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Bredenfleth, den 18. Januar 1885.
Liebe Wulfhilde!
Gestern Abend sechs Uhr ist hier mein Bruder Henning sanft in meinen Armen entschlafen. Möchtest Du Trauttenberg bitten, des weiten Weges und des Winters halber, nicht zu kommen. Den Aufenthaltsort Heilwigs und Breides kenne ich nicht. Du hast ihn mir aus Dir genehmen Gründen, trotz mehrfacher Anfrage meinerseits nicht genannt. Ist er Dir bekannt, so bitte ich, sie von dem Ableben Hennings gütigst in Kenntnis setzen zu wollen.
In etwa vierzehn Tagen schreibe ich Dir ausführlich.
In treuer Anhänglichkeit
Dein Vetter
Detlev Hummelsbüttel.
Bredenfleth, den 3. Februar 1885.
Liebe Wulfhilde!
Tausend Dank für Dein teilnehmendes Schreiben vom 23. vorigen Monats.
Du verzeihst, daß ich nicht eher antwortete, aber die Umstände, wie es Dir klar sein wird, verhinderten es. Ich will jetzt um so breiter sein.
Wie Du aus meinen Briefen weißt, bin ich schon seit einem Jahre auf Bredenfleth. Der Zustand meines verstorbnen Bruders forderte dies dringend.
Du erinnerst Dich, daß Henning beim Ankauf Wittensees nicht zugegen war. Er lag todkrank nach den Ereignissen jener Nacht, in der Heesten die beiden Betrüger vor seinen Augen entlarvte. Du selbst hattest damals die Güte, mir in Deiner bestimmten, klaren, immer etwas kühlen Schreibweise darüber zu berichten.
Mein Bruder, wie mir später Möllwind, Heesten und Pastor Tröster – der mir, nebenbei gesagt, immer mehr gefällt durch sein wahres, menschlich denkendes Herz – in langen Briefen erzählten, schien sich erholen zu wollen. Aber nur eine kurze Zeit hatte dies den Anschein. Im Januar vorigen Jahres wurde ich, auch dies ist Dir schon durch mich bekannt geworden, durch Depesche nach Bredenfleth gerufen. Henning rang mit einem schweren Nervenfieber, aus dem er körperlich gesundete. Seit jener Zeit aber tauchte er völlig in die unergründlich tiefe See des Wahnsinns unter. Ihn in eine Irrenanstalt zu bringen, lag die Notwendigkeit nicht vor. Sein Verrücktsein war harmloser Art. Er hatte zwei fixe Ideen: bald glaubte er Moses, bald der Prophet Jesaias zu sein. Betrachtete er sich als Moses, ging er, in einen Mantel gehüllt, mit einem weißen Elfenbeinstab in der Hand – dem Mosesstab – stumm, langsam, feierlich durch die Gänge und Zimmer des Schlosses, durch Hof und Garten, und führte das auserwählte Volk Gottes durchs rote Meer. Das rote Meer war ihm der kleine Runenteich im Park. Beim ersten Auftritt dieser Art schritt er – wir hatten keine Ahnung von seinem Vorhaben – mitten ins Wasser hinein, und wäre ertrunken, wenn ihn nicht Gartenarbeiter gerettet hätten. In der nächsten Nacht schon ließ ich den Weiher zuschütten. Das hinderte ihn nicht, diese Stelle bis an seinen Tod für das rote Meer zu halten. Glaubte er sich als Prophet Jesaias, dann war die Sache nicht so erträglich. Er predigte, schrie, zeterte, riß sich die Haare aus, daß wir immer alle Mühe hatten, ihn zu beruhigen. Nur einen Menschen konnte er unmittelbar um sich haben: Lesage. Dieser widerwärtige Bursche allein konnte ihn bändigen und beschwichtigen. So ließ ich ihn natürlich stets in seiner Umgebung.
Nun aber kommt das Merkwürdige. In den Tagen und Stunden, in denen mein unglücklicher Bruder nicht krank war, zeigte sich bei ihm in der Verwaltung seiner Güter und Liegenschaften, namentlich aber in der Art zur Vermehrung seiner Gelder, eine so äußerst kluge und klare Berechnung, daß Möllwind und ich aus dem Staunen nicht herauskamen.
Wenn Henning von jeher vernünftig, sparsam gewesen, so steigerte sich dies, namentlich in den letzten Monaten zu einem Geiz, der jeden Begriff übersteigt. Er wäre verhungert, hätten wir nicht aufgepaßt. Erkläre mir dies alles, liebe Wulfhilde. Ja, wenn je ein Mensch über den andern den Schleier heben könnte.
Sein Testament bestand eigentlich nur in zwei Worten. Er hatte mich zum Universalerben eingesetzt. Nicht ein Legat sonst, und, merkwürdig, keine Stiftungen für die Kirche. Selbst Lesage hat er nicht mit einem Pfennig bedacht. Ich habe dem Menschen ein großes Stück Geld gegeben und ihn entlassen. Geheimnisse kann er ja nicht verraten.
Ich wate nun im Golde. Aber in Versuchung, es zu verschwenden, komme ich nicht mehr. Ich bin ganz ruhig und väterlich geworden.
Was also thun mit dem Mammon? »Gutes thun,« höre ich Dich einfach sagen. Ja, Wulfhilde, ich will es. Da stehen denn Heilwig und Breide in erster Linie. Möchtest Du mir mit Deinem stets bewährten Rate, beistehen, wie ich das am taktvollsten ausführe.
Breide und ich haben uns gehaßt. »Treck di man wedder de Stebeln an,« lautet ja das auch Dir wohlbekannte alte plattdeutsche Wort unsrer Bauern. Ich habe nie recht den Sinn verstehen können. Jetzt ist er mir klar: Nur ruhig, gemach, kein Zorn, hast Du die Stiefel wieder angezogen, kannst Du auch wieder vor Deinen Feind treten – und dann werdet ihr schon einig und Freunde werden.
Schreib das Wort an Breide von mir. Dann wird er lachen, und die Brücke ist gebaut zwischen ihm und mir. Ich hätte niemals geglaubt, wenn Du mir nicht in Deiner letzten Zuschrift alles so durchsichtig über ihn und Heilwig auseinander gesetzt hättest, daß er so handeln würde, daß er so handeln könnte, wie er es gethan hat. Welche wunderbare Gesellen sind doch von jeher in unserm Geschlecht gewesen!
Nun muß ich Dir zum Schluß ein kleines Geheimnis in die zierlichste Ohrmuschel tuscheln, die je einem klassisch schönen Frauenkopf gehörte. Erschrick nicht: Ich habe Heilwig geliebt, so bitter ernst, so teuflisch süß, wie ein Mann ein Weib lieben kann. Aber ihre Treue und Anhänglichkeit, ihre heilige Scham hielten mich ab, sie weiter zu versuchen. Deshalb meine Flucht nach Italien im September 84. Liebe Wulfhilde! All is gone! Nur die denkbarste Bewunderung für solch eine Frau, wie Heilwig sie ihrem Gatten bis heute gewesen ist, ist geblieben.
Das mußte ich Dir sagen, damit Du vielleicht später manches nicht mißverstehen möchtest. Und nun erwarte ich in Bezug auf Heilwig und Breide Deine Vorschläge.
Immer
Dein treuer Vetter
Detlev Hummelsbüttel.