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Zweites Kapitel

Wenige Tage später. Auf ihrem Schlosse Wittensee saß in einem großen, fast saalartig großen Zimmer auf weichstem Polsterstuhl Baronin Heilwig Hummelsbüttel. Sie hatte in »Der letzten Reckenburgerin« unsrer vortrefflichen Luise von François gelesen. Das Buch lag aufgeschlagen in ihrem Schoß. Nun nahm sie es und legte es, wieder aufgeschlagen, auf den Tisch neben sich, stellte auf die offnen Seiten, daß diese sich nicht umschlugen, ein Nähkästchen, kramte aus diesem eine feine kleine Feile heraus und begann bald hier, bald dort reibend, den Staub fortpustend, an ihren wunderschönen Nägeln zu glätten. Ja, diese Nägel waren wunderschön: sie hatten die Wölbung der Haselnuß, waren rosenrot überhaucht und spitzten sich, kleinen Kohlenschaufeln gleich, rundspitz zu. Diese Nägel sagten: wir arbeiten nie, das thut der Pöbel, wir sind da, um bewundert zu werden, und wenn die albernen Menschen sich über uns lustig machen wollen, dann ziehen wir, ihnen erst recht zum Verdruß, nachts Futterale über. So sprachen die Nägel.

Als die kleine feine Feile wieder im Nähkästchen ruhte, entnahm diesem die Freifrau ein Blättchen Sandpapier und rieb mit ihm auf den Diamanten ihrer schönen, ein bißchen zu starken Finger umher. Und dann war auch dies Geschäft beendet.

Nun erhob sich Heilwig, reckte sich a bissel und stand dann in ihrer vollen Größe aufrecht. Welch ein herrlich Weib! Sie stellte sich einen Augenblick vor den langen, scheinbar von der Decke kommenden Spiegel und ahmte die Bewegung der Venus Kallipygos nach, warf sich Kußhände zu, lachte wie verschämt und trat dann in eins der Fenster, die durch die Dicke der Grundmauern wie kleine Erker hinauszutreten schienen. Nein, keine Venus war sie, aber eine Thusnelda. Das dunkle starke Haar, zum einfachen Knoten auf dem Hinterkopf geschlungen – wie hold mußte es ausschauen, in zwei schweren Zöpfen oder aufgelöst, – ließ eine nicht zu große Stirn frei. Die Augen waren von unbestimmbaren Farben, bald hell, bald dunkel, bald grüngrau, bald graugrün, je die eine Schattierung vorherrschen lassend vor der andern. Um den kleinen Mund haschten sich unaufhörlich die Liebesgötter. Thusnelda freilich – doch wir haben kein Bildnis von ihr – mag breitere, längere Lippen gehabt haben.

Der Engel des Hochmuts aber lag verstimmt in ihren Augen, die sich durch die großen neumodischen Scheiben in den Garten senkten. Wie langweilig das war. Was ging denn Heilwig der Frühling an? Die Natur hatte ihr in die Wiege nicht die Freude an Wald und Wiese geschenkt. Wie langweilig der Frühlingsgarten lag. In die Stille hinein schlich auf dem großen, weiten Rasenplatz vor den Fenstern eine merkwürdig gelbschwarzgrau gefleckte Katze. Die Hälfte des Kopfes, genau die eine Hälfte war schwarz, die andre weiß. Und die Katze trottete mißmutig weiter. Zuweilen blieb sie stehen, ringelte und schlug den Schweif, sah sich um, trottete weiter und stand plötzlich still. Nur die Schweifbewegungen gingen weiter. Nun duckte sie sich. Heilwig öffnete rasch das Fenster und rief: »Huhsch, huhsch, willst du wohl.« Das Kätzchen, in ihrer Stellung beharrend, drehte das Schnäuzchen und blinzelte hinauf. Ein leichter Knall aus einem sprossenden Gebüsch, und sie sank, einen Sprung von drei, vier Fuß in die Höhe machend, ins Gras, zuckte noch einmal und war verendet. Ein junger Gärtnerbursche, das Gewehr in der linken Hand, trat vor, berührte das Thier vorsichtig mit dem Kolben, um ihres Todes gewiß zu sein, nahm es dann an dem rechten Hinterlauf und trug es weg. Die Baronin hatte während des ganzen Vorganges gelacht.

Und wieder war es still wie vorher. Nur eine Drossel flötete, aus tiefen Gründen, und zwei Saatkrähen flogen schwerfällig dicht, so daß die oft mißtrauisch rechts und links gedrehten Köpfe klar bemerkbar wurden, über den breiten Herrenhausturm. Diesen Turm nannten die Bauern: Ol Klas.

