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Zweites Kapitel

Zur Vesper geht Fritzsche ins Haus; in der Küche leert seine kleine Tochter den Korb aus, sie war zum Einkauf im Laden:

»Vater, weißt du, daß der Schmiedspaule da ist? Zu Mittag ist er aus Amerika gekommen!«

»Schön, schön!« sagt Meister Fritzsche, geht in die Küche, wäscht sich die Hände und bindet seine gute, grüne Schürze vor.

»Grüß ihn auch von mir!« ruft das Mädchen dem Vater nach. Er ist erstaunt: Woher weiß das Gör, wohin er will? Als er beim Nachbar ankommt, steht Frau Zöckler ausgehfertig in der Tür. Paule hat nur noch die Krawatte umzubinden. Als die Schmiedsfrau den Meister sieht, schlägt sie die Hände zusammen und ruft:

»Grad zu Euch wollten wir, Meister!«

Der Nachbar sieht bei dem Heimgekehrten, sie schütteln sich die Hände. Fritzsche sagt zur Mutter:

»Wenn wir im Haus bleiben, hört uns die Frau und die redet so viel hinein. Wollen wir nicht lieber auf meine Werkstatt gehen?« In der Werkstatt angekommen, rückt der Meister den Tisch an das Fenster, sie setzen sich auf die Schemel und gleich erzählt Paules Mutter, was sie zu Hause des Vaters wegen, nicht sagen könnte: Wie schlecht es um Eigentum und Auskommen sieht. Zugleich soll Meister Fritzsche seinen Rat geben; Paule will, daß sofort etwas getan wird. Fritzsche hat einen Karton genommen und schreibt die Summen untereinander, die als Darlehen verzinst werden müssen, schreibt die Zinsen auf und die täglichen Ausgaben. Die Mutter hat alle Summen im Kopf. Sie ist untröstlich über die vielen Schulden, doch Meister Fritzsche zeigt ihr schwarz auf weiß, daß sie Unrecht hat, wenn sie glaubt, daß alles verloren ist. Die Mutter sieht das »Soll« riesengroß vor den Augen, das »Haben« zwergklein.

Wie verzwickt solch ein altes Eigentum zusammengesetzt ist! Hier ein Stück Acker, da ein Fetzen Feld, drüben ein paar Tagwerk Land, dort ein abgeholzter Wald. Und zuletzt: die Werkstatt. Es bedarf eines Mannes Taglohn, um diese Zinsen abzutilgen. Nun überlegen die Drei lange, ob sie dem Vater den Verkauf vorschlagen sollen. Doch die Mutter rät ihnen ab:

»Vater wird noch ganz trübsinnig, wenn das geschieht; er weiß überhaupt nicht, wie es steht, er kann keine Zahlen im Kopf behalten. Wenn er wüßte, wie traurig es mit uns ist, täte er sich ein Leid an!«

Paule eifert:

»Aber jeden Tag schon 20 Silbergroschen bar zu verdienen, um sie den Geldleuten in den Hals zu schmeißen, jeden Tag, eh du eine Schnitte Brot auf den Tisch legen kannst, das ist zuviel! Da muß etwas verkauft werden! Wer hat das Darlehen vermittelt?«

Da wird die Mutter fast ärgerlich und sagt schroff:

»Kanitzky natürlich! Vater wollte nicht in Judenhände kommen; nun sitzt er in den Klauen dieses polnischen Wucherers!«

Sie rechnen die Zahlen zusammen, bis Paule sagt:

»Nein, Mutter, es fehlen 200 Taler im Jahr. Die lassen uns keine Ruhe! Wo verdiene ich am ersten Geld? In unserer Werkstatt? In einer Fabrik? In den Betrieben geht doch allerhand zu Bruch, ich steck' mich dahinter! Zuerst aber kauf ich mir den Kanitzky, well, der muß mit mir zu den Geldleuten gehen. Wir müssen versuchen, das Geld billiger zu bekommen!«

Die Mutter schüttelt den Kopf und sagt höhnisch:

