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Amerika. 1887-1889

Die New Yorker Saison 87 begann am 2. November, und vor mir lag ein anstrengender Winter mit Euryanthe und dem ganzen »Ring«, wovon Siegfried und Götterdämmerung neu für mich waren. Niemann war wieder zum Tristan mitgekommen, kreierte den Siegfried in der Götterdämmerung und starb, wie wir Siegfried noch nie hatten sterben sehen. Alvary, der mehrere Jahre sich drüben recht elend fühlte, sang zum erstenmal eine Wagnerrolle und hatte als junger Siegfried einen großen, ehrlichen Erfolg, der ihn schnell in die ersten Reihen der Künstler emporhob. Es war tragisch, daß er wenige Jahre später in Mannheim während des Drachenkampfs unglücklich stürzte und dieser Sturz den Keim zu seinem schweren Leiden und frühen Tode legte.

Gelang es mir beim Komitee, trotz der großen Honorare auch kleine Rollen mit ersten Kräften zu besetzen und dadurch Mustervorstellungen zu erzielen, eines gelang mir nie: eine große Fichte für den Walkürentann durchzusetzen. Brünnhilde mußte sich ein paar kleine Buchenstämme genügen lassen, und so oft ich auch die »Fichte« wieder in Angriff nahm, immer wieder wurde sie mir außerordentlich liebevoll aber gepanzert abgeschlagen, weil die Dekorationen einer ganzen Oper nebst Transport in Deutschland billiger kamen, als ein einziger Baum in New York zu malen gekostet hätte. Wie sehr erstaunte ich, als man zur Norma – meinem Benefize – eine mächtige Eiche malen ließ, ohne die wir uns sehr gut hätten behelfen können. Der Normabaum aber stand in des Malers Kontrakt, die Fichte nicht. Leider erfuhr ich das zu spät, sonst hätte ich die Eiche zu einer Fichte leicht umzaubern können und mir dafür als Norma zum Mistelbrechen von Wotan die Weltesche geborgt.

Paul Kalisch hatte in Berlin nicht mehr kontrahiert und war auf meine Vorstellungen hin am Ende der Saison herübergekommen. Hier fehlte es nicht an künstlerischer Arbeit; und noch ehe er New York erreichte, waren schon Konzertengagements für ihn genug in meinen Händen. Zu unsrer Verbindung war alles vorbereitet. Am Tage seiner Ankunft, am 24. Februar 1888, gingen wir gleich zu meinem lieben Freunde, dem immer lustigen General-Konsul Feigl, bei dem wir so viele heitere Stunden, allein, oder in interessanter Gesellschaft z. B. mit Baron und Baronin Heyking (Verfasserin der »Briefe, die ihn nicht erreichten«), verbrachten. – Die standesamtliche Zeremonie war schnell beendet, und nicht viel mehr Zeit nahm die kirchliche Trauung in Anspruch, die Pastor Krüsi in der kleinen protestantischen Kirche vornahm, wobei nur meine Nichte Hedwig, des Pastors Gattin und Töchter als Zeugen anwesend waren. Man hatte die Kirche mit Blumen geschmückt, und Krüsis Damen weihten die kleine ernste Feier durch einen Choral, der uns tief bewegte. Mehrere Tage später erst erfuhr New York das Ereignis, als wir längst wieder an der Arbeit für die nächsten Konzerte saßen. Es sollte kein Leben des Nichtstuns oder Vergnügens allein sein, das ich meinem Manne, der nun mein Lebensgefährte geworden, zu bereiten gedachte, sondern starkes Zusammenschaffen an uns selbst, an unserer Kunst sollte unser Zusammenleben zu einem einzigen großen Ziele führen, zum Glück der Befriedigung, das Höchste in unserer Kunst erstrebt und errungen zu haben, zu dem uns unsere Naturen befähigten.

