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Die Dorfkirche ist schon sehr alt. Man sieht das an den gewaltigen Strebepfeilern, an den Schießscharten, die freilich schon lange vermauert, aber noch zu erkennen sind, an den Hals- und Armeisen des Prangers neben der Haupttüre, an der steinernen Sonnenuhr und an den grünlichen Grabsteinen, die sie umgeben.
Auch die Mauer, die den Kirchhof einschließt, ist sehr alt. Sie bildete mit der Kirche zusammen einst die Feste des Dorfes, in die sich die Bauern zu Kriegszeiten, wenn die Not am höchsten war, zurückziehen konnten. Sie ist hoch und breit und aus großen Bruchsteinen gebaut. Jetzt ist sie ein wenig verwittert und von Rosen und Pfeifenstrauch, Spillbaum und Judendorn überwuchert und hier und da von Efeu berankt, und allerlei zierliche Farne und anderes Gekräut wuchert zwischen den grauen, mit gelben Flechtenkringeln und dunkelgrünen Moospolsterchen bewachsenen Steinen hervor.
Im ersten Frühling, wenn der Huflattich am Grunde der Mauer seine goldenen Sönnchen entfaltet, blüht in ihren Ritzen das zierliche Hungerblümchen und die Fingerkrautpolster bedecken sich mit weißen und gelben Blüten. Später bilden rote und weiße Taubnesseln dichte bunte Sträuße, der Löwenzahn prahlt stolz, der Ehrenpreis blickt freundlich, bis Schöllkraut und Labkraut ihn und die andern im Verein mit blutrot besterntem Storchschnabel überprotzen und an manchen Stellen das Gestein fast ganz verhüllen, während an anderen die Fetthenne, ganz mit goldenen Blütchen bedeckt, dichte, tiefe herunterhängende Rasen bildet, und weiterhin der Gundermann seine blaublühenden Ranken bis an den Grund der Mauer herabhängen läßt.
Vielerlei Getier lebt an der Mauer, bunte Schnirkelschnecken und die graue spitze Schließmundschnecke, Sprungspinnen und Mörtelbienen, auch verschiedene Käfer und sonstige Lebewesen. Gern sonnen sich hier die Füchse und das Pfauenauge, und nicht selten verschläft ein rotes Ordensband dort den Tag. In einer von Efeu überwucherten Spalte neben der Treppe hat der Zaunkönig gebaut, in dem struppigen Judendorn hat die Braunelle ihr Nest und unter den verbogenen Wurzeln der alten Linde die Bergbachstelze. Auch das Rotkehlchen, das im Pfarrgarten wohnt, schlüpft oft an der Mauer hin und her, und der Rotschwanz, der unter dem Kirchdache seine Brut hat, flattert oft vor ihr umher und fängt Fliegen.
Dann haben dort noch Kröten ihren Unterschlupf. Rechts von der Linde, wo die Mauer schon sehr zerfallen ist und Gras und Quendel dicht wuchern, wohnt eine dicke Erdkröte, und da, wo unter dem Holunderbusch die kleinen blauen Glockenblumen in dichter Fülle herabhängen, eine ebenso dicke Wechselkröte. Den Tag über halten sich beide meist versteckt. Nur wenn nach längerer Dürre ein sanfter Regen herunterkommt, verlassen sie auch einmal bei hellem Lichte ihre Löcher und steigen auf den Friedhof hinauf, um zwischen den eingesunkenen Gräbern auf die Jagd nach Nacktschnecken und Regenwürmern zu gehen, die dann reichlich aus dem Grase und dem Erdboden hervorkommen.
Langsam und bedächtig schiebt sich die Erdkröte dann über die moosigen Wege dahin, ab und zu ungeschickt hüpfend, wenn ein Mensch mit seinen Tritten den Boden erschüttert. Dann drückt sie sich zwischen einige Steinbrocken oder hinter einen Grasbüschel, und setzt sich erst wieder in Bewegung, wenn es ringsumher ganz still geworden ist. Dann und wann, wenn sich vor ihr etwas rührt, macht sie halt und schnellt die Klappzunge nach der Ackerschnecke, die an einem Blatte emporkriecht, oder reißt mit derbem Rucke den Regenwurm ganz aus der Erde und schlingt ihn, mit den Händen nachstopfend, hinab. So treibt sie es, bis sie übersatt ist und genügend Nachttau mit der Haut aufgenommen hat, um sich dann, wenn die Frühdämmerung herannaht, wieder in ihr Mauerloch zurückzuziehen.
Die hübsche, grün und weiß gefleckte Wechselkröte ist viel gewandter als sie. Sie hüpft so flink wie ein Frosch, klettert sicher an den steinernen Umfassungen der Gräber empor und läuft, wenn sie sich in Gefahr glaubt, hurtig in einen Schlupfwinkel. Wenn ihre goldgrünen Augen irgendwo eine Bewegung im Grase erspähen, so ist sie schnell da und schnappt die Beute fort. Mit ganz großen Tauwürmern wird sie leicht fertig, und wenn ihr ein winziger Grasfrosch in den Weg kommt, so macht sie mit dem auch wenig Umstände. Nur um die mächtigen, blauen, goldgrün und kupferrot schimmernden Maiwurmkäfer mit den unförmlichen Leibern, die sie bei ihren Tagesfahrten oft antrifft, kümmert sie sich nicht, denn die sind ihr ekelhaft.
Im März, wenn die Sonne das Wasser des Dorfteiches anwärmt, tritt die Erdkröte alljährlich die große Reise nach den Flachsrösteteichen unter dem Dorfe an, wo sie sich mit ihresgleichen trifft. Aus dem Murren der Grasfrösche klingt dann ihr trockener, hölzerner, wenig lauter Paarungsruf heraus, und bald darauf glitzern zwischen den Wasserpflanzen ihre langen, schwarzgeperlten Laichschnüre, aus denen sich schnell winzige schwarze Kaulquappen entwickeln, auf die die drei Arten von Molchen, die dort ebenfalls ihre Laichplätze haben, eifrig Jagd machen. Erst lange nachher, wenn die Laubfrösche dort meckern und die Wasserfrösche plärren, kommt auch die Wechselkröte angerückt und ihr helles Trillern hebt sich dann scharf von dem Quarren der Frösche und dem Schnarren der Kreuzkröten ab. Ist aber die Laichzeit vorüber, so tritt sie wieder die lange Reise nach der Kirchhofsmauer an und sucht wie die alte Erdkröte ihr Loch bei der Linde, ihre Steinspalte unter dem Glockenblumenbusch auf, das sie Nacht für Nacht verläßt, um zwischen den Grabhügeln zu jagen.
Es sind die beiden besten und sichersten Schlupfwinkel in dem alten Gemäuer, und schon so lange wie der alte Pfarrer hier lebt, kennt er die beiden Kröten. Wahrscheinlich sind es nicht immer dieselben, denn im Herbst schnobert der Iltis hier oft umher und sammelt Frösche und Kröten für die karge Zeit. Aber immer wieder sind die beiden Löcher von alten, dicken Kröten, hier von einer Erdkröte, da von einer Wechselkröte, besetzt, und das wird wohl so lange dauern, wie die Kirchhofsmauer besteht.