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Sechszehntes Kapitel

Es ist Anfang Juni. Selbst in Schleswig-Holstein ist der Frühling allmählich eingezogen. Im allgemeinen hat dieser gesegnete Landstrich das scheußlichste Klima der Welt.

Auf dem kleinen Eisenbahnhaltepunkt Langstedt, der Station von Bredenfleth und Wittensee, sind einige hundert Menschen versammelt, um den 1 Uhr 23 Minuten ankommenden Zug zu erwarten. Aus Neugierde pflegt der Schleswig-Holsteiner sonst nicht seine Stiefel schneller anzuziehn. Heute aber ist eine besondere Veranlassung.

Die Fürstin, in ihrer Klugheit, die mit Graf Heesten, der ihr vollständig beipflichtet, deshalb im Briefwechsel gestanden, hat diese kleine Volksbewegung und Kundgebung auf Langstedt in die Wege geleitet.

Die Baronin Hummelsbüttel und ihr kleiner Sohn, Graf Breide Hummelsbüttel, wollen ihren Einzug halten. Die Fürstin ist in ihrer Begleitung, und bleibt, auf inständiges Bitten ihrer Schwägerin, die ersten Wochen auf Wittensee, wo Heilwig wieder wohnen will.

Je eher daran, je eher davon, ist ein Satz Wulfhildes. Sie hat sich richtig gesagt, daß, trotzdem die ganze Provinz genau alle Vorgänge und Ereignisse aus Bredenfleth und Wittensee verfolgt hat und kennt, es doch besser ist, den Empfang des neuen Besitzers und dessen Mutter ein wenig laut und lärmend zu feiern. Um so schneller wird das Gerede verstummen und in sich verhungern.

Freilich, Heilwig hat die schwerste Stunde ihres Lebens noch vor sich: wenn sie mit ihrem Sohn, der nicht ihr Kind ist, unter die Menge treten soll: seht, das ist meines Mannes Sohn, aber nicht der meinige.

Unaufhörlich ist Wulfhilde um sie mit Trost und Zusprache: »Halte diese letzte Prüfung noch aus.«

Der Zug braust heran. Die Leute umdrängen das Coupé, aus dem, als es geöffnet ist, ein reizender Knabe verwundert ruft in seinem Berliner Deutsch: »Wat jeht denn hier vor?«

Leichenblaß nimmt ihn Heilwig auf die Arme und wie eine Königin schreitet sie auf ihren Wagen zu. Sie hat gesiegt. Und mit wirklicher, inniger Liebe preßt sie ihr Kind an sich.

Und in den Frühling hinein fahren die Wagen nach Wittensee. Welch ein Schicksal für Heilwig: Vor anderthalb Jahren hinausgestoßen ins Elend, zieht sie jetzt als reiche Frau in dasselbe Schloß.

Über dem Portal des Schlosses ist das Wappen der Hummelsbüttel angebracht. Es ist mit grünem Eichenlaub umkränzt. Ein redendes Wappen: zu einem Galgen zeigt eine gepanzerte Hand hinauf. Und während es das uralte Geschlecht deutet: »Seht, so hängen wir jeden, der mit uns übel anbindet,« lachen die Hamburger und Lübecker: »Mit Nichten; die Hand ist unsre Hand, und zeigt zum Galgen, an den wir so viele Raubritter Hummelsbüttel aufgehangen haben.«

»Hüte dich!« sagt die gepanzerte Hand. So heißt der Wappenspruch der Hummelsbüttel. Das ist das erste Wort, das dem kleinen Breide entgegenscheint. Mag es ihm, wie für uns alle, ein gutes sein, ein Wort, das wir brauchen und uns zurufen müssen bis ans Grab: Hüte dich selbst und hüte dich vor den Menschen!

Justizrat Möllwind ist nach Wittensee gezogen und hat als einzige Beschäftigung die Verwaltung des unermeßlichen Vermögens des kleinen Breide übernommen. Nahezu neunhunderttausend Mark jährlich betragen sämtliche Einkünfte. Henning hatte wie ein schlauester Geldmann verstanden, das Kapital zu vermehren.

Pastor Tröster wird die erste Erziehung des Knaben leiten und ihn später aufs Gymnasium und auf die Universität begleiten. Kein besserer Erzieher konnte gefunden werden. Er wird ihn Grundsätze lehren; ihn lehren immer im Hinblick darauf, wie sich die Herzens- und Geisteseigenschaften des Gräfleins entwickeln werden: gut und edel sein und fest stehen. Seinem Kaiser soll der erste und letzte Blutstropfen sein. Sein deutsches Volk und alle Menschen soll er lieben lernen mit ganzer Seele und nicht in kleinlichem Einzelheimatgefühl verkümmern.

Wie nun werden sich die Fähigkeiten seines Schülers entwickeln, wie wird sein Herz sich zeigen? Die Klugheit, die Starkgeistigkeit, der edle Sinn Wulfhildes, das gute Herz, die Liebe zur Natur seines Vaters – hat er das geerbt, dann kann er sicher durch die überall gelegten spanischen Reiter des Lebens schreiten; sie thun ihm nichts.

Graf Heesten wird den jungen Grafen in die Litteratur einführen und ihm zeigen, wenn die Zeit ihn herangereift, welch ein neuer, frischer Zug in ihr weht. –

Der erste Ausgang Breides, an der Hand Trösters, ist ins Dorf. In der Schmiede wird gehämmert, und der kleine Breide hört das erste plattdeutsche Wort: »Stah fast, Hans.«

Was er dort gesehen und gehört, erzählt er glühend seiner Mutter und seiner Tante. Wulfhilde schließt ihn in ihre Arme und flüstert ihm bewegt zu: »Stah fast, Hans!«

 

Druck von Oskar Bonde in Altenburg.

 


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