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Keiner unserer Bäume genießt so wenig Achtung wie die Pappel. Von der Linde und der Tanne singt es in vielen Liedern, die Eiche und die Buche fanden ihre Dichter, Ulme und Esche gingen nicht leer aus, die einst mißachtete Kiefer wird viel besungen; die Pappel allein muß beiseite stehen.
Zum Teil ist wohl daran ihr Name schuld, dem der Fluch lächerlichen Klanges anhaftet, zum Teil der geringe Nutzwert, den ihr Holz heute noch hat. Backtröge und Holzschuhe, Dinge gemeiner Art, liefert es nur.
Der Landmann liebt die Pappel nicht. Sie wirft zuviel Schatten um sich her und hagert den Boden aus. Im Parke und im Garten ist sie auch nicht geschätzt; zu viel Geschmeiß lebt auf ihr und in ihr.
Als der Boden noch billiger war und es auf eine Rute Brachland mehr oder weniger nicht ankam, pflanzte man sie gern an die Landstraße, der Elster zur Freude, die im hohen Wipfel ihr Dornennest baute, und dem grünen Spechte zur Lust, der aus Rinde und Holz Bockkäferlarven und Glasflüglerraupen klopfte. Allmählich verschwanden die stolzen Bäume von den Straßen und machten anderen Platz, und nur hier und da noch durften sie sich halten, wie hier. Einst verband die Doppelreihe der Pappeln hier die beiden Dörfer. Die Hälfte steht nicht mehr; man schlug sie. Langweilige Eschen traten an ihre Stelle. Nur ein Rest steht noch an der Straße, dem Gasthaus gegenüber, und winkt den Genossen hinter dem Flüßchen, von denen man sie trennte, rauschende Grüße zu.
Seltsam fremd klingt das Rauschen dem, der schärfer darauf hinhört. Das klappernde Geraschel, dieses wilde Geflatter, es hat einen undeutschen Klang, weist auf südliche Herkunft. Die Schwarzpappel ist der Baum der Steppe, deren Eintönigkeit sie dort unterbricht, wo ein Fluß, ein See, eine Quelle ihre durstigen Wurzeln tränkt. Dort bildet sie, mit der Weide gesellt, den Baumschlag.
Einst tat sie das auch bei uns. Lange ist es her. In jener Zeit war es, als, nachdem die Eiszeit vorüber war, Deutschland ein Steppengepräge trug, und die Saigaantilope und das Steppenmurmeltier hier lebten. Südliche und östliche Winde trugen die wolligen Samenkörner in das wüste Land, und Pappel und Weide herrschten dort, wo Fichte und Kiefer nicht fortkamen, bis der Weidebauer den Wanderhirten verdrängte und den Masthölzern, der Eiche und der Buche, die ihm Fraß für seine Schweine lieferten, zur Vorhand verhalf. Die Pappel aber mißachtete er und nur, um Tröge und Schuhe zu gewinnen, duldete er sie.
War der Boden, der das Wohnhaus trug, zu frisch, als daß die Eiche gedeihen wollte, und wollte er bald Blitzschutz für sein Heim haben, dann holte der Mensch die schnellwüchsige Pappel heran. Und auch, wenn nach Kriegsläuften das Holz bei den Dörfern knapp war, mußte die Pappel aushelfen. Hinterher aber wurde sie wieder vergessen, und nur an die Straße pflanzte er sie, weil sie mit raschem Wuchse die kleine Mühe lohnte, bis er fand, daß sie sich zu breit mache, und er Bäume an ihre Stelle setzte, die bescheidener waren. So kam es, daß die Pappel bei uns sparsam wurde, sparsamer, als es nötig ist, denn sie ist ein schöner Baum und der Aulandschaft stolzeste Zier.
