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»Die höchste unter allen Künsten, sagte Mussolini, ist für mich die Architektur, denn sie faßt alles zusammen.«
– Sehr römisch, warf ich ein. –
»So bin ich auch, fuhr er fort. Griechenland hat mich nur von der Seite der Philosophie angezogen.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Und dann vom Drama her. Das Drama hat mich immer am stärksten aufgeregt. In der Jugend liebte ich Schillers Tell, ich habe auch darüber geschrieben. Natürlich machte ich selber Stücke. Diese Entwürfe sind aber nie fertig geworden. Eines hieß ›Die Lampe ohne Licht‹, es war ein soziales Stück im Sinn Zolas und sollte das Schicksal eines armen, blinden Kindes darstellen. In einem anderen, ›Der Kampf der Motore‹ wurde ein Fabrikgeheimnis gestohlen und an diesem Vorgang der Kampf der Arbeit gegen das Kapital versinnbildlicht.«
– Tut es Ihnen leid, fragte ich, oder sind Sie froh, daß die Sachen nicht geschrieben wurden? –
»Das sind Bücher, sagte er, in denen ich meine Ideen ordnen wollte. Da ist es wichtiger, daß sie entworfen, als daß sie ausgeführt werden.«
– Dafür, sagte ich, scheinen Sie heute umgekehrt Ihre Dramen für andere zu entwerfen. –
»Sie meinen das Napoleon-Stück? Das kam so. Ich las Ludwigs Napoleon, ließ darauf Forzano kommen und sagte ihm: Wenn noch keiner die Vorgänge auf dem Marsfelde im Frühling 1815 zum Ausgang eines Dramas gemacht hat, so hat man den stärksten Punkt übersehen. Dann schrieb ich ihm ein Scenarium auf. Nach der Lektüre eines Buches über Cavour machte ich dasselbe mit der Tragödie von Villafranca. Die Leute behaupten, es sei mehr Historie als Dichtung.«
– Mir bekannt, sagte ich. Als ich vor zehn Jahren das sogenannte Zeitstück mit einem dramatisierten Bismarck in Deutschland einführte, wurde ich von der Kritik zerzaust, aber das Stück ging über tausendmal vor einem lernbegierigen Publikum in Szene. Mich wundert, daß man hier den Film nicht stärker zur Propaganda benutzt. Der faschistische Film, den man im Ausland gezeigt hat, taugte gar nichts. –
»Darin sind die Russen vorbildlich, sagte Mussolini. Wir werden auch bald mehr Geld dafür haben. Der Film ist heute die stärkste Waffe.«
Ich ging auf Literarisches über.
– Vor 30 Jahren sollen Sie sich mit deutscher Literatur beschäftigt haben? –
»Zur Übung im Deutschen, sagte er, habe ich Klopstocks ›Messias‹ gelesen. Das ist das langweiligste Buch der Weltliteratur.«
– Warum, um Gottes willen, haben Sie denn den »Messias« genommen, den seit Klopstocks Zeiten noch nie ein Deutscher ausgelesen hat! –
»Ich machte noch andere Irrtümer, sagte er lächelnd. Unter dem Einfluß von Gomperz habe ich einen Abriß der Philosophie entworfen. Das ist alles verbrannt. Leider ist dabei auch eine bessere Monographie über die Anfänge des Christentums umgekommen.«
– Es gibt noch etwas besseres in Deutschland als Gomperz und Klopstock, sagte ich. Haben Sie eigentlich viel Goethe gelesen? –
»Nicht viel, sagte er, aber einiges gründlich. Vor allem Faust und zwar beide Teile. Ferner Heine, den ich sehr liebe, auch Platen, über den ich geschrieben habe. Von den modernen Dramatikern ist mir d'Annunzio am liebsten in der ›Tochter des Jorio‹ und in ›La Fiaccola sotto il moggio‹. Shaw bewundere ich, fühle mich aber durch seinen Willen zur Originalität manchmal gestört. Pirandello macht eigentlich, ohne es zu wollen, faschistisches Theater: die Welt ist so, wie wir sie machen wollen, sie ist unsere Schöpfung.«