Heilwig, noch immer am Fenster, legte die linke Hand an einen Pfosten und lehnte ihr Haupt hinein. Aus den hochmütigen blitzenden Augen waren schmerzkündende, traurige geworden. Und leise sagte sie: »Er liebt mich nicht mehr …« Dann, nach einem Weilchen: »Wenn ich nur wüßte, was ihn jeden Tag in die magre, dürre Haide drängt; ohne Kutscher ohne Groom. Jagt er dort?« Und die schöne Frau versank in langes Nachdenken.

Heilwig Hummelsbüttel war die Tochter des verstorbnen preußischen Reitergenerals Ehler Wensin. Dieser, in Holstein geboren, hatte sich frühzeitig nach Berlin gesehnt. Er galt seiner Zeit als der schönste Offizier Seiner Majestät, und man erzählte scherzhaft, daß jeder Feind vor Staunen sofort das Gewehr ins Korn werfen würde, wenn er an der Spitze feiner Kürassier-Brigade attackiere. War dies ein launiges Wort, so zeigte es doch, wie bekannt der General im Lande damals gewesen war. Ehler Wensin hatte nur Töchter hinterlassen, aber eine zeichnete sich immer über die andre durch seltenste Schönheit aus. Allen voran, und unbestritten, galt die jüngste als die Helena. Und die jüngste hieß Heilwig.

Breide Hummelsbüttel, schon durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen mit den Wensins – die adlichen Geschlechter Schleswig-Holsteins hatten Jahrhunderte lang nur untereinander geheiratet – war in Berlin seit seinem ersten Tage dort ein stehender Gast gewesen im Hause des prächtigen Generals.

Daß Breide und Heilwig Mann und Frau wurden, war allen ein Rätsel geblieben. Die kühle, jede Berührung mit dem »Volk« aufs ängstlichste meidende, grenzenlos von ihrer Familie vergötterte und verzogne Heilwig, und der leichtdenkende, leichtsinnige, stets in Abenteuern mit den Weibern verfangne, offne Breide. Und doch hatten sie sich gefunden.

Aber nicht lange hatte die Herrlichkeit gedauert. Breide, von seiner Frau kaltem Charakter abgezogen, hatte sich bald innerlich von ihr abgewandt, und sie konnte niemals seinen lustigen, über alles im Leben sich wegsetzenden, leichtsinnig bleibenden Sinn verstehn. Ihr keusches, reines Herz empörte sich, wenn er ihr, taktlos genug, Jugenderinnerungen lachend erzählte oder leichthin über seine stets wachsenden Schulden sprach. Und doch liebte sie ihn von ganzer Seele.

Einen Fehler hatte Heilwig, und darüber konnte er nicht hinweg, das auch mochte der innerste Grund seiner Abneigung sein: sie war außergewöhnlich heftig. Ihre Wutausbrüche waren ihm gradezu entsetzlich. Immer aber bis zur Stunde wurde das so oft zerrissene Band wieder geknüpft. Und der gutmütige, weichherzige Breide preßte das tiefbereuende, schluchzende Weib immer wieder an seine Brust.

Zwei Kinder, in den ersten drei Jahren geboren, hatte ihnen der Tod schon nach Stunden entrissen. Ein Brüderchen, ein Schwesterchen waren nicht mehr gekommen. Die Ehe blieb kinderlos.

Seit acht Jahren waren sie verheiratet. Seit zwei Jahren – nach dem Tode des Vaters – lebten sie auf Breides großem Gute Wittensee.

* * *

Ein Wagen knirschte vors Portal. Er wurde im Ruck angehalten. Heilwig verließ ihren Platz am Fenster, setzte sich in den Lehnstuhl und nahm, das Haupt zurücklehnend, eine Stickerei vor, an der sie emsig anfing zu arbeiten.

Die Thür zum Zimmer ging auf, und Breide, mit von der Fahrt geröteten Wangen, trat ein.

»Verzeih,« sagte der junge Gutsbesitzer, »daß ich so spät komme. Du hast doch nicht mit dem Essen auf mich gewartet? Du weißt, wie unangenehm mir …«

»Ich weiß, wie unangenehm« (das Wort unangenehm betonend) »es Dir ist, und ich bin allein zu Tisch gegangen, allein, wie so oft …« erwiderte Heilwig. »Aber Du wirst hungrig sein … Komm, ich will Dir Gesellschaft leisten, oder möchtest Du lieber ohne mich sein …«

»Ich habe in Wulfsmoor schon gefrühstückt.«

»In der alten widerwärtigen Kneipe. Natürlich, natürlich. Deine Freunde saßen da …«

»Heilwig, ich bitte Dich, laß endlich diese Reden.«

Die junge Frau seufzte: »Wie Du willst.«

»Nein, komm,« – und Breide, der vor ihr Platz genommen hatte, erhob sich – »komm, gieb mir die Hand …«

