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Rom und die Kirche

Bevor ich das Gespräch auf die Kirche brachte, ging ich zu einem römischen Geistlichen, der in den Verhandlungen vor und nach der Versöhnung eine große Rolle gespielt hatte. Der Unterschied im Gesprächston war katastrophal. Dieser ehrwürdige Priester tat, als wüßte die Welt nichts von den Schwierigkeiten und Zerwürfnissen, die zwischen beiden Mächten wirkten. Er verschwieg sie beinahe ganz in der Vergangenheit und völlig in der Gegenwart. Es war der mächtige, demütige Jesuit, den wir aus Schillers Dramen oder aus französischen Romanen kennen.

Als ich zur weltlichen Macht zurückkehrte, fing ich mit Cavours Stichwort an: »libera chiesa in libero stato« (freie Kirche im freien Staate) und fragte Mussolini, ob er das annähme.

»Unrealisierbar mit der katholischen Kirche, sagte er. Prüft man es genau, so verliert es seinen Sinn. Möglich ist nur entweder volle Trennung beider Mächte, der Staat ignoriert die Kirche, oder er regelt mit ihr die gemeinsamen Sachen. Beide haben dieselbe Materie vor sich, den Menschen, einmal als Gläubigen, einmal als Bürger. Ich habe es auf verschiedene Arten versucht. Im Jahre 23 wollte ich den Popolari 5 Sitze in der Regierung geben. Don Sturzo hat es verdorben. Er glaubte, mit mir das alte Spiel wie mit Giolitti weiterspielen zu können. Da habe ich ihn hinausgeworfen.«

Diese oder eine ähnlich starke Wendung hat Mussolini sonst niemals von einem Feinde gebraucht; ich schloß, daß er sich sehr an ihm geärgert haben mochte.

– Warum haben Sie aber die Einigung noch weitere fünf Jahre verschoben? fragte ich. –

»Das war nötig, sagte er, um alle Dinge zu klären. Sie sind immer sehr delikater Natur. Wenn aber die Kirche vollends in der Hauptstadt sitzt, dann wirkt sich die Delikatesse auch noch geographisch und topographisch aus. Eine Hauptstadt und zugleich eine Stadt, die einem andern gehört! Wenigstens 44 Hektar!«

– Den Plan des Vatikanischen Staates, sagte ich, hat mir im Jahre 20 der deutsche Padre Ehrle an seiner Karte entwickelt, der jetzige Kardinal. Damals grollte ihm Papst Benedikt wegen seiner Veröffentlichung während des Krieges. Wissen Sie, daß Sie etwas in der Geschichte Neues bei diesen Verhandlungen gemacht haben? (Er blickte mich fragend an.) Es ist sicher das erstemal, daß zwei unabhängige und allein entscheidende Regenten drei Jahre lang in derselben Stadt miteinander verhandelt haben, ohne einander jemals mit Augen zu sehen. –

Er lachte leise vor sich hin, verschwieg einen Gedanken und sagte dann:

»Jetzt habe ich den Papst besucht.«

Ganz Rom unterhielt sich damals darüber, daß Mussolini gekniet und dem Papste die Hand geküßt habe. Da ich ihn nach der Versöhnung einmal voller Groll gegen den Papst gefunden hatte, so glaubte ich das Gerücht zunächst nicht und kam jetzt auf diese, zur Menschenkunde äußerst wichtige Frage auf einem Umweg zu sprechen:

– Ich habe die beiden letzten Päpste besucht, die die Formen ganz verschieden ausführten. Da fragte ich mich, ob ein Mann von einigem Stolze, wenn er nicht gläubig ist, sich diesen Formen überhaupt unterziehen darf. –

Mussolini erwiderte: »Im allgemeinen befolge ich die Regeln eines Landes, wenn ich dort Gast bin. Hier habe ich mich vorher von der Pflicht zu knieen und vom Handkuß ausdrücklich befreien lassen.«