»Das Geld billiger! Das brauchst du mir und uns nicht zu sagen! Das sagt jeder Meister in der Stadt, bis auf ein paar wenige: wir müssen billiger Geld haben! Christlich deutsches Geld! Geld, mit dem man schaffen kann und das wieder schafft; mit dem Leih- und Zinsgeld, dem Judengeld kommt man ja nicht voran, es frißt die Arbeit auf!« Da sagt Meister Fritzsche:

»Ha! Geld ist Geld!«

Paule geht in großen Schritten durch die kleine Werkstatt:

»Nein, Nachbar Fritzsche, Geld und Geld ist zweierlei! Habt Ihr denn unter Euch keine Assoziationskasse? Da haben die Handwerker in Amerika eine Vereinigung, da legen sie ihr Geld zusammen, in einen festen Schrank, damit es nicht geraubt werden kann. Wer es dann von den Meistern geliehen haben will, braucht nur ganz wenig zu zahlen. Habt Ihr so was?«

Nun schildert der Buchbindermeister, wie in Delitzsch ein Assessor Schulze eine Tischler- und dann eine Schuhmacherassoziation gegründet hat. Auch in Eilenburg sind die Schuhmacher und Tischler daran, sich zum gemeinsamen Einkauf zusammenzuschließen. Leider tun die begüterten Handwerker, die selbst Kapital haben, nicht mit und die armen Meister nicht viel zusammen.

»Darauf kommt es sich aber an! Auf Geld aus Arbeit und Handwerk, nicht auf Handelsgeld! Das Judengeld ist zu teuer! Was macht Ihr nun?«

»Nun versuchen wir, durch die Zeitung dieses Bestreben öffentlich bekanntzumachen. Schneidermeister Bürmann und Doktor Bernhardi haben schon darüber geschrieben. Willst du das nicht auch tun?« sagt Fritzsche.

»Ich? In einer Zeitung schreiben?« fragt Paule. »Nun ja! Haben wir Brücken gebaut und Ströme gebändigt, werden wir auch wohl aufschreiben können, was wir denken. Worte wiegen leichter als Brückenträger! Top!«

»Freut mich!« sagt Fritzsche. »Ich kenne den Redakteur von unserm Volksblatt. Wir werden zu ihm gehen. Er wird schon etwas Gutes daraus machen. Doch, erzähl mal!«

Da sieht Frau Zöckler auf, stemmt die Hände auf den Tisch und sagt enttäuscht:

»Ach Paule, dann geh ich. Der Meister Fritzsche ist wie verrückt, er kennt nur noch seine Pläne; die ganze Stadt macht er toll mit seinen Ideen. Unsere Sach', die mit dem Kanitzky, die vergeßt Ihr ja doch? Adjes, Mannsvolk!« Frau Zöckler packt ihre Sachen zusammen und ehe Paule die Zürnende beschwichtigen kann, haut sie die Tür hinter sich zu.

»Recht hat sie schon!« sagt Fritzsche, »seit wir eingesehen haben, daß es mit uns nur bergab geht, da haben wir mal auf den Tisch geklopft und die Kollegen in die Rippen gestoßen: ›Mann! Jetzt geht's um Leib und Leben!‹ Jeder weiß nun, daß wir nur durch den Zusammenschluß helfen können, – leider ist es schon sehr spät. Doch, sag, wie ging es in Amerika zu, wie war es dir, als du da ankamst, was war da nun anders, was fiel dir da zuerst auf? Das mußt du mir mal schnell erzählen!«

»Ja, Meister Fritzsche. in Amerika ist alles anders. Als ich mich zuerst umsah, da merkte ich gar nicht, wer eigentlich Herr oder Knecht, Arbeiter oder Bürger, Fabrikherr oder Monteur, Angestellter oder Inhaber war. Im gewöhnlichen Verkehr, da wurde nicht von unten herauf gedienert und gekatzbuckelt, noch im hochnäsigen Ton von oben herunter herabgesehen und geschnauzt. Das war für mich das Merkwürdige!«

