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Am 16. Oktober ist der Gesamtvorstand zusammengetreten; auch Brade ist gekommen. Zuerst sprechen sie über das zu feiernde Fest.
Brade, Vogel, Fritzsche und selbst Herr Rudolph stimmen dagegen. »Wenn nicht jetzt schon die Frühjahrsbestellungen einlaufen«, berichtet Herr Rudolph, »muß sogar Herr Degenkolb die Hälfte seiner Arbeiter entlassen!«
Das Fest wird also bis zum nächsten Sommer aufgeschoben.
Nun beantragt Fritzsche eine Erhöhung der Prozente von 2 ½ auf 3; außer Wagner stimmt niemand dafür. Er droht, auf der nächsten Generalversammlung die Sache öffentlich zu besprechen. Die Kollegen bitten ihn, doch bis zum nächsten Jahr zu warten. Fritzsche begründet seinen Wunsch durch die Mehrarbeit mit den kaufenden Nichtmitgliedern. Über eine Stunde lang geht der Kampf her und hin, bis Herr Vogel vorschlägt, den Verkauf an Nichtmitglieder wieder einzustellen.
Sie können sich nicht einig werden. Da wird Fritzsche unmutig und beantragt, die Sache der Generalversammlung vorzulegen.
»Der Führer stellt sich dem Volke! Ich verantworte mich der Allgemeinheit!« so ruft Fritzsche, lauter, als notwendig ist. »Morgen schon lade ich die Mitglieder ein. Heute ist Samstag, der 16. Oktober, also nächsten Samstag, den 23. Oktober bei Krieger; ist es euch recht?«
Sie verwarnen ihn, alle reden ihm gut zu. Er solle doch das Schicksal nicht herausfordern.
»Ihr kennt das Volk nicht! Ihr kennt nur unsre Feinde, die uns verderben wollen. Soll denn die Stimme des Volkes gegen mich sein, so bin ich schon abgesetzt. Aber ich vertraue den Mitgliedern!« ruft Fritzsche.
»Wer sagt Euch denn, daß die Mitglieder, die Euch vertrauen, in die Versammlung kommen? Erinnert Euch doch, daß der junge Arbeiter sagte: ›Plagt uns nicht mit zu viel Versammlungen! Wir vertrauen Euch ja!‹ Wer aber in die Versammlung kommt, das kann ich Euch jetzt schon sagen: Die Feinde! ›Fällt der Fritzsche, so fällt die Genossenschaft!‹ so kalkulieren sie!«
Herr Wagner redet ihm gütlich zu.
Fritzsche ist fanatisch und sagt nur: »Entweder am 23. die Versammlung oder ich trete gleich zurück!«
Da bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Tagesordnung zu beschließen.
»Nun müßt ihr mir schon helfen, die Freunde der Genossenschaft herbeizuholen!« sagt Fritzsche. »Wenn es so hart auf hart geht, werdet ihr mich doch nicht im Stich lassen! Morgen früh geh' ich zu den Zeitungen und gebe die Anzeigen auf. Tagesordnung: 1. Beschlußnahme über das Stiftungsfest. 2. Beschlußnahme über den Verkauf an Nichtmitglieder.«
»Streicht Nummer 2!« sagt Brade, »Kollege Fritzsche, im Namen der Arbeiterschaft, streicht diesen Punkt und lockt durch diesen Köder nicht den ganzen Krämeranhang in die Versammlung. Jetzt muß die Genossenschaft geschlossen dastehen, jetzt können wir keinen Streit brauchen! Fritzsche!« Brade geht zu ihm hin, legt ihm die Hände auf die Schulter und schüttelt ihn, redet eindringlicher noch: »Lieber Fritzsche, keine Halsstarrigkeit! Bisher haben die Arbeiter treu zur Genossenschaft gestanden! Setzt Ihr diesen Punkt durch, so bedeutet dies das Ende! Freunde, helft mir, Fritzsche von diesem Irrtum zu befreien! Vorläufig in diesem Jahr keine Paktierung mit den sogenannten Nichtmitgliedern! Später! Aber jetzt nicht!«
Fritzsche, verbissen und hartatmend, sitzt in der Mitte der Stube auf einem Stuhl, die Freunde stehn um ihn herum, vor ihm steht Brade und hält ihm die Hand hin:
»Schlagt ein, Fritzsche, sagt alles ab! Nimm von uns die Entschädigung zu drei Prozent, wir verantworten es später! Gib unter der Hand, du darfst es ja, an alle ab, die Ware verlangen! Aber mach es ohne öffentliche Bekanntgabe! In dieser Minute entscheidest du über das Schicksal der Genossenschaft!« Eine Minute verstreicht, Fritzsche sitzt nun, den Kopf zu den Augen der Freunde erhoben, aufgerichtet auf seinem Stuhl; er sieht in den Gesichtern überall Abweisung, nirgendwo Zustimmung.