Sie wehrte ihn ab: »Laß mich. Das eine, was ich so an Dir schätze, das eine will ich behalten: Deine Offenheit. Und jetzt bist Du nicht aufrichtig. Deine Hand hat erst vor Stunden in einer andern gelegen.«

»Ich habe kein Weib berührt …«

»O, laß mich, laß mich. Schon das Wort klingt roh, wie Du es sagst …«

Und beide schwiegen. Die Baronin, immer das Haupt zurücklehnend, an ihrer Stickerei arbeitend, hob zuerst das Schweigen:

»Henning war vor zwei Stunden hier, um …«

»Henning?«

»Ja. Er und sein Bruder Detlev.«

»Wie? Henning – und Detlev? Wie ist denn der wieder bei uns eingeschneit? Es hieß doch, daß er im Kaukasus gefallen sei.«

»Sein Bruder sei nur auf einige Wochen zum Besuch nach Bredenfleth gekommen, gestern Abend sei er eingetroffen, erzählte mir Henning.«

»Du sahst Detlev zum erstenmal; er ist schon über sieben Jahre außer Landes. Welchen Eindruck hat er Dir gemacht?«

»Jedenfalls einen merkwürdigen. Das wüste, bleiche Gesicht mit einer furchtbaren Narbe von der Stirn über das rechte Auge, dieses, Gott sei Dank nicht entstellend, in grader Linie im kurzgehaltnen braunen Vollbart verschwindend, hatte etwas Dämonisches, mich Erschreckendes. Übrigens sieht er weder Henning noch Dir ähnlich. Auch nicht eine Spur von seinem Bruder. Er überragt ihn an Kopfeslänge, und selbst Du dürftest kleiner im Wuchs sein.«

Breide lachte. »Aber die Narbe, die Narbe kenn ich nicht an ihm. Wo mag er sich die geholt haben. Nun, und wie gefiel er Dir sonst?«

»Er hatte die Umgangsformen eines Gentleman.«

»Die vergißt der gewesene Offizier niemals.«

»Aber sein ganzes Wesen hatte etwas hastiges. Er sprang fortwährend von einem Gegenstand zum andern. Bald erzählte er von seinen Erlebnissen auf Cuba, wo er im Aufstand thätig gewesen ist, dann, ohne Übergang fast, von den Ungeheuern Schafherden, die er in Australien besessen habe. Aber was ist es mit ihm; Du hast mir so selten von ihm berichtet?«

»Detlev mußte wegen Schulden vor sieben Jahren den Dienst verlassen. Henning hatte zweimal – auch ich, ohne Hennings Wissen, hatte eingegriffen – die ganz außergewöhnlich großen Summen bezahlt. Beim dritten Sinken überließ er Detlev seinem Schicksal. Und ganz natürlich. Henning hatte wahrlich als ein Bruder an ihm gehandelt … Und dann war er verschollen. Kein Schreiben von ihm traf ein, kein Gruß kam jemals uns zu Ohren. Nur einmal, wie gesagt, hörten Henning und ich, daß er im Kaukasus, im russischen Heere wieder angestellt, erschossen sei. Und aufrichtig, wir waren dessen beide froh. Es war doch nur ein zerstörtes Leben. Aber vielleicht ist noch nicht Hopfen und Malz an ihm verloren, und wir erleben es am Ende,« – Breide lachte aus vollem Halse – »daß Henning seinen Bruder zum Heiligen bekehrt. Gottes Gnade … aber Detlev Hummelsbüttel als Bettelmönch zu sehen, als Wanderprediger auf unsern Dörfern … Nun, nun, die Welt ist so voller Unerklärlichkeiten … Also Henning wollte uns nur seinen Bruder vorführen. Hatte er nicht sonst etwas? Die Sammelbüchse für Kaschuba oder ein protestantisches Kapellchen auf den Himalayaspitzen?«

»Die Vettern brachen bald wieder auf, als sie hörten, Du seiest ausgefahren.«

Die Ehegatten schwiegen wieder.

Heilwig, immer in ihrer Stellung verharrend, mit auf ihre Arbeit gerichteten Augen, fragte dann ruhig:

»Wir sind heute in Familiengeschichten. Ist es Dir recht, Breide, so erzähle mir jetzt einmal klar, welches Verhältnis zwischen Dir und Henning besteht. Ich bin immer noch nicht ganz klug aus der Geschichte geworden.«

Und Breide begann:

»Hennings Großvater und der meinige waren Brüder. Mein Großvater der ältere. Das Geschlecht stand damals auf vier Augen. Mein Großvater, mit einer Weststeden verheiratet, ohne Kinder, war, als Ältester im Besitz des großen Fideikommisses, das heute – in Händen Hennings ist … Dieser alte Herr (Pardon) muß ein schlechter Mensch durch und durch gewesen sein. Eines Tages war er mit einer Leibeignen verschwunden. Diese, ein Gänsemädchen, von infernalischer Schönheit – Du kennst ja ihre Bilder – kam mit ihm als seine angetraute Frau aus England bald zurück. Wie fies angefangen, bleibt ein ewiges Rätsel. Mein Großvater, ein stolzer, rücksichtsloser Mann, hätt es wahrlich bequemer haben können: er war als Gutsherr Herr über Leben und Tod seiner Leibeignen.