»Und wie fandest du unsere Landsleute?«

»Eins fiel uns besonders in den letzten Jahren auf: als da etliche der neuangekommenen Deutschen merkten, daß man in Amerika nicht wegen Majestätsbeleidigung ins Loch gesteckt werden konnte, da fingen sie an, auf Teufel komm heraus auf die Monarchen zu schimpfen, auf die Regierung, auf die Fürsten, auf Gott und alle Welt! Zuerst hab' ich darüber gelacht, doch nachher hab ich mich gründlich geschämt; die andern Natiöner verstanden gar nicht, was die Deutschen gegen ihre Fürsten haben, begriffen gar nicht, warum die Deutschen zu erst die amerikanische Freiheit benützen, um sich, uns und das alte Vaterland vor den Angehörigen der Nationen und den Amerikanern zu blamieren.«

»Nun, wenn du die letzten fünf Jahre hier erlebst hättest, dann verständest du es schon. Hast du denn nicht mit den Leuten gesprochen, die doch sozusagen nach Amerika geflohen sind?«

»Sie sprechen sehr bald nicht mehr von Politik, sie versuchen in Amerika, es schnell zu etwas zu bringen. Sie sehen, wie Arbeiter und Fabrikant friedlich und auf dem Wege freier Vereinigung und Selbstbestimmung einig werden. Sie sehen, daß Amerika nicht nur den Händlern und Fabrikanten, sondern auch den Arbeitern, nach allen Seiten, auch nach der wirtschaftlichen, sich frei bewegen läßt!«

»Das versteh ich nicht recht, was meinst du damit?«

»Nun, es werden keinem Schaffer solche Beschränkungen auferlegt wie hier. Ich habe in Boston gearbeitet, da war ich Schmied; ich war in Philadelphia Eisenschmelzer und in Neuyork hab ich den deutschen Kindern Unterricht gegeben, weil dort die Deutschen in solcher Überfülle ankamen, daß eine Schule so schnell nicht gegründet werden konnte. In Pittsburg hab ich dann geholfen, Lokomotiven zu bauen. Dann wurde ich, weil ich eben schreiben und rechnen konnte, Buchhalter auf dem Büro. Als mir der Schreibtisch zu enge wurde, ging ich nach Wayling in eine Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen.«

»Was sagst du da? Maschinen für den Bauer? Unmöglich!« unterbricht ihn Fritzsche.

»Jawohl, Sämaschinen, Dreschmaschinen, Hack-, Haufel- und Rodemaschinen! Ich bin doch mit den Transporten auf das Land gereist und habe die Farmer und Knechte im Gebrauch dieser Maschinen unterwiesen!«

»Da verstehst du wohl auch jetzt etwas vom Bauernwerk?«

»Bauernwerk? Lieber Freund! Korn und Weizen nennt man dort jetzt: Agrarprodukte! Bauernwerk! Agrarproduktion! Das ist schon mehr Produktionsindustrie! Die neuen Maschinen haben die bäuerliche Hof- und Feldarbeit so umgeschmissen, wie die Webmaschinen unsre Kattunherstellung.«

»Dann sollen sie die Brotfrucht herüberschaffen!«

»Das wär das größte Unglück für unsern deutschen Bauernstand! Was sollen denn die Landleute in Deutschland tun? An wen sollen sie denn hier ihre Brotfrucht verkaufen? Und woher soll das Geld genommen werden, um Korn und Weizen zu kaufen! Nein, Amerika ist Amerika und alles, was sie dort machen, kann man hier nicht tun!«

Meister Fritzsche stützt seinen Kopf auf den Tisch und verfällt in Grübeln.

»Augen auf!« kommandiert Paule, »Meister Fritzsche, eh die Amerikaner ihre Maschinen in Gang setzten, haben sie zuerst ihre Köpfe gebraucht und die Denkmaschine in Bewegung gesetzt. Nun denkt auch Ihr mal nach: Wir sind doch keine Bauern, wolln auch keine werden. Wir sind Handwerker und wollen sie bleiben. Das ist egal, ob wir nun mit oder ohne Maschine arbeiten. Was wolln wir? Arbeit und Absatz! Warum können wir nichts absetzen? Weil die Arbeiten zu teuer sind, die Käufer nicht genügend Geld haben. Lust zu kaufen haben sie schon; mehr noch, sie müssen unbedingt kaufen. Nur, die Waren müssen billig sein. Da können wir am End doch von Amerika lernen: Große Mengen herstellen, am Einzelstück wenig verdienen. So habens ja auch die Farmer in Amerika gemacht! Nun will ich mal erzählen, wie wir drüben auf einem andern Gebiet vorgingen. Einmal arbeitete ich in Cincinati; das war in einer Eisengießerei. Da nun jeden Tag neue Artikel gebraucht wurden, konnte der Meister nicht mit. Ein Arbeiter nach dem andern mußte gehen. Zuletzt blieben nur noch die Ofengießer übrig, denn Ofen wurden immer noch in der gleichen Art gemacht. Davon konnte der kleine Fabrikant nicht fett werden, eines Tages kündigte er an, daß er die Gießerei in den Schrott schlagen und verkaufen wolle. Das paßte uns nun garnicht. Als wir uns am Abend zusammensetzten, um zu bereden, wie wir in einen andern Staat auswandern könnten, da sagte einer:

