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Noch immer war es Frühling, noch immer schwammen die Tandaradaitage, wie sie Herr Walther von der Vogelweide nennt. Noch sangen die Vögel, noch kettete der Frühling nicht ganz in den Sommer hinein.
Es war ein schöner, wolkenloser Junimorgen.
In der Mitte des Parks von Wittenmoor lag ein einsamer Platz, eine breite marmorne Rundbank umzog ihn. Inmitten dieser grünte ein schöner englischer Rasen, in dem eine große längliche Malachitvase stand. Auf der Rundbank saß die Fürstin Wulfhilde Trauttenberg und las. Unter ihren Füßen, trotz der Wärme des Tages, war ein Panterfell gebreitet. Wie eine Dogaressa saß sie: Die klassische Schönheit ihrer Züge, die hohe Stirn, die nur edle, kluge Gedanken barg, der jedes schlechte Sinnen unnahbar abgewiesen wurde, beschatteten die Edeltannen hinter ihr. Das Malachitbecken schien die Tränke der Vögel zu sein; es war drollig anzusehen, wie sich ein Hänfling halb flatternd, halb mit grade gestreckten Beinchen die glatte Fläche hinabrutschend, Wasser holte. Eine Bachstelze eilte mit blitzartiger Geschwindigkeit durch die vom Nachtregen stehengebliebnen Tümpelchen hin und her. Sie kämpfte unverdrossen gegen einen dummen Mückenschwarm. Mit welcher Geschicklichkeit sie die Tierchen fing. Auch Wulf-Hilde, von ihrem Buche aufsehend, beobachtete sie lächelnd einige Minuten. Dann senkte die Fürstin wieder das Haupt in die Blätter. Sie war vertieft in ein neues Buch, das von ihrer Heimat handelte: »Land und Leute Schleswig-Holsteins.«
... und noch heute liegt das Ländchen abgeschlossen wie eine Insel. Ein großer grauer Vogel spannt fast unaufhörlich seine Flügel über ihm aus. Selten, daß er der Sonne Platz macht. Durch die ewig düstere Himmelsstimmung sind auch die Bewohner beeinflußt. Den Humor kennen sie nicht. Das Leben wird von ihnen schwer und ernst genommen. Leichter Sinn ist nicht bei ihnen zu finden, und, nun gar den Leichtsinn können sie niemals begreifen.
Und doch liegt eine tiefe Poesie über der Provinz. Und just deshalb, weil den Leuten dort jede Poesie fehlt, ist sie unbewußt und darum wahr. Der Adel des Landes beteiligt sich ausgedehntest der eben erwähnten Poesielosigkeit. Nirgends in Deutschland hat es eine feudalere Ritterschaft gegeben: Stolz, unendlich eng zusammenhaltend, bis vor zwei Jahrhunderten noch ungebildet wie ihre Leibeignen, jeder annähernden Sitte und Bildung Hohn sagend, lag ein mächtiger Zauber in dieser, wie über dem ganzen Lande unbewußten Poesie. Das Quinquecento – geschweige der Zeiten Boccacios und Dantes – das Quinquecento mit seinem köstlichen Hauch südaufwärts machte entsetzt Halt vor Hamburg und Schleswig-Holstein. Hier blies diesem Jahrhundert die unangenehme, mehlsattgefressene Frau Nüchternheit die Backen entgegen.
Die Geschichte des schleswig-holsteinischen Adels zu schreiben, wäre eine dankbare Arbeit, aber sie müßte in den Händen Johannes von Müllers oder Dahlmanns gelegen haben: Gänzlich unabhängig, hielt es hier wie anderswo die Ritterschaft mit der Geistlichkeit, um dieser sofort, wenn sie sich auch nur das kleinste erlaubte, die Finger zu beklappsen. Der König in Kopenhagen, der Herzog Schleswig-Holsteins war ihre Puppe. Er hatte nicht eine Spur von Macht gegen sie. Ende des 17. Jahrhunderts wurde ihre ungeheure Selbständigkeit gebrochen.
