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Der Strand

Wer zu einem Menschen nur in seinen guten Stunden kommt, der weiß nichts von ihm; wer das Steinhuder Meer nur sommertags sah, der kennt es nicht. Die Freunde des Meeres in der Stadt, wo sind sie heute? Hinter dem Ofen, denn in den Straßen tobt der Herbststurm. Er gießt kübelweise den Regen an die Fenster, hetzt die Wolken hin und her, spielt wilde Weisen und haut den Takt zu seinem Liede so grob auf die Dachpfannen, daß sie klirrend und klingelnd und klappernd herabpoltern.

Heut wird's am Meere schön sein. Zerpeitschte Grauflut, gehetzte Schwarzwolken, spritzender Gischt und halbverhülltes Abendrot werde ich sehen, nicht solchen zahmen Dutzendsonnenuntergang für Sommerfrischler. Der Wind spielt mit den Krähen und wirbelt sie in der Luft herum, als wären es schwarze Lappen. In Steinhudes gelbem Eichenhain tobt der Wind wie toll. Das saust und braust und pfeift und flötet und lehrt den gelben Blättern den Ringelreihetanz und die Aalkörbe an den Lehmwänden der Ställe lustige Sprünge. Grau ist das Meer, hechtgrau mit Silberstreifen und dunkelgrün mit schwarzen Barschstriemen, tief duckt sich das gelbe Rohr unter des Sturmes rauher Hand, unwillig rauschen die schiefen Pappeln.

Das Meer braust und brandet, spritzt und schäumt. Gut passen zu ihm die unheimlich gelben Dünen, der düstere Föhrenkranz an seinen Ufern, die schwarz und braun gemusterten Bergkuppen drüben. Es ist ja auch schön hier an blauen Abenden, in sengender Mittagsglut, an Nebelmorgen, bei sternheller Nacht, aber am allerschönsten im Herbststurm, wenn es singt und klingt in den Lüften.

Blaugrau ist der Himmel. Fahl blinzelt die Sonne durch einen Wolkenriß. Weiße Wolken, wie Watteflocken, treiben nach Osten. Der Wolkenriß weitet sich, Silberblitze springen über die Wellen, die Dächer drüben glühen auf, die schwarzen flatternden Punkte dort unten, Möwen, blitzen auf zu blendendem Weiß, und die Entenflüge, die die beiden Fischerboote hochmachten, wie Hunderte von Silberflittern wirbeln sie vor dem graublauen Himmelsrand herum, bis sie als schwarze Flecken wieder auf dem Wasser liegen. Jäh wechseln alle Farben. Die Segel vor der Seefeste, eben waren sie goldgelb, schwarz sind sie jetzt; schwarz sind die Seiten der Fischerboote, die eben wie Silber gleißten. Die gelblichgraue Flut wird bläulich, färbt sich in Silberglanz um und in stumpfes Grau, und wälzt sich jetzt, wo die Sonne hinter dem Grauhimmel verschwindet, tot und schwarz nach Osten.

Das Meer lebt von fremdem Geflügel. Wohin man sieht, schaukeln Hunderte von Enten auf den Wellen, wiegen sich Sägetaucher auf der Flut, schweben Möwen und Seeschwalben dahin, und heiser rufend streicht ein Flug Wildgänse vorüber und fällt am Ufer ein. Vier Schwäne, Wanderer vom Norden, die hier auf der Südlandsfahrt einen Rasttag machen, schwimmen wie weiße Seerosenblumen auf der schwarzen Flut. Und das, was da silbern in der Rohrbucht auftaucht und verschwindet, wieder da ist und wieder in die Welle sinkt, das ist ein Haubentaucher. Katzenpfoten laufen über das Meer. Der Wind bringt Regen. Noch ist alles grau und blau und goldig, doch die Sturmhexen kommen schon angeritten. Schwarz flattern die Lumpen um sie, ihr Strupphaar fliegt im Wind, ihre Besen zerfetzen die Wolken. Zu Dutzenden jagen die Unholdinnen vorüber, fassen sich an zu häßlichem Reigen, bilden Kreise und Kränze, lassen los und fegen dahin, daß die Rockfetzen fliegen und die Schmutzlappen flattern. Mit ihren Besen hauen sie in die Flut, daß sie schäumt und geifert, und sie fegen die Wellen, daß sie umkippen. Gellend klingt ihr böses Lachen aus der Luft.

Des Sturmes Baß übertönt ihr Gekreisch. Das braust und brandet und bullert, daß die Bohlen der Landungsbrücke zittern, daß die Wände des Strandhauses ächzen, daß die Scheiben klirren. Hastiger wandern die Wellen, tief bückt sich das Rohr, unwilliger schütteln die Pappeln die Köpfe. Immer mehr Katzenpfoten kräuseln die Flut, die Sonne wird ein fahler Fleck, näher kommt der Regensturm. Und nun platzen die Böen, schütten muldenweise das Wasser hinab, verhüllen die Ferne, verschlucken den Wilhelmstein, decken die Berge mit grauen Schleiern und die Dünen und den Strand zu, verhüllen Nähe und Weite mit dem gleichmäßigen Grau, in dem nur eine schwarzschwingige Möwe jauchzend umhertaumelt. Und es prasselt und klatscht und schlägt und stiebt schräg auf die Wellen, und die jagen dahin, wie mit Ruten gepeitscht, und das brüllt und heult in der Luft und pfeift und kreischt und schreit, und wie ein Geisterschwarm stiebt ein Möwenflug heran und wirft sich in der Rohrbucht ins Wasser.

Der Sturm läßt nach; aus dem Schwarz wird ein lichtes Grau. Schon taucht wie ein Schatten der Wilhelmstein wieder aus dem grauen Schleier auf, ihm folgen die Berge, die Dünen und der Strand, bis sie klar und scharf am Himmelsrand stehen. Goldig wird es im Westen. Durch graue Wolkenballen reißt sich die Sonne ein Loch und malt Lichter in die schwarzblaue Bucht. Flammen brechen unter der schweren Wolke hervor, wie zerflossen glüht darin die Sonne, blaugrüne Striche ziehen sich über den Himmel, und aus allen Wolken blühen Rosen. Der Vorzeit Ungeheuer schwimmen durch das blaugrüne Himmelsmeer, Riesenhaie und Drachen, Einhörner und Tiger, Schlangen und Eidechsen, mißgestaltet und furchtbar, alle nach Osten in die graue Nacht hin.

Zum Meere streicht ein Flug Gänse, sich kreuzend mit Entenflügen, die klingend und sausend das Meer verlassen, hoch über mich fortstreichend zur Leine. Entenflüge ziehen durch die Luft, mit hastigen Flügelschlägen, mit Sausen und Brausen, immer vom Meere fort.

Längst ist die Sonne hinter den Bergen verschwunden. Tiefer tönt sich der Himmel, hier und da blinzelt ein Stern, das Schwirren und Klingen hört auf, nur der Sturm pfeift und flötet noch, mit neuen Regenböen zieht die Nacht heran und verhüllt Meer und Land und Strand.


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