in der Unthätigkeit und Zwecklosigkeit ihres Daseins unglücklich fühlte, eingewilligt hat, und daß es Ernst mit der Reise geworden. Wieder und wieder hat Max geschrieben, wie er sich sehne, der Mutter in seinen jetzt gesicherten Verhältnissen einen schönen Lebensabend zu bereiten, endlich hat es sie in dem Frieden des behaglichen Großmutterstübchens nicht mehr gelitten. »Ich bin eine Mutter!« hat sie, wenigstens dem Sinne nach, allen erwidert, die sie von der Reise abzubringen suchten. »Ich weiß wohl, die Reise ist lang, mühselig, gefahrvoll und mein Leben nur noch kurz zugemessen, – aber was wollt ihr? Ich bin eine Mutter!«
Und nun sitzt sie strahlend vor Zufriedenheit und stolz wie eine Königin auf der breiten Veranda ihres wunderhübschen Wohnhauses in Sumatra. Es ist Abend, jene Zeit, in der sich in den Tropen das eigentliche Leben entfaltet. Unzählige Leuchtkäfer tanzen wie lebende Funken in der warmen Luft, aus großen, wunderbar gestalteten Blumenkelchen steigen süß berauschende Düfte empor, es ist unsagbar herrlich. Das empfindet die Frau, die von der niederen Veranda in die Pracht hinabschaut und es erscheint ihr wie ein schöner Traum, daß sie hier ist in dieser farbenprächtigen Welt, bei dem Sohne, von dem sie in schrecklicher Stunde fürs Leben Abschied genommen, der jetzt nur darauf bedacht ist, ihr Alter zu verschönern. Wohl ist es ihr zuerst nicht leicht geworden, sich in das Fremdartige des Aufenthaltes zu finden, aber des Sohnes zarte Aufmerksamkeit und Annas Fürsorge haben diese Schwierigkeiten geebnet und sie hat sich mit dem Gedanken vollständig vertraut gemacht, die Jahre, die Gott ihr noch schenken will, hier zu verleben.
Nur eins trübt noch ihre glückliche Stimmung: die Wahrnehmung, daß Max seit einiger Zeit nicht so heiter ist, wie bei ihrer Ankunft. Was kann ihm fehlen? Das Geschäft und die Plantagen sind im besten Zustande, die Leiter der Firma mit ihm zufrieden; dazu ist er auf bestem Wege, alles zu ersetzen, was andere durch ihn verloren haben und die Zeit seiner Verbannung ist eine begrenzte, so daß er nach Jahren, wenn er will, in die Heimat zurückkehren kann, – was also fehlt ihm?
Der Gegenstand dieser Fragen ist eben von den Plantagen zurückgekehrt, er weiß, daß die Mutter und Anna ihn erwarten, durchschreitet aber gedankenvoll die Wege des Gartens, um erst Herr seiner Stimmung zu werden, ehe er die Frauen aufsucht. Das Mutterauge hat recht gesehen, Max ist unglücklich, gedrückt. Noch nie hat das Bewußtsein der begangenen Schuld so schwer auf ihm gelastet, wie seit der Ankunft der Freundin. Die kindische, unverstandene Neigung, die er schon als Knabe für Anna empfunden und all die Jahre treu gehegt hat, ist bei dem Anblick der stolzen Mädchenschönheit in neuer Stärke erwacht und hat sich beim täglichen Zusammenleben mehr und mehr zur echten, bewußten, allgewaltigen Mannesliebe entwickelt. Diese Liebe ist aber eine hoffnungslose, muß es sein, denn wie durfte er, der Schuldbeladene, der Geächtete, es wagen, seine Augen zu dem schönen, in jeder Hinsicht adeligen Wesen zu erheben? Wenn er nun die notwendige Entsagung finden, wenn er Anna wunschlos betrachten könnte wie die unerreichbaren Sterne; aber er kann das nicht, und so bereitet das Zusammenleben mit ihr ihm immer neue Qualen.
Er hat sich auf eine Gartenbank niedergelassen und bemerkt in seinem Sinnen nicht, daß eine lichte Gestalt sich mit schüchternen Schritten nähert. »Herr Lindheim,« tönt es plötzlich von lieber, bekannter Stimme. Wie ein auf bösen Wegen Ertappter fährt er empor. »Anna! – Fräulein Anna!« stammelt er verwirrt.
»Verzeihen Sie die Störung,« beginnt sie, ebenfalls seltsam verlegen, »Tante ist unruhig, weil Sie nicht zur gewohnten Zeit kommen und bat mich – –« »Ich komme,« sagt Max und bietet Anna mechanisch den Arm, um sie durch den Garten zu führen, zuckt aber, wie sich besinnend, plötzlich zurück und geht nun in steifer Haltung neben Anna her.
»Herr Lindheim,« sagt diese, plötzlich stehen bleibend, mit niedergeschlagenen Augen, »ich sprach vorhin eine Unwahrheit, – ich habe Sie aus freien Stücken aufgesucht, um allein mit Ihnen zu sprechen.« Erstaunt unruhig schaut Max sie an und bemerkt erst jetzt, daß sie bleich aussieht und ihre Augen Spuren vergossener Thränen zeigen.
