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Sainte Marie, mère de Dieu, priez pour nous pauvres pêcheurs, maintenant et à l'heure de notre mort. Ainsi soit-il!«
Noch nie hatte Constanze die Schlußworte so aus vollem Herzen mitgebetet. Ihre Wangen glühten vor Erregung; sie drückte die gefalteten Hände auf die Brust und flehte die gnadenreiche Mutter um Fürbitte an und um Verzeihung für das, was sie zu thun im Begriffe stand. Noch hatten ihr die Freundinnen keine Mitteilungen machen können, aber sie sah an ihren leuchtenden Augen und ermutigenden Winken, daß etwas im Werke war. Die Entscheidung nahte und trotz aller Vernunftgründe schlug ihr Herz derselben unendlich bange entgegen. Hatte sie denn wirklich ein Recht, ihre Zukunft so eigenmächtig zu gestalten? Und konnte ein Unternehmen zum Glücke führen, dem die Eltern ihren Segen verweigerten? » Mère de Dieu, priez pour moi!« betete sie in Gedanken und erhob ihren Blick inbrünstig flehend zum Himmel.
Und jetzt war die Stunde geschlossen. Das Refektorium leerte sich schnell, Schwester Sophie sprach noch einige Worte mit Hedwig und Anna, die sie gern in der Gesellschaft der Novize sah, und verließ dann ebenfalls den Saal. Endlich, endlich waren die Freundinnen allein. »Weißt Du, was heut ist?« rief Hedwig, indem sie Constanze stürmisch umarmte. »Der Tag Deiner Befreiung! Sobald es dunkelt, sollst Du dieses Haus verlassen – auf Nimmerwiederkehr.« »Ja, alles steht gut,« fügte Anna hinzu, »und auch für Deine nächste Zukunft ist gesorgt. Eine liebe alte Freundin meiner Mama nimmt Dich als ihre Stütze und Pflegetochter mit nach Berlin, denke nur, nach der schönen, großen Residenz. Noch wenige Stunden, dann ist die ganze Ungewißheit vorüber. – – Aber sage, was ist Dir? Freust Du Dich denn nicht?«
Wie eine Bildsäule stand Constanze. Die so heiß ersehnte Entscheidung, sie war nun da, aber das Bewußtsein, ihr gegenüberzustehen, überwältigte sie. An dem Wendepunkte ihres Lebens angelangt, fehlte ihr plötzlich wieder die innere Kraft, den Weg, den sie als den rechten erkannt und den man ihr jetzt eröffnete, ohne Schwanken und schweren Seelenkampf zu gehen. Auch die Freundinnen waren bewegt, denn jetzt in der entscheidenden Stunde empfanden sie ihr Eingreifen in das Schicksal des jungen Mädchens als etwas ganz Unerhörtes, aber sie ließen sich nichts merken und wetteiferten in dem Bemühen, die Aufregung der Armen zu beschwichtigen und ihr Mut zuzusprechen.
Beide wußten nicht, daß außer der Bedeutung der bevorstehenden Stunde noch etwas Anderes Constanzens Seele belastete. In den Gesprächen der Freundinnen war nie von Annas Bruder die Rede gewesen, und eine ihr selbst unerklärliche Scheu hielt Constanze ab, nach ihm zu fragen, – aber sie hatte nicht aufgehört, an ihn zu denken. »Bevor ich abreise, sehe ich Sie wieder!« Diese in zuversichtlichem Tone gesprochenen Abschiedsworte wiederholte sie sich immer wieder in Gedanken, sie fühlte seinen Händedruck, sah seinen freundlich ermutigenden Blick und bei ehrlicher Selbstprüfung erkannte sie, daß diese Erinnerung keinen geringen Anteil an ihrem Entschlusse hatte, dem Kloster zu entfliehen, ja daß die Unmöglichkeit, ihn als Nonne wiederzusehen, ihr als das Hauptschrecknis erschienen war. So oft sie sich das Bild der Freiheit ausmalte, stand seine Gestalt im Vordergrunde, und wenn sie sich für unfähig hielt, den Schleier zu nehmen, war es nicht, weil die Welt mit ihren Freuden sie verlockte, sondern weil sie das Bild eines Mannes im Herzen trug.