Seidl gab gleich drei Konzerte, von denen zwei Mozart und eines Wagner gewidmet waren. Hier sangen wir beide die große Pariser Venus-Szene zum erstenmal. Schwer nur läßt sich das Interesse beschreiben, das mir diese großartige Szene vom ersten Augenblick an einflößte. Im Original nur zürnende oder vorübergehend verführerische Liebesgöttin, ist Venus in der Pariser Fassung ganz zur vergeistigten Weiblichkeit geworden; Worte und Musik sind auf das edelste Ebenmaß zurückgestimmt von dem teuflisch wirkenden orchestralen Bacchanal, das der Szene vorangeht. Dachte ich mir das Umstudieren der alten Worte in neue Rhythmen unendlich schwer, so irrte ich mich; es flog mir an, als hätte ich die Szene nie anders gesungen, als sei sie die Urkomposition. Wie oft sang ich sie in Konzerten und in der Oper selbst; immer aber schien sie mir mehr für den Konzertsaal geeignet und die erste kurze Fassung tauglicher für die Oper als die zweite, soviel schönere. Vielleicht nur darum, weil sie zu edel, Elisabeths Charakter nicht mehr genügend entgegenwirkt. So sehr hatte ich sie meinem Gefühl zu eigen gemacht vom ersten Augenblicke an, daß ich mir einreden konnte, Wagner habe sie nur für mich geschrieben.

siehe Bildunterschrift

Lilli Lehmann als Venus in Tannhäuser.

Meines Mannes Debut am ersten Mozartabend fand lebhaften Anklang, es wurde im Laufe des Abends für uns beide zur enthusiastischen Ovation. Einige Tage später versammelten sich die elegantesten Frauen der stockholder unseres Metropolitan-Operahouses, um mir ein herrliches Schmuckstück zu überreichen, das, extra für mich gezeichnet, aus einem Füllhorn und Ring aus Brillanten, von einer Brillantkrone überstrahlt, bestand und eines der geschmackvollsten Meisterwerke amerikanischer Juwelierkunst darstellt. Mehrere Jahre später erhielt ich ein zweites Angebinde: Hufeisen und Herz in Brillanten, zu dem nicht nur sehr reiche, sondern auch sehr arme Frauen beitrugen, z. B. eine arme Stickerin, die ihren Dollar mit den Worten brachte: »sie habe sich lange besonnen, ob sie dazu beitragen, oder mich lieber noch einmal dafür hören solle; das ›Andenken‹ habe gesiegt.«

Diesen drei ersten folgten andere 32 Konzerte, die aber durch ein schreckliches Elementar-Ereignis eine Weile Aufschub erlitten. Nach dem letzten Konzert in Boston sollten wir mit dem dortigen Symphonie-Orchester zwei Tage später in Philadelphia zusammentreffen. Während das Orchester erst am Abend mit Extrazug reiste, fuhren wir, um in New York zu ruhen, schon mittags fort. Vor New York fing's an zu schneien, und am Bahnhof hatten wir Mühe, einen Wagen zu finden, der uns ans Hotel brachte. Am andern Morgen war an Abreise nicht zu denken; der Schnee lag ½ Meter hoch, die Straßen-car verkehrte nicht mehr; vom Fenster aus sah man überall steckengebliebene Wagen ohne Pferde, und immer noch schneite es unbarmherzig weiter. Meine liebe Nichte Hedwig war bei Rosa Fischer, wir hörten nichts von ihr, nichts von dem Orchester, alle Zeitungen blieben aus, und weiter schneite es acht Tage lange. Es war entsetzlich. Carl Schurz sah von seinem Fenster einen Menschen im Schnee versinken, ohne ihm Hilfe leisten zu können. Und wie viele mögen dabei ihr Leben gelassen haben. Als es endlich aufhörte, lag der Schnee acht Meter hoch; man fing an, die Straßen mit Gasröhren zu durchziehen und mit unzähligen Flammen den Schnee aufzutauen. An einer besonders verwehten Straße, die der Schnee vollständig zugelegt hatte, war von Arbeitern ein Plakat befestigt: »Hier war die 23. Straße!«

