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Das rosenrote Land

Vom Lindenbaume fiel das erste gelbe Blatt, Herbstseide zieht über die Stoppel, die Wiesen blühen nicht mehr, Georginen und Totenblumen prahlen in den Gärten; die schönste Zeit ist vorbei. Für die Heide aber kommt sie erst. Dreimal hatte sie sich schon fein gemacht, im Frühjahr mit silbernem Wollgras ihre Moore geschmückt, im Vorsommer mit goldenen Ginsterblüten die Hügel ausgeputzt und späterhin einen herrlichen Teppich neben den andern gebreitet, blumenbunte Wiesen, schneeweiße Buchweizenbreiten und Lupinenfelder, gelb wie Honig und duftend wie dieser.

Nun aber legt sie ihr Staatskleid an, das rosaseidene, heftet flimmernde Pailletten auf ihre Schleppe, himmelblaue, kleine Falter, tränkt ihr Mieder mit einem feinen Duft von Honig, heftet einen Strauß azurner Enzianen daran und schlingt den Erbschmuck aus purpurnen Korallen in ihr roggenblondes Haar. »Die Oerika blüht!« hallt es durch die Städte, und die Stadtmenschen, heidhungrig und heißhungrig nach Blumen und Sonne, kommen angezogen, erfüllen die Stille mit Liedertafelgesang, raufen bündelweise das blühende Heidekraut aus, hinterlassen Papierfetzen und Flaschenscherben bei den Denkmälern der Vorzeit, schmachten und schwärmen von Heidfrieden und Heidpoesie und kehren wieder heim und denken, daß sie die Heide nun kennen.

Die aber erschließt sich ihnen nicht so leicht. So wenig kennen sie sie, daß sie von der blühenden Erika mit dem Ton auf dem E schwärmen, aber der Ton muß auf dem I liegen, und nicht die Erika, die Glockenheide, ist es, die dem Lande den Rosenschimmer gibt, denn deren Blumen sind schon längst vertrocknet, und nur hier und da ist noch ein blühender Busch zu finden, sondern die Calluna ist es, die Sandheide, das bescheidene Sträuchlein hier auf den dürren Flächen, wo die Schnucken weiden, hoch und stark aber dort in den moorigen Gründen, in die nur der Jäger sich hineintraut.

Wer bloß auf den sandigen Höhen bleibt, wo der Erdboden fest und trocken ist, der lernt die Heide nicht kennen, wie der ihr Volk nicht erkennt, der nicht sieben Scheffel Salz mit ihm teilte. Wer die stillen Gesichter mit den kühlen Augen und den verschlossenen Lippen betrachtet, der denkt vielleicht, dahinter sei nicht Feuer noch Flamme, nicht Wunsch noch Wille. Aber es hat seine Geheimnisse, die es in festverwahrten, eisenbeschlagenen Truhen verbirgt, Erbtümer aus den Zeiten, da es sich mit Römern und Franken, Nordmännern und Wendenvolk herumschlagen mußte, und die gespenstigen Mährenhäupter über den Strohdächern und den Rauchfängen der Herde erzählen, daß der Glaube an Wode und Thor heute noch nicht ganz erloschen ist.

Auch das Land selber birgt Erinnerungen mannigfacher Art. Gewaltige Bauwerke, aus ungefügen Granitblöcken aufgeschichtet, umgeben von vielen Hunderten von Hügelgräbern, Steinbeile, Bronzekelte, Eisenschwerter und allerlei Schmuck aus Edelmetall geben Kunde von den Völkerwellen, die hier hin und her fluteten, von den unbekannten Menschen der Steinzeit, die vor den Kelten flohen, bis diese den Langobarden weichen mußten; die aber schlugen sich mit den Sachsen herum, bis sie sich schiedlich vertrugen, um gemeinsam den Anprall der slawischen Sturmflut abzuwehren, die weit in das Land zwischen Elbe und Weser hineinspülte, bis ihre Macht sich brach und Slawen und Germanen neben- und durcheinander sich zu gemeinsamer, friedlicher Arbeit zusammentaten, nachdem jahrhundertelang die Weiler in Rauch aufgingen und hüben und drüben das Blut reichlich floß.