In stillen Momenten hatte sie sich das alles gesagt, und nun sollte sie das Hans, die Stadt verlassen, ohne ihn wiederzusehen! Was ihr als köstliche Verheißung vorgeschwebt, was sie hauptsächlich zum Entschlusse getrieben, es sollte ihr dennoch versagt bleiben; ohne ein aufmunterndes Wort von ihm sollte sie in die große, unbekannte Welt schreiten. Wer weiß, ob er noch am Orte verweilte, ob er sich noch der kleinen Reisegefährtin erinnerte, die jetzt auf seinen Anlaß so Schweres, Bedeutsames unternehmen wollte.
Eine so tiefe Niedergeschlagenheit spiegelte sich in ihrer Haltung und ihrem Gesicht, als sie, diesen trüben Gedanken nachhängend, dasaß, daß Hedwig und Anna allmählich verstummten. Hedwig unterbrach zuerst wieder das Schweigen. »Es wird dunkel,« sagte sie, »und somit ist es Zeit. Besinne Dich, liebe Constanze, – wenn Dir die Sache leid geworden, wenn Du lieber hier bleiben magst, als in die Freiheit gehen, – noch hast Du die Wahl, – aber Du mußt Dich in diesem Augenblicke entscheiden. Willst Du bleiben und Dein Gelübde ablegen?«
Constanze warf einen Blick um sich her. Der kahle, hochgewölbte Raum des Refektoriums hatte in der anbrechenden Dämmerung etwas Ödes, Herzbeklemmendes, er schien ihr die ganze Trostlosigkeit ihrer Zukunft hinter diesen dumpfigen Mauern zu vergegenwärtigen, und: »Nein, nein! nehmt mich mit, um Gotteswillen!« rief sie in plötzlich wieder erwachendem Freiheitsdrange. »Nun denn,« sagte Hedwig, »so gehe ich jetzt und erwarte euch in einer Stunde unten an der Gartenpforte. Da, Anna, nimm dies, – Du weißt doch?«
Sie übergab Anna ein mitgebrachtes Päckchen, umarmte und küßte Constanze, drückte Anna die Hand und ging. Die Korridore waren um diese Tageszeit leer, so daß ihr niemand begegnete; die Schwester Pförtnerin war über ihrem Andachtsbuche eingenickt; bei dem Geräusch der leichten Schritte blinzelte sie ein wenig, um sogleich, da sie die wohlbekannte Gestalt sah, weiter zu schlummern. Man war so gewöhnt, die vermeintliche Klosteraspirantin zu verschiedenen Stunden passieren zu sehen, daß ihr Gehen und Kommen gar keinen Eindruck machte. Mit beflügelten Schritten eilte sie aus dem Hause und zu Frau von Rechnitz, um dort zu verkünden, daß der letzte Akt des Dramas nun beginnen solle.
