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Schule des Soldaten und Journalisten

– Die Dienstzeit, sagte ich, hatte bei uns in Preußen trotz allen Drills eine solche Anziehung, daß der röteste Sozialist nachher beim Bier von der entschwundenen Jugend beim Militär sang. Sie aber haben sich, wie ein Brief von Ihnen beweist, als Soldat so leidenschaftlich für das Vaterland begeistert, wie ich es von keinem deutschen Sozialisten im Frieden gehört habe. Anstatt auf die Vorgesetzten zu schimpfen, was doch jeder Italiener mindestens damals tat, erklärten Sie, der beste Soldat sein zu wollen. Aus Stolz oder um die sozialistische Ehre zu retten? –

»Aus beiden Gründen, erwiderte er. Ich war als Soldat wirklich ein Modell. Einen Gegensatz zum Sozialismus habe ich darin nie empfunden. Warum sollte ein guter Soldat nicht zugleich Klassenkämpfer sein? Gegen ihre Vorgesetzten sind die Italiener noch heute. Das gibt eine gute Kontrolle. Übrigens soll man gehorchen lernen, bevor man befiehlt.«

– Ich sehe nicht, warf ich ein, daß Sie im Leben irgendwann gehorchen mußten. –

»Jedenfalls beim Militär«, sagte er, denn andere Epochen konnte er wirklich nicht finden.

– Und heute, nach 15 Jahren, halten Sie den Krieg noch immer für ein Mittel der Erziehung, als wäre er noch ein Duell? Sie halten daran fest, daß ein Mann wie Sie in den Schützengraben gehört und nicht an den Schreibtisch, und würden in Zukunft einen Mann von ähnlichen Fähigkeiten sich ebenfalls darin verbrauchen lassen? –

Ich sah, daß er mich beobachtete, denn bei dieser Frage verliere ich die Ruhe und gebe meinem Partner Gelegenheit, sich um so fester zu bewähren. Er drehte sich auf seine Art im Sessel herum, worauf er gern die Fingerspitzen gegeneinander legt. Mussolini hat schöne Hände, und ich habe das gleiche bei anderen Diktatoren gefunden. Er sagte:

»Was ich mit einem solchen Manne machen würde, das hängt von den Ereignissen ab. Was das Duell betrifft, das ist natürlich die ritterlichere Form, ich habe mehrere durchgefochten. Die Schule des Krieges aber ist doch eine große Erfahrung. Da sieht man den Menschen nackt in der Realität. Jeden Tag heißt es, jede Stunde: leben oder sterben. Da habe ich gesehen, was der Italiener für ein guter Soldat ist. Für uns war das die erste große Probe seit einem Jahrtausend. Jawohl! Trotz aller Kriege zwischen den Staaten und den Städten Italiens hat unser Volk als ein ganzes seit dem Ende des römischen Kaiserreiches keinen Krieg mehr gemacht. Nicht einmal beim Fall der Republik Florenz, und das sind auch schon 400 Jahre. Erst Napoleon hat dieses Volk in Waffen erprobt und war mehr als zufrieden.«

Da ich beschlossen hatte, seinem Widerspruche niemals auf's neue zu widersprechen, – denn wir debattierten nicht, um einander zu überzeugen, sondern sprachen, damit ich ihn kennenlernte, – so kehrte ich zum Schützengraben zurück und sagte:

– Mich wundert, daß gerade Sie das gemeinschaftliche Leben durch Jahr und Tag ertragen haben. Unser großer Dichter Dehmel, der freiwillig in den Krieg ging, sagte mir, das schwerste war, man war nie allein. –

»Auch für mich, sagte Mussolini. Dafür hat man neben allem anderen Verteidigung und Angriff gelernt.«

– Buchstäblich oder symbolisch? Haben Sie genug Strategie lernen können, um sie später beim Marsch auf Rom zu benutzen? –

»Doch, etwas. Den Marsch in drei Diagonalen haben wir zusammen mit den Generälen entworfen, wenn ich auch nicht geführt habe.«

– Sie hatten das Glück, ohne Schlachten zur Macht zu kommen, sagte ich. Wenn Sie aber jetzt eines Tages in einen Krieg rutschten, und irgendein General ist unfähig und verliert die Schlacht? – Mussolini machte sein ironisches Gesicht:

»Wenn? Und –?«

– Und macht Ihnen das großartige Werk kaputt, an dem Sie seit so vielen Jahren arbeiten! –

»Sie sehen doch, sagte er plötzlich sehr ernst, daß ich ihn in all diesen Jahren vermieden habe.« Ich war zu weit gegangen und kam auf das Persönliche zurück, indem ich fragte, ob er schwer verwundet war.