»Und nun sollen furchtbare Dinge auf Wittensee sich zugetragen haben. Meines Großvaters Ehegattin, aufs Tiefste in ihrer Ehre gekränkt, floh zu ihren Verwandten nach Schwartendorf. Sie verweigerte die Scheidung. Einer ihrer Brüder, für sie mit der Pistole eintretend, wurde von meinem Großvater erschossen. Der Adel, das ganze Land waren wegen dieser unerhörten Geschichte in die größte Aufregung versetzt.

»Der schleswig-holsteinische Adel, feudal wie keiner sonst auf Erden, konnte, auch bei begangnem Verbrechen, nur durch sich gerichtet werden. Selbst der König war völlig machtlos seinen schleswig-holsteinischen Granden gegenüber. Diese stolze Ritterschaft, ich muß es gestehn, hatte etwas Poetisches. Davon allerdings wußte sie nichts, denn sie wie unser ganzes Hinterwaldländchen bemühten sich von jeher der allerdenkbarsten Nüchternheit.

»Der Adel berief eine Sitzung, in der mein Großvater freigesprochen wurde unter den Bedingungen: Seine erste Frau sollte freiwillig ihren Wunsch zur Scheidung äußern. Und zweitens sollte das Fideikommiß auf meines Großvaters jüngeren Bruder Josias übergehn, ebenso auf diesen das Gut Bredenfleth; Wittensee blieb meinem Großvater.

»Und also, unerhört, geschah es. In all dem Trubel, ein Jahr nach der Scheidung, war mein Vater, der Sohn der Leibeignen, geboren. Er blieb das einzige Kind. Meine Großmutter, ebenso klug wie sie blendend schön war, wußte bald festen Fuß zu fassen, und durch ihren Geist, ja, durch ihren »Geist« zwang sie schließlich, wenigstens die Nachbarn, die Menschen zum Umgang auf Wittensee.

»Und ohne Nemesis schien sich alles verlaufen zu wollen … Da forderte plötzlich Josias Hummelsbüttel seinen Bruder nochmals vor den Adel. Eine Versammlung wurde angesetzt im alten offnen Felde. Die Stelle ist von Eschen umschlossen. Junker umstanden, um jeden Eindringling zu wehren, in weitem Bogen die erlauchte Gesellschaft. Josias, ebenso schlecht und niedrig denkend wie sein Bruder, nur noch mit dem ewigen Giergedanken nach Geld behaftet, verlangte stürmisch die Herausgabe von Wittensee. Kaum gelang es, ihn zu bändigen … Und es war eine Stille eingetreten … Josias, seine Aufregung bemeisternd, bat um ein letztes Wort:

»›Seit wann, erlauchte Herren und Ehrenfeste, steht es geschrieben, daß der Leibeigne überhaupt ein Mensch ist … Und mag noch so sehr die Ehe als rechtmäßig anerkannt werden, der Sohn meines Bruders ist von einer Leibeignen geboren. Ihr alle kennt unsre unveränderlichen Satzungen: wer eine Leibeigne heiratet, ist ausgestoßen aus der Ritterschaft …‹

»Die Versammlung trat in lebhafte Beratung. Gruppen bildeten sich. Aber selbst in diese starre, erstarrte, von ungeheuerm Selbstbewußtsein erfüllte Ritterschaft waren einzelne Klänge hineingefallen von Menschlichkeit und Bruderliebe … Jean Jaques Rousseau – kaum glaublich – war von einigen dieser Herren gelesen …

»Und das Endergebnis der Beratung war: Mein Großvater blieb im Besitz von Wittensee, mußte jedoch seinen Grafentitel an den jüngeren Bruder abgeben. Josias zog sich grollend, auf immer unversöhnt, nach Bredenfleth zurück.