Ungebildet, roh, aber treu, körperlich und seelisch stark, fest, männlich, trutzten die Junker auf ihren Burgen. Was ging sie die übrige Welt an? Und nun gar Kaiser und Reich? Wann je auch hatten Kaiser und Reich geholfen … Und ein erfrischender, köstlicher Zug ist es, zu beobachten, wie der Edelmann zu jeder Zeit eins war mit seinem Ländchen, mit Bürger und Bauer, galt es, der dänischen großen Katze das Fauchen zu verbieten, und ihr die stets gezeigten Krallen einzuziehen zu raten.
Freilich da lag im Westen dieses Liliputlandes der kleine Freistaat Dithmarschen, wo die prächtigen Menschen so lang wie ihre Mühlen und so breit wie ihre Scheunen umherschlakten in ihrem Marschboden. Welch ein ewiges Geschrei mit der Schweiz und ihrer Kämpfe. Wer setzt denn die Feder an zum Lobe dieses kleinen merkwürdigen Erdstreifens. Der alte Neocorus genügt nicht … Freilich, freilich, da lag der kleine Freistaat Dithmarschen, den Rittern Holsteins die böse Stechpalme in ihren Buchenwäldern. Da langten sie oft hin, und kitzelten mit ihren Lanzen herum, und jagten ihre elephantenplumpen Hengste an der Grenze umher, und fielen immer wieder ein, und immer wieder ein, und mußten immer wieder heraus, immer wieder heraus. O, wie viel Ritterblut floß in die Dreckgräben, wie viele Ritterknochen lösten sich auf in den kleinen Dithmarschen … Freilich, freilich, da lag noch eine erlauchte Republik im Norden Dithmarschens: die freien Friesen. Die freien Friesen aber waren die Todfeinde der freien Dithmarschen – es ist bekanntlich höchst einerlei von jeher gewesen: ob Republik, ob Königtum, einerlei in Bezug auf die ewige Keilerei; Krieg, bis der letzte Mensch ausstirbt –. Und nun ist es fast herzlich anzusehen, wie sich die freien Friesen (gab das aber tüchtige Gelegenheit zum Saufen: die Friesen und die Ritter verstanden es) und die Edelleute sogar sehr gern hatten, kam Dithmarschen zur Sprache. Von Norden durch die freien Friesen, von Osten und Süden durch die freien Junker angegriffen, wehrte sich Dithmarschen bis 1559. Da mußt es endlich auf die Kniee. Nur einen Freund hatten sie, den Papst. Und der Papst beschützte sie. Vor dem Gloria in excelsis-, vor dem Gloria Deo per saecula saeculorum-Gesang schüchterten sich selbst die freien Friesen und die freien Ritter in ihrer furchtbaren Abergläubigkeit, in ihrer ozeantiefen Unwissenheit zuweilen ein. Der Papst hielt natürlich die Dithmarschen für Meertiere. Aber er schützte sie.
Die Schleswig-Holsteiner haben von allen Zeiten her kein Gefühl für ihre Geschichte, für Geschriebnes, für Aufzubewahrendes gehabt. Wozu der Plunder? Und deshalb sind die Quellen spärlich. Das ausgezeichnete Herrschergeschlecht der Schauenburger, mit Männern darunter, die an Alexander und Cäsar erinnern, ging 1460 ein. Ist auch hier kaum anders zu erzählen als von ewigen Zänkereien der einzelnen »Linien«, so hob sich diese Hauptmannschaft über dem Länneken doch hervor wie Riesen. Dann kamen die Oldenburger. Auch hier nur Gezänk der »Linien« bis fast ins neunzehnte Jahrhundert hinein. Aber was kümmerte das Schleswig-Holstein und seine Ritterschaft. »Wi eddelgepohren, hochansehnliche Man« – Das Übrige ist alles gleichgiltig. Ja, es liegt ein Zauber über den Herzogtümern und über seinem Adel, und zum dritten Mal seis gesagt: dieser Zauber lag und liegt in der unbewußten Poesie …
Die Fürstin sah aus dem Buche auf, um über das Gelesene nachzudenken. Sie liebte, wie alle ihre Landsleute, ihre Heimat mit der ganzen Seele …
Es näherte sich ihr ein Diener mit der Frage, ob es Ihrer Durchlaucht genehm sei, Herrn Kramer von Bredenfleth im Garten zu empfangen. Wulfhilde war erfreut, den alten Herrn wieder zu sehen.