Vom Orchester bekamen wir endlich Nachricht, daß die Musiker im Extrazug zwischen Boston und New York stecken geblieben und 90 Stunden hilflos darin verbracht hatten. Dieser Blizzard war der einzige, den ich in dieser furchtbaren Gewalt kennen lernte. Aber im Innern des Landes kommt er sehr oft vor, wo er besonders Schulkindern, die weite Wege machen müssen, außerordentlich gefährlich werden kann. In den scharfen Schneeverwehungen wird das Gehen schließlich zur Unmöglichkeit; todmüde fallen die Menschen hin, um, wie man sagt, einen herrlichen Tod zu sterben. In den Nebenstraßen New Yorks staken noch lange Zeit die Wagen unbeweglich im Schnee, bis man schließlich mehrere Elefanten von Barnum lieh, welche die Verkehrshindernisse mit Leichtigkeit entfernten; Amerika ist praktisch.

In Troy sahen wir den armen, halbgelähmten Röbling, den Erbauer der Brooklynbridge, der, vor der Hoteltüre liegend, jeden Sonnenstrahl auffing, seinen kranken Körper zu wärmen. Den Mann, der seine Gesundheit an die Vollendung dieses Riesenwerkes gesetzt, anzusprechen, fand ich nicht den Mut.

 

Da ich mich auch einmal auszuruhen gedachte, gingen wir 89 erst Anfang Januar hinüber und freuten uns kindisch, den liebenswürdigen Theodor Reichmann hier zu finden. Alvary, der zum erstenmal den Tannhäuser singen sollte, benahm sich schon auf der Probe recht merkwürdig. Der Regisseur mußte ihn darauf aufmerksam machen, daß die Rolle nicht gar so leicht zu nehmen und mit Scherzen nicht abzumachen sei. Er schien sie nicht einmal zu können. Am nächsten Mittag 2 Uhr kam der Regisseur bei uns angestürmt, Herrn Kalisch zu bitten, für den erkrankten Alvary am Abend den Tannhäuser zu singen. Mein Mann, der kein sogenannter »Einspringer«, wehrte sich mit aller Macht gegen die Zumutung, willigte aber, als des Zuredens und Bittens kein Ende war, schließlich doch ein, die Vorstellung zu retten, für den »erkrankten« Alvary einzuspringen, der – entgegen allen Theatergesetzen und seiner Angabe – sich am Abend unter den Zuschauern befand.

Tenor Perotti, der einstige Anfänger aus Prag, für italienische Musik engagiert, und Alvary, der nach dem Siegfriederfolg seine Forderungen kolossal hinaufschraubte, sollten nicht wieder engagiert werden. Und ohne daß wir ein Wort darüber verloren oder einen Schritt dafür getan hätten, trat Stanton plötzlich mit einem ausgezeichneten Antrag an Kalisch heran, den dieser erst, als Stanton ihm versicherte, daß ein Engagement Alvarys keinenfalls mehr in Frage käme, annahm. Es erschienen häßliche Artikel gegen mich in den Blättern, denen ich die Spitze sofort abbrach, indem ich erklärte, nicht mehr auftreten zu wollen, wenn die Direktion nicht öffentlich der Wahrheit gemäß den Angriffen entgegenträte. Dies geschah auch, indem man Alvarys Forderungen öffentlich als unmäßig bezeichnete und man darum von einem Wiederengagement abzusehen genötigt gewesen sei. Alvary kehrte uns den Rücken. Lange zögerte ich, die Möglichkeit eines unlautern Gedankens gegen mich als die Ursache darin zu erkennen, ich hielt Alvary für krank. Dem war aber nicht so; er hielt mich, uns beide, einer Perfidie fähig und zerstörte damit ein schönes kollegiales Verhältnis, was mir für ihn so leid tat als für mich.