»Das alles hatte sich noch am Ende des vorigen Jahrhunderts – einige Jahre später wurde die Leibeigenschaft, die letzte in deutschen Landen, aufgehoben – in Schleswig-Holstein zutragen können. Der Adel wurde meinem Vater nicht verwehrt. Die Ehe meines Großvaters mit der Leibeignen wurde als rechtsgiltig erklärt. Die Scheidung meines Ahns von seiner ersten Frau war ein Jahr vor der Geburt meines Vaters ausgesprochen …«

Heilwig erwiderte, daß das ja ganz undenkbare Zustände gewesen sein müßten, und ob nicht seine Phantasie …

Breide erzählte weiter: »Mein Großvater verkam. bald. Er trank die schwersten spanischen Weine in großen Zügen aus einem von ihm nach seiner Bestellung angefertigten echt silbernen Tönnchen, peitschte unmenschlich seine Frau, die ihm aber stets unterwürfig blieb, – sie war zu klug – wurde immer toller, sprang stundenlang nach Art der Sperlinge, einen übergroßen, knallgrünen Seidenschirm über sich haltend, auf seinem Hofe einher, richtete, Soldaten vor sich wähnend, die Bäume der Alleeen aus, und starb endlich auf einer Hasenhetze durch Sturz mit seinem Pferde.

Sofort meldete sich Josias. Aber nun griffen die Gerichte ein, und nach langem Prozeß wurde endgiltig meinem Vater Wittensee als alleiniger Erbherr zugesprochen. Josias behielt Bredenfleth und das große Fideikommiß.«

»Und Du glaubst nicht die Möglichkeit,« sagte Heilwig, »daß Henning einmal wieder … ich meine, daß er die immer brennender werdenden Schulden, die uns peinigen, benutzen könnte, um Wittensee an sich zu reißen?«

»Ich weiß nicht, wie Du daran denken kannst. Bald werden es hundert Jahre …, die ganze Angelegenheit ist ja längst verjährt …«

Und wieder war es eine Minute totenstill im großen Zimmer.

Heilwig brach das Schweigen: »Beharrst Du dabei, Hennings Hilfe nicht in Anspruch zu nehmen?«

»Eher an den Schandpfahl, als von dem …«

»Du hältst ihn für unedel? Und Du giebst, wenn auch mittelbar, nun doch zu, daß Du ihm Schändlichkeit zutraust?«

»Nie und nimmer thue ich das. Henning ist nicht schlecht. Was er meint und wie ers meint, das ist ehrliches Herz. Aber sein religiöser Wahnsinn macht ihn zu allem fähig. Haßte er mich nicht als einen Ungläubigen, hielte er mich nicht für gänzlich dem Himmel verloren, zu jeder Stunde würde er mir Hilfe bieten. Er ist nicht geizig, und so sehr er den Wert des Geldes kennt und mit seiner Klugheit und seinem praktischen Geschick in Geldsachen Bescheid weiß, unverzüglich würde er mir helfen. Aber alles: zur höheren Ehre Gottes … Ich fürchte für seinen Verstand. Die Verrücktheit in merkwürdigen Sprüngen, mit Überschlagung oft ganzer Geschlechtfolgen, ist erblich in unsrer Familie …«

»Breide, wenn ich ihn bäte, wenn ich ihm klar legte? …«

»Von dem Augenblick an sind Du und ich geschieden; ich will von Henning kein Geld.«

Heilwig erhob sich und trat an die Seite des Sitzenbleibenden: »Wenn Du mir Dein Leid, Deinen Kummer, den Tagesärger vertrauen würdest, Breide, wenn Du mich« – und ihr Haupt neigte sich; sie sprach leiser – »als Dein treues Weib erkennen würdest … Wenn Du so offen mir wärest, wie Du es heute warst …«

Breide blieb stumm. Die Baronin setzte sich wieder in den Stuhl, und die Finger gegen einander lehnend, legte sie das Haupt zurück an die Lehne. Eine Blutwelle, schnell wie hin und her schießendes Quecksilber, floß ihr unterm Stirnhaar von Schlaf zu Schlaf, und dann war ihr Gesicht übergossen von dunklem Rot. Und langsam, leise, mit kaum merklich zuckenden Lippen, mit verlegnem Lächeln sagte sie: »Breide, Du vernachlässigst mich …«

Der Baron schien einen Augenblick betroffen, um dann trotzig zu antworten: »Ich bin mein eigner Herr,« und sich erhebend trat er ans Fenster.

Und wieder war die alte Stille eingetreten. So still umher, daß deutlich vom Garten die Stimme eines alten Arbeiterweibes ins Zimmer klang: »Trina, wat is de Klock all?«

Aus dem Stuhl erhob sich, wie mit körperlicher Anstrengung, Heilwig; sie ging, im Schritte zögernd und Augenblicke wie angewachsen stehend, zu Breide. Und bei ihm, der regungslos in den Frühling schaute, angekommen, sank sie zu seinen Füßen. Ganz entsetzt hob der Rittmeister sie auf: »Heilwig, Heilwig.«

Sie aber, unter einem Strom von Thränen: »O, sei mir gut, Breide, Du kennst mich nicht, Du weist nicht, wie ich Dich liebe, gieb mir Dein Herz, Dein ganzes Herz, gieb mir Dein Vertrauen …«

Breide erwiderte finster: »Wie oft, wie oft in frührer Zeit hab ichs versucht. Erzählte ich Dir in meiner Offenheit – und ich Wills gestehn, zuweilen in plumper, roher Offenheit – so verstandest Du es nicht. Deine furchtbare Heftigkeit trat heraus … Und diese Wutanfälle sind mir das Entsetzlichste, was ich denken kann … Und so unterließ ich es mehr und mehr …«

Er küßte sie auf die Stirn, sagte sanft: »Es wird wohl alles noch gut werden,« und verließ das Zimmer.

