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Der Vorfall der vergangnen Nacht hatte nicht verhindert, daß am folgenden Tage, am 5. September 1884, das adliche Gut Wittenfee für den hohen Preis von einer Million zweimalhundertundfünfundsechzigtausend Mark in den Besitz des Grafen Henning von Hummelsbüttel auf Bredenfleth überging.
Die Schulden Breides waren, trotz der großen Summe, damit noch nicht gedeckt. Etwa hundertundsiebenzigtausend Mark mußten noch bezahlt werden, wollte Breide seine sämtlichen Verbindlichkeiten ausgleichen. Mit dem, was Heilwig und ihm als zu eignen Händen gehörte, konnte es geschehen. Und keinen Augenblick zögerten die beiden; keinen Augenblick auch schlug die Fürstin vor, mit den rasch zu Gelde gemachten Sachen zu fliehen. Was auch hätte es genutzt? Wie der Storch sein altes Nest, hätten immerdar die Gläubiger Breide zu finden gewußt.
Heilwig gewann durch den Verkauf ihres Schmuckes, den sie ohne Bedenken und ohne eine Thräne zu vergießen hingab, an neunzigtausend Mark. Breide verkaufte seine Reitpferde (die übrigen waren mit im Verkaufe des Gutes begriffen gewesen), und aus diesen, aus der Einrichtung der Zimmer, aus auch den letzten wertvollen Sachen, und waren es selbst teure Andenken gewesen, wurden die Restschulden geordnet. Zum 16. September war die Abreise festgesetzt. Kaum so viel Geld blieb noch, daß Breide und seine Frau in ein bayerisches Städtchen ziehen und dort die ersten Wochen leben konnten. Der Baron wollte unter keinen Umständen je wieder borgen; er wollte sich selbst emporheben. Was immer ihm geboten würde, um seine Frau und sich, und sei es noch so kümmerlich, zu ernähren, wollte er bedingungslos annehmen. Vergebens bat ihn seine edle Schwester, für den Anfang eine kleine Summe von ihr zu empfangen. Er schlug es ihr rundweg ab.
Am Abend vor der Abfahrt besuchte er – das brachte auch nur Breide fertig – noch einmal Dorf Wittensee, die Häuser und Kathen, die um das Schloß lagen. Überall begegnete er weinenden Augen. Auch in die Schmiede, in der er sich seit seinen Kinderjahren gern aufgehalten und den fleißigen Arbeitern zugeschaut hatte, trat er ein. Just war ein Abend, an dem lange gesammelte, nach und nach angekaufte alte Hufeisen geschweißt und aus ihnen neue geformt wurden. Ein prächtiges Bild: mit der rechten Hand die Stange zum Blasebalg auf- und niederziehend, schürte die linke in der furchtbaren Glut. Es war ein alter Geselle, der das verrichtete. Er sah aus wie ein polnischer Starost; so vornehm hing ihm der lange graue Schnurrbart hinunter. Ein andrer trug das Eisen herbei und warf es ins Feuer; ab und zu that er Sand hinein, dämpfte und vermehrte mit einem nassen Lappen die Hitze. Ein dritter Geselle, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, daß an den nervigen Armen die Sehnen zu sehen waren, holte das glühend gewordne Eisen heraus mit einer Zange, um es auf den Ambos zu legen. Dann rief er: »Jetzt.« Und nun das Stück mit der Zange regierend, schlugen er und die rasch hinzugetretnen beiden andern im gleichen Takt auf das werdende Hufeisen. Der Hauptgeselle, in der linken Hand mit der Zange festhaltend, schlug zuweilen einige Schläge auf den Ambos (wie der Haarkünstler wohl die Schere einige Male in der Luft auf- und zuklappen läßt), dann gab es jene klingenden hellen Töne, die unser Ohr so sehr erfreuen, wenn wir an einer Schmiede vorbeigehen. Sie hämmerten im Dreiviertel-Takt. Auch begleitete das Schlagen eine Art Gesang. Der eine rief: »Dat makt nix, dat makt nix, dat makt nix.« Der zweite: »Man to, Jung, man to, Jung, man to, Jung.« Der dritte: »Stah fast, Hans, stah fast, Hans, stah fast, Hans.« Die Funken flogen bis in die Ecken der Werkstatt, ab und an blitzten blaugrüne Sterne dazwischen. Ist das Hufeisen im Großen fertig, dann schneidet der eine das Überflüssige ab, höhlt mit einem Spitzhammer die Rille, und wirft es dann zu den schon erkalteten. Ein kleiner schwarzberußter Lehrjunge krabbelt in all dem Getöse wie ein Kobold herum, bald dies, bald jenes holend oder wegtragend.
