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Die Heide

Im Spätherbst, als das rosenrote Seidenkleid der Heide immer mehr verschoß, wurden die Stadtleute ihr untreu.

Wochenlang waren sie bei ihr zu Gast gewesen, waren auf und ab gezogen in ihrem Bereiche, hatten ganze Arme voller rosiger Heidsträuße mitgenommen, hatten auf das überschwenglichste von ihr geschwärmt und waren dann fortgeblieben.

Sie wußten nicht, wie schön die Heide spät im Herbst ist, wenn ihr bräunliches Kleid mit silbernen Perlchen bestickt ist, wenn die Moorhalmbüschel wie helle Flammen leuchten, die Brunkelstauden feuerrot glühen und die Hängebirken wie goldene Springbrunnen auf die dunklen Jungföhren herabrieseln.

Die Leute meinen, tot und leer und farblos sei es dann dort. Sie wissen nichts von den knallroten Pilzen, die im seidengrünen Moose prahlen, von den blanken Beeren an den bunten Brombeerbüschen, von den goldgelben Faulbaumsträuchern und den glühroten Espen vor den düsteren Fichten, von den mit purpurnem Riedgrase besäumten, blau blitzenden Torfgruben und von dem lustigen Leben, das zwitschernd und trillernd, pfeifend und kreischend über alle die bunte Pracht hinwegzieht.

Sie ahnen es auch nicht, wie herrlich die Heide selbst dann noch ist, wenn die Birken ihren goldenen Schmuck verlieren und die Eichen ihr bronzenes Laub fahren lassen müssen. Viel farbiger als der Buchenwald ist wintertags die Heide, sei es, daß der Schnee sie verhüllt, von dem dann die ernsten Föhren, die unheimlichen Wacholder und die silberstämmigen, dunkelästigen Birken sich feierlich abheben, oder daß Rauhreif ihr ein zartes Spitzenkleid schenkt, das die Farben der Bäume und Büsche weicher und feiner macht, und das in der Sonne wunderbar glimmert und schimmert. Sogar dann, wenn der Nordweststurm seine zornigsten Lieder singt und die Sonne blutrot in gespenstigen Wolken hinter den blauen Wäldern untertaucht, hat die Heide Schönheiten, die andere Landschaften nicht darbieten. Aber nicht viele Menschen wissen das.

Und jetzt, da die Zeit herankommt, daß die Heide sich zum Frühlingsfeste rüstet, nun sie ihr fröhlichstes Kleid anlegt, da bleibt sie allein für sich, denn die Menschen in der Stadt haben keine Kunde davon, wie lieblich sie ist in ihrer Bräutlichkeit. Wie ein stilles, halb verlegenes, halb schalkhaftes Lächeln in einem schönen, ernsten Frauengesicht ist das Aufwachen des Frühlings im Heidlande, langsam bereitet es sich vor, fast unmerklich tritt es in Erscheinung durch schüchtern sprießende Gräser, verschämt hervorbrechende Blättchen, zaghaft sich öffnende Blüten, bis nach und nach die Büsche und Bäume sich voll begrünen und jede Wiese ein einziges Blumenbeet ist.

Über der wilden Wohld, die geheimnisvoll und dunkel hinter den Wiesen bollwerkt, kreisen die Kolkraben und rufen laut. Da recken die Erlen am Forellenbach ihre Troddeln und schütten Goldstaub auf die Wellen. In den hohen Föhren jagt der Schwarzspecht mit gellendem Jauchzen sein Weibchen von Stamm zu Stamm. Da werden die Bommelchen am Haselbusch lang und länger, bis sie wie Gold in der Sonne leuchten. Der Tauber ruckst auf dem Hornzacken der alten Eiche. Da öffnen die Kuhblumen am Graben ihre stolzen Blüten. Vor Tau und Tag schlägt der Birkhahn im Bruche die Trommel, der Kranich trompetet, die Heerschnepfe meckert, und nun platzen an den kahlen Porstbüschen die braunen Kätzchen auf, das ganze weite Bruch umzieht sich mit einem goldrot glühenden Geloder, und auf den angrünenden Wiesen entzünden die Weidenbüsche helle Freudenfeuer.

