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Zweiflers Nachtgedanken

Für Traum in Traum soll ich dies Dasein halten,
Für eines Schemens bleichen Widerschein,
Und wie mit Herbstlaub wilde Stürme schalten,
So soll's verweht vom Hauch der Zukunft sein?
Warum sind wir verbannt in Endlichkeit
Und in ein Leben, so von Nacht umhüllt,
Daß uns entreißen dürfen Tod und Zeit
Selbst das, was unser bessres Sein erfüllt?

Gott oder Weltgeist, allerschaffend Wesen
Und aller Wesen erst' und letzter Grund,
Wird unsres Daseins Klagschrift erst gelesen,
Wird uns erst Antwort, wenn verstummt der Mund?
Warum, wenn unser Geist aus deinem Geist,
Warum ein unabänderliches Muß,
Das fühllos unser Erdenglück zerreißt
Und nur Entsagung führt uns zum Entschluß?

Versuch' ich's, diese Rätsel auszuklügeln,
Um meine Seele wehn in flücht'ger Spur,
In scheuem Flug, wie mit Libellenflügeln,
Die Urgedanken, Dämmrungsfalter nur;
Und jetzt, da alles rings um mich verstummt,
Tönt an mein Herz ein Schauder der Natur,
Im Käfer, der noch melancholisch summt,
Im Flutgemurmel und im Gang der Uhr.

Die Wasser brausen fort ins Bodenlose,
Die Sterne fort zum fernsten Ätherreich;
Doch Sturz und Sturm ist Ruh' in deinem Schoße,
Dein Antlitz sieht in Tag und Nacht zugleich;
Aus tiefsten Tiefen des Gebirges schiebt,
Jahrtausend' alt, sich Urgestein empor
Und strebt zum freien Äther und verstiebt
Verwitternd in Atome wie zuvor.

Es graben, irrend zwischen Krieg und Frieden,
Die Völker ihres Ruhmes Testament
In Todesangst auf stolze Pyramiden,
Daß eine Nachwelt ihre Namen kennt.
Die Früchte reifen ab und werden Staub,
Heroen schreiten durch der Zeiten Furt,
Doch Blüte, Wachstum, Frucht und fallend Laub
Ist Eines dir, Geschichte, Grab, Geburt.

Und wir, die all des herrlichen Phantomes
Erhabnen Anblick hochentzückt erschau'n,
Wir müssen wie in Wogen eines Stromes,
All unser Glück, der Enkel Erbe bau'n.
Nur so entsteht des Lebens Wichtigkeit,
Nur so erblüht des Staubes Unterschied.
O, wer durchwandeln jeden Geist der Zeit
Und leben könnte, wie ein ewig Lied!

Doch du nur quillst lebendig jeder Quelle,
Du leitest jede Völkerwanderung
Aus Nacht und Kampf zu Freiheit, Sieg und Helle,
Lebst jede Hymne der Begeisterung;
Und ob verwest die lebende Gestalt,
Sie wird von dir zum Lebenskuß verjüngt,
Und jedes Einzelklagelied verhallt
Im Hallelujah, das dein All dir bringt!

So will auch ich das Jubellied erwidern
Und ausgesöhnter mit dem Weltgeschick
Auf dich vertrau'n, du werdest nicht erniedern
Zum Abgrund nicht den freien Menschenblick.
O laß die Seele deinem Sonnenschein
Wie eine Knospe still entgegenblühn,
Vereinigt einst mit aller Wesen Sein,
Noch dort, wo deine letzten Sterne glühn!


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