Breide gab den braven Arbeitern ein Trinkgeld und schüttelte ihnen die schwieligen Hände.
Auf seinem Weg zum Schlosse wiederholte er oft: »Dat makt nix. Man to, Jung. Stah fast, Hans.«
Ja: Stah fast, Hans! Das mußte nun für alle Zeit sein Feldgeschrei sein.
Im Zimmer traf er nur Wulfhilde. Heilwig traf die letzten Anstalten zur morgigen Reise.
Als er sich der Fürstin gegenübergesetzt hatte, erhob sich diese und trat ernst vor ihn hin. Sie nahm seine Hände in die ihren, und drückte ihn sanft, als er aufstehen wollte, in den Sessel zurück. Ihm ruhig und klar in die Augen sehend, sagte sie: »Sieh, mein lieber Bruder, ich möchte Dir ein paar tiefe Worte ins Herz tropfen. Ein neues, schweres, für Dich unsäglich schweres Leben steht Dir bevor. Du hast es selbst gewollt. Du allein bist schuld, daß es so gekommen ist. Nun steh fest, Breide,« (stah fast, Hans! murmelte er) »und halte aus. Demütigung über Demütigung wird Dir nicht erspart bleiben. Hunger und Kummer werden Dich vielleicht Jahre lang begleiten. Bedenke eins: Du hast ein Weib, ein unvergleichlich liebes Weib. Wenn sie auch nicht freizusprechen ist – aber nun schon hat sie gesühnt. Wie sehr hat sie ihre Heftigkeit abgelegt. Auf den Händen von nun an sollst Du sie tragen; mit Deinen Fingern mußt Du Steine auseinanderreißen, kannst Du ihr damit ein weiches Pfühl verschaffen … Ich wollte, Du hättest mein inniges Gottvertrauen, wie viel trübe Stunden würdest Du weniger haben … Und sieh, mein Breide, Du hast so furchtbares erdulden müssen in den letzten Zeiten, da möchte ich Dir noch ein Trostwort mitgeben, ehe Du morgen in die leere, weite Welt ziehst …«
Die Fürstin schwieg einige Minuten. Breide hatte sein Haupt mit geschlossenen Augen an ihre Brust gelehnt.
Wulfhilde fuhr fort:
»Ich habe schwer mit meinem Gott gerungen, ehe ich meinen Entschluß fassen konnte, den ich Dir nun sagen will. Gott ist die Liebe, und ich habe sein leises: Ja! gehört.
»Du hast ein Söhnchen in Berlin (er trägt Deinen Vornamen). Er war die Veranlassung zu jenem ungeheuerlichen Auftritt auf der Station, von dem noch immer die Provinz sprechen wird. Ich sprang gewissermaßen mitten in die Geschichte hinein. Du erinnerst Dich, daß ich – ich wollte Euch überraschen – in jener schweren Stunde mit der Bahn eintraf.
»Deinen kleinen Sohn, dem Du leichtfertig das Leben gabst, will ich in diesen Tagen, ehe ich nach Trauttenberg zurückgehe, in Berlin besuchen, und will für ihn sorgen, bis Du wieder dazu imstande bist. Der alte Kramer, wenn er abkommen kann und es seine weißen Haare erlauben, wird mich begleiten. Ich habe noch weitre Pläne, kann Dir vor der Hand aber nichts Bestimmtes darüber mitteilen. Stelle Dir immer wieder vor die Seele, daß es das Schwerste für ein treues Frauenherz ist, ein Kind ihres Mannes von einer Fremden an die eigne Brust zu drücken. Verzage auch deshalb nicht.
»Und nun, mein Breide, Mut! Ins Leben hinein. Angefaßt! Wir Menschen sind alle gleich. Und zum Schluß: Ich bleibe Deine Schwester.«
Breide war aufgesprungen, und lag, weinend wie ein Knabe, an der Schulter der Fürstin: »O, Du unvergleichliche Schwester. Wo hört Deine Klugheit auf, wo fängt Dein Herz an; wo hört Dein Herz auf, wo fängt Deine Klugheit an. Wie eine liebe, schöne Göttin gehst Du durchs Leben. Und wo Du bist, ist die Morgenröte und der helle Tag zugleich.«