»Wir wollen dem Meister die Bude abkaufen, wir wollen weiter Ofen machen, darauf sind wir nun eingearbeitet.« Drei Tage gab der Meister uns Zeit, drei Tage lang liefen wir bei den Deutschen in Cincinati herum, liehen uns Betriebskapital – und schon waren wir die Herren der Fabrik: 12 Mann hoch. Wir hatten alle unsre Ersparnisse zusammengelegt und zusammen für den Rest gebürgt. Was meint Ihr, was wir da für Öfen zusammengeklopft haben? Als wir mal gar nichts anderes mehr zu überlegen, zu planen zu rechnen hatten, als wir immer nur in einem Bogen die eine Sorte Öfen machten, – und jeder von uns immer nur eine bestimmte Arbeit an einem bestimmten Teil taten, da stieg aber die Zahl; das Dreifache leistete jedermann mit demselben Gerät und in derselben Zelt. Auf einmal standen 5000 Öfen auf Lager und soviel an Bestellungen auch abgeholt wurde, es wurde nicht weniger. Da wurde nacheinander jeder von uns auf Reisen geschickt, um Großabnehmer zu finden. Endlich kam ich an die Reihe. Ich bin ein schlechter Verkäufer und setzte nicht mehr als die andern ab. Doch ich hatte Glück, ich traf einen Mann, der Gefallen an den Öfen fand. Als ich ihm sagte, auf welche Art wir zu der Gießerei gekommen waren, – da klopfte er sich auf den Schenkel, daß es schallte und brüllte vor Vergnügen:

›Wenn ihr mir nur noch in dicken Buchstaben vorn eine Schrift gießt: Cincinati-Association, – dann nehm ich euch die ganze Produktion zu einem bestimmten Preise ab!‹ Er ging mit und wir handelten. O weh, wie sah dieser Preis aus? Kaum die Hälfte von dem, was unser Vorgänger bekam! Einen Monat machten wirs auf Probe und siehe: mit dem billigen Preis stieg der Umsatz und der Händler konnte soviel absetzen, daß immer ein Wagen zum Abholen vor unserer Gießerei wartete, ja, die Öfen waren nicht mal richtig kalt, da waren sie auch schon verkauft. Nachher sind wir hinter sein Geheimnis gekommen: er verkaufte die Öfen an eine Genossenschaft. So brauchte er nur zu liefern und strich dafür 10 Prozent ein. Eines Tages blieb der Händler aus, totgeschlagen oder in ein besseres Geschäft gekommen, egal.« – Fritzsche sieht den Jungen an: der stand da und sagte dies, als sei es etwas Besonderes.

»Na ja, meinst du, wir brauchten dich, um so etwas auszuknobeln? Dazu brauchten wir Amerika und seine himmelweiten Weizenfelder? Nun komm mal mit zum Schustermeister Stolle, der soll dir was erzählen!«

So, wie sie stehn, gehn sie zum Nachbar Stolle. Der guckt den merkwürdigen Eilenburgerjungen einmal neugierig an und nimmt, als Fritzsche ihn nach den Plänen der brüderlichen Vereinigung der Schuhmacher fragt, ein Schreibheft aus der Schublade.