»Immer hab' ich nach dem Fehler in mir, nach meinen Ungeschicklichkeiten gesucht!« sagt er stolz und unerschütterlich, »jedoch ich bin der festen Meinung, daß ich im Recht bin. Davon kann ich nicht ablassen!«
»Dann ist beiden nicht zu helfen, dem Führer und seinem Werk!« Brade zieht die Hand zurück und nimmt seine Mütze. »Wenn ich dir helfen kann, du weißt, wo ich zu finden bin! Geschäftsführer Adieu, Auf Wiedersehen, Kollege Fritzsche!« Brade geht.
»Sollen wir auch gehen?« fragt Wagner.
»Wenn ihr so halsstarrig wie Brade seid«, antwortet Fritzsche.
»Du bist fanatisch!« spricht Vogel und geht, ohne ein Wort zu sagen. Wagner redet ihm noch einmal zu:
»Beschlaft es! Eh' Ihr zur Zeitung geht, kommt zu mir herein! Und sprecht mit mir! Wir achten auch Eure Sinnesänderung! Wir glauben, daß Ihr alles in gutem Sinn tun wollt! Doch bedenkt: Sieben Mann gegen einen!«
Als Wagner sich umsieht, sind die andern schon gegangen.
Da kann Wagner sich nicht halten, er legt die Arme um die Schultern des alten Freundes und rüttelt ihn, packt ihn fest und zieht ihn hoch, dann nimmt er seine Hände, drückt sie, so fest er kann und geht langsam zur Tür hinaus. Da geht die Kammertür auf, Frau Juliane stellt sich neben ihn und sieht ihn fest an:
»Kopf hoch! Fritzsche! Was kommt, das kommt! Tu, was du mußt! Was auch kommt, ich bleib bei dir!«
Fritzsche ballt die Hände, legt die Fäuste auf den Tisch und knirscht mit den Zähnen. Dann sagt er langsam:
»Wenn sie nun recht haben? Dann siegt der Krämer! Ich muß doch auch wohl wissen, was not tut. Ich kann nicht anders!«
Am andern Morgen nimmt Fritzsche die Mitteilungstafel vom Haken und schreibt mit ungelenken Buchstaben auf:
»Am 23. Oktober Mitgliederversammlung in Kriegers Gasthaus.
Beginn 8 Uhr.
Tagesordnung.
Beschlußnahme über die Abgabe auch an Nichtmitglieder.
Verschiedenes.«
Dann geht er zur Zeitung. Geht hart an Wagners Büro vorbei, geht zum Redakteur und gibt die Anzeige ab.
Er hat sich vorgenommen, seine freie Zeit mit Buchbinderarbeiten auszufüllen. Seine alte Kundschaft ist verloren. Er muß zu Herrn Degenkolb wegen eines Auftrags und geht gleich. Als er in der Fabrik Herrn Rudolph sieht, dem er sein Anliegen, den Herrn zu sprechen, vorbringen muß, wirft er sich noch stolzer in die Brust. Herr Degenkolb empfängt ihn freundlich, freut sich, daß Fritzsche seine Freizeit mit Handwerksarbeit verbringen will und erkennt es ihm hoch an; er zeigt ihm ein Prachtexemplar von Mustermappe, wie ein Foliant, mit ledergepreßtem Deckel. Er ist zwar von der Konkurrenz, doch Herr Degenkolb muß auch solche Musterbücher haben, anstatt der heraldischen Wappenverzierung soll ein chinesisches Muster, ein auf Seide gedrucktes Bild vorne auf prangen. Zweihundert Seiten soll der Band fassen, ein Riesenwerk also.