Nach Schluß der Saison reisten wir acht Wochen mit dem »Ring«, in welchem ich jede Woche drei Brünnhilden hintereinander, und Sonnabends meist noch eine vierte Rolle sang. Da wir Dekorationen, Requisiten, Kostüme, Orchester, Chor, Garderobieren usw. aus New York mitschleppten, wars nicht zu anstrengend, wenn auch eine starke Arbeit. Nur, daß sich oft sehr komische Szenen abspielten. So hatte ich allüberall einen andern »Grane«. Hier ein Pony, dort ein Riesentier; oder es zerknabberten Ratten die Federn an den ausgepackten Walkürenhelmen; oder wie es Kalisch am Schluß der Götterdämmerung erging, wie er einmal als Siegfried auf der Bahre lag, Gutrune vor ihm, und es ihn am ganzen Körper derartig zu jucken anfing, daß er Gutrune bitten mußte, ihn zu kratzen, weil er's nicht länger ertrug. Als er aufstand, war er am ganzen Körper mit Blasen übersät von Ungeziefer, das unterwegs in die Pelzdecken gekommen war. – Aus früheren Zeiten erzählten Kollegen, wie sie einmal kurz vor Anfang der Oper »Margarethe« in einer fremden Stadt angekommen, sich sofort ins Theater begaben, aber weder Kostüme, noch Dekorationen, die noch nicht angekommen waren, vorfanden. Faust hatte zufällig sein Troubadour-Kostüm mitgebracht, Margarethe aber und die andern nichts als ihr Reisegewand, worin schließlich die Oper gesungen wurde, und nur Faust im Manrico-Kostüm paradierte, was übrigens der Illusion und dem Beifall nicht den geringsten Eintrag getan haben soll. – Mir hatten sie einmal in der Norma – auf einer Neben-Exkursion in Albany – einen kleinen, vergoldeten Topfdeckel als »Schild Irmenfuls« hingehängt und in der II. Akt-Dekoration, in der ich die Kinder morden sollte, die mir im ersten Akt mit »oh, Mama!« entgegengeeilt waren, eine kleine gemütliche Stube mit Butzenscheiben aufgestellt, neben denen das Kniestück eines modern angezogenen Mannes hing (wahrscheinlich der reiche Onkel aus Amerika). Ich hatte Mühe, all die schönen Dinge mit grünem Fries und Strohdecken und allem, was wir fanden, zu verdecken, ehe ich zum Morde schritt, und war ganz abgehetzt, als der Akt begann. Wie kindisch! Die Leute hätten die Butzenscheiben gar nicht bemerkt; sie wollten die Norma hören und sehen, das war ihnen die Hauptsache, alles andere gleichgiltig, und das hätte es mir auch sein sollen. –

Meinem New Yorker Grane ein Loblied zu singen, kann ich nicht unterlassen. Sobald meine Garderobentür aufging, kam er von der andern Seite, sich ein Stück Zucker zu holen, über die ganze Bühne; er kannte mich, mein weißes Kleid. In der Götterdämmerung stand er neben mir, beleckte mir Arm und Gesicht, schmiegte sich an mich und war artig wie kein anderer. Eine ganz dünne Schnur, die um meinen Arm hing, genügte, ihn überall hinzuführen, er wäre mir auch ohne sie gefolgt. Das liebe Tier machte die erste Szene zu einer geradezu traulichen, und am liebsten hätte ich's ganz und gar mit mir genommen.

 

