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Vierundzwanzigstes Kapitel

Eines Abends sitzt Fritzsche in Kriegers Gasthaus und liest die Zeitungen. Der Wirt bringt ihm den zusammengehefteten Jahrgang, Fritzsche blättert nach und findet manchen Artikel, der von andern Interessenten angestrichen und mit Randglossen versehen ist. Er merkt nicht, wie am Nebentisch einige Innungsmeister zusammensitzen und sich über ihn unterhalten. Endlich ist er bei den letzten Nummern angekommen. Das Volksblatt hat sich bisher von aller Polemik ferngehalten, in seinem letzten Bericht hat es lediglich über die Versammlung das Notwendige mitgeteilt und die Namen der neuen Leute gebracht. Nun hört er, wie vom Nachbartisch der Malermeister Möller den neuen Vorstand lobt und den umsichtigen Herrn Ossen als tüchtigen Mann darstellt. Fritzsche braucht nicht darauf zu antworten, denn der Böttchermeister Schimmelmann fragt ihn:

»Warum seid Ihr denn nicht wieder Mitglied geworden, Meister Möller?« Da lacht der laut auf:

»Nein, nein, die neuen Leute haben ihren Verein ein Jahr lang schlecht gemacht und nur Übles über ihn geredet. Solange Herr Fritzsche ihn geleitet hat, soll er die Kriegskasse der Demokratie, eine perfide Erfindung der Demagogen gewesen sein. So sehr ich unsern Kollegen, Herrn Ossen, schätze, das eine kann ich nicht ohne weiteres glauben: wie aus solch einem teuflischen Verbrecherklub, nur durch ein paar neue Leute, eine staatserhaltende Institution werden soll? Wenn Herr Ossen mir beweisen kann, daß er mit den Behörden im guten Einklang steht, werde ich selbstverständlich wieder Mitglied! Und wenn ich wieder dabei bin, kann Herr Bürgermeister Brunner, ungefährdet seiner Stellung, ebenfalls Mitglied werden!«

Fritzsche juckt es in den Knochen, aufzuspringen und dem Schwätzer eins aufs Maul zu geben. Voll Überraschung hört er nun, wie Möller sich an den Wirt wendet:

»Herr Krieger, man sagt, der Zöckler Paule sei wieder zurück. Habt Ihr was von ihm gesehen?«

Möller wartet gar keine Antwort ab und redet weiter:

»Tolle Sache! Die Leute sagen, er wollte mit Herrn Neer, seinem zukünftigen Schwiegervater, das große Geschäft machen!«

»Schwiegervater! Zöckler Paule? Unmöglich!« Drei, vier Stimmen werden laut.

»Das ist doch nur der alte Klatsch! Von wem kommt die Parole?«

»Vor einem Jahr schon hat Kanitzky sie zusammen gesehen. Dann hat Herr Neer das Fräulein ins Rheinland und von dort in die Schweiz geschickt, damit sie bei den russischen Studenten, die ja in der Mehrzahl Weiber sind, das revolutionäre Genossenschaftswesen studiern soll.«

Dröhnendes Gelächter unterbricht ihn.

»Seid Ihr gut unterrichtet, Meister Möller?« ruft der junge Bäckermeister Firle.

»Ja! Und wenn alles klappt, wird ein gewisser Buchbindermeister wohl Präsident der großen Republik Europa werden, in der es weder selbständige Meister und ausbeuterische Händler, noch schmarotzende Beamte ...«

Weiter kommt er nicht. Meister Fritzsche ist aufgestanden, tritt von hinten an den redenden Möller heran, hebt ihn mitsamt dem Stuhl hoch und trägt ihn durch die offenstehende Tür hinaus auf die Straße. Langsam sind die Gäste aufgestanden, schauen hinter Fritzsche her, der zurückkommt und den Wirt nach seiner Schuldigkeit fragt:

»Zwei Silbergroschen!«

Fritzsche wirft einen Taler auf den Schenktisch und geht.

»Das Geld! Herr Fritzsche!« ruft der Wirt.

»Gebt's dem Meister Möller für seine lustigen Witze! Hab lang keinen dummen August mehr albern hören! Jetzt soll er auf der Gasse weitermachen, damit die Eilenburger auch was zu lachen haben!« sagt Fritzsche.