Anna hatte indes die nicht leichte Aufgabe, noch eine Stunde, also bis zur völligen Dämmerung, in unverdächtiger Weise bei Constanze zu verweilen. Zweimal schaute Schwester Sophie in den Saal, zog sich aber befriedigt wieder zurück, als sie die beiden Mädchen, mit Handarbeiten beschäftigt und anscheinend die vom Garten aufsteigende balsamische Luft genießend, in harmlosem Geplauder auf dem Fensterbrett sitzen sah. Als die Schwester das zweite Mal gegangen war, glitt Anna schnell vom Fensterbrett und zog Constanze nach sich. »Jetzt schnell,« flüsterte sie; »hier sind die Sachen, die Hedwig für Dich dagelassen, ihr Hut, ihr Regenmantel; schnell den Hut auf! – so! – und nun hinein in den Mantel! – Ei, prächtig, im Dämmerlicht die ganze Hedwig! Nur Mut! Mut, du Liebe; je dreister Du hinausschreitest, desto weniger beachtet man Dich. Den Kopf kannst Du etwas senken, Hedwig thut es auch, und nun gieb mir Deinen Arm und laß uns gehen.«
Mit ruhigen Schritten, nicht zu langsam, aber auch ohne auffallende Eile schritten die Mädchen hinaus auf den Gang. »Sollte Schwester Sophie uns in den Weg kommen und anreden, – hoffen wir, daß es nicht geschieht,« raunte Anna noch unter der Thür Constanze zu, »so hältst Du schnell Dein Tuch vor das Gesicht, und ich sage dann, Dich quälten heftige Zahnschmerzen oder dergl.« Sie umklammerte fest den Arm der zitternden Constanze, die nur mühsam ein Schluchzen unterdrückte. So kamen sie unangefochten bis zum Pförtnerinnenstübchen; die Schwester Seraphine war jetzt wach, hatte aber augenscheinlich vergessen, daß Hedwig schon vorhin vorbeigekommen, und als Anna ihr grüßend zurief: »Gelobt sei Jesus Christ,« nahm sie ohne weiteres an, daß beide Mädchen gesprochen und rief ihnen die Erwiderung: »In Ewigkeit, Amen!« mit argloser Freundlichkeit nach. Schon waren die Mädchen an der Treppe, da riß Constanze sich weinend los und warf sich vor dem Kreuz mit der Leidensgestalt des Erlösers auf die Knie. » Saint Sauveur, ayez pitié de moi!« rief sie mit flehend erhobenen Händen. Erschrocken warf sich Anna an ihrer Seite nieder, mit scheuen Blicken prüfend, ob jemand das auffallende Benehmen der Betenden bemerkt habe. Nein, niemand konnte es gesehen haben, doch dort am Ende des Mittelganges nahte sich Schwester Eufemia mit einem Korbe, der die Abendmahlzeit der Hospitalitinnen im Quergebäude enthielt. Mit einer Hast und Rauhheit, die dem vornehm ruhigen Mädchen sonst nicht eigen war, riß Anna die Freundin empor. » Vite, vite, – on vient!« flüsterte sie, nahm sie abermals fest an den Arm und ging mit ihr, nur wenige Schritte vor Schwester Eufemia, die Treppe hinab.
Mondbeglänzt lag der Hof mit seinem märchenhaften Zauber vor ihnen, als sie aus der kleinen Pforte traten. Die Schritte Eufemias verloren sich nach dem Spitalanbau zu, dann waren das Plätschern des Springbrunnens und das Rauschen der alten Bäume die einzigen Laute, die sich vernehmen ließen. »Wohin führst Du mich?« fragte Constanze plötzlich, als sie bemerkte, daß ihre Begleiterin nicht dem Ausgangsthor, sondern der grünen Wildnis an der Gartenpforte zustrebte. »Es gilt nur einen kurzen Aufschub,« erwiderte Anna; »da ist jemand, der gern noch von Dir Abschied nehmen möchte, ehe eure Wege sich scheiden.« Sie trat mit Constanze in den tiefen Schatten des überhängenden Gezweiges, der wie eine Laube vor allen Späherblicken barg und dann wieder hinaus. In diesem Augenblick löste sich von der grünen Wand des Gitters die hohe Gestalt eines Mannes, der mit ausgestreckter Hand auf Constanze zutrat. »Viel Glück zu dem Schritt in die Freiheit!« sagte er herzlich. »Sehen Sie, ich habe wahr gesprochen, – wir sehen uns wieder, freilich, um uns gar bald wieder zu trennen. Nur wenige Augenblicke sind uns hier vergönnt, dann führe ich Sie hinaus, – an keines andern Hand dürfen Sie den Ort verlassen. So sagen Sie mir nur das eine, – ganz schnell, so lange wir hier allein sind, – haben Sie in dieser langen Zeit manchmal ein ganz klein wenig – an den Reisegefährten gedacht?«