»Wir haben uns das so gedacht, Amerikamann, wir Schuhmacher von Eilenburg bilden wirklich eine brüderliche Vereinigung und tun so, als seien wir alle Mitglieder einer Familie. Dann nehmen wir zuerst mal alles Geld, was noch auf Zins aussteht und auf Rechnungen geht, legen alles zusammen und kaufen einige von den berühmten Schäfte-, Schneide-, Näh- und Steppmaschinen, einige Lederstanzen und Walzen, die das Leder vorbereiten. Daran setzen wir unsere jungen Leute und lassen sie Oberteile machen. Vorläufig nur eine Sorte, schwere, kräftige Bauernschuh, wie sie auch die Fuhrleute und Arbeiter tragen. Jeder Meister entnimmt diese vorgearbeiteten Stücke dem Lager der Brüderschaft und macht sie von Hand fertig. Wir haben uns das ausgerechnet, so werden die Schuhe ein Viertel bis ein Drittel billiger, als wenn wir sie ganz und jeder allein von Hand machen. Sind aber die Schuh soviel billiger, dann können die Jungen von uns, die Verkaufstalent haben, damit die Märkte in der Umgegend besuchen, können aber die Leute ln Halle und Leipzig, in Torgau und Merseburg so billig Schuh kaufen, dann ist es nicht schwer, diese abzusetzen. Haben wir einmal den Absatz, so können wir mit den Gerbern einen Vertrag auf jährliche Lieferung machen; dabei gewinnen die Gerber sowohl wie wir: da können wir uns das Leder um soviel billiger beschaffen, daß wir die Schuh fast zur Hälfte so wohlfeil machen können, als wenn jeder von uns auf eigenes Risiko und eigene Faust schafft. Warum, so haben wir uns gesagt, warum sollen wir warten, warten, bis die Geldleute genau so Fabriken für Schuhherstellung einrichten, wie sie es jetzt mit Kattun machen?«

»Damned!« sagte Paule und klatschte in die Hände. »Das habt Ihr fein ausgedacht: Handarbeit für die wichtigen Teile der Schuhe, Sohlen und Böden, Maschinenarbeit für die weniger wichtige! Eure Jungens gehn auf die Märkte, damned, sie verdienen ihr Geld genau so wie bei der Herstellung. Wieviel seid Ihr in Eilenburg?«

»125 Schuhmacher! Sollen die ausreichend Arbeit und Brot haben, so muß was geschafft werden. Der Staat erläßt Gesetze über Lehrlinge und Freiheiten, jedoch Arbeit für diese Jungens, die kann er nicht schaffen! Das müssen wir schon selber tun!«

Paule ist erstaunt über die klugen Schuhmacher, so etwas hätte er in Eilenburg nicht gesucht. Das ist ja schon ein kleines Amerika! Nachdem er dem Meister seine Anerkennung ausgesprochen hat, verläßt er mit Fritzsche den Schuster. Der Buchbindermeister nimmt ihn mit zum Webermeister Zscherpe. Auch dieser holt eine Mappe mit Schreibsachen aus einem Kasten doch, dann schmeißt er sie auf einen Stuhl, lehnt sich auf den Webstuhl und sagt:

»Wenn der Staat uns nicht hilft, wenn der Staat nicht die neuen Fabriken und Webstühle besteuert, wenn der Staat erlaubt, daß jeder Geldsack herkommen kann, mit jedem mechanischen Webstuhl zehn selbständige Bürger arbeitslos macht und an den Bettelstab bringt, dann müssen wir uns selbst helfen. Immer noch warten wir, bis unser Antrag auf eine gerechte Besteuerung der Maschinen von der Behörde angenommen wird. Wenn das nicht geschieht, so gehen wir alle bankrott. Nun haben wir uns zusammengetan, wir wollen uns an der Lossa einen Mühlenteich bauen und mit großen Wasserrädern Treibkraft besorgen. Dann bauen wir uns da eine große Halle, lassen unsere Webstühle umändern, kaufen uns neue Webstühle und bringen alle arbeitslos gewordenen Handweber unter. Nun suchen wir noch ein Kapital, haben uns bei der Stadt Eilenburg verwendet, damit das Genossenschaftswerk der brüderlichen Weber, Vereinigung bald zum Wohl unserer armen Kollegen aufgerichtet werden kann!«