Noch andere Andenken an die Vorzeit hält das Land eingeschlossen. Beim Torfmachen, bei Entwässerungen und Erdarbeiten werden gewaltige Eichenstümpfe bloßgelegt, werden mächtige Eibenstämme aufgedeckt, die Früchte von Hasel- und Hainbuche an Orten gefunden, wo heute Torf ansteht und Heide wächst und außer Birke und Eller kein Laubholz gedeiht, feste Beweise dafür, daß bis auf die nassen Gründe und die dürren Höhen ein lockerer Eichenhain das Land bedeckte, in dem ein fleißiges Volk wohnte, das sein Vieh weidete und seine Acker bestellte, das nach der Nordsee hin und bis Byzanz Pferde, Wolle, Felle, Wachs und Honig handelte, bis der Franke einbrach, mit Gewalt und List das Land an sich brachte, das Volk umbrachte oder verschleppte und den Rest unter das Kreuz zwang. Weite Strecken wurden damals wüst und vermoorten oder verheideten; weitere Wüstungen brachte dann die Feudalzeit mit ihren ewigen Kriegen mit sich, die Saline zu Lüneburg und die Hafenbauten Hollands fraßen die Eichenwälder auf, und so entstand das, was man da nennt: die Lüneburger Heide.

Bis auf die letzte Zeit war sie ein unbekanntes Land, so unbekannt, daß sie als eine trostlose Wüste galt, so daß ein französischer Schriftsteller von ihr schrieb, sie werde bewohnt von un peuple sauvage, nommé Aidschnukes. Noch heute trifft man in Büchern allerlei falsche Beschreibungen von ihr an, als gäbe es dort nichts als platte, dürre, heidwüchsige Flächen, und es ist doch ein Land, reich an lachenden Flußtälern, bewachsen mit meilenweiten Wäldern, besät mit stattlichen Weilern, Dörfern, Flecken und kleinen und größeren Städten, ein Land, das eine fleißige, wohlhabende Bevölkerung beherbergt, seitdem es sich nach dem Dreißigjährigen Kriege von dem grauenhaften Elende erholt hat, das Dänen und Schweden, Wallonen und Kroaten und nicht zum mindesten deutschblütige Kriegsvölker ihm brachten, und von dem in den Kirchenbüchern und Schatzregistern mancher Name ausgegangener Höfe und Dörfer meldet, von denen es dort heißt: »Ligget wüste«.

Freilich umfaßt es auch weite Strecken Ödland, meilenlange Heiden, so leer wie eine Bettlerhand, nur hier und da mit krüppligen Wacholdern und krausen Kiefern bestockt, unübersehbare Moore, deren Eintönigkeit kaum ein Baum unterbricht, breite Brüche mit undurchdringlichen Dickichten, unheimliche Wildwälder, von selber angeflogen, in denen es nicht Weg noch Steg gibt. Doch das gereicht der Bevölkerung eher zum Nutzen als zum Schaden, denn es bietet auf lange Zeit Tausenden von Menschen Gelegenheit, sich ein eigen Stück Land zu erwerben. Von Jahr zu Jahr nehmen die Einöden mehr ab. Die kahlen Heiden werden aufgeforstet, die Brüche zu Wiesen und Ackerland gemacht; wo einst Hirsch und Sau, Schreiadler und Waldstorch hausten, wo Heide und Wollgras wucherte, stehen Häuser, weidet Vieh, rauschen goldene Ähren das Hohelied vom Bauernfleiß. Kreuz und quer zerschneiden Eisenbahnen und Straßen das Land, und an ihnen entlang rückt die Bebauung. Heute schon ist die Heide das nicht mehr, was sie vor fünfzig Jahren war; und in abermals fünfzig Jahren wird niemand mehr das Recht haben, ihr den alten Namen zu geben.

Weichlich wäre es, darüber Wehklage zu erheben. Das Christentum hat nichts nach dem künstlerischen Gehalt des Urglaubens gefragt, als es ihn bis auf den Wurzelstumpf mit Feuer und Schwert vernichtete; so kümmert sich auch die Kultur nicht darum, schreitet sie voran und nimmt sie dem Lande ihr altes Gewand. Es ist auch sehr die Frage, was in Wirklichkeit schöner ist, eine rosenrote Einöde, die aus einer Geviertmeile keinen zehn Menschen Nahrung bietet, oder die fruchtbar gemachte Scholle, die Hunderte nährt. Unsere überfüllten Städte haben uns sentimental gemacht, so daß wir das wilde Hochgebirge und die wüste Heide schön finden mußten, die den schönheitsfrohen Griechen nichts bot als Schrecknisse und Langeweile. Und, Hand aufs Herz, wo ist die Heide am schönsten, wo wirkt das Hochgebirge am tiefsten auf uns? Da, wo nichts und weiter nichts vor uns liegt als das wüste Land oder Klippen und ewiger Schnee, oder dort, wo ein weißer Weg auf dem rosigen Hügel, eine graue Windmühle vor dem blauen Himmel, oder eine Sennhütte oder eine Brücke, Menschheitsspuren, uns mit der Natur verbinden?