Inzwischen wird ihm das aus China stammende, echte Vorsatzpapier sorgfältig eingepackt, Herr Rudolph übergibt es ihm selbst, er führt ihn in den Betrieb, wo die Rouleau diese merkwürdigen chinesischen Muster auf Eilenburger Kattun drucken. Herr Rudolph zeigt ihm die schon fertigen Vorräte und kommt auf das große Geschäft zu sprechen. Er ist, wie Herr Degenkolb, voller Vertrauen; sie rüsten einen Reisenden aus, der Degenkolbsche Waren in dem großen, unentdeckten Erdteil China einführen soll. Darum drucken sie für diese Rasse und ihrem Geschmack angepaßte Muster mit Drachenbildern und Götzentempeln.
»300 Millionen Einwohner hat China. Wenn jeder Chinese nur ein einziges Kleid aus Eilenburger Kattun kaufen wird, so muß das eln Absatz von 300 Millionen mal sieben Meter werden. In Zukunft wird Herr Degenkolb nur noch für China arbeiten!«
»Aber die Engländer machen auch diese Stoffel« meint Fritzsche.
»Die Engländer sind zu teuer. Die müssen viel höhere Löhne zahlen. Wir schlagen mit unseren Preisen alle Konkurrenz aus dem Felde!«
Nun geht Fritzsche, weil er einmal in der Fabrik ist, noch einmal in die Maschinensäle und kommt an den donnernden Kalanderwalzen vorbei, sieht die Rouleau ununterbrochen Stoff bedrucken, dann landet er bei Glubsch im Heizraum. Das Rauschen des Betriebes, das Gedröhne der Maschinen, die vielfältigen Arbeitsfunktionen erfüllen ihn mit Vorwärtstrieb und Kraftgefühl. Er träumt in die Zukunft hinein und sagt zu Glubsch:
»Ottokar, was meint Ihr, wenn wir mal so eine Fabrik genossenschaftlich betreiben, was für eine Freude wär' das!« Glubsch unterbricht ihn:
»Stimmt schon! Doch ich muß Euch sprechen; eine ekelhafte Geschichte! Die mit Paule und dem Frauenzimmer, es wird erzählt, – habt wohl schon davon gehört? Ich komm' einmal nach Feierabend herein. Was wißt Ihr davon?«
»Die Wahrheit ist: sie lieben sich!« sagt Fritzsche.
Glubsch schmeißt die Schaufel in die Kohle und lacht grimmig:
»Die verfluchte Liebe! Also doch die Tochter des Herrn Neer, Fräulein Agathe! Fritzsche, was tun wir, wenn diese Affäre in die Mäuler der Leute gerät?«
»Ich muß an Paule schreiben! Ich sag' Euch dann sofort Bescheid.«
»Verrückt und verliebt kommt auf eins heraus!« Glubsch spuckt auf die Erde. Er wirft Kohlen auf das Kesselfeuer, schmeißt mit einem gewaltigen Schlag die Feuertüre zu, schmettert die Schaufel wieder in die Kohlen und lacht höhnisch: »Ja, Fritzsche! Ich hab' es dem Paule gleich gesagt: Halt dich von den Weibern ab! Du hast zehn Jahre keine Frau gesehen, – du verliebst dich in die erste beste! Verdammt! Daß es grad die Tochter unseres Feindes sein muß, ist ja lächerlich! Der Alte wird genau so wütend sein wie wir!«
Fritzsche sieht sich um:
»Kommt hier keiner herein?«
»Kommt mit in den Seilgang!« Glubsch zieht ihn an der Hand hinter sich her. Im Düster dieser brausenden Zelle, umklatscht von den schwingenden Seilschlössern, erzählt ihm Fritzsche, was in dem Brief von Paule stand.