– Sie lesen noch immer viel? Machen Sie sich Notizen? –
»Ich lese alles, sagte er. Manchmal notiere ich mir ein gutes Wort.« Er zog aus einer Schublade des großen Tisches ein rotledernes Tagebuch, zeigte mir, wie er täglich darin Aufzeichnungen machte, je eine halbe oder auch eine ganze Seite, sprach von dieser Gewohnheit, die er hier in Rom vor fast zehn Jahren angenommen hätte, blätterte und las, indem er einiges aussuchte, mit Pausen folgende Stellen aus den letzten Wochen vor:
»Das Buch über Robespierre über den Terror beendet ... Poincarés Buch über Verdun beendet. Seine Kritik der Italiener (folgen Notizen über die Haltung einiger italienischer Regimenter, mit Kritik) ... Ein Buch über Napoleon als Journalist angefangen ... Der ungarische Marsch in Berlioz ›Faust‹ gefiel mir gut ... Es ist ein Irrtum, daß die Deflation ein Grund der Krisis ist, sie ist eine Folge. Sie kommt von der Verbergung des Geldes. Sie wird nicht von den Regierungen gemacht, sondern von den Kapitalisten, die ihr Geld verstecken ... Briand gestorben. Er hat Italien nicht bekämpft. Er starb, als das offizielle Frankreich seine Politik der Verständigung zerstören wollte. So hat er sie ein Jahr überlebt. Voller Talente und Ideen, aber Poincarés Urteil ist richtig, daß er ein Bohémien war ... Das Buch von Siegfried über die englische Krise gelesen. Seite 195 sagt er, England ist wie ein Schiff, verankert in europäischen Gewässern, aber immer bereit, hinauszufahren ... Die Bank von San Giorgio in Genua: die erste Aktiengesellschaft der Welt ...«
Als er das Buch schloß und weglegte, kam ich auf seine literarischen Lehrer zurück und fragte ihn, ob er viel mit Dante gelebt habe.
»Eigentlich immer, sagte er. Er hat mir zuerst eine Vision der Größe gegeben, zugleich hat er mir die Höhe angezeigt, zu der sich die Dichtung erheben kann.« Plötzlich änderte er den platonischen Ton, setzte sich vor, schmunzelte und sagte mit zufriedenem Groll: »Darüber hinaus fühle ich mich ihm verwandt durch seine Parteileidenschaft, durch seine Unversöhnlichkeit. Dante hat seinen Feinden nicht einmal verziehen, als er sie in der Hölle wiedertraf!«
Bei solchen Geständnissen schiebt er den Unterkiefer mehr vor und scheint an bestimmte Erlebnisse zu denken.
– Das ist bismarckisch, sagte ich. Der sagte einmal: »Ich habe heute nacht nicht geschlafen. Ich habe die ganze Nacht gehaßt!« –
Er lachte, und ich fuhr fort, indem ich durch das Fenster auf die Piazza hinunterwies:
– Aber dort unten war einmal ein ganz anderer Lateiner: der hat sogar die Namen seiner Feinde vergessen! –
»Cäsar«, sagte Mussolini mit demselben dunklen und innerlich erregten Tonfall, in dem er schon zweimal diesen Namen ausgesprochen. »Der größte unter allen Menschen, außer Christus, die je gelebt haben. Man wollte ihm den Kopf seines Feindes Pompeius bringen, statt dessen bereitete Cäsar ihm eine großartige Leichenfeier. Ich bewundere diesen Charakter.« Und dann nach einer Pause, wieder grimmig: »Aber ich selber gehöre zur Klasse der Bismarcks.«
Um ihn aus seinem Groll zu heben, brachte ich ihn auf die Musik und erzählte ihm, Bismarck habe von der Musik bedeutungsvoll gesagt, sie errege in ihm die Gefühle entweder des Krieges oder der Idylle. –
»Stimmt genau, sagte er. Ob ich selber noch spiele? Seit zwei Jahren nicht mehr. Zuerst ist es eine Erholung, dann verbraucht es die Nerven. Nach einer halben Stunde Geigen bin ich beruhigt, nach einer Stunde aufgeregt. Das ist wie bei allen Giften. Die schönen Geigen, die man mir geschenkt hat, habe ich jungen Leuten gegeben, die Talent haben, aber kein Geld.«