Wo das nicht der Fall ist, zerdrückt das Gebirge den Menschen, zerquetscht die Heide ihn. Mit den gebahnten Wegen hört alle Heidschwärmerei auf. Da zieht sich ein Moor hin, meilenweit, meilenbreit. Kein Weg führt da durch, selbst die Jäger wissen nicht, wie die Jagdgrenzen laufen. Daumendick sind am Grunde die Heidbüsche, und ihre Spitzen reichen dem Wanderer bis an die Brust. Kein Haus, kein Kirchturm, keine Windmühle überschneidet den Himmelsrand. Heide, Heide, nichts als Heide, so weit man sieht, die allerschönste, rosenroteste, honigduftende Heide, laut vom Gesumme der Bienen, bunt von dem Geflatter blauer Schmetterlinge, überflittert von zahllosen Libellen, flimmernd und glimmernd in der Sonne, überspannt von einem lichten, von weißen Wolken gemusterten Himmel, aller Schönheit voll, und doch unheimlich, tot und schrecklich für den einsamen Wanderer, der da auszog, um Heidfrieden und Heidschönheit zu finden, und nun dasteht, ein Häufchen Unglück, ein Nichts in dieser unwegsamen, unwirtlichen, unendlichen rosenroten Wüstenei und in sich nach einem einzigen Menschen schreit, und wenn es auch ein landfahrender Stromer wäre.

Oder kommt er von der Straße ab und verläuft sich in der kahlen Schnuckenheide, auf deren hungriges Blühen die Sonne herniederprallt, oder gerät vom Wege und irrt im Bruchwalde umher, in dem eng verfilzten, dumpfen, schwülen, wo die Otter am Boden kriecht und die Luft von stechendem Geschmeiße lebt, oder steigt im Torfmoore umher, bis er nicht aus und ein weiß, weil überall der Boden nachgibt, oder er geht in später Dämmerung einen schmalen Weg, der ihn über eine Wacholderheide führt, und rechts und links und fern und nah stehen gespensterhafte Gestalten, die ihn drohend anstarren, dann weiß er, daß das Land, über dessen rosenrote Pracht er in Entzücken geriet, als er am herrlichen Mittage auf der Kuppe des Hügels unter der Schirmkiefer rastete und es unter sich liegen sah, lachend und lieblich, ein einziges großes, schön bewegtes Blumengefilde, daß es seine Tücken und Gefahren hat, und seine Geheimnisse, wie die ernsten, aber freundlichen Leute in dem großen, strohgedeckten Hause, wo er um einen Trunk Wasser bat und Kaffee und Honigbrot bekam, ohne daß er dafür zahlen durfte.

Aber davon weiß das fröhliche Völkchen nichts, das zu der Zeit, wenn der Honigbaum, wie der Heidjer das Heidland nennt, am Blühen ist, Sonntags zu Hunderten aus den Eisenbahnwagen quillt, mit Hurra und Juchhe die Sandwege entlang wandert, von der blühenden Oerika schwärmt, den Schnuckenschäfer dumm fragt und nach bequemer Fahrt Erkleckliches im Vertilgen von Schinkenbutterbroten und Dickmilch leistet.

Ein angenehmer Ausflugsort ist es ihm, ein bequemer Spielplatz für große Kinder, eine billige Erholungsstatt, und so krimmelt und wimmelt es denn um diese Zeit da überall von Menschen, bauen sich von Jahr zu Jahr mehr Stadtleute dort an, schnurren die Räder, donnern die Autos auf allen Straßen, wachsen Hotels und Restaurants, wo einfache Dorfkrüge standen, verliert es immer mehr an eigener Art, das einst so mißachtete, rosenrote Land.


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