Mit weit vorgestreckten Händen eilte sie ihm entgegen: »Mein lieber, lieber Herr Kramer. Wie am Abend einer schweren Schlacht, die für uns schon verloren scheint, kommen Sie mit der Hilfsarmee.«
Der alte Herr küßte, als sei er der erste Kavalier Europas, in vornehmster Verbeugung die Hand der schönen Frau.
»Ich bin,« begann er, »vom Herrn Grafen abgesandt, um noch einmal zu versuchen, auf gütlichem Wege eine Einigung zu erreichen. Ich bat den Herrn Grafen, der Frau Fürstin zuerst die Sache vorlegen zu dürfen, ehe ich dem Herrn Baron die Wünsche des Herrn Grafen vortrüge. Und Eure Durchlaucht sind geneigt, mich anzuhören?«
»O, wie gern, lieber Kramer. Kommen Sie, nehmen Sie Platz neben mir. Wir sind unbelauscht.«
Beide hatten sich auf die Bank gesetzt, und Herr Kramer fing an zu reden:
»Die traurigen Ereignisse der letzten Tage, wie, unbegreiflicher Weise, auch die letzte Scene zwischen Eurer Durchlaucht Herrn Bruder und dem Herrn Grafen auf Wittensee sind überall bekannt geworden …«
Die Fürstin fiel ihm in die Rede: »Es ist Ihnen bekannt, daß mein Vetter Detlev schon nach einigen Stunden nach dem letzten Ereignis auf Wittensee angerast kam, um die schrecklichen Worte Hennings zurückzunehmen?«
»Gewiß, gnädigste Frau Fürstin.«
»Nun, dann bitte ich weiter zu sprechen.«
»Der Herr Graf schicken mich an die Frau Fürstin und an den Herrn Baron mit folgendem Auftrag:
Der Herr Graf schlägt noch einmal vor: Er wolle Wittensee kaufen mit der Verpflichtung, sämtliche Verbindlichkeiten des Herrn Barons zu begleichen. Er stellte dann nur die einzige Bedingung, daß der Herr Baron die Provinz bis zu seinem Tode nicht mehr betrete …«
Herr Kramer schwieg. Die Fürstin, die ernst vor sich hin gesehen hatte, hob die klugen Augen. Und was Alles lag in ihrem Blick: Güte und Herz, feste Willensmeinung, klares Denken. Sie antwortete:
»Ich glaube, lieber Kramer, daß ich ungesäumt die Antwort meines Bruders geben kann: Es ist erwiesen, daß mein Vater nach Jahresfrist der, wie Ihnen bekannt, zweitmaligen Trauung meines Großvaters, und nachdem vor dieser Trauung die Ehescheidung von seiner ersten Frau zur That geworden war, geboren ist. Es kann also unter allen Umständen nicht die Rede davon sein, daß mein Vater als außer der Ehe geboren zu betrachten war und ist. Wenn traurige, ganz außergewöhnliche Verhältnisse in frühern Zeiten die Ehe zwischen einem Edelmann und einer Leibeignen nicht als vollgiltig gelten ließen, so kann das unmöglich noch jetzt, nach fast hundert Jahren, als zu Recht bestehend angesehen werden.«
»Und doch, wenn ich mir erlauben darf, die Frau Fürstin zu unterbrechen, und doch grade diesen Punkt würden der Herr Graf hervorheben, und bis zur höchsten Spitze der Gerichte weiterführen, wenn der Herr Baron sich weigern sollte, auf seine Vorschläge einzugehen.«
