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Die Durchfahrt

An drei Stellen wird das Flüßchen, das durch das Wiesenland zwischen dem Dorfe und dem Forste hinflutet, von Fahrwegen geschnitten, auf denen die Bauern das Heu von den Wiesen, das Holz aus dem Walde und den Torf von dem Moore abfahren.

Die beiden ersten Straßen gehen mit Brücken über das Wasser. Die dritte, die am weitesten von dem Dorfe entfernt ist und nicht so viel benutzt wird wie die beiden anderen, hat keine Brücke, sondern nur eine Durchfahrt. Damit die Fußgänger sich nicht nasse Füße zu holen brauchen, ist unterhalb der Strömung zu beiden Seiten das Ufer hoch aufgeschüttet und zwischen vier starken Pfählen eine lange, dicke Eichenbohle befestigt, die an der einen Seite mit einem einfachen Geländer versehen ist. Drei dicke Pfähle, einer immer einen halben Fuß höher als der andere, die dort eingerammt sind, wo der schmale Fußsteig sich aus dem Rasen den Anwurf hinaufwindet, bilden eine kunstlose Treppe. Auf der einen Seite des Steges hat sich Weidengebüsch angesiedelt, auf der anderen erhebt sich eine vom Winde zerzauste Eiche über dem Ellernstockausschlag zu ihren Füßen.

Obgleich sowohl das Brückchen als auch der Baum und die Büsche an und für sich in keiner Weise bedeutend sind, fallen sie in dem weiten, flachen Wiesengelände doch sehr auf und wirken viel größer, als sie in Wirklichkeit sind, zumal der Bach an dieser Stelle viermal so breit als in seinem übrigen Laufe ist und in regnerischen Zeiten beiderseits weit in den Weg hineinreicht. Da zudem in und bei dem Buschwerk die Blumen und das Schilf vor der Sense geschützt sind, der Mist der Pferde und Kühe, die hier die Wagen durchziehen, allerlei kleines Getier anlockt, auch die Fischbrut sich an den seichten Stellen sonnt und die Strömung totes und lebendiges Gewürm und auch wohl abgestandene Fische und verendete Mäuse anspült, so geht es bei der Durchfahrt immer lebhaft zu.

Abends, wenn die letzten Wagen durchgefahren sind, steht der Reiher gern vor dem Stege und lauert auf Fische. Späterhin streicht der Waldkauz vorbei und sieht zu, ob er nicht einen Häsling oder einen anderen Fisch greifen kann, der sich zu nahe an die Oberfläche wagt. Allnächtlich fallen die Wildenten dort ein und suchen Gewürm, und der Uferläufer kommt mit lautem Getriller angeschwebt, trippelt an dem Rande des Wassers umher und fischt nach den winzigen Krebstierchen, die in ganzen Wolken in dem Seichtwasser auftauchen, bis ein leises Plantschen ihn davontreibt, das von dem Otter herrührt, der auf der Jagd dort auftaucht und eine Weile auf dem Sande ausruht, ehe er wieder in den Bach gleitet.

Ist es dann Tag geworden, so kommen die Gabelweihen, die hinten im Walde horsten, angeschaukelt, denn sie finden ab und zu einen abgestandenen Fisch hier, und bevor die ersten Wagen erscheinen, fußt der Bussard auf dem Tritte und lauert auf die Wühlmäuse, die am Ufer hin und her huschen. Tag für Tag saust der Sperber um die Büsche herum, um zu versuchen, ob es ihm nicht gelingt, eine Bachstelze, einen Schmätzer oder einen Ammer zu fangen; meistens muß er aber leer abziehen, weil die Schwalben, die über der Furt ganz besonders gern jagen, ihn früh genug melden und mit schrillem Geschrei von dannen treiben. Genau so machen sie es mit dem Lerchenfalken, der sich ebenfalls ab und zu hier sehen läßt. Rüttelt aber der Turmfalke, der großen, grünen Heuschrecken wegen, die in dem Gesträuche zirpen, dort, so bleibt er unbelästigt von den wachsamen Vögeln, denn sie wissen, er tut ihnen nichts.

Am meisten machen sich die Krähen bei der Durchfahrt zu schaffen. Entweder gehen sie in der Wiese umher und fangen Grashüpfer und Käfer, oder sie waten in das niedrige Wasser hinein und sehen zu, was es dort für ihre Schnäbel gibt, oder sitzen eine neben der anderen auf dem Geländer, glätten ihr Gefieder und geben scharf acht, ob sich nicht etwas Verdächtiges nähert. Kommt ein Bauer an, oder ein Gespann, so fliegen sie stumm ein Endchen weiter und kehren bald zurück. Läßt sich aber der Förster sehen, so erheben sie einen gewaltigen Lärm, streichen zum Waldrande, fußen dort auf den Bäumen und warten, bis der Grünrock verschwunden ist. Läßt es sich der Habicht einmal einfallen, bei der Furt zu jagen, so fallen sie mit gellendem Geplärre über ihn her und treiben ihn von dannen. Um den Bussard und um die Kornweihe, die hier jeden Tag vorbeigaukelt, kümmern sie sich aber kein bißchen.