»Lassen Sie mich ganz offen sprechen und seien Sie ebenso,« beginnt sie. »Als ich mit Ihrer Mutter hierherkam, hoffte ich, Sie würden der einstigen Jugendgespielin so viel Wohlwollen bewahrt haben, um ihre Gegenwart wenigstens nicht als Störung zu empfinden. Aber ich sehe täglich deutlicher, daß ich mich irrte. So lieb ich der guten, teuren Tante bin, so unerwünscht ist Ihnen meine Gesellschaft, und da Sie bei der Art unseres Zusammenlebens sich derselben nicht gut entziehen können, ist Ihre Lage durch mich eine sehr peinliche. Sie sind der Herr, Sie haben nicht nötig, in Ihrem Hause störende Elemente zu dulden, und so – will ich gehen. Sobald Sie jemand für Tante zum Ersatz gefunden haben – auf Java sind gewiß deutsche Gesellschafterinnen zu erlangen, – will ich eine ebensolche Stelle antreten, oder, wenn ich keine finde, zu den Meinen zurückkehren. Es thut mir weh, sehr weh, mich von der lieben Tante und – von hier überhaupt trennen zu müssen, aber lieber alles aufgeben, als lästig fallen.«
Ihre Stimme wird hier unsicher, aber sie faßt sich und fährt fort: »Das war es, was ich Ihnen sagen wollte, Herr Lindheim. Ich bitte Sie nun, die nötigen Schritte zur Beschaffung einer Gesellschafterin zu thun und – der Tante meinen Entschluß und meine Gründe mitzuteilen. Ich – ich kann es nicht.« Unfähig, ihren Thränen länger zu wehren, eilt sie weiter; da ist aber Max sofort an ihrer Seite. »Anna, teure Anna,« ruft er außer sich, »ist es denn möglich? können Sie glauben, daß ich, der ich den Boden küssen möchte, auf dem – –« Er hält erschrocken inne und sein hübsches männliches Gesicht bedeckt sich mit glühender Röte. »Ich habe mich hinreißen lassen, verzeihen Sie,« sagt er leise. »Lange genug beherrschte ich mich, und so gut gelang es, daß Sie glauben konnten, Ihre Gegenwart wäre mir störend; aber jetzt hat es mich wider Willen übermannt, nun wissen Sie, daß ich Sie liebe, Anna, so treu und innig, wie ein Mann lieben kann. Sie werden nun erst recht gehen wollen; aber thun Sie es nicht, Anna, bleiben Sie um meiner Mutter willen, – Sie sollen auch nie wieder durch ein Geständnis wie dieses beleidigt werden, das verspreche ich Ihnen.«
Er streckt ihr mit bittendem Blick die Hand entgegen, aber Anna ergreift sie nicht, sondern wendet sich ab. »Wenn Sie – mich gern haben, – warum ängstigten Sie mich so? Warum thaten Sie kalt und fremd, als wären wir nie Gespielen gewesen? Sie konnten sich doch denken, – daß es mir wehe that, – gerade von Ihnen, Max – –.«
»Und begreifen Sie denn nicht,« ruft Max, »daß ich mich mit aller Macht zurückhielt, weil ich nicht wagte, Ihnen meine Liebe zu bekennen, ich, der Ausgestoßene? Begreifen Sie denn nicht, wie schwer es mir wurde, so scheinbar gleichgiltig neben Ihnen herzugehen, während jeder meiner Gedanken Ihnen galt?« – »Nein, das begreife ich nicht,« sagte Anna, »ich weiß aber, wie ich mich grämte und die Nächte durchweinte. Aber das sollte ich Ihnen nicht sagen, Sie böser, thörichter Mann, – nein nein, Sie verdienen wirklich nicht, daß ich Sie – so lieb habe.«
Jetzt eilt sie mit flüchtigen Schritten dem Hause zu, aber Max holt sie doch ein. »Anna, ist's denn möglich, – kannst Du mir verzeihen, daß ich meine Augen zu Dir erhoben? Bist Du mir gut, – trotz allem, – ist's wahr, Geliebte?« Er hat ihre Hand erfaßt, die sie ihm jetzt überläßt, und blickt ihr in die strahlenden Augen. »Willst Du mein sein, Anna, meine Verbannung teilen? Sieh, es vergeht noch manches Jahr, ehe mir die Heimat wieder geöffnet ist, und auch dann werde ich wahrscheinlich dies Inselland nicht verlassen, – willst Du bei mir ausharren, Liebste, immer und immer?«
»Wo Du hingehst, da gehe ich auch hin, und wo Du bleibst, da bleibe ich auch,« sagte Anna und blickte so voll hingebender Liebe zu ihm auf, daß Max sie in überwallender Freude an sein Herz zieht. »Dank, Dank, Anna, Du sollst es nicht bereuen,« ruft er, »sollst sehen, daß Du Dein Herz keinem Unwürdigen geschenkt hast. Nur für Dich will ich leben.« – »Und wir beide für die Mutter,« sagte Anna lächelnd, »so lange sie Gott uns schenkt. Komm jetzt zur Mutter, daß auch sie sich unseres Glückes freue.«
Hand in Hand, mit strahlendem Blick treten sie auf die Veranda. »Mutter,« ruft Max, die Greisin stürmisch umarmend, »da bringe ich Dir eine Tochter, sieh hier meine Anna, meine Baut! Segne uns, Mutter!« Und dann knieen beide nieder und empfangen von ihr, die vor Freude weint, den mütterlichen Segen.
Unten im Garten schwärmen die Leuchtkäfer und die Blumen stehen in märchenhafter Pracht und senden aus ihren Kelchen süß berauschende Düfte. Droben auf der Veranda aber sitzen drei fröhliche Menschen, denen der heutige Abend noch die letzten Zweifel löste, die letzten stillen Herzenswünsche gewährte.