Herr Möller erscheint in der Tür. Fritzsche tut, als packe er einen Tisch, ihn hinauszutragen.

»Wart', ich werde dich auf dem Markt tanzen lassen, du Kasperl! Du Marionettenheld!«

»Herr Fritzsche!« ruft ihn jemand aus der Meisterschar.

»Der Herr ist zu Halle in die Sch.... gefallen! Doch, ihr Knechte könnt mich mit Herr anreden, jawohl! Ich werde mir eine Peitsche schaffen! Herr Sattlermeisier Reibitz, ich bestell Euch eine, lang genug, um gleich drei solcher Clowns scherzhafterweise um die Ohren zu klatschen. Von morgen ab werdet ihr mich bloß noch mit einer Peitsche sehen. Und wenn die Leute fragen, ›was will der Fritzsche mit der Peitsche?‹ sagt getrost, ›die Affen tanzen lassen!‹ Gute Nacht, ihr Herren!«

Als Fritzsche gegangen ist, geht Herr Reibitz an die Tür und kommt mit dem Stuhl zurück:

»Zu Hilfe! Ihr Herren! Ich glaube, er mordet ihn! Ich hör Herrn Möller schreien!« Alle drängten in die Tür, alle schauen die Gasse entlang, hören die schrille Stimme ihres Herrn Kollegen und das Lachen des wildgewordenen Buchbinders.

»Kommt herein! Ihr Herren!« sagt der Wirt. »Ich seh Herrn Hanisch herbeikommen. Wir wollen nichts gesehen haben, dann haben wir auch keine Schererei!« Die Gäste setzen sich wieder und reden miteinander. Jeder hat etwas Neues zu sagen. Bei jeder Neuigkeit, die sie verraten, sehen sie nach der Tür und wundern sich, daß der Buchbinder noch nicht zurück ist. Nach Mitternacht nimmt Herr Krieger den Türschlüssel vom Haken:

»Meine Herren! Ich glaube, daß Herr Fritzsche nun zu Hause ist! Es besteht keine Gefahr mehr, auch Sie können heim gehen!«

Fritzsche ist tatsächlich zu Hause angekommen; nachdem er Licht gemacht hat, findet er das Schreiben des Kreisgerichtes. Trotzdem er es dreimal liest, begreift er nicht, was das Gericht mit den vielen Paragraphen, Fremdwörtern, Daten will, und so hält er sich an den letzten Satz, der besagt, daß die eingetragene Kaution der 400 Taler auf seinem Wohnhaus nicht gelöscht werden kann, weil das Attest des Magistrats nicht beigefügt ist.

Fritzsche geht am andern Morgen, noch vor der Arbeitszeit, früh zu Wagner in die Wohnung. Der Freund setzt sich gleich hin und teilt dem Magistrat mit, daß die zur Löschung notwendigen Quittungen und Unterlagen beim Kreisgericht eingereicht und die dazugehörigen Zeugnisse der früheren Vorsteher abgenommen sind. Die Löschung der Hypothek mache das Kreisgericht von der Beibringung des Attestes abhängig, in dem lediglich das schon Dokumentierte magistratlicherseits bescheinigt werden müsse. Auf dem Weg ins Büro bringt er den Brief zum Magistrat und dann geht er auf sein Büro.

Fritzsche ist allein; er beschließt, seinen Schwiegervater, den Stellmacher Prentzel, zu besuchen. Nachdem er ihm seine Lage geschildert hat, bittet er ihn um ein Darlehen von 100 Taler. Er zeigt ihm den Brief der Darlehenskassengenossenschaft, die ihm die 400 Taler Hypothek fest zusagt. Sobald er diese größere Summe bekommt, kann der Schwiegervater die 100 Taler zurück haben.