Über das schöne Gesicht der Fürstin glitt ein Lächeln so rasch, wie der Schatten eines in der Sonne fliegenden Vogels haftet. Sie antwortete: »Lieber Kramer, mein Vetter Henning würde sich dem Spotte Deutschlands aussetzen, wenn er wirklich dies Ziel als Schlußdrohung im Auge hätte und es zur That machen wollte … Sie, der Sie unsre Verhältnisse kennen, wie wir selbst, wissen, daß die geldlichen Verpflichtungen meines Bruders außergewöhnlich sind. Durch sein, ich will ein strenges Wort sagen, unverantwortliches Wirtschaften mit seinen Hilfsquellen, durch seine alles übersteigende leichtsinnige Gutmütigkeit, durch den gänzlichen Mangel des Wertkennens des Geldes, hat mein Bruder sich dermaßen herabgewirtschaftet, daß alles verloren scheint, wenn nicht baldigste Regelung erfolgt. Mein Mann und die Familie des Fürsten (ich spreche zu Ihnen wie zum vertrautesten Freunde) sind nicht in der Lage. Nur die reichen Mittel meines Vetters Henning wären hierzu imstande …«
Die Fürstin schwieg einen Augenblick, dann sprach sie weiter:
»Aber nimmermehr wird mein Bruder auf die Bedingungen meines Vetters Henning eingehen. Und sollte der Graf wirklich den Wahnsinn auf die Spitze treiben und einen Skandalprozeß in die Wege leiten, nun denn: er mag es thun. Wir alle dann: mein Bruder sowie meine Schwägerin, mein Mann und ich, werden vor den Schranken erscheinen und unser Recht verteidigen, bis wir unterliegen. Und auch, welcher Rechtsbeistand würde sich meinem Vetter anbieten …«
»Justizrat Möllwind, gnädigste Fürstin.«
»Justizrat Möllwind? Nun ja …« erwiderte die Gräfin gedehnt, »nun ja, er bringt vieles fertig. Er hat ja sogar behauptet, daß er einen Pinsel, leicht in einer Menschenhand zu halten, erfinden könnte, mit dem er den ganzen Himmel grün anstreichen würde, käm es ihm darauf an, oder wie der Unsinn lautete.«
Wulfhilde schwieg.
Der alte Kramer nahm noch einmal das Wort:
»Erlauben Eure Durchlaucht, daß ich ein Letztes hervorheben darf: es wird ja gar nicht zu einem Prozeß kommen, weil Wittensee (Frau Fürstin haben mir erlaubt, offen zu sprechen) in kurzer Zeit verkauft werden muß, durch die zu Tage liegenden Geldverhältnisse des Herrn Barons. Es würde also kein Mensch den Herrn Grafen hindern können, das Gut, durch höchstes Aufgebot, zu kaufen. Dann freilich könnte der Herr Graf den Herrn Baron nicht hindern, in Schleswig-Holstein zu bleiben …«
Beide schwiegen wieder. Dann sprach die Fürstin:
»Ein Schlußwort, lieber Kramer: Wir also, mein Bruder und ich, würden am Ende doch noch Mittel und Wege finden, Wittensee zu halten … Nur das noch: aus welchem Grunde will mein Vetter Henning durchaus Wittensee in seinen Besitz nehmen; weshalb wünscht er, daß Baron Breide auf immer die Provinz meiden soll? Ich sehe darin nicht klar. Oder doch? Ist es seine Herrschsucht? … Oder ist es? …«
Die Fürstin sprach den Satz nicht aus.
»Darauf vermag ich der Frau Fürstin keine Antwort zu geben,« antwortete mit feinem Takt der alte Freund des Hauses Hummelsbüttel.