– Für einen Mann des Willens, sagte ich, ist auch Wagner ein Gift, und nicht einmal ein süßes. Ich wette, daß Sie Beethovenianer sind. –
»Parsifal ist mir unerträglich, aber ich liebe den dritten Akt Tristan und den früheren, melodischeren Wagner, Tannhäuser und Lohengrin. Beethoven bleibt für uns Heutige doch eigentlich das Höchste, besonders die 6. und 9. Symphonie und die letzte Kammermusik. Und doch ist mir Palestrina und seine Schule irgendwie verwandter, obwohl sie zu Beethoven nur heranreichen.«
– Das würde kein Deutscher mitempfinden, sagte ich. Wie ist es möglich, daß die übernationalste, die immateriellste unter allen Künsten sich in ihren Wirkungen doch immer wieder rassenmäßig unterscheidet? –
»Natürlich, sagte er. Stecken Sie mich in einen dunklen Raum, neben dem gespielt wird, und ich glaube, ich werde unterscheiden: das ist deutsche Musik, das ist französische, italienische, russische. In ihrer Sprache ist die Musik international, in ihrem inneren Wesen ganz national. Ich halte sie sogar für den tiefsten Ausdruck einer Rasse. Das geht bis zur Ausführung. Verdi wird von uns nur besser gespielt, weil wir ihn im Blute haben. Hören Sie Toscanini, den größten Dirigenten der Welt!«
– Der ist das beste Gegenbeispiel, beharrte ich, soweit es die Ausführung angeht. Kein Deutscher dirigiert Beethoven so schön wie dieser herrliche Italiener, aber Verdi habe ich bei uns zuweilen besser gehört als hier. Übrigens hat Nietzsche, den die Alldeutschen in eine Blonde Bestie umfälschen, Carmen tiefer erfaßt, als irgendein Franzose, und Wagner, der am wenigsten Deutsche unter allen unseren Meistern, wird heute nur noch im Auslande von den Besten gefeiert. –
»Nur bei den Ausnahmen haben Sie recht, sagte er. Wagner macht wirklich keine germanische Musik. Auch Nietzsche, der sich auf polnische Ahnen zurückführte, war ganz ungermanisch, spottete stets über Preußen und das neue Kaiserreich, las in Basel griechische Philologie und war Lateiner aus Leidenschaft geworden. Beide halte ich für Ausnahmen. Im allgemeinen aber haben Sie unrecht.«
– Ich habe, sagte ich, immer gefunden, daß man nicht ungestraft das musikalischeste Volk der Welt ist. Die Deutschen, die ich dafür halte, sind dafür die unpolitischeste Nation geblieben, und die Engländer, die am wenigsten Musik in sich tragen, sind die politisch Begabtesten. – Er sah mich lächelnd an, war aber viel zu taktvoll, um diese doppelte Provokation zu bekämpfen, und sagte nur in höflichem Tone:
»Ich habe über beides meine Zweifel.«
Es war Zeit, daß ich wieder freie Bahn gewann, und so fragte ich ihn:
– Wenn Sie also gedichtet, geschrieben und Musik gemacht haben: glauben Sie, daß Sie zur Kunst zurückkehren könnten, wenn Ihnen einmal – unfreiwillige Muße aufgezwungen würde? –
Er schüttelte den Kopf:
»Zur Betrachtung kehre ich nicht mehr zurück. Ich bin ein westlicher Geist, im stärksten Sinn des Wortes. Ich sage mit Eurem Faust nicht mehr: Im Anfang war das Wort. Sondern durchaus: Im Anfang war die Tat!«
Er zitierte diese Worte in reinem Deutsch. Da ich ihn aber auf diesen entscheidenden Punkt festlegen wollte, fragte ich nochmals:
– Und Sie haben niemals Augenblicke der Sehnsucht: fort, fort von dieser Arbeit? –
»Nie«, sagte er bestimmt und schien durch seinen Blick dieses Geständnis zu beschwören.