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13.

Weit den Ereignissen vorausgeeilt, muß ich nun wieder zurück in die alte Gallygasse und unsere neue Wohnung, in der wir uns wie Fürsten vorkamen. Gegend und Luft waren zwar schlechter als auf dem Eiermarkt, aber wir halfen uns. Das Küchenfenster wurde ganz mit Bohnen, Reseda, Tomaten, allen möglichen Häng- und Schlingpflanzen besät, die bis in den dritten Stock hinauf und in den ersten Stock hinunterrankten; meine ganze Freude, mein ganzer Stolz; es sah prächtig aus. Da die äußeren breiten Doppelfenster den ganzen Sommer über offen blieben, erzielte ich einen vollständigen Garten, um den man uns von allen Seiten beneidete. Im ersten Stock wohnte die Schwester unseres früheren Hausherrn, – der uns übrigens nie gesteigert hatte, – die an einen Violinspieler verheiratet war. Über uns Römers, die ein Zimmer – immer unglücklich vermieteten. Auf der anderen Seite die Bassisten Siehr (später in München) und Brandstöttner. Ebener Erde war eine Kaffeewirtschaft, welche die Mutter des Komponisten Rückauf führte; und im Hofe allerlei Bandel- und Eisenkrämergeschäfte, weder ein feiner, noch ein angenehmer Anblick. Aber das »Gartenhaus«, wie man es heute nennen würde, war neu und die kleinen hübschen Wohnungen von einem Theaterarzt extra für Künstler erbaut. Im alten Vorderhaus, auf das einer unserer Eingänge lief, hielt ein zweites Orchestermitglied, Cellist Wiedemann, ein großes Musikinstitut. Zwei Stock höher wohnte die arme alte Hausmeisterin, die zwanzigmal bei Tag und Nacht die vier Treppen auf und niedertrippelte, alle Sätze mit »Öbs« anfing und darum nur »die Öbs« hieß.

Schon um acht Uhr fingen bei uns die Gesangsstunden an und mit ihnen auch alle anderen im Hause. Als aber noch Römers Sohn die Posaune blasen lernte, revoltierten sämtliche Mieter, und er wurde in jene Kammer damit verwiesen, die Goethe so wundervoll: »die Kanzlei der Liebenden« nennt. Dort hörte ihn niemand, er mochte blasen so viel er wollte. – Zu uns kam als erster der lange Bassist Brandstöttner, der grenzenlos faul und energielos weder etwas profitierte, noch etwas erreichte. Dann kam des Obersten älteste Tochter, mit einer Götterstimme, die aber auch lieber heiraten, als was werden wollte. Dann eine andere, reiche Dame, – die ihre Stunden nie bezahlte. Am Nachmittag kam Karl Èech, – später erster Baß an der böhmischen Oper (der außerdem Medizin studierte), der mir aber erst beim Geschirr abtrocknen helfen mußte, ehe die Stunde, in der ich begleitete, beginnen konnte, weil mir die Küchenpflichten oblagen.

Die letzte Stunde hatte an opernfreien Abenden, ein jüdischer, sehr fleißiger, aber ebenso unmusikalischer Buchhändler, der einzige, der seine Stunden wirklich regelmäßig beglich. Zuletzt war keine Stunde des Tages mehr frei; und als ich auch noch üben wollte, mußte ich schon um sieben Uhr beginnen. Wie Mama alle anderen Arbeiten dabei noch fertig brachte, ist mir ein Rätsel. Nicht umsonst hieß sie »die Biene«, nur war's kein Honig, in dem sie schuf. Was hat sie doch viele Jahre für ein hartes Leben gehabt, ohne je darüber zu klagen! Da spricht man immer von den Frauen als dem schwachen Geschlecht! Was aber würde aus Männern und Kindern werden, wenn dieses schwache Geschlecht nicht die grenzenlose Energie besäße, sich selbst und seine Kinder zu erhalten und zu erziehen? Und wie viele Tausende von Familien gibt es, wo der Mann sich keinen Augenblick seiner Pflichten gegen Frau und Kinder erinnert und diese dennoch etwas werden! Was es aber die armen Frauen kostet, welche Sorgen, Kränkungen, welchen Gram und welches Lebenselend sie durchmachen, davon spricht kein Mensch; das alles versteht sich von selbst. Täglich, stündlich müßte es in die Welt posaunt werden, damit es endlich anders würde, daß sie nicht nur leiden und büßen müßten für der Männer Leichtsinn oder gar für ihr Verbrechen. Obwohl ich keine Kinder mein eigen nenne, hat mich diese Frage oft verrückt machen wollen, weil ich eine erbärmliche Ungerechtigkeit der Welt- und der Menschengesetze darin erblicke, an denen ich mit aller Kraft zu rütteln bestrebt bin, im Interesse des Weibes.


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