»O, immer!« rief Constanze in naiver Aufrichtigkeit. »Und ich war so sehr traurig, weil ich glaubte, Sie hätten mich vergessen! Manchmal bat ich die heilige Jungfrau, sie möge mich sterben lassen, denn was sollte ich in der Welt, ohne Eltern, ohne Heimat, außer dem Kloster, das mir schlimmer schien, als der Tod, ohne einen Menschen, der an mich dachte?« – »Constanze, liebes, teures Mädchen, wenn ich Ihnen nun sage, daß ich all' die Zeit an Sie gedacht habe? Was Sie in der Welt sollen, fragen Sie! Werden Sie es besser wissen, als jetzt, wenn ich Ihnen bekenne, daß – jemand, der Sie herzlich lieb hat, Ihnen gern eine Heimat an seiner Seite bereiten möchte, zwar weit drüben über dem Meere, aber doch eine sichere, traute Heimat?« Sie schwieg, aber Adalbert fühlte einen leisen Druck der kleinen Hand, die er noch in der seinigen hielt. »Morgen muß ich abreisen,« fuhr er fort, »Wollen Sie mir ein Wörtchen mitgeben, liebe Constanze, daß ich hoffen, – nein, daß ich auf Sie rechnen darf, auch wenn die Trennung lange dauern sollte?«
In diesem Augenblick trat Anna zu ihnen. »Still,« flüsterte sie, »es geht jemand über den Hof.« Wirklich vernahm man Schritte, die aber bald wieder verhallten. »Wir müssen fort,« mahnte Anna, »ehe Deine Abwesenheit bemerkt wird.« – »Erst das Wort,« bat Adalbert; »Constanze, darf ich an Dich als meine Braut denken? Willst Du mir auch ferner Dein Wohl und Wehe anvertrauen?« Wieder erfolgte keine Antwort, aber als er sie mit seinem Arm umschlang, ruhte ihr Kopf einen kurzen, seligen Augenblick hingebend an seiner Brust. »Ja, Du willst,« jubelte er; »nun sage noch schnell: ›Ich habe Dich lieb, Adalbert, und will auf Dich warten, bis Du mich heimholst als Dein Weib.‹ Dann gehen wir.« – Sie begann in holder Verlegenheit die Worte nachzusprechen, aber ehe sie zu Ende gekommen, verschloß er ihre Lippen mit dem Verlobungskuß; und dann geleitete er Braut und Schwester über den stillen, einsamen Klosterhof, in dem er so eben das heilige Gelübde der Treue empfangen, zu dem harrenden Wagen.
Als die drei bei Frau Lindheim anlangten, fanden sie auch die Baronin, Editha und Hedwig vor; sie wollten alle gern den letzten Abend bei den scheidenden Freundinnen zubringen. Man konnte nicht sagen, daß es in den sonst so peinlich sauber gehaltenen Räumen gemütlich aussah; Kisten und Körbe standen überall umher, die größeren Stücke des Hausrats waren bereits abgegangen, die kleineren verpackt, so daß Frau Lindheim ihren Gästen nicht einmal Stühle zum Sitzen anbieten konnte, sondern sie bitten mußte, auf den Kisten Platz zu nehmen. Auch die Bewirtung bereitete einige Schwierigkeiten, denn so ängstlich die alte Dame auch umhersuchte, so fand sie weder Messer, noch Teller, noch Gläser oder Theelöffel außer dem kleinen Vorrat von je einem Paar, den sie in der Handtasche für die Reise verwahrt hatte. Aber die kleine Gesellschaft nahm mit vorzüglichem Humor die gebotenen Erfrischungen, bestehend in Wein und Apfelsinen, in der unzulänglichen Anrichtung an und wendete auch nichts gegen die alte, an eine Hausnachbarin verschenkte Küchenlampe ein, die heut' noch die Beleuchtung spenden mußte. Editha half bei den Apfelsinen mit einer kleinen Kunstfertigkeit aus; sie breitete die in Streifen von oben nach unten geschnittene, unten nicht abgelöste Schale rundherum aus, so daß jede Frucht wie auf einem Tellerchen ruhte; mit den Gläsern half man sich in der Weise, daß immer ihrer drei aus einem tranken. Es war trotz allem eine belebte Gesellschaft, die sich da auf verschiedenen primitiven Sitzplätzen um eine größere Kiste gruppiert hatte, und die Stimmung wurde geradezu gehoben und feierlich, als Adalbert die hocherrötende Constanze dem kleinen Kreise als seine Braut vorstellte und den Segen der Mutter für den geschlossenen Bund erbat. Die Baronin überwand beim Anblick des liebreizenden Kindergesichtes und der mit schüchterner Bitte zu ihr erhobenen Augen ihre anfängliche Überraschung und schloß das holde Wesen mit mütterlicher Zärtlichkeit in ihre Arme. »Gott segne Dich, Kind,« sagte sie weinend; »werdet beide glücklich in gegenseitiger Liebe!« Auch die Mädchen drängten sich mit Glückwünschen und Liebkosungen herzu; zuletzt machte auch Frau Lindheim ihr Recht geltend, dem jungen Paare zu gratulieren und betonte, daß Adalbert sich besonders mit ihr gut verhalten müsse, da er ja im Begriff stehe, ihr seinen Schatz auf unbestimmte Zeit anzuvertrauen.