Als sie wieder hervorkommen, ballt Glubsch die Fäuste, bückt sich wieder nach der Schaufel und muß unzählige Schaufeln Kohle aufwerfen; zwischendurch flucht er:
»Könnt man doch die verfluchten Weiber verfeuern! Wie Holz und Kohle! Verdammte Liebesgeschichte! Über alles kommt ein Mann weg, bloß über die Weiber nicht!« Als Glubsch sich nach Fritzsche umsieht, ist er allein. Fritzsche ist zur Druckerei gerannt, zu Herrn Ossenhauer, und verlangt die Anzeige zurück. Der Druckereibesitzer geht in die Werkstatt: zu spät, die Zeitung ist fertig.
»Die Nummer war bereit, als Ihr kamt, ich hab noch ein Gedicht herausgetan und Eure Anzeige hineinpraktiziert!« sagt der Meister.
»Dann kann ich auch nichts ändern!« sagt Fritzsche und geht heim.
Wagner und Vogel kommen, wie jeden Dienstag, zu Fritzsche ins Magazin, um abzurechnen. Fritzsche gibt ihnen Auskunft, spricht aber nicht mehr, als nötig ist. Trotzdem sie am Samstag abend vom Lokal aus gleich zur Versammlung gehn, sind sie nicht wieder Freund geworden. Punkt acht Uhr sind sie bei Krieger. Herr Hanisch ist schon da, es haben sich 35 Leute eingefunden. Wagner bespricht das Einnahmen- und Ausgabenkonto, gibt dann Fritzsche das Wort. Als er von den 18 Talern Steuer spricht, schlagen ein Dutzend Fäuste auf die Tische, gellen Ho-Ho-Rufe, krampfhaftes Lachen unterbricht den heftig redenden Führer. In einer Atempause ruft jemand:
»Bezahlt die 18 Taler, aber nicht aus unserer Kasse!«
»Soll ich sie denn aus meiner Tasche bezahlen?« antwortet Fritzsche.
»Selbstverständlich! Ihr seid auch schuld, daß wir nicht steuerfrei geblieben sind!«
Nun versucht er, der Versammlung klarzumachen, daß durch die Steuerzahlung die Beschränkung der Abgabe nur an Mitglieder fortgefallen ist, also die Möglichkeit gegeben, den Umsatz zu vervielfachen, ohne daß diese neu zu werbenden Käufer mit an der Dividende teilten. Zwar müsse er darum etwas billiger abgeben, die Preise niedriger halten. Das könne er sehr gut verantworten, denn der Umsatz würde enorm steigen und dadurch der Gesamtgewinn. Er habe sich dieser Versammlung gestellt, weil der Vorstand es ablehne, die Abgabe an Nichtmitglieder durchzuführen.
Sein Schlußwort geht in lautem Gelärme unter.
Herr Wagner bittet, sich nacheinander zu Wort zu melden. Jeder soll für sich sprechen, damit Ordnung bleibe.
»Vorstand abtreten! Es gibt keinen Vorstand mehr!« ruft Herr Mandel. »Alles liegt unter einer Decke!«
»Billig verkaufen, Schundpreise machen! Bürger verhöhnen!« schreit ein Unbekannter. Herr Wagner bittet eindringlich, sich ordentlich zu Wort zu melden. »Herr Fritzsche ist ja noch nicht zu Ende!« ruft Herr Mandel wieder.
Fritzsche redet nun, als könne er mit Wortkraft die Widersacher besiegen. Er bringt die Frage: Abgabe an Nichtmitglieder zur Abstimmung vor, – zum großen Erstaunen des Vorstandes bekommt er 28 Stimmen dafür. Die Unterlegenen schreien gegen den Entschluß, sogar die, die mit dafür gestimmt haben. Jeder kann nun sehen, daß es den Leuten nur auf Geschrei und Spektakel, Verwirrung und Unordnung ankommt.
Fritzsche hat gesiegt. Er redet weiter von der unzulänglichen Entschädigung. Er fordert die Versammlung auf, die zweieinhalb Prozent auf volle drei zu erhöhen. Seine Begründung zerflattert in Für- und Gegengeschrei. Herr Wagner will der Komödie ein Ende machen und fordert die Vertagung dieses Punktes. Herr Mandel beantragt die Abstimmung. Alles steht auf und stimmt mit: Ja! Herr Mandel ruft:
»Ich stelle fest, daß die Versammlung einstimmig die Prozente für Herrn Fritzsche auf drei erhöht hat.« Er klatscht in die Hände.