Der alte Prentzel setzt sich ans Fenster und pafft den Rauch seiner Pfeife in die frische Morgenluft hinein, dazu summt er einen alten Militärmarsch und klopft mit dem gesunden Fuß den Takt auf dem Boden. Fritzsche denkt nach, ob dieses ein gutes oder schlechtes Zeichen sein könnte. Aus dem einen Marsch wird ein ganzes Potpourri, indessen Fritzsche auf seinem Stuhl wie ein ungeduldiger Junge herumrutscht. Er schneuzt sich geräuschvoll die Nase und glaubt, daß der Alte ihn tatsächlich vergessen hat. Da auf einmal, ohne ihn anzusehn, sagt der Alte:

»Du hast jetzt genug Pulver gegen die Händler verschossen! Jetzt müssen die andern ran! Der famose Ossen hat doch auch noch ein ganzes Magazin in Reserve, der Wagner hat auch noch nicht geblutet. Die Assion ist doch keine Privatsache von dir, sie ist doch eine Sache der Genossen! Und da müssen sie doch auch genossenschaftlich den Feind bekriegen! Du hast deine eiserne Ration schon aufgebraucht. Jetzt ist es Zeit, daß die Genossen dir Kameradschaft erweisen! Tun sie das nicht, sind sie schlechte Kameraden, feige Hunde und aller Verachtung wert. Mit denen schlägst du keine siegreiche Schlacht. Wenn ich dir die 100 Taler gäbe, würden mich diese gerissenen Zivilisten auslachen. Das kannst du von einem alten Soldaten nicht verlangen! Du bekennst dich also von deinem Feind besiegt, von deinen Verbündeten hintergangen und bettelst in deiner Schwäche bei den Neutralen um Aufbesserung der Kriegskasse?«

»Also gibt es keine Bedingungen, unter denen du mir das Geld gibst?« fragt Fritzsche ernüchtert und verzweifelt.

»Aber, selbstverständlich! Du brauchst dich bloß als ein tapferer und aufrechter Soldat zu beweisen!« sagt der Alte und lacht ihm breit und überlegen ins Gesicht.

»Und, wie stellst du dir das vor?« fragt Fritzsche schnell.

»Du willst von mir das Geld, gut! Kannst du haben! Ich brauche als Neutraler eine Garantie!«

»Ich habe dir doch gesagt, daß die Hypothek noch nicht gelöscht ist.«

»Ha ! Ha, ha, ha, ha!« lacht der Alte, »glaubst du denn, ich gäbe etwas auf papierne Balken! Geh mir mit deinen zivilen Attrappen! Die Garantie muß der Mann sein, der Kerl, der Charakter! Damit ich dir vertrauen kann, mußt du mir beweisen, daß du ein Kerl bist!«

»Lieber Schwiegervater! Nun sag mir doch endlich, was ich tun soll!«

Da steht der Alte auf, stellt sich vor ihn hin:

»Damit du es weißt, deine wirklichen Feinde sind die feigen Kameraden! Mit denen mußt du abrechnen. Hole mir deine Genossen: Wagner, Ossen und wie sie heißen, hierhin! Erzähle ihnen, was du mir erzählt hast und bitte sie um 100 Taler Darlehen, Kredit oder Geld, damit du deine Werkstatt wieder hochbringen kannst. Kommen sie mit Ausflüchten, lassen sie dich sitzen, so hau' ihnen in meiner Gegenwart zwei rechts, zwei links in die verlogenen Fressen und gib ihnen einen Arschtritt, daß sie auf die Gasse fliegen. Dann kannst du von mir nicht bloß 100, sondern 400 Taler, ohne Gericht, papierne Balken oder Schuldscheinfetzen haben!«

Der Alte zündete sich eine neue Pfeife an. Fritzsche sitzt ruhig auf seinem Stuhl. Wieder fängt der Alte an, den Marsch zu summen und zu trommeln. Fritzsche hat sich von seiner Verblüffung erholt und gibt jetzt still für sich zu, daß der Alte vollkommen im Recht ist. Natürlich müßte die ganze Genossenschaft für den Mann eintreten, der für sie den Kampf begonnen hat und alles geopfert hat: Stellung, Geld, Kredit, Arbeitskraft, Ansehen und Auskommen. Jetzt müßte sich die Solidarität bewähren. Bisher hieß es für ihn: Einer für alle! Das nahmen sie gerne an: nun, wie es heißt: Alle für einen, da verleugnen sie die Solidarität, die sie von ihm angenommen haben. Jetzt sieht er, daß er mit Brunner und dem Gericht gar nichts zu tun hat. Die Kameraden und Genossen müssen für ihn eintreten.

