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– In großen Laufbahnen, fing ich an, habe ich immer beobachtet, wie sich Männer, die ihre Kreise verlassen haben, zwischen alten Freunden und erzwungener Einsamkeit verhielten. Da enthüllt sich ein Stück Charakter. Was tut man also im Konflikt zwischen Menschlichkeit und Autorität? Kommt man bei einer solchen Distanzierung nicht aus den Tropen an den Nordpol? Was geschieht, wenn ein alter Kamerad diesen Saal betritt? Und wie entbehren Sie die früher gewohnte Debatte? Sie haben einmal den schönen Satz geschrieben: Wir sind stark, weil wir keine Freunde haben. –
Mussolini blieb in seinem Sessel unbeweglich, aber eine bestimmte und seltene Art, den Fragenden mit reinem, beinah kindlichem Blicke anzusehen, verriet mir eine innere Bewegung, die bei diesem Thema natürlich war. Ich sah bald, daß er kälter antwortete, als er empfand, und daß er noch die Hälfte verschwieg, als er langsam anfing:
»Ich kann keine Freunde haben. Ich habe keine. Erstens wegen meines Temperamentes, zweitens wegen meiner Anschauung von den Menschen. Deshalb entbehre ich weder die Intimität noch die Debatte. Kommt ein alter Freund nach langer Zeit zu mir, so ist die Peinlichkeit gegenseitig, hebt sich also auf. Von weitem verfolge ich die Bahn meiner früheren Kameraden.«
– Und wenn sie Feinde werden und einen verleumden? fragte ich in Erinnerung an eigene Erfahrungen. Wer beweist Ihnen am meisten Treue? Und gibt es Angriffe, die Sie noch heut aufregen? –
Er blieb unbeweglich. »Sind aus Freunden später Feinde geworden, so kommt es darauf an, ob sie es öffentlich werden: dann bekämpfe ich sie. Andernfalls interessieren sie mich nicht. Als mich einige Mitarbeiter in der Zeitung anklagten, ich hätte Gelder für Fiume unterschlagen, – ja, da wurde diese Infamie ein Motor meiner Misanthropie. Die Treusten leben in meinem Herzen, aber meistens sind sie weit entfernt. Daher! Das sind die Leute, die nichts haben wollen, nur selten aus Begeisterung an diesen Tisch kommen und nur für einen Augenblick.«
– Würden Sie diesen oder andern Personen Ihr Leben anvertrauen? fragte ich. Einige haben Sie lebenslänglich in den Gran Consiglio berufen. –
»Drei, und nur für drei Jahre«, sagte er trocken.
– Bei dieser inneren Situation frage ich mich, wann Sie einsamer waren: als Jüngling mit schmachtenden Augen und bitteren Briefen, wo Sie und d'Annunzio sich ähnlich sahen, oder zwischen Ihren Parteigenossen, oder heute? –
»Heut,« sagte er ohne Zögern. Und dann nach einer Pause: »Aber auch früher hat niemand Einfluß auf mich gehabt. Im Grunde war ich immer allein. Heut bin ich dazu mehr Gefangener als im Gefängnis.«
– Wie können Sie das sagen! rief ich ihm ärgerlich zu. Niemand in der Welt darf das mit geringerem Rechte! –
Er wurde durch meine Erregung aufmerksam und fragte:
»Warum?«
– Weil niemand in der Welt die Macht mit größerer Freiheit handhabt! rief ich wieder. – Er machte eine beschwichtigende Bewegung und sagte:
»Ich grolle ja auch nicht mit meinem Schicksal. Aber in gewissem Sinn bleibe ich doch dabei: der Kontakt mit den menschlichen Dingen, das improvisierte Leben in der Menge ist mir in meiner Stellung heute versagt.«
– Warum gehen Sie dann nicht einfach spazieren? –
»Da müßte ich mich maskieren, sagte er. Als ich einmal die Via Tritone entlangging, waren gleich dreihundert Leute um mich her, daß ich nicht mehr weiterkam. Aber ich ertrage sie gut, diese Einsamkeit.«
– Wie können Sie dann die Menge der Gesichter ertragen, fragte ich, die hier täglich an Ihren Augen vorüberziehen? –
»Dadurch, erwiderte er, daß ich in ihnen nur sehe, was sie mir sagen. Meinen Geist lasse ich sie nicht berühren. Sie erschüttern mich nicht mehr als dieser Tisch und dieses Papier. Ich bleibe unter ihnen vollkommen einsam.«
– Und bei all dem, fragte ich, fürchten Sie nicht das Gleichgewicht zu verlieren? Entsinnen Sie sich der Cäsaren, die da unten auf dem Forum während des Triumphzuges einen Sklaven in die Biga steckten, um sie an die Nichtigkeit aller Dinge zu erinnern? –
Er nickte lebhaft: »Dieser Junge mußte dem Cäsar suggerieren, daß er ein Mensch sei und kein Gott. Dergleichen ist heut nicht mehr nötig. Ich wenigstens habe solche Einbildungen nie verspürt und mich immer als äußerst sterblicher Mensch gefühlt, mit allen Schwächen und Leidenschaften.« Dann fuhr er kühler fort: »Sie kommen wiederholt auf die Gefahr zurück, die im Mangel einer Opposition liege. Diese Gefahr bestände, wenn die Zeiten ruhig wären. Heut liegt die Opposition in den Problemen selber, in moralischen, ökonomischen: alle sind sie erschüttert, und das hält einen Führer immer wach. Außerdem – und er machte eine Pause –, außerdem erschaffe ich mir die Opposition in meinem Innern.«
– Ich höre Lord Byron, sagte ich. –
»Ich lese Byron und Leopardi immer, sagte er. Und wenn ich die Menschen satt habe, so gehe ich aufs Meer. Am liebsten lebte ich immer nur auf dem Meere! Kann ich das nicht, so halte ich mich an die Tiere. Ihr Seelenleben nähert sich dem des Menschen, und doch wollen sie nichts von ihm: Pferd, Hund und namentlich mein Lieblingstier, die Katze. Oder ich beobachte die wilden Tiere. Da sind noch elementare Kräfte der Natur!«
– Braucht man, fragte ich nach diesem misanthropischen Bekenntnis Mussolinis, braucht man zum Regieren wirklich mehr Menschenverachtung als Humanität? –
»Umgekehrt! sagte er lebhaft. Man braucht 99 Prozent Humanität und nur 1 Prozent Verachtung.«
Ich war überrascht, und um auch hier keinen Zweifel zu lassen, fragte ich nochmals: – Verdienen also die Menschen mehr Mitleid oder mehr Verachtung? – Er sah mich auf seine dunkle Art an und sagte leise:
»Mehr Mitleid. Viel mehr Mitleid.«