Großes Gejohle, Beifallsgeschrei, Getrampel, Rufe:
»Warum nicht zehn Prozent. Meinthalb 50! Soll alles nehmen! Weg mit dem Schwindel!« Herr Mandel klettert auf den Stuhl und spricht über die immer noch Stehenden hin:
»Die Mehrzahl der Mitglieder erkennen den derzeitigen Vorstand nicht mehr an! Ich stelle hiermit fest, daß die Versammlung beschlußunfähig ist!«
Fritzsche springt ebenfalls auf seinen Stuhl und ruft:
»Ich bitte, die renitenten Herren Mitglieder, ihren Austritt zu erklären. Im andern Fall schließe ich sie wegen unwürdigen Benehmens aus. Unser Statut, das die Herren unterschrieben haben, bindet sie. Ich habe ihre Unterschrift. Ohne Unterschrift und Anerkennung des Statuts gibt es keine Mitgliedschaft!«
Da nun Herr Mandel, wenn auch noch etwas spöttisch, die wiederhergestellte Ordnung konstatiert, erklärt Herr Wagner die Sitzung für geschlossen.
Der Vorstand geht. Er muß an einer Gruppe Mitglieder vorbei, die eine Gasse bilden und höhnische Bemerkungen hinter Fritzsche herlachen.
Der ballt die Faust und spuckt aus.
Es ist zehn Uhr, als sie auf den Marktplatz kommen.
Vogel und Wagner wollen sich, wie jeden Dienstag, zur Abrechnung bei Fritzsche treffen. Sie sehen Fritzsche, unbekümmert über die Niederlage, weiterschaffen.
»Die paar Krakeeler sind nicht die Genossenschaft!« sagt er, »ihr sollt sehen: ich lache zuletzt! Ich biete beste Ware gegen billigere Preise, – ich seh' es doch, die Genossenschaft ist der Umsatz! Der Umsatz und nicht das Geschwätz.«
Seit der unglücklichen Versammlung ist ein Monat vergangen, der Umsatz steigt. Fritzsche drängt die Freunde, ihren Namen doch mit unter die Veröffentlichung zu setzen. Fritzsche legt den Kollegen eine Liste von Waren mit den Preisen vor. Er will sie jede Woche in den Blättern anzeigen. Beim erstenmal soll am Schluß der Anzeige dieser Zusatz gedruckt werden:
»Nachdem unser Verein vor kurzem zur Gewerbesteuer verpflichtet worden ist, dient auf die vielen Anfragen zur Nachricht, daß außer unsern Mitgliedern auch das übrige geehrte Publikum seine Bedürfnisse aus unserm Magazin entnehmen kann.
Der Vorstand.«
»Diese Preisliste lasse ich in der Druckerei auf Handzettel in tausend Exemplaren anfertigen, – die rührigen Mitglieder nehmen sie mit in die Fabriken und verteilen sie dort.«
Schweren Herzens setzen Wagner und Vogel ihre Unterschriften hin. Am 29. November erscheint die Anzeige in den Zeitungen. Drei Tage später kommt Wagner und hat über ein Dutzend Beschwerden von Mitgliedern, die zehn und einmal sogar zwanzig Unterschriften tragen. Alle beantragen sie eine neue Generalversammlung.
»Eigentlich brauchen wir keine!« sagt Fritzsche. »Ich verteile die Dividende hier ordnungsgemäß im Lokal. Wenn ihr aber wollt –?«
Vogel und Wagner sind für die Versammlung; sie setzen sie auf den elften Dezember fest.
Außerdem hat die Werbung noch einen andern Erfolg, den Fritzsche nicht voraussehen konnte.
Herr Kanitzky erscheint in höchsteigner Person und redet ihm freundlich zu: Fritzsche sei jetzt genau so gut Kaufmann, wie die andern Kleinhändler, er müsse fortan in Einigkeit mit ihnen gehen:
»Die Warenpreise steigen wieder an. Die Preise der Genossenschaft sind zu niedrig! Erhöhen Sie die Preise!«
»Und wenn ich das nicht tue?« fragt Fritzsche.