Da sind 600 Mitglieder, da ist eine Kasse, da ist Vermögen, Überschuß. Warum kam niemand auf die Idee, diese Kräfte für ihn einzusetzen? Nun sieht er den Fehler, den er gemacht hat. Er sieht ein, daß er ungerecht ist, wenn er die andern von seinem Fehler profitieren läßt. Dann gäbe er zu, das dies der umgekehrte Kapitalismus ist: nämlich, daß die Vielen den Einen straflos ausbeuten dürfen.

Auch das ist eine Ungerechtigkeit; er sieht es jetzt ein, nachdem sie ihn in Armut und Not gestürzt haben. Die andern können das nicht einsehen, weil sie es nicht erleiden. Also muß er es ihnen klarmachen.

Fritzsche hört, wie der Alte den Pfeifenkopf aufs Fensterbrett ausklopft. Er steht auf.

»Du läßt mich aber lang auf Antwort warten!« sagt der alte Prentzel. »Na, setz dich doch! Ich habe ja Zeit genug! Du mußt es dir überlegen! Du brauchst bloß ›ja‹ zu sagen, dann kriegst du die 400 und ›nein!‹, dann behalt ich sie. Deine Gründe will ich gar nicht wissen! Reden verfangen bei mir nicht! Du willst ja auch Taten sehen! Glaub es mir, wo tausend lange Reden nicht helfen, bringt ein vorbedachter, gutgezielter und rechtgetroffener Faustschlag Ordnung in eine hoffnungslos verschwommene Sache. Das kannst du mir schon glauben, denn ich habe es erprobt!«

»Lieber Vater Prentzel! Was du mir da gesagt hast, ist genau so viel wie die 400 Taler wert, die ich von dir haben kann! Schade nur, daß ich mir die Ohrfeigen nicht selber geben kann. Das müßtest du schon tun, damit ich deine Worte nicht wieder vergesse. Die Schuld liegt bei mir wie bei den Genossen! Tät ich, was du sagtest, so wär das einfach Rache!«

Ein Stuhl fliegt krachend auf den Fußboden:

»Du Scheißkerl! Mir kannst du das sagen. Wenn du es irgendwo anders gesagt hättest, schlüg ich dir mit solch einem alten Stuhlbein deine jungen Knochen zusammen! Selbstverständlich machen wir Fehler! Aber das dürfen wir doch nicht den Schlappschwänzen draußen auf die Nase binden! Einen Sündenbock gesucht und den in die Wüste gejagt, aber sich selber freigehalten! Sonst verliert die Bande den Respekt! Sie verliert das beste, wenn sie den Respekt verliert! August, Mann! Reiß dich zusammen! Blamiere die andern, aber dich nicht! Du hast etwas getan, darauf kannst du stolz sein! Deine Tat wiegt tausend Fehler auf! Du bist der Pionier, der die Bresche in die Schanze der Krämer gesprengt hat. Meinst du, mir hätte das keinen Spaß gemacht? Wie du ihnen Fuß um Fuß das Terrain abgenommen hast! Diese hochmütigen und feigen Banditen hast du mit ihren eignen Waffen geschlagen! Diese Freude, daß dies mein Schwiegersohn tat, ist mir mehr als 400 Taler wert! Nun mach mir doch die Freude und verdresche die Krämerseelen in euren eignen Reihen! Die sind schlimmer wie deine Feinde! Die Feiglinge übergeben kampflos dem Feind, was der Tapfere mit Hieb und Schlag, unter Verachtung seines eignen Wohlseins, erfochten hat. Glaub mir: ich bin dein Freund, der dich nicht im Stich läßt! Aber du bist verpflichtet, dein Regiment zur Verantwortung zu ziehen oder es aufzulösen! Dir, dem Hauptmann, kann ja gar nichts passieren! Wer den ersten Sieg über die Krämer erfochten hat, der wird auch mit dem bißchen Fressen fertig, daß die Leute Leben nennen!« Der Alte ist aufgestanden und klopft ihm auf die Schulter: »Rührt euch!« Fritzsche gibt dem Alten die Hand:

»Ich komm noch mal wieder, wenn ich dich nötig habe! Adieu, Schwiegervater!« Er geht hinaus. Als er am Fenster vorbeikommt, salutiert er und geht in strammer Haltung vorüber.

