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Es ist einer von den Gräben, die den Wald abgrenzen. Steil sind seine Ufer, stellenweise dicht bewachsen, dann wieder kahl und bloß. Je nachdem viel oder wenig Regen fällt, ist der Wasserstand hoch oder niedrig; manchmal läuft das Wasser wie ein quicker Bach, und zu andern Zeiten schleicht es so langsam hin, daß es aussieht, als stehe es still. Zuzeiten kann ein kleiner Junge bequem hinüberspringen, dann aber wieder muß ein gewandter Mann sich sehr anstrengen, um von einem Ufer zum anderen zu kommen.
Wenn die Märzensonne durch das Astwerk der Bäume und Büsche auf den Bord des Grabens fällt, dann regt sich hier zuerst im ganzen Walde das blühende Leben. Des Huflattichs Sonnenscheibe strahlt dann in heller Glut, und des Leberblümchens treu blickende Blüte leuchtet aus dem schwermütigen Geranke des Efeus heraus, bis lustige Lungenblumen, zwiefach gefärbt, sich aus dem harten Blattwerk hervordrängen, um die behäbigen, in dichte Pelze vermummten Hummeln anzulocken.
Eines Tages aber werden die Hummeln ihnen untreu, denn in Menge erscheint der bunte Lerchensporn zwischen dem leichtsinnigen Geflatter der Windröschen, auch reißt eines Weidenbusches süß duftendes Blütenwerk die summende Kundschaft an sich, wie denn auch die gespenstige Schuppenwurz, deren nackte Blumen sich wie Kinderhändchen aus dem faulen Vorjahrslaube strecken, an unheimliche Märchen erinnernd, von allerlei Volk mit sonderbarem Geschmacke besucht wird.
Es gibt unendlich viel zu sehen hier an dem Graben. Da ist ein Traubenkirschenbusch, dessen grüne Wellen jetzt noch in sanfter Flut hinabfallen, aber im Mai schäumen sie von weißen Blüten und hauchen betäubenden Duft aus. Ein Hasel steht da, der im März Gold auf die Efeuwände des Grabens streut, und der später mit seinem Widerbilde das dunkle Wasser erleuchtet. Ein junger Ahorn weist herrlich geformte Knospen vor, Vorwürfe für einen Goldschmied, und eine seltsam verzerrte Hainbuche lehnt sich über die Flut und freut sich ihrer lichten Pracht.
Mitte Mai ist es am allerschönsten hier. Dann strahlen aus dem Efeu die glühenden Kettenblumen, und die Taubnessel prahlt neben ihnen. Dann rudern langsam große grüne Frösche durch das laue Wasser und überschreien den Laubfrosch, der im hellen neuen Kleide auf dem größten Blatte der Brombeerranke klebt und lustig seinen Maigesang anstimmt, während über ihm der Zaunkönig aus voller Brust sein lautes Lied herausschmettert.
Zu jeder Zeit ist buntes Leben an dem Graben. Zierliche Bergbachstelzen schwenken sich über das Wasser und schnappen, an dem Ufer entlang trippelnd, die Mücken fort. Der Eisvogel, der einsame Fischer, lauert von der Wurzel der Esche auf Wasserjungferlarven und sein märchenhaftes Kleid blitzt und schimmert im Sonnenlicht. Wo das Ufer herabgesunken ist und eine Landzunge bildet, da tränken sich Amsel und Graudrossel, da baden Fink und Goldammer, da sucht das Rotkehlchen Gewürm, da nimmt der Star ein Bad.
Auch andere Tiere lassen sich hier sehen. Dicke, große Wühlmäuse huschen scheu aus dem Efeu und plumpsen in das Wasser, eine fuchsrote Ratte hastet über das Laub und sucht nach jungen Vögeln, bis das Raubwiesel ihr mit einem Satze in das Genick springt und sich von ihr unter die Wurzel der Erle schleppen läßt, wo der grimme Kampf ein Ende findet, der Kampf, in dem das Wiesel immer Sieger bleibt. Scheint die Sonne auf das Wasser, dann fahren langbeinige, dünnleibige Wanzen darüber hin in merkwürdigen Zuckungen, oder blitzblanke, kleine Käfer drehen sich dort im Kreise, bis ein plumpsender Fall sie verjagt. Die Wasserspitzmaus ist es. Jetzt rennt sie, einem Quecksilberklumpen ähnelnd, auf der Sohle des Grabens entlang, taucht als schwarzer Klumpen empor, zieht lange blitzende Streifen durch das Wasser, huscht auf das Ufer, hastet zwitschernd an ihm entlang und verschwindet plumpsend wieder in dem Wasser.