»Dann bleibt uns nichts übrig, als ebenfalls die Preise, besonders für das Weihnachtsgeschäft, herunter zu setzen, und sie genau wie Sie, öffentlich bekannt zu geben!« sagt wohlwollend der Agent.
»Es gehört zu der Aufgabe unserer Bewegung, die allerorts unrechtmäßigen, heraufgeschraubten, unmäßigen Preise auf ihre wahrhaft rechtmäßige Stufe zu bringen. Ich und wir alle würden es uns als einen großen Erfolg anschreiben, wenn uns gelänge, der ganzen Bevölkerung gute Ware zu wohlfeilen Preisen zu beschaffen!« sagt Fritzsche.
»Dann müssen wir annehmen, Ihre Genossenschaft ist nur zu dem Zweck ins Leben gerufen, den wohlehrbaren Kaufmannsstand durch schmutzigen Preisdruck die Existenz zu vernichten. Als Maske für das einen ganzen Stand abträgliche Gebaren benützen Sie die Phrase vom allgemeinen Wohl! Pfui! Herr Fritzsche!«
»Sehr geehrter Herr! Ich vermute, Sie kommen nicht nur im eigenen Auftrag, Sie kommen als Gesandter der Kaufleute!«
»Sehr wohl, Herr Fritzsche! Indem die Kaufmannschaft Ihre Intelligenz und Fähigkeit anerkennt, rücken Sie in den höheren Stand ein, Ihre bisherigen Konkurrenten sind also nun Ihre Freunde. Wir werden Ihnen als standesgemäßes Mitglied jeden Schutz unserer Macht angedeihen lassen; wogegen, wenn Sie dieses Angebot ausschlagen, der Haß und die Verachtung, die Ungnade eines ganzen, den Behörden wichtigen Standes auf sich ziehen. Ich biete Ihnen das Bündnis an. Zu Weihnachten werden Einladungen gesellschaftlicher Art Ihnen meine Worte beweisen, – Sie können versichert sein, daß Sie immer und zu jeder Zeit auf die Solidarität Ihrer neuen Standesgenossen rechnen können! Im andern Fall –«
»Herr Kanitzky! Ich habe mich dem aufstrebenden Stande, dem der Arbeiter, verbündet!«
Der Agent lächelt verbindlich:
»Hochmut kommt vor dem Fall! Wir sind auf diese Ablehnung gerichtet. Da Sie sich selbst als unsern Feind bekennen, und uns herausfordern, so brauchen Sie über unsern Angriff nicht zu zetern: Sie arbeiten mit allen Mitteln, – wir tun das Gleiche!«
»Also beginnen Sie schleunigst, Herr Kanitzky, – Sie haben sich lange nicht blamiert, – verlieren Sie keine Minute, – ich zeig' Ihnen den Weg!« Fritzsche zeigt auf die Tür.
Kanitzky bleibt gemütlich sitzen und zündet sich eine Zigarre an. Dann sagt er in einem gänzlich veränderten Ton:
»Die Leute erzählen, daß die Agathe Neer sich mit Herrn Zöckler verheiraten will. Was werden die Arbeiter sagen, wenn der Beweis geführt ist: Herr Zöckler hat lediglich solch' eine Genossenschaft für Lebensmittel aufgebaut, um einen Druck auf Herrn Neer, seinen widerwilligen Schwiegervater, ausüben wollen! Als dies nicht genügte, hat er die ehrbare Tochter des Herrn Neer durch den Verkehr mit Revolutionären kompromittiert und unmöglich gemacht! Sie darf nie wieder ins Elternhaus zurückkehren! Zu politischen Verbrechen hat sie der Herr Zöckler verführt, sie für ewige Zeiten dem Schutz des Elternhauses und des Vaterlandes entzogen. Nun betreibt er seine Pläne weiter: Er will große Geldmittel vom Vater seines Opfers erpressen, ansonsten er die Tochter dem Staatsanwalt ausliefert. Herr Fritzsche, ich sage Ihnen als Standesgenosse und guter Freund: Hier im Privaten liegt die Entscheidung. Sagen Sie sich jetzt, solange es noch Zeit ist, von allem los, was mit dieser Gründung zu tun hat! Nehmen Sie Ihr ehrliches Gewerbe wieder auf! Ich verspreche, Ihre Person und Existenz wird gesichert sein, wenn Sie dies tun! Im andern Falle werden Sie vernichtet sein, Ihre Gründung und Existenz, Ihr Ruf und Ihr Ansehen! Kanitzky ist Ihnen gewogen, Kanitzky weiß alles, kann und tut alles. – Er liquidiert auch Ihre Geschäfte, verschwiegen und rentabel. Er hat keinen Anlaß, sich den tüchtigsten und modernsten Mann in Eilenburg zum Feind zu machen. Hab ich Ihnen nicht vom ersten Tag an geraten: ›Lassen Sie sich von Kanitzky helfen!‹ Sie wollten nicht, gut, Sie haben gesehen, wohin diese Starrköpfigkeit führte. Es gibt nur eine Rettung, Herr Fritzsche, und vertrauen Sie Ihrem guten Stern, der Sie grade in diesen Tagen zu uns führte!«
Fritzsche ist aufgestanden und geht durch die Stube.