In Fritzsches Haus ist das letzte Brot nun aufgegessen. Wenn doch Herr Wagner einmal käme! denkt Frau Juliane. Sie will ihn bitten, daß er für sie im Genossenschaftsmagazin einen Kredit erwirken soll. Die Genossenschaft ist doch zu 400 Taler gesichert, sie kann doch nichts verlieren! Sie weiß, daß Ossen vom Standpunkt der baren Zahlung nicht abgeht. Soll sie tun, was so manche arme Frau bei Fritzsche getan hat, um Fett oder Öl, Grütze, Reis oder Mehl betteln. Wie oft hat sie selbst den armen Frauen, auch ohne Fritzsches Wissen, die Körbe gefüllt. Daran ist die Genossenschaft nicht bankrott gegangen.

Eines Tages, als sie Fritzsche wieder sein Abendessen vorsetzt, schüttelt er den Kopf und sagt:

»Das ist doch keine Sache! Ich esse und esse und werde nicht satt! Die Kartoffeln werden auch immer mehr gebrannt als gebraten, und mit der mittäglichen Tunke könnte ich gut auf meiner Bude Pappdeckel kleistern gehn!« Nun hat Frau Juliane das Wort auf der Zunge:

»Schaff' du Geld, dann schaff' ich zu essen! Speck in die Pfanne und Fleisch ins Gemüse!« Stattdessen sagt sie: »Wir müssen sparen, August, bis du wieder etwas verdienen kannst oder die Hypothek frei wird. Du solltest den Kohlenhandel größer betreiben, eine Anzeige ins Volksblatt bringen, damit wir die alten Kunden wieder bekommen!« Fritzsche hat die Fäuste geballt, weithin auf den Tisch geschoben und sieht vor sich in den leeren Teller.

»Das Kohlengeschäft, ja! Es ist November und die höchste Zelt, – wenn ich doch bloß noch zwei oder drei Fuhren bekäme! Halt! Ich könnte ja Holz anfahren lassen! Selber spalten, sägen und im kleinen abgeben. Die Arbeiter in den Fabriken haben ja nicht einmal mehr Zeit, ihr Holz zu klopfen. Ich kann ihnen auch Heu und Stroh in kleinen Bündeln für ihre Geißen und Karnickel verkaufen! Ja, ja! Auch Kalk, Dachziegel und Mauersteine, alles, was die Leute nötig haben, um an ihrem Stall und Häuschen zu flicken, werde ich einführen. Nur ein paar Taler, um anfangen zu können! Ich sorge immerzu! Jetzt will ich einmal ins Kornhaus gehen, nachsehen, ob der Platz, den ich mir für das Heu ausgesucht habe, auch trocken ist. Dann geh ich zur Ziegelei und bestell' eine Fuhre Steine. Bis Neujahr, wenn die Rechnung kommt, werde ich sie wohl umgesetzt haben. Was soll ich auf die große Hypothek warten, die doch nicht kommt!«

Er nimmt seinen Hut und geht. Frau Juliane weiß, wie es ihm zumut ist. Sie will ihm das Herz nicht schwerer machen. Sie nimmt ihren Korb und geht zur Kirchstraße ins Magazin.

Herr Ossen bedient, nicht sonderlich freundlich, ein paar Arbeiterfrauen. Sie wartet, bis diese gegangen sind. Dann trägt sie ihm ihr Anliegen vor und bemerkt so ganz nebenbei, daß die Genossenschaft noch die Kaution von 400 Taler schuldig sei. Eigentlich könne sie für diese ganze Summe Waren verlangen.

»Gut, dann werde ich Euch wohl etwas zurechtmachen müssen! Ihr seid die erste, die ein solches Ansinnen an mich stellt. Die Verantwortung werde ich ja allein tragen müssen. Habt Ihr mir aufgeschrieben, was Ihr nötig braucht? Ich weiß nicht, was man so an Almosenempfänger gibt.«

Frau Juliane hebt den Deckel von ihrem Körbchen, fährt mit der Hand auf dem Boden umher als suche sie etwas. Dann zieht sie plötzlich die Hand heraus und schlägt sie Herrn Ossen ins Gesicht:

»Herr Almosengeber! Außer dieser Quittung habe ich leider nichts bei mir!« sagt sie, – »darauf könnt Ihr Euch beim Vorstand bar Geld geben lassen! Habt Ihr sonst noch Wünsche, Herr Geschäftsführer? Ich hoffe, daß Ihr nun Bescheid wißt!«

Inzwischen ist die Tür aufgegangen und zwei Arbeiterfrauen sind eingetreten.

