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XIV.
Freie Rhythmen

Girgenti

Fremd ist mir Alles hier, aber auch du
Bist mir ja fremd geworden; die dich umgeben,
Wer sind sie? Wem neigst du dich zu?
Wer schützt dich, wer verschönt dir das Leben?
Ich weiß es nimmer! Was uns gemeinsam
Und traut war, zerrann wie der wehende Sand;
Verlassen durchwandr' ich und einsam
Das fremde Land,
Die Stätten, von welchen Alles,
Was einst so mächtig bestand,
Bis auf die Zeugen des Verfalles,
Die stolzen Ruinen, verschwand.
Fremd ist mir der Berge Gestalt,
Von der glühenden Mittagsluft umwoben,
Und fremd erschallt
Der Hirten Ruf vom Felspfad oben.
Von den Menschen, die mir begegnen, keinen,
Der heimkehrt zu den Seinen,
Geleitet in sein Haus
Mein flüchtiger Gruß. Sie selbst auch erscheinen
Sich fremd hier, und wie sie hinaus
Aufs Meer, aufs wogende, schauen,
Ob nicht wiederkehre der Stadt
Uralter Gebieter, um fahrtensatt
Nun wieder zu herrschen und aufzubauen
Die Größe der einstigen Zeit,
Die untergegangene Herrlichkeit,
Da mögen sie wohl über den Schauern
Auf den Trümmern der Pracht,
Wie Fremde sich fühlen und trauern
Vor der Vorzeit gigantischer Macht.

Nur wenn vom Meer dort herauf
Die Sonne steigt und überströmt mit Feuer
Die geborstene Wölbung, den Säulenknauf
Und das riesige Stufengemäuer,
Dann leuchtet's wie seliger Hauch,
Wie Ahnung jener Tage
Voll Schönheit und Liebe, dann lebt mir auch
Dein Angedenken wieder. O sage,
Ist's wahr, du trugst hier am Feste
Der Himmlischen den Erntekranz,
Du führtest, wenn man die Trauben preßte,
Als Erste den Reigentanz?
Und hast du nicht schon einmal mit mir
Von Liebe gesprochen,
Hat nicht vor diesen Stufen hier
Einst deine Hand in meiner geruht?
Fühlt' ich dein Herz nicht an meinem pochen?
Ach, die Zeit, die nagende Flut
Hat die Steinkolosse zerbrochen,
Was groß und schön war, ist ausgetan.
Ja, würden auch wir uns wiedersehen,
Fremd schauten wir uns an,
Und könnten uns nicht mehr verstehen,
So große Verwandlung ist geschehen.

Aber kein gegenwärtig Glück, und wenn es gleich
Vollaufgespeichert Erwünschtes brächte,
Es schafft nicht wunderselige Tag' und Nächte,
Wie das verlorne, denn das ist reich
Wie Meeresgrund. Es hat Gewalt,
Ward uns das herrlichste Gut entrissen,
Daß es für uns in Schattengestalt
Herüber wallt,
Sanft leuchtend aus Finsternissen.
Und Allem verleiht es, Allem um uns her
Ein tieferes Leben, es gibt
Leblosem die Seele, die wir geliebt,
Nichts fällt dem Herzen noch schwer.
Das überwundne Leiden
Hüllt sich in stolzes, herrschendes Licht,
In strahlende Glut; es lächelt, es spricht
Aus Urnen und Bildern – und statt zu durchschneiden,
Läßt der Parze nachlässige Hand
Das Ende sinken, das ihr Eros entwand.


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