Webermeister Zscherpe ist ein rüstiger Mann in den fünfziger Jahren und glaubt, daß der Staat endlich die Maschinensteuer einführt. Von dem Erlös könnte die Regierung den brotlos gemachten Webern und ihren Familien bei der Auswanderung nach Amerika helfen oder ihnen Land kaufen, damit sie wieder Bauern werden, wie sie es früher waren und wie sie auch bis vor wenigen Jahrzehnten noch ihre Lebensbedürfnisse zum größern Teil aus dem eignen Grund und Boden zogen. Bald ist es freilich zu spät, es gibt nur noch wenig Weber, die ihre Felder nicht alle verkauft haben. Am besten wäre, die Steuer aus den Maschinen würde zur Einrichtung von Vereinswebereien benützt. Dann ginge die Entwicklung vom Hand- zum Fabrikweber langsamer voran. Kein Mensch hält es aus: die Fremden, die Geld verdienen, saufen sich aus Übermut voll Branntwein, die armen Hiesigen tränken sich die Hungersorgen vom Leib. Verzweiflung hier, Übermut dort: Da muß der Staat ausgleichen!

»Doch was schwätz ich hier? Kommt doch mal in unsere Versammlung und hört die andern auch, ich muß jetzt dies Stück fertig machen!«

Endlich ziehn sie heimwärts. Beide schweigen lange Zeit. Endlich sagt der Meister Buchbinder:

»Hättest du das in Amerika gedacht, daß es in deiner Heimat so aussieht? Daß auch dort eine Masse Männer sind, die die Denkmaschine in Betrieb setzen, seit die Dampfmaschinen die Handwerke stillegen? Hast du einmal an deine arme Heimat gedacht in deinem reichen Amerika?«

Paule erwacht wie aus einem Traum.

»Ich? Nein, ich hatte keine Zeit! Ich war grade am Geldverdienen! In wenigen Jahren mußte ich die ersten zehntausend Dollar zusammenhaben. Es ging um die letzten zweitausend. Da verlor ich alles auf einen Hieb. Und da hatt' ich keine Lust mehr an Amerika! Fahrgeld verdient und heimgemacht. Wär ich noch ein Jahr geblieben, so hätt' ich wieder 1000 Dollar zusammengehabt. Tausend Dollar verdiente ich jedes Jahr.«

»Hier verdienst du nicht mal tausend Silbergroschen«, sagt Meister Fritzsche.

»Ich habe noch ein paar Anteile bei einem Kollegen gelassen; er kann sie verkaufen und mir das Geld dafür schicken. Doch zuerst will ich mit dem Kanitzky, dem schwarzen Halunken, abrechnen. Keiner der Wucherer soll Freude an mir haben. Ihnen mach ich die Hölle heiß!«

»Du bist hier nicht in Amerika!« lacht Meister Fritzsche. »Hier ist das Geld heiliger als Männerblut.«

»Meister, so tief ist Deutschland nicht gesunken, nehmt das Wort zurück.«

»Ha, es ist ja grad hundert Jahr her, da haben die Fürsten ihre Soldaten an die Engländer verkauft, für bar Geld verkauft! So was kommt erst langsam von oben herunter ins Volk hinein! Ist es aber einmal unten, so wird es offenbar.«

»Nein, Meister Fritzsche, alles können sie verderben, den deutschen Mann aus dem niedern Volke nie: den Bauer nicht, nicht den Handwerker und nicht den Taglöhner! Die Arbeit, die ehrliche, sie bewahrt ihn davor!«

»Ja, wenn er immer Arbeit hätte, der Mann aus dem niedern Volke! Das ist es ja eben, die Arbeit nehmen sie dem einen ab, um sie dem andern doppelt aufzuladen. Viele hundert Handwerker brüllen nach der Arbeit, die den Fabrikleuten an den Maschinen mit vierzehn Stunden zu viel aufgeladen wird!«

»Ich glaub's Euch nicht!« sagt Paule. »Wenn ich's glauben müßte, führ ich gleich wieder zurück nach Amerika. Nein, grad deswegen nicht! Dann begänn ich den Krieg gegen Fürsten und Fürstendiener!«

»Halt den Mund, Paule, wenn's jemand gehört hätte, so könnte er dich ins Gefängnis bringen.«

»Die Luft wird mir zu eng, Meister Fritzsche, ich geh. Ein andermal komm ich wieder.«


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