»Umsonst bemüht, Herr Agent!« Fritzsche macht eine Verbeugung und weist zur Tür: »Gestatten Sie, daß ich Sie auf die Straße führe!«
»Wie Sie wollen, Herr Fritzsche!« Auch er macht eine Verbeugung, »aber bitte nach Ihnen!«
»Selbstverständlich!« sagt Fritzsche; er geht die Treppe hinunter, öffnet die Straßentür und schlägt sie so heftig hinter dem Agenten zu, daß die Scheiben in allen Fenstern klirren.
An einem späten Abend kommt der Schuhmacher Stolle zu Fritzsche. Er nennt die Bemühungen der Handwerker verzweifelt; nun könne man überall klar ersehen, daß die Meister, die sich ein wenig wohlhabender als die Ärmsten dünken, nur lässige Mitglieder sind. Es hat sich herausgestellt, daß die, die wirklich vermögend sind, sich aus allen Genossenschaften mit der zynischen Bemerkung zurückziehen, daß sie es ja nicht nötig haben, auf Groschen zu spekulieren, wenn ihnen die Taler zufließen.
Darauf kommt Stolle wieder auf sein Lieblingsthema, die Eroberung der Massen. Fritzsche hört gern von den Arbeitern.
»Ja, da sieht man, wo die beste Kraft steckt. Die Handwerker und Händler schielen nach den Mächtigen, erhoffen nur von den Gesetzen und Verboten Besserung. Die Arbeiter besinnen sich auf sich selber, sie wollen durch eigne Kraft vorwärtskommen!« sagt Stolle.
»Wenn doch erst die Kraft der Massen einmal zusammenfließen möchte!« sagt Fritzsche. »Seitdem ich die Arbeiter kenne, muß ich sie immer mit meinen Handwerkskollegen vergleichen! Die Arbeiter haben, weil sie kein versinkendes Erbe zu retten brauchen, ihre Augen nach vorne gerichtet: sie sehen, wie sie ihr Kinderland erobern können. Uns Handwerkern hat man das Vaterland gestohlen; nun glauben wir immer noch, von den großen Räubern ein Stückchen erbetteln zu können!«
»Ja, das Vaterland ist im Besitz der Reichen ein Zuchthaus für uns geworden. Wir müssen es wieder erobern durch die Politik. Es gibt kein Kinderland! Hoho! Amerika meint ihr? Das ist ein Land für ausgerissene, wilde und dumme Jungens. Das Vaterland muß wieder unser Land sein!«
Die Unterredung bestärkt Fritzsche in dem Glauben an die Genossenschaft. Der Erfolg gibt ihm recht. Der Umsatz ist gewaltig gestiegen, trotzdem nun mit großer Offenheit die Affäre von Paule und Agathe breitgetreten und mit viel Schauergeschichten ausgeschmückt wird. Die große Masse des Volkes, auch die Mitglieder, sind an dem Bürgerklatsch wenig interessiert. Es genügt ihnen, wenn sie billige Lebensmittel bekommen. Sie haben andere Sorgen; ihre Tage sind ausgefüllt mit Arbeit und Not, mit der Beschaffung von Hausbrand, Schuhwerk und Kleidung, da die Kälte in die schlechten Häuser eindringt und die Menschen mit Angst vor dem Erfrieren erfüllt.