– Glauben Sie, fragte ich weiter, daß ein religiöser Staatsmann mit der Kirche leichter zusammen lebt als ein anderer? –

»Da muß man zwischen Gläubigen und Kirchengängern unterscheiden, erwiderte er. Wenn der Staatsmann in der Religion der Mehrheit seiner Landsleute innerlich lebt, so wird das ein besonderes Element der Kraft und Übereinstimmung. Aber die Teilnahme am Kultus, das ist eine persönliche Sache. Der Minister zum Beispiel, der jetzt eben die Jesuiten aus Spanien ausgeschlossen hat, geht jeden Tag zur Messe.«

– Sie haben, sagte ich, in der Jugend die schönsten Dinge im Sinne Nietzsches geschrieben, zum Beispiel: »Als Rom unter die Macht Jesu fiel, ging das Geschlecht der Herrscher zugrunde, vielleicht das einzig Große in der Geschichte.« Ein andermal schrieben Sie vom Christentum, es habe das Europa von heut impotent zum Wollen, aber zugleich doch nicht reaktionär genug gemacht, um den Feudalismus zu verteidigen. Schließlich sagten Sie, jetzt kämen freie, einsame, kriegerische Geister, mit einer gewissen edlen Perversion, um vom Altruismus loszukommen. –

»Der letzte Satz ist von Nietzsche«, warf er ein.

– Er ist von Ihnen, sagte ich, und wir stritten mit einiger Heiterkeit über die Autorschaft; doch dann faßte er sogleich das Problem auf seine Art an: unerschrocken und ohne etwas zu verschleiern. Er sah und sann dabei vor sich hin, der Staatsmann kämpfte mit dem Revolutionär und der mit der Kirche versöhnte Chef der Regierung mit seinem eignen trotzigen Gemüte;

»Da bin ich in einer schwierigen Lage, fing er an, denn der historische Standpunkt ist hier anders als der religiöse. Die Römer waren beati fortes. Später waren sie debiles et ignorantes. Die Letzten werden die Ersten sein. Sklavenrevolte. Natürlich hat Nietzsche recht.« Und nach einem völlig unhörbaren Seufzer, nach einer Pause fuhr er fort: »Sehe ich aber das Ganze an, so sind die Vorteile doch vielleicht größer gewesen als die Nachteile. In gewissem Sinn war der Einfluß des Christentums doch nützlich. Eine Phase von Fortschritt in der Geschichte der Menschheit.«

– Durch ein Mißverständnis der Lehre, warf ich ein. –

»Wahrscheinlich«, sagte er ruhig und schien sich monologisch noch weiter in den Gegenstand zu vertiefen. »Petrus war doch nur eine Art Propagandist. Als aber der Heilige Paulus hierherkam, der wahre Gründer der christlichen Kirche, der wahre Organisator, sonderbar! – Vorzügliche Briefe. – Bedeutsame Verwandlung vom Jüdischen her. Bis zum Jahre 69 oder 70 war es ja alles Judentum in Jerusalem, Alexandrien, Saloniki. Dann kommt plötzlich die Trennung, die Juden trennen sich. Und die neue Religion geht zu den Römern über, zu den Heiden. Niemand weiß, wie es kam, daß in einem besonderen Augenblicke die Juden Christus nicht mehr anerkannt haben. Ich habe einen Rabbiner befragt, er hat mir nicht geantwortet. Merkwürdig: erst wird eine Tat Legende, dann wird sie Ketzerei. So geht es immer. Wäre das Christentum nicht ins kaiserliche Rom gekommen, es wäre eine jüdische Sekte geblieben. Das ist meine tiefe Überzeugung. Man muß hinzufügen, daß alles durch die Vorsehung vorbereitet war. Erst das Kaisertum, dann die Geburt Jesu, Paulus nach langem Sturme nach Malta verschlagen und dann hierher gelangend. Jawohl, so war es vorbestimmt, durch eine Vorsehung, die alles leitet.«

Ich sah Mussolini in diesem Augenblick auf neue Art. Mit keinem Teil und Ort der Geschichte hat er sich so viel beschäftigt wie mit Rom: so empfindet er sich als ein Stück römischer Geschichte. Davon zeugte der Ausdruck seiner Züge während dieser letzten Sätze.