»Nicht mehr transportabel, sagte er. Irgend jemand hatte in die Zeitung geschrieben, wo ich liege. Da haben die Österreicher das Lazarett beschossen. Alle Kranken bis auf drei wurden weggebracht. Mehrere Tage lang mußte ich jeden Augenblick damit rechnen, in die Luft zu fliegen.«

– Ist es wahr, fragte ich, daß Sie sich bei der Operation nicht chloroformieren ließen? –

Er nickte. »Ich wollte sehen, wie es die Ärzte anstellen.«

– Sie sind eine Ausnahme. –

»Nein, insistierte er. Es gab damals viele Jünglinge, die mit Begeisterung in den Tod gingen.«

– Aber die Millionen! Sind die alle begeistert gefallen? Woher kommt es dann, daß ein Krieg von solchem Ausmaß keine einzige Dichtung hervorgebracht hat, wie die Kriege, die aus Rache oder um Freiheit oder um den Schein derselben geführt worden sind? Und kann überhaupt eine pathetische Stimmung jahrelang erhalten werden? –

»Nein, sagte er. Und was die Dichtung betrifft, so war der Krieg zu groß und die Menschen waren zu klein.«

– Kann also der Gaskrieg von morgen, der eine persönliche Verteidigung überhaupt nicht mehr ermöglicht, viel weniger einen Akt des Mutes, – kann er noch immer als Schule der Jugend gelten, die unersetzbar ist? –

»Nicht unersetzbar. Es bleibt aber eine große Nervenübung, im Kugelregen zu stehen. Es hat eine moralische Wirkung, das Zittern zu verlieren.« Ich ging, da wir uns hier doch nicht verstehen konnten, zum Journalismus über und fragte, ob er viel dabei gelernt habe.

»Sehr viel, erwiderte er und nahm einen schnelleren, wärmeren Ton an, wie jemand, der auf die Höhepunkte seiner Jugend zurückblickt. Für mich war die Zeitung die Waffe, die Fahne, eigentlich die Seele. Ich habe sie einmal mein Lieblingskind genannt.«

– Und heute? Wenn Sie den Journalismus für eine so hohe Schule halten, warum knebeln Sie ihn? –

»Heut ist er's nicht mehr wie vor dem Kriege, sagte er entschieden. Heute dienen die Zeitungen Interessen, nicht mehr Ideen, wenigstens die meisten. Wie sollten sie da Den moralisch erziehen, der sie schreibt? Technisch dagegen ist der Journalismus noch immer ein Erzieher für Diplomaten und Staatsmänner, denn er gewöhnt an rasche Auffassung und an die Veränderlichkeit der Lage. Aber zum Journalismus muß man jung sein.«

– Fürst Bülow hat mir einmal das französische Wort zitiert: »Le journalisme mène à tout, pourvu qu'on en sorte.« Wenn Sie aber selber durch Ihre Zeitung so viel gelernt haben und Ihre Leser erst recht, finden Sie nicht, daß jede Zensur dies Stück produktiver Kritik zerstört? –

»Das ist eine Illusion, sagte er lebhaft. Erstens – er suchte eine Zeitung – ist gestern hier in diesem Blatte eine meiner Verordnungen scharf angegriffen worden. Zweitens schreiben sie unter Pressefreiheit auch nur, was die Großindustrie oder die Banken gedruckt sehen wollen, die die Zeitung bezahlen.«

– Zu der Zeit, sagte ich, als Sie Interviews machten, vor 20 Jahren, war es vielleicht besser. Haben Sie Physiognomien dabei studiert? Und haben Sie sich vorbereitet, wie ich? –

»Natürlich, sagte er, zum Beispiel, als ich Briand in Cannes interviewte. Bald darauf sahen wir uns als Minister wieder. Physiognomist war ich immer. Und heute, wo ich eher noch mehr Zeitungen lese als früher, denke ich mir manchmal, das hätte der Esel doch besser schreiben können. Besonders, wenn ich Angriffe lese.«

– Lesen Sie viel? –

»Alles, sagte er, besonders die Zeitungen der Feinde. Ich sammle auch Karikaturen, ich habe ganze Bände voll.«

– Dergleichen gibt es auch schon von Ihnen und mir, sagte ich. Auf einer deutschen Zeichnung sitze ich Ihnen rittlings dort auf der Schulter. – Mussolini lachte und sagte:

»Die Karikatur ist wichtig und nötig. Da heißt es bei Euch immer, hier herrscht Tyrannei. Haben Sie Trilussos Satiren gelesen? Die sind böse, aber so geistvoll, daß ich sie freigab.«

– Heute, fragte ich, wo Sie die Probleme aus dem Flugzeug überschauen können, finden Sie sich nachträglich ungerecht als Kritiker? Oder haben Sie damals schon konstruktiv geschrieben? –

»Ich habe damals auch Vorschläge gemacht, sagte er, aber erst heute kann ich die Probleme übersehen und bin deshalb im Urteil über meine Kollegen milder.«

– Und wenn Sie heute Artikel schreiben, sind Sie gemäßigter als früher? –

Er sah mich böse an und sagte:

»Ich kann nur heftig und entschlossen schreiben.«

– Damals, fragte ich, als Sie jahrelang mit aller Heftigkeit nichts erreichten, dachten Sie, dies alles wäre nur ein Vorspiel? –

Sein Gesicht entspannte sich wieder. In solchen Augenblicken öffnet er die Augen so weit, als wollte er mit ihnen das Licht einatmen.

»Bei allem, sagte er dann, was ich tat und besonders, was ich erlitt, hatte ich das bestimmte Vorgefühl, für etwas Wichtiges erzogen zu werden.«


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