Allerlei Vögel tränken sich an dieser bequemen Stelle, Spatzen, Finken, Hänflinge, Grünlinge, Ammer, die wilden Tauben und manchmal auch der Häher. Auf der Eiche nimmt die Elster, die im Dorfe brütet, gern Platz, und zuzeiten auch der Raubwürger, der in dem alten Birnbaume im Felde sein Nest hat, denn er findet dort immer reichliche Beute, weil die dicken Bremsen gern über der Furt in der Luft stehen und auf die Gespanne warten. Haben sie sich dumm und faul gesogen, so setzen sie sich an das Geländer und sind leicht zu erwischen. Obgleich der Würger selbst ein Räuber ist und gern eine Maus oder einen Jungvogel faßt, so kann er es nicht leiden, wenn andere Räuber ihm in die Quere kommen. Er warnt vor dem Habicht und dem Sperber, sobald er sie gewahrt, und stößt auf sie, kommen sie näher, und wenn eine Dorfkatze an die Durchfahrt kommt, um einen Fisch zu erbeuten, so belästigt er sie so lange, bis sie wieder davonschleicht. Ebenso macht er es, wenn das Großwiesel, das in dem hohlen Ufer wohnt, sich blicken läßt, um zu dem Neste des Sumpfrohrsängers oder der Zwergmaus, die in dem Weidenstrauche stehen, zu gelangen.

Ab und zu sucht der Storch auch die Ufer der Furt ab, teils der Ukleis wegen, die an den Ausbuchtungen laichen und dann ganz dumm und unvorsichtig sind, oder der großen, grünen Frösche halber, die dort auf Fliegen, Bremsen und besonders auf die blauen, grünen, gelben, braunen und roten Wasserjungfern lauern, die massenhaft um die Schilfhorste flattern oder kreuz und quer über den Wasserspiegel flirren. Sobald sich aber die Ringelnatter blicken läßt, plumpsen die Frösche eilig in das Wasser und verbergen sich im dichtesten Gekräute, doch erwischt die Schlange dann und wann einen von ihnen, macht aber auch auf die Fische Jagd. Hat sie einen erbeutet, so schlängelt sie sich mit hochgehaltenem Kopfe, den Fisch im Maule, durch das Wasser nach dem Ufer, wo sie ihren Raub hinunterwürgt. Unter den mit blauen und weißen Glöckchen geschmückten Beinwellstauden sonnt sie sich dann auf dem warmen Sande. Wenn sich aber ein Wagen oder ein Mensch naht, so schlüpft sie in das lange Gras.

Der schönste von allen Besuchern der Durchfahrt ist der Eisvogel, der fast jeden Tag auf der Bohle oder dem Geländer sitzt und auf Beute wartet. Streicht er den Bach aufwärts seinem Neste zu, das er an der steilen Wand des Mühlenkolkes unter den alten Ellern hat, dann sieht es aus, als flöge ein großer Kolibri dahin, so blitzt und funkelt das Gefieder des kleinen Fischers. Der lustigste Vogel aber, der an der Furt sein Wesen treibt, ist die Bergbachstelze, die ebenfalls bei der Mühle brütet. Sie hat sich erst vor einigen Jahren hier angesiedelt, und wenn sie auch fast so aussieht wie die Kuhstelze, so ist sie doch viel fröhlicher als diese und dient dem Plätzchen ebenso zum Schmucke, wie die weiße Bachstelze, die sich gleichfalls hier jeden Tag einstellt, hurtig auf dem Stege umhertrippelt und nach Fliegen springt.

Im Spätherbste und Winter, wenn die Wiesen unter Wasser stehen und der Wagenverkehr bei der Durchfahrt bis zum Vorfrühling aufhört, schweben oft durchreisende Möwen dort hin und her und suchen nach Futter, und mancherlei nordische Enten und Taucher lassen sich da nieder, weil sie von da aus weiten Blick haben und deshalb vor dem Jäger sicher sind.

Nur wenn starker Frost die Wasserfläche zum Zufrieren bringt, ist es still und öde da, und einzig und allein die Krähen sitzen trübselig auf dem Geländer oder hacken an einem eingefrorenen Fische auf dem Eise herum.

Kommt aber der Frühling in das Land, taut das Eis, schmilzt der Schnee, läuft das Wasser ab, sprießt das Gras und blühen die gelben Kuhblumen an dem Flüßchen, dann beginnt bei der Durchfahrt wieder das bunte, lustige Leben.


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