Aber weil der Mensch meist vor sich hinsieht, statt nach oben, weiß er von ihrer Schönheit nichts. Wenn Schnee auf dem Lande liegt und die Landschaft keine frohen Farben hat, dann sind es die kahlen Kronen der Pappeln allein, die in der Sonne wie strahlende Fackeln leuchten und, ohne daß der Mensch es weiß, sein Herz froh machen. Wenn die Wiese noch fahl und der Rain noch kahl ist, bietet die Pappel ihm einen zarten Frühlingsgruß. Sein Fuß zertritt die blutroten Blütenkätzchen, die sie ihm auf den Weg streut, und er hebt nicht den Kopf und schickt seine Augen nicht über sich, wo die purpurfarbigen Troddeln in der Sonne glühen und sprühen. Auch späterhin, wenn die jungen Blättchen die klebrigen Hüllen sprengen, goldene Schüppchen unter seinen Füßen zerknistern und schwerer Juchtengeruch seine Atemzüge erfrischt, freut er sich der neuen Blätter nicht, die, fett und glänzend, von dem Lichte durchschienen, märchenfarben um das sparrige Astwerk weben. Sommertags aber wuchten die Kronen schwarz und schwer und verstärken die Farben blühenden Geländes, und zum Schlusse der schönen Zeit hüllen sie sich in gleißendes Gold und leuchten weit in das Land hinaus.
In diesen Tagen haben die Pappeln ihre güldenen Kleider angezogen. Wie eine feurige Wand erheben sie sich in dem grünen Lande, eine schimmernde Halle bilden sie, ein loderndes Dach, ein strahlendes Gewölbe. Zauberhaft sieht die Doppelreihe aus, liegt die Sonne darauf, und weit und breit ist nichts zu finden, was ihr ähnlich ist, und die Birken, so schön sie sind, können sich damit nicht messen, können nicht an die stolzen Bäume heranreichen, die einen goldenen Regen über den Wiesenplan streuen und mit wildem Geplapper der Birken Gelispel übertönen.
Es ist ja rechts und links von der Straße viel zu sehen, was schön und fein ist: das weite, von kalten grünen Schatten gestreifte, von warmen gelben Lichtern überflossene Weideland, die bunten Hagen, die ernsten Kiefern, hier und da ein goldbehängter Birkenbaum, der Waldsaum in der Ferne, so zart, wie hingehaucht, ein Kirchturm, wie eine rote Flamme gen Himmel züngelnd, das lustige Windgewölk am lichtblauen Himmel; was will das aber alles gegen die goldene Straße sagen, in der Baum bei Baum in blankem Golde prangt und mit lauter Stimme redet.
Vor der Brücke, wo keine Pappel steht, schimmern der Maßliebchen Silbersterne im Grase, leuchtet des Habichtkrautes Goldröschen aus dem Grün. Hinter der Brücke sind sie verschwunden. Alles Kleine, Zarte und Niedliche wird unsichtbar vor dem gewaltigen Geloder der mächtigen Bäume. Das Geruschel des Röhrichts im Ellerngebüsch des Grabens verweht im brausenden Gemurmel des goldenen Laubes, und selbst der Meisen scharfe Stimmchen gehen darin unter. Nichts ist hier als der weite Grund und die gelben Bäume, als die goldene Straße im weiten Grün.
Aber selbst auf das Grün des Wiesenlandes sind die herrischen Bäume eifersüchtig. Ihre Farbe soll es tragen, und so schütteln sie ihr Laub darüber hin. Die Blätter zucken und zappeln an den langen, dünnen Stielen, zerren und reißen, und haben sie ihren Willen durchgesetzt, dann hasten sie zum Grunde und decken sein Grün zu. Jedes einzelne hat seinen eigenen Flug. Eins gleitet dahin, schwebend wie ein Vogel, ein anderes tänzelt, einen Falter nachahmend, auf und ab; manche flattern wie Fledermäuse, unstet und regellos, etliche hüpfen auf lustige Art, einige zucken herunter, als litten sie Pein, diese haben es eilig und fallen steil herab, jene besinnen sich unterwegs noch eine Weile.
Eins nach dem andern reißt sich aus den Wipfeln los. Die heute noch grün und saftig sind, haben morgen gelbe Flecken und wirbeln übermorgen als goldene Falter dahin. Heute noch rauschen und brausen die gelben Wipfel, flirrt und flattert es in ihnen noch, heute noch und morgen.
Übermorgen aber sind vielleicht alle Kronen schon kahl und verschwunden ist die goldene Straße.