Bisher war alles glatt gegangen; selbst die furchtbare Influenza-Seuche, die so entsetzlich viel Menschen hinwegraffte, hatte mich nur am Ellenbogen gestreift, meinen Mann allerdings tüchtig »geschüttelt«, dennoch durften wir nicht klagen. Die Trauerkondukte waren endlos, man mochte nicht mehr ans Fenster gehen; und in allen Straßen hingen von gar vielen Haustüren Trauerschleifen zum Zeichen, daß hier der Tod Einlaß gefunden. – Der arme Heinrich Vogl, den man für die Winterkampagne 89-90 auserlesen hatte, unser Wagnerheld zu sein, reifte mit einem Furunkel im Genick von München ab, war in Bremen vor der Weiterreise gewarnt, auf dem Schiff geschnitten und in New York sofort ins Hospital gebracht worden, wo er viele Wochen lang mit dem Tode kämpfte, bis seine starke Natur die Oberhand gewann. Als wir ihn endlich im Hotel aufsuchen durften, sahen wir die Wunde, die der Arzt ihm eben aufs neue verband. Wie konnte man damit weiter leben? Wie der Arzt behauptete, verdankte es Vogl nur seiner besonders weiten, lockeren Kopfhaut, daß sich die so entsetzliche Wunde überhaupt wieder schloß. Noch war es nicht so weit, als er längst wieder sang – mit einer Art Tarnhelm auf dem wunden Kopf – und erst gegen Schluß der Saison fühlte er sich kräftig genug, seine vollen Stimmittel und seine Künstlerschaft ganz zu entfalten. Das Publikum ließ es ihn nicht entgelten; es zeichnete Vogl bei jeder Gelegenheit aus, um seine Sympathie zu zeigen; und wie das Publikum so auch die Kritik, die Vogl größte Anerkennung zollte. Vieles hat Vogl unvergleichlich schön und künstlerisch gegeben, und niemals habe ich die Stelle in der Götterdämmerung: »Vergäß ich alles, was du mir gabst«, rührender spielen sehen und singen hören als von ihm.

Der amerikanischen Kritik ein ganzes Kapitel zu weihen, wäre nicht zu viel für alles das, was sie an der deutschen Oper, an den deutschen Künstlern in unegoistischer, unparteiischer Weise getan hat. Amerika hatte das Beste gehört, das je italienische Oper und italienisches Schauspiel hervorgebracht. Amerika war in künstlerischer Beziehung verwöhnter als wir. Hinüber kamen fast durchgängig nur Stars, und zu meiner Zeit reisten nur sehr wenige elegante Familien nach Europa; ja, es verschworen sich viele dagegen, den Ozean jemals zu kreuzen. Jetzt ist es anders geworden. Damals aber konnte man nur das hören, was hinüberkam, und das war immer das Beste. Daß man nach Wagner lechzte, war natürlich. Lohengrin, Holländer und Tannhäuser kannte man wohl; Mozart und Beethoven fast besser als bei uns; Wagner aber mit dem Ring, den Meistersingern, dem Tristan, darnach sehnte man sich. Nun kam die deutsche Oper in anderer Gestalt als früher, ihnen das alles zu geben, zu geben mit Künstlern, so gut, wie sie Deutschland nur zu bieten vermochte. Kein Wunder, daß man im Herzen froh war auf beiden Seiten. Unaufhörlich beteiligte sich die Kritik mit Besprechungen, von denen manche selbst uns Künstlern imponierten, am Vorbereitungswerk, das Verständnis für Wagners Texte und Musik zu schärfen, was ihr glänzend gelang, wofür jedes Wort der Anerkennung zu gering wäre. Vielleicht gelingt es mir, die Art zu zeichnen, wie sich die Kritik gegen die Künstler selbst benahm, indem ich die Worte herausgreife, die Henry Krehbiel (Tribüne) Albert Niemann nach dem letzten Tristan seiner ersten Amerikafahrt zurief: »Nicht Niemann hat uns zu danken für die Aufnahme, die er bei uns gefunden, nein, wir sind's, die er belehrte, die ihm, dem großen unvergleichlichen Künstler alle Erkenntnis zu danken haben mit dem, was er uns gab, das weiterleben wird in uns mit seinem Namen.« Wenn die versprochene Dankbarkeit Amerikas für alle und alles, was wir dort gaben, auch weiterleben wird, der Dank, den wir deutsche Künstler dem Lande und seinen Prachtmenschen schulden, wird und muß ihn überdauern und sollte in der Geschichte des Theaters, der Musik, der deutschen Kunst mit goldenen Lettern eingezeichnet sein.