Um die Lippen Wulfhildes huschte wieder ein schnelles Lächeln. Dann sagte sie im andern Tone:
»Wenn alles erledigt ist, und gebe es Gott, zu gutem Ende gekommen, dann würde ich, falls es Ihre achtzig Jahre und mein Vetter erlauben, Sie bitten, lieber Kramer, mich auf wenige Tage nach Berlin zu begleiten. Es wäre möglich, daß ich dort etwas – keine Geldangelegenheit – zu ordnen hätte, bei dem ich der bewährten Hilfe unsers lieben Kramers, gehört er auch in diesem Augenblick ins feindliche Lager, sehr benötigt sein könnte.«
Der Greis beugte sein Haupt: »Ich stehe der Frau Fürstin zu Befehl.«
Sie erhoben sich. Wulfhilde reichte dem Alten die Hand, die dieser wieder, als sei er der erste Kavalier Europas, küßte.
»Und nun,« sagte die Fürstin zum Schluß, »empfehlen Sie mich dem Grafen. Meine Antwort kennen Sie. Sie ist auch die meines Bruders. Was die nächsten Tage bringen werden, wir wissen es nicht. Wir Menschen wirbeln wie ein Blättchen im Sturm des Schicksals. Über dem Sturm aber stehen die ruhigen Sterne, und über ihnen der allmächtige Gott.«
* * *
Während sich die Fürstin und Herr Kramer mit wichtigen Gesprächen beschäftigten, ritt Detlev Hummelsbüttel durch die großen Waldungen seines Bruders. Einmal, bei einer Waldwiese, die hell und grell in der Sonne zwischen schwarzen Buchenschatten lag, hielt er sein Pferd an. Und zu den dämonischen finstern Zügen stand es wie ein schroffer Gegensatz, als er mit seiner herrlichen Stimme laut über die Holzblöße das reizende fröhliche Lied Robert Schumanns sang:
Wenn ich früh in den Garten geh
In meinem blauen Hut,
Ist mein erster Gedanke,
Was jetzt mein Liebster thut …
Dann verfiel er in Nachdenken; die Brauen senkten sich; die Stirn zog Falten, und das stiere Auge haftete, rechts fort von seinem Pferde, auf einer Glockenblume. Und seine Gedanken sprach er vor sich hin: »Ich bin ruhig und vernünftig geworden. Ich will glücklich werden, ich will …«
Und immer grader, abwesender starrte er auf die Glockenblume, es nicht bemerkend, wie sein Dunkelbrauner grüne Zweige und Blätter abriß. Und wieder sprach er leise vor sich hin: »Breide muß fort; ich helfe meinem Bruder mit allen Mitteln, daß er Schleswig-Holstein verlassen muß … Dann erkläre ich Henning für wahnsinnig, völlig durch religiöse Überspanntheiten wahnsinnig geworden … Ich nehme dann die Güter in Besitz, und – heirate Heilwig …«
Und immer finstrer starrte er auf die Glockenblume: »Wie ich von jeher Breide gehaßt habe. Sein unstätes, unruhiges Wesen ist mir in den Tod zuwider. Sein schönes Weib peinigt er.«
Und sich wie ein Tartarenfürst, der zum Angriff seinen Leuten ruft, in den Sattel zurückbiegend, sang er mit lauter, sturmbewegter Stimme das wundervolle Heine-Schumannsche Lied:
Entflieh mit mir und sei mein Weib,
Und ruh an meinem Herzen aus …
und dann den Gaul mit einer scharfen Zügelbewegung aus der Ruhe herausreißend, stürmte er auf dem schmalen Waldwege fort, daß ihm Kniee und Schläfen oft haarscharf an den Stämmen vorbeiflogen.