Er waren seltsame Schauplätze, die Gott Amor zur Vereinigung dieses Paares gewählt hatte. In einem Eisenbahncoupé, oder vielmehr vor demselben hatten sie sich zuerst gefunden, in einem grünen Winkel am Gitter des Klostergartens die ersten Liebesworte und Liebesversprechungen gewechselt und nun feierten sie ihre Verlobung in einer halb ausgeräumten Wohnung, bei der spärlichen Beleuchtung einer invaliden Küchenlampe, auf Kisten und Körben sitzend. Aber es war nichtsdestoweniger ein richtiges Fest, bei dem in geregelter Abwechselung, – da alle zugleich nicht trinken konnten – auf das Wohl des Brautpaares angestoßen wurde und die freudig angeregte Stimmung augenblicklich die ernsten Gedanken an die bevorstehende Trennung überwog.
Als die Gesundheiten sämtlich ausgebracht waren und die Verlobten nicht mehr den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bildeten, zog Adalbert zwei Kisten in den Schatten einer Fensternische und setzte sich mit Constanze ein wenig abseits von den übrigen. Es war noch so viel zu sagen und zu besprechen. Die Art des künftigen Briefwechsels wurde genau geregelt; derselbe sollte den mündlichen Verkehr so viel wie möglich ersetzen, vor allem die Liebenden immer von allen äußeren und inneren Vorgängen ihres Lebens in Kenntnis halten, und zwar gelobten sie einander volle, rückhaltlose Offenheit. Constanze hätte nicht nötig gehabt, solche eigens zu versprechen; ihre kindlich reine Natur kannte nur die ungeschminkte Wahrheit, und selbst die kokette Verschämtheit anderer jungen Mädchen, die ihre Neigung zu dem Erwählten verhüllen zu müssen glauben, war ihr fremd. »Wie herrlich und wunderbar ist es,« sagte sie, »daß Gott uns zusammengeführt hat. »Die Reise war es nicht, die mir das Kloster verleidete, – ich hätte um die ganze Welt reisen können und wäre doch hineingegangen und drin geblieben; aber seit ich Dich kennen gelernt, war es mir, als könnte ich nur noch mit der Hoffnung leben, Dich wiederzusehen.«
»Und wirst Du immer so denken, Geliebte?« fragte Adalbert, »Wirst Du mir fest vertrauen, auch wenn ich fern bin, und nie mehr kleinmütig und reuevoll an das denken, was Du meinetwegen gethan hast?« »Ich glaube an Dich,« sagte Constanze mit zuversichtlichem Aufblick, »und ich weiß, daß alles, was Du mir rätst, gut und recht sein muß. Aber eins muß ich Dir gestehen, auch wenn Du mir böse sein solltest. Sieh, ich bereue nicht, was ich gethan habe, nein, keinen Augenblick, und ich bin so glücklich und stolz, daß Du mich liebst, Du herrlicher Mann, – aber es macht mich traurig, daß ich mein Glück mit der Liebe der Eltern erkaufen mußte. Dieser Gedanke wird mich nie verlassen, nie, und er wird immer einen Schatten auf jede Freude werfen. Ich wäre so gern ein gutes, gehorsames Kind geblieben, und nun muß ich mich verloben, muß in die Ferne ziehen, alles ohne den Segen der Eltern, die mir immer nur Güte erwiesen. Das ist so unendlich betrübend, – ich fühle, daß ich undankbar gegen Dich bin, aber ich kann nicht anders, der Gram wird mich nie verlassen.«