Heilwig aber fiel in den Lehnstuhl und weinte bitterlich, die Hände vor den Augen haltend.

* * *

Es war am nächsten Morgen.

»Hest bin Swin verköfft, Hans?« fragte Paul Reimers den in die Wirtsstube »Zum lustigen Bruder« eintretenden Hans Mehrens. »Nä, Martin Slachter will hüt nich. Is dat 'n Minschen. Güstern wull he mi 130 Mark gevn, hüt man werrer 120 Mark. Nä, hew ick em feggt, nu schast't ni hem.«

Die Stube füllte sich mehr und mehr mit Bauern, Händlern, Forstbeamten, Bierfuhrleuten aus den Nachbarstädten. Zwischen ihnen, sich heimlich über den starken Besuch freuend, wirbelte die muntre Wirtin Witwe. Aus den blanken, lustigen Schwalbenaugen sprach unaufhörlich unverdrossenste Tagesarbeit und rastloser Wunsch, im kargen Leben so viele Mark zu verdienen, daß sie in ihren spätern Jahren von den Zinsen leben könnte. Mit keinem verdarb es die hübsche, flinke Hanne. Mit keinem, wer immer auch ihr im innersten Innern – wir sind ja Menschen – gefallen mochte, wurde sie vertrauter, als wie es ihr Geschäft, ihre freiere Stellung als Witwe und Wirtin verlangte und erlaubte. Von allen Gästen wurde die Ankunft Detlev Hummelsbüttels besprochen.

Plötzlich trat Breide herein. Das Gespräch verstummte sofort. Ein wenig Verlegenheit lag eine Minute auf allen Gesichtern. Aber der Baron hob sie leicht. Er sprach so liebenswürdig, so geschickt in die häuslichen und dörflichen Angelegenheiten gelangend, so vertraulich – im rechten Sinn – von diesem und jenem; er machte sich so »gemein«, daß der Alb der um den Tisch Sitzenden bald verschwunden war. Aber keiner auch, wie Breide, verstand es – sprach er doch ebenso gut plattdeutsch wie hochdeutsch – sich das Herz seiner »Untergehörigen« (wie es früher hieß) zu erobern und festzuhalten. Es kam ihm wirklich aus der mitfühlenden Seele, und das wußte jeder. Ohne ein Titelchen der Ehrerbietung gegen ihren Gutsherrn außer acht zu lassen, hatte mancher ihm schon seine kleinen Angelegenheiten vertrauen dürfen; und mit Rat und That war Breide ohne Zaudern stets zur Hand.

Der schleswig-holsteinische Bauer, in seinem Kern, ist ein sehr ruhiger, stark mißtrauischer, kirchlich gesinnter, tieftreuer Mensch. Ohne sich um das weite Welttreiben um ihn im mindesten zu bekümmern, hält er Zucht und Ordnung auf seinem Hofe. In Geldsachen ist keiner wie er so treu: das einfache Wort gilt häufig, und er sieht sich selten betrogen. Und im Kern ist er und das schleswig-holsteinische Weib keusch und rein. Der Ehebruch ist im Lande noch immer ein Unerhörtes. Wie Ernst und Entsagung schwebt es ob dem Ländchen. Entsagung im Entbehren körperlicher guter Kost ist damit nicht gesagt: der schleswig-holsteinische Bauer ist wohlhabend und oft reich: er läßt sich nichts abgehen.

Wie sehr die Bauern, die Hofbediensteten Breide zugethan, ließ sich erkennen durch das »ein Augezudrücken« über mancherlei »kleine Affairen«, die der Baron auf seinem Gute und seinen Dörfern »mit dat Fruenvolk« erlebt hatte. Es war dem Baron wie ein Angebliebnes aus früheren Jahrhunderten … Sein heitres Gemüt, seine stark ausgeprägte Sinnlichkeit fand keine Sünde darin, ein hübsches Weib in die Arme zu schließen, wenn sie ihm gefiel … und wiederum den Weibern gefiel er sehr.