Jetzt rühren sich auch die Birken. Sie schmücken sich mit smaragdgrünen Blättchen und behängen sich mit langen Troddeln, und in wenigen Tagen geht ein betäubender Juchtenduft vor dem lauen Winde her, gemischt mit dem strengen Geruch des blühenden Porstes. Auch die Föhren und Fichten färben sich freudiger, die Erlen brechen auf und schließlich lassen sich sogar die Eichen rühren und umgeben ihre knorrigen Zweige mit goldenen Flittern. Nun beginnt ein Jubeln, Singen und Pfeifen, das von Tag zu Tag stärker wird. In den Wäldern schlagen die Finken, pfeifen die Stare, flöten die Drosseln, Laubvogel und Rotkehlchen singen ihre süßen Weisen, die Meisen läuten, die Pieper schmettern, der Grünspecht kichert, der Buntspecht trommelt, die Weihen werfen sich laut keckernd aus der Luft, die Kiebitze rufen und taumeln toll vor Lebenslust umher, und unter den lichten Wolken am hohen Himmel zieht der Bussard jauchzend seine schönen Kreise.

Auch in dem Dörfchen, das unter den hohen Heidbergen fast ganz versteckt zwischen seinen Hofeichen liegt, ist der Frühling eingekehrt. Von jedem Giebel pfeifen die Stare, in allen blühenden Bäumen schmettern die Finken, in den Fliederbüschen schwatzen die Sperlinge, auf der Gasse jagen sich zwitschernd die Bachstelzen, und am Mühlenkolke singt die Nachtigall. Über dem Dorf aber auf der hohen Geest, wo der Wind am schärfsten weht, wird es nun erst Frühling. Einzelne Birken sind ganz kahl, andre wollen sich just begrünen, und nur ganz wenige schaukeln schon ihre Blütenkätzchen. Aber immer mehr Heidlerchen hängen in der Luft und dudeln ihre lieben Lieder hinab, von Tag zu Tag färbt sich das Heidkraut frischer, schmücken sich die mürrischen Wacholderbüsche mit mehr jungen Trieben, verjüngt sich das Torfmoos im Quellsumpf und umzieht sich sein Abfluß mit silbernen Wollgrasschäfchen und goldgelben Milzkrautblüten, und hin und her fliegen die Hänflinge, lustig zwitschernd.

Endlich flötet der Pfingstvogel in den hohen Birken bei dem alten Schafstall, in der Wiese stelzt der Storch umher, grüne Käfer fliegen blitzend und schimmernd über den gelben Sandweg, die Morgenrotfalter taumeln über die Wiesen, die vom Schaumkraut weiß überhaucht sind, an den Föhren und Fichten springen gelb und rot die Blütenzapfen auf und sprießen neue Triebe, und ganz und gar hat sich nun der Frühling die Heide erobert von den kahlen Höhen an bis tief in das Moor hinein, wo an den Torfgruben die Rosmarinheide ihre rosenroten Glöckchen entfaltet und auf den Gräbern silbernglänzendes Gras flutet. Das ganze Land ist verjüngt, überall ist frisches, junges Laub und buntes Geblüm, darüber hin zieht ein kräftiger Duft, und kein Fleck ist da, wo nicht ein Vogellied erschallt von der Frühe an, wenn die Birkhähne blasen und trommeln, bis zur Abendzeit, wenn die Nachtschwalbe mit gellendem Pfiff dahinschwebt und laut die Fittiche zusammenknallt.

Dann ist die Heide lustiger als zu einer andern Zeit, so voll von Leben, so bunt von Blumen, so reich an Farben, daß auch ihre ernsten Menschen fröhlicher werden müssen. Rauscht doch das Birkenlaub so schelmisch im Wind, summen doch selbst die brummigen Föhren zufriedener als je, flattert es allerorts weiß und bunt von flinken Faltern und ist die von Kienduft durchtränkte Luft erfüllt von Lerchengetriller und Piepergeschmetter, daß der Mensch helläugig werden muß, auch wenn er bei sengender Sonnenglut im Moor in schwerer Mühe den Torf gewinnen muß; denn ohne daß er es weiß, machen die leise zitternden weißen Wollgrasflocken, die silbern blitzenden Birkenstämme und die goldenen Blüten an den Ginsterbüschen sein Herz leicht und heiter.

Von all der Pracht aber wissen die Menschen in der Stadt nichts; sonst würden sie nicht in überfüllten Anlagen und lärmdurchtönten Wirtschaftsgärten Erholung suchen, die dort nicht zu finden ist, sondern ihren Sonntag in der Heide verbringen, in der lachenden, lustigen, liederreichen Heide.


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