Wo die Esche ihr krummes Wurzelwerk aus dem Ufer reckt, da gähnt ein schwarzes Loch. Ab und zu verschläft der Iltis den Tag dort, neben sich unglückliche Frösche und Kröten, denen er das Kreuz zerbiß und die sich nun so hinquälen müssen, bis er sie gänzlich tötet und hinunterschlingt. Auch der Baummarder schleicht nächtlicherweile hier entlang, die Waldmaus belauernd und nach der Brut von Rotkehlchen und Zaunkönig schnüffelnd, und mit viel Geraschel sticht hier der Zaunigel nach fettem Gewürm.
Unweit des Ufers steht ein Rotbuchenstumpf, breit und bequem. Wer ihn als Sitz erwählt und sich recht still verhält, der kann allerlei erspähen, ulkige Lustspiele und ergreifende Trauerspiele, schlimmer als die der menschlichen Gemeinschaft. Hinter dem dichten Efeugeflechte zittern der jungen Goldammern hungrige Stimmchen hervor. Vorsichtig lockend naht sich die Mutter, ein Räupchen im Schnabel haltend. Da zickzackt ein Schatten über den Graben, ein Todesschrei erschrillt, fort stiebt der Sperber mit dem Goldammerweibchen in den Fängen, und eine Viertelstunde später greift er den Hahn, und die verwaisten Vögelchen zerfleischt in der Nacht die häßliche Ratte.
Ein Lustspiel ist es aber oder eine Posse, wenn die eifersüchtigen Blaumeisenhähne, fest ineinander gekrallt, als bunter Federball aus dem Haselbusch herabwirbeln und in das Wasser hineinfallen und, naß und schwarz, sich schnell von dannen machen, verfolgt von dem gellenden Gelächter des Zaunkönigs und dem spöttischen Gekicher der Bergbachstelze, oder wenn die Waldmaus, in den Genuß eines fetten Käfers vertieft, nicht bemerkt, daß der dicke Frosch immer näher an ihre zuckende Schwanzspitze heranrudert. Auf einmal schnappt er zu, die Maus quietscht auf und fährt in das Efeulaub, und mit einem dummen Gesicht glotzt der Frosch hinterdrein und wischt sich ärgerlich das breite Maul. Auch ist es zum Lachen, wenn die nackte schwarze Schnecke, nachdem sie die höchste Spitze des Schaftheuhalmes erklommen hat, darüber noch hinaus will und sich streckt und reckt und dreht und windet eine halbe Stunde lang, um endlich ihren Plan aufzugeben und langsam den Rückweg einzuschlagen.
Idylle sind es, wenn Rotbrüstchen, Zaunkönig und Bachstelze ihre flügge Brut in das Leben einführen. Das schnurrt und burrt durcheinander, schwankt unglücklich auf dünnem Ast, flattert plump in das Laub, klettert mühsam wieder empor, bis schließlich alle Geschwister müde und matt eng aneinander gepreßt auf einem Aste sitzen wie Kinder auf einer Bank, dumm und ängstlich hin und her gucken und unaufhörlich nach Futter piepsen. Wenn aber erst die Wasserspitzmaus ihren Jungen das Schwimmen und das Tauchen und die Käferjagd zu Wasser und zu Lande beibringt, dann staunt sogar der Zaunkönig über das Gewimmel, trotz seiner acht Kinder, die doch auch allerlei Leben verursachen.
Großen Lärm aber gibt es, fällt es dem Häher ein, sich hier sehen zu lassen. Und wenn er auch vorgibt, er wolle sich Würzelchen aus dem Ufer hacken für sein Nest oder einen Schnabel voll Wasser mitnehmen, man kennt ihn zu gut, den bunten Heimtücker, und von allen Seiten wirft man ihm Schimpfworte an den dicken Kopf, bis er wütend abzieht. Kommt aber das liederliche Kuckucksweibchen angeschlüpft, um ihr Ei in die Obhut von Bachstelze oder Rotkehlchen zu geben, dann ist das Gekeife noch ärger, und schließlich setzt es auch Hiebe, aber alljährlich kommt hinter der Efeuwand ein junger Gauch hoch, und alles, was von kleinem Vogelvolk am Graben wohnt, fühlt sich verpflichtet, den Immerhungrig und Nimmersatt vollzustopfen.