Ich unterbrach deshalb sein Nachdenken nicht, bis er seinen Kopf hob, mich freundlich ansah, eine neue Frage erwartend.

– Goethe, sagte ich, und später Mommsen haben von der Universalidee gesprochen, die sich in Rom verkörpert. –

»Deshalb, sagte er jetzt in verändertem, mehr logischem Tonfall, deshalb wäre es für die deutsche Geschichte vielleicht besser gewesen, Hermann hätte die Schlacht im Teutoburger Walde verloren. Ich glaube, es war Kipling, der schrieb: die Völker, die die Schule Roms nicht durchgemacht haben, gleichen Jünglingen, die nicht in der Schule waren.«

– Aber heute, sagte ich, wie können Sie heute daran denken, Rom noch einmal zum Zentrum der Welt zu machen? –

»Zentrum der Welt ist es nur in dem Sinn, daß es die meiste Geschichte hat. Jerusalem und Rom: was käme daneben noch in Betracht?«

– Ich habe in ähnlichem Sinn einmal ein römisches Diktum von bedeutenden Lippen vernommen, sagte ich und verschwieg den Autor, um mein Gegenüber noch nicht zu beeinflussen: »Es ist Luther gewesen, der den Krieg verloren hat.«

»Interessant. Wer hat Ihnen das gesagt?«

– Der vorige Papst, Benedikt XV. –

»Das – war überhaupt ein großer Papst«, sagte er.

– Zu Weihnachten habe ich die Kirchen Roms mit Menschen vollgestopft gefunden. So war es auch in Rußland bis vor kurzem. Und jetzt, nach einem Jahrzehnt, sind die Kirchen dort bereits leer. Glauben Sie an die Fortdauer des Glaubens? –

»Wenn ich nach Spanien blicke, sagte er, so sehe ich die tiefe Krise, in der er sich befindet. Auch in Spanien waren die Kirchen früher überfüllt. Es gibt auch heute noch Religiosität, aber sie ist mehr oberflächlich als substantiell. Andrerseits muß man anerkennen, daß der Krieg und die Krise in gewissen Naturen einen religiösen Sinn erzeugt oder kräftigt. Einige Individuen, auch Offiziere, auch ein deutscher Fürst, sind grade jetzt religiös geworden. Bei den Millionen ist es heut mehr eine Gewohnheit.«

– Neulich haben Sie Cäsar herausgehoben, aber Jesus über ihn gestellt. Ich habe mich nicht verhört? –

»Cäsar kommt nach ihm, erwiderte er überzeugt. Jesus ist der Größte, denken Sie doch! Eine Bewegung zu entfesseln, die 2000 Jahre dauert! 400 Millionen Anhänger, darunter Dichter und Philosophen! Dieses Beispiel bleibt ewig! Und von hier ist es ausgestrahlt! Merkwürdig ist bloß, daß grade die menschlichsten römischen Kaiser die Christen am schärfsten verfolgt haben.«

– Als ich gestern auf dem Kapitol den Marc Aurel reiten sah, sagte ich, da fiel mir ein Wort von ihm ein, das ich unter merkwürdigen Umständen, nämlich in der Villa von Cecil Rhodes bei Kapstadt als Sinnspruch angeschrieben fand: »Bleibe eingedenk, daß du ein Römer bist. Nimm dich in acht, daß du auch ein Kaiser bist.« –

Mussolini hörte diese Worte mit Erstaunen, was seine aufgerissenen Augen andeuteten. Dann wiederholte er halblaut: »Nimm dich in acht, daß du auch ein Kaiser bist!« Und er schlug ein leises, unheimliches Lachen an.


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