Die schmucke Hanne trat ein – sie hatte schleunig, als sie Breide anreiten sah, ein neues Schürzchen vorgebunden – wurde blitzlang ein wenig rot und sagte: »Goden Dag, Herr Baron.«

»Ah, junge Frau … Immer vergnügt,« sagte der Rittmeister auf hochdeutsch, und dann lachend und ihr scharf in die hellblauen Kiekindiewelts schauend: »Schal'k man Lütten un' Glas Beer hem?« Dann fragte er sie nach fünf Minuten, was es im Hause zum Essen gebe. Nach genügender Antwort bestellte er. Und das Gespräch mit den Bauern ging ohne Unterbrechung weiter. Bald erschien wieder die wirbelnde Witwe und meldete, daß nebenan angerichtet sei. Der Baron, ein wenig den Heuchler spielend – wir sind ja Menschen, alle, alle – fragte, weshalb sie denn solche Umstände mache, er hätte ja gern in der Schenkstube seine Rühreier und Schinken verspeist, und folgte ihr.

Und das war so frisch alles: Der gesunde Baron, wie er mit tüchtigem Hunger aß; die ihn selbst bedienende schlanke Hanne, die niemals längere Zeit bei ihm – er aß in ihrer Stube – blieb, um sich immer wieder den Gästen zu zeigen, und die doch so gerne in die halb im Schlaf, halb im Leben stehenden Augen des Barons sich vertieft hätte. Und wenn er sie einmal ums Gürtelband faßte, so war ihr Sträuben nicht so ganz ernst gemeint: aber husch war sie wieder bei den Gästen drin, um ja nicht den Verdacht … Ja, ja, die Weiber, die Weiber …

Hanne hatte eben den Rittmeister gefragt, ob der Gemeindevorsteher von Lehmkuhlen ihn sprechen könne. Der Baron hatte sofort zugesagt, und nun stand der Gemeindevorsteher vor ihm. Es war eine traurige Geschichte, die er mitteilte: Peter Fock, der Mauermann, sei vor einer Stunde vom Gerüst gefallen und auf der Stelle tot gewesen. Er hinterlasse, ohne einen Pfennig gehabt zu haben, eine Witwe mit neun Kindern.

»Wär dat Peter Fock, de ümmer dhun wär?« fragte Breide.

»Jau, jau, he drunk 'n beten vel,« antwortete mit langsamen Kopfnicken der Bauernvogt.

»Ja, da muß sofort geholfen werden; die arme Frau sitzt allein mit ihren Gören,« und der Rittmeister untersuchte seine Börse. Es fanden sich nur elf Mark zwanzig Pfennig darin.

»Wollen Sie dies erst der Frau geben; ich sende an Sie, lieber Clausen, noch hundert Mark, die ich bitte, ihr einhändigen zu wollen. Über den Verbleib der Kinder uns zu besprechen, wollen Sie deshalb morgen um elf Uhr zu mir kommen …«

Seit einer Stunde war Breide schon wieder unterwegs. Er ritt seinen hellbraunen litthauischen Hengst Siebenkäs. Herr und Tier verstanden sich. Oft legte der Rittmeister seinen Zügel ihm zwischen die Ohren, kitzelte ihn, sprach mit ihm: aber immer doch, ohne einen Augenblick sich und sein Pferd außer acht zu geben. Wie der Gaul nickte, wie er immerwährend mit den Ohren spielte, ins Gebiß schäumte. Und Breide klappte ihm den Hals, streckte sich wie ein Indianer aus, verbarg sein Gesicht in die Mähne. Und nun sang er gar: »Mein Schatz ist ein Reiter, ein Husarenoffizier …« Wie der Hengst horchte, wie ihm das gefiel, wie er immer schnellem Schritt ging, immer, sozusagen: beifallsschneller den Hals in unaufhörliche Bewegung setzte … Pferde kennen allewege ihren Reiter … Und nun kommandierte Breide laut: »Eskadron Tra-a-a-ab …« und ein langer, wohl halbstündiger Trab. Immer gleich weg. Wie köstlich das war.

Und welch ein Frühlingstag. Wenn auch das liebenswürdige Mädchen heut noch nicht verschwendrisch Blumen aus ihrer Schürze den armen Nordbewohnern zuwarf, so gab sie doch schon hier und dort. In den Gärten der Häuser spielen und graben die Kinder. Die Rinde der Bäume hat eine nasse, dunkelgrüne Farbe. Auf den Strohdächern sitzen, flügelschlagend und die Stimme ihrer Mitsänger nachahmend, die Stare. In den Wirrnissen der Thüren und Fenster umrankenden Epheustauden zanken sich die Sperlinge. Auf einer Fahnenstange sitzt eine Nebelkrähe, den Kopf gegen die Brust senkend und den Hals, dessen Federn sich sträuben, nach vorne reckend, krächzt sie dreimal, viermal kurz hintereinander. Die Syringenbüsche und Stachelbeersträuche zeigen ihr erstes zartes, liebes Grün. Aus der dunklen, feuchten Erde sprießen feine Gräser und aus der Scholle brechen Crocus. Um die Rosenstöcke aber sind noch die Bast- und Stroh-Matten geflochten …