»Entschuldigt mich!« sagt Herr Ossen, »Nasenbluten! Meine Frau wird euch bedienen!« Er geht ins Nebenzimmer.

»Auf Wiedersehen!« ruft Frau Juliane ihm nach und will gehen.

»Wir können ja etwas warten!« sagt die eine Frau. »Ihr habt ja auch keine Ware!«

»Ach, ich habe nur etwas abgeliefert!« meint Frau Juliane.

Aus dem Nebenzimmer klingt die unterdrückte Stimme von Ossens Frau:

»Und du läßt dich von einer Frau ins Gesicht schlagen?«

»Frau Ossen! es sind noch andere Kunden da!« ruft Frau Juliane. Die beiden Arbeiterfrauen fangen hell auf zu lachen an, klopfen auf den Tisch und rufen:

»He da! Wirtschaft! Ware! Ware!« Frau Juliane hat die Tür hinter sich zugezogen. Frau Ossen kommt und fragt die Kundinnen nach ihren Wünschen. Nachdem sie abgefertigt sind, eilt sie wieder zu ihrem Mann.

»Gemeingefährlich ist die Familie!« klagt er, »der Malermeister Möller ist von dem Buchbinder in einem öffentlichen Lokal angefallen worden. Herr Möller in seiner Anständigkeit verzichtete auf gerichtliche Sühne. Ich werde auf Gerechtigkeit halten!«

»Das dumme Maul wirst du halten und uns nicht vor der Öffentlichkeit blamieren! Wie blöd mußt du dich angestellt haben, daß ein armes Weib, das von der Genossenschaft eine Unterstützung erhoffte, dich ohrfeigt. Sei nur froh, daß die Fritzsche es nicht rundbringt!« »Die Fritzsches haben andre Sorgen! Und nagen bereits am Hungertuche!«

»Mit armen Menschen hat man anständig zu sein!« sagt die Frau Schneidermeister, »du solltest deine Frechheit da anbringen, wo sie uns nützlicher wäre, zum Beispiel bei Herrn Kanitzky, dem du in deinen freien Stunden für ein Spottgeld Hosen à la Confection zurechtpfuschen mußt!«

Die Tür klingelt. Frau Ossen geht zu den Kunden. Als sie wiederkommt, sitzt ihr Mann über Listen und Formulare gebeugt.

»Nach Mittag kommt Herr Wagner«, sagt er, ohne aufzusehen, »du mußt, solange ich zu schreiben habe, die Kundschaft bedienen!«

Tatsächlich kommt Wagner direkt vom Büro zu Ossen hin und legt ihm eine Anzahl Papiere vor, die Briefe von und an den Magistrat zwecks Löschung der Hypothek.

»Ich denke, die Sache ist erledigt!« sagt Ossen, »wir waren doch am Kreisgericht und nach dem, was der Richter uns sagte, muß ich annehmen, die Hypothek ist gelöscht.«

Wagner antwortet ihm:

»Ich bin fest überzeugt, daß Herr Brunner dem Gericht einen Wink gegeben hat, denn jetzt verlangt das Gericht nachträglich vom Magistrat das Attest. Nachdem ich zwei Briefe an den Magistrat geschrieben habe, krieg ich zur Antwort: ich solle ihm den Inhalt des Attestes angeben. Das war am 1. Oktober. Da die Akten noch auf dem Kreisgericht lagen, bekam ich erst am 6. Oktober das Dokument. Die Stelle lautet: »Nach der Vereinbarung soll der jedesmalige Vorsteher berechtigt sein, die Löschung zu bewirken, wenn zuvor der wohllöbliche Magistrat attestiert, daß nach eingezogener Erkundigung N. N., das heißt in diesem Fall Wagner, Vorsteher der Lebensmittelassoziation ist.« Ich schreibe hin. Schon zwei Tage später bekomme ich Antwort. Herr Brunner schreibt: ›Wenn dem Gericht das Wahlprotokoll nicht genügend erscheint, so kann der Magistrat das gewünschte Attest auch nicht ausstellen. Du siehst also, lieber Ossen, dein Vorgänger hat seine 400 Taler Kredit restlos für die Genossenschaft eingesetzt. Er muß nun die Genossenschaft verklagen. Ich habe mich erboten, ihm die ganze schriftliche Arbeit zu machen, so daß er weiter keine Unkosten und Lasten davon hat. Er sagt: ›Die Genossenschaft ist ein Werk des Volkes! Dafür opfere ich die 400 Taler!‹