Fritzsche wird in diesen Tagen dringend von Wagner gemahnt, sich auf die Versammlung besser vorzubereiten. Immer wieder sagt Fritzsche:
»Die Bücher sind in Ordnung, – dort die Ware, hier das Geld! Paßt es Euch und den Mitgliedern nicht, gut, so gebt mir mein erborgtes Kapital zurück und ich gehe! Ich habe Besseres zu tun, als für die Versammlungen der Mißgünstigen und Störenfriede zu arbeiten! Das Magazin und der Umsatz ist die Genossenschaft, nicht die Versammlung!«
Zum allgemeinen Staunen sehen die Mitglieder, die sich am 19. Dezember einfinden, den Herrn Bürgermeister Brunner mit in das Versammlungszimmer gehen. Er setzt sich mit Herrn Hanisch an eine Ecke des Tisches; einige Arbeiter, die erst vor kurzem zugezogen sind, und ihn nicht kennen, reden ihn jovial an und gehen harmlos auf die Antworten ein. Sie hören aufmerksam dem Berichte Wagners zu. Der Herr hat ein Buch herausgezogen; als Wagner die Zahlen bekanntgibt, schreibt auch Herr Hanisch mit:
Umsatz im Halbjahr | 8000 | Taler, |
Vermögen des Vereins | 400 | Taler, |
Mitgliederzahl | 420 | Familien, |
Zu Weihnachten verteilt | 87 | Taler, |
Einlage der Mitglieder | 10 | Silbergroschen, |
Guthaben dazu am Vermögen pro Mitglied | 17 | Silbergroschen. |
Weiterhin erklärt Herr Wagner, daß der Geschäftsführer 2 ½ Prozent vom Umsatz erhält, außerdem die Entschädigung für das Geschäftslokal in der Höhe von 35 Talern im Jahr. Da Herr Fritzsche seit Monaten für seine Arbeit höhere Entschädigung verlangt, schlägt der Vorstand vor, diese auf 3 Prozent zu bemessen.
Es meldet sich der Knopfmacher Mandel und spricht gegen die Erhöhung. Er spricht aus, daß 2 ½ Prozent gleich 200 Taler im Jahr, eine große Summe sei und eine Genossenschaft der Armen könne unmöglich mehr ausgeben. Bei der Abstimmung wird die Erhöhung nicht bewilligt. In einer kurzen Schlußrede betont der Geschäftsführer, daß das nächste Halbjahr ertragreicher werde, weil vom vorhergehenden Halbjahr die Anschaffungen für das Magazin gemacht worden wären und die Ware erworben sei.
So geht diese Versammlung unter den Augen des Stadtvaters friedlich zu Ende. Eine Woche später wird Herr Wagner durch die Polizei aufgefordert, jede Versammlung mindestens 24 Stunden vorher anzumelden. Er geht auf das Rathaus und erkundigt sich nach dem Grunde dieser Verordnung; Herr Bürgermeister Brunner erklärt ihm, nicht ohne Spott, daß er die Polizei in Alarmbereitschaft haben wolle, da die vorletzte Versammlung einen sehr eigenartigen Charakter gezeigt hätte.
Im allgemeinen behält Fritzsche recht: die Tagesumsätze steigen. Die Drohung der Kaufmannschaft, sie wolle die Preise ebenfalls herabsetzen, hat sich nicht erfüllt. Nur einer hat die Preise radikal herabgesetzt, – und das ist Kanitzky.
Die nächste Versammlung ist im Schützenhaus; verwundert sehen die Mitglieder, daß außer Herrn Hanisch noch der Polizeidiener Leib an der Tür steht. Punkt 8 Uhr sind noch nicht 15 Leute anwesend. Herr Wagner geht in die Schenke und fordert Herrn Mandel auf, mit seinen Leuten hereinzukommen, doch dieser erklärt im Auftrag seiner Freunde, nicht unter Polizeiaufsicht reden zu wollen.
So erklärt Herr Wagner die Versammlung für beschlußunfähig und nach einiger Beratung vertagt er sie auf den 16. Januar.