Er hatte die Gangart seines Pferdes zur gemäßigten gezwungen. Aber die Nüstern zogen sich zusammen und weiteten sich noch immer in rascher Aufeinanderfolge, die Flanken schlugen. Und nun ritt er im Schritt durch einen Redder (mit dichten Knicks besetzten engen Feldweg). Heckthor auf Heckthor folgte in gewisser Entfernung auf einander. Alle führten zu Koppeln und Wiesen. Detlev sah nicht rechts und links, nur immer gradaus, gradaus, als schaute er in ein Wunderland. Da, plötzlich, war er genötigt, sein Haupt zu wenden. Über ein Heck gelehnt, in blaue Ferne blickend, stand Heilwig. Sie hatte, durch den Sandweg, den Reiter nicht gehört. Nun vernahm sie den Schall des Hufes, und kehrte die Stirn ihm zu. Als hätte ihn ein unsichtbarer Gott oder Teufel aus den Bügeln zur Erde gerissen, stand er neben ihr, und nicht drei Herzschläge länger: und er kniete zu ihren Füßen, ihre Hände, die ihm die Überraschte willenlos ließ, mit heißen Küssen bedeckend.
Die Baronin, wie erwachend, trat entsetzt zurück. Detlev aber, ihre Hände nicht freigebend, flüsterte in sich übertaumelnden Worten: »Dreimal erst sahen wir uns, und nimmermehr kann ich von Dir lassen. Was willst Du mit einem Manne wie Breide? Er liebt Dich nicht, er zieht Dich nicht an sein Herz, hinter Deinem Rücken läuft er den Weibern nach …«
»Detlev,« rief Frau von Hummelsbüttel, sich von ihm gewaltsam losreißend, »Du sprichst im Wahnsinn. Laß mich, laß mich …«
Er aber riß die ohnmächtig Gewordene an sich und überschüttete ihr Augen, Mund und Haar mit seinen Küssen … Dann, wie ein Verbrecher nach der That, fiel er ihr zu Füßen, und ihr flehend in die Augen, die sich wie verwirrt wieder geöffnet hatten, schauend, bat er demütig um Verzeihung … Heilwig, ihm kein Wort gebend, alle ihre Kraft zusammennehmend, schwankte nach dem Schlosse …
* * *
Wo giebt es ein Weibesherz auf Erden, das nicht tagelang nachher in tausend und aber tausend Schwingungen erzitterte, dem auf einsamem Wege eine stürmische Liebeserklärung gemacht worden ist? Und auch die reinste und keuscheste – und unsre deutschen Frauen sind es – wird das Geheimnis in den meisten Fällen, aus welchen Gründen immer, in sich verschließen.
Heilwig, in ihre Zimmer tretend, fand Wulf-Hilde und Breide. Die Fürstin hatte ihrem Bruder eben ihre Begegnung im Park erzählt. Breide hatte sich vollständig mit ihrer Antwort einverstanden erklärt. Die erregten Geschwister, die abwechselnd Heilwig Erklärungen gaben, bemerkten in ihrer Bewegung das blasse Gesicht Heilwigs nicht.
Später, nach dem Frühstück, saßen die Ehegatten allein im großen Ecksaal. Heilwig, die durch Breides mannhafte Worte: daß er kämpfen wolle bis zum Schluß für sein Weib und sich und sein gutes Recht, erstaunt war, war im Begriff, ihm ihr Abenteuer im Redder zu sagen. Aber sie besann sich, als Breide aufstand, um auszureiten. Ihr fielen die Worte Detlevs ein: Hinter Deinem Rücken läuft er den Weibern nach.
Als der Baron gegangen war, schlug sie die Hände vor die Augen. Was in ihr vorging, konnte in ihrem durch die Hände verschleierten Antlitz nicht beobachtet werden. Zuweilen zitterte ihr ganzer Körper wie in einer Wellenbewegung. Als sie endlich das Gesicht freigab, war es ruhig und sanft, und mit fester Stimme sprach sie: »Mein Platz bleibt bei Dir, Breide. Du stehst in so furchtbarem Kampfe. Und wenn alles durchgemacht ist, dann wirst Du mir zu Füßen fallen, und ich werde Dir die tapfre Stirn küssen, und ewig, ewig wirst Du mir danken.«