... Breide hielt auf einer Anhöhe und sah auf die Ostsee, die sich ihm hier zum erstenmal seit seinem Wegritt heute zeigte. Sie lag in tiefer Bläue vor ihm und sandte eine köstliche Kühle zu ihm hinauf. Dem Hengst, durch langen Schritt gut abgekühlt, legte er die Zügel auf den Kopf, und dies wiederholend, strich er im Zurücknehmen der Hand den Mähnenkamm. Das edle Tier öffnete weit die Nüstern und sog mit Gier die frische Luft ein.

Als er im Weiterreiten am ersten Häuschen des nächsten Städtchens vorbei kam, hörte er, wie eine ältere Frau zu einem dreijährigen Kinde, das eigensinnig vor ihr stand, sagte:

»O, kumm duch nuch oinmahl ssu doin Omama. Du sust aach 'n Ssstöck Ssokker habn.«

»Scheußliche Sprache,« murmelte Breide, und der Huf seines Pferdes schlug das höckrige Steinpflaster.

Als er den Wirt zur »Stadt Lübeck«, einen alten Bekannten, begrüßt hatte, trat er in die Gaststube. Um einen großen runden Tisch saßen rot und blond bebartete sonnenverbrannte Landleute, von denen viele schon zu viel getrunken hatten. Alle sangen: »Söten Lena, Söten Lena, Söten Lena, min Dirn.« Bei dem Worte »Dirn« schlugen sie mit der rechten Faust auf den Tisch, daß die Grog- und Biergläser klirrten und tanzten.

Die Gesellschaft berührte Breide unangenehm. Er fragte den Wirt, wo die Butterausstellung, die er besuchen wollte und zu der Wittensee beigesteuert, sei, und ging dorthin. Hier fand er die Gutsbesitzer des Nachbarkreises in der Mehrzahl. Alle waren beim Butterlecken; just handelte es sich um die Zuteilung des ersten Preises. Dieser bestand in einer silbernen Medaille, auf deren einer Seite der Tag und die Jahreszahl eingeschnitten, während auf der andern eine fast schweinfette Kuh angebracht war. Um den Rand stand der hübsche Spruch: Gras und Futter geben Butter. Der Landrat des dortigen Kreises, aus einer fremden Provinz, dem der Kobold im Nacken saß, hielt eine launige Anrede. Selbst die ewig ernsten Fett- und Buttergesichter der holsteinischen Gutsbesitzer zuckten zuweilen. Ja, Fett und Vieh und Vieh und Fett. Giebt es denn außerdem noch andres auf Erden? In Schleswig-Holstein jedenfalls wenig.

Es war schon später Nachmittag, als Breide nach Wittensee zurücktrabte. Im Westen, auf den er zu ritt, lag ein schwarzer Waldstreifen, aus dem einzelne hohe Tannen auf einem breiten, schmutzig gelben Himmelsstrich wie ausgeschnitten aussahen. Und grade da, wo sie in ihren Spitzen endeten, lag, wagerecht beginnend, eine Wolkenwand, die steilauf sich über den ganzen Himmel verbreitete. Nur an einer Stelle, nach Südwesten, war ein leeres Fleckchen, das die Farbe eines gänzlich verblaßten blauen Bandes der Ururgroßmama hatte, und daraus hervor glänzte matt und gelangweilt: Hesperus, der blasse Funke.

Breide ließ sein Pferd laufen; vor eingebrochner Dunkelheit gab er es an der Freitreppe ab und stieg die Stufen hinan.

Kurz nach seinem Abreiten aus dem »lustigen Bruder« hatten Henning und Detlev vorm Kruge anhalten lassen, um einen Cognac am Wagenschlag zu trinken. Zu ihnen war der Gemeindevorsteher Clausen aus Lehmkuhlen hinausgetreten und erzählte den Herren das Unglück Peter Focks, des Mauermanns.

Der Graf fühlte sich nicht veranlaßt, der Witwe Unterstützung zuzusagen, »denn,« so sagte er mit zusammengezognen Brauen: »Peter Fock ist seit Jahren nicht in die Kirche gegangen, er war ein arger Söffling zudem. Hier muß einmal ein Beispiel gegeben werden. Sie sollen sehen, lieber Clausen, wie gut ein solches wirkt … Ich hoffe, in nicht zu weiter Ferne es durchzusetzen, daß wieder der Kirchenzwang eingeführt wird. Das walte der ewige Gott und unser Herr Jesus Christus … Übrigens haben Sie ja das Armenhaus in Lehmkuhlen … Vorwärts Johann!«


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