Er will eben nicht, daß von ihm aus die Vereinigung Schaden leidet. Übrigens ist meine Meinung, daß wir reich genug sind, ihm einen Teil dieser nun so festgelegten Hypothek in bar auszuzahlen. Ich sprach auch mit Schneidermeister Bürmann. Er sagt: ›Wir haben hier 400 Taler für Fritzsche liegen. Sein Eigentum ist für eure Vereinigung verpfändet. Unsre Satzungen, die der Darlehnskassengenossenschaft, lassen nicht zu, daß wir Geld auf zweite Hypothek geben. So nehmt doch ihr, als Genossenschaft, das Geld, schreibt uns einen Schuldschein aus und gebt es Herrn Fritzsche.‹ Dazu bedarf es natürlich deiner und meiner Unterschrift. Auf der nächsten Versammlung, – nebenbei, die längst hätte sein müssen, könnten wir den Mitgliedern davon Mitteilung machen. Zu befragen brauchen wir sie eigentlich nicht, denn Fritzsche ist da eingesprungen, als die Mitglieder ihn und seinen Kredit nötig hatten. Es ist nicht in der Ordnung, daß die Vereinigung einem Mann sein Vermögen ableiht, es zwanzigfach vergrößert und ihn dann ohne einen Pfennig Ersatz abschiebt. Das ist im Juli vergessen worden. Es war deine Sache, die Kaution abzulösen, denn du hast alle seine Rechte und Pflichten für die Genossenschaft übernommen. Von den Rechten machst du Gebrauch. Die Pflichten hast du, anständig ausgedrückt, vergessen. Du mußtest die Kaution übernehmen!«

Ossen schiebt mit einem Ruck die Papiere von sich fort und sagt mißmutig:

»Wenn ihr mir das sofort gesagt hättet, daß ich Kaution stellen müßte, hätt' ich niemals angenommen!«

»Lieber Ossen! Die Genossenschaft ist nach den Statuten und dem Vertrag verpflichtet, die Löschung vorzunehmen. Deine Parteigänger haben dich gewählt! Du bekommst jetzt zweihundert Taler. Wovor hast du eigentlich Angst? Sieh mal: begonnen hat Fritzsche, ein armer Teufel, mit viel Mut und einer Idee. Er hat ein Stück Welt in Bewegung gesetzt. Er hat dem alten Trott einen Arschtritt gegeben, daß selbst den königlichen Regierungen von Merseburg bis Berlin die Tintenfässer wackelten. Er hat nicht bloß gegen das Geld geredet, sondern aus dem Geld, das sonst der Versklavung des armen Mannes diente, eine Armee, schlagkräftig und kampffähig aufgestellt: Genossenschaftsgeld gegen Kapitalistengeld. Die Armee marschiert, nimmt ein, erobert. Du bist nun der General geworden, der ökonomische Schlachten schlägt und siegen muß, weil er mit einem neuen Prinzip kämpft! Aber ich fürchte, das sage ich dir nochmal, du hast Angst, daß von dieser Idee etwas in dir lebendig wird!«

»Wagner! Ich verbitte mir in meinem Hause solche Reden!«

»Gut!« sagt Wagner und packt seine Papiere ein, »wenn du mich nicht hier hören willst, so rufe ich als Vorsteher und Schriftführer durch Zeitungsanzeigen die nächste Generalversammlung auf den 1. Dezember ein. Grund? Amtsmüdigkeit des derzeitigen Geschäftsführers! Dann mußt du in aller Öffentlichkeit Rechenschaft geben!«


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