»Es sei denn, daß ich die Ursache mit Gottes Hilfe hinwegräume,« sagte Adalbert. »Wenn mir recht ist, steht unser Handlungshaus in Verbindung mit Deinem Vater; wenigstens ist der Name Meunier in den Büchern aufgeführt. Wer weiß, ob ich nicht früher oder später diese Beziehung benutze – Jedenfalls fürchte nicht, mein Herz, daß ich Dir wegen dieses Kummers zürne; nein, ich kann ihn Dir nachfühlen und ehre ihn, denn nur ein oberflächliches, kaltes Gemüt kann sich leicht über einen solchen Konflikt hinwegsetzen. Aber Du darfst Dich auch nicht allem Trost verschließen. Bedenke doch: Nicht Weltlust und Leichtsinn haben Dich zum Ungehorsam gebracht, sondern berechtigte Notwehr und eine Liebe, die Gott selbst in unsere Herzen gepflanzt hat. Ich dachte zuerst daran, an Deine Eltern zu schreiben und sie geradezu um ihren Segen zu unserer Verbindung zu bitten; aber es ist gar keine Aussicht, daß sie, noch dazu im Zorne, dem ganz fremden Manne ihre Einwilligung geben werden. Vertrauen wir also einstweilen dem Einfluß der alles besänftigenden Zeit und – der Elternliebe. Wenn Dein Vater und Deine Mutter nichts von Dir hören werden, so wird die Angst und Sorge der Versöhnung vorarbeiten, glaube es nur. Und endlich vertraue Du meiner Liebe; wie Du keinen Frieden hast, so lange die Eltern Dich aufgegeben haben, so will auch ich nicht ruhen und rasten, bis ich den Kummer von Deinem Herzen genommen, – bis Du vollständig glücklich bist.«
Constanze lächelte durch Thränen und sah ihren Verlobten so voll seliger Zuversicht, so dankbar an, daß er nicht umhin konnte, sie wieder an sein Herz zu ziehen. Noch ein Stündchen traulichen Beisammenseins war ihnen beschieden, dann trennte sich die Gesellschaft und Adalbert mußte seine Braut im Schutze der Frau Lindheim zurücklassen.
In der Frühe des nächsten Morgens sahen sich alle bis auf Hedwig noch für wenige Augenblicke auf dem Bahnhofe. Die beiden alten Freundinnen gelobten einander, durch fleißigen Briefwechsel den Verkehr fortzusetzen, Adalbert aber übergab Constanze eine zierliche Briefmappe, die mit postfertigen, an ihn adressierten Couverts und einer Menge Briefpapier gefüllt war. »Sorge mein Lieb daß der Vorrat bald erschöpft ist,« bat er, als sie das Coupé bestieg.
Sie hatten einander noch unendlich viel zu sagen, aber das meiste mußte zu ihrem Leidwesen unausgesprochen bleiben, denn das Zeichen zur Abfahrt wurde gegeben. »Ich empfehle Ihrem Schutze meine liebe Constanze,« rief Adalbert noch Frau Lindheim zu, die ihm mit eifrig bestätigendem Kopfnicken die Hand zum Wagenfenster hinaus entgegenstreckte. Und jetzt läutete es zum zweiten Mal, ein Klappen der Coupéthüren, die hinter den letzten Einsteigenden zugeworfen wurden, ein Rufen und Grüßen und Abschiednehmen übertönte die letzten innigen Worte, die die Liebenden noch wechseln konnten. Dann setzte der Zug sich in Bewegung und war bald den Blicken der auf dem Perron Zurückgebliebenen, die ihm mit Wehmut im Herzen nachschauten, entschwunden.