 

Man hatte mir am Metropolitan-Operahouse in New York eine Vertrauensstellung eingeräumt, indem man bei besonderen Engagementsanlässen, Opernaufführungen oder -besetzungen meinen künstlerischen Rat einholte. Es mochte im Winter 1887 sein, als Mr. Stanton mit der Frage an mich herantrat: ob wir den Parsifal geben könnten? – Daß wir ihn geben konnten, unterlag keinem Zweifel; es standen uns genug große Künstler, ein wundervolles Orchester und Anton Seidl, wohl der beste Wagnerdirigent, zur Disposition. Die Frage hatte mich indessen doch sehr überrascht. Nachdem Mr. Stanton mir auseinandergesetzt, daß keinerlei Aufführungsverbot oder Gesetz für Amerika dabei in Betracht käme, auch für sonstige Wagnerwerke Tantièmen nie bezahlt würden, ging mein Rat dahin: den Parsifal nicht zu geben; ihn Bayreuth zu lassen, wohin er einzig gehöre, da er, wie kein anderes Werk Wagners, der weihevollen Stimmung des Bayreuther Rahmens bedürfe, den kein anderes Theater der Welt ihm verleihen könne; daß man sich der Profanation von Wagners Schwanensang nicht schuldig machen dürfe und dem Ideal seiner Kunst, seines Genies das Opfer bringen müsse, dem verzeihlichen Wunsche zu entsagen. Auch bat ich Mr. Stanton dringend, falls es die Einnahmen erlaubten, dem Hause Wagner die Tantièmen nicht vorzuenthalten, sondern auch hierin zu handeln, wie es Kunst und Kunstwerken gegenüber gezieme.

Der Parsifal wurde nicht gegeben! Mir wurde auch noch die weitere Genugtuung, daß Mr. Stanton nach einiger Zeit eine große Summe Tantièmen, von der ich nicht mehr genau weiß, ob sie sich auf sechzehn oder zwanzigtausend Mark oder Dollars bezifferte, persönlich Frau Cosima überbrachte, wofür Mr. Stanton mit einer bayrischen Auszeichnung später belohnt wurde.

Der Parsifal sollte uns indessen nicht ganz verloren gehen. In Brooklyn, der nur durch den Northriver getrennten und mit der großen Brooklynbridge verbundenen Vorstadt New Yorks, hatte sich eine »Anton Seidl-Society« gebildet, die mit ihren Fonds symphonische, von Kapellmeister Seidl geleitete Konzertaufführungen unterstützte.

Von Parsifal war nicht mehr die Rede gewesen, als plötzlich im Winter von 89 auf 90 die Idee in Brooklyn auftauchte, den Parsifal fragmentarisch im Konzert aufzuführen. Die Seidl-Society hatte alle Arrangements in Händen; wir Künstler sangen unentgeltlich, da schon für das große, sehr teure Orchester, Theatermiete und Proben usw. große Summen aufzubringen nötig war. Wir machten uns sofort ans Studium. Der unvergeßlich tiefe Eindruck, den ich 1883 in Bayreuth von dem Werke empfangen hatte, wirkte in der Erinnerung so nachhaltig, als sei es heute gewesen, und jedes Tones, jeder inneren Bewegung erinnerte ich mich so lebhaft, als hätte ich die Kundry gesungen und keine andere.

Am 31. März 1890 war die Brooklyner Academy of Music, d. h. das große Theater zum Konzertsaal umgewandelt. Der Platz kostete 20 Dollars und wurde nur an Mitglieder der Seidl-Society abgegeben. Mit weißem und hellblauem Stoff war der Zuschauerraum umkleidet, an dem sich allüberall grüne, duftige Pflanzen rankten. Außen und innen alles mit üppigen Palmen dekoriert. Auf der Bühne, wo das Orchester aufgestellt, vor dem Chor und Künstler saßen, waren alle Pulte von frischen, großen Palmenwedeln verdeckt, und Hunderte von weißen lebendigen Lilien schmückten Bühne und Zuschauerraum. Charfreitagsstimmung! Zu einem Tempel umgewandelt war der Raum. Töne und Stimmen vereinten sich zu Gralsboten, die Kunde von Leid und Erlösung in die Seelen der Zuhörer zu tragen. Daß die Aufführung der Weihe und Würde nicht entbehrte, dafür bürge ich mit meinem Herzen.

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