Im Wasser selbst geht es auch nicht immer friedlich zu, denn gar streitbare Gesellen, schwer gepanzerte, trefflich gerüstete Stichlinge mit scharlachnem Brustlatz, mutige Gesellen, herrschen da unten. Wehe der armen Kaulquappe, die sich vom Strande in das tiefe Wasser wagt: ein Dutzend der Raubritter stoßen darauf zu, zerren das hilflose Tier hin und her und reißen es in Fetzen. Auch ein armer Regenwurm, der aus Unvorsichtigkeit in das Wasser gerät, muß unter den Bissen der winzigen Fische sterben, und wenn er sich noch so sehr krümmt. Kaulquappe und Wurm rächt dann wieder die Wasserspitzmaus, die Stichlinge in die Bucht treibend und ihnen das Genick zerbeißend.
Außer dem Stichling leben noch andere Fische in dem Graben, die graue Schmerle, die sich gern in den Blechtöpfen versteckt, die auf dem Grunde des Grabens rosten, und der buntgestreifte Schlammpeitzger, der sich im modernden Laube verbirgt. Wer gute Augen hat, findet im Mai an den überspülten Steinen auch ein fingerlanges Fischchen hängen, das Bachneunauge, dessen wurmähnliche Larven im Sande der Grabensohle eingebohrt leben. Auch eine Quappe oder ein Gründling verirrt sich wohl aus dem Bache in den Graben.
Stets sind einige Taufrösche dort zu finden, die faul an dem Ufer sitzen, oder eine Erdkröte, die langsam unter dem Efeu herkriecht, und auch die flinke Kreuzkröte läßt dort ihr Geschnarre hören. Früher, als noch nicht jedes Tierchen für das Aquarium oder Terrarium fortgefangen wurde, kamen auch Waldeidechsen und Blindschleichen hier vor, und sogar die Ringelnatter betrieb dort die Froschjagd mit großem Eifer.
Außer Goldammer, Zaunkönig und Rotkehlchen brüten an dem buschigen Ufer noch die drei kleinen Laubsänger, ferner der Sumpfrohrsänger, und einige Male hat sogar der Eisvogel dort seine Nesthöhle in die Wand getrieben und seine Jungen glücklich hochgebracht. In diesem Jahre baute ein Schwanzmeisenpaar sein kugeliges Nestchen in die Zwille der Birke, die unweit des Grabenbordes steht. Nicht weit davon hat ein Sumpfmeisenpaar ein Nestloch in der Erde gefunden, und weiter zurück brütet die zierliche Blaumeise in einem Spalt derselben Eiche, in deren Wasserreisergewirr eine Schwarzdrossel ihr Nest anlegte. Zehn Schritte weiter hat ein Baumläuferpärchen eine passende Stammritze für sein Nest gefunden, und die Singdrossel beginnt sich in dem dichten Weißdorn einzurichten, in dem im vorigen Jahre der Mönch brütete und unter dem der Hase so gern liegt.
Da hier selten ein Mensch geht, äsen sich die Rehe gern den Graben entlang. Jagt sie ein Hund, so überfliehen sie einige Male den Graben, bis der Hund ihre Fährte verliert, und der starke Bock flüchtet sogar in den Graben hinein, watet eine Strecke in dem Wasser entlang und bringt so die Hunde in Verwirrung.
So ist hier immer allerlei Leben vom frühen Morgen an den Tag hindurch, und auch des Nachts lebt und webt es dort. Im Frühling schwirren Eulenschmetterlinge um die Weidenschäfchen, im Sommer sausen große Schwärmer über die Geißblattblüten und fallen der großen, fuchsroten Fledermaus zum Opfer, die ab und zu aus den Wipfeln herunterfährt, denn das Gebiet über dem Graben ist eigentlich das Reich der Wasserfledermaus, die unablässig dicht über dem Wasser hin und her streicht und die Mücken fortschnappt. Mit Vorliebe jagen auch Waldkauz und Ohreule hier, denn irgendeine Maus oder Ratte erwischen sie stets.
Wintertags erscheint von weither auch der Fuchs hier; aber ehe es dämmerig wird, schnürt er wieder in die großen Wälder zurück, denn gar zu unheimlich ist es ihm so dicht bei der Stadt. Ab und zu verspätet er sich aber doch einmal und versteckt sich in dem Jungfichtenhorste in der Dickung oder nimmt weiterhin einen alten Kaninchenbau an.
Den Fuchs wird nun nicht so leicht ein Waldwanderer gewahren, es sei denn, er sei schon bei dem ersten Drosselpfiffe draußen. Das andere Leben ist aber tagtäglich dort zu beobachten für den, der dafür Augen und Ohren hat und der leise zu gehen versteht hier am Waldgraben.